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Zitiervorschlag

Musizieren mit alten Zeitungen

Ingeborg Becker-Textor

 

Zeitungspapier - einige interessante Fakten für die Erzieherin

Die Deutschen lesen gerne Zeitung. Täglich erscheinen in Deutschland 347 Tageszeitungen mit 1.552 lokalen Ausgaben in einer Gesamtauflage von rund 22 Millionen Exemplaren. Ferner werden 27 Wochenzeitungen mit 1,9 Millionen Exemplaren und sieben Sonntagszeitungen mit einer Auflage von rund 4 Millionen herausgegeben. Mit anderen Worten kommen in Deutschland auf jeweils 1.000 Einwohner (über 14 Jahre) 317 Zeitungsexemplare.

Drei Viertel der Deutschen lesen Tageszeitungen. Die Lokalnachrichten interessieren die Leser besonders stark; 83 Prozent lesen sie "im Allgemeinen immer". Auf den nächsten Plätzen in der Beliebtheitsskala folgen politische Meldungen und Berichte aus Deutschland (69 Prozent) und dem Ausland (60 Prozent) sowie Leitartikel (44 Prozent) und Anzeigen (43 Prozent). Besonders wichtig finden die Leser ferner Tatsachenberichte aus dem Alltag und Sportnachrichten. Nur knapp ein Drittel widmet sich dagegen regelmäßig der Kultur (31 Prozent); 27 Prozent lesen regelmäßig Nachrichten aus Technik und Wissenschaft und gerade einmal fünf Prozent legen Wert auf den Fortsetzungsroman" (Quelle: Bundesverband Deutscher Zeitungsverleger (BDZV).

Diese Zahlen können Sie Kindergartenkindern nur schwer begreiflich machen. Mengen von Tageszeitungen landen täglich auf dem Stapel für die Papiersammlung oder im Papiercontainer und werden dann recycelt. Und so können Sie die Kinder raten lassen: Wie viele Zeitungen sind in einem Bündel für die Altpapiersammlung? Und wenn es in erreichbarer Nähe eine Sammelstelle gibt, können die Kinder bei einem Ausflug dorthin einen Begriff vom Ausmaß der Papiermenge bekommen...

Die forschenden und neugierigen Kinder wollen auch wissen, woraus das Papier gemacht wird. Zunächst werden Papierfasern gewonnen, die später zu Papier verfilzt werden. Der Rohstoff für die Herstellung von Papierfasern ist fast ausschließlich Holz. Selten werden auch Lumpen und Pflanzen zu Papierfasern verarbeitet.

Papierfasern werden größtenteils dort hergestellt, wo das zu verarbeitende Holz wächst. Da unsere Wälder für unseren riesigen Papierverbrauch nicht ausreichen, importieren wir über 80 Prozent der frischen Papierfasern aus dem Ausland. Die Hälfte aller in Deutschland verbrauchten Fasern kommen allein aus den nordischen Urwäldern Skandinaviens, Kanadas und der USA. Es muss kaum Tropenholz für unser Papier verarbeitet werden.

Aus welchen Bestandteilen besteht Papier? Es besteht aus drei Komponenten: Faserstoffe, Füllstoffe und Leim. Der Leim macht das Papier tintenfest. Beim Recycling dienen die bereits vorhandenen Faserstoffe im alten Papier als Rohstoff für neues Papier.

Es drängt sich nun die Frage auf, was man mit alten Zeitungen alles machen könnte, wenn sie ausgelesen sind...

Was kann man alles mit alten Zeitungen machen?

Beim Brainstorming werden die Kinder natürlich das Recycling ansprechen, denn sie kennen ja das Altpapiersammeln bzw. die Papiercontainer bei der Mülltrennung. Aber sie haben noch viele andere Ideen:

  • Peter: "Papiermachee, da muss man kleine Fetzen reißen und dann alles mit Kleister verkneten. So lange, bis man keine Schrift mehr lesen kann. Dann kann man mit der Knete halt alles Mögliche formen, z.B. Tiere oder Masken. Wenn es getrocknet ist, dann ist es Papierpappe, und man kann es anmalen. Und ganz leicht ist es dann. Das Wasser ist nämlich dann vertrocknet."
  • Karin: " Man kann falten. Sogar ganz große Hüte. Oder schon mal haben wir uns Verkleidungskleider aus den großen Blättern gebastelt".
  • Susi: "Und zum Unterlegen, da kann man sie beim Wasserfarbenmalen nehmen. Wenn dann mal ein Becher umfällt, dann ist das nicht so schlimm".
  • Uli: "Und zum Turnen geht es auch. Man kann mit Zeitungspapierbällen werfen. Das tut nicht weh und gar nichts geht kaputt".
  • ...

Und auch die Erzieherin hat eine Idee!

Das Rätsel, wie man mit Zeitungspapier Musik machen kann

Erzieherin: "Meine Idee ist, etwas mit Zeitungspapier zu machen, was man hören kann. Was kann das sein?"

Susi: " Ich glaub, du meinst Geräusche. Weil das Papier hört man, wenn man es knüllt oder zerrupft. Ist das richtig?"

Die Erzieherin zuckt mit den Schultern und antwortet nicht. "Macht mal die Augen zu und horcht!" Sie knüllt ein Blatt Zeitungspapier zusammen und legt es dann unter ein Tuch. "Wer kann das Geräusch nachmachen?"

Die Kinder versuchen, mit Zeitungspapier das Geräusch nach zu machen. Die Gruppe stellt fest: Papier wird geknüllt.

Jetzt entwickeln die Kinder Geräusche, stellen sie ihrem Nachbarn vor. Mit weiteren Möglichkeiten wird experimentiert. Dann finden sich alle Kinder wieder im Kreis ein, und jedes Kind stellt sein Geräusch vor. Wer hätte gedacht, was da alles zu hören ist:

  • Knüllen
  • Papier wird in lange Streifen gerissen
  • Wedeln mit einem Zeitungsblatt
  • Wedeln mit der ganzen Zeitung
  • Zeitung zu zwei Röhren rollen und dann wie Klanghölzer nutzen
  • Zeitung zwischen den Händen spannen und dann gegen die Kante blasen
  • Zeitung zwischen den Händen spannen und gegen die Papierfläche blasen
  • Ein Blatt in einer Hand hochhalten und mit dem Finger dagegen schnippen
  • Blatt in zwei Hände nehmen und ziehharmonikaartig bewegen, ohne dass das Blatt zerreißt
  • Mit Papierknäuel auf einem Blatt reiben
  • Durch eine lange Zeitungsröhre pusten
  • Ein Blatt knüllen und dann wieder glatt streichen
  • Viele Kinder heben Knäule und Blätter hoch und lassen sie gleichzeitig auf den Boden fallen
  • Alle Geräusche verschieden laut und leise machen
  • ...

Da Zeitungspapier in großen Mengen gesammelt wurde, kann es jetzt auch in großen Mengen von den Kindern für "Geräusch-Musik-Experimente" verbraucht werden. So stellen die Kinder in einer zweiten Runde ihr Geräusch nochmals vor, und alle Kinder ahmen es nach.

Susi kommentiert: "Alles ist so durcheinander. Ich klatsche mal immer zu, und ihr macht das Geräusch so, wie ich klatsche". Damit werden die Geräusche in einen bestimmten Rhythmus gelenkt. Und Susi klatscht ganz gleichmäßig.

Susi: "Und jetzt, wenn ich laut klatsche, dann müsst ihr das Geräusch auch laut machen. Und wenn ich ganz leise klatsche, dann bitte ganz leise".

Susi wird richtig zur Dirigentin.

Klaus stellt fest: "Man kann auch ein Lied singen oder summen und dazu das Geräusch machen, halt so wie das Lied geht (er meint damit den Rhythmus). Alle aber das gleiche Geräusch".

Susi: "Und wenn ich die Hände ganz hoch hebe, dann bitte ganz laut. Und wenn meine Hände immer näher an meine Knie gehen, dann muss es immer leiser werden".

Es bleibt nicht bei diesem Vorschlag, es wird sofort geprobt, und die Kinder beteiligen sich mit Begeisterung.

Ähnlich wird mit den anderen Zeitungspapiergeräuschen verfahren.

Die Kinder beschließen, dass es ein "Zeitungsmusikprojekt" werden soll (sie wissen aus anderen Projekten bereits, dass sich ein Projekt über längere Zeit hinziehen kann, und sie selbst es sind, die den Fortgang steuern können und sollen).

So werden die Kinder an den Folgetagen weiter an ihrer Zeitungspapiermusik arbeiten und Begleitungen zu Liedern entwickeln. Durch Fragen und Ergänzungen kann die Erzieherin den Fortgang des Projektes beeinflussen und etwas steuern. Der Kreativität von Kindern und Erzieherin sind keine Grenzen gesetzt! Auch wird das Material nicht ausgehen. Und was am Ende einer Einheit nicht mehr verwendet werden kann, weil es "verbraucht" ist, das wandert in den Papiercontainer. Im Übrigen sorgen die Kinder selbst dafür, dass das Material nicht ausgeht. Jeden Tag schleppen sie neue Zeitungen herbei.

Ein Rhythmus wird aufgeschrieben

Die Kinder wissen aus dem Bereich der Musikerziehung längst, dass sie Rhythmen aufschreiben können. So schlägt Peter vor, dass man das jetzt tun muss:

a. 1 2 3 4 / 1 2 3 4 / 1 2 3 4 / 1 2 3 4 / - das geht immer gleichmäßig

b. 1 - 3 - / 1 - 3 - / 1 - 3 - / 1 - 3 - / - bloß bei 1 und 3, sonst ist Pause

c. 1 / 1 / 1 / 1 / - ganz schwer, nur bei 1

Zeile a. Mit den Fingern wird gegen ein Blatt geschnippt

Zeile b. Es wird in ein Zeitungsrohr geblasen

Zeile c. Es wird gerissen

Natürlich können pro Zeile auch verschiedene "Zeitungspapiergeräusche" eingesetzt werden.

Nicht nur Peter ist begeistert von der Idee. Die Kinder probieren es gleich aus: Susi klatscht und gibt somit das Tempo an. Dann folgt der Einsatz der Geräusche (Instrumente).

Karin: "Das klingt gut. Nicht so gleichmäßig".

Weitere Möglichkeiten können ausprobiert werden, und auch die Signale für laut und leise werden eingesetzt.

Karl: "Aber es geht auch, dass die verschiedenen Geräusche verschieden laut sind. Wir machen einfach ein Lautleiszeichen vor jede Zeile". Die Kinder erfinden sehr schnell ihr Zeichen für die Lautstärke.

Die Ideen sprudeln nur so. Silke: "Bei einem richtigen Orchester, halt bei einem Konzert, da fangen nicht alle Instrumente gleichzeitig an. Manche kommen erst viel später, und wieder anderen hören eher auf. Das kann man auch aufschreiben".

Silke hat bereits Klavierunterricht und hat extra ihr Notenheft mitgebracht. Sie erklärt es nochmals:" Da ist die eine Musik und in der anderen Zeile die andere. Beim Klavier müssen das die Hände machen. Aber man hat ja zwei. Im Konzert sind es verschiedene Instrumente und bei uns andere Zeitungspapiergeräusche".

Lässt man den Kindern die entsprechenden Entwicklungs- und Experimentierspielräume, dann werden die Ergebnisse uns Erwachsene überraschen. Wir müssen den Kindern nicht alles vorgeben. Die Kinder sind uns mit Ideen weit überlegen. Wichtig jedoch ist, dass wir unsere Aufgabe als Wegbegleiter ernst nehmen und ihr Tun wertschätzen.

Was hier so knapp beschrieben wurde, birgt in sich eine Vielzahl von Lernschritten und berührt nahezu alle Bildungsbereiche. Aber wir dürfen nicht beginnen, die einzelnen Schritte sofort den Bildungsplänen unterzuordnen. Damit würde das ganze Erlebnis nur an Kreativität und Dynamik verlieren und zu einem Förderprogramm verkommen. Diese Gefahr besteht derzeit zusehends und führt dazu, dass aus Bildung "Verbildung" wird.

Mittlerweile haben vielleicht schon Eltern nachgefragt. Dann haben Sie versäumt, die Eltern rechtzeitig zu informieren. Das, was die Kinder über mehrere Tage oder Wochen entwickelt haben, könnten Sie auch mit Eltern im Rahmen eines Elternworkshops erarbeiten. Nützlich wären dabei einige Tonbandaufnahmen aus der Arbeit mit Kindern und einige Photos...

Das Elternkonzert kann aufgenommen und zum Ende des Projektes den Kindern vorgespielt werden. Aber erst nach dem Kinderkonzert!

Zeitungspapierkonzert

Jetzt ist Konzerttag, und alle Erfahrungen und Erkenntnisse werden im Zeitungspapierkonzert gebündelt.

Erst soll ohne Summen oder Singen im Viervierteltakt "musiziert", dann das gesummte Lied "Summ, summ, summ, Bienchen summ herum" begleitet werden.

An einer Wandtafel oder auf einem großen Blatt Papier wird die "Partitur" von den Kindern aufgezeichnet.

Für das Vorspiel und das gesummte Lied ist die gleiche Begleitung möglich, da das Lied auch im Viervierteltakt steht.

Die Kinder entscheiden, welche Geräusche (Instrumente) zum Einsatz kommen sollen, welche Lautstärke eingesetzt werden soll, wann welche Geräusche zum Einsatz kommen sollen, usw.

Hier ein Impuls für sie als Erzieherin:

Fett bedeutet laut, dünn bedeutet leise

a. 123412341234123412341234 - Mit Fingern gegen Blatt schnippen

b. 123412341234123412341234 - Mit zwei Papierröhren aufeinander schlagen

c. 1 1 1 1 1 1 - Blatt reißen

d. 1 3 1 3 1 3 1 3 1 3 1 - gegen Blattkante blasen

e. ...

Die Art des Aufnotierens muss auf den Vorschlägen der Kinder aufbauen, denn sie sollen das "Musikstück abspielen" können. Es können natürlich Zeichen verwendet werden (z.B. Kreise oder Aufklebepunkte), dann kann für jede Art von Geräusch eine andere Farbe stehen: Kleine Aufklebepunkte für leise, große für laut. Entwickeln Sie mit den Kindern eine individuelle Lösung!

Eine Linie gibt den Kindern Orientierung; nach jedem Takt folgt ein senkrechter Strich. Das erleichtert dann auch die Einsätze. Anfangs zeigen Sie, später dann ein Kind auf den jeweiligen "Ton".

Sie können und sollen das Zeitungspapierkonzert nicht für die Kinder vorstrukturieren oder gar die "Partitur" vorfertigen. Die Kinder lernen durch das eigene Experiment die Notation ihres kleinen Konzertes! Lassen Sie den Kindern Zeit und Raum!

Das Experiment der Kinder ist zielführend. Weder Sie noch ich können voraussagen, wo die Kinder ankommen und welchen Weg sie wählen werden. Das ist das Spannende bei der Projektarbeit mit Kindern. Experimentelles Lernen verlangt nach Freiräumen und ist weit entfernt von den Strukturen der Förderangebote.

Und nun viel Spaß beim Konzert! Danach werden die "Papierinstrumente" im Papiercontainer entsorgt. Bei Bedarf werden neue entwickelt!

Autorin

Ingeborg Becker-Textor ist Kindergärtnerin und Hortnerin. Sie studierte Diplom-Sozialpädagogik an der Fachhochschule Würzburg und Diplom-Pädagogik an der Universität Würzburg und hat mehrere Zusatzqualifikationen wie z.B. den Abschluss als Fachlehrerin für Werken und das Montessori-Diplom erworben.
Frau Becker-Textor arbeitete als Kindergartenleiterin in Würzburg, als Regierungsfachberaterin für Kindertageseinrichtungen in Unterfranken, als nebenberufliche Dozentin in der Ausbildung für Kinderpfleger/innen und Erzieher/innen, in der Fortbildung für Erzieher/innen und Fachkräfte in der Jugendhilfe sowie mehr als 20 Jahre lang als Referatsleiterin im Bayer. Sozialministerium (nacheinander in den Bereichen Jugendhilfe, Kindertagesbetreuung und Öffentlichkeitsarbeit). Im Ministerium war sie auch für zahlreiche Forschungsprojekte auf Landes- und Bundesebene zuständig. Von 2006 bis 2018 leitete sie zusammen mit ihrem Mann das Institut für Pädagogik und Zukunftsforschung (IPZF) in Würzburg.
Ingeborg Becker-Textor ist Autorin bzw. Herausgeberin von mehr als 20 Büchern und über 40 Medienpaketen. Sie hat ca. 140 Fachartikel in Zeitschriften, in Sammelbänden und im Internet veröffentlicht.
Homepage: https://www.ipzf.de