×

Zitiervorschlag

Aus: Armin Krenz (Hg.): Handbuch für ErzieherInnen in Krippe, Kindergarten, Vorschule und Hort. Neuausgabe. München: mvg-verlag, 39. Lieferung 2004

Sprachförderung unter besonderer Berücksichtigung von Kindern nichtdeutscher Herkunft

Margarete Blank-Mathieu

 

Jeder Mensch ist darauf angewiesen, mit anderen zu kommunizieren und von ihnen verstanden zu werden. Dazu bedarf es zunächst keiner Sprache. Der Säugling versteht die Mutter oder Pflegeperson auch ohne Worte. Der Klang der Stimme ist es, der ihm signalisiert, dass er geliebt wird, dass sein Weinen verstanden wird. Stimme und nonverbale Signale, wie Hochheben, Wiegen oder Streicheln, sind wichtiger als Worte. Und doch wird dem Kind von der jeweiligen Bezugsperson schon eine Sprachgrundlage in Form von bestimmten, immer wiederkehrenden Lauten nahegebracht. Diese Laute unterscheiden sich in den verschiedenen Sprachen sehr. In einer Sprache herrschen Kehllaute vor, in einer anderen werden viele Vokale verwandt, die Sprachmelodie unterscheidet sich. (vgl. Haider 1996, S. 31).

1. Die Bedeutung der Muttersprache

Früh erfährt der kleine Mensch, was Sprache ausdrückt. Schmeichelnde Reimworte wiegen das Kind in den Schlaf, dazugehörige Melodien prägen sich tief in das Unterbewusstsein ein. Muttersprache ist emotional durchdrungen und wird weniger als Sprache denn als Austausch von Gefühlen verstanden. Die meisten Mütter stillen den Säugling nicht stumm, sondern sprechen dabei mit ihm, streicheln ihm über das Köpfchen und finden allerlei Koseworte.

Jede Tätigkeit, das Wechseln der Windel, das Eincremen des Gesichtchens, das Aufsetzen des Mützchens oder das Hineinlegen in den Kinderwagen werden mit Worten begleitet, die stets eine beruhigende Tonlage haben. Ungeduldige Pflegehandlungen sind für ein Kind so schlimm wie eine Bestrafung. Streit zwischen den Eltern und laute Worte können das Kind in tiefe Unsicherheit stürzen.

Kinder benötigen von Anfang an auch eine verlässliche Ansprache. Sie erfahren dadurch, dass bestimmte Worte im Zusammenhang mit bestimmten Handlungen immer wieder vorkommen. Die Muttersprache ist in erster Linie die Sprache, die ein Kind von Anfang an regelmäßig hört und die es in seinem Alltag begleitet.

Muttersprache ist häufig eine dialektgefärbte Sprache. Im Dialekt stehen viele Koseworte zur Verfügung, die es so in der Schriftsprache nicht gibt. Wir brauchen gar nicht erst an eine Fremdsprache zu denken, wenn wir über unterschiedliche Sprachfärbung sprechen. Ob ein Kind in Süddeutschland oder im Norden aufwächst - die Sprache wird unterschiedlich sein.

Aber natürlich ist es für Kinder leichter, einen neuen Dialekt zu erlernen als eine neue Sprache. Unterschiedliche Sprachen können Denkvorgänge in Gang setzen und die kulturelle Vielfalt unserer Welt den Kindern nahe bringen. Sprachräume sind auch Denkräume: Menschen mit großen Sprachkenntnissen verfügen in der Regel über ein breites Spektrum des Denkens von der Welt. Sprachförderung ist somit immer Denkförderung. Dies gilt ganz besonders für die Muttersprache, die in eine ganzheitliche Erfahrung eingebunden wird und nicht wie in der Schule üblich mit Vokabeltraining und Grammatik einhergeht.

1.1 Die Muttersprache ist für die Identität eines Menschen wichtig

Die Identitätsentwicklung ist eng mit der Sprachentwicklung verbunden. So bedeutet die erste Sprache, die ein Kind hört, auch einen Schritt in die Entwicklung einer eigenen Identität. Selbst wenn der Mensch eine offizielle Amtssprache sprechen lernt und sich in der Regel in dieser ausdrückt, so wird die Muttersprache gefühlsmäßig über dieser stehen. Das merkt man, wenn ein Mensch sich besonders wohl fühlt oder sehr traurig ist. Um diesen Zustand beschreiben zu können, bedient er sich in der Regel der ersten gelernten Sprache oder des Dialekts. Wie könnte man eine Liebeserklärung besser formulieren, wie die eigene Traurigkeit beschreiben, wenn nicht in der Muttersprache? (vgl. Heuchert 1994, S. 91). Selbst wenn eine spontane Handlung wie ein Ausruf des Erstaunens oder der Wut erfolgt, wird dies stets in der Muttersprache formuliert. Kann man besser schimpfen als im Dialekt?

Wenn die erste Sprache auch für Erwachsene noch so entscheidend ist, so erst recht für das Kleinkind, das seine Welt sprachlich zunächst mit den engsten Bezugspersonen und den Gefühlen, die dabei im Spiel sind, erfasst.

1.2 Die Muttersprache ist für die Zugehörigkeit zu einer Gruppe wichtig

Das Bedürfnis nach Gemeinschaft benötigt ein Mensch vom Augenblick seiner Geburt an. Zunächst sind es die unmittelbaren Bezugspersonen. Schon bald wird diese Gruppe von Menschen erweitert durch Bekannte, Freunde, Großeltern. Meist handelt es sich um dieselbe ethnische Gruppe. Dort erfährt ein Kind, welche Regeln in dieser Gruppe herrschen und welche Rituale hier eine Rolle spielen. Regeln und Rituale sind ebenfalls mit gefühlsmäßigen Erfahrungen verbunden. Diese unterstreichen die Sprache, die hier gesprochen wird. Kinder wählen vor allem nach der Bedeutung, die sie einer Sache oder einem Menschen zuschreiben, aus, was für sie von Wichtigkeit ist.

Wenn Kinder nun in einem Sprachraum aufwachsen, der sich von der eigenen ethnischen Abstammung unterscheidet, so werden sie zunächst verunsichert. Dies gilt bereits beim Wechsel von einer Dialektgruppe in die andere. Als ein Kind mit seinen Eltern in eine schwäbische Kleinstadt zog, sollte es einen Aufsatz im Dialekt schreiben. Diesen Dialekt beherrschte es jedoch nicht. Die Aufgabe war unlösbar, und das Kind fühlte sich sofort aus der Gemeinschaft der Klasse ausgeschlossen.

Kinder werden oft auch wegen ihrer anderen Sprache gehänselt. Das ist bei Kindern, die einen Dialekt sprechen, noch häufiger als bei Kindern, die eine andere Sprache als Muttersprache haben. Auch diese werden ausgegrenzt, aber nicht so häufig wegen der Sprachschwierigkeiten, sondern wegen der Verständigungsschwierigkeiten. Das Kind darf keine Wurst essen, die aus Schweinefleisch hergestellt ist, es darf nicht ohne den großen Bruder auf die Straße, muss bestimmte Regeln einhalten. Auch können die Eltern des Kindes den anderen Kindern oft nicht erklären, warum dies so ist. Und Kinder machen es sich dann einfach - sie schließen das Kind von ihren Spielen aus.

Gerade die Gruppe der Gleichaltrigen benötigt ein Kind aber für seine Identitätsentwicklung. Dazu muss eine gemeinsame Sprache als Verbindungsglied vorhanden sein. Wer immer wieder auf seine Herkunftsfamilie zurückgeworfen wird, weil er von den anderen nicht anerkannt und akzeptiert werden kann, wird auch die Sprache, die die Gleichaltrigengruppe spricht, nicht lernen oder sich nur unvollkommen verständigen können. So ist es eine Spirale, wie ein Kind ausgeschlossen wird und sich durch die mangelnde Sprachkenntnis dann auch selbst ausschließt.

1.3 Die Muttersprache ist für das Selbstbild des Kindes wichtig

Ein Kind, das sich über die Zugehörigkeit zu einer bestimmten Gruppe definiert und seine Muttersprache als wichtig und allgemein gültig erkennt, wird dies auch in sein Selbstbild integrieren. Menschen, deren Sprache nicht anerkannt wird, können kein positives Selbstbild entwickeln. Sprachkenntnisse sind jedoch immer auch bereichernd für das Zusammenleben von Menschen. Kinder, die erfahren, dass sie mehr können als die anderen Kinder, weil sie noch eine andere Sprache verstehen und sprechen, können sich wichtig und kompetent fühlen. So ist die Anerkennung der eigenen Muttersprache auch für das Selbstbild des Kindes entscheidend.

Grundlegende sprachliche und kommunikative, soziale, emotionale und kognitive Grundlagen werden zunächst durch den Erlernen der Muttersprache erworben. Diese grundlegenden Erfahrungen können dann auf eine neue Sprache übertragen werden. Dies bedeutet für Kinder, die in zwei unterschiedlichen Sprachräumen aufwachsen, eine Erweiterung von Sprachkompetenzen.

Leider werden bei uns immer noch Unterschiede zwischen verschiedenen Sprachräumen gemacht. Ein Kind aus einem englischsprachigen Land erfährt die Zustimmung seiner Englischkenntnisse (weil hier auch andere Menschen Englisch sprechen?), ein Kind aus einem Sprachraum, dessen Sprache nur von wenigen Menschen gesprochen wird oder von einer Gruppe, die keine große Anerkennung in unserer Gesellschaft besitzt, wie z.B. Türkisch oder Albanisch, wird eher gemieden oder es wird ihm signalisiert, seine Muttersprache nicht zu benützen. So erfährt ein Kind durch die Ablehnung bzw. durch die Zustimmung seiner Muttersprache auch eine persönliche Ablehnung oder eben Zustimmung.

Ein positives Selbstbild und ein stabiles Selbstvertrauen sind jedoch notwendig, wenn ein Kind eine neue Sprache erlernen muss oder in eine andere Gesellschaft integriert werden soll. Die Bedeutung der Muttersprache kann somit nicht hoch genug eingeschätzt werden. Sie ist die erste Verbindung, um Kommunikation zwischen den Menschen zu ermöglichen, Gefühle auszudrücken, sich einer Gruppe zugehörig zu fühlen und ein positives Selbstbild zu entwickeln.

2. Die Sprachentwicklung

Um Kinder nicht zu überfordern, aber auch, um sie richtig und entwicklungsgemäß begleiten zu können, müssen wir uns zunächst mit der normalen Sprachentwicklung auseinandersetzen: Sprache bedeutet für das Kind, sich selbst in Bezug zur Umwelt setzen zu können. Indem nicht nur die Bezugsperson das Kind versteht, sondern es auch anderen durch ein Wort etwas mitzuteilen in der Lage ist, verändert sich sein Horizont stetig. Mit dem Gebrauch von Sprache wird das Kind in die Kultur um es herum integriert. Es kann sich nun unabhängig von den nächsten Bezugspersonen mit Kindern und Erwachsenen verständigen und seine Gedanken, Wünsche und Gefühle ausdrücken.

Stern (1991, S. 237) nennt diese erste Sprachentwicklung auch "das Gefühl eines sprachlichen Selbst" und führt dazu aus: Mit dem Erlernen der Sprache verändert sich das Bewusstsein des Selbst deutlich. Der Erwerb der Sprache führt zu einem Gefühl der Zusammengehörigkeit. Dem Kind gelingt nun die Differenzierung eines objektiven und eines subjektiven Selbst, es kann sich selbst im Spiegel erkennen. Es kann immer mehr zwischen sich selbst und der es umgebenden Welt unterscheiden.

Dass Sprache mit der Entwicklung des Denkens eng verknüpft ist, merkt man daran, dass Kinder zunächst mehr verstehen, als sie selbst aussprechen können. Sie wissen, wer als Mama oder Papa bezeichnet wird, können ihren eigenen Namen mit sich selbst in Beziehung setzen und dabei auf sich deuten. Wenn sie gefragt werden, ob sie einen Keks möchten, wissen sie, was damit gemeint ist, ohne dass sie einen Keks sehen müssen. Sie können nicken oder mit dem Kopf schütteln, bevor sie ja oder nein sagen können.

So ist die Entwicklung der Sprache auch ein Hinweis auf die Entwicklung des Denkens, der Wahrnehmungs-, Gedächtnis- und Erkenntnisfähigkeit. Neuere Forschungsergebnisse zeigen, dass die Sprachentwicklung eng mit der Hirnreifung verbunden ist. Die moderne Hirnforschung erkennt immer deutlicher, welche biologischen Prozesse bei der Entwicklung von Kindern eine Rolle spielen.

Dass neben den hirnphysiologischen Bedingungen vor allem eine vertrauensvolle, konstante, emphatische Beziehung zwischen dem Kind und seinen Bezugspersonen von großer Bedeutung ist und die Sprach- und Denkfähigkeit von Kindern vorantreibt, ist unwidersprochen. Jedes Kind lernt bei einer intakten Gehirnfunktion das Sprechen, aber wie rasch es dieses lernt und wie viele Worte es unterscheiden und gebrauchen wird, hängt vom Umfeld des Kindes ab. Ein sogenanntes sensomotorisches Entwicklungsgitter (Kiphard 2003) zeigt die durchschnittlichen Werte an. Kinder, die sehr gefördert werden, unterscheiden sich teilweise erheblich von den dort angegebenen Werten. Dennoch ist es sehr hilfreich, vor allem, wenn man Entwicklungsstörungen oder -verzögerungen bemerkt, solche Entwicklungsgitter anzusehen, da sie genaue Detailangaben z.B. auch über die Sprachentwicklung bereithalten. Das Buch von Kiphard enthält im übrigen genaue Details zur Entwicklungsüberprüfung vom 1. bis 4. Lebensjahres mit einem gesonderten Teil zu Hinweisen für eine gestörte Entwicklung. Es kann somit allen Erzieherinnen und Eltern empfohlen werden, die unsicher sind, ob sich der Entwicklungsverlauf eines Kindes im Normalbereich befindet.

2.1 Verlauf der Sprachentwicklung

Die Sprachentwicklung verläuft in allen Sprachen der Welt gleich. Die Grundlage für das Sprachverständnis und die Sprechfähigkeit ist von Geburt an vorhanden. Selbst Föten reagieren schon auf sprachliche Reize, wie z.B. die Stimme der Mutter. Und Säuglinge beginnen rasch, auf unterschiedliche Sprachreize bestimmte Reaktionsmuster zu zeigen. So führt eine ärgerliche Stimmlage zu einem eher ängstlichen Rückzug des Kindes, eine freundliche ruhige Stimme beruhigt das schreiende Kind.

Mimik und Gestik unterstützen die Bedeutung von Sprache und werden nach und nach für den Säugling verständlich. Bald schon versucht das Kind, auch selbst Sprache nachzuahmen, indem es erste Silben bildet.

2.2 Sprachentwicklung im ersten Lebensjahr

Die nachfolgende Reihenfolge ist dem oben genannten Buch von Kiphard entnommen:

1. Stimmgebrauch

Saugen, Schlucken und Weinen bereiten die Sprechwerkzeuge auf Sprache vor. Eine gewisse Muskelkraft ist dazu erforderlich. So trainiert das Kind durch Weinen und Schreien, durch das Bewegen der Lippen und der Zunge seine Sprechwerkzeuge. Nur wenn der stimmliche Ausatmungsstrom kräftig genug ist, kann das Kind eine Sprache entwickeln.

2. Weinen, Quietschen, Kichern, Lachen

Das anfängliche Weinen wird vom Kind ständig verändert. Es versucht zu lachen, zu kichern, quietscht freudig, wenn man an sein Bettchen tritt, und verändert das Weinen je nach der Situation und dem Aussagegehalt. So weint es zornig, wenn die Betreuungsperson es nicht versteht, jammert, wenn ihm etwas weh tut, oder erprobt lediglich seine Stimme. Die Mutter erkennt bald, was die unterschiedlichen Weinlaute bedeuten sollen. Glucksende, gurgelnde und girrende Kehllaute wie cha, grrr, öh, eku, rrre, uch werden gebildet.

3. Saugen, Schlucken, Lecken und Kauen

Diese Betätigungen sind nicht nur für die Nahrungsaufnahme wichtig, sondern trainieren auch die Mundmuskeln.

4. Lallen als wichtigste Sprachvorübung

Mit ungefähr 6 Monaten beginnt das Kind mit Lallmonologen. Dabei hört sich das Kind und wiederholt das Gehörte. Meist wird ein Konsonant mit einem Vokal verbunden, z.B. dada, mama, lala, gaga... Die Zungenakrobatik, die dabei nötig wird, wird vom Kind selbst fasziniert wahrgenommen. Wenn eine andere Person die Laute des Kindes wiederholt, entsteht daraus schon eine kleine Kommunikation.

5. Sprache wird verstanden

Mit ungefähr 8 bis 9 Monaten beginnt das Kind, Sprache zu verstehen und darauf aktiv zu reagieren. Es versucht auch schon, Laute nachzuahmen und sich durch selbsterfundene Sprache auszudrücken. Um das Kind zu ermuntern, dass es spricht, kann man diese teilweise langen Monologe durch ein bestätigendes Nicken oder ein aha oder jaja unterstützen. Dies verstärkt die Sprechlust von Kindern.

Jetzt kann man auch mit dem Kind sprechen und ihm etwas erklären - beispielsweise, dass es jetzt ins Bettchen gehen muss oder dass dieses Tier ein Hund oder eine Katze ist. Da das Kind die Tierlaute meist schon nachahmen kann, werden diese Laute dann dem Kind zusätzlich mitgeteilt. Damit wird einer Babysprache nicht Vorschub geleistet, sondern das Kind lernt Wörter kennen, die es bald auch selbst nachsprechen kann.

Dass das Kind bestimmte Worte kennt, kann man erfahren, wenn man ein Bilderbuch ansieht und das Kind bei der Nennung einer Katze auf diese zeigt. Wenn man sagt, es solle sein Füßchen heben, so tut es dies. Es erkennt sein Schmusetier und nimmt es auf Geheiß in den Arm. Es macht den Mund auf, wenn man ihm sagt, dass es jetzt etwas zum Essen gibt.

6. Sinnvoller Wortgebrauch

Sobald das Baby einen Gegenstand mit einem Wort, das es sprechen kann, in Verbindung bringt, versucht es auch, diesen zu bezeichnen. So entsteht bald das Wort Mama, das es zunächst für alle Erwachsenen, später alleine für die Mutter verwendet. Es differenziert Worte in immer kleinere Einheiten. Häufig sind zunächst alle Tiere wauwau, dann werden z.B. die Schafe durch mäh unterschieden, später auch die Katze durch miau und andere Tiere.

Der Erwerb der Sprache geht ebenso vor sich wie der Erwerb des abstrakten Denkens. Zunächst werden Menschen als Menschen und Tiere als Tiere wahrgenommen, später unterscheidet das Kind dann Erwachsene und Kinder, unterteilt Tier in solche, die laufen, und solche, die fliegen. Genauso verhält es sich mit der Sprachentwicklung. Wenn Menschen zunächst als Mama bezeichnet werden, so ist das eben die Bezeichnung von Erwachsenen. Mama und Papa, Oma und Opa werden allmählich gesondert unterschieden und auch so benannt. Bald folgt die Unterscheidung in Mann und Frau; Frauen behalten noch einige Zeit den Begriff Mama, weil diese Silben besser auszusprechen sind.

Tiere werden den jeweiligen Tierlauten zugeordnet, wenn das Kind sie aussprechen kann, sonst werden die Tierlaute mit ähnlichen Tieren verknüpft. Das Pferd erhält genauso den Laut mäh oder wauwau, weil es wie die bekannten Tiere einen Schwanz und vier Beine hat. Ente und Frosch können mit Gaack erkannt werden. So werden ähnliche Laute bestimmten Tieren zugeordnet oder Tiere nach bestimmten Merkmalen benannt. Vögel werden zunächst alle gleich behandelt und mit dem Begriff piep oder krah in Verbindung gebracht.

Im Alter von 12 bis 18 Monaten kann das Kind ähnliche Gegenstände und Personen einander zuordnen; so kann es im Bilderbuch Blumen oder Vögel und unterschiedliche Tiere erkennen und diese auch mit den Spielfiguren, die es selbst besitzt, in Verbindung bringen. Dies ist eine große Denkleistung, die sich jetzt auch sprachlich nach und nach ausdrückt.

Das Denken kommt immer vor der Sprache, da erst der Begriff gebildet werden muss, ein Vergleich stattfindet und das dazugehörige Wort auch formuliert werden muss. Viele Begriffe werden zunächst in eine Babysprache umformuliert. Dabei werden Silben weggelassen, Konsonanten, die noch nicht gesprochen werden, können durch andere und Vokale wie z.B. das O durch ein A ersetzt. Man braucht keine Bedenken haben, dass diese Kindersprache bestehen bleibt. Wenn die Erwachsenen stets die richtigen Worte gebrauchen, so wird das Kind seine Babysprache durch das richtige Wort ersetzen, sobald es dies sprechen kann. So wird Baby durch Baba ersetzt, der Affe wird Aff genannt, der Bär Bä.

2.3 Sprachentwicklung im zweiten Lebensjahr

1. Gebrauch von Einwortsätzen

Mit den ersten Worten werden auch Botschaften verbunden. Wenn das Kind z.B. Tee sagt, bedeutet es, dass es trinken möchte. Wenn es Apa ruft, so will es seinen Großvater begrüßen. Es kann nun schon sagen, was es nicht will, und seine Wünsche äußern. Wenn man es etwas fragt, antwortet es mit ja oder nein und meint dies auch so. Das Kind versteht kleine Sätze und antwortet in Einwortsätzen. Es entsteht so eine richtige Kommunikation zwischen dem Kind und der Bezugsperson. Für Außenstehende ist die kindliche Ausdrucksweise oft noch nicht klar, und das Kind tut sich noch schwer, sich allgemein verständlich auszudrücken.

Nach nur wenigen Wochen wird die Sprache deutlicher, und die Verständlichkeit bessert sich. Nun kann man deutlich die Worte Auto und Au unterscheiden, auch Mama und Mona (der Namen der Puppe). Immer mehr Laute, z.B. a, o, u, m, p, b, n, l, d, t, w, f folgen und werden in den Wörtern deutlich ausgesprochen. Tätigkeiten werden genauso mit einem Wort genannt wie Dinge und Personen.

Das Kind versteht eine Frage und kann diese beantworten, es zeigt auf bekannte Dinge, vor allem auf seine Körperteile und dieselben einer Puppe, einer Bezugsperson, eines Spieltieres. Es sagt z.B. Mund und zeigt dabei auf den eigenen Mund, auf den Mund der Mutter, der Puppe und das Maul des Spielpferdes.

Wenn man das Kind mit Namen ruft, hört es auf zu spielen und wendet sich der Person zu, die es gerufen hat. Es spielt Verstecken und lässt sich sehen, sobald man fragt: Wo ist denn nur die Susi? Es kann auf Personen, die man benennt, deuten und einen Befehl ausführen: "Geh doch zum Opa" oder "Bring mir die Puppe". Es weiß auch genau, was es nicht darf, z.B. die Bücher aus dem Regal nehmen. Es versucht dennoch, das Verbot zu umgehen, fasst an ein Buch und schaut dabei auf den Vater, der eben noch gesagt hat, dass das Kind das Buch stehen lassen soll. Dies ist ebenso ein Spiel wie andere Spiele, bei denen das Kind etwas zeigen soll oder einem Wunsch nachgeben sollte.

Jetzt werden auch Spiele um Macht gespielt. Wer setzt sich durch? Das Kind, das lieber im Sand spielt als mit der Mutter nach Hause geht, oder die Mutter, die auf vielerlei Weise versucht, das Kind aus dem Sandkasten zu locken?

Das Kind weiß inzwischen, dass jedes Ding einen Namen hat, und je öfter die Bezugspersonen den entsprechenden Namen einem Gegenstand zuordnen, desto sicherer wird es. Bald versucht es, den Namen nachzusprechen. Von zunächst 5 Worten ausgehend erobert sich das Kind die Welt um sich herum, indem es jedem Ding einen Namen gibt.

2. Gebrauch von Zweiwortsätzen

Bald kann das Kind einen Gegenstand mit einer Eigenschaft in Verbindung bringen. So entsteht der erste Satz. Es sagt z.B. eia Bett, das heißt, es möchte schlafen gehen oder einfach nur kuscheln. Bis zum Alter von 2 Jahren beherrscht es bereits ca. 50 Wörter, die es auch richtig einsetzen kann. Reim und Rhythmus, Lieder und Fingerspiele üben auf das Kind eine Faszination aus, der sich auch der Erwachsene nicht entziehen kann. Es versucht bereits, Fingerspiele nachzuahmen. Jetzt beginnen die "So tun als ob" Spiele, z.B. Telefonieren, Puppen füttern, den Bären ins Bett bringen.

Kinder ahmen nicht nur die Sprache, sondern auch die Tätigkeiten der Erwachsenen und anderer Kinder nach. Sie beobachten genau und versuchen, die Tätigkeit in derselben Reihenfolge mit denselben Worten zu begleiten. Zum Beispiel schaufeln sie Sand in ein Förmchen und sagen: "Kuche backen".

2.4 Sprachentwicklung im dritten und vierten Lebensjahr

1. Gebrauch von grammatikalischen Satzkonstruktionen

Mit der Erweiterung des Wortschatzes und der Satzkonstruktionen wird auch der Satz neu aufgebaut. Das Subjekt steht am Anfang des Satzes, das Prädikat wird teilweise schon gebeugt. So entstehen Sätze wie: "Ich gang in den Garten" oder "Ich bin gesitzt" oder "Ich hab gegesst". Wörter, die das Kind noch nicht gut kennt, werden entweder neu erfunden oder in anderer Weise gebraucht. So wird aus Stöckelschuh Schuhstöckel, aus Müllmänner Mülltonner. In diesem Alter darf man das Kind nicht korrigieren, da es sonst verunsichert wird, sollte aber den Satz richtig wiederholen.

2. Wo und Warum-Fragen

Um die eigene Denkentwicklung voranzutreiben muss das Kind nun mehr lernen, als ihm die Umgebung an Wissen zur Verfügung stellt. Es beginnt zu fragen: warum oder wo? Wenn man ihm etwas erzählt, so will es Hintergrundinformationen erfragen, aber auch manchmal lediglich seine eigene Denkentwicklung und sein Selbstbewusstsein mit einer Frage zum Ausdruck bringen. Die Erklärungen müssen jetzt noch sehr einfach sein, da das Kind zwar viel versteht, aber Zusammenhänge oft nicht so erklärt werden können, dass es ein dreijähriges Kind verstehen kann. So müssen kleine Geschichten herhalten oder Erklärungen erfolgen, die das Kind zufrieden stellen, die nicht gelogen sind, aber auch verständlich genug.

Wenn jemand wegfährt, will das Kind wissen, wo der Papa jetzt ist. Es reicht, wenn man ihm erklärt, dass er zur Arbeit gefahren ist. Wenn das Kind dann weiterfragt und warum sagt, so kann man fortfahren, dass er dort Geld verdient, dass man dem Kind Brot und Butter kaufen kann. Das hat das Kind schon selbst erlebt und wird diese Erklärung akzeptieren.

Im Fragealter erweitert sich der Wortschatz noch stetig, aber nicht mehr so spektakulär wie in der Anfangszeit. Dafür werden die Satzbildungen komplexer, und die grammatikalische Ausdrucksweise wird "richtiger".

2.5 Das vierte und fünfte Lebensjahr

Grammatik und Syntax (Wortgefüge, Satzgefüge) werden weiter ausgebaut, und die Kinder lernen nach und nach die Schriftsprache. Wörter können auch ihrer Bedeutung nach in Wörter für Dinge und Tätigkeiten unterschieden werden. Kinder können kleine Geschichten erzählen und Geschichten oder Bilderbücher selbst nacherzählen. Sie können auf kompliziertere Fragen antworten, was bedeutet, dass sie auch reflexiv zu denken in der Lage sind. Ihre Antworten werden zunehmend von ihren eigenen Gedanken bestimmt und nicht von dem Wunsch, der Bezugsperson die "richtige" Antwort geben zu müssen.

Die Warum-Fragen nehmen zu, da das Kind das Bedürfnis hat, sich selbst die Welt erklären zu können. Zusammenhänge und die Beziehungen zwischen Personen und Dingen werden nun hinterfragt. Auch hier gilt, dass man das Kind mit den Antworten nicht überfordern darf, sondern eine kindgemäße Erklärung abgeben sollte.

Die Sätze werden mit und und dann verbunden. Nebensätze werden erst gegen Ende des fünften Lebensjahres gebildet.

2.6 Die weitere Sprachentwicklung

Immer besser zu differenzieren gelingt dem Kind im ersten Schulalter. Es kann Zusammenhänge immer besser begreifen und diese auch zum Ausdruck bringen. Es kann Wörter nach Silben und Buchstaben zerlegen, was für das Lesen- und Schreibenlernen grundlegend ist. Die Sprache wird zunehmend als Objekt angesehen. Sie kann gestaltet und verändert werden. War die Sprache des Vorschulkindes noch ganz vom subjektiven Erleben und dem Bedürfnis nach sofortiger Mitteilung des gerade Erlebten geprägt, so wird sie im Grundschulalter zunehmend sachbetonter, geplanter und kontrollierter.

Die Sprachentwicklung ist nie abgeschlossen. Jeder Mensch ist in der Lage, sich neue Worte anzueignen, seine Grammatik zu verbessern und komplizierte Zusammenhänge mit eigenen Worten auszudrücken. Fremdsprachen verändern die Wahrnehmung der eigenen Muttersprache; Fachsprachen werden in Gespräche und Niederschriften integriert.

Je mehr ein Mensch Sprache gebraucht, desto sicherer wird er im Umgang mit ihr. Menschen, die viel lesen und häufig Vorträge halten, sind sprachlich gewandter als Menschen, die weder lesen noch Briefe schreiben. Der Mensch kann deshalb bewusst seine Sprachkenntnisse und Fähigkeiten trainieren - oder dies als unnötig empfinden: Dann verarmt seine Sprache und pendelt sich auf den Gebrauch der Alltagssätze ein.

Sprachförderung muss also immer zum Ziel haben, die eigenen Sprachfähigkeiten zu erhalten und zu erweitern. Dies ist für das Erlernen der Sprache genauso wichtig wie für den Erhalt und den Ausbau von Sprachfähigkeiten. Da die Sprache, wie schon vielfach angesprochen, eng mit den Denkvorgängen zusammenhängt, so kann ein Mensch, der keine Denkanregungen bekommt (z.B. bei einer Fließbandarbeit), seine Sprachkenntnisse verlieren. Sprache muss trainiert werden wie das Denken oder die Muskeln.

2.7 Sprachhindernisse

Wir sind zunächst von einer normalen Sprachentwicklung ausgegangen. Die meisten Kinder durchlaufen auch hier eine normale Entwicklung. Es soll aber noch ein Blick auf solche Kinder geworfen werden, die eine verzögerte Sprachentwicklung aufweisen oder sprachlich auffällig sind.

Soziale Beziehungen: Eine verzögerte Sprachentwicklung kann unterschiedliche Ursachen haben. Da z.B. eine anregende und emotional positive Umgebung das Sprechenlernen unterstützt, kann eine gestörte Bindung zur Mutter oder einer anderen Betreuungsperson dazu führen, dass die kindliche Entwicklung und damit auch die Sprachentwicklung gestört werden. Auch Kinder, die durch einen Heimaufenthalt oder den Verlust einer Bezugsperson emotional unzureichend versorgt werden, erleiden eine Verzögerung in ihrer Entwicklung.

Hirnschädigung: Wenn keine anderen Ursachen auszumachen sind und ein Kind auch auf anderen Gebieten eine massive Entwicklungsverzögerung aufweist, muss man an eine Hirnschädigung denken. Sinnesmeldungen kommen eventuell verzögert im Gehirn an oder werden nur bruchstückhaft wahrgenommen.

Hörschädigung: Wer nicht gut hört, wird auch nicht gut sprechen können. Eine Hörschädigung wird aber meist nicht sofort erkannt, da auch Kinder mit Hörproblemen zunächst lallen und ihre Stimme gebrauchen.

Sprachpraktische Störungen: Schädigungen zwischen dem Rückmeldungssystem Ohr und Muskelspindeln, dem Sitz der Bewegungsempfindungen, können solche Störungen verursachen. Wenn eine dieser Nachrichtenübermittler ausfällt oder unvollständig funktioniert kann man folgendes beobachten:

  • Ein Kind kommt über die Selbstlaute a, e, i, o, u nicht hinaus oder kann selbst diese nicht sprechen.
  • Ein Kind kann zwar alles denken, aber seine Sprechmuskeln sind nicht voll bewegungsfähig oder erhalten keine Sprechanweisung vom Gehirn.
  • Anatomische Ursachen sind dann schuld, wenn die Mundwerkzeuge defekt sind: lispelnde Kinder bei Gebissanomalien, näselnde Kinder bei Gaumensegellähmung oder Hasenscharte bzw. Wolfsrachen. Spastisch gelähmte Kinder haben eine "verwaschene" Aussprache.
  • Stammeln und Stottern können entweder psychisch bedingt sein oder ebenfalls durch eine Hirnstörung verursacht werden.
  • Autistische Kinder sprechen wenig oder gar nicht, obwohl keinerlei psychische oder anatomische Ursachen gefunden werden können. Es handelt sich hier um eine Störung der emotionalen Entwicklung - auch als Gemütsarmut bezeichnet.

Kinder, die solche Entwicklungsverzögerungen oder Sprachauffälligkeiten aufweisen, müssen immer in fachkundige Hände überführt werden. Da die Ursachen oft nicht behoben, sondern nur gemildert werden können, wäre jeder Druck fatal und würde die Sprachfähigkeit noch weiter vermindern. Viele geistig behinderte Kinder, die zunächst ein wenig sprechen konnten, sprechen später kein einziges Wort mehr.

3. Sprachförderung durch Interaktion

Ob es sich um Kinder deutscher oder nichtdeutscher Herkunft handelt, um Kinder, die gerne sprechen oder "sprechfaul" sind - immer werden das Sprachverständnis und das eigene Sprechen durch eine vielfältige Interaktion mit unterschiedlichen Menschen, Kindern und Erwachsenen gefördert.

3.1 Interaktion mit Gleichaltrigen

Kinder beginnen schon früh, sich mit Gleichaltrigen zu verständigen. Das tun sie zunächst fast ohne Worte. Sie nehmen sich gegenseitig Spielsachen weg oder umarmen sich zum Zeichen, dass sie gerne miteinander spielen würden, stoßen sich aber auch, um den anderen auf sich aufmerksam zu machen. Bald merken sie, dass diese Zeichen missverstanden werden können, und versuchen, sich auch verbal miteinander zu verständigen. Je nach Sprachfähigkeit geschieht dies in Einwort- oder ganzen Sätzen. Dabei müssen sie hören, was das andere Kind sagt, müssen sich eine Antwort überlegen. Auch hier handelt es sich zunächst um einen Denkvorgang, der erst danach in Sprache umgesetzt wird.

Erwachsene ahnen oft, was Kinder sagen wollen. Bei Gleichaltrigen ist das anders. So werden vor allem Kinder, die erst sprechen lernen oder nur wenige Wörter beherrschen, gezwungen, sich verständlich auszudrücken und soziale Kompetenzen zu erwerben, nämlich das Zuhörenkönnen und ein angemessenes Reagieren. Man sollte deshalb Kindern sehr früh gleichaltrige Spielkameraden zur Seite stellen. Da heute viele Kinder Einzelkinder sind, ist dies besonders wichtig.

Sich verständigen können erfährt ein Kind hier als besondere Fähigkeit, die auch das Selbstwertgefühl hebt. Kinder, die nicht so gerne sprechen, werden durch den Umgang mit Gleichaltrigen gezwungen, sich in Sprache auszudrücken.

3.2 Interaktion in der Kindergruppe

In einer Kindergruppe ist es noch wichtiger, sich sprachlich zu artikulieren. Seine Wünsche und Bedürfnisse laut auszusprechen, dass alle es hören, bedarf bereits eines gesicherten Sprachschatzes. Es gehört Mut dazu und erfordert bereits ein Probehandeln in Gedanken, bevor Worte ausgesprochen werden können. Sprachlich gewandte Kinder werden häufig zu Anführern einer Gruppe, da sie ihre Spielideen weitergeben können und andere Kinder sich ihnen anschließen.

In einer größeren Gruppe wird der Sprachschatz ständig erweitert, da Kinder unterschiedliche Worte für dieselben Tätigkeiten gebrauchen. Hier werden auch mundartliche und hochsprachliche Worte verwandt und können von den Kindern verglichen werden. Familieninterner Sprachgebrauch muss nun so formuliert werden, dass andere es auch verstehen. Und wer sich verstanden fühlt, kann auch anderen erklären, wie es "richtig" heißt. Bei Rollenspielen von kleinen Kindern können wir gegenseitige Erklärungs- und Deutungsversuche vielfach beobachten.

Gestik, Mimik und Sprache werden miteinander verbunden. Kinder fühlen sich anderen überlegen, müssen aber auch selbst denken und ihren Wortschatz überprüfen, wenn sie anderen etwas mitteilen wollen.

3.3 Interaktion mit Erwachsenen

Erwachsene verstehen kleine Kinder häufig nicht. Da Kinder bei den ersten Worten ganze Silben weglassen oder durch andere, die sie schon beherrschen, ersetzen, müssen Erwachsene sich erst in die Kindersprache einhören. Dies erfordert für Erwachsene den Willen, sich dem Kind auf kindgemäße Weise zu nähern. Und beide, das Kind wie der Erwachsene, freuen sich, wenn sie einander verstanden haben.

Wenn Kinder schon richtig sprechen können, ist es für Erwachsene häufig trotzdem nicht leicht, den kindlichen Gedanken zu folgen. Auch Kinder müssen die Formulierungen und Wünsche von Erwachsenen verstehen, um sie richtig zu interpretieren und richtig antworten zu können. Die Sprachkompetenzen von Kindern, die häufig mit Erwachsenen zusammen sind, sind andere als diejenigen von Kindern, welche sich eher mit anderen Kindern auseinandersetzen. Beide Formen müssen aber geübt werden. So ist die Interaktion mit vielen Erwachsenen genauso wünschenswert wie der Kontakt zu vielen Kindern.

3.4 Interaktion mit Fremden

Kinder erleben heute auch immer wieder Menschen, die ihre eigene Sprache nicht sprechen oder die sie nicht verstehen können. Dabei merken sie, dass die erlernte Muttersprache von anderen Sprachen umgeben ist und auch diese Sprachen von vielen Menschen gesprochen werden. Wenn Kinder mit den Eltern in ein anderes Land in den Urlaub fahren, so erfahren sie, dass Dinge dort anders benannt werden als zu Hause. Wer früh auch andere Sprachen kennen lernt, wird für das Erlernen von anderen Sprachen offen, auch neugierig auf Menschen, die eine andere Muttersprache haben.

Dies gilt bereits für Kinder im Kindergartenalter. Haben sie erst einmal die Erfahrung gemacht, dass man eine fremde Sprache lernen kann, so bekommen sie Lust auf die unterschiedlichen Sprachmelodien. Kinder lernen sehr gerne Lieder in fremden Sprachen, auch ohne deren Sinn zu verstehen.

Sprachfähigkeit und Sprachlust hängen immer eng mit Interaktionen zusammen. Wenn diese Interaktionen von positiven Erlebnissen und guten Gefühlen begleitet werden, so wird Sprache insgesamt positiv erlebt und ständig durch neue Worte erweitert.

4. Sprachförderung in der Familie

Da die Sprachentwicklung bereits mit den ersten Saugbewegungen und den ersten Lauten beginnt, die ein Kind ausführt, wird deutlich, dass die Sprachförderung auch mit der Geburt beginnt und ihren ureigenen Platz in der Familie hat. Wissenschaftler sprechen von Entwicklungsfenstern, in denen bestimmte Reize das Gehirn besonders gut erreichen und zur Strukturierung desselben beitragen. Das Sprachfenster ist zunächst weit geöffnet und schließt sich spätestens mit dem achten Lebensjahr. Danach wird ein Kind, das Sprache nicht kennt, nicht mehr sprechen lernen. Denken wir nur an die sogenannten "Wolfskinder"!

Mit Kindern viel und grammatikalisch richtig zu sprechen ist auch dann wichtig, wenn das Baby unsere Worte noch nicht verstehen kann. Dazu kommt, dass eine empathische Beziehung zwischen dem Kind und der bzw. den Bezugspersonen entsteht. Kinder, die sich und alles, was sie tun, akzeptiert erleben, sich geborgen fühlen und durch diese Sicherheit auch Lust haben, Neues auszuprobieren, lallen häufiger, werden durch Wiederholungen der Erwachsenen angeregt, es wieder und wieder zu tun, erleben Sprache als lustvoll und kommunikativ.

Sprache wird Element der Beziehung, auch ohne dass die Worte einen Sinn ergeben müssen. Gerade die unsinnigen Wörter machen Kindern noch lange viel Freude, da die Lautmalerei Lust auf mehr macht.

Wie kann Sprachförderung ganz praktisch geschehen?

1. Handschmeichelspiele

Die Mutter oder eine andere Bezugsperson nimmt das Kind in den Arm und spricht in kleinen Reimen, indem sie unterschiedliche Körperteile des Kindes berührt.

Da hast nen Taler...

Hoppe, hoppe Reiter...

Geht ein Mann die Treppe rauf...

und viele andere bekannte Hand- und Körperspiele können schon mit den Kleinsten gespielt werden. Dabei hört das Kind den Wörtern nach und entwickelt einen Sinn für Betonung und Geräusche.

Diese Spiele dienen nicht nur zum Erlernen von Sprache, sondern festigen die Beziehung zwischen dem Kind und der Bezugsperson. Dabei werden Denkstrukturen ausgebildet, die für das weitere Sprachverständnis wichtig sind. Je mehr Sinne angesprochen werden, desto besser prägt sich alles im Gehirn und Denken ein. Nicht der Text ist hier entscheidend (oft sind es ganz unsinnige Wörter und Reime), sondern der Rhythmus, der Reim und die körperliche Nähe.

Jede Kultur hat ihre eigenen Handschmeichelspiele. Jeder Dialekt seinen eigenen Sprachrhythmus, den er hier den Kindern weitergibt.

2. Lieder und Fingerspiele

Wenn das Kind etwa 8 Monate alt ist, kann es bereits längere Geschichten anhören, und die Mutter kann diese durch Bewegungen begleiten. Dies sind zunächst Lieder, bei denen das Kind auf Klang und Wörter lauscht, aber auch die Fingerspiele, die mit oder ohne Melodie mit den Kindern gespielt werden.

Auch hier ist der Körperkontakt sehr wichtig. Das Kind sitzt auf dem Schoß, und die Betreuungsperson singt oder spricht eine kleine Geschichte. Bestimmte Silben werden betont, oder die Sprachmelodie verändert sich im Lauf der Geschichte:

Das ist der Daumen... (au und ei-Laute werden wiederholt)

Alle meine Fingerlein, wollen heute Tierlein sein... (ei-Laute)

Viele Lieder können mit selbsterfundenen Gesten verbunden werden.

3. Geräusche

Geräusche nachzuahmen gelingt Kindern schon früh. Sie lieben es auch, Geräuschen oder Melodien zu lauschen. Schon bei ganz Kleinen sind Kinderlieder vom Kassettenrecorder beliebt, da Kinderstimmen für Kinder besonders anregend wirken. Wenn keine Geschwister oder andere Kinder zum Spielen und Sprechen da sind, kann der Kassettenrecorder diese imitieren. Aber auch dabei ist es gut, wenn das Kind die Geborgenheit einer Person spürt.

Man kann dem Kind viele Dinge geben, die Geräusche machen: So kann das Baby der Rassel nachhören, auf einen Topf schlagen, eine Kette hinter sich herziehen, in einem Topf rühren, Steine umschütten, etwas wegwerfen. Höreindrücke gibt es in jedem Haushalt zu Hauf, man muss sie nur bewusst einsetzen. Wie hört es sich an, wenn ein Wasserhahn tropft, die Dusche an ist, ein Auto vorbeifährt, der Wind bläst, der Ball rollt? Viele Kinder haben Spaß an den unterschiedlichen Motor- und Fahrgeräuschen von Fahrzeugen - vor allem solche, die in der Stadt aufwachsen.

4. Kinderlieder und Reime

Wenn das Kind laufen kann, können wir kleine Kreisspiele machen:

Ringel, ringel reihe...

Das Kind tanzt auch gerne nach einer Melodie. Das sieht nicht nur originell aus, sondern dabei lernt es die Körperkoordination und das Hören auf eine kulturell unterschiedliche Sprachmelodie. Jede Kultur hat eigene Rhythmen, nach denen getanzt wird und die ein bestimmtes Körperempfinden hervorrufen.

Reime sind bei allen Kindern beliebt. Die Wiederholungen von bestimmten Silben spielen dabei weiterhin eine Rolle. Aber in den Reimen werden auch kleine Geschichten erzählt, die das Kind nun schon verstehen kann. Es weiß, auch ohne es zu sehen, was ein Hund, eine Katze oder ein Löffel ist.

Hierher gehören sowohl selbstgemachte Reime, wie z.B.: Wir gehen jetzt ins Bett, da ist es doch sehr nett, das Häschen schläft gleich ein, dazu mein Kindelein... Aber auch bekannte Reime von Krüss oder Friedrich Güll sind bis weit in die Kindergartenzeit bei Kindern sehr beliebt.

5. Bilderbücher

Schon relativ früh erkennt das Kind bestimmte Gegenstände in Bilderbüchern wieder. Dies ist ein guter Anlass, um bestimmte Wörter immer wieder zu wiederholen, bis ein Kind das Wort und einen bestimmten Gegenstand miteinander in Verbindung bringt. Bilderbücher sollten für das Kind handlich sein, nicht zu groß und zu schwer. Sie sollten leicht umzublättern gehen, dazu müssen es gar nicht unbedingt Pappbilderbücher sein. Auch kleine Kinder können schon sorgsam umblättern lernen, ohne das Buch zu zerreißen.

Kinder schauen gerne Bilder an und sprechen dazu ihre eigene Sprache. Sie erzählen sich selbst Geschichten und trainieren dabei ihre Sprechwerkzeuge und die Lautbildung. Aber auch das gemeinsame Betrachten von Bilderbüchern bietet viele Möglichkeiten der Sprachförderung. Geschichten können vorgelesen, Gegenstände gesucht, Geräusche von Tieren nachgeahmt werden.

6. Alltagshandlungen

Alle Alltagshandlungen können von Worten begleitet werden. Viele Eltern meinen, mit ihren kleinen Kindern nicht viel sprechen zu müssen. Aber gerade bei den Alltagsgelegenheiten lernen Kinder einen wichtigen Grundwortschatz kennen und erfahren, wie ganze Sätze zustande kommen. Den meisten Eltern braucht man dazu keinen besonderen Rat geben. Sie sprechen in Gegenwart von Kleinkindern einfach ihre eigenen Gedanken laut aus und lassen die Kinder daran teilhaben. Dabei entwickeln die meisten Erwachsenen wie von selbst Sätze, die für die Kinder verständlich sind. Als Beispiel sei hier das Anziehen eines Kindes vorgestellt:

"Heinrich, wo ist die Mütze? Ach ja, da ist sie ja. Jetzt musst du die Mütze aufsetzen, es ist ganz kalt draußen. Und der Anorak. Gib mir doch dein Händchen - und jetzt das andere. Nun bist du warm angezogen. Jetzt noch die Schuhe. Oh, die sind gar nicht da. Warte, ich muss sie grad suchen. Da stehen sie ja. Jetzt muss die Mama noch einen Anorak anziehen und ihre Schuhe. Jetzt sind wir fertig und können spazieren gehen. Magst du?"

So oder ähnlich können Kinder an alle Tätigkeiten Anteil erhalten und lernen dadurch nebenbei, wie man spricht. Je mehr in der Familie gesprochen wird, desto mehr wird die Sprachlust auch bei Kindern angeregt.

Sprachreize sind für Kinder sowohl in den normalen Alltagshandlungen enthalten als auch in besonderen Aktivitäten. Es ist nicht nötig, die Sprache der Kinder bewusst zu trainieren. Kinder nehmen alles das besonders gerne auf, was mit emotionalen Erfahrungen besetzt wird und was sich durch Sinneserfahrungen ins Gedächtnis einschreibt. Je ganzheitlicher und vielfältiger die Erfahrungen sind, die mit Sprache und Sprechen verbunden sind, desto mehr wird Sprechen zum eigenen Antrieb.

Es gibt Kinder, die besonders gerne Sprache nachahmen, und andere, die sich lieber mit selbsterfundenen Geräuschen oder Spielen beschäftigen. So ist das Sprechenlernen auch immer ein individueller Vorgang, der nicht von Erwachsenen vorangetrieben werden sollte. Kindern Zeit geben, ihre eigenen individuellen Interessen und Fähigkeiten zu entdecken, sollte Priorität eingeräumt werden. Kein Kind lernt auf dieselbe Weise und in derselben Zeit sprechen wie das andere. Auch Vergleiche zwischen Geschwistern sollte man vermeiden. Jedes Kind ist einmalig, auch in seiner Ausdrucksweise und in seinem Tempo - und das ist es, was Eltern unterstützen dürfen.

5. Sprachförderung im Kindergarten

Was für die Familie gilt, ist auch im Kindergarten weiter wichtig. Hier steht die individuelle Förderung nicht mehr im Mittelpunkt, sondern die Förderung aller Kinder in einem gemeinsamen Prozess. Kinder, die schon sehr gut sprechen und sich ausdrücken können, erfahren durch die Erzieherinnen häufig eine positive Verstärkung. Kinder, die die deutsche Sprache nicht beherrschen oder sich nur undeutlich artikulieren, werden eher links liegen gelassen.

Für ein professionelles Handeln muss die Erzieherin sich zunächst über einige Dinge klar werden:

1. Welche Voraussetzungen bringt ein Kind mit?

Welche Muttersprache spricht es? Daraus folgt auch, dass ein Kind nichtdeutscher Herkunft entweder eine neue Sprache lernen muss oder sich als Außenseiter einer Gruppe fühlt, die seine Sprache nicht beherrscht. Alle mit der Muttersprache verbundenen Erfahrungen, wie Lieder, Spiele, Reime, Sprichwörter, ja sogar Regeln, sind für die Erzieherin zunächst unbekannt. Sie kann also nicht an den Erfahrungen dieses Kindes anknüpfen. Das hat für die Sprachförderung elementare Folgen.

Wenn ein Kind sprachlich nicht so weit ist wie die übrige Gruppe, so hat dies unter Umständen entweder biologische oder psychische Ursachen. Auch diese muss eine Erzieherin kennen, um Sprachanregungen oder Unterstützung geben zu können.

Kinder mit einer normalen Sprachentwicklung können sich in die Kindergruppe von Anfang an gut integrieren und ihre Wünsche und Bedürfnisse auch sprachlich artikulieren. Eine altersgemischte Gruppe bedeutet, auch Kinder in verschiedenen Sprachentwicklungsphasen in unterschiedlicher Weise zu begleiten.

Alle diese Gedanken sind wichtig, bevor eine allgemeine Sprachförderung ins Auge gefasst werden kann.

2. Welche besonderen Anregungen braucht es?

Es gibt also Kinder, die besondere Sprachanregungen benötigen, und solche, die durch Warum-Fragen kindgemäße Erklärungen suchen. Kinder, die sich sprachlich artikulieren können, und solche, die dabei unterstützt werden müssen. Es gibt Kinder, die viele Lieder und Reime kennen, und solche, die noch nie gesungen oder ein Bilderbuch betrachtet haben.

In jeder Gruppe, die sich neu bildet, werden auch unterschiedliche Sprech- und Sprachanregungen notwendig sein. Da eine Erzieherin in der Regel keine Einzelbetreuung übernehmen kann, müssen Elemente der Spracherziehung etabliert werden, die für die unterschiedlichen Bedürfnisse der Kinder Anregung bieten. Wie in der Familie, so sind auch hier die Fingerspiele, Reime, Märchen, Geschichten und Bilderbuchbetrachtungen von großem Wert. Alltagshandlungen müssen mit Erklärungen versehen werden, Kinder müssen zum eigenen Erzählen angeregt und durch vielerlei Aktivitäten in ihrem Selbstbewusstsein gestärkt werden.

3. Was benötigt meine Kindergruppe?

Eine Kindergruppe, die sich aus einer relativ einheitlich geprägten Mittelstandsschicht zusammensetzt, die ähnliche Erfahrungen gemacht hat und ein ähnliches Sprachmuster ausgebildet hat, kann anders zum Sprechen angeregt werden als eine sehr differenzierte Kindergruppe oder gar eine Gruppe, in der es unterschiedliche Muttersprachen gibt.

Für das Erlernen der Sprache gilt wie für alles Lernen, dass ein Anknüpfungspunkt vorhanden sein muss. Irgendeine Vorerfahrung ist nötig, um Kinder zu fördern. Wenn ein Kind nur einen ganz geringen Wortschatz aufweist, so ist zunächst die Erweiterung des Wortschatzes notwendig. Das wäre z.B. bei einer Gruppe aus mehreren Muttersprachen nötig, um Grundlagen für die deutsche Sprache zu legen.

Jede Gruppe benötigt aber unterschiedliche Anregungen. Gruppen- und Tischspiele werden meist durch Sprache begleitet. Anweisungen müssen gegeben und Regeln erklärt werden; der Spielverlauf soll klar sein; das Ziel muss erklärt werden. Das kann sowohl von Kindern als auch von der Erzieherin geleistet werden. Wenn Kinder Kindern etwas erklären, so ist das in der Regel kindgemäß und verständlich. Erzieherinnen brauchen also Spracherziehung nicht alleine leisten, sie können darauf vertrauen, dass Gespräche zwischen den Kindern die Sprachkompetenz aller Kinder verbessern können.

Dies gilt vor allem für Kinder nichtdeutscher Herkunft. Dazu müssen diese aber in der Kindergruppe akzeptiert werden. Am besten ist es, wenn Freundschaften zwischen Kindern geschlossen werden, die einen unterschiedlichen Entwicklungsstand aufweisen. Durch ständige Gespräche und gemeinsame Spiele und die Anerkennung der eigenen Person holen Kinder, die sprachlich zurückgeblieben sind, dies bald auf und können sich dann ebenso mit Worten verständigen.

Eine individuelle Förderung innerhalb der Kindergruppe wird immer dann möglich, wenn eine Erzieherin mit einem Kind alleine etwas tut oder ein Buch ansieht. Dabei kann auf ein individuelles Sprachdefizit am besten eingegangen werden.

Es gibt grundsätzliche Möglichkeiten, die Sprache aller Kinder zu verbessern und ihre Ausdrucksweisen zu erweitern. Diese sollen hier an einigen Beispielen aufgezeigt werden:

4. Wissenserweiterung bedeutet Sprachförderung

In kleinen Projekten beschäftigen wir uns im Kindergarten mit unterschiedlichen Themen. Es werden neue Wörter eingeführt und Hintergrundfragen gestellt. Neue Eindrücke werden "zur Sprache" gebracht, Fragen müssen beantwortet werden. Kinder erzählen von ihren Alltagserfahrungen und erweitern damit den Wortschatz der Gruppe. Dafür eignen sich besonders Reiseerfahrungen oder der Besuch eines Zoos, einer Ausstellung, einer Institution, wie z.B. der Bericht über einen Besuch im Krankenhaus, auf dem Postamt usw. Hier können Kinder, die aus einem anderen Land kommen, viel beitragen. Ihre Berichte über Feste in der Familie oder über Besuche im Heimatland sind für alle Kinder spannend. Auch wenn die deutsche Sprache noch unzureichend benützt wird, können die Erlebnisse der Kinder doch zur allgemeinen Wissenserweiterung und zum Selbstwertgefühl gerade dieser Kinder beitragen.

5. Kinder an sprachlichen Spielen teilhaben lassen

Eine besondere Art der Sprachförderung geschieht, wenn man gemeinsam Reime erfindet. Einer spricht einen Satz, ein anderes Kind oder die ganze Gruppe suchen einen Reimsatz dazu.

Eine andere Möglichkeit ist die einer Fortsetzungsgeschichte. Die Erzieherin beginnt eine Geschichte mit dem ersten Satz. Jedes Kind darf mit einem einzigen Satz die Geschichte weitererzählen.

Auch Geschichten, bei denen bestimmte Aufgaben zu erfüllen sind, machen den Kindern Freude. Zunächst werden bestimmte Rollen verteilt, und die Kinder müssen darauf warten, bis sie drankommen. Die Erzieherin erzählt eine Geschichte, in die sie dann diese Rolle einbaut. So kann darin vorkommen: Als der Postbote den Brief der alten Frau gibt, sagt er:.. Jetzt muss das Kind, das die Rolle des Postbotens übernommen hat, zu dem Kind gehen, das die alte Frau spielt und ihm etwas über den Absender des Briefes oder etwas anderes sagen. So lernen Kinder, in einer überraschenden Situation sprachlich richtig reagieren zu können.

Kinder können selbst Rätsel erfinden oder Aufgaben stellen. Jeden Tag darf sich eine Kindergruppe ausdenken, welche Spiele gespielt werden, und diese dann auch leiten. Dazu bedarf es schon einer guten sprachlichen Ausdrucksweise.

6. Farben und Formen finden

Farben und Formen gibt es in vielerlei Weise im Kindergarten. Da ist das rote Rad des Puppenwagens, der blaue Kreis auf der Schublade, der bunte Ball in der Ecke. Ein Kind sagt eine Form oder eine Farbe. Jedes Kind versucht nun, einen bestimmten Gegenstand im Raum zu finden, der diese Form oder diese Farbe aufweist, und sagt dazu einen ganzen Satz wie z.B.: "Ich sehe ein rotes Rad am Puppenwagen". So lernen Kinder zusätzlich zu den Farben und Formen auch das Sprechen von ganzen Sätzen.

7. Geschichten und Bilderbücher selbst gestalten - Briefe schreiben

Mit Kindern eine Geschichte zu erfinden, dazu Bilder malen und ein Bilderbuch daraus machen ist eine sehr schöne Erfahrung. Dies geht nur, indem wir immer wieder über die Geschichte sprechen, den dort vorkommenden Personen eine Sprache geben und uns beim Malen über die Geschichte austauschen. Wenn man dann das Bilderbuch noch vervielfältigen und binden kann und es mit nach Hause nehmen darf oder es beim Kindergartenfest verkauft wird, dann erleben die Kinder, dass sie etwas Wertvolles gestaltet haben.

Briefe schreiben geht auch ohne Worte. Wir versuchen es mit bestimmten Gegenständen. Vorschulkinder können durchaus auch Worte, die ihnen schon geläufig sind, einsetzen.

8. Tischspiele und Gesellschaftsspiele/ Rollenspiele

Ob Memory oder Puzzle, ob Mensch-ärgere-dich-nicht oder das Hütchenspiel: beim gemeinsamen Spielen wird viel gesprochen. Auch das Zuhören fördert die eigene Sprachkompetenz. Rollenspiele sind nur möglich, wenn Kinder miteinander sprechen und sich verstehen können. Wir können Anregungen schaffen, indem bestimmte Räume oder Gegenstände und Verkleidungssachen aller Art vorhanden sind und von den Kindern selbst gestaltet werden dürfen.

9. Rituale

Diese sollten sowohl in der Familie als auch im Kindergarten einen festen Platz einnehmen, da Kinder dadurch Sicherheit gewinnen und Wiederholungen ihren eigenen Stellenwert haben. In einer Einrichtung durften z.B. die Kinder nach der Freispielphase regelmäßig berichten, was sie heute gemacht haben. Auch sprachungewandte Kinder wurden geduldig angehört. Oder das Ende einer Phase kann jeweils durch ein bestimmtes, gemeinsam gesungenes Lied angekündigt werden. An einem bestimmten Tag gibt es zum Abschluss eine Vorlesegeschichte...

Viele sprachliche Anregungen können auf diese Weise zu einem bestimmten Grundwortschatz führen, der vor allem für Kinder, die keine deutsche Muttersprache haben, wichtig ist.

Rituale ergeben sich teilweise durch ein einmaliges eindrückliches Erleben. Sie können aber auch als feste Struktur im Tagesablauf eingesetzt werden. Jede Einrichtung hat andere "Gewohnheiten" und einen anderen Hintergrund, weshalb bestimmte Rituale durchgeführt werden.

All diese Sprachförderung funktioniert nur, wenn Kinder sich emotional aufgehoben wissen und sich in der Einrichtung wohl fühlen. Ein Zwang zum Sprechen ist auf jeden Fall kontraproduktiv. Wenn Kinder gar nicht sprechen, so müssen wir zunächst eine vertrauensvolle Beziehung zu ihnen aufbauen. Dies kann nur durch eine Einzelbetreuung geschehen, die z.B. bei der Ankunft des Kindes für zehn Minuten eine gemeinsame Bilderbuchbetrachtung vorsieht - das Bilderbuch darf selbstverständlich vom Kind ausgewählt werden. Kinder in die Kindergruppe zu integrieren ist dabei genauso wichtig, wie selbst aktiv zu werden. Auch beim Zuhören und Mitspielen lernt das Kind die Sprache der anderen Kinder.

6. Unterstützung von Familien nichtdeutscher Herkunft

Ein Kind aus einer Familie nichtdeutscher Herkunft hat zunächst seine Muttersprache genauso gelernt wie ein deutsches Kind. Alle Sprachentwicklungsstufen wurden genauso durchlaufen. Wenn das Kind dann in den Kindergarten kommt, beherrscht es seine eigene Muttersprache wie ein deutsches Kind die deutsche Sprache.

Eine Zweitsprache zu erlernen bedeutet aber, alle Entwicklungsphasen noch einmal - wenn auch in kürzerer Zeit - zu durchlaufen. Im Kindergarten wird aber eben an dem Sprachverständnis eines Dreijährigen angeknüpft, und man kann nur bedingt die Säuglingsphase wiederholen.

Wenn wenigstens ein Elternteil des Kindes deutsch spricht oder versteht, ist es einfacher, die Familie auch bei der Sprachförderung ihres Kindes zu begleiten. Dabei muss von Anfang an wichtig sein, dass man die Muttersprache der Familie nicht abwertet oder irgendwie signalisiert, dass das Kind deutsch lernen soll und die Muttersprache nicht mehr bedeutsam für es wäre. Im Gegenteil: Das Kind muss als besonders bevorzugt dargestellt werden, da es bereits im Vorschulalter eine zweite Sprache lernt. Dass dies für das Kind nicht ganz leicht ist und es dabei die Unterstützung der Eltern benötigt, wird diesen nicht schwer zu vermitteln sein.

1. Einen guten Kontakt zu den Eltern herstellen

Der erste Schritt zu einem Gespräch über die sprachliche Förderung des Kindes ist die Herstellung eines vertrauensvollen Verhältnisses zu den Eltern, am besten zur Mutter, da diese in traditionellen Familienformen häufig die für Kleinkinder zuständige Person ist.

Aber gerade die Mütter sprechen oft nur schlecht oder gar nicht deutsch. Sicher gibt es eine Frau, die dann als Dolmetscherin tätig werden kann. Häufig haben wir in unserer Einrichtung ja mehrere Kinder aus einem Herkunftsland, wie z.B. der Türkei.

2. Muttersprachliche Reime, Lieder, Rituale im Kindergarten einführen

Selbst wenn die Mutter eines Kindes kein Wort der deutschen Sprache beherrscht, so könnte sie den Kindern im Kindergarten einige Worte ihrer Sprache lernen: Wie begrüßt man sich? Wie heißen die Gegenstände im Kindergarten? Welche Speisen isst man bei ihnen zu Hause?

Wir können jeweils einen Vormittag mit einer Mutter ansetzen, an dem wir zum Spiel in die Türkei (oder ein anderes Land) reisen. Alle Kinder dürfen mitfahren und werden nun in türkischer Sprache begrüßt, lernen türkische Reime oder Lieder und benennen alle Gegenstände auf türkisch. Das macht den Kindern ungeheuer Spaß, und gleichzeitig erfahren die Eltern unseres türkischen Kindes, dass wir ihre Sprache schätzen, ja sogar lernen möchten.

Hilfreich ist dabei eine Kassette mit europäischen Liedern, die wir für uns selbst anhören können und von der wir uns ein bestimmtes Lied von der ausländischen Mitbürgerin lernen lassen. Dieses Lied können wir dann auch immer wieder einmal zusammen mit allen Kindern singen, spielen oder dazu etwas malen. Davon profitieren auch unsere deutschen Kinder.

3. Kulturelle Feste feiern

Jedes Land feiert andere Feste. Wir legen einen Festkalender an, der alle Feste der Familien, die durch die Kinder in unserer Einrichtung vertreten sind, berücksichtigt. Bei der Planung der Feste bitten wir um die Hilfe eines Angehörigen. So lernen Kinder viele Kulturen kennen, und der kulturelle Hintergrund unserer Kinder wird von uns dadurch aufgewertet.

Zweisprachige Bilderbücher und Bücher und CD's für das Verständnis anderer Sprachen und Kulturen können zusätzlich im Kindergarten eingesetzt werden.

4. Sprachkurse gegenseitig

Wenn ein guter Kontakt zu bestimmten Eltern hergestellt wurde, so kann man die "Sprachkurse" in Form von Liedern, Ritualen und Spielen auch erweitern. Dabei lernen die Kindergartenkinder unterschiedliche Wörter für die selben Gegenstände kennen, lernen einen anderen Sprachrhythmus und eine andere Sprachmelodie zu sprechen - eine Vorbereitung auf den späteren Fremdsprachenunterricht oder einfach eine Bereicherung der eigenen Sprachkenntnisse. Dass dabei die ausländischen Mitbürger/innen ebenfalls ihre deutschen Sprachkenntnisse verbessern können und unsere Kultur nicht mit so viel Misstrauen oder Ängsten begegnen, ist ein weiterer positiver Effekt.

Wenn Interesse besteht, können die Sprachkurse auch durchaus für die Eltern angeboten werden. Es gibt ja viele Menschen, die in ein anderes Land reisen und sich gerne einige Sprachkenntnisse aneignen möchten. Dabei kann man auch über Land und Leute sprechen und die religiösen oder kulturellen Hintergründe erklären.

Phantasie ist gefragt, wo sie die Kommunikation verbessern hilft, das gegenseitige Vertrauen untermauert und Kindern und Erwachsenen eine positive Rückmeldung ihrer eigenen Person möglich macht.

7. Sinn und Unsinn von Sprachtests

Sprachtests vor der Einschulung sollen verhindern, dass Kinder eingeschult werden, die die deutsche Sprache nur unzureichend beherrschen. Das ist für sich noch nichts Schlechtes. Es ist gut, wenn man die Kinder auf ihre Sprachfähigkeiten hin untersucht. Aber zu welchem Zweck und auf welche Weise man das tut, sollte doch klar gemacht werden.

Sprachtests, die nur dazu dienen, dass eine weitere Aussonderung und Beurteilung eines Kindes, das bereits im Kindergarten Aussonderungserfahrungen gemacht hat, stattfinden, müssen vermieden werden. Kinder sollen nach ihren Fähigkeiten beurteilt werden und nicht nach ihren Defiziten. Kinder, die ihre Muttersprache perfekt beherrschen und auch noch deutsche Sprachgrundlagen besitzen, ja teilweise für die Eltern dolmetschen, dürfen nicht abgewertet werden. Ihre besonderen Kompetenzen müssen hervorgehoben und anerkannt sein.

Sprachtests, die aufzeigen, welche Kinder noch besonderen Förderbedarf haben, sind sinnvoll. Diesem Förderbedarf kann dann in der Schule entsprochen werden, indem besonders Wert auf Sprachspiele und die Ausdrucksfähigkeit der Kinder gelegt wird. Das sollte aber bei allen Kindern erfolgen. Das Erlernen einer zweiten Fremdsprache könnte für Kinder nichtdeutscher Herkunft entfallen, bei deutschsprachigen Kindern aber eingeführt werden, wie das auch vielfach praktiziert wird. So könnten die Zeiten des Zweitsprachenerwerbs für Kinder nichtdeutscher Herkunft dazu genützt werden, die zweite Sprache - eben die deutsche Sprache - zu verbessern.

8. Weiterführende Literatur

Theoretische Begründungen:

Blank-Mathieu, Margarete u.a.: Erziehungswissenschaften Band 1, Kieser-Verlag, Neusäß 2001

Böhm, Dietmar und Regine/ Deiss-Niethammer, Birgit: Handbuch Interkulturelles Lernen, Herder-Verlag, Freiburg 1999

Friedrich, Hedi: Auf Kinder hören - mit Kindern reden, Herder-Verlag, Freiburg 1992

Hahn, Maria/ Janssen, Rolf: Erziehungswissenschaft Band 1, Stam-Verlag, Köln 1994

Haider, Elisabeth: Zweitsprachenerwerb im Kindergarten. In: Unsere Kinder, Heft 2/1996. S. 31-31

Heuchert, Lucija: "Sie müssen doch Deutsch lernen!" Vom Umgang mit Mehrsprachigkeit im Kindergarten, Mannheim 1994

Jampert, Karin: Schlüsselsituation Sprache, Leske und Budrich, Opladen 2002

Kiphard, Ernst J.: Wie weit ist ein Kind entwickelt? Eine Anleitung zur Entwicklungsüberprüfung, verlag modernes lernen, Dortmund 2003

Stern, Daniel: Tagebuch eines Babys, Piper Verlag 1991

Training für die Sprechwerkzeuge:

Spiele für Kinder, die Probleme mit dem Aussprechen von unterschiedlichen Lauten haben, aber auch der allgemeinen Kräftigung der Sprechwerkzeuge dienen, sind in folgendem Buch zu finden (vor allem für Logopäd/innen zu empfehlen):

Struck, Veronika/ Mols, Doris: Das Mundwerk und Die MundWerkMappe, verlag modernes lernen, Dortmund 2002

Reim- und Spielbücher:

Berner, Rotraut Susanne: Apfel, Nuss und Schneeballschlacht, Geschichten, Lieder und Gedichte, Gerstenberg-Verlag, Hildesheim 2001

Budde, Pit/ Kronfli, Josephine: Santa, Sinter, Joulupukki, Weihnachten hier und anderswo. Öktopia Verlag, Münster 2002 (mit CD)

Budde, Pit/ Kronfli, Josephine: Karneval der Kulturen, Lateinamerika in Spielen, Liedern und Tänzen, Ökotopia Verlag, Münster 2002 (mit CD)

Cratzius, Barbara: Lirum larum Wörterspiel, Mit Kindern spielerisch die Sprache entdecken, Christophorus-Verlag, Freiburg 2003

Dhom, Christel: Spiel mit mir, sprich mit mir, Spiele zur Sprachentwicklung vom Kleinkind bis zum Grundschulalter, Verlag freies Geistesleben, Stuttgart 2002

Enzensberger: Allerleihrauh, Viele schöne Kinderreime, suhrkamp Taschenbuch, Frankfurt 1972, insel taschenbuch 1979

Frischer, Catrin: Das Liederbuch, Schatzinsel mit CD, Fischer Taschenbuch-Verlag, Frankfurt/ Main 1999

Güll, Friedrich: Kinderheimat in Liedern und Bildern, insel taschenbuch, Frankfurt/ Main 1975

Günther Sybille: iftah yo simsim. Spielend den Orient entdecken, Öktopia Verlag, Münster 2002 (mit CD)

Guggenmos, Josef: Oh, Verzeihung sagte die Ameise, Gedichte und Geschichten, Beltz & Gelberg, Weinheim 2002

Holst, Adolf/ Kutzer, Ernst: Ringel, Ringel, Reihe. Alte und neue Kinderlieder, Alfred Hahns Verlag, Esslingen 2002

Jahn u. a. : Die schönsten Spiele aus Großmutters Zeit, eine Auswahl für den Kindergarten, Herder-Verlag, Freiburg 2002

Janosch: Das große Buch der Kinderreime, Diogenes-Verlag, Zürich 1984

Quaas, Beate: Alles wird Musik, Christophorus-Verlag, Freiburg 2003

Steffe, Susanne/ Höfele, Hartmut E.: Europa in 80 Tönen, Ökotopia Verlag, Münster 2002 (mit CD)