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Zitiervorschlag

Qualitätsmanagement in Kindertageseinrichtungen - Impulse der Reggio-Pädagogik

Tassilo Knauf

 

Qualitätsmanagement: Begriff und Geschichte

Der Qualitätsbegriff wird in der betriebswirtschaftlichen Literatur ausgiebig diskutiert. Der Ursprung des Wortes Qualität liegt im Lateinischen "qualis" (= "wie beschaffen"). Qualität steht für Beschaffenheit, die Gesamtheit der Eigenschaften, Wert und Güte einer Sache. In der ab 1990 in ganz Europa als verbindlich eingeführten Normenstandardisierung wurde mit DIN EN ISO 8402 festgelegt, dass der Qualitätsbegriff sich auf alle Maßnahmen bezieht, die geeignet sind, "die Gesamtheit von Merkmalen einer Einheit bezüglich ihrer Eignung, festgelegten und vorausgesetzten Erfordernisse zu erfüllen". Diese Definition lässt sich sowohl auf Produkte als auch auf Dienstleistungen anwenden.

Die Anfänge systematischer Verfahren der Qualitätssicherung hängen eng mit der Entwicklung industrieller Produktion im späten 19. und im frühen 20. Jahrhundert zusammen: Im Jahr 1887 wurde in England die Kennzeichnung importierter Produkte beschlossen, um die einheimische Industrie zu schützen. Für Deutschland ergab sich aus dieser Situation die Chance, die Kennzeichnung "Made in Germany" zu einem Gütesiegel für qualitativ hochwertige Produkte zu entwickeln. Zu Beginn des 20. Jahrhunderts wurde der Gedanke der Qualitätssicherung erstmals auf die konkrete Strukturierung industrieller Herstellungsprozesse übertragen: Vor allem in den USA - etwa bei Ford - wurde die Erfahrung zum Prinzip erhoben, dass es erheblich günstiger ist, Qualität von Anfang an zu produzieren, als sich im Nachhinein mit Reklamationen auseinander zu setzen. Diese Überlegung wurde insbesondere in der Rüstungsindustrie aufgegriffen und während der beiden Weltkriege in einem Kontrollsystem umgesetzt, an dem Industrie und Militär beteiligt waren.

In der Nachkriegszeit erlangte das Prinzip der Fehlerverhütung in der industriellen Fertigung eine zunehmende Bedeutung. Dazu trugen vor allem die theoretischen Erörterungen des Amerikaners W. Edwards Deming wesentlich bei. In der Praxis wurde Fehlerverhütung jedoch durch das ökonomische Interesse, mittels Verbilligung der Produktion Gewinne zu maximieren, immer wieder unterlaufen. Vor dem Hintergrund dieser Erfahrung entschloss sich Deming 1951 mit seinen Ideen nach Japan auszuwandern, wo die japanische Industrie den Vorteil seiner Theorie fehlerloser Produktion erkannte, aufgriff und damit ihren weltweiten Siegeszug antrat.

In den folgenden Jahrzehnten wurden qualitätssichernde Verfahren in allen Industrie- und Schwellenländern erprobt. Sie orientierten sich vor allem an zwei gegenläufigen Konzepten:

  1. Messen und Prüfen von Produkten und Dienstleistungen sowie deren Planung und Erstellung nach standardisierten Kriterien und Normen, um Fehler und Nutzungsdefizite der Produkte oder Dienstleistungen zu reduzieren bzw. ganz zu vermeiden. An die Stelle der in der Kriegswirtschaft entwickelten staatlichen Kontrollinstanzen sind inzwischen akkreditierte Zertifizierungsagenturen getreten, die in innerbetrieblichen "Audits" standardisierte Prüfverfahren durchführen (oder veranlassen) und sich dabei der im Jahr 2000 vereinheitlichten DIN EN ISO-Normen bedienen (vgl. Rugor/ Studzinski 2003).
  2. Entfaltung einer strukturierten innerbetrieblichen Diskussion über Qualitätsziele und deren Erreichung bis hin zur Entfachung von Begeisterung für die Verbesserung von Arbeitsprozessen und deren Ergebnissen. Dieses Konzept ist mit dem Begriff Total Quality Management (TQM) verknüpft, der sich in den 1970er Jahren vor allem in Japan ausprägte. Wesentliche Prinzipien sind Mitarbeiter- und Kundenorientierung, als zentrales Instrument wurde der Qualitätszirkel entwickelt (vgl. Engelhardt 2001).

Seit der Jahrhundertwende haben sich Tendenzen verstärkt, beide Konzepte miteinander zu verbinden. Dabei spielen Verfahren der Organisationsentwicklung, Mitarbeitergespräche, Zielvereinbarungen und Controlling eine große Rolle.

Qualitätsmanagement in Kindertageseinrichtungen: Ziele und Konzepte

In den letzten anderthalb Jahrzehnten des 20. Jahrhunderts kam es in Deutschland zu intensiven Versuchen, Ansätze des Qualitätsmanagements von der Privatwirtschaft auf den Non-Profit-Bereich zu übertragen (vgl. Perander/ Speck 2004). Vor allem die Kommunen bemühten sich vor dem Hintergrund knapper Haushaltmittel um die Optimierung von Kosten-Nutzen-Relationen. Ziel war es,

  • mit einem streng kontrollierten Ressourceneinsatz ein definierbares Qualitätsniveau öffentlicher Dienstleistungen zu sichern und
  • den Einsatz von Haushaltsmitteln gegenüber der Steuer zahlenden Öffentlichkeit transparent zu machen (vgl. Tietze/ Viernickel 2003, S. 10).

Die 1996 erfolgte Einführung eines Rechtsanspruchs auf einen Kindergartenplatz für jedes Kind löste im Sektor der Kindertagesbetreuung eine Welle von Bemühungen um Qualitätsmanagement aus. Dienstleistungen im Bereich der Kindertagesbetreuung mussten nun verbindlich erbracht werden. Um nicht pädagogische Ansprüche dem Druck des quantitativen Ausbaus zu opfern, waren qualitätssichernde Maßnahmen notwendig. Das Interesse an Qualitätsmanagement wuchs Ende der 1990er Jahre noch durch die verschärfte Trägerkonkurrenz parallel mit der Rückläufigkeit der Geburtenziffer. In den Ballungsgebieten hatten Eltern für die Anmeldung ihres Kindes inzwischen vielfach Wahlmöglichkeiten zwischen verschiedenen Kindergärten. Gerade Eltern, die ihrem Einkommen entsprechend einen höheren Kindergartenbeitrag zahlten mussten, entschieden sich zunehmend für eine Einrichtung, von der sie sich eine im Vergleich höhere Erziehungsqualität versprachen.

Die seit der zweiten Hälfte der 1990er Jahre entstanden Qualitätsmanagementkonzepte haben alle mit einem Basisdilemma zu tun: Wer besitzt die Autorität der Definition von Qualität in Kindertageseinrichtungen?

  • die Kinder als Besucher von Kindertageseinrichtungen,
  • ihre Eltern als diejenigen, die den Erziehungs-, Bildungs- und Betreuungsauftrag vergeben,
  • die Fachkräfte, die der Einrichtung ein Profil geben und sich täglich mit den Kindern in Interaktion befinden,
  • die Leitungen, die Verantwortung für die Arbeit und ihre Qualität in der Einrichtung übernehmen,
  • die Träger, die Einrichtungen gründen, (teil-) finanzieren und beaufsichtigen,
  • die staatliche Öffentlichkeit, die nach dem Grundgesetz für die Gleichheit der Lebensverhältnisse und für das Wohlergehen der Mitglieder der Gesellschaft verantwortlich ist, oder
  • die Vertreter der einschlägigen Fachdisziplinen, die Studien über das anstellen, auswerten und vergleichen, was Kinder für ihre Entwicklung brauchen und wie dies mit gesellschaftlichen Strukturen und Veränderungen in Einklang zu bringen ist?

Tietze und Viernickel leiten aus dem KJHG ab, dass "die Interessen, Bedürfnisse und Sichtweisen der Kinder und ihrer Familien ins Zentrum zu stellen" (ebd. S. 11; Hervorhebung im Original).

Von zentraler Bedeutung für die Konstruktion von Qualitätsmanagementkonzepten ist die Differenzierung zwischen verschiedenen Ebenen oder Dimensionen der Qualität in Kindertageseinrichtungen. Tietze unterscheidet zwischen

  • Strukturqualität,
  • Prozessqualität und
  • Orientierungsqualität (vgl. ebd. S. 11).

Auch Wassilios Fthenakis (1998, S. 59 ff.) betont die Bedeutung von Struktur- und Prozessqualität für die Qualitätsentwicklung im Elementarbereich und bezieht sich dabei auf Ergebnisse der internationalen Forschung. Die strukturelle Dimension von Qualität bezieht er vor allem auf die Gruppengröße von Kindertageseinrichtungen, den Personalschlüssel, die Qualität der Ausbildung, die Stabilität der Betreuung, die Strukturierung des Betreuungsablaufs und die Raumgestaltung. Die prozessuale Dimension von Qualität konkretisiert sich nach Fthenakis in der Interaktion des pädagogischen Personals mit den Kindern und ihren Eltern. Die von Tietze zusätzlich ausdifferenzierte Kategorie Orientierungsqualität, mit der die pädagogischen Überzeugungen und Werte der professionellen Akteure gemeint sind, z.B. ihr Bild vom Kind (vgl. Tietze/ Viernickel 2002, S. 11) wird von Fthenakis nicht aufgegriffen. Sie ist aber gerade für das Umfeld der Reggio-Pädagogik bedeutungsvoll, weil sie das Bild vom Kind als Ausgangspunkt für das pädagogische Alltagshandeln und dessen Qualität sieht (vgl. Knauf u.a. 2007, S. 128 f.).

Im Kontext der intensiven Qualitätsdiskussion während der zweiten Hälfte der 1990er Jahre entwickelten sich in Deutschland auch die wesentlichen, bis heute prägenden Konzepte des Qualitätsmanagements im Elementarbereich:

  • die "Kindergarten-Einschätz-Skala (KES)"
  • das Konzept "Qualität im Dialog" des Kronberger Kreises
  • das Konzept "IQUE" nach Ziesche/ Gebauer-Jorzick (2002).

Die inzwischen in mehreren Fortschreibungen vorliegende "Kindergarten-Einschätz-Skala (KES)" geht auf eine Forschergruppe um Wolfgang Tietze zurück. Sie greift methodisch und inhaltlich die US-amerikanische Tradition der Qualitätsmessung mithilfe von Kriterien auf, die von Experten empirisch generiert wurden und in einrichtungsbezogenen Erhebungsverfahren eingesetzt werden. Die KES konzentriert sich auf die Einschätzung der Prozessqualität in Kindertageseinrichtungen und arbeitet mit 37 bzw. 43 Einzelkriterien, die im Messverfahren nach einer siebenstufigen Skala eingeschätzt werden können (vgl. Tietze/ Viernickel 2003, S. 20). Vor allem Träger zeigen vielfach Interesse an der KES, weil sie quantifizierte Messdaten erhalten, die einen Vergleich zwischen Einrichtungen unmittelbar ermöglichen. Nur unspezifisch erfasst werden dagegen die Anstrengungen eines Teams um ein besonderes pädagogisches Profil und um den Anschluss an elementarpädagogische Ansätze.

Der "Kronberger Kreis für Qualitätsentwicklung in Kindertageseinrichtungen" setzt sich dagegen bewusst von einer durch externe Experten erfolgten Messung, Quantifizierung und Bewertung von Qualität ab und setzt sich für partizipative Verfahren der Qualitätsentwicklung ein (vgl. Kronberger Kreis 1998). Erkennbar sind Bezüge zum TQM-Ansatz, bei dem kommunikative und kooperative Prozesse der Förderung und Entfaltung von Qualität im Vordergrund stehen. Die Erwartung vielfältiger Formen und Ebenen des Dialogs bei einem kaum überschaubaren Angebot von 472 Qualitätsindikatoren machen das Konzept allerdings sehr komplex und vielschichtig, so dass es in der Praxis nur in den seltensten Fällen angewandt werden kann.

Wie beim Kronberger Kreis kann für die von Ulrike Ziesche entwickelte "Integrierte Qualitäts- und Personalentwicklung (IQUE)" als charakteristisch herausgestellt werden, dass dem "Austausch und Dialog mit allen im System Handelnden" (Tietze/ Viernickel 2003, S. 20) die ausschlaggebende Bedeutung für Qualitätsentwicklung beigemessen wird (vgl. Ziesche/ Gebauer-Jorzick 2002). Im Unterschied zum Kronberger Kreis gibt es allerdings eine klare Identifizierung der verantwortlichen Akteure im kommunikativen Prozess der Erarbeitung von Qualitätsstandards. Die einrichtungsbezogenen Aufgaben der Prozesssteuerung liegen bei den Leitungen, die aber einen umfangreichen Apparat an Vorgaben für die Gestaltung von Arbeitsphasen, Handlungsschritten, Mitarbeiterbefragungen an die Hand bekommen.

Qualitätssicherung in Reggio Emilia und in der Reggio-Pädagogik

Wie in Deutschland entfaltete sich auch in Italien im Laufe der 1990er Jahre ein intensives Interesse an qualitätssichernden Initiativen und Maßnahmen im Elementarbereich. Zwei wesentliche Unterschiede können aber ausgemacht werden: Zum einen spielt die Auseinandersetzung mit quantitativen Verfahren der Messung von Kita-Qualität nur eine unbedeutende Rolle in Italien. Zum anderen ist der Staat - Parlament und Unterrichtsministerium in Rom - wesentlicher Akteur von Qualitätsinitiativen, auch wenn es in Italien eine komplexe Trägerlandschaft mit kirchlichen, kommunalen, privaten und auch staatlichen Einrichtungen gibt. So wurde 1991 ein umfangreicher Orientierungs- und Bildungsplan mit verschiedenen Vorgaben erlassen:

  • konkrete Erfahrungsfelder für die Arbeit in Kindertageseinrichtungen (Körper und Bewegung, Sprache, Kommunikation und Medien, Raum und Ordnung, gegenständliche Umwelt, Zeit, Natur, ich und die anderen)
  • didaktische Prinzipien mit der Betonung des Spiels sowie des entdeckenden und interaktiven Lernens (vgl. Becchi/ Ferrari 1998, S. 187 f.).

1994 kam es zu zwei weiteren Initiativen: Vorgelegt wurde der Entwurf zur Novellierung des Kindertagesstättengesetzes von 1969 unter Einschluss eines Katalogs von "nationalen Qualitätsindikatoren", die alle drei Jahre überprüft werden sollen. Parallel wurde ein staatlicher Ideen- und Erprobungswettbewerb ausgelobt, mit dem die experimentelle Entwicklung neuer Organisationsmodelle in Kindertagesstätten stimuliert werden soll. Schon im ersten Jahr gingen bei den zuständigen Provinzverwaltungen fast 700 Projektvorschläge ein (vgl. ebd., S. 188 f.).

In einem solchen durchaus innovations- und qualitätsorientierten Klima konnten sich die kommunalen Kindertageseinrichtungen im norditalienischen Reggio Emilia so entfalten, dass in ihnen eine anspruchsvolle, zugleich experimentelle pädagogische Arbeit möglich war. Schon wenige Jahre nach der Ausprägung eines eigenen elementarpädagogischen Ansatzes in Reggio Ende der 1960er Jahre waren folgende Parameter für Qualitätsentwicklung und -sicherung in den kommunalen Einrichtungen geschaffen:

  • eine eigene Kindertagesstättendirektion für die kommunalen Einrichtungen mit einer beratenden und steuernden Funktion; ihr stand bis 1985 Loris Malaguzzi vor
  • ein engmaschiges Netz theoretisch wie praktisch versierter Fachberaterinnen ("pedagogiste"), die maximal für sieben Einrichtungen zuständig sind, darüber hinaus in individuellen fachlichen Schwerpunkten ausgewiesen sind
  • die Sicherung eines relativ großzügigen wöchentlichen und zusätzlich jährlichen Stundenkontingents für alle Mitarbeiterinnen zur Teamkommunikation und zur Teilnahme an Fortbildungsangeboten
  • Verpflichtung der pädagogischen Fachkräfte zur Fortbildungsteilnahme und der Teams zur jährlichen Fortbildungsplanung
  • jährliche Vorlage eines eigenen Fortbildungsprogramms für die kommunalen Kindertageseinrichtungen und von Leitideen, denen in den Einrichtungen auf freiwilliger Basis eine besondere Aufmerksamkeit zugewandt werden kann (2008/09 z.B.: "Wir werden Gruppe jeden Tag")
  • die Verpflichtung aller Teams, ihre inhaltlichen und methodischen Vorstellungen von der Gestaltung kindlicher Bildungsprozesse und von der Nutzung lokaler Ressourcen in Konzeptionen öffentlich zu machen
  • ein mit speziellen Terminen ausgestattetes formelles und ein zusätzliches informelles Netzwerk der Kommunikation, der wechselseitigen Besuche und des Arbeitens an speziellen Themen und Problemen zwischen den Teams.

Es gibt kein spezielles Verfahren des Qualitätsmanagements für die kommunalen Kindertageseinrichtungen in Reggio. Die Verknüpfung von Verpflichtungen und informellen Interaktionsstrukturen innerhalb eines feinmaschigen Netzwerkes von Kommunikation und Austausch sinnlicher Informationen des Wahrnehmens, Zuschauens und Zuhörens sichert aber der pädagogischen Arbeit in den reggianischen Einrichtungen eine hohe Flexibilität, die notwendig ist, um mit qualitätsgefährdenden Problemstellungen umzugehen und um neue qualitätssichernde Initiativen zu entwickeln. Dichte und Intensität der auf die pädagogische Arbeitsqualität bezogenen Kommunikation innerhalb der Teams wie auch zwischen den Einrichtungen sind wichtige Flankierungen für die Stabilisierung eines nachhaltig hohen Qualitätsstandards im Arbeitsalltag.

Im Umfeld des Fachbereichs Bildungswissenschaften der Universität Duisburg-Essen sind nach der Jahrhundertwende QM-Ansätze entwickelt und umgesetzt worden, in denen Philosophie und Einzelideen des reggianischen Netzwerkes der Qualitätssicherung verarbeitet wurden. Eine einfache Übertragung konnte nicht zur Diskussion stehen, allein schon weil in Deutschland nirgends auf ein vergleichbares, in 40 Jahren gewachsenes Gesamtsystem von Einrichtungen zurückgegriffen werden kann, die sich innerhalb einer lokalen Trägerschaft zu einer identischen, komplexen pädagogischen Philosophie bekennen. In die Überlegungen mussten außerdem die Marktchancen eines QM-Konzepts in Deutschland einbezogen werden. In diese gehen u.a. die Trägererwartungen, aber auch die Erfahrungen von Erzieher/innen mit QM-Maßnahmen und deren kritische Reflexion ein.

So entstand 2001 das Konzept, "Qualität in Kindertageseinrichtungen in Verbindung mit der Universität Duisburg - Essen (QuicK)". Es sollte sich an folgenden Kriterien orientieren:

  • die Potenziale, Ressourcen und Entwicklungsinteressen des Teams und seiner Mitglieder stehen im Zentrum;
  • das Team setzt sich mit wenigen und plausiblen Qualitätsdimensionen auseinander und bezieht sie sowohl auf ihre aktuelle Arbeit wie auf die selber vorstellbaren Weiterentwicklungen oder Akzentverschiebungen der eigenen Arbeit;
  • fachliche Inputs werden auf die aus dem Team geäußerten Bedarfe bezogen;
  • das Team soll den QM-Prozess als Wertschätzung und Bereicherung der eigenen Arbeit empfinden und ihn mit Neugierde und Wohlbefinden erleben;
  • das Gesamtteam übernimmt als Arbeits- und Erfahrungsgemeinschaft die Verantwortung für die Arbeitsqualität der Einrichtung; es steht zugleich in spannungsreicher Balance zu der Verantwortung der einzelnen Gruppenteams und der einzelnen Teammitglieder, die jeweils für bestimmte Aufgabenschwerpunkte stehen;
  • der QM-Prozess soll eine klare und überschaubare Struktur aufweisen sowohl in Hinblick auf seinen zeitlichen Verlauf und den Arbeitsaufwand für die Teammitglieder als auch hinsichtlich der Rollen von Moderator/in, Leiter/in und Teammitgliedern;
  • der Netzwerkgedanke wird zwanglos einbezogen durch die Zusammenarbeit von zumindest zwei Teams innerhalb des QM-Prozesses und durch Kontakte zwischen Moderator, Leitung und Team via Mail oder Telefon außerhalb der gemeinsamen Sitzungen.

Als Umsetzungsrahmen für all diese Ansprüche wurde das Konzept der Organisationsentwicklung (OE) ausgewählt, wie es von Kurt Lewin in den späten 1940er Jahren entworfen und angewandt und später immer wieder weiterentwickelt wurde (vgl. Behrmann 2004; Kaune/ Bastian 2004; Schiersmann 2004). Kernstücke der OE sind:

  • die Situationsanalyse der Organisation
  • der Zielfindungsprozess
  • die methodische Planung der Zielerreichung
  • die Zielimplementierung
  • die erneute Situationsanalyse.

Allerdings wurde eine Reihe von Handlungselementen verstärkt, variiert oder neu eingeführt und damit auch der Bezug zur reggianischen Praxis der Qualitätssicherung verstärkt. Dazu gehören:

  • die Nutzung visueller Kommunikationselemente
  • die Beachtung räumlich-gegenständlicher Rahmenbedingungen beruflichen Handelns
  • die Wertschätzung professioneller Erfahrungen der Beteiligten
  • das Vermeiden langer Theoriediskussionen.

Daneben wurde auf die Ideen des aristotelischen Denkens für das Umreißen von Qualitätsdimensionen im Bildungsbereich zurückgegriffen: Aristoteles hat wie kaum ein anderer klassischer Denker sein Augenmerk auf das gelegt, was Güte, Leistung und Qualität menschlichen Lebens und Handelns ausmacht (vgl. Rapp 2001, S. 20 ff.). Er verknüpft die Suche nach Wahrheit und nach Lebensqualität (Glück) mit den Fragen nach der Veränderbarkeit des Menschen durch Kunst und Bildung, nach der Bedeutung des Fehler Machens und nach dem Verhältnis von Vernunft und Emotion (vgl. ebd., S. 67 ff.). Eine große Rolle spielen dabei die situativen Rahmenbedingungen menschlichen Handelns, vor allem die Zeitdimension (vgl. Vigo 1996, S. 76 ff.) und das Aushalten und Ausbalancieren von Gegensätzen und Spannungsbögen ("Antinomien") (vgl. Winkel 1986). Aus diesen Überlegungen wurde für QuicK ein einfaches und überschaubares Schema für die Beschreibung von Qualitätsdimensionen mit folgenden Dimensionen und Kriterien gewonnen:

QuicK

In der Praxis von QuicK ergibt sich aus diesen Vorannahmen, Zieldimensionen und methodischen Elementen eine einfache Aktionsstruktur, die sich in der Regel auf anderthalb Jahre erstreckt:

  1. Startworkshop, bei dem das Entdecken von Stärken und Schwächen im Team, das schrittweise Finden und Formulieren von Zielen, die Reflektion der Bedingungen der Zielerreichung und das Treffen von Vereinbarungen im Vordergrund stehen.
  2. Coaching- oder Feedbackgespräche, die im Abstand von jeweils etwa vier bis fünf Monaten zweimal stattfinden und mit jedem Gruppenteam sowie der Leitung im laufenden Betrieb der Einrichtung durchgeführt werden. Diese folgen den von Innerhofer formulierten Schritten und Prinzipien des Coachings (vgl. Innerhofer u.a. 1999, S. 110 ff.). Diese gehen von einer "Organisationsvision" aus, die die "Mitarbeiter begeistert und zu selbstverantwortlichem Handeln führt" (Innerhofer u.a. 1999, S. V). In den Gesprächen ergeben sich Fragen, Anerkennung, Kritik und vor allem die Möglichkeit, die vereinbarten Ziele auf die Potenziale und Bedarfe des jeweiligen Gruppenteams präziser abzustimmen.
  3. Qualitätstag: Zum Abschluss des QM-Prozesses mehrerer Einrichtungen des gleichen Trägers findet ein Qualitätstag mit allen beteiligten Teams in der Regel vor der interessierten Öffentlichkeit statt. Dabei geht es
    - um eine Resümierung des vollzogenen Prozesses
    - um Perspektiven der Weiterführung von Prozessen der Qualitätssicherung
    - um die öffentliche Präsentation des QM-Prozesses gegenüber Eltern, Träger, kommunaler Politik und Presse.
    Gerade der Aspekt des Herstellens von Öffentlichkeit stellt eine reggianisch geprägte Form der Wertschätzung und der Stärkung des Selbstbewusstseins des Teams dar.

Von "QuicK" zum Qualitätshandbuch-Konzept "Kinderbildung"

Seit dem Frühjahr 2002 haben etwa 45 Einrichtungen in Bayern, Hessen, Niedersachsen und Nordrhein-Westfalen an QuicK teilgenommen. 2007 hat die kritische Sicht auf die Erfahrungen mit QuicK gemeinsam mit Vertretern der verschiedenen Beteiligtengruppen zu einer Weiterentwicklung und Veränderung des Konzepts geführt. Folgende Aspekte erfuhren nun eine stärkere Beachtung:

  1. eine deutlichere Bezugnahme auf
    - die länderspezifischen Bildungspläne, die seit 2003 entstanden sind
    - die Erwartungen des Trägers
    - die Orientierung an einem pädagogischen Ansatz
    - die eigenen pädagogischen Schwerpunkte
    - die Berücksichtigung der pädagogischen Kernprozesse Bildung und Lernen, sich Wohlfühlen und Sicherheit, Schnittstellen und Netzwerke, Qualitäts- und Qualifikationsentwicklung im Team
  2. die schriftliche Dokumentation der Ergebnisse des QM-Prozesses in Gestalt eines Qualitätshandbuchs (vgl. Erath 2002)
  3. fachliche Inputs vor oder im Verlauf des QM-Prozesses z.B. zu folgenden Themen: Beobachten und Dokumentation, Projekte als Bildungsarbeit, Bildungsprozesse von Kindern unter drei Jahren, Entwicklung gemeinsamer Lernkulturelemente mit der Grundschule, pädagogische Raumgestaltung, Konzeptionsentwicklung, Schärfung der Bezüge zu pädagogischen Ansätzen, insbesondere zur Reggio-Pädagogik
  4. die Integration von Formen einer nicht-standardisierten Zertifizierung in einen längerfristigen Prozess der Qualitätssicherung.

So entstand das neue QM-Konzept "Kinderbildung". Es wurde ab Ende 2007 zunächst in zwei niedersächsischen Piloteinrichtungen erprobt, bevor mit seinem Einsatz in der zweiten Jahreshälfte 2008 bei 46 Einrichtungen in Baden-Württemberg, Bayern und Niedersachsen begonnen wurde.

Die Teams von derzeit drei mittelgroßen Trägern verständigen sich über die gemeinsame schrittweise Erstellung des Qualitätshandbuchs mit den Hauptgliederungspunkten:

  1. Orientierung am Bildungsplan des Landes
  2. Erwartungen des Trägers
  3. Orientierung an einem elementarpädagogischen Ansatz
  4. Profil und Entwicklungsziele der einzelnen Einrichtung
  5. Qualität pädagogischer Kernprozesse.

Die Handbucherstellung ist ein Verbundprozess. Es beteiligen sich mehrere Einrichtungen an der zeitlich parallelen Erstellung des Handbuchs. Der kommunikative Prozess ist bereits Teil der Qualitätsentwicklung. Innerhalb und auch zwischen den Teams werden Differenzen pädagogischer Grundüberzeugungen sichtbar. Vergleiche fordern zur kognitiven Durchdringung eigener und "fremder" Positionen heraus.

Es wird ein in wesentlichen Teilen einheitliches Handbuch erstellt, das aber jeweils individuell gestaltet wird. Damit wird ein nach innen und außen erkennbares Trägerprofil dokumentiert, zugleich der Unverwechselbarkeit der einzelnen Einrichtung Ausdruck gegeben.

Am Ende der Handbucherstellung und der Überprüfung von Stimmigkeit des Handbuchs und seiner Kompatibilität mit der alltäglichen Praxis erhalten die beteiligten Einrichtungen eine zertifizierende Urkunde, die nach zwei Jahren erneuert werden kann.

In Reggio Emilia selber werden keine Zertifikate vergeben. Die jahrzehntelange Trägerzugehörigkeit und das enge Netzwerk von teamübergreifender (Qualitäts-) Diskussion und Fachberatung sichern einen qualitativen pädagogischen Standard, der einer Beurkundung nicht bedarf.

Die deutsche Situation ist jedoch anders: Die Bildungspläne verlangen Qualität der pädagogischen Arbeit. Das fördert den Wettbewerb zwischen den Kindertageseinrichtungen, der zusätzlich durch die rückläufige Geburtenquote verschärft wird. Vor allem Einrichtungen, die sich profilieren und dies auch den Eltern vermitteln können, haben eine Chance, sich im Wettbewerb um Kinder zu behaupten.

Nur durch besondere Anstrengungen gelangt ein Team zu einem Zertifikat. Sein Besitz ist bis auf weiteres eine besondere Auszeichnung, der Eltern nach den bisherigen Erfahrungen eine sehr große Beachtung schenken. Das Zertifikat macht stolz, und es spornt zugleich an, das bescheinigte Qualitätsniveau zu halten. Es ist nicht ein Geschenk, das einmalig verliehen wird, sondern eine Herausforderung weiterzuarbeiten. Es wird für zwei Jahre vergeben; das ist ein Zeitraum, der den Aufforderungscharakter zur Weiterarbeit erkennbar macht.

Literatur

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Tietze, Wolfgang/Schuster, Käthe-Maria/Grenner, Katja/Rossbach, Hans-Günther: Kindergarten-Skala - Revidierte Fassung (KES-R). Berlin 2001

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Ziesche, Ulrike/Gebauer-Jorzick, Silke: Qualitätswerkstatt Kita - Bildungsprozesse in Kindertagesstätten. Berlin 2002