×

Zitiervorschlag

Die Kleinen kommen. Braucht die Kinderkrippe eine eigene Pädagogik?

Ingeborg Becker-Textor

 

Zum Einstieg ein Zitat von Wiebke Wüstenberg aus der Praxis der Arbeit mit Krippenkindern: "Benny und Kai sind in Krabbelposition jeweils an einem Ende des Stofftunnels. Sie schauen sich durch den Tunnel an. Benny ruft: Aaaha-aaaha! Kai lacht und Mira - sichtlich animiert - kommt herbeigelaufen. Sie positioniert sich von außen in der Mitte des Stofftunnels und wartet. Währenddessen macht Kai die Öffnung seiner Tunnelseite frei, und Benny krabbelt von der anderen Seite aus durch den Tunnel. Mira betastet das von außen, indem sie mit ihren beiden Händen die Stoffwand eindrückt. Sie ruft: Da, da! Benny schaut aus dem Tunnel heraus und guckt, wer da am Tunnel steht. Er lacht Mira an, krabbelt wieder etwas in den Tunnel hinein und streckt seine Hand von innen gegen die Wand, und möglicherweise trifft er auf Miras Hand. Die Stimmung hebt sich. Mira ruft nochmals: Da, da! Ah-haaah! Dann erfolgt ein gemeinsames tiefstimmiges Lachen. Das zieht Peter an. Er stellt sich sofort neben Mira und hält die Hände wie sie.
Benny krabbelt flink wieder durch den Tunnel, kommt auf der anderen Seite heraus, richtet sich auf und hüpft mehrmals - mit beiden Beinen gleichzeitig - in die Luft und lacht dabei laut. Marc kommt zu ihm, hat die Hände in der Tasche und biegt sich mit dem ganzen Oberkörper hin und her, guckt Benny von unten an und stimmt in das Lachen ein. Währenddessen hat Kai alles von einer etwas abseitigen Position aus beobachtet, begibt sich wieder an die Öffnung, schaut hinein, kommt wieder zurück und beobachtet weiter.
Inzwischen haben auch Mira und Peter ihre Hände wieder von außen auf den Stofftunnel gelegt und rufen: Kuckuck! Sie und alle Kinder horchen. Keine Antwort. Mira und Peter wiederholen: Kuckuck! Stille. Keine Antwort (kein Kind im Tunnel). Da krabbelt Mira zur Öffnung des Tunnels und dann hinein, sie wartet in der Mitte kurz, dann krabbelt sie ganz hindurch. Sie steht sofort auf, schaut auf Peter, aber der bewegt sich gerade weg vom Tunnel. Hatte sie von ihm erwartet, dass er von außen mit seinen Händen fühlt, ob sie da ist?
Die Szene löst sich auf, nur Kai schaut noch, was Mira macht, geht erst erneut zur Tunnelöffnung, dann aber doch in den anderen Spielraum.
In der beschriebenen Szene haben mehrere Kinder das Verschwinden im und wieder Auftauchen aus dem Tunnel erprobt. Vermutlich haben sie die Entdeckung gemacht, dass die nicht sichtbaren Kinder im Tunnel durch die Stoffwand fühlbar, also noch vorhanden waren. Ihr Rufen hat sie darin bestärkt.
Das Bedeutungsvolle liegt darin, dass gleichaltrige Kinder Verfahrensweisen beginnen zu entwickeln, mit deren Hilfe sie 'als Partner kooperieren, um gemeinsam Wirklichkeit zu interpretieren' (...). Dabei liegt es auf der Hand, dass die Explorationsmethoden, die Interpretationsprozesse und auch die Inhalte andere sind als die, die mit älteren Kindern und Erwachsenen zustande kommen.
Kleinkinder haben eigene Themen".

Wenn man diese Beobachtung liest und mit Aktivitäten im Kindergarten vergleicht, dann fallen sofort die so unterschiedlichen Lernwege auf. Die Krippenkinder sind viel stärker auf Interaktion ausgerichtet. Sie wollen das andere Kind berühren, auch wenn sie im Gegenzug gar nicht selbst berührt werden wollen. Sie erproben sich intensiv in der Kontaktaufnahme. Das Stofftunnel gibt Motivation und Anreize; die Kinder brauchen für ihre Aktivität keine Vorgaben durch den Erwachsenen. Die aktiv beobachtende Erzieherin wird jedoch viel erfahren und lernen können. Sie erhält Impulse für die Vorbereitung der Umgebung und erfährt Details über kindliche Lernprozesse.

Kinderkrippen im Rückblick

Bereits Anfang des 20. Jahrhunderts, zur Zeit des ersten Weltkrieges, boomte der Ausbau von Krippen, jedoch ohne Blick auf Qualität. Die Frauen wurden als Arbeiterinnen in den Munitionsfabriken eingesetzt, und die Kinder brauchten eine Betreuung. War der Arbeitseinsatz der Frauen nicht mehr gefragt, kam es schnell wieder zur Schließung der Einrichtungen. Dann war die Fremdbetreuung von Kindern unter drei Jahren kein Thema mehr.

Nach dem Fall der Mauer setzte eine Diskussion über Kleinkindbetreuung ein, war doch in den neuen Bundesländern eine 70-100%ige Krippenversorgung gegeben, arbeiteten dort Kolleginnen, die ganz speziell für die Arbeit mit null- bis dreijährigen Kindern ausgebildet waren und die Berufsbezeichnung Krippenerzieherin führten. Es änderte sich sehr schnell. Viele Krippen wurden geschlossen, Krippenerzieherinnen gingen in die alten Bundesländer. Der Streit der Pädiater flammte erneut auf: die Diskussion um die "Schädlichkeit" der Fremdbetreuung im frühen Kindesalter. Bezüglich der Öffnungszeiten von Krankenhauskrippen wurden sogar kinderpsychiatrische Gutachten eingeholt, die Information liefern sollten, ob frühe oder überlange Öffnungszeiten die Entwicklung der kleinen Kinder schädigen könnte.

Zunehmend Thema wurden die Chancengleichheit von Mann und Frau und die Vereinbarkeit von Beruf und Familie. Der Mangel an Angeboten für Kinder unter drei Jahren wurde deutlich. Zudem wurden weder der Bau von Krippen noch die Personalkosten der dort tätigen pädagogischen Mitarbeiterinnen aus öffentlichen Mitteln bezuschusst. So blieben die wenigen teuren Krippenplätze gut verdienenden Eltern vorbehalten oder wurden über die Jugendämter vergeben und finanziert, wenn keine günstigeren Tagespflegestellen für "Notfälle"gefunden werden konnten.

Ein Eigenleben führten die Krippen an Hochschulen, die in Bayern schon frühzeitig aus Mitteln des Wissenschaftsministeriums und der Studentenwerke bezuschusst wurden und so den Studentinnen die Fortführung/ den Abschluss ihrer wissenschaftlichen Ausbildung ermöglichen sollten. Problematisch gestaltete sich dann jedoch deren Übergang in das Berufsleben, weil dann wiederum keine Krippenplätze zur Verfügung standen.

Der Ausbau der Tagespflege wurde forciert, aber ohne Verbesserung der Rahmenbedingungen für Tagesmütter und Verbesserung der Qualität. Auch hatte sich im Bereich der Tagespflege mit den Jahren ein sogenannter "grauer Markt" entwickelt. Die Eltern waren verunsichert, nach welchen Kriterien sie die Tagesmutter auswählen sollten - und wer würde ihnen die Verlässlichkeit der Tagespflege garantieren?

Die Tagespflege- und Pflegekinderverbände forderten stärkere Kontrollen durch die Jugendämter. Dies wurde in das KJHG aufgenommen, aber schon bald wurde die Abschaffung dieser Regelung wieder gefordert...

Und nur ganz langsam setzte die Diskussion um verbesserte Rahmenbedingungen und pädagogische Qualität ein: Punktuell kam es in den frühen 1990er Jahren zu Qualitätsinitiativen in der Krippenlandschaft. Diese dienten jedoch mehr der Nachqualifizierung von Pflegekräften, die seit Jahren in Krippen tätig waren. So wurde die Säuglings- und Kinderkrippe lange als reine Pflegeeinrichtung definiert und die Kinder von Kranken-, Kinderkranken- und Säuglingsschwestern versorgt. Wenn diese weiterhin in der Krippe tätig bleiben wollten, dann mussten sie sich einer Nachqualifizierungsmaßnahme unterziehen. Schwerpunkt bildete dabei die Entwicklung der Kinder, die Beobachtung unter Zuhilfenahme von Entwicklungstabellen (z.B. von Prof. Beller), Pflege als pädagogischer Prozess, Selbständigkeit des Kindes und frühes Lernen.

Diskussionen entstanden in den Krippen, in denen Kolleginnen aus den neuen Bundesländern einen Arbeitsplatz fanden, denn sie monierten zurecht fehlende pädagogische Konzepte.

Mit dem Übergang in das 21. Jahrhundert wurden das Thema Krippe und überhaupt die Frage der Bildung, Erziehung und Betreuung der unter Dreijährigen immer offener und intensiver diskutiert. Der Ausbau von Krippenplätzen erfolgte primär in den Großstädten. In ländlichen Regionen geht der Ausbau bis heute noch zögerlich voran. In Bayern wurde mit dem BayKiBiG dann alle Formen der Kindertagesbetreuung, also auch Krippe und Tagespflege, in der Förderung berücksichtigt, und es kam so zu einer Entlastung der Kommunen. Gleichzeitig gingen die Kinderzahlen in den Kindergärten zurück. Dies führte vielerorts zu einer Öffnung der Kindergärten für Kinder unter drei Jahren. Es entstanden die ersten Kinderhäuser und Kindergruppen mit weiter Altersmischung.

Die Ausbildung - trotz Breitbandansatz - konnte diesem rasanten Wandel nicht folgen. Wissenschaftliche Erkenntnisse lagen noch nicht vor; die weite Altersmischung wurde sehr schnell zu einem kontrovers diskutierten Forschungsgegenstand. Viele pädagogische Mitarbeiterinnen wurden von der Öffnung der Kindergärten für die Kleinen überrrascht, gefordert und überfordert. Es gab anfänglich nur wenig Unterstützung bei der Konzepterweiterung und Beratung.

Mittlerweile gehören die Kinderkrippe und die Kindertagespflege ganz selbstverständlich in die differenzierte Landschaft der Angebote zur Bildung, Erziehung und Betreuung der Kinder. Dem Wunsch- und Wahlrecht der Eltern kann somit auch weitestgehend entsprochen werden. Die Vereinbarkeit von Familie und Erwerbstätigkeit wird erleichtert.

Die aktuellen Förderprogramme der Bundesregierung tragen zudem auch zum schnellen Ausbau der Krippen unter dem Aspekt moderner Familienpolitik bei. Bis zum Jahr 2013 sollen in der Bundesrepublik insgesamt 750.000 Betreuungsplätze für unter Dreijährige zur Verfügung stehen, davon 70% in Krippen und 30% in Kindertagespflege. Dies entspricht bezogen auf die Kinderzahl dieser Altersgruppe einer Versorgung von ca. 35%.

Die Aus- und Fortbildung von Tagesmüttern wurde sichergestellt. Nur spezielle Qualifizierungsangebote und Fortbildungen für Erzieherinnen in der Kinderkrippe sind nach wie vor rar. Vielleicht könnten trägerübergreifende Angebote dieses Defizit ausgleichen.

Die Krippe - eine Bildungseinrichtung?

Mittlerweile verfügen alle Bundesländer über Bildungspläne, Bildungsempfehlungen oder Bildungsvereinbarungen. Nicht in allen wird jedoch die Gruppe der unter Dreijährigen ausreichend berücksichtigt. Im Bayer. Bildungs- und Erziehungsplan (BEP) wird z.B. relativ ausführlich auf die Eingewöhnungsphase der Krippenkinder eingegangen:

"Ein auf Kinder unter drei Jahren abgestimmtes Eingewöhnungsmodell lässt sich folgendermaßen untergliedern:

  • die Vorbereitung der Eingewöhnung,
  • die gemeinsame Zeit von Kind und einer primären Bezugsperson (Elternteil) in der Kindertageseinrichtung,
  • Beginn des Aufbaus von Beziehungen zwischen dem Kind, den Erzieherinnen und Kindern in der Einrichtung,
  • die Phase von der ersten kurzen Trennung zur allmählichen Ausdehnung auf die gewünschte Zeit, die das Kind selbständig in der Einrichtung verbringt,
  • und der Abschluss der Eingewöhnung, wenn sich das Kind in Stresssituationen von einer Fachkraft beruhigen lässt und die Lernangebote der neuen Umgebung exploriert und für sich nutzt".

Auch finden wir anregende Praxisbeispiele zur Eingewöhnung. Es wird ansonsten nicht weiter zwischen Krippe und Kindergarten unterschieden; Bildungs- und Erziehungsziele werden quasi für Null- bis Sechsjährige formuliert.

Überlegen wir: Was hat das Kind bis zum Eintritt in die Schule alles gelernt?

Der Münchner Entwicklungspsychologe Rolf Oerter gibt zu bedenken, dass Kinder den Erwachsenen keineswegs in Denkfähigkeit, höchstens in der Menge des erworbenen Wissens nachstehen. Das meiste in ihrem Leben lernen Kinder bereits vor der Schule, und nicht zu übertreffen sind die ersten Lebensjahre. Denken wir nur an das Erlernen der Sprache, an die Koordination der Bewegungen, das Laufen... Es gibt genügend Menschen, die nie mehr so viel lernen werden, nie mehr in ihrem ganzen folgenden Leben!

Also sind die ersten Lebensjahre basale Bildungsjahre, und damit ist die Kinderkrippe auch eine Bildungseinrichtung! Bis alle das akzeptieren und verstehen können, wird allerdings noch viel Zeit vergehen!

Noch ein Blick in den Thüringer Bildungsplan. Dort lesen wir: "Die Erzieherin/Tagesmutter orientiert ihr professionelles pädagogisches Handeln an der Individualität des Kindes.
Sie respektiert die Anwesenheit der Eltern in der Phase des Einlebens in die Kindergruppe.
Sie sorgt dafür, dass die neue Umgebung für das Kind anregend und emotional unterstützend ist.
Sie nimmt die Bedürfnisse und Interessen des Kindes sensibel wahr. Auf dieser Basis kann das Kind auch außerhalb seiner Familie vertraute Personen gewinnen, die seine Erkundung der Welt unterstützen und begleiten.
Der Übergang von der Familie in eine Institution der frühkindlichen Bildung kann für das Kind eine erhebliche emotionale Belastung sein, die Sress und gesundheitliche Risiken auslösen kann. Zur Vermeidung dieser ... tragen entwicklungsangemessene Gruppengrößen, ein geeigneter Kind-Erzieherinnen-Schlüssel, eine kindgerechte Umgebung sowie ein pädagogisches Konzept bei, das die Individualität des Kindes im Kontext der Kindergruppe würdigt... Im Mittelpunkt der Gestaltung und Reflexion dieses Übergangs steht daher die Qualität der Bindungen des Kindes an die Bezugspersonen innerhalb und außerhalb der Familie".

Mein Fazit: Die Kinderkrippe ist eine Bildungseinrichtung! Sie verlangt nach einer eigenen Pädagogik unter Berücksichtigung der Erkenntnisse der Entwicklungspsychologie. Eine "Verkleinerung" oder gar "Verniedlichung" des Kindergartens wäre ein Irrweg!

Welche Pädagogik braucht die Krippe?

Was brauchen Kinder in der Krippe? Welche Bedürfnisse haben Kleinstkinder? Berry Brazelton und Stanley Greenspan - anerkannte Experten auf dem Gebiet der Kinderheilkunde und Kinderpsychiatrie - haben sich intensiv mit Überlegungen beschäftigt, welche Bedürfnisse Kinder haben:

  • "Das Bedürfnis nach beständigen liebevollen Beziehungen
  • Das Bedürfnis nach körperlicher Unversehrtheit
  • Das Bedürfnis nach Erfahrungen, die auf individuelle Unterschiede zugeschnitten sind
  • Das Bedürfnis nach entwicklungsgerechten Erfahrungen
  • Das Bedürfnis nach Grenzen und Strukturen
  • Das Bedürfnis nach stabilen, unterstützenden Gemeinschaften und nach kultureller Kontinuität
  • Das Bedürfnis nach einer sicheren Zukunft"

Ohne die Befriedigung der vorgenannten Bedürfnisse können nach Auffassung von Brazelton und Greenspan Kinder nicht wachsen, lernen und gedeihen. Die frühe Kindheit ist die kritischste und anfälligste Phase im Leben des Menschen. Beide Autoren gehen davon aus, dass zwischen der Qualität der Betreuung, der Interaktion und der Sensibilität für die Signale des Kindes einerseits und dem Entwicklungsstand des Kindes andererseits ein Zusammenhang besteht.

Was heißt dies für uns? Wir brauchen Konzepte für unsere Krippen! Wir müssen herausfiltern, welche Erkenntnisse für unsere Begleitung der Kleinkinder wichtig sind. Wir müssen erkennen, dass es auf die pädagogische Qualität ankommt und nicht primär auf äußere Rahmenbedingungen. Dies ist nicht immer leicht, denn es erscheint einfacher, bessere Räume, sachgerechte Ausstattung etc. zu fordern, als tragende pädagogische Konzepte zu entwickeln. Wir sind gefordert, unser Teil dazu beizutragen, dass die Bedürfnisse der Kinder befriedigt werden können.

Pädagogisches Handeln, wie wir es aus dem Kindergarten gewohnt sind, unterscheidet sich ganz wesentlich von dem in der Krippe. So braucht das kleine Kind in den ersten drei Lebensjahren ein oder zwei Bezugspersonen, zu denen es eine enge, kontinuierliche und vor allem sichere Bindung aufbauen kann. Eine dieser Personen sind Sie in der Kinderkrippe. Ihr Bemühen muss es sein, möglichst viel Blickkontakt mit jedem Kind zu haben - direkte Interaktion mit jedem einzelnen Kind.

Säuglinge und Kleinkinder brauchen nach Brazelton und Greenspan mindestens viermal am Tag eine ca. 20-minütige Interaktion mit der Erzieherin: Herumtragen, mimische Spiele, Phantasiespiele, Ansprache, Körperkontakt... Während das Kind selbst aktiv ist oder exploriert, steht die Erzieherin dem Kind zur Verfügung. Sie kann seine Aktivität beschreibend kommentieren. Es ist, als würde sie ihm eine Geschichte erzählen. Das Kind spürt ihr Interesse an ihm. Auf diese Art und Weise begleitet sie es beim Erforschen der Welt, beim Erkennen, wie die Welt funktioniert. Das, was das Kind lernt, hängt weitestgehend von seinen Erfahrungen ab.

Noch einmal Brazelton und Greenspan: "Kinder bewältigen die frühen Entwicklungsschritte unterschiedlich rasch; sie unterscheiden sich z.B. in der Konzentrationsfähigkeit, in ihrer Fähigkeit, Intimität und Bezogenheit zu entwickeln oder sich gezielt und intentional (absichtlich) zu verhalten...".

Wir bewegen uns also auf einem ganz anderen Terrain wie im Kindergarten!

Was unterscheidet nun die Arbeit in der Krippe von der Arbeit im Kindergarten? In einem Fortbildungsseminar beschrieben Krippenerzieherinnen ihre Rolle, ihr Aufgabenfeld laut Antje Bostelmann wie folgt:

  • "Expertin für die Entwicklung des Kindes in Rang- und Augenhöhe mit dem Kinderarzt
  • Expertin für Verhaltensforschung, die in der Lage ist, ihre Beobachtungen in ihr pädagogisches Handeln umzusetzen
  • Expertin für das Erkennen von Schlüsselsituationen und Nutzbarmachung für ihre Tätigkeit als Entwicklungs- und Lernbegleiterin
  • Expertin für gesunde Ernährung, Esskultur und Gesundheitsfragen
  • Expertin für didaktisches Denken und dessen Umsetzung im Spiel mit den Kindern
  • Begleiterin und Beraterin von Eltern zu Entwicklungsfragen"
  • Impulsgeberin zum Aufbau von sozialen Netzwerken
  • Verlässliche Bindungs-, Bezugs-, Vertrauensperson für das Kind
  • etc.

Das einzelne Kind fordert mehr Zeit und Beachtung.

Und wieder: Die Krippe ist nicht die Verkleinerung des Kindergartens: Kleinere Möbel, einfacheres Spielzeug, kürzere Geschichten, weniger Bildung, dafür mehr Betreuung und Pflege, weniger anspruchsvolle Arbeit, reißfeste Bilderbücher, alles abwaschbar, Geschirr aus Plastik, weniger Qualität, weniger kognitive Herausforderung, kaum Vorbereitung...

Wenn wir unser Bildungssystem mit seinen Institutionen in eine Rankingliste eintragen müssten, dann müsste zuerst die Krippe und zwar mit den höchsten Qualitätsansprüchen kommen, gefolgt vom Kindergarten, dann Schule und zuletzt die Universität.

Die Bildungserfahrungen, die Kinder in der Krippe machen, müssen wir als Erwachsene erst wieder neu entdecken. Wir müssen neu lernen, dass es primär gilt, die Bedürfnisse der Kinder zu erkennen anstatt ihnen unsere eigenen Vorstellungen aufzudrängen.

In der Krippe steht das einzelne Kind im Mittelpunkt und nicht die Gruppe. Dies zeigt sich auch darin, dass der Aktivität zwischen einem Kind und der Erzieherin besonders große Bedeutung beigemessen wird.

Nur weil Kinder klein sind, dürfen wir sie nicht überrollen. Sie haben auch ein Entscheidungsrecht, und wir müssen ihr Einverständnis einholen. Das ist gar nicht so einfach, weil wir andere Wege der Kommunikation einschlagen müssen.

Kleine Kinder brauchen Anreize, aber keine Reizüberflutung! Die Kinder sollen Strukturen entwickeln und entscheidungsfähig werden. Reizüberflutung nützt dabei wenig.

Alles was der Raum bietet, soll sicher für die Kinder zu nützen sein. Verbote können dann minimiert werden, und der Forscherdrang der Kinder entwickelt sich.

Wunderbar zu beobachten, wie sich schon Ein- bis Zweijährige sicher in einem Raum zurecht finden und lange mit einer Sache beschäftigen, wenn die Ablenkung gering ist. Denken wir an die beschriebene Beobachtung am Anfang des Vortrags.

Krippenkinder brauchen vertraute Dinge. Das kann das Kuscheltier sein, aber auch ein kleines Photoalbum mit Bildern seiner Bezugspersonen und seines vertrauten häuslichen Umfeldes. Mit Begeisterung zeigte mir ein knapp zweijähriger Junge seine Photos - in Plastik eingeschweißt - und erklärte mir: "Baby", das war er selbst. "Mama, Oma, Peter trinken". Die Erzieherin berichtete, dass er, als er mit einem Jahr in die Krippe kam, die kleine Bildersammlung immer mit zum Mittagsschlaf genommen hätte. Sie hat ihm Sicherheit gegeben.

Es fällt schon schwer, wenn wir uns auf die Augenhöhe mit Kindergartenkindern begeben sollen - und jetzt auch noch in der Krippe? Versuchen wir es und wir werden erstaunt sein, wie ganz anders sich die Kommunikation zwischen uns Erwachsenem und dem Kind entwickelt!

Die Krippe fordert eine "Bodenpädagogik". Ja richtig, vieles spielt sich auf dem Boden ab. Das ist uns aus dem Kindergarten ungewohnt. Lediglich in der Montessoripädagogik rollt das Kind einen kleinen Teppich auf und arbeitet darauf mit dem von ihm ausgewählten Material.

Wir erleben täglich Sensationen, wenn wir uns auf die Kinder einlassen! Es sind Entdeckungen, an die wir uns aus der eigenen Kindheit nicht erinnern können. Wir wissen nur aus den Erzählungen unserer Eltern oder anderer Bezugspersonen, wie wir uns in diesem frühen Alter verhalten haben, wie sich unsere Sprache entwickelt hat. Wir sollten diese Wunder der Entwicklung bei unseren Krippenkindern genießen...

Und noch ein Unterschied zum Kindergarten. Mischen wir uns nicht vorschnell ein. Beispiel Sprache. Das Kind lallt, singt vor sich hin. Es spricht nicht mit uns, sondern übt sich in Lautmalerei, erfreut sich an seiner eigenen Stimme. Es übt sich in der Entwicklung von Klängen und im Zuhören.

Natürlich sprechen wir mit dem Kind, immer in ganz normaler Sprache und ohne Verniedlichung. Und lange bevor das Kind selbst sprechen kann, erkennt es die Stimme seiner Bezugspersonen oder Bindungspartner.

Und noch ein Unterschied zum Kindergarten. Kleine Kinder brauchen mehr Nähe zum Lernen. In dieser Nähe entsteht tiefes Vertrauen und Zutrauen. Wir dürfen sie den Kindern aber nicht aufdrängen. Wir müssen auch respektieren, wenn das Kind Nähe nicht sofort zulässt.

Kinder erkunden Gegenstände mit allen Sinnen und völlig zweckfrei bezüglich des Nutzens. Sie wollen und brauchen in dieser explorativen Phase auch keine Erklärungen. Sie wollen einen Gegenstand kennenlernen, über das Greifen zum Begreifen gelangen. Wie schwer fällt es uns, uns zurückzunehmen!

Viel Nähe entsteht beim Wickeln und Waschen. Und genau dies sind Erzieherinnen vom Kindergarten her nicht gewohnt. Bislang kamen Kinder erst in den Kindergarten, wenn sie sauber waren.

Wickeln ist mehr als "nur" die volle Windel wechseln. Es entsteht intensiver Blickkontakt. Die Erzieherin erzählt dem Kind die Handlungen, die sie eben durchführt; sie berührt seine Haut.

Ist die volle Windel erst einmal weg, dann ist es angenehm für das Kind. Zudem hat es die Erzieherin ganz für sich. Es kann noch gar nicht sprechen, aber die Erzieherin spricht mit ihm, konzentriert sich ganz auf das Kind, und dies wird vom Kind auch so wahrgenommen.

Sollten wir den Krippenalltag nicht einmal mit Blick auf die Basiskompetenzen reflektieren? Wir werden erstaunt sein, dass in der bisher als "Pflege- und Betreuungseinrichtung" eingestuften Krippe so viele Lernprozesse zu entdecken sind. Also: Eine Bildungseinrichtung!?

Pflege, Hygiene, Aufsicht, Räume

Ich sollte mich in meinem Referat aber nicht nur der Bildung widmen, sondern auch der Pflege, der Aufsicht, der Hygiene, den Rahmenbedingungen, den Räumen, der Qualifikation der Mitarbeiter, dem Entwicklungsgespräch und der Elternarbeit. Vieles davon wurde schon berührt, angesprochen. Trotzdem...

Pflege ist pädagogisches Handeln, baut Nähe auf, ermöglicht uns die volle Konzentration und verschiedenartigste Formen der Kommunikation. Von klein auf erfährt das Kind strukturiertes Handeln, das es mit fortschreitendem Spracherwerb bald selbst sprachlich begleiten wird.

So macht das Kind auch Erfahrungen mit Hygiene und wird ganz sachte in eigenes hygienisches Verhalten eingeführt. Wir gehen nach dem Wickeln gemeinsam zum Waschbecken und waschen uns die Hände. Es macht Spaß mit dem Seifenschaum. Für die Erzieherin ist es die praktische Umsetzung der Hygieneverordnung.

Bald lässt sich auch den Kindern erklären, dass die Spielsachen immer wieder gewaschen werden müssen. In der Krippe müssen alle Dinge gut waschbar sein, gerade weil die Kinder mit allen Sinnen alles untersuchen und somit viel in den Mund gestecken. Es gibt viele praktische Dinge, an die man gar nicht denkt. So könnte man Matten oder Schaumstoffmatratzen mit Spannbetttüchern überziehen - leicht zu wechseln, in schönen Farben, kochbar... Wäre eine Alternative zu Polstern... Durch die Einfarbigkeit heben sich auch Gegenstände gut ab.

Aufsicht. Es sollte kein Nein notwendig werden im Gruppenraum: "Nein, da darfst Du nicht rauf", "Nein, das ist zu gefährlich", "Nein, dafür bist Du noch zu klein"... Das Kind/die Kinder erkunden und entdecken den Raum. Deshalb muss er entwicklungsgemäß eingerichtet sein, mit entwicklungsgemäßen Anreizen. Ein gut zu wischender Fußboden mit Matten und möglichst waschbaren Teppichen in ganz verschiedenen Formen und Größen. Und bedenken wir immer, dass der Raum, desto jünger die Kinder, liegend, krabbelnd, robbend erkundet wird. Legen wir uns selbst einmal auf eine Matte und erleben wir die kindliche Perspektive!

Schachteln, Körbe, Tücher sind wichtig. Wo kann man sonst etwas verstecken oder ganz überraschend wiederfinden?

Es muss etwas geben, was wegrollt oder sich durch Berühren fortbewegt. Das gibt Anreiz für das Kind, dem Ball nachzurobben. Möbelstücke sollten niedrig und feststehend sein, sodass sich ein Kind auch daran hochziehen, in alle Fächer fassen oder etwas obendrauf legen kann. Vielleicht ein Spiegel mit Sicherheitsglas in Kinderhöhe,Verkleidungsutensilien, einen Rückzugsbereich, vielleicht eine Hängematte, knapp über dem Boden, darunter eine Matte...

Essplatz, Bad, Malzimmer... Aber auch der "Raum" im Freien ist wichtig und zwar nicht nur zum Toben oder Rädchenfahren. Platz zum Spiel mit Wasser, zum Matschen, zum Fühlen, Hängematte, Liege zum Ausruhen...

Und Vorsicht, keine giftigen Pflanzen! Dafür wohlriechende Kräuter. Sie sollten in keiner Krippe fehlen!

Vor einiger Zeit besuchten Krippenkinder mit ihrer Erzieherin unsere Gartenanlage. Ich lud sie in unseren Garten ein. Leider war die Zeit der Beeren schon vorbei, nicht aber die Zeit der Kräuter. Also zupfte ich einige Pfefferminzblätter ab. Ganz vorsichtig probierten die Kinder. "Mh, Bonbon?" schaute mich ein kleiner Junge an. Wir probierten weiter. Am Ende nahm sich jedes Kind ein Blättchen "Bonbon" mit!

Die Mehrzahl unserer Kindergärten ist überausgestattet mit Spielmaterial, und Ähnliches gilt für die Krippen. Es gilt: Wenig ist mehr! Und mit Bedacht ausgewählt: Fahrzeuge, ein Puppenwagen, ein schiebbares Tier, das zum Laufen animiert, Dinge die rollen, die man ineinander stecken kann, Schaumbälle zum Werfen... Steckbüchsen, Utensilien für nachahmendes Spiel, z.B. Puppe zum Wickeln, Rassel, Glockenband, Stofftaschenwand mit den Ich-Büchern der Kinder, Kochgeschirr, Utensilien zum Umgießen, Tabletts mit Gegenständen, Geschichtenschachteln zu passenden Liedern...

Der Phantasie sind keine Grenzen gesetzt. Aber bedenken wir immer: Wenig ist mehr! Und bedenken wir weiter, dass die Kinder sich sehr schnell entwickeln und deshalb auch immer wieder neue Entwicklungsreize brauchen ("alte" Sachen verschwinden lassen!)

Der Raum wirkt als dritter Erzieher. Er ist ohne Gefahren, und wir sollten den Überblick behalten können. Durch entsprechende Ausstattung, die an den Bedürfnissen der Kinder ansetzt und sie nicht mit Reizen überflutet, gewinnen wir Zeit und sparen Energie. Diesen "Gewinn" können wir gleich wieder in die Beobachtung, Portfolios, Aktiv-Zeit mit einem einzelnen Kind... investieren!

Rahmenbedingungen

Verschiedene Rahmenbedingungen wurden schon angesprochen; es bleibt trotzdem immer noch viel zu diskutieren: Wie groß sollen die Räume sein? Wie steht es mit der Gruppenstruktur? Altershomogene oder altersgemischte Gruppen? Was ist die ideale Kinder-Erzieher-Relation? Sind die Erzieherinnen fit für die Arbeit in der Krippe? Welche Fortbildungen wären notwendig? Wird im Kindergarten gekocht oder wird das Essen angeliefert? Dürfen schon so kleine Kinder bei der Essenszbereitung oder beim Abwasch mithelfen? ...

Diese und mehr Fragen lassen sich nicht abschließend beantworten. Es gibt nichts, was eins zu eins kopiert werden könnte. Je nach dem Konzept der Einrichtungen sollte versucht werden, entsprechende Rahmenbedingungen zu schaffen. Äußere Rahmenbedingungen stehen weit hinter der pädagogischen Qualität und den "inneren Rahmenbedingungen". So manches kann man auch durch Kompromisse lösen, aber nicht im Bereich des pädagogischen Handelns. Bildung, Erziehung und Betreuung sind als Einheit zu verstehen, untrennbar, und müssen bei den Rahmenbedingungen Berücksichtigung finden.

So muss beispielsweise in der Krippe viel mehr Zeit für Vorbereitung, Elternkontakte und Entwicklungsgespräche einkalkuliert werden. Die Angebote zur Fortbildung für Erzieherinnen, die mit Kindern unter drei Jahren arbeiten, muss dringend erweitert werden.

Auch bleibt zu hoffen, dass die Kleinen in der Ausbildung zukünftig mehr Berücksichtigung finden, dass die Krippenpädagogik den Stellenwert in den Fachschulen und Fachakademien für Sozialpädagogik erhält, der nötig ist, um den Kindern gerecht werden zu können.

Erziehungs- und Bildungspartnerschaft mit Eltern

Und auch hier gibt es ganz gravierende Unterschiede zum Kindergarten. Da die Entwicklung der Kleinstkinder viel schneller voranschreitet, muss der Kontakt zu den Eltern häufiger und intensiver sein.

Es beginnt mit dem ersten Schritt der Eingewöhnung. Auch Eltern müssen zur Erzieherin eine Bindung aufbauen, ihr vertrauen. Nur dann können sie ihr ihr Kind anvertrauen. Säuglinge und Kleinstkinder können noch nicht von ihrem Krippenalltag berichten. Natürlich merken Mütter und Väter, ob sich ihr Kind wohlfühlt. Das alleine reicht nicht aus. Entwicklungsgespräche mit den Eltern kleiner Kinder müssen viel öfters geführt werden wie im Kindergarten. Die Dokumentation von Entwicklungsprozessen ist noch viel bedeutsamer. Entwicklungstagebücher können für die Gespräche mit Eltern hilfreich sein. Schön ist es, wenn sie von der Erzieherin und den Eltern geführt werden und beide sich gegenseitig Einblick gewähren.

Eltern müssen nämlich akzeptieren/verkraften, dass sie z.B. den ersten Schritt ihres Kindes gar nicht selbst erleben, weil das Kind ihn in der Krippe gemacht hat. Auch in der Sprachentwicklung werden sie manches nur über die Erzieherin erfahren. Wenn die Beziehung zwischen Eltern und Erzieherin harmonisch ist, dann kommt es nicht zu Ängsten oder Eifersucht.

Oft wollen Eltern ihr Kind nicht in Tagespflege geben, weil sie befürchten, dass ihr Kind zur Tagesmutter eine zu enge Bindung aufbauen könnte. Kinder gehen aber ebenfalls mit der Erieherin in der Krippe Bindungen ein!

Für uns als Erzieherinnen ist es wichtig, dass wir die Eltern als Experten für ihr Kind ernst nehmen. Begegnen wir ihnen mit Respekt und Anerkennung. Die Erwachsenen müssen sich in der Eingewöhnungsphase des Kindes auch kennen lernen und sich über die unterschiedlichen Erfahrungen im Umgang mit dem Kind austauschen.

Es nicht einfach für Eltern, die bisher alles mit ihrem Kind geteilt haben: Täge und Nächte, Lachen und Weinen... Jetzt erleben sie den Tag getrennt von ihrem Kind, erleben nicht das Lachen und Freuen in der Krippe, das gemeinsame Tun mit Spielgefährten.

Dieses emotionale Teilen ist anfangs schwer zu verkraften. Es ist also anders wie im Kindergarten. Da wollen die Kinder groß sein, und das bedeutet ein Kindergartenkind sein.

So will ich Ihnen als Erzieherin Mut machen für das Elterngespräch in der Krippe. Das Motto dabei kann sein: "Jedes Kind ist besonders und daher richtig. Es hat so viele Ressourcen. Auch wenn Sie es als Eltern in die Krippe geben, versäumen Sie nicht seine Entwicklung. Lassen Sie uns regelmäßig miteinander sprechen".

Das gemeinsam mit Eltern gestaltete Portfolio kann hilfreich sein. Eltern dokumentieren Entwicklungsschritte z.B. mit Photos und berichten dazu. Die Erzieherin ergänzt aus der Krippe.

Gerade über eine solche Entwicklungsdokumentation finden Erzieherin und Eltern zusammen. Und es wird nicht lange dauern, dann wird das Kind in die Betrachtung, in das "Lesen" des Portfolios eingebunden.

Kinder tun etwas, wir kennen die Hintergründe für ihr Interesse nicht. Dies gemeinsam zu ergründen und Positives darin zu entdecken, ist in Elterngesprächsrunden möglich. Alle Beteiligten finden damit einen tieferen Zugang in das Denken und Handeln der Kinder. Wir lernen unsere Kinder besser kennen.

In vielen Dingen sollten wir uns mit den Eltern einigen: selbständiges Essen der Kinder, Brotstreichen, keine Füttertricks anwenden, keine laufenden Kinder in Laufställe, Wickeln bei Bedarf, Toilette statt Töpfchen, kleine Kinder brauchen ein klares Nein und freundliche Erklärung, Mut zum Boden, Akzeptanz, wenn das Kind etwas nicht essen mag... Dann wird sich das Kind in Familie und Krippe nicht nur wohlfühlen, sondern auch gut entwickeln.

Schlusswort

Freuen Sie sich auf die Arbeit in der Krippe! Es ist wunderbar, Kinder in ihrer intensivsten und umfassendsten Lernphase zu begleiten. Werden Sie zur Lernbegleiterin und sensiblen Beobachterin. Verabschieden Sie sich von den Konzepten des Kindergartens und entwickeln Sie Ihr Krippenkonzept.

Lernen Sie all das kennen, woran Sie sich aus der eigenen Kindheit nicht erinnern können. Teilen Sie die Freude des Kindes, wenn es den ersten Schritt macht. Akzeptieren Sie es, wenn das Kind allein sein möchte. Sprechen Sie mit dem Kind, auch wenn es Ihnen noch nicht mit Worten antworten kann. Schenken Sie dem Kind Beachtung und zeigen ihm Ihre Anerkennung. Unterstützen Sie die Eltern durch Ihr Sosein, tauschen Sie sich mit ihnen aus.

Nicht äußere Rahmenbedingungen lassen Ihre Krippe eine gute Krippe sein, sondern der Geist, der darin herrscht. Vergessen Sie nie, dass Bindung ein grundlegender Baustein zur Identitätsbildung ist. Hören, sehen, fühlen Sie, was das Kind Ihnen mitzuteilen hat. Achten Sie auf Rituale, sie geben Sicherheit.

Verplanen Sie niemals den Tag in der Krippe; die Kinder werden Ihnen Wege zeigen, an die Sie gar nicht gedacht haben.

Vergessen Sie nie, dass das Kind erspürt, wie Ihre Beziehung zu seinen Eltern ist...

Und erinnern Sie sich immer an den Satz aus Remo Largos Buch "Kinderjahre: "Ein Kind ist keine Knetmasse, die beliebig geformt werden kann. Jedes Kind hat seine Stärken und Schwächen sowie sein ihm eigenes Entwicklungstempo. Das Kind ist auch nicht das Produkt beliebiger Erfahrungen. In jedem Lebensabschnitt reifen bestimmte Fähigkeiten und Verhaltensweisen heran, die es durch Erfahrungen verinnerlicht... Ein Kind kann nicht beliebig erzogen werden. Wenn uns wirklich etwas daran liegt, dass sich ein Kind wohl fühlt und sich möglichst gut entwickelt, müssen wir seine Bedürfnisse kennenlernen und achten sowie seinen entwicklungsspezifischen Eigenheiten mit Verständnis begegnen... Kinder verlangen nicht, dass sich die Erzieherin ständig mit ihnen abgibt, sie soll aber jederzeit verfügbar sein". (S. 17 ff.)

Anmerkung

Referat gehalten im Auftrag des LRA Würzburg und des Stadtjugendamtes Würzburg am 18.02.2009.

Literatur

Antje Bostelmann: Praxisbuch Krippenarbeit - Leben und Lernen mit Kindern unter 3. Verlag an der Ruhr

Remo Largo: Babyjahre. Piper Verlag

Remo Largo: Kinderjahre. Piper Verlag

Janet Gonzales-Mena/Dianne Widmeyer-Eyer: Säuglinge, Kleinkinder und ihre Betreuung, Erziehung und Pflege - Ein Curriculum für respektvolle Pflege und Erziehung. Arbor Verlag

T. Berry Brazelton/Stanley I. Greenspan: Die sieben Grundbedürfnisse von Kindern. Beltz Verlag

Wiebke Wüstenberg: Gleichaltrige im Krippenalter entwickeln Humor, eigene Themen und Freundschaften unter einander: Nützt das ihrer Entwicklung? In: http://www.kindergartenpaedagogik.de/1813.html

Autorin

Ingeborg Becker-Textor ist Kindergärtnerin und Hortnerin. Sie studierte Diplom-Sozialpädagogik an der Fachhochschule Würzburg und Diplom-Pädagogik an der Universität Würzburg und hat mehrere Zusatzqualifikationen wie z.B. den Abschluss als Fachlehrerin für Werken und das Montessori-Diplom erworben.
Frau Becker-Textor arbeitete als Kindergartenleiterin in Würzburg, als Regierungsfachberaterin für Kindertageseinrichtungen in Unterfranken, als nebenberufliche Dozentin in der Ausbildung für Kinderpfleger/innen und Erzieher/innen, in der Fortbildung für Erzieher/innen und Fachkräfte in der Jugendhilfe sowie mehr als 20 Jahre lang als Referatsleiterin im Bayer. Sozialministerium (nacheinander in den Bereichen Jugendhilfe, Kindertagesbetreuung und Öffentlichkeitsarbeit). Im Ministerium war sie auch für zahlreiche Forschungsprojekte auf Landes- und Bundesebene zuständig. Von 2006 bis 2018 leitete sie zusammen mit ihrem Mann das Institut für Pädagogik und Zukunftsforschung (IPZF) in Würzburg.
Ingeborg Becker-Textor ist Autorin bzw. Herausgeberin von mehr als 20 Büchern und über 40 Medienpaketen. Sie hat ca. 140 Fachartikel in Zeitschriften, in Sammelbänden und im Internet veröffentlicht.
Homepage: https://www.ipzf.de