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Zitiervorschlag

Aus: Zet - Zeitschrift für Tagesmütter und -väter 2005, Heft 5, mit Genehmigung des Kallmeyer Verlags bei Friedrich Velber, Postfach 100134, 30917 Seelze

Aufbruchstimmung und Zufriedenheit: Familientagesbetreuung in England

Karin Hahn

 

Bei einer Studienreise in London und in Corby stieß Karin Hahn, die Leiterin des Hessischen Tagespflegebüros, bei den Tagesmüttern (childminders) auf sehr viel Offenheit und bei den Koordinatorinnen auf große Bereitschaft zu fachlichem Austausch. Vieles, was sie dabei über die Familientagesbetreuung in England erfahren hat, könnte auch für Deutschland beispielhaft sein.

Fachliche Begegnung und Austausch erwünscht - das könnte als Leitmotiv über meine Begegnungen mit Tagesmüttern und den Koordinatorinnen stehen, denen ich bei einer Studienreise in London und Corby begegnete. Dabei erhielt ich einen Einblick in das englische Betreuungssystem. Mein Eindruck ist: Es gibt hier ein gut organisiertes nationales, regionales, lokales Netzwerk für Tagesmütter. Zum Beispiel verpflichtet sich der Landes- bzw. Bundesverband, die Arbeitsqualität der registrierten Tagesmütter den staatlichen Standards entsprechend umfassend und vergleichbar auf ein hohes Niveau zu bringen - zur Sicherung des Wohlbefindens und der Bildung von Kindern, deren Eltern eine Familientagesbetreuung gewählt haben. Gegenüber Politik und Öffentlichkeit vertritt die "National Childminding Association" - sozusagen der Bundesverband für Kindertagespflege in England - alle registrierten Tagesmütter als professionelle Gruppe und stellt neben der Repräsentation das englandweite Informationsnetzwerk, die Weiterbildungsmaßnahmen sowie den rechtlichen Rahmen für die Tagesmütter sicher.

Während meiner einwöchigen Reise traf ich an fünf verschiedenen Orten mit Tagesmüttern, Fachberaterinnen, Verbandsvertreterinnen sowie mit Kindern und Eltern zusammen. Trotz höchst unterschiedlicher sozialräumlicher Gegebenheiten fand ich überall eine qualitativ vergleichbare Basis des Betreuungsbereiches Kindertagespflege. Darüber hinaus war für mich beeindruckend, wie selbstbewusst sich diese professionelle Gruppe der Tagesmütter neben anderen professionellen Gruppen präsentierte, die zusammen ein Betreuungs-, Beratungs-, und Bildungsangebot rund um die Familie entwickelt haben.

Kindertagespflege im Verbund

Mit einer bildungs- und sozialpolitischen Offensive und dem Programm "Sure Start" wird in England seit 1999 eine übergreifende Strategie der Regierung (Bildungs- und Gesundheitsministerien) umgesetzt, die insbesondere den Service für Kinder unter vier Jahren und deren Familien, die in benachteiligten Gebieten leben, verbessern soll. Keineswegs flächendeckend, aber auch von entscheidender Bedeutung für die qualitative Weiterentwicklung der Familientagesbetreuung sind die "Early-Excellence-Centre-Programs". Die Ziele dieses Programms beziehen sich auf vier Bereiche:

  1. die Qualität und den Umfang des Angebots für Familien zu sichern,
  2. Familien zu beteiligen, sie in die Bildungsprozesse ihrer Kinder einzubeziehen,
  3. die Struktur der Einrichtungen bestmöglich und umfassend zu entwickeln sowie
  4. das pädagogische Personal dafür optimal aus- bzw. weiterzubilden.

Die EECs sind als so genannte "one-stop-shops" konzipiert. Sie bieten vielfältige Angebotsformen und Inhalte zur Unterstützung und Förderung von Familien und Kindern unter einem "gemeinsamen Dach". EECs haben keine einheitliche Organisationsstruktur; je nach Stadtteilbedarf sollen sie den lokalen Bedürfnissen von Familien entsprechen. Sie sollen zu Fuß (mit dem Kinderwagen) erreichbar sein.

Kennen gelernt habe ich große und kleine Häuser in räumlicher Nähe. Das "gemeinsame Dach" bildete ein Kooperationsnetz: verschiedene Träger, verschiedene Betreuungs- und Bildungsangebote, umfangreiche Dienste für Familien. Entscheidend ist nicht "eine Bauweise", sondern die Qualität der Bezüge. Die anerkannten Centres gelten als Beispiele guter Praxis. Und genau da befindet sich selbstverständlich das Angebot der Familientagesbetreuung.

An zentralen Punkten - zum Beispiel dem Eingangsbereich einer Kindertagesstätte - wird über die Kindertagespflege informiert, wird für Tagesmütter geworben, gibt es Aushänge mit Angeboten, Fortbildung für Tagesmütter, offene Treffs ("drop ins") für Familien mit kleinen Kindern. Familientagesbetreuung hat sichtbar Qualität an den institutionellen Orten. Vieles ist selbstverständlich und kollegial entwickelt - beispielhaft auch für Deutschland.

Childminding - Rahmen für eine Tagesmutter

"Tagesmutter, wäre das etwas für Sie?" So wird in den EECs geworben. Eine Broschüre bringt umfangreiche Informationen an interessierte Frauen in der Familienphase. In England bedeutet "Tagesmutter sein", dass eine Person ein oder mehrere Kinder unter acht Jahren für mehr als zwei Stunden täglich in ihrem Haushalt betreut und dafür entlohnt wird (90 bis 140 Pfund pro Woche). Tagesmütter sind selbständig tätig, müssen allerdings bei OFSTED ("Office for Standards in Education" - staatliche Institution des Bildungsministeriums) registriert sein. Um Tagesmutter zu werden, bewirbt sich eine Frau bei OFSTED. Es gibt Vortreffen für werdende Tagesmütter in den jeweiligen Stadtteilen und Gemeinden - Gesprächsrunden, in denen Informationen zur Kindertagespflege, Ausbildung zur Tagesmutter, rechtlicher Rahmen etc. vermittelt werden. Das Anmeldeverfahren ist landesweit einheitlich. Auf die Bewerbung folgt die Überprüfung einer Tagesmutter von der Behörde durch Hausbesuche.

Eine Tagesmutter kann bis zu sechs Kinder unter acht Jahren einschließlich der eigenen Kinder betreuen. Nur drei Kinder dürfen unter drei Jahre alt sein, ein Kind unter einem Jahr. Es besteht die Möglichkeit, mit einer anderen Tagesmutter zusammenzuarbeiten oder bei der Aufnahme von mehr Kindern eine Hilfe einzustellen. Im Eignungsfeststellungsverfahren wird zum Beispiel geprüft, ob die Bewerberin die vorgeschriebenen (vierzehn!) Qualitätsstandards erfüllt. Geachtet wird darauf, dass das Anwesen sicher ist und ausreichend Spiel- und Lernmöglichkeiten für Kinder zur Verfügung stehen. Im Allgemeinen dauert das Anerkennungsverfahren circa drei Monate. Ihre Eignung wird jährlich erneuert. Arbeitet eine Tagesmutter ohne Registrierung, kann sie strafrechtlich verfolgt werden.

Entsprechend der vorliegenden nationalen Standards hat eine registrierte Tagesmutter Ausbildungsstufen zu durchlaufen. Die Qualifizierungsmöglichkeiten sind "durchlässig" hin zur Erzieherin:

1. Stufe: Grundkurs und Erste Hilfe Kurs (Pflicht)
2. Stufe: Aufbaukurs
3. Stufe: Erzieherin

Tagesmütter, die im "Sure Start"-Programm mitarbeiten, erhalten vom Staat ein Startgeld zur Grundausstattung von 450 Pfund. Teilweise bietet die staatliche Behörde OFSTED Qualifizierungskurse an - englandweite Qualifizierung erfolgt durch den Berufsverband "Childminder Association". Die Vernetzung der Tagesmütter ist oberstes Ziel des Verbandes, zum Beispiel bilden jeweils zwanzig Tagesmütter eine Selbsthilfegruppe. Den Fachaustausch leiten Tutorinnen; sie sind Tagesmütter, die sich für diese Aufgabe zusätzlich qualifiziert haben.

Qualitätsstandards

Seit September 2001 liegen umfangreiche nationale Standards für "childminding" vor. Tagesmütter haben sich zu qualifizieren, Supervision wahrzunehmen, ihre Tätigkeit zu dokumentieren. Sie werden durch eine ausführliche Broschüre darüber informiert, welches Qualitätsprofil von ihnen erwartet wird. Von mir befragte Tagesmütter betonten, wie gut sie durch den deutlichen Qualitätsrahmen orientiert seien, seitdem sie qualifiziert begleitet werden, und sich sehr viel stärker als eigenständige professionelle Gruppe im Kinderbetreuungsbereich erleben. Wenngleich ich nur ausschnittartige Eindrücke sammeln konnte (so sind zum Beispiel die Verdienstmöglichkeiten im Vergleich zu den hohen Lebenshaltungskosten in England schmal), konnte ich doch eine in der "Familientagespflege-Szene" spürbare Art von "Aufbruchstimmung" erleben. Es besteht sichtbare Zufriedenheit bei den Tagemüttern über ihre professionelle Aufwertung, die durch klare Standards, Registrierung, Kooperation in EECs und durch ein aufwändig finanziertes Regierungsprogramm realisiert wird.

In England ist man schon ein "Stück weiter" auf dem Weg zu einer qualitativ guten und gesicherten Kindertagespflege. Flächendeckend die gleichen Qualitätsstandards, ein klarer politischer Wille und die deutliche Finanzierung der Qualifizierung von Tagesmüttern machen es möglich!

Autorin

Karin Hahn ist Sozial- und Heilpädagogin, Leiterin des Fachbereichs Kinder, Familie und Jugend der Stadt Maintal sowie des Hessischen Tagespflegebüros (Projekt des Hessischen Sozialministeriums seit 1995).