×

Zitiervorschlag

Aus: Sabine Lingenauber, Janina L. von Niebelschütz (2015): Das Übergangsbuch. Kinder, Eltern und Pädagoginnen dokumentieren den Übergang von der Kindertageseinrichtung in die Schule. Bochum und Freiburg: Projektverlag, 2. korrigierte und ergänzte Auflage 2015. Hinweis: Die in der Buchveröffentlichung enthaltenen Grafiken, Fotos und Kinderzeichnungen sind in diesem Artikel nicht enthalten.

Das Übergangsbuch. Kinder, Eltern und Pädagoginnen dokumentieren den Übergang von der Kindertageseinrichtung in die Schule

Sabine Lingenauber und Janina L. von Niebelschütz

 

1. Einleitung

In den Jahren 2005 bis 2009 haben über 300 Erzieherinnen und Lehrerinnen in fünf Bundesländern im Rahmen des Bund-Länder-Kommissionsprojektes "Stärkung der Bildungs- und Erziehungsqualität in Kindertageseinrichtungen und Grundschule - Gestaltung des Übergangs" (TransKiGs) neue Formen der Kooperation entwickelt und erprobt. Gefördert wurde das Projekt durch das Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF). In den Bundesländern Berlin, Brandenburg, Bremen, Nordrhein-Westfalen und Thüringen sind neue Strategien und Materialien zur Gestaltung des Übergangs von der Kindertageseinrichtung in die Grundschule entstanden.

Das vorliegende Übergangsbuch wurde im Rahmen des Thüringer Entwicklungs- und Forschungsprojektes "TransKiGs" von Erzieherinnen, Lehrerinnen und Wissenschaftlerinnen gemeinsam entwickelt und in der Praxis erprobt. Insgesamt waren 14 Kindertageseinrichtungen und sechs Grundschulen beteiligt, die in sechs Tandems zusammengearbeitet haben.

Hierbei waren - wie bei dem Projekt insgesamt - zwei Ziele leitend. Zum einen ging es darum, das Kind zum Akteur seines Übergangsprozesses werden zu lassen und so seine Kompetenzen zu stärken. Zum anderen sollte sich die systematische Beteiligung aller Kinder und Eltern positiv auf die Bildungs- und Erziehungsqualität auswirken, was dank dem professionellen Handeln der Erzieherinnen und Lehrerinnen auch gelang.

Darüber hinaus waren die folgenden Forschungserkenntnisse grundlegend:

  • Kinder haben beim Übergang von der Kindertageseinrichtung in die Grundschule andere Erwartungen als Eltern und Pädagoginnen. Sie messen etwa bereits bestehenden Freundschaften aus der Kindergartenzeit eine große Bedeutung bei und hoffen zudem, in der Schule auch neue Freunde zu finden.
  • Eltern erachten es als wichtig, dass sich ihr Kind leicht von ihnen lösen kann und eine Bindung zur Klassenlehrerin aufbaut.
  • Lehrer/innen erwarten von den Kindern die Kompetenz, innerhalb einer großen Gruppe zuzuhören und selbstständig zu handeln (vgl. Dockett/Perry 2001, 3 ff.).

Diese Unterschiede wurden auch beim TransKiGs-Forschungsprojekt in Thüringen sichtbar. Das professionelle Handeln von Erzieher/innen und Lehrer/innen sollte dementsprechend verschiedene Ebenen umfassen, damit die jeweiligen Erwartungen Berücksichtigung finden und Kinder wie Eltern zu Akteuren des Übergangsprozesses werden können.

Das Übergangsbuch stellt eine Möglichkeit dar, Kinder und Eltern aktiv am Übergangsprozess zu beteiligen. Es unterstützt den Dialog zwischen Kind und Eltern im letzten Kindergartenjahr und im ersten Schuljahr. Zwei Jahre lang dokumentieren das Kind und seine Eltern darin den Übergangsprozess. Diese Dokumentation wird von der Erzieherin im letzten Kindergartenjahr initiiert und unterstützt. Die Lehrerin übernimmt die Begleitung der Dokumentation im ersten Schuljahr. Das Kind hält die während seiner Übergangsphase gesammelten Erlebnisse zu Hause in einem Bild fest. Es erzählt den Eltern von seinen in der Zeichnung dargestellten Erfahrungen. Die Eltern schreiben die Erzählung ihres Kindes wörtlich in das Übergangsbuch. Anschließend bringen sie das Buch im letzten Kindergartenjahr in die Kindertageseinrichtung bzw. im ersten Schuljahr in die Schule zurück.

Die Erfahrungen mit dem Übergangsbuch in Thüringen zeigen, dass die Kinder durch das gemeinsame Betrachten ihrer Zeichnungen mit anderen Kindern ihre Übergangserfahrungen intensiv reflektieren. Dazu gehört, dass sie die Erzieher/innen immer wieder bitten, die von den Eltern dokumentierten Erzählungen von der ersten Seite an vorzulesen. Das Übergangsbuch lässt damit sowohl das Kind als auch die Eltern zu Akteuren im Übergangsprozess werden. Es bildet eine neue Form der Dokumentation, die erst durch das kooperative und professionelle Handeln von Erzieher/innen und Lehrer/innen ermöglicht wird.

Das Buch ist in insgesamt drei Kapitel aufgeteilt. Im ersten Kapitel wird ein Modell mit sieben Akteurs-Ebenen für eine gelingende Übergangsgestaltung vorgestellt (vgl. Lingenauber 2008). Das zweite Kapitel ist der Entstehungsgeschichte und der Nutzung des Übergangsbuches gewidmet. Verschiedene Übergangsstrategien wie "Patenschaften" zwischen Kindergarten- und Grundschulkindern sind der Gegenstand des dritten Kapitels. Es enthält darüber hinaus Beispielseiten aus bereits bestehenden Übergangsbüchern. Diese Kinderzeichnungen und -erzählungen von Mädchen und Jungen machen die Bedeutung der verschiedenen Aktivitäten für die Kinder im Übergangsprozess deutlich. Dem schließen sich Kopiervorlagen an sowie ein Link, der auf eine PDF-Datei zum Selbstausdruck des Übergangsbuches verweist.

Wir danken den Pädagoginnen, den Eltern und den Kindern des Thüringer TransKiGs-Projektes herzlich für ihre Mitarbeit. Unser besonderer Dank gilt Annett Greiner-Lar (Integrative Kindertagesstätte Tausendfüssler) für ihren wertvollen Beitrag zur Entstehung dieses Buches.

Seit dem Wintersemester 2009 setzen wir das Übergangsbuch in der Lehre des berufsbegleitenden B.A.-Studiengangs "Frühkindliche inklusive Bildung" (BiB) im Rahmen der Modulkombination "Projektarbeit und Dokumentation" mit dem ersten "Theorie-Praxis-Projekt" ein. Die Studierenden gestalten mit Hilfe des Übergangsbuches drei Semester lang institutionsübergreifende Übergangsprozesse in ihren Kindertageseinrichtungen und Grundschulen. Ihre Ausgangsbedingungen unterscheiden sich dabei erheblich. Sie sind tätig in

  • 16 Bundesländern - von Bayern bis Sachsen,
  • unterschiedlichen Institutionen der frühkindlichen Bildung - von der Krippe bis zur Grundschule und
  • Einrichtungen mit und ohne Übergangskonzeptionen.

In den Jahren 2009 bis 2014 haben wir die Praxiserfahrungen von über 130 Student/innen mit ca. 1.000 Familien im Übergang und 1.000 Übergangsbüchern in der Hochschullehre reflektiert. Es gelang eine Erweiterung der TransKiGs-Erfahrungen mit partizipativ gestalteten Übergangsprozessen insbesondere in den Bereichen

  • Übergang von der Krippe in den Kindergarten,
  • mehrsprachig aufwachsender Kinder und
  • Kinder mit Behinderungen.

In den oben genannten Modulen dokumentieren und reflektieren die Studierenden über ein Jahr lang ihre Kompetenzentwicklung im Rahmen der Übergangsgestaltung. Sie erfassen ihre pädagogischen Interaktionen mit den am Übergangsprozess beteiligten Akteursgruppen: Kinder, Pädagog/innen und Eltern (vgl. Sieben-Ebenen-Modell, s.u.) und analysieren diese engmaschig in den Lehrveranstaltungen. Dabei dienen diese reflektierten Praxiserfahrungen zum einen der Weiterentwicklung pädagogischer Handlungskompetenzen (vgl. Lingenauber/ Sens 2013, S. 158). Zum anderen setzen sich die Studierenden mit der vielfältigen frühpädagogischen Praxis auseinander und beeinflussen diese. Im Rahmen einer inklusiven Hochschuldidaktik präsentieren die Studierenden nach 16 Monaten ihre wichtigsten theoretischen und praktischen Ergebnisse in Präsentationsprüfungen vor der gesamten Studiengruppe und den Lehrenden.

In der vorliegenden 2. Auflage konnte die Publikation durch die beschriebene Erprobung und Reflexion des Übergangsbuches im Studiengang "Frühkindliche inklusive Bildung" um zwei Kapitel ergänzt werden: Kapitel 4 "Vielfältige Ausdrucksweisen der Kinder" und Kapitel 5 "Das Übergangsbuch in der Krippe".

Wir danken den BiB-Studierenden und den Eltern herzlich für ihren Beitrag zur zweiten Auflage. Unser besonderer Dank gilt Anna Berndl, Isaac und Maarten Van den Nest für ihren Beitrag zu dieser zweiten Auflage.

2. Das Sieben-Ebenen-Modell

Der Übergang von der Kindertageseinrichtung in die Grundschule sollte nicht allein von Erzieher/innen und Lehrer/innen (Pädagog/innen) gestaltet werden. Vielmehr sollten auch Kinder und Eltern durch das professionelle Handeln der Pädagog/innen zu Akteuren im Übergangsprozess werden. Anhand eines Sieben-Ebenen-Modells können Kindertageseinrichtungen und Grundschulen feststellen, inwieweit eine Beteiligung der Kinder und der Eltern bei der Übergangsgestaltung in ihren Einrichtungen bereits erfolgt. Sieben Akteurs-Ebenen werden unterschieden:

  • Erzieher/in - Grundschullehrer/in,
  • Erzieher/in - Grundschullehrer/in - Kindergarteneltern,
  • Erzieher/in - Grundschullehrer/in - Kindergartenkind,
  • Kindergarteneltern - Grundschuleltern,
  • Kindergartenkind - Grundschulkind,
  • Kindergartenkind - Erzieher/in - Grundschullehrer/in - Kindergarteneltern,
  • Kindergarteneltern - Kindergartenkind (vgl. Lingenauber 2008, S. 199).

Ebene 1: Erzieher/in - Grundschullehrer/in

Das Ziel der ersten Ebene besteht darin, dass Erzieher/innen und Grundschullehrer/innen die Arbeitsweise der Kindertageseinrichtung und der Grundschule intensiv kennenlernen. Die Pädagog/innen besuchen sich beispielsweise gegenseitig in ihren Einrichtungen und sie gestalten gemeinsam eine Fortbildung oder einen neuen Raum. Im "Thüringer Entwicklungs- und Forschungsprojekt TransKiGs" richteten z.B. Erzieherinnen und Grundschullehrerinnen in einem Raum der Grundschule gemeinsam eine "Mathe-Oase" für Kindergartenkinder und Grundschulkinder ein (vgl. Lingenauber/ von Niebelschütz/ Thillm 2010a, S. 29).

Ebene 2: Erzieher/in - Grundschullehrer/in - Kindergarteneltern

Bei der zweiten Ebene werden Kindergarteneltern aktiv beteiligt Sie lernen z.B. bei einem von der Erzieherin und der Grundschullehrerin gemeinsam organisierten Elternabend die zukünftige Grundschullehrerin ihres Kindes kennen. Dabei erfahren sie u.a., wie ihr Kind in der Schule lesen und schreiben lernt (vgl. a.a.O., S. 19). In einer Grundschule in Thüringen wurden die Eltern auch an der Gestaltung eines gemeinsamen Raumes für Kindergartenkinder und Grundschulkinder beteiligt.

Ebene 3: Erzieher/in - Grundschullehrer/in - Kindergartenkind

Neben der Erzieherin und der Grundschullehrerin bezieht die dritte Ebene das Kindergartenkind als Akteur in den Übergangsprozess ein. In Thüringen nehmen die Kindergartenkinder in einer "Schnupperwoche" am Unterricht in ihrer zukünftigen Grundschulklasse teil. Dabei lernen sie ihre Lehrerin im Beisein der ihnen aus der Kindertageseinrichtung vertrauten Erzieherin kennen und machen erste Erfahrungen im Unterricht (vgl. a.a.O., S. 46).

Ebene 4: Kindergarteneltern - Grundschuleltern

Die vierte Ebene professionellen Handelns bezieht sich auf den gezielt herbeigeführten Austausch zwischen Kindergarteneltern und Grundschuleltern über ihre möglichen Sorgen, Ängste und Erwartungen. Bei Elternabenden berichten Grundschuleltern z.B. über ihre beim Übergang im Vorjahr gemachten Erfahrungen (vgl. a.a.O., S. 66 f.). Dieser durch die Pädagog/innen systematisch hergestellte Austausch unterscheidet sich von einem rein zufällig entstandenen Austausch zwischen einzelnen Eltern dadurch, dass er sämtliche Eltern zukünftiger Schulkinder als Akteure einbezieht.

Ebene 5: Kindergartenkind - Grundschulkind

Die fünfte Ebene trägt entscheidend dazu bei, das Kindergartenkind zu einem Akteur seines Übergangsprozesses werden zu lassen. Das professionelle Handeln umfasst hier z.B. eine durch Pädagog/innen initiierte Patenschaft zwischen einem Kindergartenkind und einem Grundschulkind. Gemeinsam erkunden die Patenkinder u.a. die Grundschule. Dabei zeigt das Grundschulkind dem Kindergartenkind vor dessen Einschulung an "Schnuppertagen" die Schule aus der Kinderperspektive (vgl. a.a.O., S. 68 f.; 77 f.; vgl. von Niebelschütz 2009). Diese Aktivität kommt dem Bedürfnis des Kindes, in der Schule neue Freundschaften zu knüpfen, besonders entgegen.

Ebene 6: Kindergartenkind - Erzieher/in - Grundschullehrer/in - Kindergarteneltern

Ein Beispiel für die sechste Ebene ist ein gemeinsames Übergabegespräch mit dem Kind, seinen Eltern, der Erzieherin und der Grundschullehrerin. Dabei wird in Thüringen mit dem Kind im Beisein seiner Eltern über seine Kindergartenzeit gesprochen (vgl. Lingenauber/ von Niebelschütz 2009; Lingenauber/ von Niebelschütz/Thillm 2010a, S. 50 f.). Zum "Übergabegespräch" ist ein Dokumentarfilm entstanden (vgl. Lingenauber/ von Niebelschütz/ Thillm 2010b).

Ebene 7: Kindergarteneltern - Kindergartenkind

Die siebte Ebene hat zum Ziel, den Austausch des Kindes mit den Eltern über seine Übergangserfahrungen systematisch zu unterstützen. Diese Ebene wird bislang kaum in die Gestaltung des Übergangs einbezogen (vgl. Lingenauber/ von Niebelschütz/ Thillm 2010a, S. 9). Das Übergangsbuch bietet eine Möglichkeit, den Dialog zwischen Kind und Eltern im letzten Kindergartenjahr und im ersten Schuljahr systematisch zu fördern. An der Erprobung des Übergangsbuches beteiligte Thüringer Eltern äußerten sich in Interviews sehr positiv über ihre Erfahrungen. Insbesondere Kinder, die ihren Eltern bisher kaum etwas über ihre Erfahrungen in der Grundschule mitteilten, haben beim gemeinsamen Betrachten der Zeichnungen von ihren Erlebnissen erzählt.

Die Thüringer Forschungsergebnisse zeigen, dass durch eine Berücksichtigung der sieben Akteurs-Ebenen professionellen Handelns die Bildungsqualität bei der Gestaltung des Übergangs von der Kindertageseinrichtung in die Grundschule erheblich erhöht wird (Lingenauber 2008, S. 202; Lingenauber/ von Niebelschütz/ Thillm 2010a, S. 8 ff.).

3. Entstehung und Nutzung

Der Partizipation von Eltern und Kindern kommt für das Gelingen von Übergangsprozessen eine besondere Bedeutung zu. Im Thüringer Entwicklungs- und Forschungsprojekt "TransKiGs" waren deshalb folgende drei Ziele professionellen Handelns leitend:

  • Die Kinder sind Akteure ihrer eigenen Bildungsprozesse (vgl. Thüringer Kultusministerium 2008, S. 14) und somit aktive Mitgestalter ihres Übergangs von der Kindertageseinrichtung in die Grundschule.
  • Die Eltern werden in die von Kindertageseinrichtung und Grundschule gemeinsam geplanten Aktivitäten einbezogen. Ihnen werden Möglichkeiten der Beteiligung im Übergangsprozess eröffnet (vgl. JFMK/KMK 2009, S. 5).
  • Kinder und Eltern kommen im Hinblick auf die einzelnen Aktivitäten miteinander ins Gespräch und vollziehen so gemeinsam den Übergangsprozess.

3.1 Entwicklung und Erprobung

Mit dem Ziel, Kindergartenkinder und deren Eltern in einen partizipativen Prozess einzubinden, arbeitete die wissenschaftliche Begleitung eng mit den Pädagoginnen aus den beteiligten Kindertageseinrichtungen und Grundschulen zusammen. Im regen Austausch entstand die Idee zu einem gemeinsamen Material für Kinder und Eltern im Übergangsprozess (vgl. Lingenauber 2008, S. 201 f.). Ein solches Material sollte:

  • Kindern als auch Eltern eine Orientierung über die von Kindertageseinrichtung und Grundschule gemeinsam geplanten Aktivitäten im letzten Kindergartenjahr bieten,
  • es Kindern ermöglichen, ihre Erlebnisse und Eindrücke im Übergangsprozess durch Zeichnungen oder Bilder festzuhalten und so sichtbar werden zu lassen.

Gemalte Bilder bieten Eltern niedrigschwellige Anknüpfungspunkte dafür, mit ihren Kindern in einen Dialog zu treten und sie so im Übergangsprozess aktiv begleiten und unterstützen zu können.

Die wissenschaftliche Begleitung entwickelte in einem ersten Schritt ein Buch, das in seinem strukturellen Aufbau einem Kalender für das letzte Kindergartenjahr glich. Es gab u.a. zu jeder Aktivität bzw. Übergangsstrategie eine Seite, auf der das Kind sein subjektiv Erlebtes bildlich darstellen und darüber mit seinen Eltern ins Gespräch kommen konnte. Aufgabe der Eltern war es, die Erzählungen des Kindes unter dem Gemalten schriftlich festzuhalten. Das Buch sollte mit einer Zeichnung zur Einschulungsfeier abschließen (vgl. Lingenauber 2009).

Das Übergangsbuch ging im Tandem Neuhaus - bestehend aus der "Staatlichen Grundschule Neuhaus" sowie der integrativen Kindertageseinrichtung "Tausendfüssler" - in eine Erprobungsphase. Während dieser Zeit konnten durch Interviews mit der beteiligten Erzieherin und den beteiligten Eltern sowie in Einzelgesprächen zwischen Tür und Angel Erfahrungen gesammelt werden, die in die weitere Gestaltung des Übergangsbuches und in dessen Nutzung einflossen.

Da das Buch erst mitten im laufenden Kindergartenjahr fertig gestellt war, nutzte die Kindertageseinrichtung es vorerst ausschließlich intern, um die bereits erfolgten Aktivitäten gemeinsam mit den Kindern nachzutragen. Dadurch kamen die Übergangsbücher auf einen Stand, der dem aktuellen Übergangsprozess der Kinder entsprach.

3.1.1 Elternabend zur Einführung

Ein Elternabend führte die Eltern der zukünftigen Schulanfänger in die Bedeutung und Handhabung des Buches ein. Die bereits gestalteten Seiten der Übergangsbücher dienten dabei als Beispiel und gaben den Eltern Orientierung für die weitere Nutzung des Buches und die Begleitung ihrer Kinder.

Die ersten Reaktionen der Eltern auf die Übergangsbücher und das damit verbundene Vorhaben waren sehr unterschiedlich. Einige Eltern zeigten sich erstaunt über die offensichtlichen Fähigkeiten ihrer Kinder, Erlebtes in Bildern auszudrücken. Insbesondere aber bewegten Eltern Fragen in Bezug auf Umfang und Inhalt ihres eigenen Beitrags zu den Übergangsbüchern. Es wurde daher noch einmal verdeutlicht, dass diese Texte ausschließlich von den Erzählungen der Kinder und somit von diesen selbst bestimmt sein sollten. Sämtliche Eltern erklärten sich schließlich dazu bereit, das Vorhaben zu unterstützen. Erzieherinnen und Eltern vereinbarten, dass die Kinder ihre Bücher jeweils am Tag der Aktivität mit nach Hause nehmen und in der darauffolgenden Woche wieder mit in die Kindertageseinrichtung bringen würden.

3.1.2 Erfahrungen der Kinder, Eltern und Erzieherin

Es zeigte sich, dass die meisten Kinder ihr Übergangsbuch gern nutzen und häufig direkt nach einer Aktivität zu Hause damit begannen, ein Bild über das Erlebte anzufertigen. Auch erklärten die meisten Kinder den Eltern von sich aus ihre Bilder und erzählten voll Freude von besonders bedeutsamen Aspekten der einzelnen Aktivitäten. Die Erzieherin schrieb hierzu rückblickend: "Es war für einige Eltern erstaunlich, dass ihr Kind sich freiwillig zum Zeichnen hinsetzte. Für uns war es eine erneute Bestätigung dafür, wie wichtig es für ein Kind ist, sich über seine Erlebnisse mit seinen Eltern auszutauschen, seine Gedanken und Gefühle auszudrücken und die Bestätigung dafür in Form von Aufmerksamkeit und Zuwendung zu erhalten. Während des gesamten Kindergartenjahres gab es kein Kind, welches sein Buch nicht wieder mitgebracht hat, um es auch seiner Erzieherin und seinen Freunden zu zeigen" (Lingenauber/ von Niebelschütz/ Thillm 2010a, S. 80).

Einzelne Kinder benötigten nach Aussage der Erzieherin für ihr Bild die Nähe und die Aufmerksamkeit der Eltern. Nachfragen seitens der Eltern zu den einzelnen Elementen des Bildes förderten zudem, insbesondere zu Beginn, die Erzählfreude der Kinder.

Für "Kinder mit Behinderung bzw. mit drohender Behinderung" stellt der Übergang von der Kindertageseinrichtung in die Grundschule aus unterschiedlichen Gründen häufig eine besondere Herausforderung dar (vgl. JFMK/KMK 2009, S. 3). Bei einem Mädchen mit an Blindheit grenzender Sehbehinderung entschieden sich die Erzieherinnen beispielsweise dafür, das Übergangsbuch mit Fotos anstatt mit eigenen Zeichnungen der zukünftigen Schulanfängerin zu den einzelnen Aktivitäten zu füllen. Die Erinnerungen des Mädchens fanden dann jeweils unter dem Foto ihren schriftlichen Niederschlag. So war es möglich, die individuellen Bedürfnisse sowie möglichen Wünsche, Erwartungen und/oder Ängste im Übergangsprozess sichtbar zu machen und damit das Kind adäquat zu begleiten. Den Eltern boten die Fotos eine zusätzliche Möglichkeit, sich ein konkretes Bild von der erlebten Aktivität zu machen.

Die Erzieherin berichtete, dass einzelne Eltern geneigt waren, die Zeichnungen ihrer Kinder gemäß ihren eigenen Vorstellungen zu beeinflussen bzw. zu korrigieren, etwa in Bezug auf die Naturtreue dargestellter Gegenstände. Der Authentizität der kindlichen Zeichnung den höchsten Wert beizumessen und zuzulassen, dass ihr Kind Gegebenheiten aus seiner ureigenen Perspektive wahrnahm, die von jener der Erwachsenen abwich, war für viele Eltern, namentlich zum Anfang, eine Herausforderung.

Manche Eltern scheuten sich aufgrund geringer schriftsprachlicher Erfahrung davor, selbst die Erzählungen ihres Kindes in das Übergangsbuch einzutragen. Sie notierten stattdessen die Aussagen des Kindes auf einem separaten Blatt Papier und brachten dieses mit in die Kindertageseinrichtung. Die Erzieherinnen trugen die Aussagen dann auf die entsprechende Seite im Übergangsbuch ein (vgl. Lingenauber/ von Niebelschütz/ Thillm 2010a, S. 80).

Die vertrauensvolle Beziehung zwischen der beteiligten Erzieherin und den beteiligten Eltern im Tandem Neuhaus brachte es mit sich, dass Eltern während der Erprobungsphase über ihre Gefühle berichteten, die sie beim Betrachten der Zeichnungen ihrer Kinder bewegt hatten. In ihren Rückmeldungen zur Nutzung des Übergangsbuches betonten die beteiligten Eltern gegenüber der Erzieherin, dass sie insbesondere die durch das Ausfüllen des Übergangsbuches mit ihren Kindern verbrachte Zeit, als besonders wichtig empfanden (vgl. ebd.). Die Erzieherin ergänzte hierzu, dass durch die Aufgabe der Eltern auch der Dialog zwischen Eltern und Kind gefördert würde. Die Bedeutung einzelner Elemente in der Kinderzeichnung zu erfahren und die Erzählungen des Kindes wortgetreu zu erfassen, setzt schließlich eine intensive Auseinandersetzung mit dem Kind und dessen Erlebnissen voraus.

3.1.3 Weiterentwicklung

Viele Kinder wollten ihre Bilder sowohl ihrer Erzieherin als auch ihren Kindergartenfreunden noch einmal zeigen und erklären. Dabei erinnerten sie sich häufig an weitere Einzelheiten, die bei dem jeweiligen Bild noch nicht schriftlich festgehalten worden waren. Nicht wenige Kinder ließen sich ihr Übergangsbuch wiederholt von der ersten Seite an vorlesen und wollten dabei an einigen Stellen durch die Erzieherin Ergänzungen einfügen lassen (vgl. ebd.). Aus diesem Grund wurde im Übergangsbuch mehr Platz für die Verschriftung geschaffen.

Der Übergangsprozess ist nicht mit dem Tag der Einschulung abgeschlossen, sondern geht über diesen Zeitpunkt zum Teil weit hinaus. Um dieser Tatsache Rechnung zu tragen, wurde das Übergangsbuch um das erste Grundschuljahr erweitert. Die Kinder haben die Gelegenheit, beginnend mit dem ersten Schultag, die Aktivitäten im ersten Schuljahr sowie jene, die gemeinsam mit Kindern aus der ehemaligen Kindertageseinrichtung stattfinden, abzubilden (vgl. Lingenauber 2009). Die damit verbundene Partizipation von Kindern und Eltern auch über den Zeitpunkt der Einschulung hinaus erhöht die Qualität des Übergangsprozesses deutlich.

3.2 Nutzungshinweise

Das Übergangsbuch wurde im stetigen Austausch zwischen Theorie und Praxis zu einem institutions- und akteursübergreifenden Material entwickelt, das das Kind und dessen Eltern sowohl durch das letzte Kindergartenjahr als auch durch das erste Grundschuljahr begleitet. Durch die Zusammenarbeit zwischen Erzieher/innen und Lehrer/innen kann das Übergangsbuch Grundlage für die Dokumentation professionell entwickelter Strategien für das letzte Kindergartenjahr sowie für das erste Grundschuljahr werden.

3.2.1 Zusammenstellung des Übergangsbuches

Ein vollständig kopiertes/ ausgedrucktes und gebundenes Übergangsbuch für das letzte Kindergartenjahr und für das erste Grundschuljahr besteht pro Jahr aus:

  • einem Deckblatt mit Jahreskreismotiv, Feldern zur Beschriftung und Piktogrammen von Schul- bzw. Kindergartenkindern,
  • einer Seite für ein Selbstportraits des Kindes in seiner jeweiligen Rolle,
  • 12 Doppelseiten für die Monate, mit Lineatur auf der linken Seite für die Verschriftung der Kindererzählungen und einer Seite rechts mit einem Feld für die Datumsangabe und Raum für die Kinderzeichnung.

Auf dem Deckblatt mit Jahreskreismotiv ist jedem Monat eine Farbe zugeordnet, die sich in der farblichen Umrahmung bzw. der Lineatur der Monatsdoppelseiten wiederfindet, sodass auch den Kindern eine leichte Zuordnung möglich ist. Jeder Jahreskreis beginnt mit dem Monat August und bildet damit das letzte Kindergartenjahr bzw. das erste Grundschuljahr ab. Den Monaten zugeordnete Felder lassen Raum, um die von Erzieher/innen bzw. Lehrer/innen gemeinsam entwickelten Aktivitäten einzutragen. Da nicht immer alle Kinder an den Aktivitäten teilnehmen können bzw. auch in einem Monat keine oder zwei Aktivitäten stattfinden können, bietet es sich an, die geplanten Aktivitäten zunächst mit Bleistift einzutragen, sodass sie im Nachhinein noch korrigiert werden können.

Für das Deckblatt sind außerdem Piktogramme eines Kindergartenkindes bzw. Schulkindes vorgesehen. Ihre Zuordnung ist von der Art der Aktivitäten abhängig. Wird eine der in Kapitel 3 beschriebenen Strategien sowohl mit Kindergarten- als auch mit Grundschulkindern durchgeführt, z.B. die "Schnuppertage", werden beide Piktogramme gesetzt. Findet eine Aktivität nur mit Kindergartenkindern statt, z.B. der "Maxi-Club", wird nur das Piktogramm eines Kindergartenkindes gebraucht.

Die Piktogramme sind zu diesem Zweck auf einer gesonderten Seite bei den Kopiervorlagen zu finden. Sie können ausgeschnitten und an entsprechender Stelle aufgeklebt werden. Beim Selbstausdruck des Übergangsbuches, der mithilfe der Download-Datei erstellt werden kann, lassen sich die Piktogramme am Computer nach Bedarf auf der Seite des Jahreskreises arrangieren.

Sollte es nicht möglich sein, farbige Kopien bzw. farbige Ausdrucke herzustellen, so befindet sich bei den Kopiervorlagen wie auch in der Download-Datei ein Jahreskreis sowie eine Monatsseite in Schwarz-Weiß mit Freiraum für Zeichnungen bzw. auch für das Selbstportrait zur freien Gestaltung.

3.2.2 Organisatorisches

Es empfiehlt sich, bei einem Elternabend die Eltern der zukünftigen Schulanfänger in die Bedeutung und Handhabung des Buches einzuführen. Für die Handhabung des Buches kann beispielsweise vereinbart werden, dass die Kinder ihre Bücher jeweils am Tag der Aktivität mit nach Hause nehmen und in der darauffolgenden Woche wieder mit in die Kindertageseinrichtung bzw. in die Grundschule bringen. Auf diese Weise haben die Kinder Gelegenheit, etwa ihre Übergangsbücher wieder anzusehen oder sie der Erzieherin bzw. Lehrerin und den anderen Kindern zu zeigen und darüber zu sprechen.

Sollte ein weiteres Kind etwa durch Zuzug zur Grundschulklasse hinzukommen, erhalten sie ein Übergangsbuch, das entsprechend ausschließlich den zweiten Jahreskreis enthält.

3.2.3 Hinweise zur Verschriftung

Ziel des Übergangsbuches ist es, die tatsächlichen Themen und Empfindungen der einzelnen Kinder im Übergangsprozess aufzuzeigen und zu dokumentieren. Die wortgetreue Wiedergabe der kindlichen Aussagen zu den jeweiligen Zeichnungen ist deshalb wesentlich.

Wenn Kinder Erzählungen zu ihren Bildern ergänzen möchten, werden die Nachtragungen mit einem neuen Datum versehen, sodass ersichtlich wird, zu welchem Zeitpunkt den Kindern welche Aspekte wieder in Erinnerung gekommen sind.

Zur Verschriftung eignet sich auch eine Methode aus der Reggio-Pädagogik (vgl. Lingenauber 2013, S. 74 f.). Dabei werden die vom Kind benannten Elemente des Bildes jeweils mit einer kleinen Ziffer versehen. Diese Ziffer steht zudem hinter dem entsprechenden Wort der Erzählung, sodass Bezeichnung und Bildelement einander zugeordnet werden können.

4. Strategien für gelingende Übergangsprozesse

Die folgenden Strategien für gelingende Übergangsprozesse wurden im Tandem Neuhaus entwickelt und erprobt. Ausgewählte Kinderzeichnungen aus den bisherigen Übergangsbüchern zu den dargestellten Strategien veranschaulichen zum einen die individuelle Bedeutung der Aktivitäten für die einzelnen Kinder und zum anderen die Möglichkeiten der Nutzung des Übergangsbuches.

4.1 Der Maxi-Club

In der integrativen Kindertageseinrichtung "Tausendfüssler" wurde vor einigen Jahren ein "Maxi-Club" eingerichtet, eine Gruppe für Kinder von vier bis sechs Jahren. Die Einrichtung reagierte so einerseits auf große Altersunterschiede zwischen den Kindern in den einzelnen altersgemischten Gruppen, andererseits entsprach sie damit auch dem Wunsch vieler Kinder, im letzten Kindergartenjahr mehr Zeit in einer gemeinsamen Gruppe zu verbringen. Spätestens zu Beginn des letzten Kindergartenjahres wechseln die Kindergartenkinder aus ihrer Gruppe in den "Maxi-Club". Die Kinder haben dort aufgrund unterschiedlicher Faktoren die Möglichkeit, ihr "Selbstkonzept" zu verändern, indem sie erleben, dass ihnen in dieser Gruppe andere Handlungsmöglichkeiten zur Verfügung stehen und sie mehr tun dürfen, als in ihrer bisherigen Gruppe (vgl. Grabenhorst 2007, S. 112). So ist der Gruppenraum des "Maxi-Clubs" unter anderem mit Materialien ausgestattet, welche die Kinder später auch in der Grundschule vorfinden werden. Darüber hinaus gibt es für die zukünftigen Schulanfänger in dieser Gruppe regelmäßig gemeinsame Aktivitäten mit den Schulkindern der nahe gelegenen Grundschule.

Zwei beispielhaft ausgewählte Kinderzeichnungen samt -texten aus den Übergangsbüchern geben die Eindrücke zweier Kinder wieder, die im letzten Kindergartenjahr zum "Maxi-Club" gehörten. Aus beiden geht hervor, dass Freundschaften für Kinder eine überragende Rolle spielen.

Die Erzählung des angehenden Schulkindes Laura zu seinem gemalten Bild betont die Bedeutung positiv erlebter kindlicher Kontakte und vor allem von Freundschaften für das Sich-Zurechtfinden und das Wohlbefinden in neuen Gruppen- und Lernsituationen, hier am Beispiel des "Maxi-Clubs". Die Erfahrung, nach dem Gruppenwechsel erneut Freunde gefunden zu haben, kann das Selbstbewusstsein angehender Schulanfänger stärken und ihnen dabei helfen, den Übergang in die Grundschule mit Zuversicht zu erwarten. Da ein Großteil der "Maxi-Club"-Kinder im Folgejahr gemeinsam die nahe gelegene Grundschule besucht, können viele der im letzten Kindergartenjahr geschlossenen Freundschaften den Übergangsprozess unterstützen.

Aus der Erzählung der zukünftigen Schulanfängerin Mia zu ihrem gemalten Bild wird ebenfalls der hohe Rang von Freundschaften deutlich. Gleichzeitig unterstreicht ihr Text, dass Kinder namentlich solchen Aspekten Gewicht beimessen, die ihnen das Gefühl des "Groß-Seins" vermitteln. So war für Mia offenbar besonders wichtig, dass sie in der neuen Gruppe keinen Mittagsschlaf mehr halten musste. Auch in anderen Tandems des Thüringer Forschungsprojekts nannten einzelne Kinder das Entfallen des Mittagsschlafs als maßgebliche Erfahrung des Übergangs vom Kindergarten- zum Grundschulkind (vgl. Lingenauber/ von Niebelschütz/ Thillm 2010a).

Nach Rückmeldung der Erzieherin waren einzelne Eltern unsicher, ob sie Äußerungen dieser Art in das Übergangsbuch schreiben sollten. In Gesprächen mit der Erzieherin wurden sie jedoch darin bestärkt, genau das aufzuschreiben, was das Kind zu seinem Bild erzählt. Die Erzieherin schrieb hierzu im Nachhinein: "Wir erklärten, dass für Kinder oft andere Dinge bedeutsam sind als für uns Erwachsene" (a.a.O., S. 80). Ziel des Übergangsbuches ist es, die tatsächlichen Themen und Empfindungen der einzelnen Kinder im Übergangsprozess aufzuzeigen und zu dokumentieren. Auf dieser Grundlage kann auch ein Austausch zwischen dem Kind und seinen Eltern stattfinden, weil es dabei mit seinen jeweiligen Interessen und Bedürfnissen ernst genommen wird. Hierzu gehören Ausdrücke der Freude über Erlebtes und über erlangte Sicherheit ebenso wie solche der Unsicherheit und des Nichtgefallens. Die wortgetreue Wiedergabe der kindlichen Aussagen zu den jeweiligen Zeichnungen macht das Übergangsbuch zu einem wirkungsvollen Kommunikations- und Verständigungsmedium zwischen Kindern und Eltern im Übergangsprozess.

4.2 Der Crosslauf

Im Oktober fand ein "Crosslauf" der Grundschulkinder statt, an dem die angehenden Schulkinder ebenfalls teilnahmen.

Die zwei ausgewählten Bilder und Texte aus den Übergangsbüchern zu dieser Aktivität beziehen sich auf zwei unterschiedliche Aspekte. Anhand der einen Kinderzeichnung wird erkennbar, wie darauf reagiert werden kann, wenn ein Kind an einer Aktivität nicht selbst teilgenommen hat, die dafür vorgesehenen freien Text- und Bildseiten aber trotzdem ausfüllen möchte. Die andere Kinderzeichnung belegt abermals, wie wichtig Freundschaften für Kinder sind.

Der zukünftige Schulanfänger Lukas konnte nicht selbst am "Crosslauf" teilnehmen. Er verfügte demnach auch nicht über eigene Eindrücke von dieser Aktivität, die er in einem Bild ausdrücken und zu denen er etwas hätte erzählen können. Da die Kinder aus seiner Kindergartengruppe jedoch durch das Nutzen des Übergangsbuches wiederholt über erlebte Aktivitäten miteinander ins Gespräch kamen und ihre Eindrücke austauschten, erfuhren auch jene Kinder unterschiedliche bedeutsame Aspekte der Aktivität, die selbst nicht dabei sein konnten. Für Lukas ergab sich durch die Erzählungen der Kinder aus seiner Gruppe ein solch lebendiger Eindruck von dem "Crosslauf", dass er ein Bild dazu anfertigen wollte. Mit seiner Zeichnung, die ihn selbst und seinen Freund zeigt, drückte er aus, wie gern er selber an der Seite seiner Freunde am "Crosslauf" teilgenommen hätte. Die Unterstützung eines regen Austauschs zwischen den Kindern in den Institutionen Kindertageseinrichtung und Grundschule ermöglicht somit auch die nachträgliche Einbeziehung derjenigen Kinder, die eine bestimmte Aktivität versäumt haben.

Das Bild des angehenden Schülers Tobias zum "Crosslauf" zeigt hingegen nicht ihn selber, sondern zwei seiner Freunde aus der Kindertageseinrichtung. Besonders wichtig für Tobias war an dem erlebten "Crosslauf", dass seine beiden Freunde Moritz und Josef den ersten und den zweiten Platz belegten. Sein eigener, letzter Platz hatte für ihn anscheinend weniger Bedeutung. Sein gemaltes Bild und seine Erzählungen hierzu belegen nicht nur, dass auch für Tobias Freundschaften einen hohen Rang einnehmen. Die Darstellung seiner Freunde und seine Freude über deren Erfolg beim "Crosslauf" lassen zudem erkennen, dass Tobias über hohe soziale Kompetenzen verfügt. Diese sind für das Gelingen des Übergangs in eine neue soziale Lerngruppe von Gewicht.

Einzelne Eltern haben im Gruppeninterview mit der beteiligten Erzieherin ihre Freude darüber geäußert, dass sie durch das Übergangsbuch unter anderem von den sozialen Kompetenzen ihrer Kinder erfuhren. Solches Wissen kann Eltern in ihrer Überzeugung bestärken, dass das eigene Kind voraussichtlich auch in einem neuen Gruppengefüge gut zurechtkommen wird und sich ohne größere Schwierigkeiten integrieren kann. Dieser Aspekt ist für Eltern im Übergangsprozess von großer Bedeutung (vgl. Docket/ Perry 2001, S. 4).

4.3 Schnuppertage in der Grundschule

Im Tandem Neuhaus verbringen die Kinder ab dem Monat November ihres letzten Kindergartenjahres regelmäßig einen Vormittag in der voraussichtlich für sie vorgesehenen "Stammgruppe" der Grundschule. Sie werden dabei von ihrer Erzieherin begleitet (Die Stammgruppen sind Bestandteil der flexiblen Schuleingangsphase. Dort lernen die Grundschüler der Jahrgangsstufen eins und zwei gemeinsam).

An insgesamt sieben "Schnuppertagen" wird jedes Kindergartenkind von einem Paten-Grundschulkind durch den Vormittag begleitet und bei seinen Tätigkeiten unterstützt. Zahlreiche gemeinsame Aktivitäten führen das zukünftige Schulkind behutsam aus der Perspektive des Grundschulkindes in die neue Lernumgebung Schule ein (vgl. von Niebelschütz 2009). Erstklässler und Zweitklässler der Stammgruppe übernehmen Patenschaften für angehende Schulanfänger. Das hat zum einen den Vorteil, dass die eigene Einschulung noch nicht lange zurückliegt und sie sich gut in die Rolle der nachrückenden Schulanfänger hineinversetzen können. Zum anderen lassen sich diese Patenschaften überwiegend auch über den Zeitpunkt der Einschulung hinaus durch das erste Grundschuljahr weiterführen.

Bei der Gestaltung der Patenschaftsbeziehungen achten Erzieherinnen und Grundschullehrerinnen des Tandems Neuhaus unter anderem auf ehemalige und/oder noch bestehende Freundschaften zwischen Kindergartenkindern und Grundschulkindern (vgl. Lingenauber/ von Niebelschütz/ Thillm 2010a, S. 77).

Die ausgewählten Kinderzeichnungen zu dieser Strategie bestätigen erneut, dass für Kinder im Übergangsprozess Freundschaften und enge soziale Kontakte von besonderer Bedeutung sind (vgl. Dockett/ Perry 2001, S. 7). Das Kindergartenkind Marvin stellte in seiner Zeichnung dar, wie es sich gemeinsam mit seinem Paten-Grundschulkind Felix mit einer Rechenaufgabe beschäftigt. Die Darstellung spiegelt wider, dass Marvin bereits am ersten "Schnuppertag" zu seinem Paten-Grundschulkind einen guten Kontakt aufgebaut hat, der ihm Motivation, Sicherheit und Unterstützung für die weiteren "Schnuppertage" und den Übergangsprozess bieten kann.

Zeichnung und Erzählung des Kindergartenkindes Moritz drücken aus, welche Wünsche es mit dem Eintritt in die Schule verbindet. Besonders hebt Moritz dabei den Wunsch nach dem Knüpfen neuer Freundschaften hervor.

Für die Eltern ebenso wie für die Pädagoginnen ist das Wissen um die Bedürfnisse von Kindern im Übergangsprozess besonders wichtig. Im Verlauf des letzten Kindergartenjahres können die Eltern anhand des Übergangsbuches verfolgen, wie die Pädagoginnen durch die unterschiedlichen Aktivitäten, in denen sie durch professionelles Handeln unter anderem Interaktionen zwischen Kindergartenkindern und Grundschulkindern ermöglichen und fördern, den Bedürfnissen ihres Kindes entgegenkommen und entsprechen. In einem Interview zu den "Schnuppertagen" und den darin eingebundenen Patenschaften berichteten ein Kindergartenkind und ein Grundschulkind, dass es für sie das Schönste war, ehemalige Spielkameraden aus der Kindertageseinrichtung wieder zu treffen und erneut etwas gemeinsam zu lernen. Darüber hinaus war aus dem Interview zu erfahren, dass das Kindergartenkind bereits nach kurzer Zeit Lieblingsgegenstände im Gruppenraum fand, mit denen es sich an den "Schnuppertagen" zusammen mit seinem Paten-Grundschulkind immer wieder gern beschäftigte. Das Arbeiten damit weckte große Vorfreude auf den in Aussicht stehenden regulären Schulbesuch und schuf so bereits vor Schuleintritt eine Brücke zum neuen Lernort. Auch das befragte Grundschulkind blickte nach den "Schnuppertagen" freudig der baldigen Einschulung des Kindergartenkindes entgegen, weil es durch dessen Unterstützung seine eigenen Kompetenzen entdecken, erproben und festigen konnte.

Im Rahmen dieser Strategie besteht bei der gemeinsamen Nutzung des Übergangsbuches in der Kindertageseinrichtung und in der Grundschule die Möglichkeit, die Perspektiven des zukünftigen Schulkindes und die des Grundschulkindes sichtbar werden zu lassen. So können auch die Eltern des Grundschulkindes mitverfolgen, wie dieses durch den Kontakt mit den angehenden Schulkindern in seiner zum Teil ebenfalls noch neuen Rolle als Grundschulkind wächst.

4.4 Der Theaterbesuch

Im Dezember fuhren die zukünftigen Schulanfänger und die Grundschulkinder gemeinsam im Reisebus zu einem Theater, um sich dort das Stück "Der Froschkönig" anzuschauen.

Die Kinderzeichnungen zeigen auch in diesem Zusammenhang, dass für die Kinder unterschiedliche Aspekte des Ausflugs von Belang waren. Entgegen manchen Erwartungen gaben einige der Kinderzeichnungen kein Abbild der Bühnenaufführung bzw. einer Szene aus dem Stück wieder. Die Zeichnungen ließen vielmehr erkennen, dass Kindern andere Aspekte wichtig sind, als dies für Erwachsene aus ihrer Perspektive gilt.

Für das Kindergartenkind Niklas hatte beispielsweise die Fahrt zum Theater offenbar eine viel größere Bedeutung als das Theaterstück selbst. Sein Bild zeigt einen großen Reisebus mit einem Fahrgast, der fröhlich lächelt. Sichtbar sind auch die vier großen Reifen des Busses und zahlreiche Fenster, aus denen die Fahrgäste hinausschauen können. Aus der Erzählung zu seinem Bild wird deutlich, dass für Niklas die Fahrt mit dem Bus ein lang ersehntes und daher auch ganz besonderes Erlebnis war. Bereits die Größe des Busses beeindruckte ihn so sehr, dass die Fahrt zum Theater sämtliche weiteren Erlebnisse an diesem Tag übertraf. Jedenfalls ist dieser Aspekt des gemeinsamen Theaterbesuchs bei der Nutzung des Übergangsbuches als eine für das Kind außerordentlich wichtige Erfahrung einzuschätzen.

Die Zeichnung des Kindergartenkindes Max hingegen zeigt zwar die Bühne des Theaters, jedoch ohne Schauspieler/innen. Auf der Bühne und um die Bühne herum hat Max sämtliche technischen Requisiten einschließlich der Beleuchtungskörper abgebildet, an die er sich erinnern konnte. Die Erzieherin hat neben der Verschriftung seiner Erzählung eine Methode aus der Reggio-Pädagogik angewandt, um die einzelnen gemalten Elemente im Bild zu kennzeichnen (vgl. Lingenauber 2013, S. 74 f.). Dabei wurde an jedes von Max benannte Element, etwa die Lautsprecherboxen, die Nebelmaschine und das Feuerwerk, eine kleine Ziffer geschrieben. Diese Ziffer steht zudem hinter dem entsprechenden Wort der Erzählung, sodass Bezeichnung und Bildelement einander zugeordnet werden können. Die dunklen Wirbel, die Punkte und die Formen auf dem Bild wurden dergestalt zu einem komplexen Gesamtbild erschlossen und dauerhaft fixiert. Die Erfahrung der Erzieherin mit dieser Methode zeigt, dass Kinder das Bemühen von Erwachsenen, sich eingehender auf die Bedeutung einzelner Bildelemente einzulassen und die Kinderzeichnung in ihrer Komplexität zu erfassen, sehr schätzen und jedes Detail ihrer Zeichnung entsprechend freudig erläutern. Eltern sollte diese Möglichkeit der Bildbeschreibung daher für die Arbeit mit dem Übergangsbuch nahegebracht werden.

Die Erprobungsphase des Übergangsbuches hat darüber hinaus gezeigt, dass die darin sichtbar und lesbar werdenden Unterschiede in den Interessen der einzelnen Kinder auch für Erzieherinnen und Grundschullehrerinnen erkenntnisfördernd sind. Die Dokumentation von Eindrücken, die für die Kinder besonders bedeutsam sind, ermöglicht es den Pädagoginnen, gezieltere Angebote zu machen oder beobachtete Aktivitäten von Kindern besser einzuordnen (vgl. Lingenauber/ von Niebelschütz/ Thillm 2010a, S. 91).

4.5 Die Schulkinder lesen vor

Im Tandem Neuhaus gehen einige Grundschulkinder gelegentlich am Nachmittag oder in den Ferien in ihre ehemalige Kindertageseinrichtung und lesen dort den Kindern vor. Im Februar allerdings wurde gezielt und begleitet durch die Grundschullehrerin mit einigen Grundschulkindern ein Vorlese-Mittag in der integrativen Kindertageseinrichtung "Tausendfüssler" für die zukünftigen Schulkinder durchgeführt. Die Grundschulkinder wählten hierfür selbst eine Geschichte aus, die sie gern vorlesen wollten.

Die Zeichnung und die Erzählung aus dem Übergangsbuch des zukünftigen Schulanfängers Moritz zu dieser Aktivität belegen eindrucksvoll, dass die Lesekompetenz der Grundschulkinder für die angehenden Schulkinder eine große Motivation darstellen kann, selbst lesen zu lernen. Dabei spielen bestehende Freundschaften zwischen Kindergartenkindern und Grundschulkindern eine bedeutsame Rolle, wie die Erzählung des zukünftigen Schulanfängers Tobias zu seiner Zeichnung im Übergangsbuch zeigt. Er zählte einzelne Schulkinder namentlich auf und dazu die jeweiligen Geschichten, die diese vorgelesen hatten.

Aus dieser gemeinsamen Aktivität von Kindergartenkindern und Grundschulkindern können sich unter den Kindern auch Gespräche in Bezug auf den Prozess des Lesenlernens ergeben. Die Thüringer Forschungsergebnisse zeigen, dass Kinder sich untereinander selbst komplexe Prozesse wie den des Lesenlernens auf sehr verständliche Weise erklären. Grundschulkinder können die zukünftigen Schulkinder so in der Überzeugung stärken, dass sie es ebenfalls schaffen werden, lesen zu lernen.

Doch auch den Grundschulkindern kommt diese gemeinsame Aktivität zugute. Sie erhalten durch einen solchen Vorlese-Mittag die Möglichkeit, sowohl ihren ehemaligen Kindergartenfreunden als auch ihrer einstigen Erzieherin die in der Grundschule erworbenen bzw. erweiterten Kompetenzen zu zeigen. Der auf solche Weise erlebte praktische Nutzen des Lesenkönnens kann auch die Grundschulkinder in dem Wunsch bestärken, die entsprechende Kompetenz weiter auszubauen. Das Übergangsbuch lässt sowohl die Perspektive der Grundschulkinder als auch jene der zukünftigen Schulanfänger sichtbar werden.

4.6 Mathe in Bewegung

Die Strategie "Mathe in Bewegung" führten die Grundschule und die Kindertageseinrichtung im April gemeinsam durch. In der Turnhalle der Grundschule wurden acht verschiedene Stationen für Bewegungsaufgaben mit Mathematik-Materialien im Zahlenbereich 0 bis 10 aufgebaut, die die Kindergartenkinder nacheinander durchlaufen sollten. Jede der acht Stationen wurde von einem Grundschulkind betreut. Seine Aufgabe bestand darin, die vorgesehene Nutzung der Materialien an den jeweiligen Stationen zu erklären und die Kindergartenkinder gegebenenfalls zu unterstützen. An einer der Stationen lagen beispielsweise Seile in Form von Zahlen am Boden, über welche die Kinder barfuß gehen sollten. Sie konnten dabei taktil die Formen der einzelnen Zahlen wahrnehmen. An einer anderen Station war eine Kiste mit Bällen aufgebaut, die mit Ziffern beschriftet waren. Das Grundschulkind an dieser Station nannte den Kindergartenkindern jeweils eine Zahl. Die angehenden Schulkinder sollten den Ball mit der genannten Zahl in der Kiste finden und diesen in eine weitere Kiste bzw. in ein Tor werfen.

Die Strategie "Mathe in Bewegung" ermöglicht den zukünftigen Schulkindern zum einen, die Räumlichkeiten der Grundschule bereits vor der Einschulung besser zu erkunden und Sicherheit darin zu gewinnen, sich auf dem Schulgelände zu bewegen. Zum anderen bietet die Strategie Kindergartenkindern und Grundschulkindern die Gelegenheit, einander bereits vor der Einschulung in spielerischer Aktivität näher kennenzulernen. Außerdem geht sie auf das Interesse von Kindern an spielerischen Handlungen und auf deren Bedürfnis nach Bewegung ein (vgl. Grabenhorst 2007, S. 115). Zugleich knüpfte die Grundschule in der inhaltlichen Gestaltung der einzelnen Stationen an die weithin bereits vorhandenen Basiskompetenzen der angehenden Schulanfänger im mathematischen Bereich an. Darüber hinaus werden den Kindern so ihre bereits vorhandenen "schulischen" Kompetenzen bewusst.

Die Zeichnungen von Josef und Mia im Übergangsbuch lassen erkennen, dass die Kinder sich auf diese spielerische Art und Weise überaus gern mit Mathematik beschäftigten und dabei bereits eigene mathematische Kompetenzen sowohl erproben als auch demonstrieren konnten.

Eltern kann der Einblick in diese Art der Auseinandersetzung ihres Kindes mit konkreten Lernbereichen in der Grundschule zum einen vermitteln, dass den Kindern auch nach dem Übergang in das neue Lernumfeld unterschiedliche Wege angeboten werden, sich Lerninhalte zu erschließen und zu erarbeiten. Zum anderen ersehen sie daraus, dass die Grundschule durch professionelles Handeln gezielt soziale Lernsituationen zwischen Kindern herbeizuführen vermag, die, wie bereits dargestellt, wesentlich zum Gelingen von Übergangsprozessen beitragen.

4.7 Die Schulrallye

Am Ende des letzten Kindergartenjahres im Mai veranstaltete die Grundschule eine "Schulrallye" für die zukünftigen Schulkinder. Bis zu diesem Zeitpunkt verbrachten die Kindergartenkinder im Rahmen der Schnuppertage schon einige Vormittage in der Grundschule und lernten dabei deren Räumlichkeiten kennen. Während der "Schulrallye" suchen die Kinder verschiedene Orte wie den Klassenraum, die Garderobe und das Zimmer der "guten Fee" (Sekretariat) auf. An jeder Station erhielten die zukünftigen Schulanfänger von einem Grundschulkind einen Aufkleber.

Insgesamt fand die "Schulrallye" an zwei unmittelbar aufeinander folgenden Tagen statt. Zunächst absolvierten die zukünftigen Schulanfänger diese gemeinsam mit ihrem jeweiligen Paten-Grundschulkind. Am darauffolgenden Tag fand die "Schulrallye" für die Eltern und die zukünftigen Schulanfänger ein zweites Mal statt. Nun führten die angehenden Schulkinder ihre Eltern durch die Schule.

Ziel der Strategie beim ersten Durchgang war es, die zukünftigen Schulanfänger unter Begleitung ihrer Paten-Grundschulkinder erleben zu lassen, wie selbstständig sie sich bereits im Schulgebäude zurechtfinden können. Beim zweiten Durchgang ging es darum, dass sie ihre Eltern durch das Schulgebäude führen und ihnen zeigen können, wie gut sie sich schon in der neuen Lernumgebung auskennen. Dies stärkt nicht nur das Selbstbewusstsein der angehenden Schulkinder, sondern vermittelt zugleich den Eltern, wie sehr ihr Kind sich die Grundschule als neuen Lernort bereits angeeignet hat.

Ausgewählte Zeichnungen der zukünftigen Schulkinder lassen erkennen, dass beide Durchgänge für die Kinder ungemein wichtig waren. Die Zeichnung des angehenden Schulkindes Lionel zeigt den ersten Durchgang der Schulrallye. Lionel und sein Paten-Grundschulkind sind auf dem Weg zu einer der Stationen abgebildet. Links oben im Bild steht sein Bruder, das Grundschulkind Joël. Aus der Kinderzeichnung wird ersichtlich, dass für Lionel jedes Detail beim ersten Durchgang der "Schulrallye" von nachhaltiger Bedeutung war. Seine Eltern können daraus eine sehr konkrete Vorstellung davon gewinnen, was er an diesem Morgen erlebt hat und welche Aspekte für ihn besonders erinnernswert waren.

Die Zeichnung des angehenden Grundschülers Moritz stellt hingegen den zweiten Durchgang der "Schulrallye" dar, welche die zukünftigen Schulanfänger gemeinsam mit ihren Eltern absolvierten. Deutlich zu erkennen ist, dass ein wichtiger Aspekt für Moritz im Rahmen dieser Aktivität außerhalb des Schulgebäudes lag. Dort hatte er offenbar vor dem zweiten Durchgang ein Gebüsch entdeckt, hinter dem er sich seiner eigenen Erzählung nach mit seinem Freund gut verstecken könnte. Die Zeichnung machte den Eltern und den Pädagoginnen deutlich, dass Moritz bereits zu diesem Zeitpunkt in der Grundschule Spiel- und Rückzugsräume entdeckt und auch benannt hatte und dass er schon auf die anstehende Zeit in der Grundschule gut eingestimmt war.

5. Vielfältige Ausdrucksweisen der Kinder

Seit 2009 reflektieren die Autorinnen in der Hochschullehre anhand der Praxiserfahrungen von über 130 Student/innen die Partizipationsmöglichkeiten von unterschiedlichen Familien im Übergang. Übergangsbuch-Seiten zeigen beispielhaft, wie vielfältig Kinder auf der Basis ihrer Mal- bzw. Sprachentwicklung Erlebnisse in Worte fassen und sich gestalterisch im Übergangsbuch ausdrücken. So wird ein wertvoller Dialog mit Müttern und Vätern sowie Pädagog/innen ermöglicht.

6. Das Übergangsbuch in der Krippe

Bislang liegen noch keine empirischen Erkenntnisse dazu vor, wie Krippenkinder den Übergang in die Kindertageseinrichtung bewältigen (vgl. Niesel 2013, S. 18). Griebel und Niesel (2011, S. 110) weisen darauf hin, dass dieses Thema in der Fachliteratur bisher kaum behandelt wird.

Die Autorinnen ermutigen im berufsbegleitenden B.A.-Studiengang "Frühkindliche inklusive Bildung" (BiB) Student/innen, auch diesen Übergang im Rahmen eines Moduls (siehe Vorwort) partizipativ zu gestalten. Das folgende Beispiel dokumentiert die Erfahrungen der BiB-Studentin Anna Berndl, und zwar auch bezogen auf die Wertschätzung mehrsprachig aufwachsender Kinder im Übergangsprozess (vgl. Lingenauber/ von Niebelschütz 2012, 2013). Isaac besuchte seit dem Jahr 2012 die Kinderkrippe "Schwabener Wichtelkinder" des Diakonischen Werkes Rosenheim e.V. Knapp ein Jahr vor dem geplanten Wechsel in den Kindergarten begann die Gestaltung des Übergangs. Zu diesem Zeitpunkt war Isaac 2,5 Jahre alt. Seit Oktober nahm er regelmäßig an den "Krokodilstunden" teil. Die Krokodilstunde war eine sogenannte "Vor-Kindergartengruppe". Für den Namen "Krokodile" hatten sich die Krippenkinder selbst bei der ersten Stunde entschieden. Es war ein gruppenübergreifendes Angebot für alle Kinder der Krippe, die im kommenden September in den Kindergarten gehen. Die Gruppe traf sich seit Oktober 2013 einmal die Woche und beschäftigte sich mit dem Thema Kindergarten (Bilderbücher, Lieder, Spiele, Kindergartenbesuche, Besuche von Kindergartenkindern in der Krippe). Seit Januar besuchte die Gruppe die Kindergärten monatlich. Die Kinder suchten am Ende jeden Monats die für sie bedeutsamste Beschäftigung aus den Monatsaktivitäten anhand von Fotos aus, und die dazugehörigen Fotos wurden dann gemeinsam mit der Pädagogin Anna Berndl in das Übergangsbuch geklebt. Isaacs Eltern führten das Übergangsbuch in ihrer jeweiligen Muttersprache (Flämisch und Französisch), in der sie auch mit Isaac kommunizieren. Die Eltern brachten das Übergangsbuch nach jedem Eintrag wieder in die Krippe zurück. Die Pädagogin sprach den Text dann gemeinsam mit den Eltern durch und sie notierte ihn in deutscher Sprache. So konnte sie sich mit Isaac leichter über den Inhalt unterhalten und ihn den anderen Kindern vorlesen.

7. Literatur

Dockett, S./Perry, B. (2001): Starting School. Effective Transitions. University of Western Sydney. http://ecrp.uiuc.edu/v3n2/dockett.html (28.08.2009)

Grabenhorst, K. (2007): Individuelle Übergangsprozesse aus Sicht der Kinder. In: Carle, U./Grabeleu-Szczes, D./Levermann, S. (Hrsg.): Sieh mir zu beim Brückenbauen: Kinder in Bildungs- und Übergangsprozessen wahrnehmen, würdigen und fördern. Berlin: Cornelsen, S. 104-120

Griebel, W./Niesel, R. (2011): Übergänge verstehen und begleiten. Transitionen in der Bildungslaufbahn von Kindern. Berlin: Cornelsen

Jugend- und Familienministerkonferenz/Kultusministerkonferenz: Den Übergang von der Tageseinrichtung für Kinder in die Grundschule sinnvoll und wirksam gestalten - Das Zusammenwirken von Elementarbereich und Primarstufe optimieren. Beschluss der Jugend- und Familienministerkonferenz vom 05.06.2009/Beschluss der Kultusministerkonferenz vom 18.06.2009. http://www.kmk.org/fileadmin/ veroeffentlichungen_beschluesse/2009/2009_06_18-Uebergang-Tageseinrichtungen-Grundschule.pdf (18.07.2015)

Lingenauber, S. (2013):Einführung in die Reggio-Pädagogik. Kinder, Erzieherinnen und Eltern als konstitutives Sozialaggregat. Bochum, Freiburg: Projektverlag, 6. Aufl.

Lingenauber, S. (2009): Das Übergangsbuch als Transferstrategie zwischen Kindertageseinrichtung und Grundschule. Deutsch differenziert 4 (4), S. 14-18

Lingenauber, S. (2008): Übergang Kindertageseinrichtung/Grundschule. In: Lingenauber, S. (Hrsg.): Handlexikon der Integrationspädagogik (Band 1: Kindertageseinrichtungen). Bochum, Freiburg: Projektverlag, S. 198-203

Lingenauber, S./Sens, A. (2013): Kompetenzorientierte Studien- und Prüfungsformate im Rahmen einer inklusiven Hochschuldidaktik. Frühe Bildung. Interdisziplinäre Zeitschrift für Forschung, Ausbildung und Praxis 3 (2), S. 157-158

Lingenauber, S./Niebelschütz, J.L. von (2013): Das Übergangsbuch. Dialoge im Übergangsprozess stärken. klein & groß - Zeitschrift für Frühpädagogik 66 (6), S. 38-41

Lingenauber, S./Niebelschütz, J.L. von (2012): Eltern als Gestalter des Übergangs Kindertageseinrichtung - Grundschule. In: Hess, Simone (Hrsg.): Grundwissen Zusammenarbeit mit Eltern in Kindertageseinrichtungen und Familienzentren. Berlin: Cornelsen, S. 133-141

Lingenauber, S./Niebelschütz, J.L. von (2009): TransKiGs Thüringen. In: Lenkungsgruppe TransKiGs: Übergang Kita - Schule zwischen Kontinuität und Herausforderung. Materialien, Instrumente und Ergebnisse des TransKiGs-Verbundprojekts. Ludwigsfelde

Lingenauber, S./Niebelschütz, J.L. von/Thüringer Institut für Lehrerfortbildung, Lehrplanentwicklung und Medien (Thillm) (Hrsg.) (2010a): Übergangskonzeptionen und -management. Abschlussbericht des Forschungsprojektes TransKiGs-Thüringen. Bad Berka

Lingenauber, S./Niebelschütz, J.L. von/Thüringer Institut für Lehrerfortbildung, Lehrplanentwicklung und Medien (Hrsg.) (2010b): Das Übergabegespräch. Eine Strategie für gelingende Übergangsprozesse von der Kindertageseinrichtung in die Grundschule (DVD). Bad Berka

Niebelschütz, J.L. von (2009): Sieben Schnuppertage. Kindergartenkinder in der Grundschule. Deutsch differenziert 4 (4), S. 20-24

Niesel, R. (2013): Von Vertrautem und Neuem. Der Übergang von der Kinderkrippe in den Kindergarten. klein & groß - Zeitschrift für Frühpädagogik 66 (6), S. 16-19

Thüringer Kultusministerium (Hrsg.) (2008): Thüringer Bildungsplan für Kinder bis 10 Jahre. Erfurt: verlag das netz

Autorinnen

Prof. Dr. Sabine Lingenauber, Erzieherin und Diplom-Pädagogin, leitet den berufsbegleitenden B.A.-Studiengang "Frühkindliche inklusive Bildung" der Hochschule Fulda.

Janina L. von Niebelschütz, M.A. und Dipl.-Sozialpädagogin, ist wissenschaftliche Mitarbeiterin und Doktorandin an der Hochschule Fulda.