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Zitiervorschlag

Aus: Kindergarten heute Nr. 1/1998, S. 20-25 (Teil 1), Nr. 2/1998, S. 18-23 (Teil 2), Nr. 3/1998, S. 18-25 (Teil 3), Nr. 4/1998, S. 18-23 (Teil 4), Nr. 5/1998, S. 16-22 (Teil 5). Mit Genehmigung des Herder Verlags, Freiburg

Neue Wege in der Elternarbeit

Lothar Klein

 

Teil 1: Lernen, die Familie als Ganzes zu sehen

Kein Kind kommt alleine, wenn es in einer Kindertageseinrichtung oder einem Kindergarten aufgenommen wird! Immer befindet sich in seinem Schlepptau seine ganze Familie. Die hat es natürlich nicht immer leibhaftig bei sich. Während Schwestern und Brüder manchmal wirklich mitkommen, verbringen Vater, Mutter, Großmütter und -väter freilich nicht den ganzen Tag im Kindergarten. Aber dennoch: alle sind irgendwie da. Alle wirken hinein in die Kindertagesstätte. Das, was diese Familie und somit auch das Kind bewegt, spüren Erzieherinnen in Kontakten mit Eltern und über das Kind selbst: die Zukunftspläne, Belastungen und Wertvorstellungen der Familie, die familiären Geschlechtsrollen und Beziehungsmuster. Und umgekehrt muss sich die Familie auch mit dem auseinandersetzen, was da aus der Kindertagesstätte auf sie einwirkt. Zwischen Familie und Kindertagesstätte bestehen demnach vielfältige Verbindungslinien und gegenseitige Einflüsse.

Auf irgendeine Weise müssen sich pädagogische Fachkräfte also auf die Familie als Ganzes beziehen. Bloß, wie machen wir das, wo wir uns bisweilen doch schon in der traditionellen Elternarbeit so schwer tun und uns dafür kaum vorbereitet fühlen. Ein Rückblick auf die eigene Ausbildungszeit kommt in den meisten Fällen zu dem Ergebnis, dass es da keine ernsthafte und fundierte Vorbereitung auf diesen Teil unserer Arbeit gab.

Nur wenigen Erzieherinnen gelingt es, zu ihrer Angst im Umgang mit Erwachsenen zu stehen.1 Auf Elternabenden wollen wir vor allem selbst "gut sein", hospitierende Eltern in der Gruppe machen immer noch Angst, in Konflikten fühlen wir uns unsicher. Und, seien wir ehrlich, was machen unserer Ansicht nach Eltern nicht alles "falsch"? "Elternarbeit", das ist immer noch das ungeliebte Anhängsel des kindbezogenen Berufsprofils von Erzieherinnen.

Aber, ob wir es wollen oder nicht, mehr denn je sind wir aufgefordert, dieser Aufgabe auf professionelle Weise nachzukommen. Warum das so ist, davon soll dieser Artikel handeln. Dass es auch möglich ist und sogar Spaß machen kann, wird am Schluss angedeutet und soll in weiteren Folgen vertieft werden.

Familienwirklichkeiten

Wir alle haben, wenn wir über Familie reden, in unserem Kopf ein bestimmtes Idealbild. Unsere persönliche Vorstellung davon ist maßgeblich geprägt von den eigenen Familienerfahrungen. Die aber liegen schon eine ganze Zeit zurück. Erlauben wir uns deshalb einmal einen Blick auf die Familiensituationen von heute. Ohne sagen zu wollen: "Der Familie heute geht es schlecht. Es leben die alten Zeiten!", hier einige Schlaglichter:

  • Veränderungen in der Arbeitswelt bringen es mit sich, dass Familien heute sehr mobil und flexibel sein müssen. Arbeitszeiten gehen bis in den späten Abend oder die Nacht hinein und sind ganz unterschiedlich gestaltet. Weite Anfahrtswege müssen in Kauf genommen werden. Vielfach sind Weiterbildungen oder Umschulungen notwendig.
  • Etwa 13 Prozent aller Familien sind sogenannte "Ein-Eltern-Familien", in denen eben nur Mutter (85%) oder nur Vater (15%) vorhanden sind. Da die Trennungs- und Scheidungsrate weiter steigt, ist mit einer Zunahme dieses Anteils zu rechnen.2 Eltern sind immer weniger in der Lage, die eigenen hohen Erwartungen an die Familie zu erfüllen.
  • Familien haben weniger Kinder: etwa ein Drittel aller Kinder sind Einzelkinder.
  • Einerseits steigt, zumindest im Westen, die Berufstätigkeit von Müttern, andererseits müssen sich immer mehr Familien mit den Folgen von Arbeitslosigkeit eines oder beider Elternteile auseinandersetzen.
  • Konsum- und Freizeitstress nehmen zu, gleichzeitig aber auch wirtschaftliche Not.

Um schließlich ganz zu verstehen, was Familien heute alles zu bewältigen haben, müssen wir auch einen Blick auf ihre "inneren Verhältnisse" werfen, denn vor allem in der Gestaltung des Familienalltags haben sich bedeutsame Veränderungen vollzogen.

In den alten Bundesländern versuchen heute immer mehr Frauen, Berufstätigkeit und Mutterrolle zu vereinbaren, in den neuen Bundesländern ist das sowieso üblich. Ideelle Motive sind dabei wichtiger als ökonomische: Beruf und Karriere werden heute auch von Frauen langfristig vorbereitet und sollen ihrer Selbstverwirklichung dienen. Es dauert nicht mehr lange, bis das Durchschnittsalter, in dem Frauen ihr erstes Kind bekommen, die Marke von 30 Jahren überschritten hat. Die Geburt des ersten Kindes wird so geplant, dass das Kind der persönlichen Weiterentwicklung und beruflichen Karriere nicht im Wege steht. Das gelingt aber bei weitem nicht immer. Je älter Frauen bei der Geburt ihres ersten Kindes sind und je bewusster der Zeitpunkt vorausgeplant war, umso stärker geraten sie dann in die Klemme zwischen ihrem Anspruch, "perfekte Mutter" zu sein und zugleich "perfekte Frau im Beruf".

Auch die Rolle und das Selbstwertgefühl der Väter sind ins Rutschen geraten. Sie sehen sich Autoritätsverlusten gegenüber und erleben, dass mehr Initiativen von ihren Frauen oder sogar ihren Kindern ausgehen. Wir wissen heute, dass Frauen mit ihren Einstellungen und Verhaltensweisen den Beziehungsverlauf in der Familie eindeutig stärker beeinflussen als Männer. "Für Sexualität, Intimität in der Kommunikation, emotionale Nähe und Selbstöffnung dem anderen gegenüber spielt die Haltung der Frau ein entscheidende Rolle", schreibt Hartmut Kasten.3 Frauen spüren Störungen früher, sind schneller bereit, sie zu bearbeiten und übernehmen, wenn auch keineswegs durchgängig und oft noch unsicher, auch im Familienalltag mehr Verantwortung. Aber sie verlassen auch eine Beziehung, die sie als problematisch empfinden, schneller als Männer. Sie scheinen in Beziehungen überhaupt eine realistischere Einstellung als Männer zu haben. Männer hingegen neigen darin eher zu romantisch-verklärenden Haltungen. Auf der anderen Seite lehnen Männer zunehmend die traditionelle Rolle des Familienoberhauptes ab, sind in den meisten Fällen jedoch erst auf der Suche nach einer neuen positiven Vater- und Partnerrolle.

Den Kindern wiederum wird, gerade weil sie meistens (spätes und einziges) Wunschkind sind, von ihren Eltern sehr hohe psychische, zeitliche und materielle Aufmerksamkeit zuteil. Kinder sind für ihre Eltern heute mehr als früher Sinn des Lebens. Folgerichtig gibt es materielle Verwöhnung, Überbehütung, Überorganisation, fehlende Ablösung von den Eltern. Eltern erlegen sich einen hohen Leistungsdruck zur optimalen Entwicklungsförderung des Kindes auf. Sie wollen "Supermutter" oder "Supervater" sein und wissen gleichzeitig nicht, was das ist. Die Flut von Erziehungsratgebern in Buch- oder Zeitschriftenform macht sie da kaum sicherer.

Dem entspricht, dass sich auch der elterliche Erziehungsstil im Wandel befindet. Erziehungsziele haben sich verändert. Statt auf Ordnung und Sauberkeit zielt Erziehung in Familien heute mehr auf Selbständigkeit oder Kreativität. Insgesamt, wenn auch nicht in jedem Einzelfall, ist zu beobachten, dass das Verhalten der Eltern ihren Kindern gegenüber liberaler geworden ist, deutlich erkennbar am Rückgang körperlicher Strafen. Man kann sogar so weit gehen und sagen, dass heute Eltern den Liebesentzug durch ihr Kind fürchten und nicht mehr umgekehrt. Eltern wollen Kindern stärker Partner sein. Ein ganz wesentlicher Wandel vollzieht sich da: der Wandel von der Befehls- zur Verhandlungsfamilie! Darin liegt viel Verunsicherndes für Eltern. Sie wissen nämlich nicht genau, wohin das führt. Selbst in anderen Familienstrukturen groß geworden, fehlt es ihnen häufig an eigenen Erfahrungen damit.

Und zuletzt müssen sich Eltern auf bedeutsame und ihnen selbst nicht bewusste Veränderungen im Leben der Kinder einstellen: Kindheit findet heute mehr denn je innerhalb von Räumen statt. Der starke Medienkonsum vieler Kinder verunsichert ihre Eltern, denen es schwer fällt, zwischen Gefahren und Chancen zu unterscheiden. Kinder sind auch ein wichtiger Wirtschaftsfaktor. Mehr denn je stehen Kinder, und damit auch ihre Eltern, vor der Aufgabe, aus einer Vielzahl von kommerziellen Angeboten auszuwählen. Die heutige Welt verlangt von ihnen ununterbrochen persönliche Entscheidungen. Insgesamt sind Kinder heute abhängiger von Erwachsenen als früher. Eltern spüren das, wenn sie ihre Kinder z.B. immer wieder von einer "Lebensinsel" zur anderen chauffieren müssen. Eine dieser - fürsorglich überwachten und verplanten - "Inseln" ist die Kindertagesstätte. Hier verbringen Kinder einen Großteil ihrer wachen Zeit.

Aus dieser Situation heraus verhalten sich Eltern auch der öffentlichen Kinderbetreuung gegenüber anders. Sie formulieren stärker ihre Ansprüche. In den neuen Bundesländern sind diese Erwartungen oft aus der neuen Erfahrung heraus geboren, dass "einem nun nichts mehr geschenkt wird". Viel stärker als in den alten Bundesländern fordern Eltern hier von Kindertagesstätten für ihre Kinder Bildung. Aber auch dort ist bereits der gleiche Trend zu beobachten, der sich im Westen schon seit einigen Jahren durchgesetzt hat, dass nämlich Eltern nach der Vereinbarkeit von Familien und Beruf vor allem Spielpartner und die Möglichkeit sozialen Lernens für ihre Kinder erwarten.

Mehr denn je erwarten Eltern von Erzieherinnen auch Kontakte, Hilfen, Beratung und Unterstützung in ihren unsicheren Lebenslagen. Solche Wünsche werden allerdings häufig als Forderung formuliert. Statt zu fragen: "Könnte ich mit ihnen darüber reden, wie ich abends Kind und Prüfungsvorbereitungen gleichermaßen gerecht werden kann?" fordern Eltern: "Bitte lassen Sie mein Kind mittags nicht mehr schlafen." Erzieherinnen fällt es dann schwer, das dahinter liegende familiäre Problem überhaupt wahrzunehmen.

Familienarbeit statt Elternarbeit

Auf die veränderte Familiensituation hat auch das Kinder und Jugendhilfegesetz (KJHG) längst reagiert. Es hat uns einen klaren Auftrag erteilt, nämlich über die unmittelbare Arbeit mit Kindern hinaus die Familien so zu stärken, dass sie ihren Erziehungsaufgaben besser gerecht werden können. Das Leistungsangebot der Kindertageseinrichtungen soll sich, so steht es da im § 22, an den Bedürfnissen der Kinder und ihrer Familien ausrichten. Sind wir aber ehrlich, müssen wir zugeben, dass wir über die Bedürfnisse der Familien aus unseren Kindertagesstätten recht wenig wissen.

Die Zusammenarbeit mit Eltern und Stärkung der Familien darf also nicht mehr länger als Anhängsel betrachtet werden, sondern muss zum zweiten Standbein in der Arbeit von Erzieherinnen werden. Das ist sicher eine für Viele neue Betrachtungsweise. Aber: Ohne Eltern geht es eben nicht! Wie es mit Eltern gehen kann, dafür gibt es - das ist gut zu wissen - bereits reichliche Erfahrungen.

Ich möchte aber vorschlagen, nicht mehr länger von "Elternarbeit" zu sprechen. Die veränderte Sichtweise muss sich auch in einem anderen Begriff niederschlagen. Dort, wo sich Erzieherinnen, Leiterinnen, Fachberaterinnen bis hin zu Amtsleitern bereits auf den Weg gemacht haben, das KJHG auch in diesem Punkt umzusetzen, sprechen sie statt dessen von "Familienarbeit". Damit wollen sie deutlich hervorheben, dass das Kind in zwei verschiedenen Beziehungssystemen aufwächst: der Kindertagesstätte und der Familie. Die Kindertagesstätte bezieht sich dort deshalb auch nicht mehr länger nur auf Eltern oder sogar fast ausschließlich die Mutter, sondern auf die Bedürfnisse aller Familienmitglieder mit dem Ziel, die Familie selbst zu stärken.

Kein Kind kommt alleine!

Kein Kind kommt alleine4, es bringt seine ganze Familie mit. Dies tut es in doppelter Weise. Da sind einmal die wirklichen Eltern, die uns von Anfang an als Erwachsene gegenübertreten. Und gleichzeitig ist da quasi im Hintergrund die ganze Familie, die das Kind prägt, auch ohne dass wir ihr real begegnen. Die wirklichen, nicht nur von uns vermuteten oder gar zugewiesenen Bedürfnisse dieser Familie können wir besser verstehen, wenn wir uns der "systemischen Sichtweise" zu öffnen.

Danach stellt jede Familie ein bestimmtes System von Beziehungen dar, in dem alle voneinander abhängen und aufeinander angewiesen sind. Jedes Familienmitglied erfüllt dabei für alle anderen eine bestimmte Funktion. Das momentane Verhalten des Kindes kann z.B. der Mutter spiegeln: "Ich bin eine gute Mutter", dem Vater: "Für meine Familie ist gut gesorgt", der Großmutter: "Ich muss mich nicht mehr darum kümmern", und dem Bruder: "Ich bin schon viel größer", usw.

Deshalb versucht jeder auf seine Weise, die eigene Familie zu schützen und stabil zu halten. Verhaltensmuster und Denkweisen sind vor allem daran ausgerichtet. Alle versuchen sie, sich so zu verhalten, dass ihre Familie möglichst nicht aus dem Gleichgewicht gerät, und erwarten das auch von den jeweils anderen. Das können durchaus Verhaltensweisen sein, die uns unverständlich sind, ja sogar solche, die wir ablehnen. Subjektiv, d.h. aus Sicht der Familienmitglieder, erfolgt aber jede Handlungsweise auch aus der positiven Absicht heraus, die eigene Familie in ihren stützenden und schützenden Strukturen zu bewahren und zu stärken.

Auf jede neue Anforderung, zum Beispiel den veränderten Verhaltensweisen eines Kindes in der Pubertät oder etwa bei anstehenden beruflichen Veränderungen, müssen Familien adäquat reagieren. Gelingt es ihnen nicht, die passende Form zu finden, kommen sie in Gefahr, aus dem Gleichgewicht zu geraten. Diese Problemlagen müssen wir wahrnehmen. In dieser Situation brauchen viele Familien Unterstützung anstelle von Kritik.

Interpretieren wir beispielsweise das Ausbleiben von Grenzsetzungen durch eine Mutter als Fehlverhalten ("Sie ist eine schlechte Mutter"), kann sich dahinter eventuell die Absicht und Angst verbergen: "Ich möchte nicht die Liebe meines Kindes verlieren". In diesem Fall hilft es nicht weiter, die Mutter noch mehr zu verunsichern und zu belasten, indem wir ihr Fehlverhalten vorwerfen. Helfen würde vielmehr, ihre Angst und subjektiven Absichten wahrzunehmen. Wir verstehen auf diese Weise besser Beweggründe und Gefühle und kommen erst so in die Lage, uns darauf ohne Vorwurf zu beziehen.

Wir müssen also lernen, in Elternäußerungen, dem Verhalten der Kinder und in dem, was wir sonst noch über die jeweilige Familie wissen, diese subjektiv positive Absicht zu entdecken und zu respektieren, und das fällt weiß Gott nicht immer leicht. Aber nur über eine derart respektierende Grundhaltung gegenüber der wahren Lage der Familien eröffnet sich uns der Blick auf ihre konkreten Bedürfnisse einerseits und auf ihre Stärken andererseits.

Ein Beispiel: Der 5-jährige Lennart ist ein Kind mit sensorischen Integrationsstörungen. Sprache und Schmerzempfinden sind unterentwickelt. Zuweilen fügt er sich selbst körperlichen Schaden zu und merkt es nicht. Oft reagiert er laut und aggressiv. Ihm fehlen darüber hinaus die natürlichen Hemmschwellen. Auch, wenn er nicht fest zuhauen möchte, trifft er mit Wucht. Er kann das einfach schwer regulieren. Seine Mutter ist 23 Jahre alt und alleinerziehend. Zu Lennarts Vater hat sie keinen Kontakt mehr. Sie lebt nun mit einem neuen Freund zusammen. Sie befindet sich gerade in einer Umschulung zur Sekretärin. Ihre gemeinsame Wohnung ist sehr klein. Immer läuft der Fernseher. Der Freund von Lennarts Mutter ist für Lennart der Allergrößte. Er ist LKW-Fahrer und fährt mit Lennart zu LKW-Rennen. Lennart kennt sich auch in der Wrestling-Szene schon gut aus.
Über einen langen Zeitraum hinweg haben Lennarts Erzieherinnen der Mutter viele Ratschläge gegeben: Sie solle sich etwas mehr um Lennart kümmern, solle sich eine Wohnung suchen, in der Lennart ein eigenes Zimmer habe, solle sich einer Erziehungsberatung anvertrauen.
Über den gleichen Zeitraum hinweg hat Lennarts Mutter all die "gut gemeinten" Ratschläge an sich abprallen lassen. Schließlich sei sie nicht "asozial", Lennart ein kluges Kerlchen, und die Erzieherin solle ihm vielleicht etwas mehr von dem beibringen, was er noch brauche. Dass Lennart wenig Schmerz spüre, sei doch für einen Jungen ganz in Ordnung.

Erzieherinnen und Mutter (zu Vater und Freund kam es nie zu einem Kontakt) verstehen sich nicht. Beide wollen die jeweils andere Seite ändern, sozusagen als Vorbedingung für eine mögliche Zusammenarbeit. Es ist an uns, an der professionellen Seite dieser Beziehung, diesen Kreislauf zu durchbrechen und das Notwendige zu tun. Wir begeben uns also auf die Suche nach den, aus Sicht der Familie, positiven Absichten im Verhalten von Lennarts Mutter: Sie wehrt sich nämlich deshalb, Lennarts Entwicklungsverzögerungen wahrzunehmen, weil sie ihre Familie einfach nicht noch zusätzlich damit belasten kann. Indem sie sich gegen die Ratschläge der Erzieherinnen stemmt, schützt sie also ihr Familiensystem. Wer kann ihr das verdenken?

Vielleicht hilft uns das Wissen, dass Wohlergehen und Entwicklung des Kindes weitgehend von der Qualität der Beziehungen in der Familie abhängen, uns der notwendigen Ergänzung des Berufsprofils von Erzieherinnen zu stellen: Statt von außen verändernd in die Familie einwirken zu wollen, würden wir sie dann stärken und ihr helfen, selbst nach möglichen Veränderungen zu suchen.

In diesem Fall würde das zuerst heißen, Entlastungsmöglichkeiten für Lennarts Familie aufzuspüren. Das könnten sein: Die Arrangierung eines Alleinerziehendentreffens, auf dem sich Lennarts Mutter mit anderen in der gleichen Lage zwanglos über ihre Belastungen unterhalten kann. Dort würde sie Zustimmung und Anerkennung finden und vielleicht auch ganz praktische Tipps bekommen. Vielleicht würden sich Lennart und seine Familie auch über das Angebot, einmal über die LKW-Rennen zu berichten, oder über eine Einladung an den Freund von Lennarts Mutter freuen oder über interessiertes Nachfragen bezüglich der Ausbildung von Lennarts Mutter. Vielleicht würde aber auch die unmittelbare Hilfe bei der Beschaffung eines Babysitters oder das Angebot, die Räumlichkeiten der Einrichtung für familiäre Angelegenheiten zu nutzen, Lennarts Mutter entlasten.

Wir brauchen demnach eine andere Grundhaltung: Sich nicht mehr nur notgedrungen und des Kindes wegen an Mutter oder Vater wenden, sondern die ganze Familie stärken, damit sie ihre Aufgaben gut selbst erfüllen kann. In einem Fall kann dies ein Beratungsgespräch sein, im anderen die Möglichkeit, einmal andere Erwachsene zu treffen, im dritten Fall vielleicht der Familie etwas abzunehmen, um sie zu entlasten. Von der Kindertagesstätte zur Familientagesstätte meint also, dass hier Platz für die ganze Familie und unser professionelles Handeln auf deren Stärkung ausgerichtet ist.

Unsere kindbezogene Arbeit steht damit in einem anderen Zusammenhang. Was immer wir tun, hat auch Auswirkungen auf die Familie des Kindes. Dies müssen wir bei jeder Entscheidung innerhalb der Kindertagesstätte berücksichtigen, indem wir uns jeweils auch fragen, ob wir mit dieser oder jener Maßnahme die Familien unterstützen oder nicht. Statt einer "Zweierbeziehung mit Anhängsel dran" (Kinder - Erzieherin + Eltern), befinden wir uns vielmehr in der Dreiecksbeziehung: Familie - Kind - Kindertagesstätte. Zu dieser Dreiecksbeziehung gehören auch die Verbindungen ohne das Kind, die unmittelbaren Beziehungen zwischen den Erwachsenen.

Zu diesem grundlegenden Wandel unseres bislang nur kindbezogenen Berufsprofils veranlasst uns, noch einmal zusammengefasst, dreierlei:

  • die gesellschaftliche Situation der Familien heute,
  • die Bestimmungen des KJHG und
  • die Einsicht, dass kein Kind alleine zu uns in die Tageseinrichtung kommt, sondern auch zu einem anderen Beziehungssystem gehört, nämlich dem seiner Familie.

Die Möglichkeiten der Kindertagesstätte

Unsere Voraussetzungen dafür sind gut. Kindertagesstätten erreichen fast alle jungen Familien in wichtigen Phasen ihres Lebens. Sie werden von ihnen freiwillig aufgesucht und sind in hohem Maße von Eltern akzeptiert.

Dem KJHG-Auftrag können Kindertagesstätten und Erzieherinnen auf fünf verschiedenen Ebenen entsprechen:

  1. In der konkreten Gestaltung der Zusammenarbeit der Erwachsenen in Bezug auf die Entwicklung des jeweiligen Kindes kann Erziehungspartnerschaft entstehen.
  2. Die Kindertagesstätte kann den Familien vielfältige Angebote zur Entlastung und Kompetenzvermittlung machen. Stichworte sind: Beratung und Bildung.
  3. Die Kindertagesstätte kann die Interessen und Kompetenzen der Eltern zum Gegenstand der pädagogischen Arbeit in der Gruppe machen und die Einrichtung als Ort der Begegnung verstehen. Sie kann die Mitwirkung von Eltern fördern.
  4. Die Kindertagesstätte kann den Familien Raum anbieten zum Austausch über ihre Lebenslagen, wenn erforderlich auch mit Kinderbetreuung. So wird die Kindertagesstätte zum Ort von selbstorganisierter Eltern und Familienbegegnung.
  5. Schließlich kann sich die Kindertagesstätte zusätzlich nach außen öffnen und andere Familien des Stadtteils einbeziehen. Sie leistet Gemeinwesenarbeit.

Wie das alles in der Praxis aussehen kann, wie es geht, wie es Spaß machen kann und welche Voraussetzungen dafür notwendig sind, darum werden sich die folgenden Teile dieser Reihe ranken.

Teil 2: Der Anfang ist die Hälfte des Ganzen

Familie Schulte hat zwei Töchter. Lena ist ein Jahr alt, Katja fast drei. Katja soll im Sommer in die Kindertagesstätte kommen. Herr Schulte, 33, ist Computerfachmann und im Außendienst. Er richtet bei großen Firmen Computeranlagen ein. Frau Schulte, 30, war vor der Geburt von Katja Flugbegleiterin. Frau Schulte möchte noch zwei Jahre zu Hause bei Lena bleiben. Danach aber will sie wieder als Flugbegleiterin arbeiten. Herr und Frau Schulte planen, sich irgendwann selbständig zu machen. Herr Schulte belegt deshalb regelmäßig Fortbildungskurse, und auch Frau Schulte möchte diese Gelegenheit öfter nutzen, wenn Katja erst einmal in der Kindertagesstätte ist.

Familie Schulte hat sich schon eine ganze Zeit lang mit dem Gedanken an die richtige Kindertagesstätte für Katja beschäftigt. Sie kennen auch eine Einrichtung in der Nachbarschaft. Schon oft sind sie daran vorbeigefahren und nun haben sie den Entschluss gefasst, Katja soll dort angemeldet werden.

Wie für jede Familie liegt im Eintritt eines Kindes in die Kindertagesstätte auch für Familie Schulte etwas Besonderes. Es ist ein wichtiger Einschnitt im Leben der Familie, verbunden mit vielen Hoffnungen für das Kind. Aber auch eigene, bislang meist zurückgestellte Pläne geraten damit wieder in Reichweite. Im Allgemeinen freuen sich Kind und Familie auf diesen Tag.

Mit der Aufnahme beginnt für die ganze Familie ein neuer Lebensabschnitt. Das Kind muss sich von seinen Eltern lösen, muss nun lernen, mit den Erwartungen, die die Kindergartengruppe an es stellt, zu Recht zu kommen. Es sieht sich nun den Herausforderungen der neuen Umgebung mit den vielen fremden Menschen und veränderten Abläufen gegenüber. Ähnliches gilt aber auch für seine Eltern. Auch sie müssen sich in gewisser Weise erst an die Institution Kindertagesstätte gewöhnen.

Worüber Katjas Eltern sicher aber nicht nachdenken, und was vielleicht noch schwerer wiegt, aber kaum ausgesprochen wird, ist Folgendes: Wenn eine Familie ihr Kind in der Kindertageseinrichtung anmeldet, trägt sie meist zum ersten Mal etwas von ihren bisher intimen inneren Strukturen nach außen. Fremde Menschen erhalten von nun an Einblick in das private Familienleben. Mit einem Mal droht Privates öffentlich zu werden. "Wie der Herr, so's Gescherr", sagte man früher, und ein wenig ist es auch heute noch so. Eltern merken nämlich schon bald, dass sie in der Kindertagesstätte über ihr Kind auch selbst beurteilt werden.

Obwohl "Kunden" der Kindertagesstätte ist die Aufnahme ihres Kinder für Familie Schulte nicht einfach wie der Kauf neuer Möbel. Der erste Kontakt zur Kindertagesstätte ist vielmehr von einer Vielzahl unterschiedlicher Gefühle begleitet. Es vermischen sich Hoffnungen, Erwartungen, Befürchtungen und Unsicherheiten. Sie fragen sich: "Wie wird es meinem Kind wohl dort ergehen? Werden auch wir selbst aufgenommen und akzeptiert?" Diese Fragen begleiten sie bereits, wenn sie zum ersten Mal die Kindertagesstätte betreten, um ihr Kind anzumelden. Was finden sie dort vor?

Der erste Kontakt

An einem warmen Tag im März suchen Herr und Frau Schulte gegen 11.45 Uhr gemeinsam die Kindertagesstätte in ihrer Nachbarschaft auf. Doch schon im Flur bleiben sie unschlüssig stehen. Wie sieht eigentlich ein Büro in einer Kindertagesstätte aus? Einen Wegweiser entdecken sie nicht. Der Flur ist leer. Herr und Frau Schulte landen schließlich in der Küche. Die Küchenfrauen sind ziemlich beschäftigt. "Es ist jetzt Mittagessenszeit, da können Sie mit niemandem sprechen!", wird Frau Schulte abgekanzelt. "Sie müssen bis nach dem Essen warten. Wir haben jetzt keine Zeit."

Weil Herr und Frau Schulte keinen richtigen Platz zum Warten finden, bleiben sie im Flur stehen. Die Küchenfrauen noch einmal zu fragen, wie lange das Essen dauert, trauen sie sich nicht. Sie wollen schließlich nicht gleich beim ersten Mal stören und auffallen. Ihrer Tochter soll es hier doch gut gehen.

Nach ca. einer halben Stunde erkundigen sie dann doch noch einmal vorsichtig. "Unsere Leiterin muss gerade vertreten. Das wird dauern. Am besten, Sie kommen morgen früh um 8.30 Uhr noch einmal", lautet nun die Antwort. Herr Schulte hat sich aber heute frei genommen und Lena zu seiner Mutter gebracht. Dennoch, es ist nichts zu machen. Die Leiterin kann ja schließlich jetzt nicht aus der Gruppe gehen und die Kinder dort alleine lassen.

Was fühlen Herr und Frau Schulte nach diesem ersten Kontakt? Erwartet und erhofft haben sie sich Zuwendung, Interesse und Entgegenkommen, eine freundliche Atmosphäre und angenommen zu werden. Und nun?

Herr Schulte kämpft bereits gegen aufkommenden Ärger an. Was würden seine Kunden sagen, wenn er dermaßen abweisend mit ihnen umgehen würde? Deshalb fragt er nun genau nach und erfährt, dass die Leiterin heute ab 14.00 Uhr wieder in ihrem Büro sein wird. Trotz seines Unmuts bedankt er sich freundlich und bittet darum, gleich für 14.00 Uhr einen Termin zu bekommen. Die Küchenfrauen fühlen sich zwar nicht zuständig, versprechen aber, der Leiterin "einen Zettel hinzulegen".

Pünktlich um 14.00 Uhr versuchen Herr und Frau Schulte es also noch einmal. Gerade wieder im Büro empfängt sie die Leiterin und spürt gleich, dass etwas nicht stimmt. Sie weiß zwar nicht genau was, hat aber schon bald das Gefühl, dass das "schwierige Eltern" werden könnten. Nur widerwillig trägt sie Familie Schulte in die Vormerkliste ein. Für Familie Schulte sind bereits jetzt ein paar ihrer Hoffnungen geplatzt.

Wer kennt solche verunglückten Starts nicht? Scheinbare Kleinigkeiten führten dazu, die Beziehung von vornherein zu belasten.

Was für Leiterinnen und Erzieherinnen Routine ist, nämlich die sich in jedem Jahr wiederholenden Vormerkungen und Neuaufnahmen, ist für die jeweils betroffene Familie eine ausgesprochen gefühlsbeladene Situation. In dieser Verfassung eine halbe Stunde lang im Gang stehend warten zu müssen, niemanden zu finden, der sich einem freundlich zuwendet, vielleicht einen Kaffee anbietet und einen Sitzplatz, niemanden der einem Auskunft erteilt, erleben Eltern deshalb als persönliche Zurückweisung und Ablehnung ihrer ganzen Familie. Und sie übertragen das auch auf die Zukunft ihres Kindes in der Kindertagesstätte. Statt angenommen und unterstützt, erwarten sie nun, bestenfalls geduldet, vielleicht sogar abgelehnt zu werden. Sie fühlen sich einer Institution ausgeliefert, die sich scheinbar wenig um die Belange der Familie bemüht.

Solche Befürchtungen begleiten die Eltern bis nach Hause. Auch ihr Kind wird davon etwas spüren, und zwar bereits schon weit vor der eigentlichen Aufnahme.

Der Anfang, das ist der Beginn einer mindestens drei, in Gruppen mit großer Altersmischung sogar zwölf Jahre andauernden Beziehung von Familie und Kindertageseinrichtung. Es ist die Kontakt- und Kontraktphase. Bereits hier werden die Grundlagen für das spätere Gelingen oder Nichtgelingen von Partnerschaft gelegt.

Weil man sich am Anfang noch fremd und unsicher fühlt, greift man auf bekannte gefühlsmäßige Erfahrungen aus früheren Ereignissen zurück, um in der augenblicklichen Situation nicht die Orientierung zu verlieren. Erlebnisse wie das oben geschilderte, können z.B. bei Herrn und Frau Schulte Gefühlszustände von Machtlosigkeit und Ausgeliefertsein reaktivieren, die aus ähnlich gelagerten zurückliegenden Ereignissen stammen. Diese tief sitzenden Gefühle werden nun auf die neue Situation übertragen. Weil sich beide Seiten in der Anfangsphase sozusagen im Dunkeln auf einander zu bewegen, neigen sie zudem dazu, das zuerst Wahrgenommene für das Ganze zu halten. Der Anfang ist eben mehr als nur ein Teil, er ist die Hälfte des Ganzen!

Stellen wir uns stattdessen Folgendes vor: Familie Schulte hätte gleich an der Eingangstür einen nicht übersehbaren Hinweis folgender Art vorgefunden: "Liebe Eltern. Anmeldungen nehmen wir gerne zu folgenden Zeiten entgegen... Sollten Ihnen diese Zeiten nicht passen, können Sie gerne anrufen und einen anderen Termin mit uns vereinbaren."

Im Flur dann ein Wegweiser zum Büro und zusätzlich ein dünnes, übersichtlich gestaltetes Informationsblatt mit folgendem Titel: "Damit Sie sich gut bei uns zurecht finden." Darin enthalten wären: Öffnungszeiten, Telefonnummer und Sprechzeiten, das Anmeldeverfahren (kurz, knapp, übersichtlich), die Information, dass die Leiterin selbst manchmal Gruppendienst macht und deshalb nicht immer erreichbar ist.

Außerdem hätten Herr und Frau Schulte einen Elterntreffpunkt vorgefunden, einen Platz, an dem man sich gerne hinsetzt, an dem vielleicht weitere Informationen ausliegen, eventuell auch den Hinweis: "Wenn Sie einen Kaffee möchten, wenden Sie sich ruhig an unsere Küchenfrauen. Wir bedienen Sie gerne."

Das Ganze nennt man "Vorteilsansprache". Diese Form des Sich-an-die-Eltern-Wendens hebt hervor, worin der Vorteil oder Nutzen aus den Leistungen der Kindertageseinrichtung für die Eltern liegt. Damit wird signalisiert: Was geschieht, geschieht nicht zum Vorteil der Einrichtung, sondern zum Vorteil der Familie. Anstelle der üblichen Hinweise in der Form von "Unsere Sprechzeiten...", finden sich dann Formulierungen wie "Damit Sie sich gut bei uns zurechtfinden."

"Stellen wir uns an dieser Stelle einfach einmal vor, was beispielsweise passieren würde, wenn eine Bäckerei ihre Kundschaft permanent darauf hinweist, dass ihr qualifizierte Bäcker fehlen und sie deswegen für die Qualität ihrer Brötchen keine Haftung übernehmen kann.5

Es geht dabei aber um mehr als nur die Formulierungen! Die "Vorteilsansprache" setzt einen Perspektivenwechsel voraus, die Haltung, das eigene Angebot einmal aus der Sicht der Eltern zu betrachten. Ein altes indianisches Sprichwort lautet: "Um mich zu verstehen, musst du einen Tag lang meine Mokassins getragen haben." Tun wir das in Bezug auf den Erstkontakt, spüren wir vielleicht ein wenig mehr von den Hoffnungen, Bedürfnissen, Erwartungen und Befürchtungen, die junge Eltern bewegen, wenn sie ihr Kind in einer Tageseinrichtung anmelden. Dann können wir auch wahrnehmen, wie wichtig es gerade am Anfang ist, dass sich Eltern in dem, wie ihnen die Einrichtung begegnet, wieder finden und verstanden fühlen.

Die Leiterin hätte sich dann beispielsweise im ersten Gespräch mehr auf Familie Schulte einlassen können. Sie hätte sich zunächst persönlich vorgestellt und auch etwas über sich selbst ausgesagt, nach dem Motto: "Wir nehmen Beziehungen ernst." Danach hätte sie die Eltern u.a. fragen können:

  • "Was können wir tun, damit sich Ihre Tochter bei uns wohl fühlen wird?"
  • "Verbinden Sie auch für sich selbst Erwartungen mit dem Kindergartenplatz für Ihre Tochter?"

Solche Fragen setzen an den Bedürfnissen der Familie an. Sie signalisieren, dass die Leiterin in den Eltern kompetente Partner sieht und an ihnen interessiert ist. Außerdem erhält die Leiterin auf diese Weise auch selbst erste Auskünfte über die Motive der Familie, sie betreibt also Motivforschung.6

Die Aufnahme

Familie Schulte bekommt im Sommer trotz des verunglückten ersten Kontakts einen Platz für ihre Tochter. Außer Katja sind es noch acht weitere Kinder, die neu aufgenommen werden sollen.

Inzwischen hat sich aber einiges getan. Das gesamte Team der Einrichtung hat während zweier Konzeptionstage ihre bisherige Elternarbeit kritisch beleuchtet. Mit dem, wie es bislang gelaufen ist, sind Erzieherinnen und Leiterin unzufrieden. Zurückblickend haben sie festgestellt,

  • dass für sie der Kontakt mit Eltern bisher nur ungeliebtes Anhängsel kindbezogener Arbeit war und manchmal sogar Angst machte,
  • dass sie sehr wenig von den Lebenslagen "ihrer" Familien wussten,
  • dass sie deshalb auch immer unsicher waren, ob sie (z.B. auf Elternabenden) wirklich die Bedürfnisse der Eltern getroffen haben,
  • dass sich der Kontakt im Wesentlichen auf die traditionellen Formen wie Elternabend, Feste und Feiern und Tür-und-Angel-Gespräche beschränkten,
  • dass es zu Elterngesprächen im Wesentlichen nur dann kam, "wenn irgendetwas falsch gelaufen ist",
  • dass sich Eltern und Erzieherinnen als Partner bisher kaum begegnet sind.

Natürlich konnte unmöglich alles auf einmal umgeworfen werden. Das Team hat deshalb beschlossen, mit den Eltern, deren Kinder im kommenden Sommer aufgenommen werden würden, Neues zu probieren. Erzieherinnen und Leiterin wollen

  • von Beginn an Interesse an der Lebenssituation der jeweiligen Familie zeigen,
  • von Beginn an deutlich machen: nicht nur das Kind, auch seine ganze Familie ist bei uns wirklich willkommen,
  • von Beginn an die Eltern als kompetente Erziehungspartner behandeln und sie als Experten für die Lebenslage ihrer Familie zu betrachten,
  • sie deshalb so weit wie möglich in die Gestaltung der Anfangsphase einbeziehen.

Diese veränderte Haltung sollte schon in den Aufnahmegesprächen spürbar sein. Ebenso, wie andere Eltern, erhielt auch Familie Schulte Anfang Mai folgenden Brief aus der Kindertagestätte:

"Liebe Frau Schulte, lieber Herr Schulte. Von August an können wir Ihre Tochter Katja in unserer Einrichtung betreuen. Wir möchten alles dafür tun, dass sich Katja von Anfang an bei uns wohl fühlt. Dabei brauchen wir Ihre Hilfe. Sie kennen Ihre Tochter am besten und können uns sicher viele wertvolle Hinweise geben, was wir tun können, damit es Katja bei uns gut geht. Wir möchten daher mit Ihnen ein ausführliches Aufnahmegespräch führen. Bitte planen Sie dafür ca. zwei Stunden ein. Wir würden uns sehr freuen, wenn Sie beide daran teilnehmen könnten. Wir schlagen Ihnen folgende Termine zur Auswahl vor:... Bitte rufen Sie uns an, welcher Termin Ihnen am besten passt. Sollte Ihnen keiner dieser Termine angenehm sein, werden wir gerne versuchen, einen anderen Zeitpunkt mit Ihnen zu vereinbaren."

Etwas skeptisch sagen Herr und Frau Schulte zu. Noch immer hängt der erste Eindruck nach. Auch ein wenig um zu prüfen, ob es die Einrichtung wirklich ernst meint, rufen sie an und vereinbaren mit dem Argument, dass sie gerne beide teilnehmen möchten, einen Termin nach 17.00 Uhr.

Am Aufnahmegespräch mit Herrn und Frau Schulte nehmen Katjas zukünftige Erzieherin, Frau Felder, und die Leiterin der Kindertagesstätte, Frau Kiel, teil. Kaffee und Kuchen stehen bereit. Das Gespräch findet im gemütlichen Personalraum statt. Frau Kiel erwartet die Eltern an der Tür und begrüßt sie mit Handschlag, heißt sie herzlich willkommen und bietet ihnen im Personalraum einen Platz an.

Sie beginnt, indem sie den Zweck dieses Aufnahmegespräches erläutert: Vier Ziele habe dieses Gespräch, sagt sie. 1. Ein gegenseitiges Kennen lernen, 2. ein Austausch darüber, wie Eltern und Einrichtung die ersten Wochen von Katja in der Kindertagesstätte gut gestalten können, 3. bei Interesse einige zusätzliche Informationen zu den Angeboten der Einrichtung für Kinder und Eltern und schließlich 4. die Erledigung der notwendigen formalen Dinge.

Nun stellt sich die Erzieherin den Eltern vor. Sie sagt, dass sie in den ersten Wochen die persönliche Ansprechpartnerin für beide sein wird. Auch Herr und Frau Schulte erzählen etwas von sich. Interessiert und freundlich erkundigt sich nun die Erzieherin nach Beruf und Arbeit von Herrn Schulte, nach etwaigen in der näheren Zukunft liegenden Plänen der Familie, ob auch Lena in zwei Jahren in die Kindertagesstätte kommen soll, und ob Frau Schulte dann vielleicht wieder arbeiten möchte.

Die Eingewöhnung

Was die Eingewöhnung von Katja angeht, erläutern Frau Felder und Frau Kiel, wie wichtig dabei die Begleitung durch die Eltern ist. Man müsse sich das so vorstellen, sagen sie, das kleine Kind komme mit einem Schlag in eine unbekannte Umgebung, müsse sich mit 22 fremden Personen auseinandersetzen, müsse dabei auf die bisherigen Bezugspersonen verzichten und den Trennungsschmerz von Eltern und der kleineren Schwester verarbeiten. Um Katja diesen Schritt zu erleichtern, würde sich Frau Felder Katja in den ersten Wochen als bevorzugte Bezugsperson zuwenden, das heißt auch, wenn nötig und möglich, ihren eigenen Dienstplan an Katjas Bedürfnissen orientieren. Aber dennoch, sagt sie, könne es ohne Eltern nicht gut gelingen.

Deshalb sehe die Einrichtung eine Eingewöhnungsphase unter Beteiligung der Eltern vor.7 Das bedeute, dass Mutter oder Vater Katja eine gewisse Zeit begleiten könnten. Wünschenswert wären am ersten Tag ca. zwei Stunden, an dem Vater oder Mutter vormittags mit Katja in der Gruppe bleiben, sie dann ca. eine Stunde alleine lassen und schließlich mit ihr zusammen am Mittagessen teilnehmen könnten. Nach und nach könne Katja dann sicherlich alleine bleiben. Die Eingewöhnung verlaufe bei jedem Kind unterschiedlich. Sie, Frau Felder, würde sich in den ersten Tagen deshalb regelmäßig mit Katjas Eltern darüber austauschen.

Neben der Eingewöhnung des Kindes habe diese Hospitationsphase aber auch noch einen zweiten wichtigen Hintergrund, sagt Frau Felder. Es gehe nämlich auch um den Kontakt zwischen den Erwachsenen. Es gäbe keine bessere Möglichkeit, sich gegenseitig kennen zu lernen und das Wachstum von Vertrauen zu befördern, als eine solche Hospitation. Auf diesem Weg könnten sich die Eltern nämlich selbst ein Bild davon machen, wie es Katja in der Kindertagesstätte geht.

Daher sollte die Eingewöhnung für beide Seiten verpflichtend sein, sagt Frau Kiel, natürlich nicht im rechtlichen Sinne, sondern im Sinne eines gemeinsamen Vertrages. Eltern verpflichten sich, ihre Tochter eine Zeitlang zu begleiten und im Ganzen gesehen einen Tagesablauf zu erleben. Die Erzieherin verpflichtet sich, Katja und ihre Eltern während dieser Zeit als bevorzugte Gesprächspartnerin zur Verfügung zu stehen. Beide Seiten würden nach dem ersten Tag gemeinsam überlegen, in welchen Zeiteinheiten die Eingewöhnung gestaltet werden solle, und beide Seiten würden sie in einem gemeinsamen Abschlussgespräch beenden.

Sei das nicht ein riesiger Aufwand, fragt schließlich Herr Schulte. Das schon, erwidert Frau Felder, aber er lohne sich. Natürlich könnten nicht alle "neuen" Kinder auf einmal kommen, zwei oder manchmal auch drei könnten in der Kindertagesstätte aber schon parallel aufgenommen werden. Ansonsten werde man versuchen, die Aufnahmen auf insgesamt drei bis vier Wochen zu verteilen. Von einer Nachbareinrichtung hätten sie gehört, dass das auch in Zusammenarbeit mit Eltern durchaus gelinge.

Herr und Frau Schulte willigen schließlich ein. Frau Schulte will beginnen und die "Hauptlast" tragen. Aber auch Herr Schulte verspricht, wenigstens einmal nachmittags mitzukommen. "Das darfst du aber nicht deinen Kollegen in der Firma erzählen", scherzt Frau Schulte daraufhin. "Ich weiß", sagt er, "einige machen sich bestimmt darüber lustig." Er möchte es aber dennoch versuchen.

Frau Felder erkundigt sich noch nach Katjas Ess-, Spiel- und Schlafgewohnheiten, fragt nach besonderen Bedürfnissen von ihr, bittet darum, dass auch Lena einmal mitkommt, um zu sehen, wo sich Katja nun aufhält. Das Gespräch beendet Frau Felder mit der Vereinbarung eines Termins. Anschließend zeigt sie Katjas Eltern noch den Gruppenraum und führt sie ein wenig herum. Über das Konzept der Einrichtung wollen Herr und Frau Schulte heute nichts mehr hören. Es wären zu viele Informationen auf einmal, sagen sie.

Auch formale Dinge müssen noch erledigt werden. Frau Schulte nimmt die Formulare in Empfang und verspricht, sie in der darauffolgenden Woche wieder abzugeben. "Das muss ja schließlich nicht hier ausgefüllt werden", kommentiert Frau Kiel diesen Teil des Aufnahmegesprächs.

Es endet schließlich mit der Frage, "Mit welchem Gefühl denken Sie nun an Katjas Aufnahme?" Und Frau Schulte antwortet: "Mit einem überraschend guten. Wir fühlen uns nun angenommen und sind richtig gespannt auf den Kindergarten."

Dazugehören

Katja braucht nicht lange, um sich in ihrer Gruppe zurechtzufinden. Ihre Mutter bleibt am ersten Tag wie verabredet zwei Stunden da. Danach geht sie im Personalraum einen Kaffee trinken. Für die Zeit der Eingewöhnungen steht der Personalraum nämlich auch Eltern zur Verfügung. Frau Schulte trifft dort drei andere Mütter, deren Kinder ebenfalls eingewöhnt werden, und Frau Kiel im angeregten Gespräch. Sie setzt sich dazu, und im Nu ist die Zeit bis zum Mittagessen um. An ihm nimmt Frau Schulte noch teil, dann geht sie mit Katja nach Hause. Am gleichen Nachmittag aber kommt sie noch einmal zurück, um mit Frau Felder den ersten Tag ein wenig auszuwerten und zu verabreden, wie es weiter gehen soll.

Frau Felder glaubt, dass es Katja ziemlich schnell gelingen wird, sich in die Gruppe zu integrieren, beantwortet noch die eine oder andere Frage, und beide vereinbaren, dass Frau Schulte am nächsten Tag nur 30 Minuten bleiben, dann vielleicht einige Einkäufe erledigen und wieder mit Katja zu Mittag essen solle. Frau Schulte ist damit einverstanden, kommt aber am kommenden Tag etwas früher zurück und geht noch einmal "auf ein Schwätzchen" in den Personalraum.

Bereits am übernächsten Tag braucht Katja ihre Mutter vormittags schon gar nicht mehr. Frau Schulte kommt erst zum Mittagessen und bleibt danach, während Katja schläft, noch etwa eine Stunde lang in der Gruppe, um zu sehen, wie der Nachmittag läuft. Dann geht sie noch einmal in den Personalraum. Gegen 15.00 Uhr gehen sie und Katja schließlich nach Hause.

Am Abend erzählen sie Herrn Schulte, was sie erlebt haben. Frau Schulte erinnert ihren Mann an sein Versprechen. Herr Schulte versucht auch in der kommenden Woche, einen Nachmittag frei zu nehmen, stößt jedoch auf wenig Verständnis in seiner Firma, und so klappt es schließlich doch noch nicht.

Als es ihm nach fast einem Jahr schließlich gelingt, Katja nicht nur abzuholen - das macht er gerne und so oft er kann -, sondern sie auch einen Nachmittag lang in ihrer Gruppe "zu besuchen", gehört Familie Schulte schon längst dazu. Sie kennen inzwischen andere Eltern, die Erzieherinnen und durch die Anfangshospitationen auch alle Kinder. Zu Frau Felder haben sie immer noch ein besonders vertrautes Verhältnis, mögen aber auch ihre Kollegin. Von der Arbeit der Erzieherinnen haben sie inzwischen recht eine hohe Meinung.

Dass der Kontaktaufbau in unserem Beispiel gelungen ist, hängt in nicht unwesentlichem Maße von der Gestaltung des Anfangs ab:

  • Erzieherin und Leiterin haben bei den Aufnahmegesprächen den "Kundenblick" gehabt. Sie haben sich gefragt: Was braucht die Familie jetzt? Die sensible Anfangsphase wurde von ihnen bewusst "kundenfreundlich" gestaltet. Leiterin und Erzieherin haben die momentane Belastung der Familie, die aus der noch vorhandenen Unsicherheit herrührt, ob es dem Kind in der neuen Umgebung auch gut gehen wird, im Blick gehabt und sind Herrn und Frau Schulte feinfühlig und freundlich gegenüber getreten.
  • Sie haben die Eltern als Experten für ihre Lebenssituation und die Bedürfnisse ihrer Tochter und damit als gleichwertige Partner behandelt. Statt diese über das eigene Konzept oder etwa zukünftige "Bringpflichten" zu belehren, haben sie Interesse an der Lebenslage der Familie gezeigt.
  • Erzieherin und Leiterin haben auch bewusst die ganze Familie einbezogen, haben sich mit voller Absicht an Mutter und Vater gewandt und haben auch an Katjas jüngere Schwester gedacht. Sie haben die Familie als Ganzes in den Blick genommen.
  • Darüber hinaus haben sie Herrn Schultes Schwierigkeiten, in seinem Betrieb auf Verständnis für sein Kita-Engagement zu stoßen, nicht als Desinteresse abgewertet ("Typisch Väter!"), sondern selbst Verständnis dafür aufgebracht, dass eine Hospitation in der Kita-Gruppe für den Computerfachmann Schulte und seine Kollegen sicher etwas Ungewohntes ist.

Auf diese Weise haben alle Beteiligten erleben können, wie fruchtbar und gewinnbringend eine solche Zusammenarbeit von Beginn an sein kann. Man kann sagen, ein entscheidender Schritt in Richtung "familienfreundliche Kindertagesstätte" als Qualitätsmerkmal der Einrichtung wurde getan und damit ein gutes Fundament für eine "Erziehungspartnerschaft" zwischen Erzieherinnen und Eltern gelegt. Davon handelt der dritte Teil unserer Reihe.

Teil 3: Erziehungspartnerschaft

Familie Schulte gehört bereits seit etwa einem Jahr zur Kindertagesstätte. Ihrer Tochter Katja geht es gut. Sie fühlt sich wohl. Frau Felder und Frau Lüffe, die Erzieherinnen von Katja, haben mittlerweile einen recht guten Kontakt zu Katjas Eltern herstellen können. Nun treten sie mit einem neuen Anliegen an Katjas Eltern heran.

Frau Lüffe bittet Herrn und Frau Schulte um einen Gesprächstermin. Frau Schulte wundert sich und fragt, ob irgendetwas vorgefallen wäre. Trotz aller inzwischen entstandenen Nähe zwischen Frau Schulte und den Erzieherinnen spürt sie dennoch auch Unbehagen.

Erst langsam hat sich Frau Schulte daran gewöhnt, dass seit dem Eintritt von Katja in die Kindertagesstätte auch ihr privates Familienleben ein wenig offen liegt und der Kritik professioneller Erzieherinnen zugänglich geworden ist. Zwar gab es noch keine wirklich strittigen Auseinandersetzungen zwischen Erzieherinnen und Eltern. So ganz sicher ist sich Katjas Mutter aber nicht.

Seit geraumer Zeit lastet ein ziemlich starker Druck auf ihr. Die Frage, wer die bessere Pädagogin sei, Mutter oder Erzieherin, steht irgendwie noch unausgesprochen im Raum. Schon lange spürt Frau Schulte, dass sie selbst und auch ihre ganze Familie an der Erziehungsleistung in Bezug auf Katja gemessen werden. Immer wieder war sie auch deshalb richtig hungrig auf jedes freundliche Wort über ihr Kind. Was sie nun von dem angekündigten Gespräch erwarten soll, weiß sie nicht. Deshalb zögert sie.

Frau Lüffe spürt Frau Schultes Zurückhaltung. Das, was sie Katjas Mutter vorschlägt, zielt jedoch genau darauf, Unausgesprochenes auszusprechen und gegenseitiges Verständnis und Vertrauen herzustellen. Frau Lüffe und Frau Felder haben an einer Fortbildung zum Thema "Erziehungspartnerschaft" teilgenommen und möchten nun an die Umsetzung gehen.

Eltern sind Expertinnen und Experten

Es geht ihnen um Folgendes: In der Fortbildung haben sie sich eine ungewohnte und neue Sichtweise aneignen können. Früher haben Frau Lüffe und Frau Felder, wie viele ihrer Kolleginnen auch, gedacht, es gäbe gegenüber Eltern auch in Erziehungsfragen ein "Richtig" oder "Falsch". Oft haben sie als ausgebildete Pädagoginnen bei Eltern vermeintliches "Fehlverhalten" ausgemacht. Sie haben sich beispielsweise gefragt: "Wieso wird das Kind so unregelmäßig gebracht? Haben die Eltern so wenig Interesse an unseren Vorhaben?" Oder sie haben Vermutungen angestellt wie: "Wahrscheinlich sitzt das Kind abends und am Wochenende ziemlich lange vor dem Fernseher." Manchmal haben sie auch insgeheim kritisiert, wenn eine Mutter ihrem sechsjährigen Sohn immer noch die Schuhe bindet oder ihrer fünfjährigen Tochter die Barbies mit in den Kindergarten gegeben hat. Einer türkischen Mutter haben sie, ohne es wirklich auszusprechen, viel Unverständnis entgegengebracht, weil diese stets die gesamte Öffnungszeit in Anspruch nahm. In allen Fällen haben sie vor allem überlegt, wie sie die Eltern jeweils von der Richtigkeit eines anderen Verhaltens überzeugen könnten.

Sie haben zum Beispiel thematische Elternabende mit den Titeln "Kinder und Fernsehen" oder "Gesunde Ernährung" durchgeführt. Und dann haben sie sich immer wieder geärgert, dass "ausgerechnet die Eltern nicht gekommen sind, die es betrifft". Dass diese Eltern eben deshalb nicht erschienen sind, weil es sie betrifft, darauf sind sie bisher nicht gekommen. Erst in der Fortbildung haben sie in Rollenspielen erleben können, wie es ist, wenn einem als Mutter oder Vater Fehlverhalten vorgeworfen wird. Ist es sowieso schon schwierig, sich öffentlich kritisieren zu lassen, fällt es in besonderem Maße schwer, wenn es um die Erziehung der eigenen Kinder geht. Kinder werden, wie wir gesehen haben8, in vielen Familien immer mehr zum Sinn des Lebens, verknüpft mit vielen Hoffnungen und Erwartungen, auch an den persönlichen Erziehungserfolg. Gleichzeitig nehmen jedoch Unsicherheiten über den "richtigen Erziehungsstil" deutlich zu. Kritik an elterlichem Erziehungsverhalten trifft daher vor allem auch sie selbst. In Zeiten sich ausweitender öffentlicher Diskussion über Erziehungsstile oder spezielle pädagogische Fragen wie etwa der nach dem richtigen Maß von Grenzen und Freiheiten und gleichzeitig großer Zukunftsängste, fühlen sich Eltern um so mehr unter Druck, wenn in ihrem Erziehungsverhalten vermeintlich etwas schief geht.

In der Fortbildung haben Frau Lüffe und Frau Felder natürlich darüber diskutiert, wie sie denn als professionelle Erzieherinnen mit Eltern sprechen könnten. Ihre Sichtweise hat sich vollkommen verändert, als sie sich klar darüber wurden, dass auch Eltern Experten sind, wenn es um ihre Kinder geht. Das war zwar gefühlsmäßig irgendwie vertraut, nur es auch auszusprechen und Eltern wie Experten zu behandeln, das war neu. In der Fortbildung haben sie gelernt, dass Eltern als "Feld-Experten für die Lebenswelt ihrer Familien" betrachtet werden müssen. Über die Beschäftigung mit der systemischen Sichtweise wurde ihn schon vorher klar geworden, dass es dem Kind gut geht, wenn es der ganzen Familie gut geht. Und eben dafür sollten sie von nun an die Eltern als Experten betrachten.

Sie haben einen Text dazu gelesen und eine Stelle daraus hat sich ihnen gut eingeprägt: "Sich klar zu machen, wie vielfältig die täglichen Anforderungen an Eltern sein können und wie viel Kraft und Kompetenz deren Bewältigung kostet, haben wir als sehr hilfreich empfunden. Auf dieser Grundlage haben wir uns aktiv um den Zugang zur Lebenswelt der Familien bemüht. Ganz schnell wurde deutlich, welche Forderungen wir einigen Familien in ihrer Situation nicht stellen können. Bereitwilliger als sonst haben wir in Problemsituationen gemeinsam nach Spielräumen und Alternativen gesucht. Der Schritt in unserem Kopf, ein Problemgespräch mit Eltern als 'Expertengespräch' zu sehen, hat neue Schritte aufeinander zu ermöglicht".9

Frau Lüffe und Frau Felder haben sich gleich vorgenommen, diese Sichtweise in ihre Praxis einfließen zu lassen.

Das gemeinsame Entwicklungsgespräch

So kam es, dass sie allen Eltern ein besonderes Gespräch angeboten haben. Auch in der Vergangenheit gab es natürlich "Elterngespräche". Sie fanden aber nicht regelmäßig statt, sondern immer nur, wenn es etwas, meist Unerfreuliches, zu klären gab, und hatten für beide Seiten stets einen unangenehmen Beigeschmack. So lange wollen die Erzieherinnen nun nicht mehr warten. Im Gegenteil, es sollen von nun an gerade Gespräche sein, die keinen besonderen Grund mehr brauchen. In einem solchen "Gespräch ohne besonderen Anlass" könnten beide Seiten, so die Überlegung der Erzieherinnen, besser üben, sich als Experten zu begegnen und sich partnerschaftlich zu verhalten. Außerdem würden sie viel Interesse an Eltern und ihrer Lebenssituation zeigen, wenn kein aktueller Anlass mehr nötig ist, damit es zu einem Gespräch kommt.

Deshalb haben sie eine Liste angefertigt, auf der über das ganze Jahr Termine verteilt sind. Es sind Termine, an denen sie sich Zeit für die Gespräche nehmen wollen, die sie nun "Entwicklungsgespräche" nennen. Den Erzieherinnen ist sehr daran gelegen, möglichst beiden Elternteilen die Teilnahme zu ermöglichen, daher der lange Terminvorlauf.

Frau Schulte soll sich nun einen passenden Termin aussuchen. Frau Schulte lässt sich erklären, dass es vor allem darum gehe, sich gegenseitig über Beobachtungen des Kindes im Familien- und im Gruppenalltag zu informieren: Was tut es gerne, was nicht? Worüber spricht es? Welche Fragen stellt es? Wie fühlt es sich? Wie hat es sich inzwischen entwickelt? Wenn sie möchte, könnten auch noch folgende Fragen zum Thema werden:

  • Gibt es aus Sicht der Eltern oder Erzieherinnen etwas, worauf sie in Zukunft gemeinsam stärker achten sollten?
  • Wie geht es Eltern und Erzieherinnen selbst? Machen sie sich vielleicht wegen irgendetwas insgeheim Vorwürfe oder sind sie zufrieden mit dem, was sie für das Kind tun?
  • Wenn es eine Seite wünscht, kann die andere auch in Einzelfragen beraten. Zum Beispiel könnten die Erzieherinnen den Rat der Eltern bezüglich Katjas Erkundungsdrang einholen: Was können wir ihr zutrauen? Wie können wir sie darin unterstützen? Außerdem würden sie gerne wissen, wie sich Katja am besten trösten lässt. Aber auch Eltern suchen oft den Rat der Erzieherinnen, z.B. für den Spielzeugkauf oder auch in der "Fernsehfrage".
  • Wenn möglich, können beide Seiten am Schluss auch noch Verabredungen treffen, was sie eventuell verändern wollen.

Enden solle das Gespräch mit einem neuen Termin, zwischen einem halben und einem ganzen Jahr später. Auf diese Weise käme es zu einem regelmäßigen10 Austausch.

Ein oder zweimal im Jahr, das kann sich Frau Schulte gut vorstellen, und auch die möglichen Themen sagen ihr zu. Ihre anfängliche Befürchtung, etwas wäre vorgefallen und es gehe darum, teilt sie den Erzieherinnen ebenfalls mit. Nun fühlt sie sich erleichtert und zeigt ihr Interesse an einem regelmäßigen Austausch.

Erziehungspartnerschaft trotz Konkurrenz

Erziehungspartnerschaft, das ist der Teil der Beziehung zwischen Eltern und Erzieherinnen, zwischen der Familie und der Kindertagesstätte, der sich unmittelbar auf das Kind bezieht. Hier geht es darum, eine vertrauensvolle, nicht unbedingt konfliktfreie, aber auf gegenseitige Achtung und Akzeptanz fußende Zusammenarbeit in Bezug auf das Kind zu entwickeln. Hilfreich sind dabei

  • das Wissen, dass auch Eltern Experten sind, von denen sich professionelle Fachkräfte Hilfe und Unterstützung holen können, und
  • die systemische Sichtweise, die verständlich macht, warum es Kindern gut geht, wenn es der ganzen Familie gut geht und umgekehrt, und dass zum besseren Verständnis der Familiensituation eben die Kompetenz der Eltern benötigt wird.

Erziehungspartnerschaft ist gleichwohl nur ein, wenn auch in der Praxis der wohl wichtigste Aspekt der familienorientierten Zusammenarbeit mit Eltern. Die weiteren Umsetzungsebenen seien der Vollständigkeit halber schon einmal vorweggenommen: Es sind die Ebenen der Beratung und Bildung für Familien, der Mitwirkung von Eltern und Familien in den Angelegenheiten der Kindertageseinrichtung, der selbstorganisierten Eltern und Familienbegegnung (Elternstammtische etc.) und schließlich die übergreifenden Aktivitäten im Stadtteil oder der Gemeinde (Gemeinwesenarbeit).

Die anfänglichen Befürchtungen von Frau Schulte weisen uns aber auch auf Schwierigkeiten hin, die zu befürchten sind. Nicht immer stellt sich ja so ohne weiteres Verständnis und Vertrauen ein. Nicht umsonst bereiten sich auch Erzieherinnen in der Regel sehr intensiv auf Gespräche mit Eltern vor. Sie wollen nichts falsch machen und verspüren nicht selten auch Angst davor, etwas könne dann doch schief gehen. Gespräche ohne Anlass mögen Angst und Befürchtungen etwas reduzieren, aber sie sind auf beiden Seiten auch durchaus berechtigt.

Oft wollen wir es zwar nicht wahrhaben, aber außer dem Wunsch nach Kooperation steht immer auch Konkurrenz zwischen den Erziehungsexperten Eltern und Erzieherinnen. Erst wenn wir versuchen, Konkurrenz einmal ohne Bewertung zu betrachten und ihre Existenz als zwangsläufig anzuerkennen, gelingt es uns, produktiv mit ihr umzugehen. Wieso gehört sie grundsätzlich dazu?

Da ist zunächst einmal die schon beschriebene Tatsache, dass Erzieherinnen bewusst oder unbewusst Zeugen familieninterner Beziehungen und Verhältnisse werden. Kinder erzählen, Erzieherinnen fragen und vermuten. Sie meinen, den Kindern ansehen zu können, was diese vermutlich zu Hause erlebt haben. Umgekehrt begegnen wir demselben Phänomen. Auch Eltern werden Zeugen der Geschehnisse in der Kindertageseinrichtung, auch dann, wenn sie selbst gar nicht hingehen. Auch sie "lesen" diese Informationen im Verhalten ihres Kindes. Tauschen sich beide Seiten nicht ausführlich genug darüber aus, werden aus Vermutungen leicht Festschreibungen.

Aber selbst, wenn der Austausch gelingt, ist Konkurrenz weiterhin vorhanden. Die Frage, wer "richtig" oder "besser" erzieht, schwingt fast immer mit. Und machen wir uns nichts vor: Von keinem Beruf glauben so viele Menschen auch außerhalb des Berufsstandes, ihn ohne weiteres auch selbst ausüben zu können, wie vom Erzieherinnenberuf. Vielleicht fällt es ja, nebenbei bemerkt, Erzieherinnen auch deshalb zuweilen so schwer, ihren Beruf als Profession zu betrachten.

Noch schwerer wiegt allerdings etwas ganz anderes. "Kinder sind schon erzogen!", wenn sie in die Tageseinrichtung kommen, schreibt Reinhart Wolff in einem Artikel mit der Überschrift "Konkurrenz und Kooperation".11 Erzieherinnen sind also Zweiterzieher. Erziehung beginnt ja nicht erst in der Kindertagesstätte. Immer haben Erzieherinnen Vorgänger, die Ersterzieher in der Person der Eltern. Und Reinhart Wolff meint sogar, nicht nur die Kinder, auch die Erzieherinnen würden als Zweiterzieher indirekt miterzogen, indem sie auf Gegebenheiten stoßen, die sie zu akzeptieren haben und auf die sie sich einstellen müssen. Erzieherinnen spüren das auch. Dieses Gefühl, "nur Zweiterzieher zu sein", macht ihnen zu schaffen. Es macht sich zum Beispiel dann Luft, wenn wir in Fallgesprächen allzu schnell bei den Eltern landen und resigniert behaupten, daran könne "man eh nichts ändern".

Zweiterzieherinnen befinden sich in mehrfacher Hinsicht in einem Dilemma:

  • Sie müssen Nähe und Distanz ausbalancieren. Es sind eben nicht ihre Kinder, die sie betreuen. Wie viel Nähe aber und wie viel Distanz wünschen sie sich selbst? Wie viel von beidem lassen die Ersterzieher zu, wie viel können diese aushalten?
  • Zweiterziehung ist zeitlich begrenzte Erziehung. Wofür und wieweit sind Erzieherinnen also wirklich zuständig?
  • Zweiterziehung muss sich notgedrungen an dem messen, was Ersterzieher bereits vorgegeben haben und für selbstverständlich halten. Wie oft hören wir die Klagen, unsere Arbeit würde nicht ausreichend gewürdigt. Warum aber sollten die Eltern das in besonderer Weise hervorheben, was sie als Ersterzieher ohnedies erwarten?
  • Erzieherinnen müssen ein Autoritätsdilemma aushalten. "Erst" kommt eben vor "Zweit" und das "letzte Wort" in Bezug auf das Kind haben natürlich die Eltern.

Erzieherinnen sind als professionelle Fachkräfte allerdings ebenfalls zuständig und zwar in zweierlei Hinsicht: Einmal in Bezug auf ihren eigenständigen Auftrag und zum anderen für die Gestaltung des Kontraktes zwischen ihnen und den Eltern. Sie brauchen sich also nicht als "nur" Zweiterziehende herabwürdigen. Dennoch bleibt der Unterschied. Als der professionelle Teil der Beziehung zwischen Familie und Kindertageseinrichtung müssen sie sich dies bewusst machen. Dann können sie vielleicht besser "aus sich heraus treten" und das Geschehen quasi von außen und mit Überblick betrachten. Kritik oder Nichtbeachtung treffen dann nicht mehr so sehr sie selbst und nicht mehr ihre ganze Person. Sie können nun besser wahrnehmen, dass sich Eltern vielmehr mit ihrer Funktion, nämlich die der Zweiterzieherin, in Konkurrenz befinden. Auf diese Weise kann trotz Konkurrenz eine Beziehung zwischen den Personen aufrechterhalten werden.

Konkurrenz hat ihren Ursprung zuletzt auch in Übertragungen und Projektionen.12 Schieben sich vielleicht eigene Kindheitserfahrungen zwischen die aktuelle Eltern-Erzieherin-Beziehung? Sieht die Erzieherin vielleicht in dem Verhalten der fremden Eltern ihre eigenen, von denen sie Anerkennung wünscht? Die eigene Vergangenheit wirkt über eine Vielzahl von Übertragungen und Projektionen in die Gegenwart hinein. Welche das im Einzelfall sind, kann man am besten über Supervision oder Selbsterfahrung herausbekommen.

Wir sehen also, Konkurrenz ist gar nicht auszuschließen. Ein weiterer Schritt, um neben die Konkurrenz das Prinzip der Kooperation, der Erziehungs-Partnerschaft setzen zu können, ist notwendig.

Die Grundhaltungen: Akzeptanz und einfühlendes Verstehen

Wir müssen lernen, uns mit Einfühlungsvermögen (Empathie) in den anderen hineinzuversetzen und auf diese Weise seine subjektiv positiven Absichten13 zu entschlüsseln. Dann nämlich können wir den anderen auch in einer konkurrenten Beziehung verstehen und akzeptieren.

Das ist einfacher gesagt als getan. Was ist überhaupt Akzeptanz, die wir für uns selbst so selbstverständlich einfordern, die wir aber anderen gegenüber zuweilen nur schwer aufbringen können? Akzeptanz hat nichts zu tun mit Klein-Beigeben oder gar mit Verlieren, sondern ist ein anderes Wort für unbedingte Wertschätzung. Die "ist besser zu verstehen, wenn man sich erst das Gegenteil davon bewusst macht: die 'Bedingte Wertschätzung'. Das ist eine Wertschätzung, die an bestimmte Bedingungen geknüpft wird"14, schreibt Irene Klein. Solche Bedingungen können (natürlich unausgesprochen) sein: "Wenn sie nicht zum Elternabend kommen, lehne ich Sie ab." Oder: "Wenn Sie das und das mit Ihrem Kind machen, sind Sie eine schlechte Mutter." Wir kennen das alle und haben es selbst oft genug am eigenen Leib erlebt.

Unbedingte Wertschätzung hingegen meint: "Du bist gut so, wie du bist. Du musst nicht so sein, wie ich dich gerne haben will. Du machst, denkst und fühlst manches anders, als es mir gefällt oder wie ich es tun würde. Das sage ich dir auch, aber du musst dich deshalb nicht nach mir richten... Ich akzeptiere dich, auch wenn du andere Lösungen findest als ich."15 Unbedingte Wertschätzung lässt also beides zu: Übereinstimmung und zugleich Nichtübereinstimmung, Kooperation und Konkurrenz. Ich kann jemanden achten und wertschätzen, auch wenn ich mit ihm nicht übereinstimme, wenn ich mich erstens in seine Lage hineinversetzen kann (Einfühlung) und zweitens meine Wertschätzung nicht an Bedingungen knüpfe (Akzeptanz). Ich bleibe in diesem Fall ich selbst, verbiege mich nicht und entscheide selbst darüber, was ich verändern werde und was nicht. Ich übernehme Verantwortung für mein Verhalten, nicht aber für das des Anderen. Mehr verlange ich auch nicht vom Gegenüber. Auch er soll stets für sich selbst entscheiden dürfen.

Ich glaube, das kann man üben. Eine gute Gelegenheit dafür sind die Entwicklungsgespräche. Erziehungspartnerschaft beruht eben darauf, dass niemand dem anderen vorschreiben will, was dieser zu tun hat. Partnerschaft schließt Unterschiede mit ein. Sie kann damit umgehen und verschweigt sie nicht.

Natürlich sind Eltern keine Profis, und kaum jemand von ihnen wird schon einmal ein Buch über Kommunikationsformen gelesen haben oder sich bewusst davon leiten lassen. Deshalb kommen Fragen, Bitten oder Wünsche von Eltern bei uns oft als Forderungen an. Wir vermuten dann, Eltern würden ihre Wertschätzung uns gegenüber an Bedingungen knüpfen und antworten "mit den gleichen Waffen". Schnell steht die Frage im Raum: "Wer hat recht?" oder "Wer setzt sich durch?"

Hier erweist sich dann, wie professionell wir uns bereits verhalten können, indem wir zwar sagen, was wir denken, nicht aber die ganze Person ablehnen. Zusätzlich betrachten wir die Situation in einem Perspektivenwechsel von zwei Seiten und können unterscheiden, was unserer Person gilt und was unserer Funktion.

So kann es gehen

Erziehungspartnerschaft beginnt bereits bei Aufnahme und Eingewöhnung.16 Sie kann sich im weiteren Verlauf noch einmal zusammengefasst methodisch ausdrücken in:

  • Dem regelmäßigen Informationsaustausch über das Kind
    Dies ist die Voraussetzung für eine gute Zusammenarbeit. Beim Bringen und Abholen der Kinder können aktuelle Informationen aus der Gruppe und der Familie weitergegeben werden. Bewährt haben sich "Plauderecken" im Gruppenraum - notfalls im Flur - wo Eltern auf einer bequemen Sitzgelegenheit, vielleicht bei einer Tasse Kaffee, etwas verweilen und mit einer Erzieherin oder anderen Eltern ins Gespräch kommen können. Mögliche Befürchtungen von Erzieherinnen, die sich kontrolliert fühlen, und unklare Vorstellungen von Eltern, was von ihnen erwartet wird, lassen sich durch die klare Botschaft abbauen: Erzieherinnen gehen ihrer alltäglichen Arbeit nach, Eltern sind einfach willkommen! Diese einfache Maßnahme beruhigt ganz nebenbei die Bring- und Abholsituation und vermeidet gehetzte Gespräche "zwischen Tür und Angel".
  • Hospitationen von Eltern
    Hospitationen sind auch nach der Eingewöhnungszeit sinnvoll, verändert sich doch ständig etwas in der Gruppe. Am besten wäre, Hospitation und Entwicklungsgespräch zu verbinden.
  • Entwicklungsgesprächen
    Erfahrungen damit zeigen, dass ein, allerhöchstens zwei Entwicklungsgespräche pro Jahr vollkommen ausreichen und dass daran nicht unbedingt immer alle Erzieherinnen teilnehmen müssen. Es dauert ein, maximal zwei Stunden. Weil es (als "Gespräch ohne besonderen Anlass") in einer ruhigen und partnerschaftlichen Atmosphäre verläuft, nimmt auch mit der Zeit die Hemmschwelle ab, ein solches Gespräch mit Eltern alleine zu führen. Auch wenn der Aufwand sehr hoch zu sein scheint (bei 20 Kindern ca. alle 2 Wochen ein Entwicklungsgespräch), er lohnt sich. Von der positiven Wirkung regelmäßiger Gespräche dieser Art wird jede Erzieherin bereits nach einem oder zwei Entwicklungsgesprächen überzeugt sein.
  • Hausbesuchen
    Ebenso wie das regelmäßige Entwicklungsgespräch kann der Hausbesuch ein unspektakulärer Weg sein, den Austausch zu pflegen. Eltern sind gern bereit, Erzieherinnen zu sich nach Hause einzuladen, wenn der Besuch im Klima von Vertrauen und Partnerschaft zustande kommt. Sie wissen das Interesse der Erzieherinnen am partnerschaftlichen Austausch zu schätzen. Natürlich kann der Hausbesuch auch der Ort des Entwicklungsgesprächs sein.

Im nächsten Teil dieser Reihe wird es um die Beziehungen gehen, die zwischen Erzieherinnen und Eltern unabhängig vom Kind unter Erwachsenen bestehen.

Teil 4: Die "familienfreundliche" Kindertageseinrichtung

Schon seit mehr als zwei Jahren beschäftigt sich das Team einer Kindertagesstätte mit einer neuen Herangehensweise an die Elternarbeit. Inzwischen sind Aufnahme und Eingewöhnung von Kindern und ihren Familien ganz anders gestaltet als früher17. Außerdem finden zwischen Erzieherinnen und Eltern regelmäßige Entwicklungsgespräche statt, ab und an hospitieren Eltern in der Gruppe und auch der Informationsaustausch über das Kind klappt inzwischen viel besser18. Die geplanten Hausbesuche kamen indes nicht so gut an.

Nun möchte das Team noch einen Schritt weiter gehen. Leiterin und Erzieherinnen fragen sich, ob damit bereits alle Bedürfnisse von Eltern abgedeckt sind und ob das bisherige Angebot ausreiche, um die Einrichtung als "familienfreundlich" zu bezeichnen.

Eine Mutter hat sie nachdenklich gemacht. In einem Gespräch hatte sie formuliert: "Als Frau interessiere ich euch eigentlich gar nicht richtig, In euren Augen bin ich nur Mutter, und euer Interesse an mir ist bestenfalls indirekt über mein Kind."

Dazu kommt es im Team zu einer spannenden Diskussion. Klar ist, dass sich die Zusammenarbeit mit Eltern überwiegend auf das jeweilige Kind beziehen muss. Die Unterstützung der ganzen Familie soll dazu beitragen, dass es dem Kind zu Hause und in der Kindertagesstätte gut geht. Das, so die Kolleginnen im Team, sei ja schließlich auch ihr Auftrag und mache ihre berufliche Rolle innerhalb der Jugendhilfe aus.

Die Schwierigkeit tritt aber dort auf, wo es darum geht, zwischen Erzieherinnen- und Sozialarbeiterinnenrolle zu trennen. Ein verzwicktes Problem! Denn, wenn ich mir z.B. die Sorgen und Nöte am Arbeitsplatz oder die persönlichen Zukunftswünsche und damit verbundenen Ängste von Müttern und Vätern anhöre und mich dafür zuständig fühle, könnte ich ja der Familie und damit dem Kind nutzen. Andererseits fragen sich alle, ob sie denn dafür überhaupt zuständig und ausgebildet wären.

Sich für die Lebenslage der ganzen Familie zu interessieren und diese mit dem Blick auf das Kind zu berücksichtigen, das sei schon anspruchsvoll genug, sagen die meisten schließlich. Was darüber hinaus gehe, wie etwa Beratungsgespräche in besonderen Lebenslagen, könne ja auch gut an andere weiter vermittelt werden.

Und dann steht plötzlich die Frage im Raum, ob in dieser Haltung nicht die Gefahr eines Abgleitens in alte Muster wie "Elterngespräche nur, wenn es sein muss" läge. Das Team hat bereits zu viele positive Erfahrungen damit gemacht, die Zusammenarbeit mit Eltern aus eigenem Antrieb heraus aktiv zu gestalten. Nein, zurückfallen auf alte Muster wollen sie nicht. Außerdem trauen sich die Erzieherinnen inzwischen noch mehr unterstützende und familienbereichernde Angebote zu. Je offener das gegenseitige Verhältnis zu den Eltern geworden ist, umso mehr Informationen haben die Erzieherinnen über die Lebenswirklichkeit der Familien erhalten und spüren nun das Bedürfnis, ihre Angebotspalette auf Erweiterungsmöglichkeiten hin zu überprüfen.

Eine Kollegin macht schließlich einen praktikablen Vorschlag: Sie sollten doch erst einmal versuchen herauszubekommen, was Eltern sich eigentlich selbst von der Kindertagesstätte wünschen. Darüber wüssten sie bislang noch viel zu wenig. Über sicherlich notwendige Grenzen müsse man sich danach verständigen.

Aufbruch ins Ungewisse

Diesen Vorschlag greifen alle auf. Die Erzieherinnen möchten mit Hilfe einer Elternbefragung herausfinden, wie weit sich im Alltag der Einrichtung eine Orientierung an der Lebenswirklichkeit der Familien bereits durchgesetzt hat. Sie sind sogar bereit, von dieser Warte aus ihre eigene Arbeit von Eltern bewerten lassen. Außerdem möchten sie nach bisher nicht ausreichend berücksichtigten Bedürfnissen und Wünschen von Eltern fragen.

Hier betritt das Team echtes Neuland und stellt sich Fragen wie "Was, wenn wir nicht alle Bedürfnisse befriedigen können? Eltern erwarten doch, dass ihre Wünsche auch erfüllt werden, wenn wir danach fragen" - "Wie gehen wir denn damit um, wenn Eltern unsere Arbeit sehr kritisch sehen?".

Diese Fragen zeigen berechtigte Ängste, die erst einmal bearbeitet werden müssen, bevor man tatsächlich an die Befragung der Eltern geht. Festzustellen sei aber, meint Frau Kiel, die Leiterin, Eltern fühlten sich durch das bis jetzt Erreichte schon jetzt mehr wahrgenommen als früher, und das sei eine gute Grundlage, um das Wagnis einzugehen. Denn, so fährt sie fort: "Wer schon einmal Wertschätzung durch uns erfahren hat, fühlt sich nicht gleich als ganze Person zurückgewiesen, sondern nur in Bezug auf ein konkretes Anliegen, wenn nicht alle Wünsche auf einmal erfüllt werden können."

Bisher sind die Erzieherinnen fast immer mit bereits fertigen Vorschlägen an Eltern herangetreten. Die nun anstehende Elternbefragung ist etwas ganz anderes. Sie ist Ausdruck einer offenen Fragehaltung und damit ein auch Aufbruch ins Ungewisse. Sie gelingt nur, wenn echtes Interesse an den Rückmeldungen von Eltern vorhanden ist, und setzt die Bereitschaft voraus, das Ergebnis, unabhängig davon, wie es ausfällt, zur Grundlage eines Veränderungsprozesses zu machen. Das "Wir reden mal darüber" reicht nicht aus. Es müssen Taten folgen. Die Befragung steht erst am Anfang eines Prozesses, dessen Ergebnis noch niemand genau kennt.

Dieser Bereitschaft müssen sich alle Teammitglieder zunächst vergewissern. Und das brauchte Zeit. Orientierung liefert in solch einem Prozess die Klarheit über eigene Ziele und Grenzen. Es handelt sich um einen offenen Dialog, in dem nicht ausschließlich den Eltern die Initiative übertragen werden soll, in den sie jedoch als anerkannte Partner einbezogen sind. Sich dabei bewusst auf die konzeptionellen Grundlagen und institutionellen Rahmenbedingungen der Einrichtung zu beziehen, ist wichtig, weil es die notwendige Sicherheit und einen Orientierungsrahmen bietet. Gleichzeitig aber darf daraus kein Dogma werden. Auch Ziele und Grenzen lassen sich differenzieren, neu bewerten und schließlich verändern.

Die Elternbefragung

Das Team listete zunächst auf, was eine Elternbefragung bewirken kann:

  • Sie signalisiert deutlicher als vieles andere, dass das Team in den Eltern ebenfalls Experten und Partner sieht, die etwas über ihre Familien und die Kindertagesstätte zu sagen haben.
  • Durch sie zeigt das Team Interesse an Kritik und Lob der Eltern und damit an ihren Familien. Es weicht auch kritischen Sichtweisen nicht aus, sondern nutzt diese zum Nachdenken und schließlich zur Verbesserung des eigenen Angebots.
  • Das Team bringt damit den Erlebnisinhalten von Eltern eine hohe Wertschätzung entgegen.
  • Sie kann dem Team helfen, eingefahrene Pfade zu verlassen und den Blick für neue Sichtweisen und Ideen öffnen.
  • Sie verhilft dem Team dadurch zu tieferem und umfassenderem Verständnis der Beziehungen zwischen Eltern und Erzieherinnen.

Einen brauchbaren Vorschlag für einen Fragebogen finden die Erzieherinnen in einem Buch19. Auch den dort abgedruckten Vorschlag für ein Anschreiben zum Fragebogen finden die Erzieherinnen gut. Leicht verändert lautet ihr Brief an die Eltern schließlich:

"Liebe Eltern!
Ihr Kind kommt nun schon einige Zeit zu uns, und Sie haben unser Haus und unsere Arbeit kennen gelernt. Wir wünschen uns, dass Sie sich wohl fühlen und Ihr Kind bei uns in guten Händen wissen.
Um herauszufinden, ob wir nicht noch einiges verbessern können, möchten wir Sie über Ihre Eindrücke befragen. Was finden Sie gut? Was möchten Sie ändern? Sicher kostet es etwas Mut, auch Kritik zu äußern. Aber ohne Kritik kann sich auch nichts verbessern.
Außerdem interessiert uns, wie wir Sie selbst und Ihre Familien im Rahmen unserer Möglichkeiten noch besser unterstützen können. Welche Angebote würden Sie z.B. begrüßen?
Für Ihre ehrlichen Antworten sind wir Ihnen dankbar. Wir bitten Sie, wenn möglich, den Fragebogen gemeinsam auszufüllen. Natürlich werden wir Sie über das Ergebnis unserer Umfrage informieren."

Der Fragebogen wird den Eltern mit dem Begleitschreiben beim Bringen und Abholen persönlich überreicht. Insgesamt hat sich das Team drei Monate Zeit gegeben, um den Fragebogen auszuteilen, wieder einzusammeln, auszuwerten und mit Eltern zu besprechen.

Der Fragebogen, in dem die Eltern unter jeder Frage ankreuzen konnten "stimmt / stimmt nicht / teils-teils", gestaltet sich schließlich folgendermaßen:

  1. Das Aufnahmegespräch hat mir und meinem Kind einen guten Einstieg gegeben.
  2. Ich habe viel Interesse an unserem Kind gespürt.
  3. Mein Kind und ich werden in der Gruppe immer begrüßt und verabschiedet.
  4. Die Mitarbeiterinnen machen sich viele Gedanken um die Arbeit mit Kindern.
  5. Ich fühle mich gut informiert.
  6. Meine Meinung, meine Erfahrungen, mein Wissen werden hier ernst genommen und bei gemeinsamen Überlegungen für mein Kind einbezogen.
  7. Meine Erfahrungen und mein Können sind bei der Mitarbeit in der Einrichtung gefragt.
  8. Ich fühle mich verstanden, auch, wenn es mal Schwierigkeiten gibt.
  9. Kritik äußere ich besser nicht.
  10. Ich habe den Eindruck, dass die Mitarbeiterinnen mir manchmal nicht offen gegenübertreten.
  11. Die Mitarbeiterinnen sprechen mit mir auch über das, was in der Gruppe nicht so gut läuft.
  12. Ich bin froh, dass mein Kind hier gut untergebracht ist.
  13. Es gibt die Möglichkeit, mit anderen Eltern ins Gespräch zu kommen.
  14. Die Mitarbeiterinnen zeigen Interesse an meiner ganzen Familie. Sie wenden sich nicht nur an Mütter, sondern auch an Väter, Geschwister, Großeltern.

Am Ende sollen die Eltern noch auflisten, was sie sich für eine partnerschaftliche Zusammenarbeit noch wünschen, was ihnen nicht gefällt und welche zusätzlichen Angebote sie durch das Team und die Einrichtung wünschen. Der Fragebogen schließt mit der Abschlussfrage: "Was können wir sonst noch für Sie tun?"

Einen ganz ähnlichen Fragebogen haben die Kolleginnen zuvor im Team auch selbst ausgefüllt. Ihre fünfte Frage an sie selbst lautete z.B. "Wir informieren Eltern gut. Stimmt oder stimmt nicht?" Die Erzieherinnen haben dabei festgestellt, dass sie ganz unterschiedliche Vorstellungen davon besitzen, was denn unter guter Information zu verstehen ist und sind nun ganz gespannt auf die Antwort der Eltern.

Ergebnisse der Elternbefragung

Insgesamt haben etwa 65% der Eltern den Fragebogen ausgefüllt. Die Ergebnisse der Befragung sind schließlich ebenso informativ wie auf den ersten Blick verwirrend. Z.B. spüren die meisten Eltern viel Interesse an ihrem Kind, waren mit dem Aufnahmegespräch und der Eingewöhnung sehr zufrieden und meinen auch, dass sich die Mitarbeiterinnen viele Gedanken um die Arbeit mit Kindern machen. Gleichzeitig aber fühlen sich die meisten Eltern schlecht informiert, nicht immer persönlich genug begrüßt und halten auch sich mit ihrer Kritik eher zurück. Man spürt, dass die Eltern den Erzieherinnen einerseits viel Vertrauen entgegen bringen, sich selbst aber noch ein wenig außen vor sehen.

Das spiegelt sich auch in den Wünschen wider. Fast alle Eltern freuen sich am meisten über Informationen zum Tagesablauf der Kinder. Viele Eltern wünschen sich auch, mehr über die pädagogischen Ziele und Wege der Einrichtung zu wissen, andere möchten offener mit strittigen Fragen umgehen können wie etwa "Ernährung", "Sicherheit", "aggressive Kinder" oder "Schulvorbereitung". Einige wünschen sich manchmal einfach einen Rat in Erziehungsfragen.

Dieses Ergebnis überrascht die Erzieherinnen. Sie hatten befürchtet, stärker kritisiert zu werden. Die Anerkennung, die in den Antworten und Wünschen steckt, macht ihnen nun Mut, sich nun auch den ungewohnten Vorschlägen von Eltern zu stellen. Eltern wünschen sich beispielsweise

  • eine Babysitter-Vermittlung,
  • mehr themenbezogene Gesprächsrunden,
  • die Möglichkeit, die Turnhalle für Familienfest zu nutzen,
  • einen Elternstammtisch,
  • nicht so starre Öffnungszeiten,
  • eine bessere Koordination der Schließungszeiten mit anderen Einrichtungen,
  • dass mal jemand vom örtlichen Turnverein in die Einrichtung kommt,
  • einen Gemüsegarten für die Kinder,
  • mehr Waldspaziergänge,
  • die Bearbeitung von Themen wie Ameisenhaufen, Arzt, Polizei,
  • einen Computer für jede Gruppe,
  • spannendere Elternabende, auf denen man sich selbst mehr einbringen kann.

Erstaunt sind die Erzieherinnen auch über einige Angebote von Eltern. Danach hatten sie ja gar nicht gefragt. Ein Großvater bietet "Geschichtenstunden" an, ein Vater würde gerne eine Fußballmannschaft aufstellen, eine Mutter hätte Lust, einmal mit in Freizeit zu fahren, eine Vater wünscht sich mehr Austausch mit anderen Vätern und erklärt sich bereit, dies zu organisieren.

Aber, es gibt auch Beschwerden, z.B.: "Extreme Kinder werden zu locker gehandhabt, sie haben zu viele Möglichkeiten, die Harmonie der Gruppe zu stören."20

Die Ergebnisse der Befragung werden mit einigen Eltern gemeinsam ausgewertet, schriftlich zusammengefasst und an alle Eltern verteilt. Die Zusammenfassung gliedert sich auf in:

  • Gesamtbewertung,
  • Anregungen, Fragen, Angebote von Eltern,
  • Veränderungswünsche von Eltern,
  • Konsequenzen aus der Elternbefragung.

Alle wissen, dass nicht alles sofort umgesetzt werden kann, ja, dass manches gar nicht gehen wird. Dennoch, von nun an ist das Verhältnis zwischen Eltern und Erzieherinnen offener, direkter, ehrlicher. Und: einiges wird sich in der Folgezeit verändern, dafür garantieren die Erzieherinnen.

Fünf Planungs- und Angebotsebenen in der Familienarbeit

Mit Hilfe von fünf Planungs- und Angebotsebenen der Familienarbeit werden alle Ergebnisse der Umfrage im Team geordnet. Die fünf Ebenen sind:

  1. Erziehungspartnerschaft
    Hierbei geht es um die konkrete Gestaltung der Zusammenarbeit der Erwachsenen in Bezug auf die Entwicklung des jeweiligen Kindes, z.B. durch das Aufnahmegespräch, die Eingewöhnungszeit, Hospitationen, regelmäßige Entwicklungsgespräche, Hausbesuche und im Abschlussgespräch.
  2. Beratung und Bildung
    Dies bezieht sich auf Unterstützungsangebote in einem allgemeineren Verständnis sowie Angebote zur Entlastung und Kompetenzvermittlung in der Erziehungs- und Erwachsenenrolle der Eltern, z.B. Informationen über psychosoziale Dienste, Bildungs-, Kultur- und Freizeitangebote im Umfeld, Babysitter-Vermittlung, Beratung bzw. Vermittlung zu Beratungsstellen oder themenbezogene Elternabende, auch mit Referenten.
  3. Mitwirkung der Eltern und Familien
    Sie macht die Interessen und Kompetenzen der Eltern zum Gegenstand der pädagogischen Arbeit in der Gruppe und sieht die Kindertagesstätte als Ort der Begegnung und Mitgestaltung der Familien, z.B. praktische Mitarbeit im Alltag, in Projekten und besonderen Vorhaben (Kleingruppenarbeit, Exkursionen, Werkstatt, Gemüsegarten usw.), Eltern-Kind-Nachmittag, Väter-Kinder-Treff, einen Familienclub, Feste und Feiern, Flohmärkte oder Basare, Ausflüge und Freizeiten und im Elternbeirat.
  4. Selbstorganisierte Eltern- und Familienbegegnung
    Hier wird den Eltern der Raum zum Austausch über ihre Lebenslagen und -erfahrungen gegeben, wenn erforderlich auch mit Kinderbetreuung. Möglich ist auch, die Einrichtung für Familienfeiern zur Verfügung zu stellen. Für ihre Aktivitäten in der Einrichtung kann ihnen der Schlüssel übergeben werden. Elternstammtische können ebenso selbstorganisiert sein wie handwerklich-musische Gruppen (Töpfern, Kochen, Theater usw.) oder Selbsthilfegruppen (Alleinerziehende, Frauentreff).
  5. Gemeinwesenarbeit
    Sie öffnet die Einrichtung nach außen, bezieht Familien aus dem Stadtteil in die eigene Arbeit ein und versteht die Kindertagesstätte als aktiven Teil in der Vernetzung der sozialen Infrastruktur, z.B. durch Stadtteilfeste oder die Vernetzung mit Vereinen u.ä.

Was die Erziehungspartnerschaft angeht, ist das Team schon weit fortgeschritten.21 Von den übrigen Umsetzungsebenen scheinen viele gar nicht so schwer zu verwirklichen. Die Babysitter-Vermittlung ist schon bald eingerichtet, die Turnhalle wird für Familienfeste zur Verfügung gestellt22 und auch ein Elternstammtisch hat schon bald ein erstes Treffen hinter sich. Mit der Fußballmannschaft dauert es etwas länger, aber irgendwann steht sie auch. Sehr großen Anklang findet der Vorschlag für ein "Väter-Kinder-Treffen" einmal pro Monat am Samstagvormittag. Bei all diesen Punkten war es eigentlich nur nötig, Mütter und Väter persönlich anzusprechen und ihnen bei der Organisation zu helfen. Vieles davon wurde von Frau Kiel, der Leiterin, übernommen.

Etwas mehr Schwierigkeiten bereiten dem Team die themenbezogenen Elternabende. Hier fühlen sie sich noch unsicher. Aber man muss ja nicht gleich mit einem Thema aufwarten wie etwa: "Umgang mit Aggressionen" oder "Aufsichtspflicht im Spiegel der Selbständigkeitserziehung". Es reicht, sich erst einmal ein "Feierabendgespräch" zum Thema: "Welche Fragen stellen wir uns mit unseren Kindern?" vorzunehmen. Dazu können alle etwas beitragen. Langfristig sollen aber auch Themen angeboten werden, für die spezielle Fachleute als Referentinnen notwendig sind.

An den übrigen Themen arbeitet das Team weiter. In einer Supervision geht es um die Konflikt- und Streitkultur in der Einrichtung. Ein Vater hat Kontakte zu einer Computerfirma aufgenommen und könnte billig drei ausgediente ältere Computer besorgen. Weil sich das Team in diesem Punkt noch nicht einig ist, wird die Anschaffung der Computer zunächst verschoben. Zuletzt wird mit Hilfe des Vaters ein neuer PC statt drei alter angeschafft. Andere Punkte stehen auch nach einem weiteren Jahr noch auf der Warteliste.

Eine Richtung, in die weitergearbeitet werden kann

Was hat die Fragebogenaktion ausgelöst? Zusammenfassend kann man sagen, sie hat dem Team eine Richtung angegeben, in der weitergearbeitet werden kann. Im offenen Ausgang dieses Unternehmens liegt ihr besonderer Wert. Es geht eben darum, mit den wirklichen Eltern vor Ort zu sprechen und herauszufinden, wie für sie eine "familienfreundliche" Kindertageseinrichtung konkret aussehen kann. Mittlerweile liegen auch Qualitätsstandards zur "Familienfreundlichkeit" vor23. Statt aber Antworten zu geben, werden dort Fragen gestellt, mit deren Hilfe Umsetzungsformen gefunden werden können, die tatsächlich vor Ort passen. Auch das kann jedoch einen unmittelbaren Dialog mit Eltern nicht ersetzen.

Wirkliches Interesse an den Bedürfnissen von Eltern und Familien ist die Voraussetzung. Eltern sind in diesem Prozess Erwachsene, um deren Rat wir nachfragen. Wir begegnen ihnen dabei auf der Erwachsenenebene. Indem der Ausgang offen gehalten wird, machen wir deutlich, dass nicht alles bereits vorausgeplant und festgelegt ist. Eine solche Haltung ermutigt einerseits zur Mitarbeit, fordert andererseits mehr Flexibilität, Offenheit und Ideenreichtum.

Teil 5: Bei allen Schwierigkeiten im Alltag, etwas geht immer!

Die Kindertagesstätte, in die Familie Schultes Tochter Katja geht, hat Besuch. Fünfzehn Erzieherinnen aus anderen Einrichtungen möchten sich über die Erfahrungen informieren, die dort während der letzten drei Jahre in der Zusammenarbeit mit Eltern gesammelt werden konnten24.

Herr und Frau Schulte, Katjas Eltern, haben sich bereit erklärt, an dem Treffen mitzuwirken und die Veränderungen aus Elternsicht darzustellen. Katjas Erzieherinnen, Frau Lüffe und Frau Felder, beschreiben ganz konkret, wie sehr sich ihre Arbeit erleichtert hat, seit die Zusammenarbeit mit Eltern nicht mehr länger als lästiges Anhängsel betrachtet wird, sondern als zweites Standbein ihrer Arbeit. Frau Kiel, die Leiterin, ergänzt, dass sie den Eindruck habe, die Zusammenarbeit mache inzwischen sogar großen Spaß.

Für die Gäste ist es noch etwas ungewohnt, in Anwesenheit von Eltern über "Elternarbeit" zu sprechen. Erst nach und nach tauen sie auf und kommen mit der Situation zurecht. Frau Schulte ist es, die dafür sorgt, indem sie das Zögern anspricht und von ihrem ersten gemeinsamen Seminar mit Erzieherinnen und Eltern berichtet. Da hätte es auch eine ganze Zeit gedauert, bis die gegenseitigen Unsicherheiten abgelegt waren und man miteinander ins Gespräch gekommen sei. Auch Herr Schulte ermutigt die Gäste ihre Bedenken und Fragen ohne Zögern zu äußern.

Wenn Eltern angeblich kein Interesse zeigen

"Bei uns zeigen viele Eltern gar kein Interesse an unserer Arbeit. Sie kommen nicht zu Elternabenden, platzen zu ganz unpassenden Zeiten einfach in die Gruppe rein oder bringen ihre Kinder nicht pünktlich, obwohl..." "... es ihnen schon oft gesagt wurde", vervollständigt Frau Felder den Satz eines Gastes. An dieses Gefühl, Eltern würden gar nicht wahrnehmen, was Erzieherinnen alles für sie und ihre Kinder tun, kann auch sie sich noch lebhaft erinnern.

So hätte sie früher selbst z.B. häufig mit großem Unverständnis und Ärger reagiert, wenn Eltern ihre kranken Kinder "einfach abgegeben haben". Jedenfalls sei ihnen das so vorgekommen. Und was hätten sie den Eltern damals nicht alles unterstellt: Desinteresse, Gleichgültigkeit, Egoismus usw.

"Dabei wussten wir als Eltern am Anfang wirklich nicht, was die Einrichtung leisten kann und was nicht. Die inneren Mechanismen so einer Kindergartengruppe waren uns doch ganz fremd. Erst nachdem wir hospitiert haben, haben wir uns davon einigermaßen ein Bild machen können und haben den Erzieherinnen geglaubt, dass sie unsere kranke Tochter nicht so gut betreuen konnten, wie es bei uns zu Hause möglich war.", fährt Katjas Mutter fort. "Mir hat damals besonders geholfen, dass ich Interesse und Verständnis für meine Arbeitssituation gespürt habe", meint Herr Schulte, "auch, wenn Ihr damals letztendlich nicht klein bei gegeben habt und wir Katja zu Hause pflegen mussten. In Eurem Zuhören schien mir viel Interesse zu liegen. Das war etwas ganz anderes, als einfach abgeblockt zu werden."

Ein gutes Beispiel dafür sei auch die häufige Frage nach verlorengegangen Kleidungsstücken. Auch da sei die Strategie der Erzieherinnen stets gewesen, Eltern erst einmal zuzuhören, selbst Interesse zu zeigen, dann Hilfe im Rahmen der Möglichkeiten anzubieten ("Wir suchen noch einmal nach"), auch über die eigenen Möglichkeiten noch einmal nachzudenken, schließlich aber, wenn nötig, doch deutlich zu machen, wie es bei aller Aufmerksamkeit dennoch passieren kann, dass einmal etwas verloren geht.

"Einmal haben sich solche Vorwürfe in einer anderen Gruppe regelrecht gehäuft", ergänzt Frau Kiel, "da musste das zum Thema gemacht werden". Damals hätten die Kinder eine einfache Lösung gefunden, nämlich über einen Garderobendienst wie im Theater, mit Garderobenmärkchen und Spielgeld.

"Wunderbar!", sagt Herr Schulte, "das Beispiel zeigt doch wirklich, worauf es ankommt, damit überhaupt nach kreativen Lösungen gesucht werden kann, nämlich statt abzublocken, sich so gut es geht einzulassen."

Das gehe aber doch nicht immer, kontern die Gäste. Nicht immer, aber immer öfter, lautet die Antwort. Auch, wenn es nicht für alles eine Lösung gibt, wichtig ist aber, Eltern ihre Bedürfnisse nicht abzusprechen, sondern zu achten, und nicht zu verlangen, dass Eltern mit den internen Strukturen einer Kindertageseinrichtung vertraut sein müssen. Auch in dieser Kindertagesstätte habe es zwei bis drei Jahre gedauert, bis man das Zuhören richtig gelernt habe. Ganz besonderen Anteil daran hätten die regelmäßigen Hospitationen und Entwicklungsgespräche25 gehabt.

Wenn Eltern nicht zu Elternabenden kommen

Und wie stehe es um die Teilnahme an den Elternabenden? "Darüber machen wir uns schon lange keine Gedanken mehr. Erstens sind sie wirklich besser besucht, seit wir die Themen gemeinsam mit Eltern festlegen und relativ offen da rein gehen. Zum anderen gibt es darüber hinaus schon lange auch andere Formen wie etwa die Feierabendgespräche oder gesonderte Vätertreffen. Entscheidend war aber wohl, dass wir einfach aufgehört haben, den Eltern Desinteresse zu unterstellen. Kam jemand nicht, sind wir von uns aus auf diejenige zugegangen und haben sie ohne jeglichen Unterton oder Vorwurf informiert. Das halten wir übrigens grundsätzlich so. Wir glauben, dass wir für die Gestaltung der Beziehung verantwortlich sind, nicht die Eltern. Deshalb erzählen wir auch ungefragt sehr viel und sehr oft. Mit der Zeit haben die Eltern wohl unser Interesse gespürt und wurden selbst mutiger. Ganz deutlich war das bei unseren ausländischen Eltern."

Die Grundhaltung wird klar: Eltern bestimmen selbst, wie hoch ihr Interesse an den Belangen und Angeboten der Einrichtung ist. Das gilt es zu akzeptieren statt anzuprangern. Schließlich soll sich die Kindertageseinrichtung an den Lebenslagen der Familien orientieren und nicht umgekehrt.

Paradoxerweise nehmen Eltern sowieso mehr Anteil am Leben der Kindertagesstätte, je weniger Erzieherinnen darauf pochen. Von sich aus aktiv auf Eltern zugehen, lautet die Zauberformel. Und dies mit einer Wertschätzung, die an keine Bedingungen geknüpft wird26. Mit dem Interesse verhält es sich wie mit der Freiheit: "Als ich Gefangener war in deinem Hause und die Türen verschlossen waren, plante mein Herz ständig zu fliehen. Jetzt, da du Türen und Fenster geöffnet hast, bleibe ich. Mit meiner Freiheit hast du mich gebunden." meint der indische Weise Rabindranath Tagore.

Frau Kiel führt noch einen weiteren Punkt an. Früher, so sagt sie, hätten Eltern, die nicht zu Elternabenden gekommen seien oder sich auch sonst dem Anschein nach wenig interessiert hätten, auch als Projektionsflächen für Erzieherinnen herhalten müssen. Auf sie hätte man alles abladen können, was einen an den Eltern geärgert habe. Die dabei entstandenen Bilder konnten selten wieder revidiert werden.

"Man muss aber auch sagen, dass Ihr die Elternabende heute wirklich ganz anders gestaltet als noch vor zwei Jahren.", ergänzt Frau Schulte, "Ihr haltet keine Vorträge mehr, sondern geht mit offenen Themen in den Elternabend. Da hat man das Gefühl, wirklich gefragt zu werden. Und ich kann es auch leichter akzeptieren, wenn Ihr eine andere Meinung habt wie ich, wenn ich merke, die steht nicht schon von Beginn an fest. Außerdem habt Ihr gute Ideen. Richtig toll fand ich z.B. die letzte Elternbeiratswahl."

Darüber möchten die Gäste nun Genaueres erfahren. Statt der üblichen trockenen Wahl hatte jedes Elternteil einen Zettel bekommen. Auf ein Zeichen hin, sind dann alle aufgestanden, zu jemanden, den sie wählen wollten, hingegangen und haben ihm oder ihr einfach den eigenen Zettel in die Hand gedrückt. Dabei war es untereinander gleich zu einer Reihe von Gesprächen gekommen und schließlich hatte jemand die meisten Zettel. "Wir nennen das den 'aktivierenden Elternabend'.", sagt Frau Kiel und gibt dazu noch zwei Literaturtipps.27

Wenn Eltern ängstlich sind

"In unserer Gruppe beschweren sich Eltern immer wieder, dass Kinder schmutzig sind, wenn sie abgeholt werden. Wir erklären den Eltern dann, dass das Matschen zu unserem Konzept gehört und den Kindern wichtige Erfahrungen ermöglicht. Aber die Eltern geben sich damit nicht zufrieden." "Bei uns sind es vor allem Streits und Verletzungen, die die Eltern auf die Barrikaden bringt. Da helfen alle Erklärungen nichts. Da spielen zu viele Emotionen und Ängste mit." So zwei weitere Einwände.

"Hier muss man die Antwort auf mindestens drei verschiedenen Ebenen suchen, entgegnet Frau Kiel.

  • Zunächst müssen wir uns fragen, inwieweit wir nicht auch selbst mit unseren Gefühlen beteiligt sind. Streit, Leid, Verletzungen anderer wecken auch Erinnerungen an selbst ertragenen Schmerz, vor dem wir Kinder nun bewahren wollen. Männer und Frauen reagieren an dieser Stelle aber höchst unterschiedlich, Eltern und Erzieherinnen ebenfalls und schließlich auch Erzieherinnen untereinander. Erst, wer sich dessen bewusst ist, dass ein Teil des Problems in ihm selbst liegt, kann sich den Gefühlen anderer zuwenden, weil er nun zwischen eigenen und fremden unterscheiden kann.
  • Emotional am stärksten betroffen sind die Eltern. Sie haben natürlich vor allem ihr eigenes Kind und nicht die ganze Gruppe im Blick und befürchten, dass ihr Kind nicht ausreichend beschützt würde. Sie kennen selten die Zusammenhänge aus dem Alltag der Kindertageseinrichtung und fühlen als Eltern sicher auch stärker mit ihrem Kind, als dies Erzieherinnen tun. Eltern können deshalb die Situation aber auch mit weniger Distanz betrachten als Erzieherinnen.
    Wenn nun eine besorgte Mutter oder Vater erklärt bekommt, wie sich alles verhält, hilft das kaum weiter. Gefühle bekommt man nicht mit dem Kopf "in den Griff". Hier hilft nur einfühlendes Verstehen weiter.
    Frau Felder erläutert, wie das aussehen kann: "Wenn Eltern mich auf Schrammen oder blaue Flecken ihrer Kinder ansprechen, antworte in meist: Ich sehe, dass sich die Kinder streiten. Ich stehe keinesfalls teilnahmslos daneben, schaue auch nicht weg, und es findet auch nicht hinter meinem Rücken statt. Auch ich spüre den Impuls zu helfen. Andererseits weiß ich, dass Kinder auch die Erfahrung brauchen, im Streit aus eigener Kraft zu bestehen, Schmerzen auszuhalten oder Leid zu ertragen. Ich versuche also, bewusst auszubalancieren, wo ich Kinder eigene Erfahrungen machen lasse und wo sie meinen Schutz brauchen. Vielleicht kann ich es als Erzieherin etwas leichter aushalten, wenn Kinder sich streiten, wie Sie als Mutter. Bei meinem eigenen Sohn fällt es mir ja auch schwerer. Ich kann Sie deshalb gut verstehen, wenn Sie einen Schreck bekommen und nachfragen. Ich bin auch froh, dass Sie das tun, damit wir darüber ins Gespräch kommen."
    Dann erzählt Frau Felder noch, dass sie gerne zu Vereinbarungen mit besorgten Eltern kommt, z.B. könnten beide sich häufiger darüber austauschen, wie das betreffende Kind solche Situationen erlebt und welche Handlungsstrategien es dabei entwickelt.
    Was den Schmutz angeht, könne man ähnlich reagieren, meint Frau Lüffe: Interesse zeigen und gleichzeitig den eigenen Standpunkt erläutern, aber ohne zu verlangen, dass dieser jedes Mal übernommen wird. "Man muss auch mal etwas stehen lassen können.", schließt sie ab.
  • Die dritte Ebene ist die des Handelns. Gerade dort, wo Gefühle eine Rolle spielen, lässt sich niemand mit Worten abspeisen und seien sie auch noch so einfühlsam und gut gemeint. Beruhigung tritt erst ein, wenn ich spüre, dass auch etwas getan wird.
    Wie das aussehen kann, beschreiben Herr und Frau Schulte anschaulich: "Als Katja damals immer eine total verdreckte Hose an hatte, wenn ich sie abgeholt habe, hatte Frau Lüffe einen guten Tipp parat. Ich habe daraufhin gleich eine Latzhose aus Plastik für Katja gekauft. Darin wurde sie selbst nicht mehr nass, und die Plastikhose brauchte ich abends nur unter die Dusche zu halten und sie war wieder sauber." "Und mir war unheimlich wichtig, dass Ihr das Vätertreffen organisiert habt, als ich mich einmal darüber beschwerte, dass Väter so am Rande stehen. Dass Ihr so schnell gehandelt habt, hat mir wirklich imponiert. Bei dem Treffen konnte ich mich mit anderen Vätern austauschen und viele Fragen loswerden."

Wenn Eltern etwas fordern

"Wenn man Vorschläge von Eltern als Forderungen wahrnimmt, ist man doch selbst schuld. Meistens werden aus Fragen doch erst Forderungen, wenn wir Eltern das Gefühl geben, dass auf ihre Wünsche wenig Resonanz erfolgt", behauptet Frau Felder. An dieser Stelle erntet sie regen Widerspruch aus den Reihen der Gäste. Und auch Herr Schulte meint, dass er schon auch erwartet habe, dass verwirklicht wird, was er sich wünscht.

"Ich glaube, alle haben recht.", beruhigt Frau Kiel. Natürlich erwartet derjenige, der sich etwas wünscht, dass es auch in Erfüllung geht. Frau Kiel vermutet, dass es erst eines längeren Prozesses bedarf, bis beide Seiten gelernt hätten, mit unerfüllten Erwartungen zurecht zu kommen. Voraussetzung sei dafür genügend Vertrauen. "Denn meine Wünsche äußere ich doch dort als Forderung, wo ich wenig Vertrauen habe, dass ich gehört werde." Insofern seien häufige Forderungen von Eltern nur ein Indiz dafür, dass Erziehungspartnerschaft noch zu wenig ausgebildet sei.

Frau Kiel meint sogar, dass ohne Vertrauensbasis auch letztendlich alle Information nichts nutzt. "Denn, in diesem Fall würde ich einfach nicht glauben, was mir erzählt wird. Also: 75% der Partnerschaft beruhen auf Vertrauen und nur 25% auf Informationen. Man darf also nicht nur darauf hoffen, dass viele Informationen, so wichtig sie auch sind, alleine ausreichen, um Vertrauen herzustellen. Ich verstehe auch den Wunsch vieler Eltern nach sichtbaren Produkten, etwa Zeichnungen oder Arbeitsblätter, so, dass sie noch eines Beweises bedürfen, dass ihr Kind hier gut aufgehoben ist. Da reicht es nicht, sich nur über den Sinn und Unsinn von Arbeitsblättern zu streiten. In einem solchen Fall muss sich das Team fragen, wie es mehr Transparenz schaffen kann, ob es die Fragen der Eltern wirklich ernst nimmt und nicht als rückständig abtut. Für all das braucht man Zeit und Geduld. Dazu bedarf es vor allem aber einer veränderten Grundhaltung den Eltern gegenüber."

Auf einen weiteren Einwurf hin antwortet Frau Kiel: "Sicher erschwert es den Vertrauensbildungsprozess, wenn Eltern, die ihre Kinder immer erst im Spätdienst abholen können, nicht mehr auf Erzieherinnen ihrer Gruppe treffen. Aber haben sie nicht genau darauf ein Recht? Wir haben deshalb schon vor langer Zeit sehr genau darauf geachtet, dass Eltern im Spätdienst immer wieder einmal auch die Erzieherin aus ihrer Gruppe angetroffen haben. Dort konnten sie dann unmittelbar loswerden, was ihnen am Herzen lag. Und, wir haben ganz offensiv vertreten, dass wir es akzeptieren, wenn Eltern erst in letzter Minute kommen (können) und wir deshalb unseren Dienstplan so gut es geht so organisieren, dass sie dennoch auf Gesprächspartnerinnen treffen."

Wenn anscheinend in einer Familie etwas schief geht

"Dann sind wir zwar gefordert, aber nicht für alles verantwortlich und zuständig." So das Resümee von Frau Kiel. Das sei eine wirklich schwierige Frage, weil es eben in jedem Einzelfall zu unterscheiden gelte. An dieser Stelle zeige sich die ganze Professionalität von Erzieherinnen. Hilfe und Rückhalt für die Familie anzubieten und dabei gleichzeitig die professionellen Grenzen zu wahren, sei ein schwieriges Geschäft und bedürfe häufig der Unterstützung von außen, z.B. durch Supervision.

Frau Felder erzählt ein Beispiel. Lange Zeit hat sie sich über ein Elternpaar geärgert, weil diese immer wieder mit verschlüsselten Vorwürfen gearbeitet, sie bei Kolleginnen oder der Leitung angeschwärzt, ihr gegenüber aber stets so getan hat, als gäbe es nichts zu besprechen. Irgendwann einmal habe Frau Felder jedoch verstanden, dass sie den Eltern als Projektionsfläche dient, ja dass es fast eine Überlebensstrategie dieser Familie ist, immer andere für die eigenen Versäumnisse verantwortlich zu machen. Diese Erkenntnis hat zwar nicht die Eltern, aber doch die Situation nachhaltig verändert.

Seit dem gelingt es ihr nämlich besser, etwas Verständnis im Sinne von Verstehen aufzubringen. In einer Supervision hätte sie schließlich erkannt, dass nicht sie selbst für das Verhalten der Eltern verantwortlich, also auch nicht daran schuld sei. Sie habe erkannt, dass die Strategie dieser Eltern dazu diene, die eigene Familie zu stabilisieren28, indem selbst verschuldete Unzulänglichkeiten anderen angelastet werden. Frau Felder konnte von nun an den Eltern ohne Ärger begegnen und deshalb ihre Grenzen auch besser wahren.

Frau und Herr Schulte betonen schließlich auch aus Elternsicht, dass es sich hier um eine sehr schwierige Frage handele. Einerseits hätten auch sie manchmal auf mehr Unterstützung durch die Einrichtung gehofft, andererseits aber hätten sie zuviel davon als Einmischung in ihre privaten Angelegenheiten empfunden. Frau Schulte meint, wenn eine Familie wirklich und dauerhaft Unterstützung brauche, wären dafür vielleicht besser Familienberater und -therapeuten zu Rate zu ziehen. Aber bei der Vermittlung könnten Erzieherinnen durchaus behilflich sein.

Das Wichtigste

Was für jeden die wichtigste Erfahrung gewesen sei, möchten die Gäste am Schluss des Gespräches noch von allen wissen. Die Antworten lauten:

Frau Lüffe: "Für mich war es die Erkenntnis, dass Eltern ebenfalls Experten sind, wenn auch nicht für das Gleiche wie wir. Eltern kennen ihre Familie, wir die Kindertagesstätte. Unser jeweiliges Expertenwissen können wir gut bei der Suche nach gemeinsamen Wegen einbringen. Auf diese Art und Weise hat sich mein Blickwinkel auch insgesamt verändert. Ich habe begonnen, in Eltern nicht mehr nur Einzelpersonen zu sehen, sondern Verantwortliche für ihre ganze Familie."

Frau Felder: "Mir ist besonders die Regelmäßigkeit wichtig, in der Hospitationen von Eltern und Entwicklungsgespräche seitdem stattfinden. Ich brauche dafür einen sicheren Rahmen und den finde ich in der Regelmäßigkeit. Aus heutiger Sicht bin ich wirklich auch überrascht, wie viel dabei herauskommt."

Frau Schulte: "Mir ist unser Start hier in besonderer Erinnerung. Die Art und Weise der Eingewöhnung und der Aufnahme hat mich gleich von Anfang an positiv gestimmt. Ich fühlte mich wahrgenommen und gesehen. Ich habe noch gut im Gedächtnis, was Frau Kiel damals sagte: 'Der Anfang ist die Hälfte des Ganzen'. Das kann ich voll und ganz unterstreichen!"

Herr Schulte: "Natürlich muss ich das Vätertreffen hervorheben. Das war wirklich klasse. Schade, dass Katja nun bald in die Schule kommt und erst ein Vätertreffen stattgefunden hat. Als die Idee geboren wurde, habe ich gespürt, dass die Einrichtung wirklich Interesse an mir und meiner Familie hat. Mich würde noch interessieren, wie Katjas Abschied gestaltet werden soll, da habt Ihr Euch doch bestimmt auch etwas Besonderes einfallen lassen."

Frau Kiel: "Irgendetwas geht immer! Das ist meine wichtigste Erkenntnis. Wir hätten uns vor drei Jahren niemals träumen lassen, was alles geht. Und nun? Wir sind einfach offener, kreativer und wie ich meine auch professioneller geworden. Wir haben uns nicht mehr nur auf unsere 'ureigenste Sache', die Arbeit mit dem Kind beschränkt, sondern auch begonnen, das KJHG im Rahmen unserer Möglichkeiten umzusetzen und uns an den Bedürfnissen der Familien zu orientieren. Für mich war die Umfrage dabei ein Meilenstein. Seitdem weiß ich einfach mehr über die Familien unserer Kinder. Und noch einen Punkt möchte ich erwähnen. Früher habe ich mich immer wieder über die sogenannten Dauerbrenner geärgert. Bestimmte Fragen wie etwa die nach der Aufsichtspflicht kamen immer und immer wieder. Heute weiß ich, dass das ja gar nicht anders sein kann, weil für Eltern konkret immer wieder Neuland ist, was wir schon hundert Mal beantwortet haben. Heute finde ich außerdem, Eltern haben ein Recht auf alle Fragen."

Den Abschied professionell gestalten

Am Ende des Gesprächskreises steht die Frage, ob nicht die bewusste Gestaltung des Abschieds eines Kindes und seiner Familie ebenfalls zur veränderten Sichtweise der "Familienarbeit" gehören müsse. Für die Familie ist der Abschied wieder eine Situation, die viele Veränderungen und neue Anforderungen mit sich bringt. Sie überschreitet eine weitere Grenze. Für die Kindertageseinrichtung ist es eine gute Gelegenheit, Bilanz zu ziehen. Erst der gestaltete Abschied der ganzen Familie rundet die Zusammenarbeit wirklich professionell ab.

Die übliche Abschiedsfeier für das Kind sollte daher unbedingt um ein Abschlussgespräch mit den Eltern ergänzt werden. In einem solchen Abschlussgespräch kann noch einmal über die ganze Zeit nachgedacht werden, und man kann sich gut vorstellen, dass Eltern wie Herr und Frau Schulte dabei einiges beizutragen haben.

Herr und Frau Schulte werden die Einrichtung in guter Erinnerung behalten, und auch die Leiterin und die Erzieherinnen sind mit den Entwicklungen und Erfahrungen sehr zufrieden.

Anmerkungen

  1. Jugendamt Hanau (Hrsg.): Familienarbeit in Kindertagesstätten. Eine Handreichung. Hanau 1996, S. 17 f.
  2. wobei der weitaus überwiegende Anteil der Scheidungen kinderlose Ehen betrifft.
  3. Hartmut Kasten: Weiblich - männlich. Geschlechtsrollen und ihre Entwicklung. Berlin, Heidelberg, New York 1996, S. 146
  4. Hier möchte ich besonders hinweisen auf: Reinhart Wolff: Konkurrenz und Kooperation. Über die Zusammenarbeit zwischen Erzieherinnen und den Eltern. In: Theorie und Praxis der Sozialpädagogik - TPS extra Nr. 22, S. 4 ff.
  5. Frank Jansen: Eltern als Kunden. Hekt. Rede anlässlich einer Fachtagung der Bundesvereinigung evangelischer Tageseinrichtungen für Kinder e.V. mit dem Thema "Eltern als Partner?!" im März 1995 in Kassel, S. 12
  6. In einem wirtschaftlichen Unternehmen wäre das der erste Schritt zum Marketing.
  7. Eine Eingewöhnungsphase ist in der Krippe unumgänglich, aber auch sehr für den Hort zu empfehlen. Dort allerdings nicht für das Kind, sondern mit dem Ziel, dass sich Eltern ein eigenes Bild vom Alltag im Hort machen können.
  8. Zu beiden Entwicklungen siehe Teil 1.
  9. Heidi Eppel u.a.: Mit Eltern partnerschaftlich arbeiten. Elternarbeit neu betrachtet. Freiburg: Herder 1996, S. 21 f.
  10. Lassen die Rahmenbedingungen nicht einmal ein Entwicklungsgespräch pro Kind und Jahr zu, kommt es darauf an, die dahinter stehende Haltung in den Tür-und-Angel-Gesprächen zu leben.
  11. Reinhart Wolff: Konkurrenz und Kooperation. Über die Zusammenarbeit zwischen den Erzieherinnen und den Eltern. In: Theorie und Praxis der Sozialpädagogik - TPS extra 22, 1996, S. 39
  12. Wer sich näher dafür interessiert, dem sei die sprachlich sehr verständliche und ausgezeichnete Zusammenfassung von Tim Rohrmann zu empfehlen. Zu finden in: Tim Rohrmann, Peter Thoma: Jungen in Kindertagesstätten. Ein Handbuch zur geschlechtsbezogenen Pädagogik für Aus- und Fortbildung. Braunschweig, Wolfenbüttel 1997, S. 58 ff.
  13. vgl. dazu Teil 1.
  14. Irene Klein: Gruppenleiten ohne Angst. Ein Handbuch für Gruppenleiter. München: Pfeiffer, 4. Aufl. 1992, S. 121
  15. ebd. S. 122
  16. vgl. dazu Teil 2
  17. siehe Teil 2
  18. siehe Teil 3
  19. Heidi Eppel u.a.: Mit Eltern partnerschaftlich arbeiten. Elternarbeit neu betrachtet. Freiburg: Herder 1996, S. 116 ff.
  20. Aus dem Ergebnis einer Elternbefragung in einer Kindertagesstätte in Hanau
  21. Siehe Teile 2 und 3
  22. Manche Einrichtungen berechnen dafür einen kleinen Beitrag und bessern auf diese Weise ihre finanzielle Situation auf.
  23. zu beziehen über "balance - Forum für Freinet-Pädagogik in Kitas und Tagespflege", Köpfchenweg 24, 65191 Wiesbaden
  24. die Teile 2, 3 und 4
  25. vgl. Teil 3
  26. zur "unbedingten" und "bedingten Wertschätzung" vgl. Teil 3
  27. vgl. Steffen Hittmeyer: Aktivierende Elternabende. In: Heidi Eppel u.a.: Mit Eltern partnerschaftlich arbeiten. Elternarbeit neu betrachtet. Freiburg: Herder 1996, S. 48 ff. und Jugend Hanau (Hrsg.): Familienarbeit in Kindertagesstätten. Eine Handreichung. Hanau 1996, S. 41 ff.
  28. vgl. Teil 1

Literatur

Eppel, Heidi u.a.: Mit Eltern partnerschaftlich arbeiten. Elternarbeit neu betrachtet. Freiburg: Herder 1996

Klein, Lothar/Vogt, Herbert: Leben in der Familiengruppe. Ein Praxisbuch über die große Altersmischung. Freiburg: Lambertus 1995, S. 34-40 und 210-205

Laewen, Hans-Joachim u.a.: Ohne Eltern geht es nicht. Die Eingewöhnung von Kindern in Krippen und Tagespflegestellen. Berlin: FIPP-Verlag 1990 (gibt es auch als Video)

Magistrat der Stadt Hanau, Jugendamt: Familienarbeit in Kindertagesstätten. Eine Handreichung. Hanau 1996

Vogt, Herbert: "Wir hätten selbst nicht gedacht, dass so etwas möglich ist." Ein Hort auf dem Weg zur Familienarbeit. In: Berry/Pesch (Hrsg.): Welche Horte brauchen Kinder? Ein Handbuch. Berlin: Luchterhand 1977

Autor

Lothar Klein
balance - Forum für Freinet-Pädagogik

Köpfchenweg 24
65191 Wiesbaden
Tel. 0611/1899444
Website: www.balance-freinet-paedagogik.de
Email: [email protected]

Freiberuflicher Fortbildner. Veröffentlichungen u.a.:

  • Klein, Lothar/Vogt, Herbert: Freinet-Pädagogik in Kindertageseinrichtungen. Entdeckendes Lernen und vom "Hunger nach Leben". Freiburg: Herder 1998
  • Klein, Lothar/Vogt, Herbert: Leben in der Familiengruppe. Ein Praxisbuch über die große Altersmischung. Freiburg: Lambertus 1995, Neuauflage 2002
  • Klein, Lothar/Vogt, Herbert: Erzieherinnen im Dialog mit Kindern. Wie Partizipation im Kindergarten aussehen kann. In: Büttner, Christian/Meyer, Bernhard (Hrsg.): Lernprogramm Demokratie. Möglichkeiten und Grenzen politischer Erziehung von Kindern und Jugendlichen. Weinheim, München: Juventa 2000, S. 89-109