×

Zitiervorschlag

Aus: Nachrichtendienst des Deutschen Vereins für öffentliche und private Fürsorge e.V., Jg. 2002, Heft 7 (S. 257-262, 1. bis 4. Abschnitt) und Heft 8 (S. 299-302, 5. bis 7. Abschnitt)

Neue Finanzierungsmodelle für Kitas: Bedarfsgerecht, flexibel und qualitätsbewusst?

Kathrin Bock-Famulla und Beate Irskens

 

Die Diskussion um Qualität und Qualitätskriterien für die Kindertageseinrichtungen wird eher intern in Fachzirkeln geführt, da hat es auch die "Nationale Qualitätsinitiative im System der Tageseinrichtungen für Kinder" bisher nicht geschafft, öffentliche Aufmerksamkeit zu erlangen. Das ist ganz anders, wenn es um den Geldbeutel geht, den von Eltern oder den kommunalen. Die Diskussion um die Veränderungen von Finanzierung der Kinderbetreuung beschäftigt Wirtschaftsinstitute, Länder- und Kommunalparlamente, Elterngruppen und die Presse. Von Umsteuerung ist die Rede, von der Stärkung des Elternwahlrechts, von Verwaltungsvereinfachung und Beitragsgerechtigkeit, von Flexibilisierung und neuer Qualität. Und - wie gewohnt - ist die Diskussion um Finanzen gleichzeitig gepaart mit der Befürchtung, es werde ein Standardabbau folgen, eine "MacDonaldisierung" der Betreuungsangebote für Kinder.

Diese Diskussion stellt alte Überzeugungen und Werthaltungen auf den Prüfstand, führt aber gleichzeitig zu einer Rückbesinnung auf verloren geglaubte Einsichten wie die nach dem volks- bzw. nationalökonomischen Nutzen guter Kinderbetreuung, die Zugangsgerechtigkeit anstrebt, und weitet hoffentlich den Blick über kurzfristige Einsparungsideen hinaus.

Im letzten Jahr veranstaltete der Deutsche Verein eine Fachtagung, auf der die derzeit meistdiskutierten Ansätze zur Neugestaltung der Finanzierungsmodalitäten vorgestellt und kritisch befragt wurden. Ziel war es, einen Überblick zu gewinnen, Einschätzungen auszutauschen und die Verbindung zwischen Fachlichkeit, gesetzlichem und gesellschaftlichem Auftrag der Tageseinrichtungen für Kinder, Qualität, Finanzen und Marktwirtschaft deutlicher zu bestimmen. - Dieser Beitrag untersucht genauer, wie mit neuen Finanzierungsstrukturen auf diese Entwicklungen reagiert wird und welche Auswirkungen sie haben könnten.

Einleitung

Die aktuelle Debatte über neue Finanzierungskonzepte im Bereich Kindertageseinrichtungen muss auf dem Hintergrund der Entwicklungen der vergangenen 10 Jahren gesehen werden. Die Umsetzung des Rechtsanspruchs auf einen Kindergartenplatz Anfang der 90er Jahre forderte erhebliche - insbesondere finanzielle - Anstrengungen von Ländern und Kommunen; im Vordergrund stand vor allem der quantitative Ausbau von Kindergartenplätzen. Mitte der 90er Jahre rückten dagegen Fragen der Qualität von Kindertageseinrichtungen in den Fokus der fachpolitischen Debatte; gleichzeitig sind Kindertageseinrichtungen vom öffentlichen Sparkurs betroffen.

Die Klagen in Spardebatten über ein zu hohes Ausgabenvolumen müssen allerdings relativiert werden, bildet im europäischen Vergleich der Ausgaben für frühkindliche Bildung Deutschland doch eher das Schlusslicht. In der "Streitschrift Zukunftsfähigkeit" des Bundesjugendkuratoriums wird darauf hingewiesen, dass die monetären Investitionen für Kindertageseinrichtungen in Deutschland zu niedrig seien und sich darin eine geringe Wertschätzung dieses gesellschaftlichen Leistungsbereichs ausdrücke (Streitschrift Zukunftsfähigkeit 2001:30).

Zur Diskussion stehen heute staatliche, angebotsorientierte Steuerungssysteme, die zugunsten der Ausweitung marktwirtschaftlicher Steuerungsprinzipien verändert werden sollen. Als Ziele eines solchen grundlegenden Organisations- und Strukturwandels werden insbesondere

  • die Steigerung der Wirtschaftlichkeit und Qualitätsgewinne durch effizienteren und effektiveren Mitteleinsatz trotz bestehender Finanzierungsengpässe sowie
  • eine stärkere Orientierung an der Nachfrage der Eltern genannt.

Der vorliegende Beitrag setzt sich mit ausgewählten Finanzierungskonzepten auseinander, die während der Fachtagung vorgestellt wurden. Zunächst wird aus ökonomischer Perspektive der Blick auf Kindertageseinrichtungen gerichtet, wobei vor allem das Verhältnis von Fachlichkeit und ökonomischer Rationalität untersucht wird. Vor dem Hintergrund ihrer ökonomisch ausgerichteten Zielkriterien soll erörtert werden, wie pädagogisch-fachliche Ansprüche in einem Finanzierungskonzept verankert werden können. Auf der Basis dieser Überlegungen sollen zunächst die Funktionsweisen des Marktes und sodann das Gutscheinprinzip als eine Gestaltungsform marktorientierter Steuerungsinstrumente differenzierter betrachtet werden. - Aufgrund der hohen Komplexität jedes einzelnen Systems können bei der Analyse ausgewählter Finanzierungsmodelle lediglich einzelne Strukturelemente betrachtet werden.

1. Tageseinrichtungen für Kinder aus ökonomischer Perspektive: Investitionen versus Konsum

Bei einer Betrachtung von Kindertageseinrichtungen aus ökonomischer Perspektive fällt zunächst auf, dass Kindertagesrichtungen in der öffentlichen Diskussion vor allem als Kostenverursacher genannt werden, die - insbesondere seit der Einführung des Rechtsanspruchs auf einen Kindergartenplatz - die öffentlichen Kassen in steigendem Umfang belasten würden. Diese Rhetorik suggeriert, dass Kindertageseinrichtungen ausschließlich Ressourcen verbrauchen und keine Erträge bewirken. Damit wird einseitig der Konsumcharakter dieser Bildungsausgaben unterstellt.

Zur Analyse des Charakters der von Kindertageseinrichtungen "produzierten" Güter (Konsum- oder Investitionsgüter) ist zunächst zu fragen, welche Funktionen und Aufgaben Kindertageseinrichtungen erfüllen. Eine erste Orientierungshilfe bietet die bundesrechtliche Regelungsebene des Kinder- und Jugendhilfegesetzes (KJHG) mit dem dort benannten Bildungs-, Erziehungs- und Betreuungsauftrag von Kindertageseinrichtungen. Implizit beschreibt dieser Auftrag die Zwitterstellung, durch die dieser öffentliche Leistungsbereich charakterisiert ist: Obwohl Kindertageseinrichtungen rechtlich dem Sozialbereich zugeordnet sind, befinden sie sich doch aufgrund der ihnen zugewiesenen inhaltlichen Aufgaben zwischen zwei Systemen: dem Sozial- und dem Bildungssystem.

Als soziale Dienstleistung steht die Betreuungsfunktion im Vordergrund. Danach sollen Eltern vor allem Unterstützung bei der Vereinbarkeit von Familie und Beruf erhalten, soll die selbständige Sicherung des Familieneinkommens ermöglicht werden. Vor allem Frauen soll eine wesentliche Voraussetzung für den Erwerb individuellen Einkommens und eigener Rentenansprüche eröffnet werden.

Im Strukturplan für das Bildungswesen (Deutscher Bildungsrat 1970) werden Kindergärten als die erste Stufe des deutschen Bildungssystems eingeordnet. Allerdings ist die Akzeptanz der Bildungsaufgaben von Kindertageseinrichtungen seitdem Schwankungen unterworfen. Aktuell hat die Bildungsfunktion von Kindertageseinrichtungen durch die Diskussion über lebenslanges Lernen, durch die PISA-Studie, die Veröffentlichungen und Gutachten des "Forum Bildung" sowie des "Sachverständigenrat Bildung" der Hans-Böckler-Stiftung und der Heinrich-Böll-Stiftung neue Aufmerksamkeit bekommen. - In der fachlichen Diskussion besteht Einigkeit über die Bedeutung frühkindlicher Bildungsprozesse für die individuelle Persönlichkeitsentwicklung sowie die weitere Bildungsbiographie.

Ohne umfassend auf die Wirkungen frühkindlicher Bildungsprozesse einzugehen, sei exemplarisch auf einzelne Ergebnisse ausländischer Studien über die Wirkungen institutioneller Kinderbetreuung für die Persönlichkeitsentwicklung von Kindern hingewiesen. Bei den Ergebnissen ist zu berücksichtigen, dass die Wirkungsforschung in Deutschland in diesem Bereich erst am Anfang steht. Eine direkte Übertragbarkeit ist aufgrund der Systemunterschiede nur eingeschränkt möglich, gleichwohl lassen die Ergebnisse begründete Vermutungen über die Effekte deutscher Kindertageseinrichtungen zu.

Eine schwedische Studie kommt zu dem Ergebnis, dass Kinder, die ab dem ersten Lebensjahr institutionell betreut wurden, im Alter von 8 Jahren bessere schulische Leistungen und bessere verbale und nicht-verbale Fähigkeiten zeigten als Kinder, die entweder zu Hause oder später institutionell betreut wurden. Diese Unterschiede hielten auch noch im Alter von 13 Jahren an (vgl. "Die Vorschulerziehung in der Europäischen Union" 1995; Andersson 1992). Zu berücksichtigen ist bei der Interpretation dieser Ergebnisse, dass die schwedische Betreuungsformen eine hohe Qualität aufweisen. Die US-amerikanische Untersuchung "The Cost, Quality, and Outcomes Study" (1999) kommt u.a. zu dem Ergebnis, dass Kinder, die institutionelle Betreuung von hoher Qualität erhalten, sowohl im Hinblick auf kognitive Fertigkeiten (z.B. mathematische und Sprachfähigkeiten) als auch soziale Kompetenzen (z.B. Interaktion mit Gleichaltrigen) bessere Ergebnisse erzielen als andere. Diese Vorteile setzen sich später in der Schulbiographie fort ("The Children of the Cost, Quality, and Outcomes Study go to School" 1999).

Neben diesen Effekten, die direkt bei Kindern gemessen werden, profitieren insbesondere Eltern von der institutionellen Kinderbetreuung. Sie können beide einer Erwerbstätigkeit nachgehen und tragen so zu höheren staatlichen Steuereinnahmen bei (Es sei an dieser Stelle darauf hingewiesen, dass das zusätzliche Einkommen, welches Eltern durch die zeitliche Entlastung verdienen, noch nicht die Zahlung von Elternbeiträgen legitimiert. Denn auch der Schulbesuch ermöglicht im Prinzip die Erwerbstätigkeit von Eltern und führt nicht zu der Forderung eines Schulgeldes). Insbesondere Frauen wird trotz Familienphase Erwerbstätigkeit erleichtert bzw. ermöglicht es dadurch, Erträge (Einkommen) auf öffentliche Investitionen in Humanvermögen zu erzielen und Steuern abzuführen.

Erste Hinweise auf die volkswirtschaftlichen Effekte von institutioneller Kinderbetreuung gibt eine in Zürich durchgeführte Studie. Sie kommt zu dem Ergebnis, dass pro investiertem Franken zwischen 3 und 4 Franken an die Gesellschaft zurückfließen (für eine differenziertere Darstellung der erfassten Nutzen und Kosten vergleiche Müller Kucera/ Bauer 2000).

Insgesamt stärken vorliegende internationale Studien die Annahme, dass durch Bildungs- und Sozialleistungen, die von Kindertageseinrichtungen erbracht werden, sowohl individuelle als auch gesellschaftliche Wirkungen entstehen. Dabei ist zu berücksichtigen, dass sich aufgrund des spezifischen Charakters von Bildungs- und Sozialleistungen deren Wirkungen bzw. Erträge zum Teil erst mittel- und langfristiger niederschlagen. Aufgrund einer solchen ausgedehnten Zeitperspektive unterliegen Betrachtungen der Wirkungen frühkindlicher Bildungsprozesse allerdings auch einer Vielzahl von messtechnischen und theoretischen Problemen (vgl. hierzu ausführlicher Bock-Famulla 2002).

Aufgrund ihrer langfristigen Wirkungen können die von Kindertageseinrichtungen erbrachten Leistungen aus ökonomischer Perspektive als Investitionen eingestuft werden. Das bedeutet, dass Kindertageseinrichtungen nicht nur Ressourcen verbrauchen und Kosten verursachen, sondern Investitionen mit Ertragschancen tätigen.

Neben dem Investitionscharakters haben Kindertageseinrichtungen auch einen unmittelbaren Konsumcharakter für Kinder. Die Einrichtungen können ihnen eine Lebenswelt bieten, in denen sie zusammen mit anderen Kindern bei vielfältigen Aktivitäten Spaß und Freude erleben können.

2. Finanzierungskonzepte für Kindertageseinrichtungen im Spannungsfeld von Fachlichkeit und ökonomischer Rationalität - eine Bestandsaufnahme der aktuellen Diskussion

Zur Zeit stehen die Finanzierungsprinzipien aller Segmente des deutschen Bildungssystems zur Disposition, auch Kindertageseinrichtungen (vgl. Hans-Böckler-Stiftung, "Für ein verändertes System der Bildungsfinanzierung"; Heinrich-Böll-Stiftung; Forum Bildung). Allerdings beziehen sich die dort vorgestellten Vorschläge nur auf einzelne Aspekte eines Finanzierungssystems, z.B. den Verzicht auf Elternbeiträge. - Ein von Spieß und Tietze (2001) entwickeltes theoretisches Modell enthält hingegen Vorschläge für grundlegendere Strukturveränderungen. Auch die in einzelnen Bundesländern wie Hamburg, Bayern und Bremen in der Entwicklung bzw. Erprobung befindlichen Modelle eröffnen neue Perspektiven für Finanzierungsregelungen im Bereich Kindertageseinrichtungen.

Grundsätzlich ist festzustellen, dass die länderspezifischen Reformbemühungen eine Fortsetzung der bestehenden Gestaltung der Finanzierungsregelungen nach dem föderativen Prinzip darstellen. Lediglich das Modell von Spieß und Tietze nimmt den Anspruch einer bundeseinheitlichen Regelung auf. Die bestehende Praxis der länderspezifischen Regelungen hat nicht nur unterschiedliche Finanzierungsbedingungen für Träger in den Ländern zur Folge, zum Teil differieren auch die Regelungen zwischen den Kommunen in einem Land. So ist für Niedersachsen für alle Träger lediglich ein Personalkostenzuschuss in Höhe von 20% festgelegt, der vom Land gezahlt wird. Weitere Zuschüsse von den Kommunen müssen individuell von Trägern oder Einrichtungen ausgehandelt werden.

Mangelnde Aufmerksamkeit haben bislang die Fragen erfahren,

  • welche Steuerungswirkungen durch diese länderspezifischen Finanzierungsregelungen erzielt werden und
  • welche Konsequenzen hieraus für die Betreuungsformen und Bildungsangebote für Kinder und Eltern in den einzelnen Ländern resultieren.

Eine Untersuchung der Betriebskosten von Kindertageseinrichtungen (Bock/ Timmermann 2000) kommt zu dem Schluss, dass durch die in Nordrhein-Westfalen bestehende Bezuschussungsregelung eine spezifische Angebotsstruktur gefördert wird. Das quantitativ größtes Angebot liegt dementsprechend im Bereich der weniger kostenintensiven Kindergartenplätze (eine Kindergartengruppe umfasst 25 Kinder im Alter von 3 bis 6 Jahren, sie werden von 2 Erzieherinnen täglich 7 Stunden betreut). Die öffentliche, prozentuale Bezuschussung der Betriebskosten ist in NRW abhängig von der Trägerart (z.B. konfessioneller Träger; Elterninitiativen), jedoch erhält ein Träger für alle Gruppenarten die identische prozentuale Bezuschussung bzw. der prozentuale Trägeranteil ist für alle Gruppenarten identisch. Konkret heißt dies, dass der Eigenanteil eines konfessionellen Trägers für einen Kindergartenplatz wesentlich geringer ist als für einen kostenintensiveren Platz in einer altersgemischten Gruppe (eine altergemischte Gruppe umfasst 15 Kinder im Alter zwischen 4 Monaten und 6 Jahren; sie werden von 3 bis 4 Erzieherinnen täglich mindestens 8,5 Stunden betreut). Diese werden deshalb vor allem von Elterninitiativen eingerichtet, die einen prozentual geringeren Trägeranteil aufbringen müssen. Da die konfessionellen Träger in Nordrhein-Westfalen das größte Angebot bereitstellen, besteht die Angebotsstruktur überwiegend aus Kindergartenplätzen, d.h. mit Schließung über Mittag.

Offensichtlich haben also bestehende Landesfinanzierungsregelungen Differenzen in den Angebotsstrukturen von Kindertageseinrichtungen zur Folge. Für die Alltagsbewältigung von Kindern und Eltern, insbesondere Müttern, sind dementsprechend je nach Bundesland unterschiedliche Unterstützungspotentiale verfügbar. Mit Blick auf die Bildungsdiskussion wäre zu prüfen, welche Unterschiede in den Bildungserfahrungen der Kinder durch diese Steuerungsmechanismen erzeugt werden.

Ausgehend von der generellen Vermutung, "dass zwischen Finanzierungsregelungen und -verfahren auf der einen Seite und zwischen der Produktion von Leistungsmengen und der Leistungsqualität auf der anderen Seite ein enger Zusammenhang besteht" (Halfar 1999: 31), sollen nachfolgend Finanzierungskonzepte für Kindertageseinrichtungen aus fachlich-inhaltlicher und ökonomischer Perspektive betrachtet werden.

3. Pädagogische Fachlichkeit und ökonomische Handlungsrationalität

Gegenüber der Einführung ökonomischer Denk- und Handlungsmuster im Bildungs- und Sozialbereich zeigt sich eine Vielzahl offener und verdeckter Widerstände bzw. Berührungsängste. Betrachtet man die gegenwärtig stattfindenden Prozesse ökonomischer Rationalisierung, die sich insbesondere in Aufforderungen zu Einsparmaßnahmen manifestieren, so sind diese Vorbehalte gegenüber ökonomischen Argumentationsmustern nachvollziehbar. Übersehen wird dabei allerdings, dass diese Form der verstärkten Anwendung ökonomischer Handlungsmuster Ergebnis eines gestaltbaren gesellschaftlichen Prozesses ist und ökonomische Prinzipien grundsätzlich stärker als bisher zu lebensweltlichen Zielen in Beziehung gesetzt werden können.

Die Anwendung ökonomischer Prämissen im Bildungs- und Sozialbereich kann zu einer Perspektivenerweiterung führen (vgl. auch Finis Siegler 1997). Das ökonomische Prinzip definiert nicht die Ziele und Inhalte der Bildungs- und Sozialarbeit, sondern gibt Orientierungen für die ressourcenschonendste Realisierung festgelegter Ziele. Für Kindertageseinrichtungen müssen deshalb zunächst Ziele und Leistungen der pädagogischen Arbeit bestimmt werden, damit die Ökonomie für die pädagogische Arbeit aufzeigen kann, "welchen Weg sie einzuschlagen hat, um das, was sie will, so wirtschaftlich wie möglich zu erreichen." (Finis Siegler 1997: 14)

Damit werden nicht zuletzt erhebliche Anforderungen an Pädagoginnen und Pädagogen gerichtet, die nach pädagogisch-fachlichen Begründungen für die erforderliche Ressourcen gefragt werden. Zu beantworten sind beispielsweise Fragen wie: Welche und wie viele Ressourcen sind zur Förderung der sprachlichen Kompetenzen von Kindern notwendig?

Durch eine solche Verbindung von pädagogisch-fachlichen und ökonomischen Handlungskriterien könnte auch eine grundlegende Schwäche der bestehenden Finanzierungsregelungen aufgehoben werden. Sie besteht darin, dass die gesetzlich formulierten Aufträge von Kindertageseinrichtungen, z.B. ganzheitliche Persönlichkeitsentwicklung, nicht in Relation zu den Finanzierungsregelungen gesetzt werden. Interessante Perspektiven für die Umsetzung solcher Elemente könnten beispielsweise Leistungsvereinbarungen bieten (vgl. Kröger, Hrsg., 1999).

4. Perspektiven der Anwendung ökonomischer Prinzipien im Bildungs- und Sozialbereich

Am Beispiel des Wirtschaftlichkeitsprinzips kann gezeigt werden, wie ein ökonomischer Handlungsmaßstab inhaltsbezogen im Bildungs- und Sozialbereich eingesetzt werden kann. Grundsätzlich bietet ökonomische Handlungsrationalität Entscheidungsmaßstäbe für Ressourcenallokationen sowohl auf der Betriebs- bzw. Einrichtungsebene (betriebswirtschaftliche Perspektive) als auch auf gesellschaftlicher Ebene (volkswirtschaftliche Perspektive). Nach dem Wirtschaftlichkeitsprinzip soll eine möglichst günstige Relation zwischen angestrebtem Ergebnis und eingesetzten Ressourcen realisiert werden; das ist das normative Konzept der Effizienz, dass die Optimierung des Ressourcenge- und -verbrauchs anstrebt.

Allgemein bietet Effizienz ein Maß für die Wirkung des Einsatzes eines Produktionsfaktors (Input) im Hinblick auf das Produktionsergebnis (Output). Differenziert wird zwischen dem Maximum- und Minimumprinzip. Beim Maximumprinzip werden die verfügbaren Ressourcen (Inputs) determiniert, mit denen ein maximaler Output erzielt werden soll. Das Minimumprinzip geht von einem festgelegten Produktionsergebnis (Output) aus, das mit einem minimalen Ressourcenaufwand erreicht werden soll.

Beiden Prinzipien liegt die Annahme einer kausalen Beziehung zwischen verwendeten Ressourcen und realisierten Ergebnissen zugrunde, d.h. eine Zweck-Mittel-Rationalität. Der Anspruch, Ergebnisse und eingesetzte Produktionsfaktoren zueinander in Beziehung zu setzen, stellt allerdings bereits bei betrieblichen Produktionsprozessen ein zwar theoretisch schlüssig formulierbares ("Produktions- und Kostenfunktion"), aber praktisch-kostenrechnerisch nur näherungsweise lösbares Problem dar. Im Bildungs- und Sozialbereich gestaltet sich die Anwendung des Effizienzkriteriums noch schwieriger. Denn in diesen Handlungs- und Interaktionsprozessen wird von einem "strukturellen Technologiedefizit" ausgegangen, d.h., die in diesen Lebenswelten vorherrschenden komplexen und unstrukturierten Handlungssituationen sind gekennzeichnet durch komplexe Interdependenz-Zusammenhänge der handlungsbestimmenden Faktoren und lassen die Identifikation von Ursache-Wirkungs-Zusammenhängen kaum zu. Für die Anwendung des Wirtschaftlichkeitsprinzips ist allerdings die Konkretion und Operationalisierbarkeit der Input- und Outputgrößen, d.h. eine gut strukturierte Handlungssituation, erforderlich. Damit wird impliziert, dass die Anwendung der Zweck-Mittel-Relation immer nur auf konkrete, identifizierbare Einzelziele erfolgen kann. Effizienz- und Effektivitätsbeurteilungen können sich also nur auf spezifische Zieldimensionen beziehen, sodass Wirtschaftlichkeit nicht allgemein, sondern nur zielbezogen verfolgt und näher bestimmt werden kann (vgl. Budäus 1996). Bezogen auf eine Kindertageseinrichtung heißt dies, dass nicht die Effizienz der Einrichtung insgesamt beurteilt werden kann, sondern nur eine bestimmte Maßnahme zur Förderung, z.B. der Sprachkompetenz der Kinder.

Die Annahme einer zielbezogenen Wirtschaftlichkeit kann durchaus als ambivalent für Anwendungen im Bildungs- und Sozialbereich eingeschätzt werden. Grundsätzlich kann auf diese Weise die Transparenz von pädagogischen Handlungsfeldern verbessert werden. Gleichzeitig besteht die Gefahr, dass die Lebenswelt Kindertageseinrichtung in ihren Strukturen und Prozessen vereinfacht in Zweck-Mittel-Schemata dargestellt und damit die Individualität von Kommunikations- und Interaktionsprozessen vernachlässigt wird (für mögliche Perspektiven einer neuen Beziehung von pädagogischen Zielen und ökonomischer Handlungsrationalität siehe Bock-Famulla 2002).

5. Gegenwärtig formulierte Ziele und Anforderungen an Finanzierungskonzepte von Kindertageseinrichtungen

Zentrale aktuelle Ziele für bzw. Anforderungen an Finanzierungskonzepte für Kindertageseinrichtungen sind unter anderem Erhöhung der Wirtschaftlichkeit, bedarfsorientierte Finanzierung und Wettbewerbssteigerung. Deutlich im Mittelpunkt stehen damit ökonomische Argumentationsmuster, die auch die Basis bilden für die Forderung nach marktorientierten Steuerungsinstrumenten, wie zum Beispiel dem Gutschein. Auf diese Weise sollen im Bereich Kindertageseinrichtungen die Nachfrage der Eltern gestärkt sowie durch Wettbewerbselemente qualitätssteigernde Effekte induziert werden.

Nachfolgend sollen marktorientierte Prinzipien und der Gutschein als marktorientiertes Instrument betrachtet werden. Bei letzterem nimmt der Staat - gleichwohl in unterschiedlichem Ausmaß - subsidiäre Aufgaben wahr (favorisiert werden solche Instrumente wie der Gutschein aus naheliegenden Gründen: Beim Bildungssystem wird davon ausgegangen, dass ein "reines marktwirtschaftliches Steuerungsmodell" aufgrund unvollkommen funktionierender Märkte kaum für das Bildungskapital realisiert werden kann).

5. 1 Der Markt als Gestaltungsprinzip im Bildungs- und Sozialbereich

Die gegenwärtige Kritik an den Leistungen des Bildungssystems unterstellt auch das Versagen staatlicher Steuerung, während Marktprinzipien als Lösungsmuster propagiert werden. Für den bildungsökonomischen Diskurs ist die Auseinandersetzung über den Markt als Steuerungsinstrument in Konkurrenz zum Staat nicht neu (Hegelheimer 1981). Auffällig an der gegenwärtigen Debatte ist allerdings, dass differenzierte Auseinandersetzungen mit den möglichen Vor- und Nachteilen eines Markt- und Staatssystems kaum zu finden sind. Vor allem fehlen empirische Studien, die die Effekte verschiedener Steuerungsinstrumente untersuchen.

Allgemein wird der Markt als ein Instrument zur Abstimmung von Angebot und Nachfrage durch den Preismechanismus definiert und wird als ein Steuerungsmechanismus zur Erweiterung der Wahlmöglichkeiten der nachfragenden Individuen und der Anbieter verstanden. Der Stärkung der Wahlmöglichkeiten der Individuen wird somit ein eigener Wert beigemessen. Aufgrund des hohen Stellenwertes, der der persönlichen Entscheidungsfreiheit zugewiesen wird, kann die Frage aufgeworfen werden, ob das gegenwärtig vielfach betonte Ziel der Nachfrageorientierung im Bildungsbereich lediglich in einer quantitativen Maximierung der Wahlmöglichkeiten besteht und qualitative, aus gesellschaftlicher Perspektive formulierte Ansprüche damit obsolet werden. Favorisiert wird mit dieser Strategie der Nachfrageorientierung die Konsumentensouveränität. Kritiker setzen dem entgegen, dass Bildung ein meritorisches Gut (Erzeugung individuellen und zugleich gesellschaftlichen Nutzens) sei und deshalb bei der Ausgestaltung des Bildungssystems bzw. der Kindertageseinrichtungen auch gesamtgesellschaftliche Interessen zu berücksichtigen sind (Meritorische Güter stiften sowohl für den Konsumenten als auch für die Gesellschaft einen Nutzen. Diese Güter können prinzipiell individuell und über Märkte gehandelt werden. Wenn jedoch das über den Markt erzielte Versorgungsniveau unzureichend ist, können die Marktergebnisse durch politische Entscheidungen korrigiert werden. Damit wird aus einem privaten Gut durch politischen Beschluss ein meritorisches Gut).

Eine weitere Erwartung an marktwirtschaftliche Steuerung besteht darin, Effizienz bzw. Leistungsfähigkeit von Produktionsprozessen zu steigern. Bezogen auf Kindertageseinrichtungen ist damit sowohl die Steigerung der internen Effizienz (Einrichtungsebene), d.h. der Produktion der Bildungsleistungen in der einzelnen Einrichtung, als auch die externe (volkswirtschaftliche) Effizienz, d.h. die optimale Abstimmung der erbrachten Leistungen mit den Nachfragern (Eltern, Steuerzahler, Arbeitgeber), gemeint.

Da das Marktprinzip im Bildungsbereich nur eingeschränkt umgesetzt werden kann und soll, gilt das Instrument der Gutscheine als eingeschränkt marktorientiertes Steuerungsmodell, das heute durchaus zahlreiche Befürworter findet.

5. 2 Der Gutschein als marktorientiertes Steuerungsinstrument

Der Gutschein als Steuerungsinstrument wird in Deutschland für verschiedene Bildungsbereiche sowie in unterschiedlichen Varianten diskutiert. Für Kindertageseinrichtungen haben die Autoren Spieß und Tietze ein Gütesiegelsystem vorgeschlagen, dass in Verbindung mit einer Subjektfinanzierung in Form von Gutscheinen sowohl für die Zuteilung von Finanzmitteln als auch für die Qualitätssicherung Wettbewerbselemente nutzt (Spieß/ Tietze 2001).

Darüber hinaus liegen Finanzierungskonzepte bzw. Modelle vor, die weiterentwickelt (Hamburg und Bremen) bzw. erprobt (Bayern) werden und die Strukturelemente aufweisen, die durchaus dem Gutscheinsystem zugeordnet werden können. Grundidee aller Modelle ist, dass Eltern die jeweilige Einrichtung, die ihr Kind besuchen soll, frei auswählen können (dieses Wahlrecht ist allerdings bereits im KJHG verankert). Der Träger erhält eine öffentliche Bezuschussung pro Kind, die entweder über einen Gutschein abgerechnet wird, den die Eltern von dem öffentlichen Jugendhilfeträger erhalten, oder der Träger rechnet die belegten Plätze direkt mit dem öffentlichen Jugendhilfeträger ab. Eine solche Finanzierungsform wird auch als Subjektfinanzierung/ -subventionierung verstanden, im Gegensatz zur Objektfinanzierung, bei der die Zuschüsse direkt an die Einrichtungen gegeben werden.

"Den" Gutschein gibt es allerdings nicht, sondern mehrere grundsätzlich verschiedene Gestaltungsformen. Levin (2001) geht davon aus, dass Gutscheine insbesondere im Hinblick auf drei Dimensionen unterschiedlich gestaltet sind (Levin setzt sich mit dem Gutschein für den Bereich Schule auseinander):

  • Finanzierung,
  • Regulation,
  • Information.

Dem Aspekt der Höhe des Nennwertes eines Gutscheins (Finanzierungsaspekt) wird in der deutschen Diskussion bislang wenig Aufmerksamkeit gewidmet. Levin geht davon aus, dass mögliche Chancengleichheitseffekte auch von der Höhe des Nennwertes bzw. von der Möglichkeit der Familien abhängig sind, den Nennwert selbst erhöhen zu können (Levin 2001: 99). Er hebt hervor, dass Effizienz in Wettbewerbsmärkten umfassende Informationen erfordert, die für die Käufer und Verkäufer verfügbar sein müssen. Für den Bildungsbereich bedeutet dies, dass Familien über die verfügbaren Alternativen informiert werden sowie ihre pädagogischen Konsequenzen kennen müssen (Levin 2001: 99).

Grundsätzlich gilt, dass die Ziele von Gutscheinsystemen variieren, einige konzentrieren sich eher auf die Maximierung der Familienwahl, während andere eher Aspekte der Chancengleichheit und eines gemeinsamen Kerncurriculums herausstellen. Allerdings besteht auch Uneinigkeit, ob bzw. inwieweit diese Ziele durch Gutscheinsteuerung tatsächlich realisierbar sind.

Gegner von Gutscheinen gehen davon aus, dass sie größere Ungleichheit in der Verteilung der Bildungsressourcen, der Bildungschancen und -ergebnisse nach Merkmalen wie Geschlecht, Rasse, soziale Schicht bewirken. - Demgegenüber behaupten die Befürworter, dass die Möglichkeit z.B. der Schulwahl dazu führt, dass Schüler aus benachteiligten Stadtteilen in Schulen gehen, die ihnen mehr Chancen eröffnen. Zudem führe ein Wettbewerbsmarkt dazu, dass Schulen Anreize erhalten, die Bedürfnisse der Schüler besser zu erfüllen als die bereits existierenden Schulen. Grundsätzlich besteht für die Gestaltung des Bildungssystems, d.h. auch von Kindertageseinrichtungen, und der Finanzierung das Dilemma, dass Eltern den Wunsch und auch das Recht haben, Erfahrungsräume, Werte usw. zu wählen, die ihre Kinder erleben. Gleichzeitig hat eine demokratische Gesellschaft daran Interesse, dass durch das Bildungssystem die wichtigsten politischen, ökonomischen und sozialen Werte und Institutionen durch gemeinsame Bildungserfahrungen reproduziert werden. Für die Entwicklung von Finanzierungskonzepten gilt deshalb, dass das Verhältnis von privaten und öffentlichen Interessen bzw. Zielen für das Bildungssegment zu klären ist.

Deutlicher in der Diskussion über Gutscheine sind auch die Kosten der Umsetzung eines solchen Systems zu berücksichtigen. Vorsichtige US-amerikanische Schätzungen kommen zu dem Ergebnis, dass aufgrund hoher Transaktionskosten, insbesondere als Effekt der Dezentralisierung von Verwaltungsprozessen, ein Anstieg im Bereich Betriebskosten zu erwarten ist. Levin bezieht sich auf eine Schätzung, die zu dem Ergebnis kommt, dass 25% der bestehenden Ausgaben pro Kind zusätzlich für die Finanzierung eines Gutscheinsystems entstehen (Levin 2001: 111).

In einem System, in dem die Angebotsstruktur überwiegend durch Nachfrage bestimmt wird, besteht die Herausforderung darin, ob zum Beispiel Kindertageseinrichtungen, die primär auf der Basis von antizipierten, privaten Zielen konkurrieren, sich tatsächlich einpendeln auf ein gemeinsames Set sozialer, politischer und ökonomischer Prinzipien, ohne dass dieses allgemein bzw. staatlich geregelt werden muss.

6. Verschiedene Finanzierungskonzepte

6. 1 Kita-Card Hamburg

Mit der Einführung eines neues Steuerungssystems in der Kindertagesbetreuung in Hamburg sind folgende Zielerwartungen verknüpft: genauere stadtteil- und quartiersbezogene Feinsteuerung des Platzangebotes; zeitnahe Anpassungsprozesse an den Bedarf; Vermeidung des Fehleinsatzes von Ressourcen; Stärkung der Stellung von Eltern; Wegfall zentraler Planungsbürokratie.

Die Grundidee zur Umsetzung dieser Ziele besteht darin, dass Eltern ein sogenannter Betreuungsscheck vom bezirklichen Jugendamt ausgestellt wird. Dieser bescheinigt Kindern im Alter von drei Jahren bis zum Schuleintritt einen Rechtsanspruch auf 4 Stunden Betreuung pro Tag. Die Betreuungsansprüche von jüngeren oder älteren Kindern werden einer individuellen Bedarfsprüfung nach einem festgelegten Kriterienkatalog unterzogen. Eltern können mit dieser Kita-Card zur Einrichtung ihrer Wahl gehen und gegebenenfalls einen Betreuungsvertrag mit der Einrichtung bzw. dem Träger schließen. Die Eltern sollen bei der Auswahl einer Einrichtung durch die Jugendämter bzw. durch das "Kita-Informationssystem" unterstützt werden (Ferber 2001: 3). Die Träger lösen die Kita-Cards bei der Stadt ein und erhalten so die öffentlichen Zuschüsse.

In diesem System legen die Einrichtungen bzw. Träger sowohl die Quantität als auch die Qualität ihrer Plätze fest. Intention des Steuerungssystems ist es, dass die Einrichtungen ihr Angebot entsprechend den Bedarfen der Eltern gestalten, da sie nur über die Kita-Card der Eltern öffentliche Finanzmittel erhalten. Die Platzangebotsstruktur wird aber in diesem System durch mehrere Faktoren gesteuert:

  • durch die Leistungsansprüche der genehmigten Betreuungsschecks,
  • die Auswahlentscheidungen der Eltern sowie
  • die Angebotsstrategien der Einrichtungen bzw. Träger.

Zentrale Steuerungsinstanz ist in dieser Struktur das bezirkliche Jugendamt, da es auf der Grundlage der Betreuungswünsche der Eltern den Umfang der realisierbaren Betreuung festlegt, d.h. den Nennwert der jeweiligen Kita-Card, bestimmt. Eltern können den ihnen zugestandenen Leistungsumfang nun bei dem Träger ihrer Wahl einlösen. Als entscheidungsleitende Kriterien seitens der Eltern sind vorstellbar: Lage der Einrichtung, Ausstattung, pädagogisches Konzept, aber auch Flexibilität der Öffnungszeiten usw. Gleichzeitig ist zu berücksichtigen, dass auch die Einrichtungen bzw. Träger auf dem Hintergrund einer Vielzahl von Faktoren ihr Betreuungsangebot gestalten werden.

Die Betreuungswünsche der Eltern finden nur in Kombination mit den Bewilligungsentscheidungen der Behörde Beachtung, d.h. eine alleinige Abfrage der Elternwünsche wird nicht gestaltungsleitend sein. Außerdem sind für Träger jene Eltern bzw. Betreuungsschecks besonders attraktiv, die einen hohen Nennwert haben und zum Beispiel Ganztagsbetreuung als Leistung umfassen - im Gegensatz zu einer weniger kostenintensiven Halbtagsbetreuung. Konkret bedeutet dies, dass zwischen den Trägern ein Wettbewerb um die Eltern mit den am höchsten ausgestatteten Betreuungsschecks entstehen könnte.

Von einer Nachfragemacht der Eltern lässt sich nur im eingeschränkten Sinne sprechen, sie kann sich nur im Rahmen politischer und damit auch finanzieller Vorgaben realisieren. Eltern, die z.B. eine sechsstündige Betreuung für ihr unter dreijähriges Kind nach dem Konzept der Reggio-Pädagogik mit qualifiziertem und ausreichendem Personal wünschen, werden kaum einen Betreuungsscheck erhalten, mit dem sie solche individuellen kostenintensiveren Betreuungswünsche finanzieren können.

Inwieweit eine "bessere Vermeidung des Fehleinsatzes von Ressourcen" durch dieses System realisiert werden kann, bleibt abzuwarten. Grundsätzlich gilt, dass die Behörde nur noch Plätze finanziert, die tatsächlich in Anspruch genommen werden, und dass sich die Träger entsprechend bemühen werden, ihre Plätze zu besetzen, um ihre Betriebskosten abzudecken. Inwieweit Trägern dies gelingen kann, bleibt vorerst offen. Zu erwarten ist aber auch, dass Träger kaum ein Interesse haben werden, ein Angebot vorzuhalten, das über eine 100% Bedarfsdeckung hinaus geht. Damit ist gleichzeitig unklar, ob das Angebot tatsächlich bedarfsorientiert an den Elternwünschen ausgerichtet werden kann, denn zur Gewährleistung einer faktischen Wahlfreiheit müssten mehr als 100% Betreuungsplätze vorgehalten werden, da ansonsten nur ein Teil der Eltern die Möglichkeit einer freien Platzwahl hat. Die übrigen müssen die verbleibenden Plätze nehmen.

Der Wegfall der zentralen Planungsbürokratie wird vermutlich realisierbar sein, da die Behörden nur noch Plätze bewilligen und sich nicht mehr um das Platzangebot kümmern müssen. Gleichzeitig bestimmen sie die Platzangebotsstruktur - nicht jedoch die Qualität, zu der auch sozial- und bildungspolitische Zielsetzungen gehören - durch ihre Bewilligungen deutlich mit. Zu vermuten ist, dass der Verwaltungsaufwand für die Träger bzw. die einzelnen Einrichtungen steigt, also nach unten verlagert wird, denn nun müssen sie die potentielle Nachfrage von Eltern ermitteln. Das bedeutet im Klartext eine Verlagerung der Aufgaben der Jugendhilfeplanung von der Ebene des öffentlichen Jugendhilfeträgers auf die Ebene der Einrichtungsträger.

6. 2 Das bayerische Modell der markt- und qualitätsorientierten Steuerung

Das bayerische Finanzierungsmodell wird gegenwärtig im Rahmen einer mehrjährigen Modellphase an ausgewählten Standorten erprobt. Wichtige Voraussetzung für dieses Modell ist die Vorgabe, trotz rückläufiger Kinderzahlen das öffentliche Fördervolumen für Kindergärten nicht zu reduzieren, sondern mit freiwerdenden Mitteln weitere Angebote zu finanzieren.

Das Konzept der marktorientierten Steuerung (MOS) will:

  • die Qualität der Einrichtungen ausbauen bzw. erhalten;
  • die Einrichtungen leistungsgerechter fördern;
  • Anreize für die Einrichtungen schaffen, sich am Bedarf der Eltern zu orientieren;
  • Verwaltungsvorgänge vereinfachen und
  • kostenneutral sein.

Zur Umsetzung dieser Ziele wird eine frei gestaltbare Vereinbarung zwischen Familien und Kindergarten als Grundlage für die Förderung der Einrichtung angestrebt. Die Förderung erfolgt als kindbezogene Leistungspauschale, die die bisherige Zuwendung ersetzen soll. Die Höhe der Pauschale ist abhängig von der jeweiligen Nutzungszeit und von zusätzlichen Gewichtungsfaktoren (für unter dreijährige Kinder; behinderte Kinder; Ausländer- bzw. Aussiedlerkinder).

Es wird davon ausgegangen, dass die markt- und qualitätsorientierte Steuerung einen Abbau staatlicher Kontrolle erlaubt, ohne eine Absenkung des Qualitätsniveaus zu bewirken. Zudem sollen auf Landesebene und lokaler Ebene Qualitätskommissionen eingerichtet werden. Diese plural besetzten Kommissionen sollen auf Landesebene jährlich grobe Richtlinien für die Qualitätsentwicklung und -sicherung bestimmen; die lokalen Kommissionen konkretisieren diese für die jeweilige Region. Staatliche Behörden prüfen lediglich, ob Qualitätssicherung durchgeführt wird, allerdings sind die Ergebnisse nicht förderrelevant. Auf diese Weise soll dem Träger Spielraum für trägerspezifische Qualität gegeben werden.

Die Modellphase wird wissenschaftlich durch ISKA in Nürnberg begleitet. Abläufe, Diskussionen und Produkte der Versuchsphase werden ins Internet eingestellt und können so öffentlich verfolgt werden.

6. 3 Einschätzungen und Bewertungen der Finanzierungsmodelle in Hamburg und Bayern

Ein grundlegendes Ziel der Finanzierungsmodelle von Hamburg und Bayern (wie übrigens auch in Bremen) besteht in der Stärkung der Nachfragemacht von Eltern für die Angebotsgestaltung. Ein solches Ziel suggeriert, dass Eltern in dem angestrebten System die Betreuungsquantität und -qualität der Einrichtung, die ihr Kind besuchen soll, frei wählen können. Hierzu sind folgende Einschränkungen zu berücksichtigen:

  • In Hamburg wird der Betreuungsscheck für einen spezifischen und begrenzten Leistungsumfang ausgestellt bzw. von der Behörde bewilligt.
  • In Bayern werden Pro-Platz-Pauschalen finanziert, deren Höhe sich durch die Nutzungszeiten sowie spezifische Gewichtungsfaktoren ergibt. Die Pauschalen beantragt die Einrichtung beim öffentlichen Jugendhilfeträger.

Eltern haben durch diese Gestaltung der Finanzierungsmodelle die Möglichkeit, einen Platz in der "Wunscheinrichtung" für ihr Kind nachzufragen. Damit ist allerdings nicht gewährleistet, dass sie diesen Platz auch erhalten. Handelt es sich zum Beispiel um eine Einrichtung, die von vielen Eltern nachgefragt wird, können nicht alle Kinder aufgenommen werden. Da Einrichtungen ihre Kapazitäten nicht unbegrenzt erweitern können, müssen Eltern gegebenenfalls auf andere Einrichtungen ausweichen. Falls das quantitative Angebot der verbleibenden Plätze der quantitativen Nachfrage in einer Region entspricht, bestehen für diese Einrichtungen kaum Anreize, ihre Attraktivität für Eltern zu erhöhen. Mit anderen Worten: Die Intention, durch Wettbewerb zwischen den Einrichtungen Qualitätssteigerungen zu erreichen, funktioniert nur, wenn Überkapazitäten bestehen, also mehr Plätze vorhanden sind als nachgefragt werden. Denn in einer solchen Konkurrenzsituation müssen Einrichtungen tatsächlich für Eltern attraktiv sein oder sie müssen wegen Kindermangel den Betrieb einstellen.

Da davon auszugehen ist, dass solche Überkapazitäten aus wirtschaftlichen Gründen von den Trägern kaum in größerem Umfang und über einen längeren Zeitraum vorgehalten werden, ist eher von einer eingeschränkten Wettbewerbssituation auszugehen.

Genauer zu untersuchen wäre allerdings, ob eventuell folgender Effekt eintritt: Entspricht die gesamte quantitative Nachfrage dem Angebot, haben die Einrichtungen eventuell Interesse an einer bestimmten Gruppe von Eltern, zum Beispiel "sozial besser gestellte" und deutschsprachige Eltern. Dadurch könnte es einrichtungsspezifisch zu einer Konzentration verschiedener sozialer Gruppen kommen. Zu prüfen wäre, welche Wirkungen ein solcher "Creaming-Effekt" auf die Bildungschancen der Kinder z.B. aus sozial schwachen Familien hat.

Nicht zuletzt vor dem Hintergrund der PISA-Studie bleibt zu klären, ob es nicht Ziel aller Finanzierungsmodellen sein sollte, alle Kindertageseinrichtungen zu qualitativ hochwertigen Bildungseinrichtungen zu entwickeln, die Kinder nach ihren jeweils individuellen Voraussetzungen fördern können.

Welche Merkmale sind darüber hinaus als Auswahlkriterien für Eltern vorstellbar? Für die Ausgestaltung der pädagogischen Konzeptionen der Einrichtungen besteht ein Handlungsspielraum. Gleichwohl ist auch zu klären, inwieweit bestimmte finanzielle Voraussetzungen vorhanden sein müssen, damit die erforderlichen Strukturbedingungen für die jeweilige Konzeption bereitgestellt werden können (z.B. benötigt ein Naturspielraum ein entsprechendes Außengelände). Allgemein kann vermutet werden, dass vor allem jene Merkmale in den Einrichtungen variieren, die kostenneutral unterschiedlich gestaltet werden können, zum Beispiel durch Differenzen des professionellen Handelns des pädagogischen Personals. Kostensteigernde Merkmale sind nur insofern realisierbar als hierfür zusätzliche Finanzierungsquellen benötigt werden.

7. Einschätzung der Finanzierungsmodelle auf familienpolitischem und fachlichem Hintergrund: Perspektiven und Verbesserungsvorschläge

Eine Auseinandersetzung mit einzelnen Finanzierungskonzepten kann zunächst transparent machen, dass es "das" ideale Finanzierungskonzept per se nicht gibt und dass die Gestaltung eines Finanzierungssystems als Ergebnis politischer Entscheidungsprozesse zu bewerten ist. Die Einschätzung eines Finanzierungskonzeptes kann aus zwei Perspektiven erfolgen:

  1. Zum einen systemintern, d.h., es kann untersucht werden, welche Ziele durch ein Finanzierungskonzept realisiert werden sollen und inwieweit sie umgesetzt werden konnten. Festgestellt werden könnte auf diese Weise, ob die eingesetzten Instrumente zieladäquat sind.
  2. Aus einer systemexternen Perspektive können die jeweiligen Ziele eines Finanzierungssystems beurteilt werden: Ist das Ziel z.B. Gleichheit und Gerechtigkeit oder werden Einzelbedarfe gefördert? Zu prüfen wäre zudem, welche nicht-intendierten Effekte auftreten.

Generell entsteht der Eindruck, dass die gegenwärtige Diskussion über (angemessene) Steuerungsinstrumente eine Auseinandersetzung über Ziele und Inhalte von Kindertageseinrichtungen vernachlässigt bzw. suggeriert wird, dass zum Beispiel die Nachfragemacht der Eltern und Wettbewerbsprozesse angemessen seien, damit sich "die richtigen" Ziele herauskristallisierten.

Die für Kindertageseinrichtungen Verantwortlichen müssen sich in dieser Situation fragen, ob sie die "partielle Inhaltsleere" der Steuerungsdebatte unterstützen, indem sie z.B. keinen trägerübergreifenden Konsens über Bildungsziele von Kindertageseinrichtungen herbeiführen. Eine fehlende fachinterne Einigkeit über Ziele und Inhalte der pädagogischen Arbeit schafft auch die Voraussetzungen für einen Abbau von Standards und überlässt sie so der angeblichen Nachfrage der Eltern, wird doch vielfach argumentiert, eine solche De-Regulierung ermögliche erst eine Vielfalt pädagogischer Konzeptionen. Damit werden auch die längst formulierten, praktizierten und teilweise in ihren Wirkungen bereits wissenschaftlich überprüften fachlichen Konzepte der Kindertageseinrichtungen missachtet.

Erforderlich ist eine Integration der Qualitäts- und Bildungsdiskussion in die Entwicklung von Finanzierungskonzepten. Die dabei zu erwartenden Konflikte müssen als gesellschaftliche Herausforderung verstanden werden, sich darüber zu verständigen, wie die Lebensbedingungen von Kindern und Eltern in unserer Gesellschaft gestaltet werden sollen.

8. Literatur

Andersson, Bengt-Erik (1992): Effects of day-care on cognitive and socioemotional competence of thirteen-year-old Swedish school-children. In: Child Development, 66, pp. 20-36.

Bock, Kathrin/ Timmermann, Dieter (2000): Wie teuer sind unsere Kindergärten? Eine Untersuchung zu Kosten, Ausstattung und Finanzierung von Kindertageseinrichtungen. Neuwied & Berlin.

Bock-Famulla, Kathrin (2002): Zwischen Fachlichkeit und ökonomischer Handlungsrationalität - Perspektiven für Qualitätsmanagement in Kindertageseinrichtungen. In: Georg Neubauer, Johannes Fromme & Angelika Engelbert (Hrsg.): Ökonomisierung der Kindheit. Sozialpolitische Entwicklungen und ihre Folgen. Opladen: Leske + Budrich 2002, S. 97-112.

Zwischen Fachlichkeit und ökonomischer Handlungsrationalität - Perspektiven für Qualitätsmanagement in Kindertageseinrichtungen. In: Budäus, D. (1996): Wirtschaftlichkeit. Leistungstiefe im öffentlichen Sektor: Erfahrungen, Konzepte, Methoden. Frieder Naschold u. a. Berlin. S. 81-99.

The Children of the Cost, Quality, and Outcomes Study come to School (1999): Technical Report. Frank Porter Graham Child Development Center. Chapel Hill.

Deutscher Bildungsrat (1970): Strukturplan für das Bildungswesen. Stuttgart.

Ferber, Sigrun (2001): Die Einführung der KitaCard in Hamburg. Vortrag auf der Fachtagung: "Neue Finanzierungsmodelle für Kindertageseinrichtungen: Flexibel und marktgerecht" in Frankfurt/Main am 16.-18.05.2001.

Finis Siegler, Beate (1997): Ökonomik sozialer Arbeit. Freiburg im Breisgau.

Halfar, Bernd (1999): Geld und das System Sozialer Arbeit, in: B. Halfar (Hrsg.): Finanzierung sozialer Dienste und Einrichtungen. Baden-Baden, S. 21-41.

Hegelheimer, Armin (1981): Auch in Bildung und Wissenschaft mehr Wirtschaftlichkeit durch Marktmodelle? In: Letzeler, F. & Reinermann, H. (Hrsg.): Wissenschaft, Forschung und Rechnungshöfe. Schriftenreihe der Hochschule Speyer, Band 85. Berlin.

Kinder- und Jugendhilfegesetz (KJHG): Gesetz zur Neuordnung des Kinder- und Jugendhilfegesetzes. Artikel 1: Sozialgesetzbuch (SGB). Achtes Buch (VIII): Kinder- und Jugendhilfe.

Kröger, Rainer (Hrsg.) (1999): Leistung, Entgelt und Qualitätsentwicklung in der Jugendhilfe. Neuwied & Kriftel.

Levin, Henry M. (2000): Recent Developments in the Economics of Education: Educational Vouchers. In: Manfred Weiß/ Horst Weishaupt (Hrsg.): Bildungsökonomie und Neue Steuerung. Frankfurt/Main, S. 97- 114.

Müller Kucera, Karin/ Bauer, Tobias (2000): Volkswirtschaftlicher Nutzen von Kindertagesstätten. Welchen Nutzen lösen die privaten und städtischen Kindertagesstätten in der Stadt Zürich aus? Sozialdepartement der Stadt Zürich (Hrsg.). Regensdorf.

Sachverständigenrat Bildung (2001): Bildung in der frühen Kindheit. Diskussionspapiere. Hans-Böckler-Stiftung. Nr. 4. Düsseldorf.

Spieß, C. Katharina/ Tietze, Wolfgang (2001): Gütesiegel als neues Instrument der Qualitätssicherung von Humandienstleistungen. Gründe, Anforderungen und Umsetzungsüberlegungen am Beispiel von Kindertageseinrichtungen. Diskussionspapier Nr. 243. Deutsches Institut für Wirtschaftsforschung. Berlin.

Streitschrift Zukunftsfähigkeit (2001): Bundesjugendkuratorium (Hrsg.). Bonn & Berlin.

Tietze, Wolfgang (Hrsg.) (1998): Wie gut sind unsere Kindergärten? Eine Untersuchung zur pädagogischen Qualität in deutschen Kindergärten. Neuwied & Berlin: Luchterhand.

Ulrich, P. (1995) (3. rev. Auflage): Transformation der ökonomischen Vernunft. Fortschrittsperspektiven der modernen Industriegesellschaft. Bern, Stuttgart & Wien: Verlag Paul Haupt.

Die Vorschulerziehung in der Europäischen Union (1995): Studien Nr. 6. Brüssel, Luxemburg.

Autorinnen

Kathrin Bock-Famulla arbeitet an Universität Bielefeld und Beate Irskens beim Deutscher Verein für öffentliche und private Fürsorge in Frankfurt/Main.