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Zitiervorschlag

Elementarpädagogik im Wandel. Überlegungen an eine neue Professionalität

Raimund Geene und Susanne Borkowski

 

Die Elementarpädagogik im Spiegel von Kindheit und Familie

Der Beruf der Erzieher/innen - zukünftig eher Elementarpädagog/innen - ist im Wandel. Aus der Perspektive von Kindern und Eltern, den Nutzer/innen der Betreuung, oder eben: der pädagogischen Dienstleistungen, ist die Neuorientierung überfällig. Denn die Familien haben sich längst gewandelt, weg vom Bild der "klassischen" Familien, hin zu einer Vielzahl unterschiedlicher Lebensformen mit Kindern. Insbesondere die Mütter müssen und/oder wollen Familie und Beruf vereinbaren und dabei einen individuellen Lebensweg gehen, der für Außenstehende oft nur schwer nachvollziehbar ist. Das traditionelle oder eher bürgerliche Bild der Mutter als Behüterin und Managerin der kindlichen Lebenswelten, als Vermittlerin des Kindes in die Gesellschaft, kann von ihnen oft nicht erfüllt werden. Hier stehen die gesellschaftlichen Ansprüche an berufstätige Frauen mit denen an Mütter im Konflikt, was sich in hoher Verunsicherung und Identitätsschwierigkeiten von Mutter wie Kind äußert. Dabei ist auch das Kind dem Individualisierungsanspruch ausgesetzt und sucht stärker und früher nach dem Ich. Schließlich führen diese multiplen und oft widersprüchlichen Aufgaben zu einem Vakuum in der Vermittlung gesellschaftlicher und sozialer Werte und beim Management von Schnittstellenproblematiken mit der ständigen Expansion von Pädagogik, Psychologie und Ökonomie in kindliche Lebenswelten. Keine einfache Aufgabe für die Elementarpädagogik, hier bündige Konzeptionen zu entwickeln!

Deutlich wird vor allem, dass die neuen Anforderungen an die Elementarpädagogik nicht als zusätzliche Aufgaben begriffen werden können, sondern dass es eines grundlegend anderen Verständnisses bedarf: Die/der Erzieher/in kann nicht länger Betreuer/in sein, sie oder er ist vielmehr Pädagoge/in, der/die den Rahmen für Selbst- und Kollektiventwicklungsprozesse für Kinder und Eltern setzt. Dazu bedarf es eines empathischen Verhältnisses zu den Nutzer/innen mit einer konsequenten Subjektorientierung von Kind und Eltern, die nicht erzogen werden, sondern denen dabei geholfen wird, ihre impliziten Werte des familiären Lebens zu expliziten Zielen des Zusammenlebens weiter zu entwickeln.

Über welches Repertoire verfügen die Erzieher/innen nun bei der Bewältigung ihrer Aufgaben? Im nachfolgenden Beitrag skizzieren wir zunächst auf der Grundlage eines historischen Aufrisses das Selbstverständnis und die Potenziale des Erzieherberufes. Wir argumentieren dabei für eine stärkere Professionalisierung in Form einer schrittweisen Akademisierung der Elementarpädagogik, um das Handlungsrepertoire der Pädagog/innen zu vergrößern und sie der Komplexität der an sie - und an Kinder und Familien - gestellten Aufgaben angemessen und auch für sich selbst zufrieden stellend begegnen können.

Vermittlung kindlicher Schlüsselqualifikationen

Die beruflichen Anforderungen an Erzieher/innen sind hoch und komplex, und häufig werden diejenigen, die den Beruf ausüben, vor scheinbar nicht zu bewältigende Herausforderungen gestellt. In den Bildungsplänen, -empfehlungen, -programmen und -vereinbarungen der Bundesländer werden die verschiedenen Schlüsselqualifikationen ("Skills") betont, die für Kinder in ihrer Vorschulzeit von Bedeutung sind. Durch die ganzheitliche Förderung dieser Skills sollen die Kinder Kenntnisse, Fähigkeiten, Fertigkeiten, Gewohnheiten und Einstellungen für individuelle und kooperative Lernprozesse erwerben. Diese Skills gelten als Grundsteine für eine erfolgreiche Bildungsbiographie. Doch wie werden sie im Kita-Alltag herausgearbeitet?

Förderung von Körper, Bewegung und Gesundheit bedeutet hier beispielsweise, nicht nur aktive Bewegungsförderung zu betreiben und dem Bewegungsdrang der Kinder gerecht zu werden, sondern schließt das Wahrnehmen und Erkennen der individuellen Bedürfnisse von Kindern mit ein. Erzieher/innen sollen gesellschaftliche, soziale und individuelle Entwicklungen, die Kinder belasten, sehen und benennen können, sie sollen im Sinne kindlicher Anwaltschaft diese analysieren und thematisieren und sie schließlich zum Ausgangspunkt ihrer Arbeit nehmen. Das kann im Einzelnen heißen, Kinder und Eltern in der Entwicklung spezifischer Bewegungsmöglichkeiten zu unterstützen oder auch entsprechende Angebote zu vermitteln, wobei das Repertoire Traumreisen und Baumhäuser ebenso einschließt wie Planschbecken oder Boxsack, gemeinsame Elternaktivitäten genauso wie die Einbeziehung von Logopäden oder Ergotherapeuten.

Damit hier auch wirklich die Interessen der Kinder vertreten werden, müssen die Kinder empowert sein. Dies fängt zunächst mit der Fähigkeit der Kinder an, eigene Wünsche und Sorgen selbst aufzuspüren, zu erkennen und auch ausdrücken zu können. Dies bedarf zunächst Vertrauen und Selbstwirksamkeitserfahrungen und schließlich die Fähigkeit zur Verbalisierung.

Aber auch Bildung, egal ob in der Kindertagesstätte oder später in der Schule, kann nur in sozialer Interaktion und Auseinandersetzung mit Fragen und Themen stattfinden. Sprachkompetenz zu fördern und sprachliche Bildungsprozesse herauszufordern ist deshalb eine wichtige Aufgabe der Kindertagesstätten. Während des Spracherwerbs werden Kinder die Erfahrung machen, dass man über etwas reden kann, das nicht unmittelbar vor Ort ist. Sie lernen dabei zu abstrahieren, lernen, dass Zeichen und Symbole Sprache bezeichnen können. Ein frühzeitiger und selbstverständlicher Kontakt mit Schriftkultur in den Einrichtungen ist notwendig, um diese Erfahrungen gewinnbringend umsetzen zu können. Eine besondere Herausforderung ist Sprache für Kinder mit Migrationshintergrund. Dabei geht es - anders als in der verkürzten öffentlichen Diskussion - nicht primär um den Erwerb der deutschen Sprache als Zweitsprache, sondern zunächst um die Förderung der Entwicklung der Erstsprache, um Kinder in ihrer Identitätsentwicklung zu unterstützen.

Nur auf Grundlage von Selbstkompetenz ist ein neugieriges und aktives Zugehen auf andere Menschen möglich. Pädagog/innen ermöglichen den Kindern möglichst viele Erfahrungen mit unterschiedlichen Menschen, damit die Kinder Gemeinsamkeiten und Unterschiede zwischen einzelnen Individuen erkennen, wahrnehmen und als Differenzerfahrung verorten. Dies schafft eine Basis für neu eintretende Ereignisse und Umwelteinflüsse, denen Kinder in Zeiten von Multikulturalität und Entgarantierung immer stärker ausgesetzt sein werden. Die/ der Pädagog/in unterstützt die Kinder dabei, ihr Gegenüber als achtenswerte Person mit ihren jeweiligen Besonderheiten zu schätzen. Kinder werden auf eine vielfältige Gesellschaft vorbereitet; ihnen werden grundlegende Werte vermittelt.

Die Auseinandersetzung mit unterschiedlichen Menschen und Kulturen bereichert das Leben in der Kindertagesstätte auch durch kreative und ästhetische Anregungen. Dafür werden reichhaltige, stimulierende und interessante Umgebungen geschaffen, die den Kindern möglichst viele eigene kreative Erfahrungen ermöglichen. Durch unterschiedliche Materialien werden die Kinder angeregt, eigene Ideen, Gefühle und Gedanken durch Bilder, Klänge und verschiedene Objekte auszudrücken.

Materialien aus der belebten und unbelebten Umwelt wecken den Forscherdrang der Kinder. Die Pädagog/innen ermutigen Kinder beim Ausprobieren und Konstruieren; sie unterstützen sie beim Aufstellen von Hypothesen, ohne ihnen selbst schon die Antwort auf ihre Fragen zu geben. Sie zeigen den Kindern, wo und wie sie Informationen zu bestimmten Sachverhalten finden und welche Instrumente und Geräte sie zum Lösen ihrer Fragen einsetzen können. Mathematische Grunderfahrungen sind eine wichtige Basis, um sich die Welt zu strukturieren. Sie bilden eine Schlüsselerkenntnis und sind ein wichtiger Bestandteil lebenslangen Lernens. Ausgehend von den Fragestellungen der Kinder machen sie, immer in Verbindung mit den anderen Bildungsbereichen und immer in Sinnzusammenhängen, Erfahrungen mit Formen, Zahlen, Mengen, Größen, Relationen und Zeit.

Subjektorientierung in der Arbeit mit Kindern

Um ein solches unterstützendes, dienstleistungsorientiertes Konzept gegenüber Kindern umzusetzen, bedarf es zunächst einer Beobachtung des einzelnen Kindes. Diese Orientierung auf "Kind im Blick" ist die Basis der neuen Elementarpädagogik, da nur bei der professionell-distanzierten Betrachtung des Kindes erkannt werden kann, wo der individuelle Bedarf des Kindes ist. Dafür werden die Lernfortschritte jedes einzelnen Kindes laufend dokumentiert, um die Angebote nicht nur "aus dem Bauch heraus" zu entwickeln. Bei einer solchen eher intuitiven Berufsauffassung orientieren sich die Pädagog/innen nämlich häufig an Konzepten, deren Ziel in der kurzfristigen Funktionalisierung der jeweiligen Gruppe liegt. Solche Formen der sozialen Disziplinierung führen mitunter sogar zur Ich-Schwächung statt -Stärkung des Kindes. Tatsächlich wird ein angemessenes Sozialverhalten des einzelnen Kindes aber vor allem dadurch erreicht, dass es über eine konsequente Subjektorientierung "stark" gemacht wird. "Kinder stark machen" lautet so beispielsweise die zentrale Botschaft der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung für die Gesundheitsförderung bei Kindern. In kindheitsbezogenen Wissenschaften wie der Entwicklungspsychologie oder der Familienforschung gilt dies als Ressourcenorientierung, abgegrenzt gegenüber der traditionell und weiterhin in vielen Wissenschaften dominierenden Defizitorientierung.

Akademisierung der Elementarpädagogik

Im Zusammenhang mit den komplexen Arbeitsaufgaben wird der Ruf nach einer neuen Fachlichkeit der Elementarpädagogik, nach einer Akademisierung der Ausbildung immer lauter. Dies ist schon alleine von daher nahe liegend, dass Deutschland und Österreich die einzigen OECD-Länder sind, in denen die Ausbildung zur Elementarpädagogik (noch) auf Fachschulniveau betrieben wird. Schon durch diese Platzierung im bundesdeutschen Ausbildungsgefüge werden zwangsläufig eher solche Jugendlichen für den Beruf angesprochen, für die Lernen mit weniger positiven Erfahrungen verbunden ist; schließlich haben sie die Schule schon frühzeitig verlassen. Die Ausbildung ist sehr stark praxisorientiert mit einem deutlichen Defizit im Bereich der theoretischen Fundierung und der kritischen Reflektion des Handelns.

Die intensive, akademische Ausbildung in allen anderen OECD-Ländern ist Ausdruck einer deutlich höheren Wertschätzung für die Lebensphase der frühen Kindheit.

Die Erzieher/innen im Wandel der Zeit

Um zu verstehen, was sich am Berufsbild verändert hat, warum Professionalität im beruflichen Handeln so viel schwerer scheint als in den zurückliegenden Jahren, möchten wir an dieser Stelle einen kleinen Exkurs in die Geschichte der institutionellen Betreuung unternehmen.

Zu Beginn des 19. Jahrhunderts gibt es auf Grund der sozialen Veränderungen, die mit der Industrialisierung einhergehen, erstmals Überlegungen zur institutionellen Betreuung von Vorschulkindern. Mit etwa 120 Kindern pro Erzieher/in ist nur eine Massenbetreuung in diesen Einrichtungen möglich. Schulmäßige Übungen und religiöse Unterweisungen sind charakteristisch. Eine Ausbildung für die Betreuung der Kinder scheint nicht notwendig, orientieren sich diese "Kleinkinderbewahranstalten" doch nicht an den Bedürfnissen der Kinder, sondern dienen der Disziplinierung. Oftmals übernehmen bürgerliche Frauen diese Aufgabe, um "Verrohung und Verwahrlosung" - heute würde man es als Delinquenz bezeichnen - der Kinder entgegenzuwirken. Kinder als ungezähmte Wesen, die man disziplinieren muss - ein Bild vom Kind, das zur damaligen Zeit in vielen Köpfen vorherrscht, charakterisiert von der noch sehr groben und wenig ausdifferenzierten gesellschaftlichen Gestaltung mit der Leitmaxime von Militarismus und Soldatentum.

Friedrich Fröbel, der Begründer der Pestalozzi-Fröbel-Pädagogik, zeichnet dagegen erstmals ein positives Kindheits- und somit auch Menschenbild. Er ist der Ansicht, dass kindliche Lernprozesse systematisch gefördert werden können. So formuliert er 1826 die Anforderungen an Erzieher/innen wie folgt: Sie sollten "leidend (abwartendes Verhalten), nachgebend (nur behütend und beschützend) und nicht vorschreibend sein".

Aber auch außerhalb der Fröbelkindergärten wird der Ruf nach einer Berufserzieherin mit Spezialkenntnissen über Kindesentwicklung und in den Methoden der kindgemäßen Förderung laut. In die Zeit dieser gesellschaftlichen Veränderungen und Entwicklungen fällt auch die Eröffnung der Sozialen Frauenschule durch Alice Salomon. Damals hat diese Schule eine Vorreiterrolle inne, und auch heute gehört die nach ihr benannte Fachhochschule für Soziale Arbeit in Berlin (Alice Salomon Fachhochschule ASFH) zu einer der ersten Hochschulen, die eine akademisierte Elementarpädagogik anbietet.

Der Beruf der Erzieherin/ des Erzieher findet in dieser Zeit seine Wurzeln, in einem der ältesten Frauenberufe überhaupt, der Kindergärtnerin. Bis heute kann sich das Berufsbild kaum aus dieser genderspezifischen Zuschreibung lösen; der minimale Anteil männlicher Erzieher und der gesamte Prozess der Feminisierung der Pädagogik verdeutlicht diese tradierte Bild sinnbildlich.

Nach 1945 entwickeln sich das Bildungsverständnis und damit auch das Verständnis von Betreuung weiter, jedoch wird in Ost- und Westdeutschland sehr unterschiedlich damit umgegangen.

Im Westen Deutschlands werden Kinder den Familien zugeschrieben. Nach Artikel 6 GG sind Pflege und Erziehung verbrieftes Elternrecht und finden zu vorderst im häuslichen Umfeld statt. Das Leitbild sieht die Mutter als Hausfrau vor, im Kindergarten wird eine reine Beschäftigungsfunktion gesehen. Entsprechend niedrig gehängt ist die gesellschaftliche Erwartung an die Ausbildung, die oft auch nur als Teilzeitbeschäftigung konzipiert und mit einem sehr geringer Vergütung bedacht wird.

In der DDR wird Erziehung der Kinder hingegen als gesellschaftliche Aufgabe gesehen. Die Kindergärtner/in ist hier die erste Lehrer/in der Kinder; der Berufsstand erhält eine gesellschaftliche Aufwertung in weitgehender Analogie und gegenseitiger Durchlässigkeit mit dem Beruf des/der Grundschullehrer/in. In den Einrichtungen gibt es, genau wie in den Schulen, einen Rahmenplan.

Die Ost-West-Unterschiede wirken sich auf die Betreuung der Vorschulkinder wie folgt aus: In der BRD geht es bei der institutionellen Betreuung hauptsächlich um den spielerischen Kontakt der Kinder untereinander. In der DDR hingegen stehen Bildungsziele für die Kinder und die Entlastung der Mütter im Vordergrund, damit diese dem Arbeitsmarkt zur Verfügung stehen. Entsprechend sind in der DDR die Kindergärten dem Bildungssystem zugeordnet.

Mit dem SGB VIII, dem im Rahmen des Beitritts zu Westdeutschland neugefassten Kinder- und Jugendhilfegesetzes, gehören dann ab 1990 die Kindergärten nicht mehr dem Bildungssystem, sondern dem Sozialministerium an. Der Rechtsanspruch auf einen Kindergartenplatz ab drei Jahre wurde erst 1996 eingeführt, erstmals aus Sicht Westdeutschlands, wiedereingeführt aus ostdeutscher Sicht. Dieser Rechtsanspruch gilt bis heute als eines der ganz wenigen "Erbstücke" aus der DDR, weil dadurch der hohe Versorgungsstand im Osten politisch weitgehend gestützt wurde - zumindest quantitativ. Inhaltlich ist die Bildungsorientierung der DDR-Elementarpädagogik jedoch weitgehend verloren gegangen.

Dieser Übergang zum westlichen System der vorschulischen Betreuung führt zu einer großen Verunsicherung der Erzieher/innen in den neuen Bundesländern. Sie sind plötzlich mit einer Vielzahl an Strukturen und Konzepten konfrontiert, haben aber meist nicht die Gelegenheit, diese selbst auszuwählen und erproben zu können. In den letzten Jahren kommen durch die prekäre Altersstruktur, mangelnden Nachwuchs und die wachsende Anzahl an Kinderpflegerinnen neue Probleme in den östlichen Bundesländern hinzu.

Aber auch in den alten Bundesländern gibt es erhebliche Probleme. Durch den quasi ost-importierten Rechtsanspruch auf einen Kindergartenplatz für die über Dreijährigen müssen hier quantitativ sehr viele Plätze geschaffen werden. Die Folge sind häufig Arbeitsverdichtung und Arbeitskräftemangel, wodurch die Qualität der Einrichtungen und die Qualifikation der Mitarbeiter/innen oft auf der Strecke blieben.

Historisch gewachsene, ungelöste Probleme und neu entstehende

Vor dem Hintergrund dieser - bis heute im Wesentlichen ungelösten - Probleme erleben die Erzieher/innen den sozialen Wandel in unserer Gesellschaft, sinnbildlich am Wandel der Familienstrukturen (immer mehr allein Erziehende, Patchwork-, Regenbogen-, Folgefamilien...). Die multiplen Anforderungen an die Mütter (u.a. zunehmende Berufstätigkeit), bei gleichzeitig wachsendem Erziehungsanspruch an die zunehmend marginalisierten Kinder, illustriert gleichermaßen dieses Spannungsverhältnis.

Das Recht - zum Teil paradoxer Weise auch die Pflicht - der Kinder auf eine umfassende Förderung ihrer Entwicklung und die gesteigerten Erwartungen der Gesellschaft an Bildung und Erziehung haben inzwischen die Tageseinrichtungen zu einem eigenständigen Lebensraum werden lassen. Kindertagesstätten sind für Kinder sozialer Lernraum und Bildungsstätte gleichermaßen. Kindertagesstätten sind heute aber auch Dienstleistungs- und Kommunikationsort für Familien. Privatkitas von und für Besserverdienende machen diese Tendenz des Supportings im Familienmanagement besonders deutlich. Hier wird das Angebot auf die individuellen Bedarfe abgestimmt und mit dem Familienleben verzahnt, wie z.B. durch die Gestaltung von Elternabenden als sozialen Raum, Familiencoaching und andere Angebote.

Obwohl der Beruf Erzieher/in zu einem der ältesten Frauenberufe Deutschlands gehört, ist das berufliche Handeln bzw. das, was die berufliche Handlungskompetenz ausmachen soll, bisher kaum wissenschaftlich ermittelt. Diese Forschungslücke führt dazu, dass wir die derzeit vorherrschende Ratlosigkeit erleben, über den Grad der Fachlichkeit von Fachkräften in Kindertageseinrichtungen diskutieren und das Anforderungsprofil für die Ausbildung bislang ungeklärt bleibt. Erst das Projekt "Profis in Kitas" der gemeinnützigen Robert Bosch-Stiftung, mit dem die Gründung elementarpädagogischer Studiengänge und eine Abstimmung der Curricula unterstützt wird, begegnet seit 2005 diesem Vakuum. Auf der übergreifenden Ebene der multidisziplinären Erforschung kindlicher Lebenswelten bemühen wir uns auch im 2005 begründeten Studiengang der "Angewandten Kindheitswissenschaften" an der Hochschule Magdeburg-Stendal (FH) darum, solcherlei Lücken in kindlichen Lebenswelten und Lebensphasen zu identifizieren und Praxis und Forschung über subjektorientierte Handlungsstrategien für und mit Kindern anzuregen.

Kompetenzen und Qualifikationen für die Elementarpädagogik

Es stellt sich also die Frage: Welche Kompetenzen, welche Qualifikationen sind notwendig, um das Berufsbild der/ des Erzieherin/ Erziehers auszufüllen?

In der internationalen Diskussion gelten die "Children's Centres" (vormals: Early Excellence Centre) in Großbritannien mit ihrem Diversity-Ansatz als wichtiges Modell (Das zukunftsweisende Diversity-Konzept der britischen Children's Centres greift vermutlich auch deshalb so gut, weil es eingebettet ist in die Aktionsprogramme der Regierung zum Ausbau des Systems frühkindlicher Bildung, z.B. "Sure Start"). Hier wird seit 1997 eine neue Art von Vorschulpädagogik angestrebt. Die Einrichtungen verknüpfen gezielte Förderung der Kinder mit Angeboten der Unterstützung und Entlastung von Familien. Dabei bilden die unterschiedlichen sozialen und kulturellen Realitäten von Kindern und ihren Familien den Ausgangspunkt für die Arbeit. Unterstützungsarbeit entsteht hier durch Handlungsansätze der Sozialen Inklusion, was bedeutet, dass die jeweilige Subjektivität der elterlichen Wünsche und Ziele die Grundlage bilden für die Arbeit der professionellen Kräfte. Die Eltern werden als Experten ihres Alltags anerkannt und unterstützt. Elterliches Selbstbewusstsein und elterliche Intuition erfahren dadurch Stärkung und Aufwertung. Ihnen wird durch die Elementarpädagogen geholfen, sich ihrer eigenen Lebens- und Erziehungsziele bewusst zu werden, sie aus dem impliziten Bereich herauszuholen und zu explizieren.

Basis des Ansatzes ist die Erkenntnis, dass der Schlüssel für die Entwicklung eines jeden Kindes bei der primären Sozialisationsinstanz - den Eltern - liegt. Daran können auch noch so gut gemeinte Maßnahmen der sekundären Instanz Kindertagesstätte nichts ändern, wenn sie die Eltern, deren Wünsche und Bedürfnisse nicht zum Ausgangspunkt der eigenen Arbeit macht. Moderne Elementarpädagogik muss sich deshalb durch eine konsequente Dienstleistungsfunktion gegenüber Eltern auszeichnen, selbst wenn die kulturellen und sozialen Verhaltensmuster der Familien vielleicht zunächst irritieren. Wenn die eigenen Werte und Ziele der Eltern herausgearbeitet werden, können darauf aufbauend konkrete Angebote und Unterstützungsmaßnahmen entwickelt und die Spirale von Isolation, Armut und Verwahrlosung schon im Ansatz durchbrochen werden. Die frühere Funktion der pädagogischen Fachkräfte, die vorrangig auf das Beherrschen einer "Beschäftigungspädagogik" sowie der damit einhergehenden Normierung abzielte, ist für diese Herausforderungen eher kontraproduktiv.

Den Erzieherberuf professionell auszuüben heißt, die Individualität der Kinder vor dem Hintergrund zunehmender ethnischer und sprachlicher Vielfalt von Familienkonstellationen und Familienkulturen wahrzunehmen und zu unterstützen. Dieses kann nur unter Berücksichtigung der Partizipationsrechte von Kindern und Eltern geschehen. Um diese Arbeit leisten zu können, müssen die Erzieher/innen ihre eigenen Einstellungen, pädagogischen Ziele und Arbeitsformen kritisch reflektieren. Zugleich müssen sie ein klares Bild über die eigenen Kompetenzen und die eigene Rolle im Erziehungsprozess entwickeln, um dieses im Team der Einrichtung und auch gegenüber Eltern aus den unterschiedlichsten Zielgruppen einfühlsam, selbstbewusst und auch überzeugend vertreten zu können. So kann sich das öffentliche Bewusstsein für die Arbeit in den Kindertagesstätten verändern, können neue pädagogische Arbeitsweisen und Konzepte auf Akzeptanz stoßen.

Fachliche und personale Kompetenzen moderner Elementarpädagogik

Solcherart verstandene Professionalität im Handeln geht nicht nur mit fachlicher, sondern auch mit personaler Kompetenz einher. Dem Aufgabentrias Bildung, Betreuung und Erziehung, das auf Fröbel zurückreicht und von der OECD 2004 als Besonderheit des pädagogischen Ansatzes in Deutschland hervorgehoben wurde, gerecht zu werden, erfordert heute Fachkräfte mit vielfältigen Fähigkeiten. Es ist notwendig, dass diese die Subjektstellung und Personalität von Kindern sehen und akzeptieren. Kompetenzen, Entwicklungsmöglichkeiten und Bedürfnisse müssen von den Fachkräften erkannt und zur Ausgangsbasis der pädagogischen Arbeit werden.

Dazu sind Kenntnisse über soziale und gesellschaftliche Zusammenhänge und über unterschiedliche Lebenswelten von Familien und Kindern zwingende Voraussetzung. Nur so können Vielfalt, Unterschiede oder allgemein Diversitäten (als deutsche Übersetzung des internationalen Schlüsselbegriffes "Diversity" bzw. "Diversities") in den Lebensentwürfen auch als Bereicherung empfunden und entwickelt werden. Um die familienergänzenden und -unterstützenden Funktion wirkungsvoll ausüben zu können, um in Konfliktsituationen Hilfestellung zu leisten, benötigen Fachkräfte eine entsprechende Kommunikationsfähigkeit.

Grundlegende und nachhaltige Unterstützung für Kinder und Familien kann jedoch nicht allein durch die Arbeit der Pädagog/innen in den Kindertagesstätten erreicht werden, sondern ist nur durch Kooperationsstrukturen mit anderen Einrichtungen im Gemeinwesen zu erreichen. Da Kindertagesstätten im Sozialraum oft Dreh- und Angelpunkt für die Arbeit mit Familien sind, bieten sich diese auch als Ausgangspunkt für die Entstehung von Netzwerken an. Es ist also wichtig, die Notwendigkeit solcher Kooperationen zu erkennen und Kenntnisse zur Entwicklung und Stützung zu besitzen.

Neben den inhaltlichen Schwerpunkten darf nicht vergessen werden, dass die Kindertagesstätten in Zeiten leerer Kassen einer zunehmenden Wettbewerbssituation ausgesetzt sind. Für Wettbewerbs- und Dienstleistungsorientierung benötigen Pädagog/innen Wissen über sozial- und betriebswirtschaftliche Zusammenhänge.

Anforderungen an die elementarpädagogischen Ausbildung

Betrachtet man diese Kompetenzanforderungen, stellt sich die Frage, ob nicht schon der landläufige Begriff "Erzieher" an sich dem Berufsbild der heutigen Fachkräfte widerspricht. Um eine Ausbildungspraxis dieser Tiefe und Breite zu gewährleisten, sind Zweifel an der bisherigen Ausbildungspraxis wohl angebracht. Die Qualifikation an den bestehenden Fachschulen ist nur bedingt auf diese Realitäten und Orientierungen abgestimmt.

Die Ausbildung muss wissenschaftlich ausgerichtet sein, dabei jedoch eine starke Tätigkeitsorientierung aufweisen. Hier wäre eine starke Verknüpfung von Ausbildungsstätte und Praxis wünschenswert, können so Fragen der Praxis in den Lehrveranstaltungen behandelt werden und theoretische Ansätze in der Praxis erprobt werden.

Doch was ist mit dem Erwerb personaler Kompetenzen wie dem hier skizzierten hohen pädagogischen Ethos? Wie kann das paternalistische Verständnis von Betreuung und Belehrung von Kindern und Familien gewandelt werden zu einer partnerschaftlichen Auffassung im Bildungs- und Erziehungsprozess? Wie erwirbt man menschliche Integrität, um die verschiedenen Lebensentwürfe und Lebenswelten von Menschen zu akzeptieren? Kann man solche sozialen und personalen Kompetenzen in einer Ausbildung erwerben? Kann sich so ein neues Berufsrollenverständnis entwickeln?

Eine solcherart hohe Fachlichkeit geht einher mit zunehmendem Perspektivwechsel und auch der Ausprägung eines bestimmten Berufsbildes. Solche Fähigkeiten können in einer akademischen Ausbildung angebahnt werden.

Schwerpunkte einer akademisierten Ausbildung

Welches könnten die zentralen Inhalte einer akademisierten Elementarpädagogen- Ausbildung sein? Um den geschilderten Anforderungen an das heutige Profil einer pädagogischen Fachkraft in Kindertagesstätten gerecht zu werden und so den Ansprüchen als Bildungsinstanz zu entsprechen, muss eine zentrale Fragestellung der Ausbildung lauten: Wie und warum lernen Kinder?

Verschiedene Fachbereiche beleuchten diese aus unterschiedlichen Blickwinkeln und müssen Bestandteil des Curriculums sein. Zu nennen sind hier allgemeinpsychologische Gegenstandsbereiche, die sich mit diesem Thema auseinander setzen. Daneben sollten in der Ausbildung auch grundlegende Kenntnisse über die Entwicklungsaufgaben in der Kindheit vermittelt werden. Dabei wird sich immer wieder die Frage aufdrängen, was anlagebedingt ist und welchen Beitrag die Umwelt bei der Entwicklung von Kindern leistet. Aus diesem Grund scheint eine Auseinandersetzung mit genetischen und neuropsychologischen Aspekten auch für die Ausbildung von Elementarpädagogen sinnvoll.

Will man für Kinder eine bildungsanregende Umwelt schaffen, ihnen möglichst gleiche Bildungschancen eröffnen, muss man sich mit Diversity-Studien beschäftigen, um die Lebensrealitäten und Lebensentwürfe von Familien zu kennen, zu akzeptieren und zum Bestandteil der Arbeit zu machen. Daran knüpfen auch die Strategien der Gesundheitsförderung und Prävention an. Nur wenn man die Kinder und Familien in ihrer Unterschiedlichkeit stehen lässt, ihre individuellen Wünsche und Bedürfnisse aufgreift, kann Unterstützung in schwierigen Lebenslagen wirklich gelingen.

Weiterhin sind soziologische Kenntnisse über die Stellung von Kindern und Kindheit im gesellschaftlichen Kontext notwendig. Wie werden Kinder von der Gesellschaft gesehen? Wie sehen ihr Alltag, ihre sozialen Beziehungen, ihre Soziallage aus? Wo und wie werden Kinder zum Gestalter ihrer eigenen Umwelt, können sich Kinderkulturen herausprägen? Bei der Beschäftigung mit diesen Fragen gelangt man in den Bereich der Kinderrechte und muss sich mit den internationalen Diskussionen und Verabredungen (UN-Kinderrechtscharta) beschäftigen. Welche Rechte haben Kinder weltweit? Wissen sie um ihre Rechte, und wie können Elementarpädagogen die Kinderrechte in der eigenen Arbeit umsetzen?

Auf dieser theoretischen Grundlage können und müssen sich Studierende mit der Umsetzung von pädagogischen Bildungs- und Erziehungsprozessen in die Praxis auseinander setzen. Dabei müssen die Bildungsprogramme der jeweiligen Bundesländer Berücksichtigung finden.

In der Praxis werden die Absolventen verschiedene pädagogische Arbeitsweisen und Sichtweisen erleben. Deshalb sollte man während der Ausbildung auch einen Einblick in die Geschichte von Kindheit, Bildung und Erziehung erhalten, damit der Berufseinstieg möglichst reflektiert erfolgen kann. Erziehungs- und Bildungssysteme auch im internationalen Vergleich zu betrachten, kann eine wichtige Perspektiverweiterung bedeuten und helfen, neue Entwicklungen schon frühzeitig zu antizipieren.

Elementarpädagogen haben bei der täglichen Arbeit nicht nur mit Kindern zu tun. Ihren Auftrag der Bildung, Betreuung und Erziehung können sie nur in Erziehungspartnerschaft mit den Betreuungspersonen erfolgreich umsetzen. Grundlagen der Kommunikation und Beratung mit/von Familien sind deshalb ein unbedingtes Muss innerhalb der Ausbildung.

Genauso wichtig ist die Vermittlung von Methoden zur Zusammenarbeit im professionellen Feld, da Elementarpädagogen nicht die einzigen Akteure sind, die mit Kindern und ihren Familien zusammen arbeiten. Um miteinander und aufeinander aufbauend zu arbeiten statt gegenläufig zu agieren, ist es notwendig, Methoden und Arbeitsweisen einer Vernetzung zu kennen und anwenden zu können.

Auch Grundlagen für das Management in elementarpädagogisch relevanten Arbeitsfeldern müssen Eingang in das Curriculum der Ausbildung finden.

Durch diese Professionalisierung und Erweiterung des Handlungsrepertoires, das sich stärker an der Soziallage und Individualität von Kindern und Familien ausrichtet, sollte es gelingen, dass zukünftige Fachkräfte sich den gestellten Aufgaben mit der notwendigen fachlichen und personalen Kompetenz stellen können.

Zentrale Inhalte einer akademisierten Ausbildung der Elementarpädagogik
  • Entwicklungspsychologische, pädagogisch-didaktische und neurophysiologische/ psychologische Erkenntnisse über die Bildungsfähigkeit von Kindern
  • Gesundheitsförderung und Prävention
  • Kinder und Kindheit im gesellschaftlichen Kontext
  • Diversity-Studies
  • Nationale und Internationale Kinderrechte
  • Erziehungs- und Bildungssysteme im internationalen Vergleich
  • Grundlagen der Kommunikation und Beratung mit/von Familien
  • Methoden der Zusammenarbeit im professionellen Feld (Familien, professionelle Instanzen...)
  • Kinderleben und Kinderkulturen
  • Geschichte von Kindheit, Bildung und Erziehung
  • Bildungsprogramme der Bundesländer
  • Management in elementarpädagogisch relevanten Arbeitsfeldern

Entwicklungschancen der Elementarpädagogik - ein kleiner Ausblick

Der Bedarf bei den Nutzer/innen ist gegeben, die Bereitschaft zu Veränderung bei den Erzieher/innen durchaus vorhanden, und es besteht ein weitgehender Konsens in der internationalen Bildungsdiskussion - soweit gute Voraussetzungen für die neue Subjektorientierung auch in der bundesdeutschen Elementarpädagogik. Schwieriger sind hingegen die Rahmenbedingungen der pädagogischen Diskussion in Deutschland, die sich weiterhin schwer tut mit der Orientierung auf ihre Adressaten und insgesamt von erheblichen Reformwiderständen gekennzeichnet ist. Die Probleme im Übergang von Kita zur Schule geben davon eindrucksvoll - oder besser gesagt: bedenklich - Beleg. Schwierig ist auch die Dimension des Veränderungsprozesses, handelt es sich doch insgesamt um mehrere 100.000 Erzieher/innen in Deutschland, die auf dem Weg mitgenommen werden müssen. Ohnehin wird sich die höhere Qualifizierung für die Arbeit auch in höherer Wertschätzung ausdrücken müssen - nicht zuletzt also auch in besserer Bezahlung für die Elementarpädagogik.

Im Moment scheint hier in der bundesrepublikanischen Diskussion um bessere Vereinbarkeit von Familie und Beruf ein "Windows of Opportunities" geöffnet. Dies nährt insgesamt die Hoffnung, dass die Neuorientierung der Elementarpädagogik in der Praxis immer mehr wirkt und die Verbesserungen durch die neue Arbeitsweise bald greifbar werden.

Kontakt

Dr. Raimund Geene MPH
Vertr.Professor für Kindliche Entwicklung und Gesundheit
Hochschule Magdeburg-Stendal (FH)
Osterburger Str. 25
39576 Stendal
Tel.: 03931/2187-4866
Email: [email protected]
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