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Zitiervorschlag

"...bester Kenner, Besterfahrener des Berufes" - Zur historischen Verwandtschaft von Erziehern und Sozialpädagogen

Ralph Christian Amthor

 

Erzieher und Sozialpädagogen als traditionelle soziale Berufe

Der Beruf der Erzieherin als typischer Frauenberuf gilt als das "historische Flaggschiff sozialpädagogischer Ausbildung in Deutschland" (Beher u.a. 1999, S. 5) und als "der soziale Beruf" schlechthin. Die Erzieherinnenausbildung ist nicht nur die am weitesten verbreitete soziale Berufsausbildung der Gegenwart, sondern verfügt auch im Vergleich zu anderen sozialen Berufen über die längsten geschichtlichen Entwicklungstraditionen. Die historischen Wurzeln dieses Berufes in seiner heutigen Ausprägung reichen dabei bis zum Beginn des 19. Jahrhunderts zurück. Erste einzelne Initiativen sind verbunden mit Namen wie Johann Friedrich Oberlin, Friedrich Wadzeck oder Pauline von Lippe-Detmold. Im Zuge der allgemeinen Zunahme von Einrichtungen im Vorschulbereich wurde die Nachfrage nach entsprechend ausgebildeten Personal dringender. Erst aber unter dem Einfluss des evangelischen Theologen Theodor Fliedner (1800 - 1864) und dem auch heute noch bekannten Pädagogen Friedrich Fröbel (1782 - 1852) entwickelte sich im Vorschulbereich der Beruf der Kindergärtnerin heraus, der zum heutigen Erzieherberuf führt.

Nach der amtlichen Statistik gab es im Jahr 2002 insgesamt 439.000 erwerbstätige Erzieher. Unter den sozialen Berufen zählen daneben insbesondere die Diplom-Sozialpädagogen/ Diplom-Sozialarbeiter von den Fachhochschulen mit 234.000 Erwerbstätigen zu einer zweiten wichtigen Gruppe unter den sozialen Berufen (Statistisches Bundesamt 2003, S. 110). Beide Berufsgruppen sind Teil eines großen Projektes, der Kinder- und Jugendhilfe, die heute, zum Beginn des 21. Jahrhunderts, einen unverzichtbaren Teil unserer Gesellschaft darstellt, mit unzähligen Einrichtungen und Diensten verschiedenster freier und öffentlicher Träger, einem riesigen Heer an Beschäftigten, einer enormen Wirtschaftskraft und einer vielschichtigen und spannenden Geschichte.

Während die Berufsgeschichte der Erzieher inzwischen als wissenschaftlich gut aufgearbeitet gilt, gerät zunehmend mehr in Vergessenheit, dass die Berufe Erzieher und Sozialpädagogen, als die beiden wichtigsten sozialen Berufe der Gegenwart, historisch betrachtet ganz erhebliche Gemeinsamkeiten aufweisen und eng miteinander verwandt sind. Auf einen kurzen Nenner gebracht: Die Geschichte der Erzieherin wäre ohne die der Sozialpädagogen nicht denkbar, und was sicherlich noch mehr Geltung hat: Die heutige Fachhochschulausbildung für Sozialpädagogen würde ohne den Beruf des Erziehers in seiner besonderen deutschen Ausprägung so nicht existieren. Betrachten wir hierzu einige wichtige geschichtliche Etappen aus der Entwicklung der Sozialpädagogen.

Die "Jugendleiterin" als Zusatzqualifikation für berufserfahrene Kindergärtnerinnen

Verfolgen wir die Berufsgeschichte der Erzieher, so treffen wir gleich an erster Stelle auf Erstaunliches: Obwohl sich der Vorschulbereich bereits ab 1800 zu entwickeln begann und im Laufe des 19. Jahrhunderts an Bedeutung und Größe zunahm, kam es erst im Jahr 1911 in Preußen zu einer ersten Ausbildungs- und Prüfungsordnung, der dann ähnliche Bestimmungen in den anderen deutschen Ländern des damaligen deutschen Reiches folgten. Erstaunlich ist aber aus der heutigen Perspektive nicht nur die Tatsache, dass über viele Jahrzehnte hinweg ohne ausgewiesene und einheitliche Standards ausgebildet wurde. Ebenso mag es erstaunen, dass im Zuge dieser preußischen Regelungen gleichzeitig ein ganz neuer sozialer Beruf entstand: die "Jugendleiterin". Folgt man der heutigen Geschichtsschreibung, so entstand die Jugendleiterin als Vorläufer der heutigen Sozialpädagogen an den Fachhochschulen ebenfalls im Jahr 1911. Während damit die Regelungen der Vorläuferausbildung für Erzieherinnen mehr als hundert Jahre auf sich warten ließen, etablierte sich die Vorläuferausbildung für Sozialpädagogen innerhalb kürzester Zeit.

Das zuständige preußische Ministerium sah für Bewerberinnen, die über die Ausbildung einer Kindergärtnerin hinaus die Befähigung zur Leitung von mehrgliedrigen Kindergärten, von Kinderhorten und ähnlichen Anstalten zur Pflege und Erziehung der Jugend außerhalb der Schulzeit erlangen wollten, eine umfassendere und tiefer gehende Ausbildung vor. Für die Zulassung zum "Kursus zur Ausbildung von Jugendleiterinnen" war die Vollendung des 19. Lebensjahres, das Zeugnis über den erfolgreichen Ausbildungsabschluss zur Kindergärtnerin sowie darüber hinaus eine anschließende berufliche Bewährung erforderlich. In der einjährigen Ausbildung sollten folgende Fächer unterrichtet werden (1):

  Wochenstunden

A. Theoretische Fächer

 

Pädagogik
Gesundheitslehre
Berufskunde
Jugend- und Volksliteratur
Unterrichtslehre

3
1
2
1
2

B. Technische Fächer

 

Modellieren, Ausschneiden, Zeichnen
Handfertigkeit

3
7

C. Praktische Arbeit

 

½ Jahr Kindergarten und ½ Jahr Kinderhort - zusammen:
Kochen und Hauswirtschaft

8
3

Summe

30

Während "Erzieher" und "Sozialpädagogen" heute voneinander unabhängige soziale Berufe darstellen, war zur damaligen Zeit die Jugendleiterinnenausbildung noch keine eigenständige Berufsausbildung, sondern vielmehr eine Zusatzausbildung für bereits berufserfahrene Kindergärtnerinnen, die ihre Fachkenntnisse vertiefen wollten und in die Verwaltungsarbeit als Vorbereitung für eine leitende Tätigkeit eingeführt werden sollten.

Zum tatsächlichen Ursprung der Sozialpädagogenausbildung

Sozialpädagogen werden heute zusammen mit Sozialarbeitern an Fachhochschulen in einem bundesweit einheitlichen Studium ausgebildet, weshalb dieser Beruf (mit den zwei Berufstiteln) auch unterschiedliche geschichtliche Entstehungshintergründe aufweist. Verfolgen wir die Geschichte der Jugendleiterinnenausbildung zurück, so kann einmal festhalten werden, dass eine gesonderte, weiterführende Ausbildung für den Vorschulbereich bereits etliche Jahre vor der ersten Ausbildungsregelung im Jahr 1911 gefordert wurde. Beispielsweise wurden auf einer Versammlung des "Deutschen Fröbel-Verbandes" in Berlin im Jahr 1896 und damit bereits vor der Jahrhundertwende - mit Blick auf den Unterricht in den Kindergartenseminaren als ein weiteres wichtige Arbeitsfeld der späteren Jugendleiterinnenausbildung - nachhaltige Verbesserungen und die Einführung von einjährigen Kursen zur Ausbildung von Lehrerinnen für Kindergärtnerinnenseminare verlangt (2).

Aber auch erste, tatsächlich durchgeführte Fortbildungen für Kindergärtnerinnen lassen sich noch vor dem Jahr 1911 nachweisen: So kündigte beispielsweise 1896 die Zeitschrift "Kindergarten" an, dass der Leipziger "Fröbel-Verein" sein Kindergärtnerinnenseminar erweitern und eine weitere "Abteilung zur Ausbildung von Seminarlehrerinnen, das ist, solchen Lehrerinnen, die entweder Kindergärtnerinnen-Seminare leiten oder an diesen unterrichten können, hinzufügen beabsichtigt" (Kindergarten 1896, S. 155). Ein derartiger Lehrgang wurde auch in Berlin durchgeführt: Erste Ansätze zu einer Jugendleiterinnenausbildung unternahm 1880 bereits Henriette Schrader-Breymann (1827 - 1899), eine Nichte von Friedrich Fröbel, die am Pestalozzi-Fröbel-Haus in Berlin ausgewählte, in der Praxis bewährte Kindergärtnerinnen zuerst ein halbes, später ein ganzes Jahr weiterbildete: "Im Mittelpunkt standen dabei", so führte der Erziehungswissenschaftler von Derschau hierzu aus, "die berufskundlichen Fächer und die Ausbildung für die Praxisanleitung. Das Beispiel des Pestalozzi-Fröbel-Hauses aufgreifend, wurden in den folgenden Jahren an verschiedenen Kindergärtnerinnenseminaren ähnliche Aufbaukurse eingerichtet" (1976, S. 11f.). Eine gesonderte Schulung lässt sich darüber hinaus bereits zu Beginn des Deutschen Kaiserreiches bei dem von der Frauenrechtlerin Henriette Goldschmidt (1825 - 1920) im Jahr 1871 gegründeten "Verein für Familien- und Volkserziehung" in Leipzig verorten (3).

Als weitgehend gesichert kann heute angenommen werden, dass sich der Beruf der Jugendleiterin als eine der wichtigsten historischen Wurzel der heutigen Sozialpädagogenausbildung im Laufe der Expansion der Einrichtungen der Kleinkindpädagogik und hier primär in der Tradition der Fröbelschen Kleinkindererziehung entwickelte. Vor allem größere Vorschuleinrichtungen waren auf Führungskräfte angewiesen, was neben vertieftem Wissen in der Kleinkinderpädagogik umfangreiche Verwaltungs- und Organisationskenntnisse erforderte: "Gerade die großen Einrichtungen mit ihrem hohen Anteil an Verwaltungsarbeit waren das Arbeitsgebiet der Jugendleiterinnen. Die Arbeit verlagerte sich für sie mehr zu bürokratischen Tätigkeiten - weg von dem direkten Umgang mit den Kindern. Dem gemäß wurden auch erfahrene ältere Kindergärtnerinnen, die ihre Loyalität mit dem Träger bewiesen hatten, sich gegenüber Kolleginnen durchsetzen konnten und ausreichendes Verwaltungsgeschick besaßen, vielfach in dieser Stellung beschäftigt" (Riemann 1985, S. 58f.). Und auch der "Pestalozzi-Fröbel-Verband" stellt fest: "Praxiserfahrene Kindergärtnerinnen mit Zusatzausbildung (seit 1911 Jugendleiterinnen genannt) waren nicht nur im Unterricht in den Kindergärtnerinnenseminaren tätig, sondern auch in der Leitung größerer Einrichtungen und in der Anleitung junger Berufsanfänger, denn im Zuge der Verstädterung und Industrialisierung mit ihren Folgen für das Heranwachsen der Kinder war auch die Arbeit der Kindergärtnerin schwieriger und differenzierter geworden" (1977, S. 12).

Die Entwicklungen in der Weimarer Republik

Nach dem I. Weltkrieg erweiterten sich die beruflichen Aufgabenfelder der Jugendleiterin ganz erheblich: Angehörige dieses Berufes fanden Beschäftigung in leitender Funktion in mehrgliedrigen Kindergärten und Horten, Tagesheimen, Lesestuben, Kindererholungsheimen für Klein- und Schulkinder, Kinderheimen und Vorklassen, des Weiteren als Mitarbeiterinnen in der Jugendpflege, Kinderheilstätten, Fürsorgeerziehungsanstalten, in Behindertenheimen, in der Fabrikpflege, in Jugendämtern und Landesjugendämtern. Daneben nahmen insbesondere die unterrichtenden Tätigkeiten zu, z.B. in fachpraktischen Fächern an Frauenschulen, an Seminaren für Kindergärtnerinnen und Hortnerinnen, aber auch an Jugendleiterinnenseminaren selbst. An Schulen für Kinderpflegerinnen übernahm die Jugendleiterin nicht nur den Unterricht, sondern darüber hinaus die Leitung der ganzen Schule. Im Jahr 1920 gab es insgesamt zehn staatlich anerkannte Jugendleiterinnenseminare, hiervon allein sieben in Preußen (4).

Ende der Weimarer Republik ergaben sich im Rahmen der allgemeinen Neugestaltung und Reform der sozialen Berufsausbildungen auch veränderte Rahmenbedingungen für die Ausbildung der Jugendleiterinnen. Dies betraf insbesondere die praktische Tätigkeit, die noch vor dem Eintritt ins Jugendleiterinnenseminar nachgewiesen werden musste und von einem auf zwei Jahre erhöht wurde. Während das erste Jahr eine Ergänzung der praktischen Ausbildung im Kindergärtnerinnen- und Hortnerinnenseminar bezweckte und eine Anleitung und Beratung durch eine in der Kinderfürsorge und Kindererziehung tätigen und erfahrenen Persönlichkeit in einer genehmigten "Übungsstätte" vorsah, sollte nunmehr das zweite Jahr zusätzliche berufliche Erfahrungen in weiteren Arbeitsfeldern eröffnen.

1931 wurden die Anforderungen noch einmal erhöht und die praktische Vorerfahrungen auf insgesamt drei Jahre ausgedehnt. Damit stand allerdings die Ausbildungszeit in keinem Verhältnis mehr zu den beruflichen Perspektiven: So erforderte der Beruf der Jugendleiterin zusammen mit der nunmehr zweijährigen Ausbildung zur Kindergärtnerin, der dreijährigen Berufspraxis und der einjährigen eigentlichen Berufsausbildung zur Jugendleiterin eine Ausbildungszeit von insgesamt sechs Jahren, die zudem mit erheblichen wirtschaftlichen Einschränkungen und Erschwernissen verbunden war. Ende 1931 fanden die Ausbildungsregelungen zumindest aber insofern einen Abschluss, als das Reichsministerium des Innern, wie schon ein Jahr zuvor bei den Kindergärtnerinnen, eine reichsweit gültige "Vereinbarung der Länder über die Ausbildung der Jugendleiterinnen" herausgab (vgl. Amthor 2003, S. 339ff.).

Die Jugendleiterin im Nationalsozialismus

Wie sich die Berufsausbildung sowie die Erwerbstätigkeit der Jugendleiterin zwischen den Jahren 1933 bis 1945 weiterentwickelte, ist weitgehend unbekannt. Ausgegangen werden kann allerdings davon, dass sich das Aufgabengebiet der Jugendleiterin insbesondere durch die Mitarbeit in der Nationalsozialistischen Volkswohlfahrt (NSV), dem neuen ideologisch ausgerichteten Wohlfahrtsverband, erweiterte: "Die volkserzieherische Arbeit, in der die Jugendleiterin steht", so kann in einem Beitrag in der Zeitschrift "Kindergarten" nachgelesen werden, "ist vor allem dank der Aufbauarbeit der NSV so ungeheuer gewachsen, dass nicht nur die Nachfrage nach tüchtigen Jugendleiterinnen dauernd steigt, sondern auch die Anforderungen an die Leistung der einzelnen wesentlich höher liegen als früher. Vor allem der große Bedarf an Jugendleiterinnen gestattet uns nicht mehr den Luxus der zufälligen Auslese. Unter unseren Kindergärtnerinnen sind viele, die bei planvoller Auslese und guter Ausbildung die gleiche, wenn nicht eine bessere Leistung erwarten lassen, als dies bei dem früheren System der Fall war" (Arnold 1941b, S. 102f.).

Tatsächlich spricht einiges dafür, dass die Nachfrage für diesen sozialen Beruf anstieg: "Die Berufsaussicht für Kindergärtnerinnen wie für Jugendleiterinnen, die nach dem Weltkriege starken Wechsel unterworfen waren...", so berichtete die Reichsvermittlungsstelle für Frauenberufe, "ist in den Jahren 1936 und 1937, besonders aber seit Herbst 1937, wieder als sehr günstig zu bezeichnen. In den letzten Jahren konnte ein ganz bedeutender Umschwung in der Berufslage der Kindergärtnerinnen und eine langsam aber stetig sich günstiger gestaltende Lage der Jugendleiterinnen festgestellt werden" (Friebe 1938, S. 248). Gleichwohl ist bekannt, dass aufgrund des massiven Ausbaus des Kindergartensektors vielfach Kindergärtnerinnen durch Kinderpflegerinnen ersetzt und Kindergärtnerinnen mit nationalsozialistischer Gesinnung anstelle von Jugendleiterinnen in Leitungsfunktionen eingesetzt wurden (5).

Wie in der Weimarer Republik baute der Beruf der Jugendleiterin auf der Ausbildung zur Kindergärtnerin auf und folgte dabei den Ausbildungsbedingungen der Anfang der dreißiger Jahre erlassenen Bestimmungen der jeweiligen Länder. Gleichwohl muss hervorgehoben werden, dass die Ausbildungsinhalte - wie im Übrigen bei allen sozialen Berufen - erheblich ideologisch ausgerichtet waren: So wurde die Zugehörigkeit zu nationalsozialistischen Organisationen vorausgesetzt, wie sie beispielsweise Hans Volkelt (1886 - 1964), der damalige Leiter des Deutschen Fröbel-Verbandes, in der gleichgeschalteten Zeitschrift "Kindergarten" beschrieb: "Voraussetzung für die Aufnahme in eine sozialpädagogische Lehranstalt sollte bei der Ausbildung zur Kindergärtnerin und Hortnerin von jetzt an sein, daß diese möglichst vom 10. Lebensjahr ab der HJ. - zuerst als Jungmädel, dann als BDM-Mädel - angehört hat und daß sie auch während dieser Ausbildung die Arbeit im BDM in gewissem Umfang und in der rechten Weise fortsetzt. Für die Ausbildung zur Jugendleiterin kommen folgende Umstände dazu: a) der Arbeitsdienst wurde unterdessen durchlaufen, b) bisweilen ist die betr. Erzieherin inzwischen zur NS-Frauenschaft übergetreten, c) die werdende Jugendleiterin wird fast ausnahmslos bereits dem NSLB. angehören, sehr oft außerdem der NSV" (1936, S. 104).

Wie auch in den übrigen Berufen sollte in der Ausbildung zur Jugendleiterin nicht mehr die Schulbildung maßgebend sein, sondern die so genannte "innere Eignung und Persönlichkeit", insbesondere aber die "Erziehung im nationalsozialistischen Geist, die Hervorkehrung des Dienst- und Opfergedankens und die praktische Schulung" (Althaus 1933, S. 26). Damit unterbrach der Nationalsozialismus aber den Reichtum und die Vielfalt beruflicher Qualifizierung. Dies gilt nicht nur für den Beruf der Jugendleiterin, sondern für alle damaligen soziale Berufe. Der Nationalsozialismus war zweifellos der Tiefpunkt in der Geschichte der sozialen Berufsaubildung (vgl. Amthor 2003).

Von der Jugendleiterin zum Sozialpädagogen

Nach dem II. Weltkrieg und während der fünfziger Jahre war der Beruf der Jugendleiterin nach wie vor eng mit dem Beruf der Kindergärtnerin verbunden, und in der Ausbildung war der Gedanke tragend, dass die spätere Berufspraxis dieses sozialen Berufes einen Ausbildungsweg erfordert, der eine vielseitige und langjährige Praxiserfahrung in der Erziehungsarbeit notwendigerweise voraussetzte: "Vom Beruf der Jugendleiterin aus springt als eindrucksvolles Phänomen jener Umstand ins Auge, daß die angehende Jugendleiterin aus dem Zusammenleben mit Kindern einen großen Erfahrungsschatz mitbringt, der allein, in der Ausbildung theoretisch und praktisch ausgewertet, für die Erziehungsleistung und den Umgang mit Menschen überhaupt die Sicherheit für leitende und speziell lehrende Tätigkeit verleiht" (Koblank 1961, S. 185).

Die beruflichen Aufgaben der Jugendleiterin waren dementsprechend vielseitig. In großen Einrichtungen war sie oft in leitender Funktion tätig, vor allem in Kindergärten und Horten mit mehreren Abteilungen und im stationären Bereich, beispielsweise in Erziehungsheimen, Schülerheimen, Jugendwohnheimen, Erholungsheimen für Kinder und Jugendliche oder Müttererholungsheimen. Als Mitarbeiterin arbeitete sie in der Kinderfürsorge, der Jugendpflege, in Kinderkrankenhäusern und Heilstätten, Erziehungsberatungsstellen oder heilpädagogischen Einrichtungen, darüber hinaus als Sachbearbeiterin und Fachreferentin in Behörden des Volksbildungswesens und bei freien und öffentlichen Trägern des Wohlfahrtswesens. In Kinderpflegerinnenschulen, Seminaren für Kindergärtnerinnen- und Hortnerinnen sowie in Ausbildungsstätten für Jugendleiterinnen sah sie sich insbesondere für den Unterricht in berufspraktischen Fächern zuständig und übernahm in der Ausbildung von Kinderpflegerinnen weiterhin leitende Funktionen. Die Aufgabe der Jugendleiterin war es, den Berufsnachwuchs zu führen und zu unterrichten, "und zwar ausdrücklich dergestalt, daß die Lehrkraft auf diese Weise zugleich bester Kenner, Besterfahrener des Berufes selbst sein kann - ein umfangreiches Programm und sinnvolle Gestalt für einen Beruf, der sich 'Jugendleiter' nennt" (Koblank 1961, S.176f.) (6).

Ab 1947 erfolgte schrittweise eine zeitliche und inhaltliche Ausweitung der Ausbildung, zunächst von einem auf eineinhalb Jahre, 1956 schließlich auf zwei Jahre, wobei an der Jugendleiterinnenausbildung als Zusatzausbildung für berufserfahrene Kindergärtnerinnen grundsätzlich festgehalten wurde. Zu ganz wesentlichen Erneuerungen kam es schließlich aber im Jahr 1967 mit der "Rahmenvereinbarung für sozialpädagogische Ausbildungsstätten" der Kultusministerkonferenz, in deren Folge es in den einzelnen Bundesländern bis Anfang der siebziger Jahre zu neuen Ausbildungs- und Prüfungsbestimmungen und damit zu einer bundesweiten Neuordnung kam. Statt von der "Kindergärtnerin" und "Heimerzieherin" bzw. dem "Heimerzieher" spricht man seither von der "Erzieherin" bzw. dem "Erzieher", die an so genannten "Fachschulen für Sozialpädagogik" ausgebildet werden.

Auch der alte Name "Jugendleiterin" wurde durch die ebenfalls heute noch gültige Berufsbezeichnung "Sozialpädagoge" ersetzt, die nunmehr eine "Höhere Fachschule für Sozialpädagogik" verlieh. Als Zugangsvoraussetzungen galten das vollendete 18. Lebensjahr, ein mittlerer Bildungsabschluss und eine zweijährige geeignete praktische Tätigkeit, wohingegen als eine wesentliche Veränderung eine vorangehende Ausbildung als Kindergärtnerin bzw. Erzieher/in nicht mehr erforderlich war. Ging dem Beruf der Jugendleiterin von Anfang an stets eine Ausbildung voran, die auf einen anderen sozialen Beruf aufbaute und mit dem Beruf der Kindergärtnerin in einem "organischen Bezug" (Koblank 1961, S. 187) stand, so erfolgte nun die Ausbildung allgemein in einer losgelösten und grundständigen Form.

Dafür wurde allerdings die Dauer der Sozialpädagogensausbildung auf insgesamt vier Jahre deutlich angehoben und unterteilte sich in ein sechssemestriges Studium an der Höheren Fachschule und ein anschließendes einjähriges Berufspraktikum unter Anleitung der Schule, das mit einem Kolloquium und der staatlichen Anerkennung abschloss. Ziel der Ausbildung war die Befähigung zu einer selbständigen Tätigkeit in allen sozialpädagogischen Berufsbereichen. Durch diese Rahmenvereinbarung der Kultusministerkonferenz war die Ausbildung zu diesem sozialen Beruf nunmehr für beide Geschlechter zugänglich - Männer waren bislang durch die Erfordernisse der Kindergärtnerinnenausbildung praktisch ausgeschlossen.

Anfang der siebziger Jahre wurde die Sozialpädagogenausbildung in den Hochschulbereich übergeführt und fand fortan an Fachhochschulen statt. Heute werden Sozialpädagogen zusammen mit Sozialarbeitern in einem einheitlichen Studiengang an Fachhochschulen für Soziale Arbeit ausgebildet (7).

Anmerkungen

(1) Vgl. Pappenheim 1911a, S. 100. Hier findet sich auch der Erlass des Ministers der geistlichen, Unterrichts- und Medizinalangelegenheiten von 1911. Die gesonderte Prüfungsordnung ist abgedruckt bei Pappenheim 1911b.

(2) Vgl. Heerwart 1896, S. 154f. sowie zu weiteren Beispielen Amthor 2003, S. 253ff.

(3) Vgl. zu den ersten Ausbildungsmöglichkeiten für leitende und unterrichtende Tätigkeiten im Vorschulbereich Amthor 2003, S. 249ff. Zum Leipziger Fröbel-Verein Sahle 1999, zum Pestalozzi-Fröbel-Haus Derschau 1987, S. 75 und Koblank 1961, S. 176, sowie zur Ausbildung des Vereins für Familien- und Volkserziehung in Leipzig Goldschmidt 1873a und 1873b.

(4) Vgl. Amthor 2003, S. 339ff. Siehe als Beispiel für zeitgenössische Darstellungen zum Berufsfeld der Jugendleiterin Gierke, H. 1927, Corte 1925, Blochmann 1928, Strnad 1932, Gehring 1929, S. 267f. und 284f., schließlich speziell zur Unterrichtstätigkeit vgl. Wenzel 1925 und Boeckers 1927.

(5) Vgl. Riemann 1985, S. 58f. Zum Arbeitsgebiet der Jugendleiterin während des Nationalsozialismus siehe Arnold 1941, Amt für Berufserziehung 1937, S. 27ff., Rees 1938, S. 54ff. und 1939, Althaus/ Betcke 1937/39, Sp. 968f., Friebe 1938 und Noack 1934. Siehe hierzu auch die "Richtlinien für die Einstellung der Jugendleiterin" des "Deutschen Fröbel-Verbandes" aus dem Jahr 1935 (Kindergarten 1935, S. 230ff. und 234f.).

(6) Vgl. zu den beruflichen Arbeitsfeldern und Arbeitsbedingungen von Jugendleiterinnen Zorell 1950 und 1954, Prinz 1953, Boltz 1954, Besser 1954 und 1960, Besser u.a. 1961, S. 160ff., Koblank 1961, S. 188f. und S. 207ff., Hoffmann 1958, S. 14ff., Justi 1959, Blätter des Pestalozzi-Fröbel-Verbandes 1960 und Orth u.a. 1953.

(7) Vgl. zur Berufsausbildungsgeschichte der Diplom-Sozialpädagogen/ Diplom-Sozialarbeiter und der Erzieherinnen ausführlich Amthor 2003.

Literatur

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Althaus, H./Betcke, W.: Handwörterbuch der Wohlfahrtspflege. Berlin, 3. Aufl. 1937/39.

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Amthor, R.C.: Die Geschichte der Berufsausbildung in der Sozialen Arbeit. Auf der Suche nach Professionalisierung und Identität. Weinheim 2003.

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Beher, K. u.a.: Das Berufsbild der ErzieherInnen. Neuwied 1999.

Besser, L.: Wo arbeite die Jugendleiterin? In: Blätter des Pestalozzi-Fröbel-Verbandes 1954, 5. Jg., S. 81-82.

Besser, L.: Kindergärtnerin und Jugendleiterin und ihre Einsatzfelder. In: Blätter des Pestalozzi-Fröbel-Verbandes 1960, 11. Jg., S. 24-31.

Besser, L. u.a.: Beiträge zur Sozialpädagogik. Heidelberg 1961.

Blätter des Pestalozzi-Fröbel-Verbandes: Grenzverschiebung im Raum der sozialpädagogischen Berufsarbeit. In: Blätter des Pestalozzi-Fröbel-Verbandes 1960, 11. Jg., Nr. 1, S. 1-40.

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Boeckers, H.: Die Bedeutung der praktischen Erfahrung für die unterrichtende Jugendleiterin. In: Kindergarten 1927, 68. Jg., S. 5-12.

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Zorell, E.: Warum Jugendleiterin? In: Pädagogische Blätter 1954, 5. Jg., S. 50-53.

Zum Autor

Ralph Christian Amthor veröffentlichte im Jahr 2003 unter dem Titel "Die Geschichte der Berufsausbildung in der Sozialen Arbeit. Auf der Suche nach Professionalisierung und Identität" die Ergebnisse einer umfangreichen Studie zur geschichtlichen Entwicklung des heutigen Ausbildungssystems für soziale Berufe. Geforscht wurde zu folgenden Berufen: Kinderpflegerin, Familienpflegerin und Dorfhelferin, Erzieherin, Heilerziehungspfleger, Altenpfleger, Heilpädagoge, Diplom-Sozialpädagoge/ Diplom-Sozialarbeiter und Diplom-Pädagoge.