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Zitiervorschlag

Ingeborg Becker-Textor: Kindergartenalltag - eine praxisorientierte Einführung in die Kindergartenarbeit. Neuwied, Kriftel, Berlin: Luchterhand 1995 - Online-Buch

Inhalt

1. Der Kindergarten - gestern und heute
1.1 Johann Heinrich Pestalozzi (1746-1827)
1.2 Friedrich Fröbel und der Kindergarten
1.3 Montessori und die Idee der Sinnesschulung
1.4 Die Vorschulbewegung und die Überbewertung des kognitiven Lernens
1 5 Der Situationsansatz und das Missverständnis um das sogenannte "Nichtstun"
1.6 Integration und die Öffnung des Kindergartens für andere Kinder (Menschen)
1.6.1 Das behinderte Kind
1.6.2 Das ausländische Kind
1.6.3 Kinder aus ehemaligen deutschen Ostgebieten
1.6.4 Das langzeitkranke Kind

2. Strukturelles und Organisation rund um den Kindergarten
2.1 Trägervielfalt
2.2 Verbände
2.3 Gesetze, Empfehlungen, Verordnungen, Rahmenvereinbarungen für den Kindergarten
2.4 Kindergarten und Arbeitsmarkt

3. Der Kindergartenalltag
3.1 Blick auf die Neuen
3.2 Der Übergang von der Familie in den Kindergarten
3.3 Bring- und Abholzeit
3.4 Erste Spielzeit - das Freispiel
3.5 Die 2. Spielzeit - Angebote, gezielte Beschäftigungen
3.6 Essen im Kindergarten
3.7 Die altersgemischte Gruppe
3.8 Beschäftigung mit der Gruppe
3.9 Einzelförderung
3.10 Nutzung der Räume im Freien
3.11 Raumgestaltung im Kindergarten

ab hier Teil 2

4. Übergang vom Kindergarten zur Grundschule
4.1 Fortbildung von Erziehern und Grundschullehrern
4.2 Elternarbeit - ein Schwerpunkt im Bereich der Kooperation Kindergarten und Grundschule
4.3 Schulanmeldung

5. Kindergarten und Elternhaus arbeiten zusammen
5.1 Elternbeirat
5.2 Elternmitwirkung im Kindergarten
5.3 Formen und Methoden der Elternarbeit
5.4 Das Elterngespräch als Form ganzheitlicher Beratung
5.5 Elternbriefe

6. Der Kindergarten in der Vernetzung mit sozialen Diensten und im Gemeinwesen
6.1 Dienste rund um den Kindergarten
6.2 Der Beratungsführer
6.3 Der Kindergarten im Gemeinwesen

7. Schlussgedanken

Anhang 1
Anhang 2
Literatur
Autorin

 

Vorwort

Eine Flut von Literatur für den Elementarbereich, insbesondere den Kindergarten, finden wir auf dem Markt. Erzieher/ Erzieherinnen werden überrollt von "Konzepten", neuen "Methoden", "Didaktiken", Materialien für die Arbeit mit Kindern usw. Vielfach fehlt gerade jungen Erzieherinnen noch die Erfahrung in der Arbeit mit Kindern, um dieser Flut kritisch entgegenzutreten, um den Mut zum "Nein" und die Zeit zur Auswahl zu finden.

Erzieherinnen, die schon lange im Beruf stehen, fühlen sich plötzlich verunsichert, ihre Arbeit in Frage gestellt:

  • "Ob das noch "in" ist, was ich tue?
  • Meine Ausbildung liegt ja schon so lange zurück. Ich kann wohl heute nicht mehr so arbeiten, wie ich es damals gelernt habe. Oder?
  • Die jungen Kolleginnen, die wissen es sicher viel besser!
  • Meine Ausbildung war total praxisbezogen. Theoretisch fehlen mir einfach die Grundlagen.
  • Zu einer Fortbildung traue ich mich nicht, da werde ich vielleicht mit all dem Neuen konfrontiert, von dem ich doch keine Ahnung habe...
  • usw.

Auch wenn der Untertitel des vorliegenden Buches "Eine praxisorientierte Einführung in die Kindergartenarbeit" lautet, so will ich Ihnen als Leser/ Leserin keine Neuauflage einer Geschichte der Pädagogik oder eine Auflistung neuerer Konzepte anbieten, sondern Ihren Blick auf wesentliche Inhalte und Notwendigkeiten lenken, im historischen Rückblick, in bezug auf das Heute und das Morgen. Pädagogik muss meines Erachtens nämlich immer in der Dreidimensionalität des Gestern - Heute - Morgen gesehen werden. Dies wird nirgendwo deutlicher als am Situationsansatz und all den Diskussionen und Missverständnissen, die er in den letzten Jahren hervorgerufen hat.

Sollen Erzieherinnen warten, bis eine Situation kommt? Sollen sie die Situation planen oder braucht es gar keine Planung mehr? Das Heute ist eine Folge des Gestern und die Basis für das Morgen. Deshalb will ich in diesem Buch mit Ihnen zurückblicken auf das Gestern und die Botschaft für das Heute entdecken und interpretieren. Aus der Situation des Heute planen wir dann das Morgen.

Viele Fragen werden uns dabei beschäftigen:

  • Wie soll, kann und muss sich der Kindergartenalltag gestalten?
  • Welche Bedeutung kommt dem Übergang von der Familie in den Kindergarten zu?
  • Welchen Wert sollten wir der Bringzeit und der Abholzeit beimessen?
  • Welchen Stellenwert haben erste und zweite Spielzeit bzw. Freispiel und Angebot im Kindergarten?
  • Ist die Frühstückspause oder das Mittagessen im Kindergarten als pädagogische Einheit zu verstehen?
  • Welche Bedeutung hat die altersgemischte Gruppe für das Kind?
  • Wirken die Räume des Kindergartens als Miterzieher?
  • Muss ich als Erzieherin jedes Kind gleich gern haben?
  • Wie überwinde ich meine Angst vor der Elternarbeit?
  • Wie trete ich mit dem Kindergartenträger in einen guten Austausch?
  • Wie kann es mir gelingen, die Kinder auf den Übergang in die Grundschule gut vorzubereiten?
  • Wie kann ich mit Einrichtungen und Diensten im Gemeinwesen kooperieren?
  • usw.

Alle diese Fragen sind nicht neu. Sie begleiten Pädagogen seit es den Kindergarten gibt. Ich will versuchen, diese Fragen mit Ihnen gemeinsam zu überdenken und in den Zusammenhang mit unseren pädagogischen Zielsetzungen stellen, sie an den Bedürfnissen und Erwartungen von Kindern und Eltern orientieren. Mit diesen Überlegungen müssen wir in einem fortlaufenden Prozess bleiben. Das bedeutet, dass dieses Buch Ihnen keine endgültige Pädagogik des Kindergartens vermitteln kann und auch nicht darf. Es mag Ihnen Denkanstöße geben für eine Neuordnung all dessen, was Sie längst wissen und Sie motivieren, weiterhin die Fortentwicklung Ihrer Arbeit und Ihrer eigenen Pädagogik voranzutreiben. Dass dabei dem Zusammenwirken von Elternhaus und Kindergarten, also von Eltern, Kindern und Erziehern/ Erzieherinnen besondere Bedeutung zukommt, ist außer Frage. Wie sollte es Ihnen sonst gelingen, im Kindergarten familienergänzend zu arbeiten und Eltern bei ihrem Erziehungsauftrag zu unterstützen und zu begleiten.

Wenn Sie in und mit Ihrer Tätigkeit zufrieden sein wollen, dann bekommt eine familienorientierte ganzheitliche Erziehung einen besonderen Stellenwert im Alltag des Kindergartens.

Sich immer wieder verändernde Familiensituationen und -strukturen beeinflussen Ihre gesamte Kindergartenkonzeption:

  • die Arbeit mit den Kindern,
  • die Zusammenarbeit der Kolleginnen untereinander,
  • den Austausch mit anderen Institutionen,
  • die Elternarbeit etc.

So werden Sie als Erzieherin täglich neu gefordert. Der Alltag wird spannend aber nicht spannungsfrei. Der Kindergarten muss sich mehr denn je zum Gemeinwesen hin öffnen. Er wird zum wichtigen Koordinator und Organisator von Vernetzung und Verflechtung bestehender Angebote und Hilfen miteinander, denn der Kindergarten erreicht fast zu 100% alle Familien vor dem Schuleintritt ihrer Kinder.

Alle Gedanken, die in diese praxisorientierte Darstellung der Kindergartenarbeit einführen, sind nicht abschließend. Sie wurden in der Arbeit mit Kindern und Eltern erprobt, können Impulse geben für Ihre tägliche Arbeit. Pädagogische Rezepte werden nicht angeboten, denn jeder Erzieher, jede Erzieherin, muss die eigene Situation analysieren und dann entscheiden, mit welchen pädagogischen Ansätzen der individuellen Kindergartensituation am besten entsprochen werden kann. Vielleicht gewinnt dann die Wohnstube bei Pestalozzi oder die "Pädagogik vom Kinde aus" bei Ellen Key oder der scheinbar neue und aktuelle Situationsansatz für Sie Bedeutung? Pädagogische Schwerpunktsetzungen orientieren sich allerdings immer an der aktuellen Situation des Kindergartens.

Anmerkung: Ich werde im Text auf weiterführende Literatur verzichten, dafür aber am Ende des Buches eine umfangreiche Literaturliste ergänzen.

1. Der Kindergarten - gestern und heute

Kein deutsches Wort wurde in so viele Sprachen übernommen wie das Wort Kindergarten. Ist dies vielleicht ein Gütezeichen für den Kindergarten? Umschreibt der Begriff ganz die Inhalte dieser Einrichtung für Kinder vor dem Schuleintritt? Fragen, die kaum zu beantworten sind.

Seit Friedrich Fröbel die Bezeichnung Kindergarten für die institutionelle außerfamiliäre Bildung, Erziehung und Betreuung von Kindern geprägt hat, konnte sich kein anderer Begriff halten oder durchsetzen. So wurden Begriffe wie Bewahrschule, Kleinkinderschule, Kinderbewahranstalt, Kinderasyl bald verdrängt. Der heute häufig benutzte Begriff der Kindertagesstätte hat die Bezeichnung Kindergarten nicht abgelöst, sondern ist als Sammelbegriff für Tageseinrichtungen für Kinder - in erster Linie Krippen, Kindergärten und Horte - zu verstehen.

Der Begriff Bewahranstalt wird heute immer noch benutzt, wenn es um die Darstellung sogenannter schlechter Kindergärten geht oder wenn eine Absenkung bestehender Standards für Kindergärten diskutiert wird. Es wird dann vom "Rückschritt zur Kinderbewahranstalt" gesprochen.

Warum macht sich niemand die Mühe, nach der Bedeutung des Wortes zu forschen. Der Versuch, das Wort Bewahranstalt z.B. in Meyers Lexikon zu finden, schlug fehl. Eine Definition des Begriffes Kindergarten hingegen ist ganz selbstverständlich: "Sozialpädagogische Einrichtung für Kinder von 3 bis 6 Jahren bzw. bis zur Einschulung, mit halb- oder ganztägiger Betreuung. Die Kindergartenpädagogik wurde von Friedrich Fröbel auf der freien Entfaltung der Spiel- und Entdeckungsfähigkeit des Kindes begründet. Der Kindergarten hat familienergänzende Funktion, er soll Kindern vor allem durch Selbständigkeit Hilfen zur Lebensbewältigung und zum Erkennen von Lebenszusammenhängen geben. Die diesen Prozess störenden Faktoren (Leistungsdruck, Verschulung) sollten deshalb ferngehalten werden. Im Mittelpunkt der pädagogischen Arbeit stehen soziale Erziehung und Umweltbegegnung, unerlässlich ist auch die Zusammenarbeit mit den Eltern."

Eine breite Beschreibung der Aufgaben und Arbeitsfelder der Kindergärten liegt damit vor uns, unabhängig von Länderunterschieden oder Kindergartengesetzen. Warum war im gleichen Lexikon das Wort Bewahranstalt nicht auffindbar? Wurde der Begriff vergessen oder ist er ganz einfach altmodisch und überholt? Häufig assoziiert das Wort Bewahranstalt ja den schlechten Kindergarten. Fast täglich lesen wir in der Zeitung (auch in der Fachpresse): Wenn sich keine Verbesserung für die Kindergartensituation erreichen lässt, dann entwickelt sich das Kindergartenwesen zurück zur Bewahranstalt!

Ich will an dieser Stelle des Buches nicht für den Kindergarten und gegen die Bewahranstalt sprechen oder für die Bewahranstalt und gegen den Kindergarten. Vielmehr will ich die Aufmerksamkeit der Leserinnen auf einen kritischen, aber objektiven Vergleich lenken und auffordern zu überlegen, welche positiven Impulse noch heute von der Bewahranstalt für unsere Kindergärten ausgehen können bzw. warum wir so vorschnell jede "Verschlechterung" im Kindergartenwesen als Rückschritt zur Bewahranstalt betrachten.

Gedanken über die pädagogische Betreuung, Erziehung und Förderung von Kindern im Vorschulalter finden wir seit Jahrhunderten. Verdichtet hat sich dieses Gedankengut jedoch erst im 19. Jahrhundert, als namhafte Pädagogen das Kind im Vorschulalter in den Mittelpunkt ihrer pädagogischen Ideen und Theorien stellten. Zentrales Interesse fand das soziale Umfeld und die sich aus der gesellschaftlichen Struktur ergebenden sozialen Bedingungen von Kindern und Familien. Mir kommt es aber immer wieder vor, als würden wir das Wissen um Kindheitsbedingungen und Kinderbewahranstalten "verkürzen" auf Gruppenstärke, Betreuerzahl und sonstige Standards. Ganz provozierend möchte ich deshalb behaupten, dass es für manchen Kindergarten heute nicht schlecht wäre, er würde sich ein klein wenig "zurückentwickeln" zur Kinderbewahranstalt. Ich meine damit keineswegs eine Erhöhung der Gruppenstärke - ganz im Gegenteil. Ich meine auch nicht eine Reduzierung des Personals bzw. eine Minderung der fachlichen Qualifikation, auch das nicht.

Vielmehr möchte ich zu überlegen geben, ob wir nicht die Bedeutung des Spiels wieder mehr in den Vordergrund stellen sollten? Ob wir nicht die Kinder bewahren sollten vor all den Unbilligkeiten und negativen Einflüssen unserer Zeit? Vielleicht könnten wir auch die kindliche Sicht und Denkweise wieder etwas mehr in das Zentrum der Kindergartenarbeit stellen?

1852 schrieb Karl Gutzkow in seinem Buch "Knabenzeit": "Des Kindes Auge sieht nicht wie das Auge des Erwachsenen. Was ein Stäbchen mit einem Lappen ist und eine Fahne sein soll, ist ihm eine wirkliche Fahne, die prächtigste, die etwa dem Heere des Propheten nur je von Gold und Seide vorangetragen wurde. So reich weiß es aus sich zu borgen, aus seiner Einbildungskraft, seinem Herzen zu entlehnen."

Eine Aussage aus den Zeiten der Bewahranstalten? Die Kinder wurden während der Berufstätigkeit ihrer Mütter in den Fabriken oder der Landwirtschaft zur "Aufbewahrung" gegeben, damit ihnen im aufkommenden Straßenverkehr nichts zustoßen sollte. Ein negatives Bewahren?

Die Arbeit in Kinderbewahranstalten war mit einem Leben erfüllt, wie wir es uns heute oft für Kindergärten wünschen könnten. Ein heute über 90jähriger Lehrer berichtet über seine Kindergartenerfahrung: "Also in der Früh um 8.00 Uhr, im Sommer, während der Erntezeit, da war es noch früher, mussten wir da sein. Bei der Türe da war ein Regal mit lauter kleinen Fächern, die Schwestern hatten die Namen dran geschrieben und wir mussten unser Brot (trockenes Brot im Leinensäckchen) in unser Fach schieben. Die Kleinen konnten da nicht rauflangen, ich war sehr groß und hab ihnen geholfen. Dann sind wir hingegangen und haben der Schwester die Hand gegeben und dann sind wir zum Herrgottswinkel und haben den Herrn und die Gottesmutter begrüßt. Der Herrgottswinkel war immer mit frischen Blumen geschmückt und eine Kerze brannte. Die Blumen haben wir auf unseren Spaziergängen gepflückt. Und dann haben wir gespielt. Es waren nicht so viele Spielsachen da wie heute in Kindergärten. Ich erinnere mich an eine Kiste mit Bauklötzen, kleinen Baumscheiben, Rindenstücken und Tannenzapfen. Mir hat auch besonders gut die Kiste mit Steinen gefallen und bei jedem Spaziergang haben wir besondere Steine aufgehoben und in den Kindergarten mitgenommen.
Mein Freund Sepp und ich konnten uns stundenlang damit beschäftigen, die Steine unters Wasser zu halten um zu sehen, ob sie ihre Farbe verändern ... Und dann zeigte uns die Schwester die verschiedensten Dinge. Sie brachte Zweige aus der Natur mit, Gemüse, Pflanzen, Blumen. Einmal waren es auch Kaulquappen in einem alten Einmachglas. Wir haben sie dann gemeinsam bei einem Spaziergang wieder im Dorfbach ausgesetzt. Wenn ich so zurückdenke, so kann ich mich daran erinnern, dass es den Schwestern in ausgezeichneter Weise gelungen ist, unser Interesse für die Vorgänge in der Natur zu wecken. Auch später, als ich mich entschieden hatte, Lehrer zu werden, dachte ich noch oft an diese Begebenheit zurück. Viele dieser Dinge habe ich in meinem täglichen Unterricht nachvollzogen.
An eine Sache kann ich mich noch erinnern: Wir sammelten Pflanzen und pressten sie zwischen Steinen oder Holzbrettchen und klebten sie dann in ein Heft ein. Die Schwester schrieb uns die Namen dazu. Erst viel später wurde mir bewusst, dass sie uns damit eine gute Einführung in die Biologie gegeben hat" (Becker-Textor in Thomas Schnabel: "Versorgen, Bilden, Erziehen 1912 - 1987, Festschrift des Zentralverbandes Katholischer Kindergärten und Kinderhorte Deutschlands", Freiburg, 1987).

Der Kindergarten gestern, heute und morgen ist dieses erste Kapitel überschrieben. So will ich nun nach den vorausgegangenen allgemeinen Überlegungen zum Kindergarten und der Bewahranstalt auf einige Persönlichkeiten eingehen, die unseren heutigen Kindergarten ganz wesentlich geprägt und deren Gedanken auch in unseren Tagen nicht an Bedeutung verloren haben.

1.1 Johann Heinrich Pestalozzi (1746-1827)

Pestalozzi hat vor allem die Idee der Volksbildung entwickelt und vertritt aber auch die Belange der Elementarbildung. In Pestalozzis Anschauungen hat die Familie eine ganz überragende Bedeutung. Eine gesellschaftliche Verbesserung verspricht er sich davon, wenn die Bedeutung der Familie anerkannt und das reine, stille Hausglück in jeder Weise gefördert wird. "Die Wohnstube muss 'Heiligtum' sein, und dafür soll der Staat sorgen. Erst recht die Erziehung muss sich auf das Heiligtum Familie gründen" (Reble, S. 216 ff.).

Da er eine enge Erziehungsgemeinschaft für unverzichtbar erachtet, hält er seine "Wohnstube" für den Ort, an dem Erziehung gelingen kann. In der praktischen Arbeit mit verwahrlosten und Waisenkindern sammelt er wichtige Erfahrungen über die Grundlagen einer methodischen planvollen Erziehung und entdeckt erste Ansätze zu dem was er später die "Idee der Elementarbildung" nennt. Eine grundlegende Darstellung seiner methodischen Hauptgedanken finden sich in seinem 1801 erschienen Buch "Wie Gertrud ihre Kinder lehrt". Die Bildung von Kopf (intellektuelle Bildung), des Herzens (sittliche Bildung) und der Hand (Körperkultur, Handfertigkeiten usw.) charakterisieren die drei Seiten der Menschenbildung. Keiner dieser drei Bereiche darf nach seiner Auffassung vernachlässigt werden.

"Allgemeinste Prinzipien für sie alle sind das Prinzip der Selbsttätigkeit, der Grundsatz des Zusammenhanges (stetiges Fortschreiten mit kleinen Schritten) und der Gesichtspunkt, dass alles Geistige aus dem Sinnlich-Natürlichen herauswachsen und daran 'angekettet' werden soll. So wurzelt alle Körperkultur und Handfertigkeit in der natürlichen Bewegung der Glieder, alle sittlich-religiöse Bildung in der innigen Fürsorge und Vertrauensbeziehung Mutter - Kind, alle Weltdeutung und -erkenntnis schließlich in der 'Anschauung', das heißt, dem unmittelbaren Angesprochensein des Kindes durch die Welt" (Reble, S. 220 ff.).

Pestalozzi hat seine methodischen und pädagogischen Grundsätze besonders in Ifferten in einem eigenen Erziehungsinstitut erprobt und durchgearbeitet und wurde auf pädagogischem Gebiet die große Autorität für ganz Europa. In vielen seiner Schriften arbeitet er aktiv die Rolle des Erziehers (der Mutter) heraus, wenn er fordert, dass der Unterricht sozusagen am Tage der Geburt beginnen müsse.

"Besonders nachdrücklich weist er auf die Rolle der Anschauung und des praktischen Handelns hin. Dazu gehört auch seine Forderung, mit dem Kind erst dann über Gefühle der Liebe, des Dankes, des Vertrauens usw. zu reden, wenn es diese Gefühle in vielfältigster Weise selbst kennen gelernt und empfunden hat. Pestalozzis Ausführungen sind als ein bedeutender Beitrag zu den Fragen der Spracherziehung und Begriffsbildung im Vorschulalter zu werten. Sie weisen darüber hinaus auf eine der wichtigsten Aufgaben des Erziehers hin, die darin besteht, das Lachen und den Frohsinn des Kindes zu hüten und mit allen Mitteln zu unterstützen" (Krecker, S. 77 ff.).

Wie bedeutsam manche seiner Aussagen auch noch für unsere heutige Kindergartenarbeit sind, möchte ich an Hand einer kleinen Textauswahl aus seinen Schriften "Buch der Mütter" verdeutlichen: "Mit den Augen sehen. Jeder Mensch auf der Welt, der nicht blind ist, kann sehen, was ihm vor die Augen kommt. Das, was jeder Mensch sieht, ist unendlich viel, das, was ein einzelner Mensch mehr sieht als ein anderer, ist in Vergleichung mit dem, was ein anderer sieht, nur sehr wenig. Aber da die Menschen fast allgemein das gering achten, und bald niemand von dem redet, was alle sehen und hingegen einer gegen den anderen das Maul vorzüglich über das auftut, was er glaubt, allein oder nur mit wenigen gesehen zu haben, so scheint der Unterschied zwischen dem, was ein jeder sieht, und dem was nur wenige sehen, viel größer, als er wirklich ist. Ganze Völker sehen in ihrem Leben kein Meer, keine Insel, keine Städte. Alle Menschen sehen Wasser, Erde, Steine, Pflanzen, Menschen und Tiere."

Ließe sich hier nicht die Forderung ableiten, dass der Erwachsene - aber insbesondere die Erzieherin - wieder lernen muss zu sehen, vor allem aber mit Kinderaugen zu sehen. Jeder Mensch sieht viel und will das Gesehene oft den anderen, auch den Kindern, regelrecht aufdrängen. "Schau, hast Du nicht gesehen"! Sollte er nicht besser fragen: "Was siehst Du?" Pestalozzi sagt, dass alle Menschen Wasser, Erde, Steine usw. sehen. Ja, sie sehen dies alles, aber global, wenig differenziert. Mir wurde dies während eines Nordseeurlaubs deutlich. Beim Spaziergang am Strand faszinierten mich immer wieder die leuchtenden Steine. Viele verschwanden in meiner Manteltasche. Im Hotel angekommen, waren alle plötzlich farblos, ohne Glanz, trocken. Stein für Stein habe ich unter den Wasserhahn gehalten und konnte erleben, wie jeder einzelne so unscheinbare Stein wieder zum Leben erwacht ist. Ich wiederholte das "Spiel" mit Kindern. Es dauerte Stunden und wollte nicht enden. Aus diesen Erfahrungen heraus konzipierte ich eine Fortbildungsveranstaltung für Erzieherinnen zum Thema "Mit Kinderaugen sehen - am Beispiel kleiner Steine vom Strand". Die Teilnehmer baten mich am Ende, ob sie die kleinen wertlosen Steine mitnehmen dürften...

Was hatten sie gesehen? Als Hilfsmaterial hatten sie zur Betrachtung der Steine eine einfache kleine Plastiklupe und etwas Wasser. Am Anfang fiel es ihnen schwer, die kleinen Steine einfach so zu betrachten. Dann begannen sie winzige Wassertropfen auf einen Stein zu setzen. Je nach Beschaffenheiten der Steine blieb es wie eine Perle darauf sitzen oder bildete einen kleinen See in einer Vertiefung oder versickerte und hinterließ einen nassen Fleck.

Ich bat die Teilnehmer in Worte zu fassen, was sie entdeckt hätten:

  • Kleine Edelsteine im Stein.
  • Wenn man die Lupe bewegt, sieht es aus wie aufgehender Hefeteig.
  • Bei mir sieht es aus wie ein tiefer See.
  • Wie viele fantastische Farbtöne? Unbeschreiblich!

Es bleibt Ihnen nun Ihr eigener Versuch, im Sinne Pestalozzis mit den Augen zu sehen. Jeder Mensch sieht. Jeder Mensch sieht etwas anderes, der eine mehr, der andere weniger.

In seinem Buch der Mütter schreibt Pestalozzi auch über das Lachen der Kinder: "Wahrlich das Lachen ist eine heilige Gabe Gottes. Es ist ein altes Sprichwort: Lachen macht gutes Blut, und es ist wahr: Der Frohsinn des Lachens ist ein Balsam des Lebens; er ist der eigentliche menschliche Ausdruck der Freude aber alles Gute im Menschen, und so auch das Lachen, ist und bleibt nur so lange und immer nur insoweit gut, als es mit allem übrigen Guten, das der Mensch haben und in sich selbst erhalten soll, zusammengesetzt ist. Ja! Mutter! Wenn dir dein Kind lieb ist, so hüte sein Lachen und der heiligen Quelle desselben - seinen Frohsinn. Ach, du kannst ihm so leicht, du kannst ihn ihm hundert Mal, ohne dass du daran denkst, untergraben, und zu Grunde richten, du kannst ihn ihm mit Zucker und Kaffee, mit Flaumfedern, mit Stillsitzen, mit Schulmeisterelendigkeiten und mit tausend dummen Treibhauskünsten des Kopfes und des Herzens untergraben und unwiederbringlich zu Grunde richten. Frische Luft, Milch und Habermuß , Springen, Laufen, Arbeiten, seine Kräfte brauchen, aber alle, alle miteinander, alle vernünftig, und keine zuviel. Das ist, Mutter, was deinem Kind das Lachen und den frohen Muth erhalten, das ist, was ihm seine roten Backen sichern, und machen kann, dass es diese im zwanzigsten Jahre noch hat, wie im fünften, und im zwanzigsten Jahre gerade, aufrecht, unverkrüppelt, ungebogen, mit gleichen Augen und gleichem Munde und mit gleicher Stirne vor dir stehen kann, wie es jetzt im fünften, sechsten vor dir steht und Dir lacht" (Pestalozzi, Buch der Mütter. 1. Heft, ohne Jahresangabe).

Wann denken wir heute bei pädagogischen Überlegungen über das Lachen oder den Frohsinn nach? Intellektuelle Förderung, Hinführung zur Schulreife, Spiel als Form elementaren Lernens sind Ziele des Kindergarten bzw. Erwartungen und Forderungen, die an ihn gestellt werden. Fröhliche Kinderzeit, Spaß haben, Herumtoben, sich so richtig freuen können, das alles finden wir nicht in den Rahmenplänen zu den Kindergartengesetzen oder Verordnungen. Vielleicht sollten wir uns wirklich wieder auf Pestalozzi besinnen und dem Lachen als "heilige Gottesgabe" wieder einen neuen Stellenwert im Alltag des Kindergartens einräumen und somit Frohsinn, einfaches Fröhlichsein zulassen - auch wenn es manchmal laut und von so manchem Erwachsenen als Störung empfunden wird.

1.2 Friedrich Fröbel und der Kindergarten

Friedrich Fröbel (1782-1852) , der "Vater" des deutschen Kindergartens, ist der wohl bedeutendste Schüler Pestalozzis in der Verwirklichung der Idee der Volkserziehung. Er hat nicht nur Pestalozzis Gedanken der mütterlichen Erziehung weitergeführt und sein Prinzip der Selbsttätigkeit vertieft, sondern eine Kindergartenpädagogik geschaffen, die ihn bekannt gemacht hat. Auf der Basis und den Erkenntnissen aus seiner praktischen Erziehungsarbeit hat er eine umfassende, geniale Erziehungslehre entwickelt. "Der Mensch ist ihm ein göttliches Gewächs und der Erzieher der Gärtner, der ihm Licht und Nahrung verschafft, das Wesentliche aber seinen Lebenskräften überlässt. Aus dieser Weltanschauung heraus stellt Fröbel die Selbsttätigkeit und besonders den natürlichen Darstellungstrieb in den Mittelpunkt der Erziehung" (Reble, S. 222 ff.).

Seine pädagogischen Gedanken hat Fröbel zuerst in dem sogenannten kleinen Keilhauer Schriften niedergelegt. Sein Hauptwerk aber ist die "Menschenerziehung" aus dem Jahre 1826. Er gibt darin eine umfassende philosophische Deutung der Erziehung und des Unterrichts und zeigt tiefes Verständnis für die Seele des Kindes. "Weil das Leben in seiner Ursprünglichkeit gut ist und weil es sich individuell ausprägen muss, soll in möglichst hohem Maße 'freie Selbsttätigkeit und Selbstbestimmung' des Einzelnen walten. Erziehung, Unterricht und Lehre sollen daher primär 'nachgehend', 'behütend' sein, das heißt, die urtümlichen kindlichen Kräfte sich möglichst selbst entfalten lassen. Nur wo das Ursprüngliche verletzt und verbogen ist, darf die Erziehung auch geradezu bestimmend, fordernd werden" (Reble, S. 225).

Die Kernbegriffe heißen Selbsttätigkeit und Selbstbestimmung. Was heißt das aber für die Tätigkeit in unserem heutigen Kindergarten? Es bedeutet, dass wir das Kind selbst aktiv werden lassen müssen, es soll selbst auswählen, Art und Dauer einer Beschäftigung selbst bestimmen können. Das macht uns als Erzieher nicht überflüssig, sondern fordert nur zur Beobachtung und Zurückhaltung

auf. Wir wählen viel zu viel für das Kind aus, bereiten Aktivitäten vor, bei denen wir uns dann einreden, dass das Kind das so gewollt hätte. Wir bestimmen viel zu oft, wann, wie, wo, was gespielt wird und berücksichtigen dabei nicht die Wünsche und Bedürfnisse des Kindes.

"Das Kind muss vielmehr gerade mit eigenen Augen sehen, auf eigenen Füßen stehen, überhaupt sein eigenes Leben leben lernen. Wie Jean Paul betont Fröbel, dass nur der ganz Mensch werden kann, der zuvor seine Jugend mit all ihren Phasen voll durchlebt. Alles Innere soll sich äußern und alles Äußere soll ins Innere hineingezogen werden. Das Kind hat nun in diesem Alter eine ganz bestimmte Art, mit sich und der Welt umzugehen: Das Spiel. Es ist hier noch nicht das, was es im späteren Leben darstellt: Ein Gegensatz zum "ernsten" Tun, zur Arbeit usw. und es hat noch nichts von Arrangement, Illusion, Als-Ob-Einstellung wie später; sondern das Spiel ist auf der Stufe des Kindes noch alles in allem, es ist ein im Gegenwärtigen aufgehendes, gelockertes und doch alle Kräfte anspannendes, durchaus ernstes Verhalten. Weil hier aber die Welt eben in der Form des Spiels dargestellt wird, darum hat hier das Spiel seinen tiefen Lebenssinn und seinen überragenden Erziehungswert. 'Die Spiele dieses Alters sind die Herzblätter des ganzen künftigen Lebens, sie sind Offenbarung des Innersten und Vorbildung und Vorübung des späteren Menschseins'. Sie stellen das Innere in Freiheit und Unmittelbarkeit dar, schaffen für das Kind immer innere Gelöstheit, Krafterprobung und Erfüllung, tieferen Frieden mit sich und der Welt und lassen zugleich seine späteren Grundantriebe erkennen, wie auch positiv beeinflussen. Insbesondere erweist sich in ihnen überzeugend der Drang des Kindes zur Selbständigkeit. Der Frage, wie diese Gestaltungskräfte zu erhalten bzw. zu fördern und pädagogisch fruchtbar zu machen sind, haben dann besonders die späteren Bemühungen Fröbels gegolten" (Reble, S. 226 ff.).

In vielen unserer gesetzlichen Grundlagen für die Kindergärten wird das Spiel als Prinzip der Kindergartenpädagogik herausgestellt. Doch wie gestaltet sich die tatsächliche Umsetzung? Der Begriff Spiel wird im allgemeinen viel zu sehr in der Nähe der "Spielerei" gesehen und deshalb wird Spielen nicht ernst genug genommen bzw. sogar einfach abgetan: "Im Kindergarten, da wird ja nur gespielt", hören wir immer wieder von Eltern, Lehrern, Trägern, der Öffentlichkeit. Das heißt, dass sich die Pädagogik Fröbels bis heute nicht durchgesetzt hat oder gar Selbstverständlichkeit geworden ist. Es gibt noch viel zu tun, wenn es gelingen soll, das Spiel aufzuwerten und wirklich in den Mittelpunkt der Kindergartenarbeit zu stellen. Vielleicht kann uns auch die Befassung mit den Texten und Aussagen Fröbels helfen und wir können dazu beitragen, seine Gedanken für unsere Kindergartenarbeit zu aktualisieren.

"Spielen, Spiel ist die höchste Stufe der Kindesentwicklung, der Menschenentwicklung dieser Zeit; denn es ist freitätige Darstellung des Innern, die Darstellung des Innern aus Notwendigkeit und Bedürfnis des Innern selbst, was auch das Wort Spiel selbst sagt. Spiel ist das reinste, geistige Erzeugnis des Menschen auf dieser Stufe und ist zugleich das Vorbild und Nachbild des gesamten Menschenlebens, des inneren geheimen Naturlebens im Menschen und in allen Dingen. Es gebiert darum Freude, Freiheit, Zufriedenheit, Ruhe in sich und außer sich, Frieden mit der Welt. Die Quellen alles Guten ruhen in ihm, gehen von ihm hervor. Ein Kind, welches tüchtig selbsttätig, still, ausdauernd, ausdauernd bis zur körperlichen Ermüdung spielt, wird gewiss auch ein tüchtiger, stiller, ausdauernder, Fremd- und Eigenwohl mit Aufopferung befördernder Mensch. Ist nicht die schönste Erscheinung des Kinderlebens dieser Zeit das spielende Kind? Das in seinem Spiel ganz aufgehende Kind? Das in seinem Aufgegangensein im Spiele eingeschlafene Kind? Das Spiel dieser Zeit ist, wie schon oben angedeutet, nicht Spielerei, es hat hohen Ernst und tiefe Bedeutung; Pflege, nähre es Mutter, schütze, behüte es Vater! Dem ruhigen durchdringenden Blicke des echten Menschenkenners liegt in dem freitätig gewählten Spiel des Kindes dieses Zeitraums das künftige innere Leben desselben offenbar vor Augen. Die Spiele dieses Alters sind die Herzblätter des ganzen künftigen Lebens; denn der ganze Mensch entwickelt sich und zeigt sich in denselben in seinen feinsten Anlagen in seinem inneren Sinn. Wer mag diese Freuden, an welchen dieses Alter so reich ist, zergliedern? Wird das Kind in diesem Alter verletzt, werden in demselben die Herzblätter seines künftigen Lebensbaumes verletzt dann wird das Kind nur mit der größten Mühe und höchsten Anstrengung zum Mannesleben erstärken, schwer, höchst schwer nur sich auf dem Entwicklungs- und Ausbildungswege dahin vor Verkrüppelung mindestens vor Einseitigkeit sichern" (Fröbels gesammelte Schriften, herausgegeben von W. Lange, 2. Band, Berlin 1963, S. 31 ff.).

Es wäre wert, diese Aussagen Fröbels über Spiel und die Folgen einer Unterbewertung in der Ausbildung der Pädagogen, in Elternseminaren und im Alltag des Kindergartens bei Teamgesprächen zu behandeln, zu reflektieren und die Konsequenzen für die Gestaltung des Kindergartenalltags zu erarbeiten. Leider aber haben Quellentexte kaum noch Bedeutung. Ihre Sprache schreckt manchen Leser ab. Sie werden als alt oder überholt bezeichnet und die Weisheiten, Hilfen und Erkenntnisse, die sie uns vermitteln, schlichtweg ignoriert. So bleiben die Gedanken Fröbels für viele Pädagogen verschlossen.

Die Erziehung von Kindern braucht Zeit. Das Kind braucht Zeit für das Spiel. Die Erzieherin braucht Zeit zur Beobachtung. Der Mensch braucht Zeit, wenn er sich entfalten soll. Enge Vorgaben dürfen nicht einschränken, vielmehr muss freies Handeln, Experimentieren und Erproben möglich sein. Meines Erachtens fehlt genau dieses in unseren Vorstellungen einer aktuellen Kindergartenpädagogik. Die Aussage Schillers könnte Wegweiser sein für ein neues Spielverständnis: "Der Mensch ist erst da Mensch, wo er spielt."

"Ab 1838 erschienen die bekannten Fröbel'schen 'Spielgaben', die in ihrer genialen Einfachheit und ihrer wohl durchdachten Zusammenstellung in der Tat ein einzigartiges Spielmaterial gerade für das vorschulpflichtige Alter darstellen und für die Beschäftigung auf dieser Stufe in Familie und Kindergarten seit jener Zeit denn auch von größter Bedeutung gewesen sind: Ball, Kugel, Würfel, Walze, kleine Würfel und flache Bauklötzchen, ferner Legetäfelchen, Flechtblätter und Faltarbeiten. Fröbels Grundgedanken bei ihnen allen ist, dass gerade an den einfachsten, urtümlichsten Formen die Gestaltungskräfte des Kindes sich am besten entfalten können und, dass sie, da sie die Grundgesetzlichkeit des gesamten Seins am klarsten und augenfälligsten offenbaren, auch den Sinn für die in allen Erscheinungen des Universums waltenden Urgesetze und -kräfte beim Kinde am schönsten bilden können. Diese Urgesetzlichkeit soll sich im spielenden Umgang und wie von selbst in die Seele des Kindes hineinbilden. Fröbel denkt dabei nicht - wie später Montessori - an eine konsequente systematische Übung der verschiedenen Sinne und schnelleres Gewinnen von Kenntnissen, sondern an wirkliches Spiel, das heißt, an eine möglichst freie, auf nur an jenen Urformen orientierte, in sich selbst sinnvolle Betätigung, wodurch den schöpferischen Kräften des Kindes Nahrung gegeben wird. Diese Formen sind so einfach und lassen dem Betätigungstrieb so viel Freiheit, dass er nach allen Seiten gehen kann. Es ist wesentlich an diesen Gaben, dass sie die kindlichen Kräfte in ihrer Gesamtheit ansprechen und nicht vorzeitig differenzieren. Auf dieser Stufe der Entwicklung bilden alle seelisch-geistigen Funktionen (Ästhetisches, Theoretisches, Motorisches usw.) noch eine unmittelbare lebendige Einheit, und je vielfältiger (und das heißt sogleich: je einfacher) das Beschäftigungsmaterial in dieser Phase ist, um so besser entspricht es der inneren Situation des Kindes" (Reble, S. 229).

Was steckt in all diesen Ausführungen Rebles zu Fröbels Spielgaben bzw. Spielangeboten? Bei Beratungen in Kindergärten fiel mir immer wieder auf, dass viele Erzieherinnen zwar Fröbel-Materialien in Schränken aufbewahrten, jedoch mit den Materialien kaum noch etwas anzufangen wussten und sie als überholt bezeichneten. Ein ähnliches Erlebnis hatte ich an einer Ausbildungsstätte. Ich wurde gebeten, doch über den Einsatz der Fröbel-Materialien und ihre Förderschwerpunkte zu referieren. Alles war vorhanden, aber niemand wusste mehr, was man mit den Materialien machen könnte. Was kann getan werden, um die Materialien wieder lebendig zu machen, um Fröbels Intention verstehen zu lernen? Der Erwachsene muss zu aller erst wieder selbst den richtigen Zugang zum Spiel damit finden und zwar zweckfrei, einfach des Spieles und der Freude am freien Tun wegen. Wenn er dies für sich selbst zulassen kann, dann wird es ihm auch gelingen, bei den Kindern die notwendigen Erfahrungsspielräume zuzulassen.

Fröbel'sche Flecht- und Faltarbeiten sind auch nahezu aus der Palette der Beschäftigungsangebote im Kindergarten verschwunden. Sie wurden verdrängt durch Lern- und didaktische Spiele, durch schablonenhafte Arbeitsmappen zur vorschulischen Förderung und ähnliches. Ihr Wert zur Übung insbesondere der Feinmotorik - und damit zur Vorbereitung des Schreibens - scheint vergessen. Faltarbeiten - früher selbstverständlich - sind auch in Vergessenheit geraten. Es liegt daran, dass man die klassischen Faltbegriffe - wie wir sie aus dem Fröbel-Kindergarten kennen - nicht mehr benutzt. Vor einiger Zeit bot ich ein Seminar zum Thema Falten in der Erzieherfortbildung an. Nicht alle Bewerber konnten zugelassen werden, so groß war die Nachfrage. Ich fragte die Teilnehmer zuerst, welche Faltformen sie denn am meisten interessieren würden. Ausschließlich komplizierte Faltformen wurden genannt wie z.B. Teufelskopf. Den Vorschlag des Teufelskopfes habe ich aufgegriffen. Doch nach dem dritten oder vierten Faltschritt geriet die Gruppe ins Stocken: "Also wie jetzt, von links nach rechts und dann eine Raute". Damit hatte ich meinen Einstieg zum Fröbel'schen Falten. "Noch mal von vorne", hieß die Devise. Wir erarbeiteten einen Faltbegriff nach dem anderen. Das Buch, den Schrank, das Kopftuch, das Taschentuch usw. Diese elementaren Begriffe ermöglichten dann auch die Realisierung schwieriger Faltschritte. Kommentar einer Erzieherin: "Ich dachte, das würde man heute nicht mehr so machen. Klingt ja wohl etwas altmodisch." Ist unsere "neue" Pädagogik wirklich so modern wie wir glauben?

Eine Einführung in die Kindergartenpädagogik macht die Rückschau unverzichtbar. Besonders wenn wir das Kind zu seinem Recht kommen lassen wollen, dann brauchen wir die Erfahrungen alter Pädagogen, dann müssen wir uns ihr Spielverständnis aneignen. Wann lesen Sie wieder einmal bei Fröbel nach? Quellentexte? Es gibt dort viel Verborgenes, aber Hochaktuelles!

1.3 Montessori und die Idee der Sinnesschulung

Auch die pädagogischen Ideen der Italienerin Maria Montessori (1870-1952) sollen und können hier nicht umfassend dargestellt werden, Gedanken aus ihrer Pädagogik können hier nur ausschnitthaft Impulse geben. Die Grundhaltung Montessoris lässt sich als eine Pädagogik "vom Kinde aus" beschreiben.

"Maria Montessori ist überzeugt, dass das Kind einen 'Bauplan der Seele' in sich hat, und sich im Grunde selbst zum Menschen emporarbeitet, so dass die Umwelt ihm eigentlich nur 'Material' zu liefern und seine Entwicklungsbedürfnisse (besonders seine 'sensitiven Perioden', das heißt die Phasen gesteigerter Empfänglichkeit und Verarbeitungsbereitschaft für bestimmte Bildungsreize) spüren und zu beachten hat Aufgrund der Auffassung, dass der Weg vom Chaos zur Ordnung und von den Sinnen zum Inneren führt, legt sie im vorschulischen Alter vor allem Wert auf das Üben der Sinnesorgane am entsprechenden Beschäftigungsmaterial, das zu ordnen ist. Dabei sind der selbständige, individuell gewählte und abgestimmte Umgang, die freie Konzentration ('das Montessori Phänomen') sowie die Möglichkeit der Selbstkontrolle wichtig. Während bei Fröbels Spielgaben die Phantasiepflege, das schöpferische Gestalten und das Erfahren von Grundformen und Grundgesetzen im Vordergrund stehen, zielt Maria Montessoris Beschäftigungsmaterial mehr auf Sinnesschulung. Fröbel und Montessori vertreten jedoch in gleichem Maße das Prinzip der Selbsttätigkeit und wollen dem Kind zu größerer Selbständigkeit, Selbstsicherheit, innerer Ausgeglichenheit und freierer Lebensgestaltung verhelfen. Montessori lässt in Erziehung und Unterricht prinzipiell den Lehrer gegenüber dem Lernmaterial und dem Kind zurücktreten; er wird mehr zum behutsamen Beobachter und individuellen Berater des Kindes" (Reble, S. 289 ff.).

Bei diesen pädagogischen Ansätzen ist es kein Wunder, dass die Montessori-Pädagogik heute bei vielen bewusst erziehenden Eltern Interesse geweckt hat und immer mehr Montessori-Kindergärten entstehen. Ich meine, dass viele der hier zitierten Aspekte ihrer Pädagogik Kernstück der Pädagogik jedes Kindergartens sein müssten! Die Umwelt liefert dem Kind das Material mit dem es spielt, umgeht, sich verhält. Wer ist die Umwelt? Es sind die Eltern, Erzieher, Nachbarn, Gesellschaft, Medien usw. Wie kritisch analysieren wir jedoch, was wir den Kindern anbieten oder besser zumuten? Kindergarten und Elternhaus bilden - bei intensiver Kooperation - eine Art erzieherischen Schonraum für das Kind. Angebote und Materialien sind sozusagen "kontrolliert". Das Kind hat dadurch die Chance, sich zu stabilisieren, Werte und Normen, Sicherheit und Selbständigkeit zu entwickeln. Schonraum heißt nicht, dass wir das Kind vor dem Draußen gar abschotten sollten, nein, es muss vielmehr lernen, sich damit kritisch aus einander zu setzen. Dazu braucht es eben die schon genannte Sicherheit, Selbständigkeit und Entscheidungsfähigkeit. Montessori spricht von den Phasen besonderer Empfänglichkeit. Als Erzieher können wir diese nur wahrnehmen, wenn wir das Kind beobachten. Wir dürfen es aber nicht beobachten, um gleich wieder zu intervenieren. Wir beobachten, um daraus Konsequenzen zu ziehen für die Bereitstellung des Materials, die Vorbereitung der Umgebung.

Wir sollten uns im Alltag unseres Kindergartens leiten lassen von mancherlei Gedanken aus den Schriften Montessoris. Zum Beispiel: "Die Methode der Beobachtung hat zur unverrückbaren Grundlage die Freiheit des Kindes in seinen spontanen Selbstäußerungen. Dieser Gesichtspunkt lenkte meine Aufmerksamkeit zuerst auf die Frage der Umgebung, und diese Frage schloss natürlich die nach der Möblierung des Schulzimmers ein. Die Schränke sind ebenfalls nieder - die obere Platte ist so hoch wie die eines Tisches für Erwachsene - aber sehr lang, so dass eine größere Zahl kleiner Türen Platz finden, von denen jede mit einem besonderen Schlüssel verschlossen werden kann. Das Schloss muss von den Kindern erreicht werden können, so dass sie öffnen, schließen und Gegenstände in die Fächer einräumen können" (Montessori, Selbsttätige Erziehung im frühen Kindesalter, Stuttgart 1913, S. 76 ff.).

Freiheit und Selbsttätigkeit sind ein wichtiges Prinzip bei Montessori. Also sollten unsere Kinder frei entscheiden können, was sie spielen möchten und sie sollten ohne Hilfe des Erwachsenen an das Material herankommen. Deshalb will Montessori z.B. niedrige Schränke, für Kinder zugänglich. Sie lernen den Umgang mit den Schlössern, werden selbständig (und damit unabhängiger vom Erwachsenen).

"Man weiß, mit welchem unwiderstehlichen Schwung und Mut sich das Kind in seine Gehversuche stürzt. Es will gehen, kühn, um jeden Preis, und es gleicht darin dem Soldaten, der ohne Rücksicht auf die Gefahr dem Sieg entgegeneilt. Der Erwachsene sucht das Kind vor der Gefahr zu beschützen und umgibt es daher mit Schutzvorrichtungen, die richtige Hindernisse darstellen. Da wird das Kind ins Laufställchen eingeschlossen oder im Kinderwagen festgeschnallt und herumgefahren, obwohl es schon längst stramme Beine hat. Das geschieht deshalb, weil der Schritt des Kindes kürzer ist als der des Erwachsenen und weil es auf langen Spaziergängen weniger Ausdauer besitzt. Der Erwachsene aber ist nicht imstande, auf seinen eigenen Gehrhythmus zu verzichten. Selbst wenn es sich um eine Kinderpflegerin handelt, also um eine Person, die dazu ausgebildet ist, sich ausschließlich dem Wohl des Kindes zu widmen, muss sich das Kind der Gangart der Pflegerin anpassen und nicht umgekehrt" (Montessori, Kinder sind anders, Stuttgart 1952).

Montessori fordert uns damit auf, uns als Erzieher dem Tempo des Kindes anzupassen bzw. uns zurückzuhalten und zu beobachten, wohin das Kind geht. Eine neue Idee für unsere Kindergartenpädagogik? Ein Aspekt des Situationsansatzes? Unverständlich bleibt, warum Erziehern das sich selbst zurücknehmen oft gar so schwer fällt...

"Wir sind genau in derselben Situation wie der törichte Frosch, wenn wir es nur sehen könnten. Dieses kleine Leben, das wir zu modellieren bemüht sind, braucht kein Drängen und Quetschen, kein Verbessern und Bemäkeln, um seine Intelligenz und seinen Charakter zu entwickeln. Die Schöpfung achtet auf die Kinder ebenso, wie sie dafür sorgt, dass die Kaulquappe zu einem Frosch wird, wenn die Zeit dazu da ist. 'Aber', höre ich Sie sagen, 'sollen wir die Kinder tun lassen, was sie wollen? Wie können sie wissen, was das beste für sie ist, wenn sie keine Erfahrung haben? Und denken Sie, was für kleine Wilde sie würden, wenn wir sie nicht Manieren lehrten?' Und ich würde antworten: 'Haben Sie jemals Ihren Kindern auch nur an einem Tag die Chance gegeben zu tun, was sie möchten, ohne dass Sie sich einmischten?' Versuchen Sie es, und Sie werden erstaunt sein" (Montessori, Spannungsfeld Kind - Gesellschaft - Welt, Freiburg 1979).

Was bleibt mir zu diesen Texten Montessoris zu sagen, als Sie ebenfalls aufzufordern, es doch einmal zu probieren (Keine Angst, es hat nichts mit Laissez-faire zu tun!).

In meiner Einführung in die Kindergartenpädagogik will ich Ihnen nicht endlose Lebensläufe und Theorien einzelner Pädagogen in Kurzfassung anbieten, sondern, wie hier am Beispiel Montessoris deutlich wird, Sie zur praxisorientierten Anwendung der Aussagen aus Quellentexten in Ihrem beruflichen Alltag im Kindergarten oder auch in der Elternarbeit anregen und ermutigen.

Ein letztes Zitat von Montessori. Es beschäftigt sich mit den Übungen der Stille. Können Sie sich darunter etwas vorstellen? "Die Übung besteht darin, dass man bei vollständiger Stille aufmerksam macht auf das Ticken der Uhr und auf all die kleinen Geräusche, die dem Ohr gewöhnlich nicht vernehmbar sind. Am Ende rufen wir die Kleinen, eines nach dem anderen, aus einem anstoßenden Zimmer herbei, indem der Name eines jeden mit leiser Stimme ausgesprochen wird. Als Vorbereitung auf eine solche Übung ist es nötig, die Kinder die wirkliche Bedeutung der Stille zu lehren. Zu diesem Zweck habe ich mehrere Schweigespiele, die auf ganz besondere Weise zur Stärkung der beachtenswerten Disziplin unserer Kinder dienen. Ich lenke die Aufmerksamkeit der Kinder auf mich selbst und zeige ihnen, wie still ich mich verhalten kann. Ich nehme verschiedene Haltungen an, stehend und sitzend, und bleibe dabei immer ganz still und ohne jede Bewegung. Die Bewegung eines Fingers kann ein, wenn auch kaum wahrnehmbares Geräusch hervorrufen. Man kann so atmen, dass es wohl hörbar ist. Ich bewahre aber absolute Stille, was nicht gerade leicht ist. Ich rufe ein Kind an, dass es das Gleiche tue wie ich. Es bringt seine Füße besser zusammen, und dies verursacht ein Geräusch! Es bewegt einen Arm, streckt ihn auf dem Arm des Stuhles aus: Wieder ein Geräusch! Sein Atem ist nicht ganz und gar geräuschlos, nicht ruhig, nicht unhörbar wie der meine. Während das Kind so fortfährt und meinen kurzen Bemerkungen wieder Unbeweglichkeit und Stille folgt, beobachten und lauschen die übrigen Kinder. Viele von ihnen haben Interesse für die Sache, die neu ist, dass wir nämlich so viele uns unbewusste Geräusche verursachen und dass es Abstufungen der Stille gibt. Wenn nichts, auch gar nichts sich bewegt, herrscht absolute Stille. Sie sehen mir voll Erstaunen zu, wenn ich mitten im Zimmer stehe, so ruhig, dass es tatsächlich ist, als wäre ich gar nicht. Dann wollen sie es mir gleich tun, und manchmal übertreffen sie mich sogar... Nachdem die Kinder einmal die zur Aufrechterhaltung der Stille nötige Anstrengung gemacht hatten, machte die Stille selbst ihnen Vergnügen. Sie waren wie Schiffe, die sicher im ruhigen Hafen liegen, glücklich, etwas Neues erlebt und sich überwunden zu haben. Hierin liegt ihr Lohn" (Montessori, Selbsttätige Erziehung im frühen Kindesalter, Stuttgart 1913, S. 197ff.).

1.4 Die Vorschulbewegung und die Überbewertung des kognitiven Lernens

Es ist ein gewagter Sprung von der Montessori-Pädagogik gleich zur Vorschulbewegung der 60er und 70er Jahre. Ich will jedoch auch hier insbesondere auf die Dinge eingehen, die ihre Wirkung auf den Kindergarten bis heute erhalten haben bzw. einer Wiederbelebung der Pädagogik vom Kinde aus Rechnung tragen. Noch leben wir im Jahrhundert des Kindes, das die schwedische Reformpädagogin Ellen Key 1900 ausgerufen hat.

"War noch bis Mitte der 60er Jahre die Situation des Kindergartens und der Vorschulerziehung durch geringe gesellschaftliche Beachtung charakterisiert, fehlten frühpädagogische Konzeptionen und entsprechende wissenschaftliche Forschung, veränderte sich die Situation schlagartig dadurch, dass von verschiedenen Richtungen her die Basisideologien traditioneller Kindergartentheorie in Frage gestellt wurden. Kindergarten und frühkindliche Entwicklung und Erziehung rückten in den Mittelpunkt des wissenschaftlichen, bildungspolitischen und öffentlichen Interesses (Hebenstreit, Stuttgart 1980, S. 35).

Der Sputnik-Schock drückte die Angst westlicher Gesellschaftssysteme gegenüber den technischen Erkenntnissen der damaligen UDSSR aus. Man glaubte, dass man mögliche kognitive Rückstände durch Anstrengungen im Bildungsbereich wettmachen könnte. Kognitive und intellektuelle Förderung sollten deshalb so früh wie möglich - also schon beim Kleinkind - beginnen. Gleichzeitig versuchte man durch die sogenannte kompensatorische Erziehung gesellschaftliche Benachteiligungen von Kindern auszugleichen. Sie sollten eine besondere Förderung erfahren, um so das Defizit, das auf Ursachen ihrer Herkunft basiert, auszugleichen. Feststellbare Ungleichheiten sollten kompensiert werden (Headstart-Programm in den USA u.ä.). Auch die Studentenunruhen der 60er Jahre und die zunehmende Emanzipation der Frauen blieben nicht ohne Wirkung auf den Kindergarten. Von der Noteinrichtung für Kinder berufstätiger Mütter entwickelte sich der Kindergarten zu einer Einrichtung institutionalisierter Frühpädagogik. Um die 70er Jahre setzte eine Welle der Veränderungen im Kindergartenwesen ein. Es bleibt ein Versuch, diese in einer wirklich chronologischen Reihenfolge darzustellen.

1970 hat die Deutsche Bildungskommission im Deutschen Bildungsrat einen Strukturplan für das gesamte Bildungswesen vorgelegt. Dieser Strukturplan - eine Empfehlung - umfasst die Stufen des Bildungswesens vom Elementarbereich - also Kindergarten - über den Primarbereich und Sekundarbereich bis zur Weiterbildung. Er befasst sich u.a. sehr detailliert mit dem frühen Lernen, neuen Lernmöglichkeiten, basierend auf empirischen psychologischen und erziehungswissenschaftlichen Forschungsergebnissen, dem Lernen in der Familie, dem Lernen im Kindergarten, den Abgrenzungen im Elementarbereich, den Aufgaben des Kindergartens in der gegenwärtigen und zukünftigen Situation bis hin zu Rahmenbedingungen der Kindergärten, Aufsicht, Curriculum-Entwicklung und Programmgestaltung, Organisation und Ausstattung, Zusammenarbeit von Kindergarten und Elternhaus, Kindergarten und Schule.

"Lernen im Kindergarten.
Die pädagogischen Leitgedanken für den Kindergarten hatten sich gewandelt. Aus der 'Aufbewahrungsidee', wurde die Idee einer behüteten Kinderheimat neben der Familie und schließlich einer Stätte für Reifen und Lernen in einem von Erwachsenen pädagogisch geleiteten Zusammenleben mit Gleichaltrigen im Auftrag der Eltern. Neu ist, dass sich heute, aufgrund einer neuen Einschätzung der Lernfähigkeit des Kindes, der pädagogische Ansatz der Förderung schwerpunkthaft vom Reifevorgang auf das Lernen verlagert hat. So bekommen Lernaktivitäten ein größeres Gewicht, die auch den Kindern mehr Freude machen. Aus einem Raum der Behütung soll eine bewusst gestaltete, Kinder vorsichtig lenkende, anregende und befriedigende Lebensumwelt für Lernerfahrungen werden. Diese Umwelt unterscheidet sich von einer ebenso anregenden Familienatmosphäre dadurch, dass sie die Reihe mehr zufälliger und ungeplanter Erfahrungen in der Familie - ausgehend von den individuellen Lerninteressen und dem individuellen Lernstil des Kindes - planmäßig gliedert. Grundlage dafür bleibt die Vielfalt möglicher Sozialbeziehungen und abwechslungsreicher Rollenspiele zwischen den pädagogischen Leitern und den Kindern und der Kinder untereinander.
Das mag in guten Kindergärten immer schon der Fall gewesen sein; das Neue, das empfohlen wird, ist die stärkere Durchgliederung der Lernprozesse zur Förderung der Fähigkeiten des Erlernens, des Gefühlslebens und zu zwischenmenschlichen Bindungen, der Selbständigkeit und der Freude am eigenen Tun. Dazu müssen Programme für die Tätigkeiten der Kinder vorbereitet werden, die sie allseitig fördern und ihnen Freude machen ... Die neuen Curricula für den Elementarbereich sind in der Idee ihrer Planung und in ihrer pädagogischen Richtung sehr viel klarer geworden. Ihre Realisierung in Form von gestuften Tätigkeitsprogrammen für die Praxis steht aber noch bevor und gehört zu den pädagogischen Forschungsaufträgen, die Priorität erhalten sollten..." (Deutscher Bildungsrat, Empfehlungen der Bildungskommission, Stuttgart 1973, S. 45 ff.).

Liest man diese Ausführungen der Bildungskommission, so stellt man fest, dass sie eigentlich recht zeitlos wirken - obwohl schon über 20 Jahre alt. Gleichzeitig wird man beim Weiterlesen - insbesondere zu Organisation, Rahmenbedingungen, Kooperation des Kindergartens mit Elternhaus und Schule - feststellen, dass viele der Ideen eben nur Ideen geblieben sind und bis heute nicht realisiert wurden. Es drängt sich vielmehr die Befürchtung auf, dass in einer Zeit knapper Mittel in den öffentlichen Haushalten, das im Kindergarten Erreichte gar nicht mehr gehalten werden kann. Was machen wir dann? Ich meine, dass alle pädagogischen Konzepte, alle Idealvorstellungen über unsere Kindergärten, die je zu Papier gebracht wurden, immer ein Stück Träume oder Wünsche geblieben sind, ganz gleich, ob wir bei Fröbel, bei Maria Montessori oder die Aussagen der Bildungskommission nachlesen. Auch lassen sich viele Parallelen erkennen, Gesichtspunkte der Kindergartenarbeit, die sich durch die Geschichte des Kindergartens ziehen wie ein roter Faden. Obwohl die fixierten Ziele immer im Blickpunkt waren bzw. sind, wurden und werden sie niemals zur Gänze erreicht bzw. verwirklicht.

"Zu den traditionellen Leitgedanken des Kindergartens gehört es, der Eigenart des Kindes einen besonderen Freiheitsraum zu schaffen und die Gelegenheit zu kindgemäß spielerischer Betätigung in einer Gemeinschaft zu geben. Bei der vermuteten Eigenart der Kindheit ansetzend, soll dem Kind die Umwelt über die eigene Familie hinaus nähergebracht werden, wobei vor allem das Zusammenleben mit anderen Kindern und mit Erwachsenen, repräsentiert durch die Erzieher, eine wichtige Rolle spielt" (Deutsche Bildungskommission 1973).

Noch viele Zitate aus den Empfehlungen der Bildungskommission ließen sich hier anführen, aber Sie können sie selbst nachlesen Sie können sich davon auch zur Reflexion anregen lassen und zur Entwicklung eigener neuer Ideen. Sind Sie kreativ und entdecken Sie für sich selbst neue Möglichkeiten und Gedanken zur Gestaltung und Verbesserung der Situation im Kindergarten.

Ein bisschen Zeit müssen wir noch auf die verschiedenen Lernprogramme verwenden, die während des Vorschulbooms entstanden sind und für viele Jahre den Alltag unserer Kindergärten geprägt haben. Der Münchner Psychologe Heinz-Rolf Lückert kritisierte die Kindergartenpädagogik und warf ihr vor, "aufgrund eines ideologischen Bildes von Kindheit die Kinder künstlich zu 'verdummen'". Er vertritt die Auffassung, dass den Kindern viel wertvolle Zeit verloren ginge, und Lernchancen verpasst würden, die sich kaum je mehr nachholen ließen. Obwohl er die Notwendigkeit einer breiten frühkindlichen Förderung erkannte, legte er in seinen Programmen den Schwerpunkt auf die kognitive Förderung. Wirklich bekannt wurde Lückert durch seine Frühlesemethode, die allerdings schon nach wenigen Jahren wieder in Vergessenheit geriet.

Einer der Initiatoren des Freiburger Modellkindergartens, Hans Herbert Deißler, entwickelte genau entgegengesetzte Anschauungen und Programme. Er betonte die Bedeutung emotionaler und sozialer Lernerfahrungen vor kognitiven Lernprozessen. Starre Curricula (Lehrpläne für den Kindergarten) lehnte er ab und favorisierte dafür die konkrete Situation und ihre davon ausgehenden Entwicklungsanreize (ein situationsorientierter Ansatz!). Insbesondere will er keine Errichtung spezieller Vorschulklassen.

Die gesamte Vorschulbewegung wurde geprägt von einem mehr oder weniger präzisierbaren Streit: Frühlesen und kognitive Frühförderung oder sozial-emotionale Erziehung und natürliche Lernanreize im Alltag des Kindergartens. Meines Erachtens - und das bestätigt auch die aktuelle Praxis in den Kindergärten - ist die rein kognitiv ausgerichtete Vorschulbewegung bis heute nicht überwunden. Wenn Lernprogramme oder Arbeitsblätter mit den Kindern durchgeführt werden, so fällt es Erzieherinnen leichter, einen "Nachweis" über ihre Arbeit zu führen. Leider können sie nämlich ihre eigentlichen Erfolge nicht ausreichend darstellen, die Ergebnisse ihrer Arbeit nicht öffentlich machen. Die Ausbildung müsste hier ein Übungsfeld sein, aber recht häufig wird bei Kinderbeschäftigungen auch dort das fertige, schöne Produkt in den Mittelpunkt gestellt und der Prozess des Entstehens nicht wahrgenommen und in seiner Bedeutung nicht gewertet bzw. richtig eingestuft. Erzieherinnen sind verunsichert, wenn Eltern sagen, dass in anderen Kindergärten aber so und so gearbeitet wird, die Kinder viel besser gefördert, auf die Schule und das spätere Leben vorbereitet würden. Hier wird das mangelnde Selbstvertrauen von Erziehern deutlich. Vielleicht könnten Praxisberatung und Supervision helfen - bisher aber in den Förderrichtlinien und der Finanzausstattung der Kindergärten kaum oder gar nicht vorgesehen.

In der Praxis der Fortbildung wird immer wieder deutlich, dass Erzieherinnen viele Jahre Berufserfahrung brauchen - begleitet durch Fortbildungsangebote - um zur Reflektion, zur eigenen Konzeptentwicklung zu gelangen. Sie lernen zu argumentieren und dürfen sich nicht länger verunsichern lassen von Leuten, die glauben, vom Alltag im Kindergarten mehr zu verstehen

1.5 Der Situationsansatz und das Missverständnis um das sogenannte "Nichtstun"

Kaum ein pädagogischer Ansatz im Elementarbereich hat für so viel Diskussionsstoff aber auch Verunsicherung gesorgt, wie der Situationsansatz. Verstanden und breit in den Erziehungsalltag umgesetzt wurde er bis heute nicht. Viele Erzieherinnen wagen auch nicht, ihre Unsicherheit zu verbalisieren und haben Angst, als altmodisch hingestellt zu werden. Die fachlich häufig sehr einseitig geführte Diskussion steigert die Verunsicherung noch. Einzelne Autoren haben versucht, durch die Beschreibung eines lebensweltbezogenen Ansatzes in der Kindergartenarbeit vom so häufig missverstandenen Situationsansatz abzulenken.

Jedes neue Konzept, das jedoch nicht verinnerlicht und von Erzieherinnen gründlich reflektiert wird, kann nur zu kurzzeitig anhaltender pädagogischer Euphorie führen. Um "in" zu sein, wird eine Methode akzeptiert, unreflektiert ohne Rücksichtnahme auf die eigene Person, die Kinder, die Eltern, die individuelle Situation in der Einrichtung.

Noch weniger als Erzieher haben sich Eltern intensiv mit dem Situationsansatz befasst, was diese jedoch nicht hindert, eine Umsetzung im Kindergarten zu fordern. Viele Erzieherinnen fühlen sich überfordert durch die Erwartungen der Eltern und die Erwartungen, die sie selbst an sich stellen (bezüglich einer Umsetzung des Situationsansatzes in ihrer Alltagspraxis). Es scheint schwierig zu begreifen, dass das Lernen in Situationen wichtiger ist, als das Lernen für Situationen wobei jedoch situatives Lernen immer Folgen und Auswirkungen auf die Zukunft hat - im Sinne von Erfahrungslernen.

Hebenstreit hat die Grundlagen einer Theorie des Situationsansatzes beschrieben. Ziel der Erziehung im Kindergarten ist die Bereitstellung eines Erfahrungsraumes, in dem Kinder an exemplarisch ausgewählten Situationen ihres gegenwärtigen Lebens erfahren sollen, dass sie diese Situationen autonom und kompetent im Sinn von Selbstbestimmung beeinflussen können, wobei die Situationen sowohl zur Bestimmung der Qualifikationen dienen, als auch insoweit didaktisches Prinzip sind, als nicht für sie, sondern auch in ihnen gelernt wird (vgl. Hebenstreit, 1980, S. 128 ff.).

Vielfach setzen Eltern, Erzieher oder überhaupt Erwachsene situatives Lernen gleich mit Laissez-faire. Erzieher glauben, dass sie sich für die Arbeit mit Kindern nicht mehr vorzubereiten brauchen, sondern einfach auf Situationen warten bzw. so lange mit Nichtstun verharren müssen, bis ein aus ihrer Sicht interessantes Ereignis eintritt oder Kinder von sich aus eine Situation aufgreifen und Wünsche zum Aktivwerden äußern. Aber gerade der richtig verstandene Situationsansatz bedarf gründlicher Überlegungen - basierend auf der Beobachtung der Kinder und gewissenhafter Planung. Genaue Beobachtung der Kinder, sorgfältige Analyse der Situationsanlässe sowie eine genaue Bestimmung der pädagogischen Zielsetzungen und damit ein individuelles Konzept sind unerlässlich. Nur wenn es gelingt, das gesamte Spektrum der Situationen in und um den Kindergarten im Auge zu behalten, können situative Anlässe erkannt und aufgenommen werden. Es handelt sich dabei meist um alltägliche Begebenheiten, Vorkommnisse aktueller lebensgeschichtlicher Bedeutung oder um lokale Begebenheiten. Haben sich alle Beteiligten über einen situativen Anlass verständigt, so muss zunächst die Situation genau erforscht werden. Vor allem müssen Material und Informationen zur Situation gesammelt werden wie z.B.

  • Aussagen von Kindern
  • Situationserkundungen von Erziehern mit Kindern
  • Aussagen und Beobachtungen von Erziehern
  • Aussagen von Eltern
  • Aussagen von anderen Erwachsenen in der Situation
  • usw.

Es muss hier nochmals betont werden, dass nach dem Situationsansatz zu arbeiten nicht heißt, auf Planung zu verzichten! Es geht um eine andere Planung und andere Arbeitsweisen werden damit unverzichtbar. So sind erforderliche Arbeitsschritte u.a.:

  • Die Analyse von Situationsanlässen,
  • Überlegungen zu pädagogischen Zielsetzungen (Bestimmung von Zielen, die erreicht werden sollen),
  • Planung und Durchführung von Projekten auf der Basis von analysierten Situationsanlässen
  • bis hin zur Bereitstellung notwendiger und ergänzender Materialien, die dem jeweiligen Thema entsprechen, bzw. dazu beitragen, intensiver einzusteigen oder zu experimentieren.

"Ganz besonders aktuell und interessant am Situationsansatz ist, dass er weit über den traditionellen Alltag des Kindergartens mit seinen klassischen Kinderbeschäftigungen wie Gespräch, Lied, Malen, Turnen ... hinausgeht und im Kindergarten den Weg zu einer stärkeren Gemeinwesenorientierung öffnet. Dadurch bekommt das Umfeld des Kindergartens neue Bedeutung für die Projektarbeit. Der herkömmliche Kindergarten wird 'aufgebrochen'; es kommt zu Kontakten mit Institutionen und Menschen außerhalb des Kindergartens. Exkursionen in die Gemeinde, zu Betrieben, an den Arbeitsplatz von Eltern, werden ebenso zur Regel, wie Besuche von Eltern, Großeltern und Geschwistern im Kindergarten. Damit die Realisierung eines situativen Konzeptes aber gelingen kann, braucht es Konstanz und Sicherheit im Team der Mitarbeiter und im Umgang mit den Eltern, denn viele Aktivitäten lassen sich nur (oder besser) unter Einbeziehung einzelner Mütter/ Väter durchführen. Das stellt natürlich an die Elternarbeit neue Anforderungen! Eltern werden zu Partnern des Kindergartens. Gleichzeitig hat der Situationsansatz auch Auswirkungen auf die Rolle bzw. das Verständnis von der Rolle des Erziehers. Vom 'Bestimmer' - wie Kinder oft die Erzieher bezeichnen - über den Ablauf des Kindergartenalltags wird er zum Koordinator dessen, was einen Kindergartenalltag (er-)füllt. Er wird zum Partner von Kindern und Eltern. Nicht nur für Erzieher ist der Situationsansatz schwer zu (be-)greifen, sondern auch für Eltern. Wussten sie im traditionellen Kindergarten immer, was Kinder gemacht haben - geturnt, ein Lied gelernt -, so wird es jetzt schwieriger, Inhalte und Abläufe darzustellen" (Becker-Textor in Mein Kind soll in den Kindergarten, Freiburg 1993, S. 55 ff.).

Will der Kindergarten den Situationsansatz durchschaubar machen und in seinen notwendigen Schritten aufschlüsseln, müssen die Eltern beteiligt und ihnen die Möglichkeit zugestanden werden, die Schritte mit zu vollziehen. Vor allem aber müssen die Kinder als eigenständige individuelle Persönlichkeiten akzeptiert werden, die nicht unreflektiert nachahmen oder tun, was der Erzieher ihnen anbietet. Vielmehr gilt es, ihre Fähigkeiten zu erkennen und ihre situativen Wahrnehmungen, Reaktionen und Handlungen zu erkennen und für den Alltag des Kindergartens zu nützen.

Bereits 1985 wurde in einem Beitrag zum funktionsorientierten und zum situationsorientieren Ansatz besonders die Qualität des Situationsansatzes in einem Vergleich zweier Kindergärten deutlich gemacht (Leider bleibt aber festzustellen, dass der funktionsorientierte Ansatz nach wie vor die Regel ist): Im Kindergarten 1 hat die Erzieherin alle Ideen zum Thema Regen zusammengeschrieben, eine Liste mit Bastelarbeiten, Liedern, Bilderbüchern, Geschichten. Regen ist das Monatsthema (und was ist, wenn es nun nicht regnet?). Tag für Tag werden die geplanten Beschäftigungen in die Praxis umgesetzt, die Kindergartenräume regenbezogen ausgestattet. So sind die Fensterscheiben mit Regenwolken bemalt, baumeln 25 bunte Regenschirme in jedem Raum.

"Die Aufmerksamkeit der Erzieherin ist aber stärker an den Basteltisch gebunden als an die KinderimFreispiel. Die werkenden Kinder benötigen ihre Hilfe und ihre Aufmunterung. Wer mit Basteln fertig ist, darf spielen gehen. Auf den freiwerdenden Platz kann ein nächstes Kind zum Basteln kommen. Die Kinder sind zum Herstellen ihrer farbigen Schirme leicht zu motivieren. Sie wissen, dass diese Tätigkeit von ihnen erwartet wird und dass sie dafür gelobt werden, von der Erzieherin, von den Eltern und nicht zuletzt durch das ausgestellt und vergleichbare Werk selbst. Es würde auffallen, wenn von einem Kind kein Schirm aufgehängt werden könnte. Später am Nachmittag wird ein Stuhlkreis gebildet. Im Wetterkalender wird von einem Kind das heutige Wetter eingetragen" (Pausewang/ Hansen in Sozialpädagogische Blätter 4/1985).

"Ganz anders im Kindergarten II. An der Tür werden die Eltern (und Kinder) durch einen Aushang aufgefordert, Ideen und Anregungen zum Thema Regen zu beschaffen und bei Regenwetter den Kindern Gummistiefel und Regenmäntel mitzugeben (d.h., dass sich die Kleidung der Kinder an der Situation Regen orientieren soll und damit trotz Regen Aufenthalt im Freien möglich wird). Zwei große Collagen im Flur verdeutlichen, was Regen alles bewirken kann. Da gibt es Bilder von Kindern, die in Pfützen spielen, von Kindern, die am Fenster stehen und auf schönes Wetter warten, Tiere die Regen brauchen, wassertrinkende Vögel, Fische, Frösche usw.

"Im Gruppenraum spielen die Kinder in kleinen Gruppen. Es fällt auf, dass die Kinder viel Material aus ihrer Umwelt zum Spielen benutzen, das eigentlich kein typisches Spielmaterial ist: Kieselsteinchen in der Puppenecke als 'Essen' oder 'Geld', ein Zuordnungsspiel aus gesäuberten Obstkernen, verschiedenen Schneckenhäusern. Ein Kind kommt herein und packt aus seiner Tasche weitere Schneckenhäuser aus. Zu zweit vergleichen sie, ob sie doppelte Formen und Muster finden. Auf der Fensterbank steht ein Terrarium mit Schnecken. Eine Lupe daneben. Ein Kind lässt eine Schnecke über seinen Arm kriechen, ein anderes staunt, aber will die Schnecke nicht anfassen. Ein Junge kommt mit Bildern vom Regen, die er mit seiner Mutter aus Zeitschriften gesammelt hat. Kein Platz mehr auf der Collage. Ein Kind schlägt vor, ein Bilderbuch anzufangen, wie sie es neulich von Krankheiten und vom Krankenhaus gemacht haben ... Ein Kind kommt eilig in den Gruppenraum, noch angezogen, und berichtet stolz, dass es wieder einen Regenwurm vom Asphalt gerettet hat" (Pausewang/ Hansen in Sozialpädagogische Blätter 4/1985).

Wie soll die Arbeit in beiden Einrichtungen nun bewertet werden? Die Eigeninitiative, Selbständigkeit, Motivation und Ausdauer ist im Kindergarten II unvergleichbar höher. Ideenreichtum für scheinbar ganz alltägliche Begebenheiten wird gefördert, die Details und unscheinbaren Kleinigkeiten in der Umwelt (Natur) werden wahrgenommen. Der Erzieher ist Helfer, "Bestätiger" des Gesehen und koordiniert und unterstützt die Aktivitäten der Kinder. So lernen die Kinder das Einfühlen in die Natur, ihre Rolle bei der Erhaltung der Natur. Gelungene Anwendung des Situationsansatzes in der Praxis - Förderung und Herausforderung für Erzieherinnen!?

Wie langweilig dagegen die Arbeit im Kindergarten aber wohlgeordnet, jeder kommt an die Reihe. Eigenaktivität und Ideen der Kinder werden nicht erwartet ... Schade!

1.6 Integration und die Öffnung des Kindergartens für andere Kinder (Menschen)

Recht leichtfertig benutzen wir alle den Begriff Integration. Menschen sollen in unseren Kulturkreis, in unser Lebensumfeld integriert werden. Könnte Integration nicht aber auch ein Aufeinander-zugehen bedeuten? Zwei Lebensweisen können miteinander in Einklang gebracht und dann neue Wege beschritten werden? Statt dessen entwickeln wir eigene Integrationseinrichtungen in denen z.B. behinderte oder ausländische Kinder einen Sonderstatus dahingehend erhalten, dass wir uns Angebote überlegen, wie wir sie an unsere Lebensweise heranführen können, einordnen können in unseren Lebensalltag. Die Betroffenen werden selten nach ihren Bedürfnissen gefragt...

Blättern Sie im Duden-Herkunftswörterbuch, so finden Sie Zugang zur Bedeutung so mancher Begriffe - nicht selten zu erschreckenden, verdrängten Wahrheiten. Zum Wort "Integer" heißt es: unbescholten, makellos oder lateinisch "integrare", Wiederherstellen, ergänzen, ein Ganzes ausmachend oder lateinisch "integratio", die Wiederherstellung eines Ganzen. Wenden wir diese Wortbedeutung an, so heißt das, dass wir mit Integrationshilfen (wieder) etwas Ganzes herzustellen versuchen. Die Anerkenntnis des Andersseins in einer Gemeinschaft oder Gestaltung eines harmonischen Miteinanders, wäre die wohl treffendere "Übersetzung" des Begriffs Integration.

1.6.1 Das behinderte Kind

Über Integrations-Kindergärten, die gemeinsame Erziehung von behinderten und nichtbehinderten Kindern, wurde viel veröffentlicht, wurden zahlreiche Modellversuche in der Bundesrepublik Deutschland und im Ausland durchgeführt. In den Ergebnissen wurden Förderprogramme festgehalten, Rahmenbedingungen, Finanzierungsmodelle, Vorteile aber auch Probleme einer gemeinsamen Erziehung, Bildung und Betreuung. Was in Kindergärten erfolgreich gestartet wurde endet dann allerdings vielerorts im Schulbereich vor verschlossenen Türen.

Werfen wir einen Blick zurück. Die gemeinsame Erziehung war der Ausgangspunkt für eine Differenzierung für eine Herausnahme von Kindern aus Regelgruppen zur besseren behindertenspezifischen Förderung. Dies führte zu Spezialprogrammen, zu großen Erfolgen in der Behindertenpädagogik, aber auch gleichzeitig zu einer Ausgliederung. Beim Integrationsansatz wurde nun der alte Gedanke einer gemeinsamen Förderung wieder aufgegriffen. Eine Höchstzahl behinderter Kinder für eine Gruppe nichtbehinderter Kinder wird festgelegt (kaum überdacht wurde, wie viele gesunde Kinder in einer Gruppe behinderter Kinder integriert werden können!).

In vielen Untersuchungen vernachlässigte man auch die sogenannte "graue Integration", die Aufnahme behinderter Kinder in Regeleinrichtungen im Wohnumfeld. Hier wird eine weit größere Zahl von Kindern erfasst, als in den speziellen Integrations-Einrichtungen. Das Zusammenleben wird hier für alle Kinder selbstverständlich. Behindertenspezifische Förderangebote im Bereich der Krankengymnastik, Motopädagogik, Logopädie usw. sind aber keineswegs ausgeschlossen. Allerdings spielt die Bereitschaft der Erzieherinnen eine große Rolle und die Vorbereitung der Gruppe. Leben miteinander wird trotz Andersseins genau in diesen Gruppen zur Normalität. Statt Theorien werden nachfolgende Praxisbeispiele - aus meiner eigenen Zeit als Kindergartenleiterin - zeigen wie sich die sogenannte "graue Integration" vollziehen kann, ohne, dass "besondere Programme" eingesetzt werden:

Beispiel 1: W., ein mongoloides Kind, besucht seit dem dritten Lebensjahr unseren ganz normalen Kindergarten. Die Kinder verstehen sich prima mit ihm, spielen zusammen, streiten und klopfen sich, werfen sich auch einmal Schimpfwörter an den Kopf. Wie oft fällt an einem Kindergartentag das Wort blöd! Richtet sich das Wort an W., so trifft das seine Eltern schwer. "Sehen Sie, die Kinder akzeptieren ihn nicht. Er muss wegen seiner geistigen Behinderung leiden. Vielleicht sollten wir ihn doch in eine Sondereinrichtung geben, da wird besser mit ihm umgegangen" Während ich noch mit der Mutter spreche, fragt mich ein Kind, ob es im Raum barfuss gehen dürfte. Ich erkläre ihm kurz dass das nicht ginge. Beleidigt geht das Kind weg, dreht sich um und sagt: "Du bist ganz schön blöd". Für W's. Mutter Entspannung. Ja, wir alle werden von Kindern oft auch einmal blöd genannt...

Beispiel 2: Wir verlassen oft den Kindergarten und suchen uns Lernfelder im Stadtteil, machen Ausflüge oder kleine Wanderungen. Heute bringt uns die Straßenbahn zum Botanischen Garten. Die Kinder haben Sitzplätze, vier auf einer Zweierbank. Eine Dame steigt zu und beobachtet die Kinder. Beim Aussteigen streicht sie W. über den Kopf und sagt: "Du armes Kind". W. reagiert nicht, dafür aber sein Freund, der neben ihm sitzt: "Der ist nicht arm. Er hat Mutter und Vater und ein Kinderzimmer und zu Essen und mich und noch mehr Freunde".

Beispiel 3: Wir kennen U. seit ihrer Geburt. Sie ist die Schwester von R., die unseren Kindergarten schon zwei Jahre besucht. U. hat Spinabifida (offenes Rückenmark) und nach gelungener Operation viele Probleme mit der Kontrolle über Blase und After sowie mit dem Gehen. Schon als Baby kommt U. jeden Tag mit zum Kindergarten. Sie ist ein fröhliches Kind. Oft bleibt die Mutter mit ihr etwas da. Sie krabbelt über den Bauteppich und erreicht überhaupt alle Ecken, wo sie hin will. Von Anfang an war es ganz selbstverständlich, dass U. mit drei Jahren zu uns kommen sollte. Sie konnte nur an der Hand laufen und auch keine weiten Strecken. Windeln gehörten zum Alltag. Alles kein Problem. Selbst das Windelnwechseln wurde für größere Kinder zur Selbstverständlichkeit. U. vertraute sich diesbezüglich ihren Freundinnen auch gerne an. "Du brauchst nicht mit, wir schaffen das schon allein", sagten sie oft zu mir. Blasentraining war angesagt. Jede Stunde raus. Auch kein Problem. Wenn ihre beiden Freundinnen mit Indianergeheul in den Gruppenraum stürzten, dann wusste ich, es hat geklappt. Die Freude ließ sie allerdings leicht vergessen, dass sie U. im Klo aber wieder abholen mussten. Krankengymnastische Übungen verlegten wir in den Kindergarten. Als U. sich einigen Operationen unterziehen musste, wurde Spielzeug eingepackt und wir besuchten sie regelmäßig daheim. Das große Ereignis war ihr fünfter Geburtstag. Nach Aussagen von Ärzten, Psychologen und Krankengymnastin war U. längst fähig, selbständig zu laufen. Aber sie tat es nicht, nicht einen winzigen kleinen Schritt. An ihrem fünften Geburtstag saßen alle Kinder im Kreis. U. hielt einen Teller Plätzchen in den Händen, um sie auszuteilen. Ich hielt sie rückwärts an ihrer Rockschleife fest. "Halt mich ja fest", forderte sie mich auf. Ich ließ es sie spüren. Dann lief ich mit ihr im Kreis herum. Mittlerweile hatte ich die Schleife nur noch zwischen zwei Fingerspitzen. P. merkte es und hielt den Atem an. Ein Flüstern ging durch die Reihe der Kinder, dann atemlose Stille. U. strahlte. Plötzlich konnte es R. nicht mehr aushalten und rief ganz laut: "U. kann laufen, ganz alleine! Wir haben es ihr gelernt". Ich fasste U. um die Taille. Mit großen ängstlichen Augen blickte sie mich an. "Du hast mich losgelassen?" "Ich hab Dich ein ganz klein bisschen an der Schleife gehalten und dann gemerkt, dass Du es kannst. Wir üben jetzt jeden Tag ein paar Schritte!" Dieses Ereignis war tagelang Hauptthema im Kindergarten. Einige Wochen später spazierte U. stolz durch den Kindergarten. In der Nähe der wilderen Kinderbevorzugte sie noch eine sichere Hand oder etwas zum Festhalten.

Beispiel 4: Wir besuchten einen benachbarten Kindergarten, denn wir erkundeten alle Einrichtungen in der Nähe. Wir waren angemeldet. Eine Schwester öffnete. Mitten in unserer kleinen Kindergruppe stand A., ein zartes, hübsches aber unverkennbar geistig behindertes Mädchen (Down-Syndrom). Die Leiterin begrüßte uns und sagte dann zu mir: "Wie viele von denen haben Sie denn? Die gehört doch in eine Sondereinrichtung". Einige unserer Kinder hatten es mitgehört. "Nein, A. bleibt bei uns, gehört zu uns." Sie hatten sich schützend um A. gestellt. Im Gruppenraum wiederholte sich eine ähnliche Szene. Die älteren Kinder stellten sich vor den Bauteppich und ein Junge rief: "Die darf da nicht drauf, die macht alles kaputt, die ist behindert." Unsere Kinder blieben wie erstarrt stehen. I. sagte: "Wir wollen wieder heim. Bei uns kann A. mitspielen".

Solche Beispiele zeigen, wie Integration gelingen kann, wie ein behindertes Kind in seinem So-Sein von der Gruppe angenommen wird, einfach dazugehört und seinen Bedürfnissen gemäß gefördert werden kann.

Problematisch wurde es in unserer Einrichtung nur, wenn Eltern meinten, dass durch den Besuch in einem ganz normalen Kindergarten, die Behinderung ihres Kindes sozusagen "verschwinden" würde. Aber das ist dann ein Thema für die Elternarbeit.

Es wäre schön, wenn alle Kinder gemeinsam einen Kindergarten besuchen könnten. Würde die Personalausstattung (und die Ausbildung) dem Konzept eines Kindergartens angepasst, wäre dies möglich. Notwendige ergänzende Dienste und Förderangebote könnten in die Alltagsarbeit integriert werden.

1.6.2 Das ausländische Kind

Auch hier gibt es viele Integrations- und Modellversuche. Ausländische Kinder einer Nation werden zusammengefasst und gemeinsam mit deutschen Kindern, einer deutschen und einer ausländischen Erzieherin betreut. Lieder- und Spielesammlungen sind sicherlich hilfreich. Ob dies für eine Integration aber ausreicht? Durch die zunehmende Ausländerfeindlichkeit - und Erwachsene geben dazu ein abschreckendes Modell - wird die Integration ausländischer Kinder im Kindergarten immer schwieriger. So z.B. eine ausländische Mutter, selbst in Deutschland geboren, erzieht ihr Kinder zweisprachig, wünscht aber nicht, dass ihr Junge im Kindergarten mit Kindern aus ihrem eigenen Herkunftsland zusammenspielt. Dabei war der Junge so stolz, dass er als eine Art Dolmetscher zwischen den Kindern und Erzieherinnen vermitteln konnte. Die Integration ausländischer Kinder im Kindergarten gestaltet sich zunehmend schwieriger. Kinder untereinander haben wenig Probleme; die Erwachsenen verhalten sich aber nicht immer modellhaft. So hat ein Vater Angst, dass es durch den Umgang mit einem ausländischen Kind bei seiner eigenen Tochter zu Verzögerungen in der Sprachentwicklung kommen könnte.

Die Realität der deutschen Kindergärten sieht so aus, dass ausländische Kinder verschiedenster Nationen und unterschiedlichster Kulturkreise in einer Gruppe sind. Oft sind es einzelne, je nach dem Standort des Kindergartens, manchmal aber auch bis zur Hälfte der Gruppe oder mehr. Unterschiedliches Handeln ist gefragt, mit einer ausländischen Erzieherin ist nicht immer gedient. Vertrauen Sie auf die Kinder. Sie haben den größten Anteil an gelungener Integration: Sie spielen miteinander, obwohl sie verschiedene Sprachen sprechen. Sie lehren sich gegenseitig verschiedenste Begriffe und lauschen auf die Intonation der anderen Sprache. Ich erinnere mich an einen rumänischen Jungen, vier Jahre alt. Er sprach kein Wort deutsch, lächelte nur immer, suchte Bestätigung durch Blickkontakt, spielte ganz intensiv mit den Kindern, beobachtete sie. Nach etwa drei Monaten begann er zu sprechen. Was hatte er sich in dieser Zeit seines "Schweigens" für einen Wortschatz angeeignet! Die Kinder waren völlig überrascht und gaben ihm intensiven "Sprachunterricht". Kein Sprachförderprogramm hätte diese Entwicklung beschleunigen können.

Ausländische Kinder im Kindergarten erziehen bedeutet, dass sich Kinder verschiedener Nationen, Religionen und Kulturkreise begegnen. Vieles haben sie gemeinsam, aber in vielen Dingen sind sie sich auch fremd. Viele Aspekte dieses einander Fremdseins "bearbeiten" die Kinder ohne Hilfe der Erwachsenen. Deutsche Kinder sind im Ausland ausländische Kinder und umgekehrt, wenn sie in ihrem Heimatland Deutschland leben. Wie können hier im Rahmen der pädagogischen Arbeit im Kindergarten Hilfen gegeben werden?

Für Erzieherinnen ist es unverzichtbar, sich mit dem Leben in den Herkunftsländern ihrer Kinder zu befassen. Sie können dies durch den Besuch von völkerkundlichen Vorträgen tun, durch einschlägige Literatur, bis hin zu einer Urlaubsreise in Länder, aus denen "ihre" Kinder kommen. Wie können Kinder etwas über die Herkunftsländer ihrer neuen Freunde erfahren? Gemeinsam werden Familienalben betrachtet. Viele lebensgeschichtlichen Ereignisse lassen sich so vergleichen: Meine Familie - wie meine Eltern geheiratet haben - als ich getauft wurde - wie wir wohnen - so war unser Kindergarten dort usw. Kinder werden dann selbst herausfinden, wie unterschiedlich Lebensweisen, Wohnung, Kleidung, Feste, religiöse Rituale usw. in den verschiedenen Ländern sind. Vielleicht kann der Kindergarten auch einige Photobildbände zu den Herkunftsländern der verschiedenen Kinder beschaffen oder Dias bei der Filmbildstelle ausleihen. Spannend wird es sicher sein, herauszuarbeiten, ob und welche Unterschiede es im Kindsein gibt. Bitte lassen Sie die Kinder selbst Entdeckungen machen und vermeiden Sie Lehrstunden! Vergessen Sie auch nicht, die Küche der einzelnen Länder mit in Ihre Kindergartenarbeit einzubeziehen, Gewürze zu schmecken und zu riechen. Gerade das Kochen ist ein Weg, der hilft, mit den ausländischen Frauen ins Gespräch zu kommen (auch wenn diese keine oder nur wenige Deutschkenntnisse haben). Die Kinder sind dabei gute Dolmetscher. Im Rahmen einer Fortbildung berichtete eine Erzieherin, dass sie mit türkischen Frauen einen Kochkurs im Kindergarten gestaltet hätten. Alle vier Frauen konnten kein Deutsch. Sie wurden von ihren Männern begleitet, die ganz stolz waren. Eine deutsche Mutter berichtete, dass es ein richtiger Geschmackskurs gewesen sei. Mangels Kenntnis der deutschen Sprache hatten die Frauen einfach ermuntert, alle Gewürze und alle Speisen in den verschiedensten Stufen zu probieren. Dann habe man Begriffe ausgetauscht. Auf beiden Seiten sei aufgrund der "falschen" Aussprache viel gelacht worden. Allerdings dauerte dieser Elternabend - mit gemeinsamem Essen - fast bis Mitternacht... Eine neue Form der Elternarbeit?

1.6.3 Kinder aus ehemaligen deutschen Ostgebieten

Hier gestaltet sich Integration oft ganz besonders schwierig. Die Familien haben ein Stück deutsche Kultur gelebt, wie wir sie hier bei uns nicht mehr haben. Sie sprechen Deutsch, aber ihre Sprache ist so andersartig. 1991 waren über 8.000 Aussiedler im Alter von unter sechs Jahren, das heißt, dass über die Hälfte von ihnen für einen Kindergartenbesuch in Frage kamen. Der Besuch des Kindergartens wird angestrebt, um eine schnelle bestmögliche Sprache und soziale Integration der Kinder vor dem Eintritt in die Schule zu gewährleisten. Noch immer wird - gerade in der Nähe von Übergangswohnheimen - die Frage nach speziellen "Aussiedlergruppen" laut. Vorrang vor Förderangeboten muss auch hier die Fortbildung der Erzieher haben. Kenntnisse über die Herkunftsländer der Kinder, religiöse und kulturelle Traditionen, das familiäre Umfeld, berufliche Hintergründe, Lebensgewohnheiten, Bildungssysteme und Kindergartenkonzepte, Erziehungsgrundsätze und -ziele, Aufgaben der außerfamiliären Erziehung, Rollenverhalten innerhalb der Familien, Status der Familien und des Kindergartens innerhalb der Gesellschaft, Generationenverhalten der Familienmitglieder, Stellung des (welchen) Familienoberhauptes, Selbständigkeit und Entscheidungsbefugnis der Kinder, Motivation für die Aussiedlung, Eigenheiten der jeweiligen Volksgruppe und viele andere Gesichtspunkte sind für die Erzieherinnen im Kindergarten unverzichtbares Wissen, wenn sie den Kindern und ihren Familien wirklich gerecht werden wollen. Kinder und Familien sind durch die Aussiedlung einem "Kultur- und Sozialisationsbruch" ausgesetzt. Dies führt im familiären Bereich zu Wechselwirkungen in der Eltern-Kind-Beziehung und nicht alle Familien sind dieser Situation gewachsen bzw. können adäquat damit umgehen. Familienberatung von außen wird von den Familien nur selten in Anspruch genommen.

Einige Fallbeispiele aus der Praxis mögen die Situation verdeutlichen.

Beispiel A: Der Kinder wegen sind wir gekommen! 19 Jahre nach Einreichung ihres Antrages erhielt Familie K. die Ausreisegenehmigung. Als junges Ehepaar, nach der Geburt ihres zweiten Sohnes hatten sie den Entschluss gefasst, alle Mühen auf sich zu nehmen, um nach Deutschland zu kommen. Nach 19 Jahren glaubten sie beinahe an ein Wunder. Das scheinbare Glück wurde getrübt. Vier Kinder gehörten inzwischen zur Familie, 24, 20, 18 und 4 Jahre alt. Der Älteste hatte bereits seine Lehre abgeschlossen, der zweite eine politechnische Ausbildung im medizinischen Bereich bekommen, der dritte ging noch zur Schule (mit russisch als Muttersprache), das Nesthäkchen mit 4 Jahren wurde von der Großmutter und dem kranken Großvater daheim betreut. Es gab für die Familie nur zwei Möglichkeiten für die Aussiedlung: Alle oder keiner. Alle bedeutete, dass der älteste Sohn seine Freundin zurücklassen und der Zweite seine Ausbildung abbrechen musste, mit dem Wissen, sie in dieser Form in Deutschland als Arzt niemals abschließen zu können. Frau K. berichtete von den schlaflosen Nächten und den Beschimpfungen der Familienmitglieder untereinander. Der Kinder wegen hatten sie aussiedeln wollen. Letztlich entschied der Vater, dass alle mit müssen. Die Großmutter starb drei Tage vor der Abfahrt, der kranke Großvater kam mit. Und nun kam das Nesthäckchen in unseren Kindergarten. Daheim hatte man ihr gesagt, dass sie gut deutsch spreche; im Vergleich zu den anderen Kindern waren es jedoch nur Bruchstücke, ein anderer Wortschatz. Tagelang lief sie durch den Kindergarten, tippte verschiedene Gegenstände vorsichtig mit dem Finger an, zog ihn erschrocken wieder zurück. Sie sprach fast kein Wort. Dennoch machte sie einen glücklichen Eindruck. Und da beobachtete ich eines morgens in der Freispielzeit wie Peter und Lisa zusammen ein Memory spielten. Nicht als Memory, als Sprachspiel. Lisa fragte, und Peter gab unermüdlich Antwort. Binnen vier Wochen nahm der Wortschatz von Lisa so zu, dass sie sich auch an Gesprächen im Kreis beteiligte, fragte, erklärte, kommentierte. Sie gehörte fortan morgens zu den ersten Kindern und blieb am Nachmittag bis zum Schluss. Mir fiel beim Abholen auf, dass sich zwischen Mutter und Kind etwas verändert hatte. Frau K. kam auch nicht mehr in den Kindergarten. Ich sah, wie Lisa immer häufiger nach der Mutter schlug, auch selbst geschlagen wurde. Eines Morgens stürzte Lisa in die Gruppe mit den Worten: "Meine Mutter ist blöd. Nicht mal Deutsch kann sie richtig. In der Straßenbahn kennt sie sich auch nicht aus. Und zu meiner Freundin lässt sie mich auch nicht!" Am nächsten Tag machte ich einen Hausbesuch, um mit Frau K. zu sprechen. Ich fand eine nahezu zerbrochene Familie vor. Frau K. weinte. "Wir sind doch nur der Kinder wegen hier und jetzt, der Große trinkt und kommt manchmal gar nicht heim. Der S. macht mir Vorwürfe, weil er hier ohne Abitur nicht Medizin studieren kann. R. hat in der Schule Schwierigkeiten, er soll in die Sonderschule, und jetzt noch das mit der Kleinsten, mit Lisa, sie ist so bockig. Mit meinem Mann kann ich nicht reden." Heute, viele Jahre danach, ist Lisa das einzige Familienmitglied, das wirklich integriert ist. Sie besucht ein Gymnasium und macht im nächsten Jahr ihr Abitur.

Beispiel B: Familie Z., eine Handwerkerfamilie, kam mit drei Kindern und der Großmutter. Der Vater fand sofort eine Anstellung als Möbelschreiner bei einer Antiquitätenfirma, die Mutter als Änderungsschneiderin. Die Großmutter versorgte Kinder und Haushalt. Das Ehepaar besuchte gemeinsam Deutschkurse an der Volkshochschule. Die beiden Buben erhielten zusätzlich Förderunterricht. In der Klasse waren sie beide beliebt und wurden sogar schon nach drei Wochen in die Fußballmannschaft aufgenommen. Anni kam mit viereinhalb Jahren zu uns in den Kindergarten. Die Oma erkundigte sich jeden Tag nach ihren Fortschritten. Annis Lieblingssatz war: "Hier ist alles anders!" Und dann staunte sie. Den Kindern in der Gruppe machte es unheimlich viel Spaß, sie in unsere Kindergartenwelt einzuführen. Mit Anni war das bei ihrer Offenheit auch ein Vergnügen. Und einmal, alle saßen um den Tisch und bastelten. Anni nahm zaghaft eine Tube Uhu in die Hand und drückte ihn zu fest. Der Klebstoff schoss heraus. Anni rief: "Es läuft, die Uhu läuft." Sie drückte und drückte bis die Tube leer war. Die anderen Kinder waren wie versteinert. Sie schienen nicht zu begreifen, warum ich denn nicht Einhalt gebot. Ja warum? Wir redeten dann gemeinsam über den Vorfall, und Anni versprach, es nicht zu wiederholen. "Ich weiß jetzt schon wie das geht." Die Kinder begriffen nicht, was Anni so ins Staunen versetzt hatte, für sie war der Umgang mit der Uhutube Alltag.

Beispiel C: Marion war mit ihrer Mutter und ihrer Oma im Übergangswohnheim. Die Mutter war schwer krank, so dass wir Marion vom ersten Tag der Ankunft an ganztägig betreuten. Nach zwei Wochen starb die Mutter und Marion war mit der Oma allein. Die Oma, eine einfache Frau, sehr ängstlich und introvertiert, kam immer nur bis zum Gartenzaun, blieb stehen, bis wir Marion losschickten. Wie sollten wir mit ihr ins Gespräch kommen? In der Pfarrgemeinde kannte man sie auch vom sonntäglichen Kirchgang. Schweigend. An einem Tag besprachen wir mit den Kindern, dass wir backen wollten für den Altennachmittag. Wir wollten die alten Menschen überraschen, mit ihnen gemeinsam Kaffee trinken und dann plaudern und spielen. Die Kinder machten ganz verschiedene Vorschläge: Plätzchen backen, Gugelhupf, Streuselkuchen. Auch Marion meldete sich zu Wort. "Meine Oma kann Strudel, so groß wie der Tisch. Sie zieht und zieht, und der Teig kriegt kein Loch, ehrlich. Soll ich meine Oma mal mitbringen?" Marion hatte rote Backen und glänzende Augen bekommen. Beim Abholen ging ich mit Marion an der Hand auf die Oma zu. "Hat das Kind etwas angestellt?" Das waren ihre ersten Worte. Wir luden sie für den nächsten Tag zum Strudelbacken ein. Sie zögerte erst, konnte aber dann doch dem Drängen von Marion nicht widerstehen. Und sie machte Strudelteig. Wir hatten ein großes weißes Tuch auf einen Tisch gelegt, und am Schluss hing der Strudelteig wie eine Decke herunter, ohne Loch. Wer staunte am meisten? Der Strudelteig wurde gefüllt und gebacken und zum Seniorenkreis kam auch die Oma. Soll ich noch erwähnen, dass wir einen Strudelbackkurs im Kindergarten durchgeführt haben? Die Mütter waren begeistert. Marion und ihre Oma wurden zum Mittelpunkt, sie fanden bald eine Wohnung und gewannen viele Freunde.

Beispiel D: Als Familie M. kam, war Frau M. hochschwanger. Die beiden Buben, drei und vier Jahre alt, kamen zu uns in den Kindergarten. Frau M. ging es schlecht. Eines Tages sprach ich sie an. Sie schilderte die Probleme, dass die Kinder gar nicht mehr auf den Vater hören wollten und dass sie sie deshalb wieder abmelden wolle. Deshalb gebe es viel Streit. Und dann sei da noch was: Beide Chefs ihres Mannes seien Frauen und auch im Übergangswohnheim sei für alle Fragen eine Frau zuständig, es könne doch nicht richtig sein. Ihr Mann käme damit nicht zurecht. Frau M. selbst war hin- und hergerissen und meinte, man müsse sich anpassen. Ein behindertes Kind wurde geboren, starb kurze Zeit später. Die Ehe zerbrach. Die Buben kamen in die Obhut des Vaters. Einige Jahre später ging er mit beiden nach Rumänien zurück.

Beispiel E: Herr und Frau U. meldeten ihr Kind Georg bei uns im Kindergarten an. Er zog sich stark zurück und der geringe Wortschatz fiel mir auf. Die Eltern erklärten, dass sie auch nur noch in der Familie Deutsch gelernt und gesprochen hätten, ebenso Georg. "Aber er spricht fließend". Georg konnte gleich am nächsten Tag kommen. Die Kinder freuten sich schon. Nachdem ich Georg den Kindergarten gezeigt hatte, gingen wir in die Gruppe, und ich brachte ihn zum Bauteppich. "Der Neue kann gleich mitspielen!" Nach einer Weile hörte ich Georg ganz laut sagen: "Ich sein deitsch!" Er stampfte auf. Die Kinder kamen und fragten mich, ob das wirklich stimme. Wir redeten ausführlich über Georg und sein Herkunftsland. Peter meinte: "Na ja, der wird schon noch deutsch". Das wollte Georg nicht hören. Die Kinder begriffen nicht, Georg begriff nicht. Was tun?

Integration muss immer als ein Prozess verstanden werden. Dieser vollzieht sich ganz individuell und hat starken Bezug zum Umfeld und der Persönlichkeit des Einzelnen. Der Integrationsprozess kann durch mancherlei Hilfe erleichtert werden, hängt jedoch entscheidend vom Individuum selbst ab. Auch das Alter spielt dabei eine ganz wichtige Rolle. Dies zeigt sich deutlich bei der Beobachtung des Integrationsprozesses von Aussiedlern. Wie die Fallbeispiele zeigen, gelingt den Kindern das Eingewöhnen sehr schnell. Viel schwieriger haben es die Erwachsenen. So ist es nicht selten, dass es zu einer Art Entfremdung zwischen Kind und Eltern kommt. Die Kinder suchen Kontakte, die Erwachsenen vermeiden sie oder ziehen sich in ihre Volksgruppe zurück. Diese Distanz wird schon zwischen Kindergartenkind und Eltern problematisch. Es entstehen Auffälligkeiten, die ihre Ursachen haben im wachsenden Unverständnis zwischen Kind und Eltern, in der Wahrnehmung des anderen Rollenverständnisses, in der unterschiedlichen Auffassung von Familie und familiärem Zusammenhalt.

Unser besonderes Augenmerk müssen wir im Alltag des Kindergartens auf die Beobachtung der Kinder richten. Wie gehen sie mit den angebotenen Materialien um, was versetzt sie in Staunen oder macht ihnen Ängste? Worin zeigen sie sich besonders geschickt oder ungeschickt? An welche Traditionen sind sie gebunden und durch welche Rituale wird ihr Handeln geprägt? Viele der Kinder erleiden einen Kulturschock. Zuviel stürzt plötzlich auf sie ein. Es ist schwer für sie, das Neue zu begreifen. Und die Eltern? Die Kinder können viele Dinge nicht fragen, denn auch die Eltern sind erst dabei, sich einzuleben. So wird deutlich, dass Elternarbeit den Vorrang haben muss vor den Spezialangeboten für Kinder. Nur so kann es uns gelingen, die Integration von Kindern und Erwachsenen positiv zu beeinflussen. Wir müssen zu vermeiden suchen, dass die Kinder die Eltern nicht mehr ernst nehmen (siehe Fallbeispiel A). Insbesondere Aussiedlerfamilien, die in einem sehr engen Verbund leben, können das nicht verkraften und reagieren dann oft extrem streng oder einfach ungerecht ihren Kindern gegenüber - ein Zeichen ihrer eigenen Überforderung und Hilflosigkeit. So heißt meine Empfehlung an Sie als Erzieherin:

  • Besorgen Sie sich selbst die notwendigen Informationen,
  • treffen Sie Überlegungen zur Elternarbeit und Familienberatung und entwickeln Sie individuelle Konzepte für Aussiedlerfamilien in Ihrem Kindergarten,
  • regen Sie entsprechende Fortbildungen an und bringen Sie dort Ihre Erfahrungen und Fragen ein,
  • beobachten Sie die Kinder und entscheiden dann, ob und welche besonderen Angebote diese brauchen.

Die integrative Arbeit wird Ihnen sicher gelingen, wenn Sie sich Zeit lassen und ausreichend Geduld aufbringen.

1.6.4 Das langzeitkranke Kind

Krankheit gehört zum Alltag des Kindergartens wie Spiel, Feiern, Singen oder Beschäftigungen: Husten, Schnupfen, Masern, Windpocken usw. Es dauert ein paar Tage oder Wochen und dann ist die Krankheit überwunden. Anders bei den langzeitkranken Kindern im Kindergarten. Die Zahl dieser Kinder hat in den letzten Jahren rapide zugenommen. Für den Kindergarten heißt das, dass er sich mit ganz neuen Krankheitsbildern auseinandersetzen muss:

  • Herzkranke Kinder
  • Kinder mit Zuckerkrankheit (Diabetes)
  • Kinder mit Blutungsneigung
  • Kinder mit Erkrankungen der Nieren und Harnwege
  • Kinder mit Anfallsleiden (Epilepsie)
  • Kinder mit Krebs und Leukämie
  • Kinder mit einer Vielfalt von Allergien
  • Kinder mit Asthma
  • usw.

Alle diese Krankheiten sind mehr oder weniger "unsichtbar" und werden deshalb von Außenstehenden oft nicht wahrgenommen.

Beim herzkranken Kind wird einem aufmerksamen Beobachter die Einschränkung der körperlichen Leistungsfähigkeit auffallen. Aber auch das Kind selbst stößt immer wieder an Grenzen und muss sich selbst gegenüber diese verminderte Leistungsfähigkeit eingestehen. Das ist umso schwieriger, je jünger das Kind ist. Das Selbstbewusstsein des Kindes leidet sehr unter den Einschränkungen, was zu Unzufriedenheit, Außenseitertum und mangelnden sozialen Kontakten führen kann. Hinzu kommt, dass überbesorgte und überängstliche Eltern das Kind vor jeglicher Überanstrengung schützen wollen und es verzärteln, überbehüten und schonen. Als einzige Möglichkeit sich zu wehren, bleiben dem Kind Verhaltensveränderungen: Es wird auffällig. Diese Verhaltensauffälligkeiten werden jedoch häufig falsch interpretiert, das Maß der Überbehütung noch verstärkt und so das Kind in eine Sackgasse getrieben. Manche Kinder sondern sich ab, ziehen sich zurück, andere reagieren mit Aggressivität oder versuchen ihren Status durch Strebertum und geistige Leistungen zu verbessern.

Das diabetische Kind befindet sich hinsichtlich der Ernährung in einer Sonderrolle. Eine ganze Reihe kindgemäßer Genussmittel sind ihm versagt. Das Abschlagen eines Stücks Schokolade fällt auch bei strenger Selbstdisziplin schwer. Faulheit lässt sich nur schwer von krankheitsbedingter Antriebsschwäche unterscheiden. Mit Blick auf den pädagogischen Umgang mit diabetischen Kindern spricht man von "eingeschränkter Gesundheit". Wichtig ist jedoch, dass die Erzieherin im Kindergarten regelmäßig über die ärztliche Beurteilung der Stoffwechsellage informiert wird. Erzieherinnen müssen ein zuckerkrankes Kind intensiver beobachten, um bei auftretenden gesundheitsbedingten Verhaltensveränderungen sofort reagieren zu können. Diabetische Kinder müssen in geringen Zeitabständen etwas essen damit eine Unterzuckerung vermieden wird. Die körperliche Belastbarkeit eines Kindes ist von Fall zu Fall verschieden. Daran muss im Kindergarten insbesondere bei Ausflügen gedacht werden. Mit den Kindern der Gruppe muss unbedingt über die andere Ernährung des Diabetikerkindes gesprochen werden. In einem Fall reagierten die Kinder so: "Also meine Mama und ich meinen, dass es für alle Kinder gesund ist, wenn wir nicht zu viele Süßigkeiten essen, sondern mehr Vollkornbrot und Knäckebrot. Das ist doch auch besser für Elli, weil dann braucht sie nicht dauernd zuzuschauen, wenn wir was essen, was sie nicht darf." Die Kinder entwickeln sich zu ausgezeichneten Therapeuten und zeigen großes Interesse an den Ergebnissen von ärztlichen Untersuchungen. Elli berichtet auch immer wieder: "Heute waren die Werte viel besser als beim letzten Mal!"

Kinder mit Blutungsneigung rufen starke Ängste hervor. Es ist ganz wichtig, dass Eltern den Kindergarten frühzeitig über die Blutungsneigung ihres Kindes unterrichten und nicht erst, wenn eine Blutung eingetreten ist. Wenn Erzieherinnen über eine solche Krankheit informiert sind, dann können sie sich bei einer akuten Blutung auch richtig verhalten. Sie können leichter Ruhe bewahren und das Kind beruhigen.

Wird in einer Kindergartengruppe ein "Krampf-Kind" (z.B. bei Epilepsie) betreut, so bedeutet das eine große Verantwortung für die Erzieherinnen. Es ist wichtig, dass im Dialog zwischen Eltern, Kinderbetreuungseinrichtung und behandelndem Arzt klar darüber gesprochen wird, dass Anfälle in der Einrichtung ebenso wie daheim auftreten können und, dass insbesondere aktive Kinder nicht immer so ruhig gehalten werden können, wie es in diesen Fällen wünschenswert wäre. Bei der Gruppe der gesunden Kinder kann ein Anfall große Aufregung und Betroffenheit auslösen. Sie müssen deshalb (ebenso wie die Erzieherinnen) einfühlsam auf mögliche Anfälle ihrer Spielkameraden vorbereitet werden. Sie nehmen dann Absencen auch gleich wahr, können den Erzieher informieren und haben dann Verständnis, dass er sich kurzzeitig ausschließlich um dieses Kind kümmern muss. Besonders wichtig ist auch, dass verhindert wird, dass die Kinder das kranke Kind als dumm oder gestört bezeichnen, wenn es sein Verhalten verändert oder Wissenslücken aufweist. Übertriebene Fürsorge und Ängstlichkeit können für das Kind ebenso schädlich sein wie zu große Sorglosigkeit bzw. Gleichgültigkeit. Wird ein Kind mit Epilepsie in die Gruppe aufgenommen, so muss präventiv die Aufklärung der Gruppe erfolgen. Je besser ein Kind in die Gruppe integriert ist, desto selbstverständlicher wird für die anderen Kinder auch der Umgang mit seinem Krankheitsbild werden.

Es können hier längst nicht alle Krankheitsbilder langzeitkranker Kinder umfassend dargestellt werden. Die Krankheiten gestalten sich so unterschiedlich in ihrer Symptomatik und ihrer Behandlung, dass es für den Kindergarten unerlässlich ist, mit den Eltern des jeweiligen Kindes in einen regen Austausch zu treten und möglicherweise - das Einverständnis der Eltern vorausgesetzt - auch mit dem behandelnden Arzt Kontakt aufzunehmen. In einem Kindergarten, in dem offene, dialogisch ausgerichtete Elternarbeit stattfindet, kann über Langzeiterkrankungen auch mit anderen Eltern gesprochen werden. Häufig entwickeln sich aus solchen Gesprächen intensive Kontakte bis hin zu nachbarschaftlichen Hilfen. So berichtete eine Mutter: "Heike, unser erstes Kind, ist Epileptikerin. Sie wurde mit drei Jahren in den Kindergarten aufgenommen. Ich war froh, dass sie in unserer Kindergartenleiterin eine verständnisvolle Gesprächspartnerin gefunden hatte, der ich auch meine Ängste und Nöte schildern konnte. Als die Krankheit bei Heike festgestellt wurde, war mein Mann sehr betroffen. Richtig reden konnte ich mit ihm nie. Er hat Heike auch wochenlang nicht vom Kindergarten abgeholt, weil ich gegen seinen Willen die Erzieherin informiert hatte. Obwohl wir nur wenige Straßen vom Kindergarten entfernt wohnten - ausschließlich Fußgängerzone - ließ ich Heike nie allein gehen. Der Arzt hatte mir auch dringend abgeraten. Heike drängte mit fünf Jahren natürlich immer mehr auf Selbständigkeit. Obwohl ihre Anfälle nur sehr schwach waren, hatte ich Angst. Heike war glücklich, und ich war stolz auf mein Kind, das nun doch selbständig werden konnte. Dieser Schritt veränderte auch die Reaktionen meines Mannes. Mittlerweile geht Heike zur Schule. Wir haben noch gesunde Zwillinge bekommen. In der Schule achten die Freundinnen und Freunde aus dem Kindergarten auf Heike. Sie haben die Lehrerin - sie wusste zwar schon lange durch uns Eltern Bescheid - informiert und ihr so manche Ängste nehmen können. Ich glaube, in Heikes Fall, sind die Kinder zu echten Therapeuten geworden".

Auf zwei Krankheiten möchte ich noch eingehen, nämlich auf Krebs und Leukämie. Die steigende Zahl krebskranker Kinder verlangt vom Kindergarten, dass er sich mit dieser Krankheit befasst und auch mit den noch immer relativ geringen Chancen der Heilung. Im Zusammenhang mit Krebs müssen das langsame Sterben und der Tod thematisiert werden. Die bösartige Krankheit wird meist ganz plötzlich entdeckt. Da war ein Kind tagtäglich im Kindergarten, fröhlich und vergnügt. Dann erkrankte es an einer Infektionskrankheit. Während des Verlaufs der Krankheit zeigten sich weitere Symptome, und es wurde Leukämie diagnostiziert. Weder das Kind noch die Kindergartengruppe konnten in irgendeiner Form vorbereitet werden. Eine lange dauernde eingreifende Behandlung wurde notwendig. Das Kind spürte die Schwere seiner Krankheit (vor allem durch die Veränderungen und durch die ärztliche Behandlung): Gewichtszunahme durch die Medikamente, Haarausfall als Folge von Bestrahlung oder Chemotherapie. Ein anderes Kind, Peter, ist schon lange krank. Seine Mutter hat den Kindergarten unzureichend unterrichtet und will auch nicht, dass die Erzieherin ihn besucht oder die Kinder ihm schreiben. Der weitere Kontakt sollte Peter erspart bleiben - nach dem der Arzt der Heilung der Leukämie nur wenig Chancen eingeräumt hatte. Dies war eine Entscheidung der Mutter. Wider Erwarten schlug die Behandlung aber gut an, das Kind drängte nach der Entlassung aus dem Krankenhaus wieder in den Kindergarten. "Die mögen mich dort, auch wenn ich keine Haare habe. Die wachsen ja bestimmt wieder. Obwohl, die Kinder haben mir nie geschrieben?! Als ich noch im Kindergarten war, da haben wir kranken Kindern immer geschrieben!" Peter lief bei einem Spaziergang der Mutter weg und rannte in seinen nahegelegenen Kindergarten. Die Aussagen der Kinder: "He, wie siehst Du aus? Bist Du krank? Hast Du Dir eine Platte rasiert?" wurden durch folgende Aussage eines Mädchen relativiert: "Egal, wie Du ausschaust, wir mögen Dich trotzdem, komm wir haben ein neues Spiel." Die Mutter stand sprachlos in der Tür des Kindergartens. Die Erzieherin bat sie in ihr Büro. Nicht immer löst sich ein Problem so einfach ... Das Schicksal von Kindern mit Krebs oder Leukämie kann nur durch eine enge Zusammenarbeit zwischen Eltern, Arzt und Erziehern erleichtert werden. Der Kindergarten ist eine wichtige Lebenswelt für Kinder und der Kontakt zu Gleichaltrigen ist so intensiv und bedeutungsvoll, dass das kranke Kind nicht ausgegrenzt werden sollte. Vielmehr hat der Kindergarten viele Möglichkeiten, langzeitkranke Kinder zu begleiten und ihnen Hoffnung zu geben. Vielleicht gibt die Korrespondenz zwischen einem kranken Kind und seiner Gruppe hierzu Anregungen. Kindergartengruppe an Roland: "Hallo Roland, Deine Mama hat Frau X. gesagt, dass Du lange krank bist, weil die weißen Dinger in Deinem Körper nicht so richtig sind. Aber wir wetten, dass die roten doch stärker sind. Damit Du keine Masern kriegst, können wir Dich nicht besuchen. Klaus hat nämlich Masern oder Röteln oder halt was anderes. Außerdem dürfen wir nicht ins Krankenhaus rein. Drum schreiben wir Dir. Hast Du ein Telefon? Wir rufen dann an. Willst Du alles wissen? Jeder aus der Gruppe darf einen Satz diktieren:

  • Die Tomaten im Garten sind fei schon reif.
  • Das Rädchen hat der Papa von Ingo repariert.
  • In der Bastelkammer gibt es viele neue Pelzchen.
  • Ist Dir schlecht bei Deiner Krankheit?
  • Wenn wir Plätzchen backen, dann schicken wir Dir ein Päckchen.
  • usw.

Es wurde ein Krankheitsbesiegfest gefeiert, wie die Kinder es nannten. Die Freunde im Kindergarten erlebten aber auch die dann wieder zunehmende Verschlechterung von Rolands Gesundheitszustand. Immer häufiger musste er in die Klinik. Eineinhalb Jahre nach dem Erkennen der Krankheit ist Roland gestorben.

Geburt, Leben und Tod sind für Kinder keine Tabuthemen. Erwachsenen macht es die Angst vor dem Tod schwer, darüber zu reden oder gar die Kinder darauf vorzubereiten.

Ich möchte Sie ermuntern, sprechen Sie in Ihrer Einrichtung das Thema Krankheit bei Kindern und Eltern an. Es darf nicht ausgeklammert werden - auch nicht die unheilbare Krankheit.

2. Strukturelles und Organisation rund um den Kindergarten

Auch wenn dieses Kapitel keine sofort erkennbaren direkten Auswirkungen auf den Kindergarten beschreibt, sollen hier dennoch wichtige Informationen zur Struktur rund um den Kindergarten dargestellt werden. Insbesondere in den neuen Bundesländern sind viele dieser strukturellen und organisatorischen Bedingungen noch nicht ausreichend bekannt oder bauen sich dort erst schrittweise auf.

2.1 Trägervielfalt

Im Kindergartenbereich fällt die Trägervielfalt auf, nicht zuletzt begründet im Subsidiaritätsprinzip und dem großen Engagement der freien Wohlfahrtspflege. Das Kinder- und Jugendhilfegesetz definiert die öffentliche Jugendhilfe (Kommunen) als verantwortlich für die Errichtung und den Betrieb von Kindertageseinrichtungen; eine Vielzahl von Einrichtungen liegt in Trägerschaft der Kommunen (in den neuen Bundesländern vor der Wende die Norm).

Das Subsidiaritätsprinzip veranlasst die öffentliche Jugendhilfe vorrangig nach einem freien Träger Ausschau zu halten. So sind ca. 80% aller Kindertagesstätten in den alten Bundesländern in der Hand freier Träger. Träger von Kindergärten können neben den Kommunen die Kirchen, Stiftungen, Personenvereinigungen, Verbände etc. sein. In vielen Bundesländern wird in den Kindergartengesetzen oder -verordnungen die Mitgliedschaft bei einem Spitzenverband vorgeschrieben, wenn ein Kindergarten staatliche Zuschüsse in Anspruch nehmen will. Die Mitgliedschaft bei einem Trägerverband kostet je nach Größe der Einrichtung eine bestimmte Gebühr und bringt viele Vorteile mit sich: Interessenvertretung der Träger gegenüber den Behörden, Unterstützung oder Übernahme bei den Personalkostenabrechnungen, Beratung bei der Personalgewinnung, Fachberatung für die Mitarbeiter in der Einrichtung, Fortbildung für die pädagogischen Mitarbeiterinnen usw. Die Trägervielfalt spiegelt unsere plurale Gesellschaft wider.

Es gibt Eltern, die ihr Kind gerne in einer kirchlichen Einrichtung betreut haben möchten und wählen deshalb einen kirchlichen Kindergarten aus. Andere bevorzugen einen kommunalen Kindergarten oder eine Elterninitiative. Selbst wenn der Träger bestimmte Ziele verfolgt, wird die pädagogische Arbeit letztendlich bestimmt und ausgestaltet von den Erzieherinnen - in der Kooperation mit Kindern und Eltern. Das heißt auch, dass z.B. die religiöse Erziehung in einem kommunalen Kindergarten überzeugender sein kann als in so mancher kirchlichen Einrichtung.

2.2 Verbände

Institutionen der freien Wohlfahrtspflege haben sich zum Zweck des fachlichen Erfahrungsaustausches, der fachpolitischen Meinungsbildung und der politischen Außenvertretung in sechs Spitzenverbänden zusammengeschlossen. Es sind dies:

  • Arbeiterwohlfahrt
  • Deutscher Caritasverband
  • Deutscher Paritätischer Wohlfahrtsverband
  • Deutsches Rotes Kreuz
  • Diakonisches Werk
  • Zentralwohlfahrtsstelle der Juden in Deutschland.

Diese Spitzenverbände sind in der Rechtsform des eingetragenen Vereins organisiert und haben sich zur Bundesarbeitsgemeinschaft der freien Wohlfahrtspflege zusammengeschlossen.

Untergliederungen und Mitgliedsorganisationen der Spitzenverbände sind u.a. in allen Bereichen der Jugendhilfe, Gesundheitshilfe Behindertenhilfe, Altenhilfe und in allgemeinen sozialen Hilfen tätig. Neben den Bundesverbänden bestehen in den Bundesländern Landesverbände und regionale Arbeitsgemeinschaften. Darüber hinaus gibt es Untergliederungen und Mitgliedsorganisationen. Alle Spitzenverbände beschäftigen sich auch mit dem Bereich des Kindergartens. Caritasverband und Diakonisches Werk z.B. haben eigene Landesverbände für Kindertagesstätten und diese beschäftigen Fachberater für die Kindergärten sowie Fortbildungsreferenten für den Bereich der Kindertagesstätten. Die anderen Spitzenverbände haben eigene Abteilungen für Kindergärten bzw. Kinder- und Jugendhilfe.

Neben diesen Trägerverbänden gibt es Berufsverbände bzw. Gewerkschaften für Mitarbeiter aus verschiedenen sozialen Berufen:

  • Erzieherinnen
  • Heilpädagogen
  • Sozialpädagogen

Hier wird die einzelne Person Mitglied - ganz unabhängig von der Zustimmung des Trägers. Jedes Mitglied zahlt einen Mitgliedsjahresbeitrag und erhält dafür z.B. die Mitgliederzeitschrift, Beratung in arbeitsrechtlichen sowie fachlichen Fragen, Teilnahmemöglichkeit an Fortbildungsveranstaltungen, berufspolitische Interessenvertretung etc. Berufsverbände (Gewerkschaften) sind u.a.:

  • Gewerkschaft öffentliche Dienste, Transport und Verkehr - ÖTV
  • Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft - GEW
  • Katholische Erziehergemeinschaft - KEG
  • Deutscher Berufsverband der Sozialarbeiter und Sozialpädagogen e.V. - DBS
  • Berufsverband der Sozialarbeiter, Sozialpädagogen, Heilpädagogen - Vereinigte Vertreter sozialpädagogischer Berufe e.V. - BSH
  • Berufsverband evangelischer Erzieher und Sozialpädagogen Deutschland e.V.
  • Lehrer- und Lehrerinnenverbände - Sektion Kindergärten
  • usw.

Noch immer ist die Zahl der Mitglieder (Erzieherinnen) in den Gewerkschaften - verglichen mit anderen Berufsverbänden - relativ gering. Eine Mitgliedschaft wird von vielen Erzieherinnen für unnötig gehalten oder sie sind erst gar nicht über die Möglichkeiten und Vorteile einer Mitgliedschaft informiert. Viele befürchten auch Probleme mit ihrem Träger, wenn er erfahren würde, dass sie Mitglied in einer Gewerkschaft oder in einem Berufsverband sind. Für jede Erzieherin scheint es dennoch unverzichtbar, sich über die Strukturen und Zielsetzungen des Trägerverbandes, in dem die Einrichtung in der sie arbeitet, Mitglied ist, zu informieren. Das gleiche gilt für Berufsverbände und Gewerkschaften. Nur nach gründlicher Information sollte sie sich eventuell für eine Mitgliedschaft entscheiden.

Eine Erzieherin im Kindergarten muss jedoch auch die wichtigsten Elternverbände kennen, z.B.:

  • Bundeselternrat - BER
  • Deutscher Elternverein e.V. - DEV
  • Bundesvereinigung evangelischer Eltern und Erzieher e.V. - BEE
  • Katholische Elternschaft Deutschlands - KED
  • Eltern für Kinder e.V. - EfK
  • Verband alleinerziehender Mütter und Väter - VAMV
  • Bundesverband neue Erziehung
  • Deutscher Familienverband
  • Familienbund der Deutschen Katholiken
  • usw.

Informationsmaterialien über die Arbeit der einzelnen Verbände sollten im Kindergarten bekannt sein. Im örtlichen Telefonbuch lässt sich feststellen, welche Verbände in der Region vertreten sind.

2.3 Gesetze, Empfehlungen, Verordnungen, Rahmenvereinbarungen für den Kindergarten

Mit dem Inkrafttreten des Kinder- und Jugendhilfegesetzes am 01.01.1991 wurde für den Bereich der Kinderbetreuung - und damit auch für den Kindergarten - eine grundlegend neue gesetzliche Basis geschaffen. Der Dritte Abschnitt "Förderung von Kindern in Tageseinrichtungen und in Tagespflege" regelt in den §§ 22-25 die Grundsätze zur Förderung von Kindern in Tageseinrichtungen, in Tagespflege, die Ausgestaltung des Förderungsangebots, die Unterstützung selbstorganisierter Förderung von Kindern. § 26 legt den Landesrechtsvorbehalt fest. Auf Landesebene können damit Inhalt und Umfang der im Dritten Abschnitt geregelten Aufgaben und Leistungen näher festgelegt werden.

So gibt es in den Ländern der Bundesrepublik Deutschland ganz unterschiedliche Kindergartengesetze, Ausführungsbestimmungen oder Verordnungen, die das Arbeitsfeld Kindergarten samt seinen Raumbedingungen, Personalschlüssel und pädagogischen Inhalten bestimmen. Auf einen Ländervergleich soll hier verzichtet werden. Er hätte aufgrund der augenblicklichen "Bewegung" im Kindergartenbereich auch nur relativ kurze Zeit Gültigkeit.

So will ich hier nur den § 22 wiedergeben, der sozusagen den Rahmen bildet für alle Kindertagesstätten und im Kontext zu den §§ 45 und 80 zu lesen ist. Letztere befassen sich mit der Betriebserlaubnis für eine Einrichtung bzw. mit der Jugendhilfeplanung. Die Festlegung des Bedarfs und damit der Versorgungsdichte mit Plätzen in Kindergärten und anderen Jugendhilfeeinrichtungen ist unverzichtbarer Bestandteil der Jugendhilfeplanung.

"§ 22 Grundsätze der Förderung von Kindern in Tageseinrichtungen
(1) In Kindergärten, Horten und anderen Einrichtungen, in denen sich Kinder für einen Teil des Tages oder ganztags aufhalten, (Tageseinrichtungen) soll die Entwicklung des Kindes zu einer eigenverantwortlichen und gemeinschaftsfähigen Persönlichkeit gefördert werden.
(2) Die Aufgabe umfasst die Betreuung, Bildung und Erziehung des Kindes. Das Leistungsangebot soll sich pädagogisch und organisatorisch an den Bedürfnissen der Kinder und ihrer Familien orientieren.
(3) Bei der Wahrnehmung ihrer Aufgaben sollen die in den Einrichtungen tätigen Fachkräfte und anderen Mitarbeiter mit den Erziehungsberechtigten zum Wohl der Kinder zusammenarbeiten. Die Erziehungsberechtigten sind an den Entscheidungen in wesentlichen Angelegenheiten der Tageseinrichtung zu beteiligen."

Oft wird der Jugendhilfe nachgesagt, dass sie die Bildung der Kinder nicht ausreichend berücksichtigen würde und der Kindergarten deshalb besser dem Bildungsbereich zugeordnet werden sollte. Das KJHG geht jedoch in seinem § 22 ausdrücklich von der Aufgaben-Dreiheit aus: Die Aufgabe des Kindergartens umfasst die Betreuung, Bildung und Erziehung der Kinder. Dabei soll das Leistungsangebot sich pädagogisch (Bildung und Erziehung) und organisatorisch (Betreuung, Öffnungszeiten, Gruppengröße, Standort etc.) an den Bedürfnissen der Kinder und ihrer Familien orientieren.

Auch der Elternverantwortung trägt das KJHG Rechnung und weist in seinem Ersten Kapitel in den §§ 1 und 2 ausdrücklich auf das Recht auf Erziehung, die Elternverantwortung und die Aufgaben der Jugendhilfe hin.

Das KJHG erschließt mit seinen Vorschriften für die Kindertagesbetreuung auch dem Kindergarten einen guten Rahmen, der der landesrechtlichen Ausgestaltung viele Spielräume lässt. Es ist zu hoffen, dass diese erkannt und die Chance zur Ausgestaltung auch genützt wird. Die Umsetzung liegt dann letztendlich in der Hand der öffentlichen und freien Jugendhilfe.

Die Qualität der Arbeit und der Vollzug der Aufgaben-Dreiheit - nämlich Betreuung, Bildung und Erziehung - hängt jedoch letztlich ab von der Ausgestaltung des Kindergartenalltags durch die Erzieherinnen, Kinder, Eltern, aller Menschen, die den Lebensbereich Kindergarten mitgestalten und lebendig machen.

2.4 Kindergarten und Arbeitsmarkt

Mit der steigenden Berufstätigkeit der Frau, dem wachsenden Interesse an Berufsausbildung oder Studium und dem Wunsch nach eigener (beruflicher) Lebensplanung außerhalb der Familienaufgaben, kommen Kinderbetreuung (-garten) und Arbeitsmarkt in ein neues (Spannungs-) Verhältnis. Nicht zuletzt hat sich auch der grundsätzliche Wunsch nach mehr Betreuung außerhalb der Familie sehr verstärkt. Die Situation in den neuen Bundesländern, dass zu DDR-Zeiten für jedes Kind ein Betreuungsangebot zur Verfügung stand, hat dazu sicher auch noch beigetragen. Allerdings zeichnet sich in den neuen Bundesländern aufgrund der angespannten Finanzsituation in den Länderhaushalten sowie im Bundeshaushalt die Schließung mancher Einrichtung ab und führt zu einem Rückgang der Betreuungsdichte.

Die Diskussion um die Vereinbarkeit von Familie und Beruf hat den Kindergarten in ein neues Licht gerückt. Zwar wird der Kindergarten bundesweit als ein familienunterstützendes und -ergänzendes Angebot verstanden, doch lässt sich Vereinbarkeit von Familie und Beruf nur verwirklichen, wenn ausreichend Plätze vorhanden sind. Die Versorgung in der BRD variiert jedoch zwischen 50% und 100%. Oftmals scheinbar hohe Versorgungsquoten erweisen sich bei näherer Betrachtung als nicht haltbar. So werden nicht selten Krabbelstuben oder Mutter-Kind-Gruppen (mit ein- bis zweimal wöchentlichen Treffen) mitgezählt, ebenso wie sogenannte Wechselgruppen (eine Gruppe am Vormittag, eine andere am Nachmittag), die einen ganztägigen Besuch des Kindergartens für die Mehrzahl der Kinder von vorneherein ausschließen.

Eine Arbeitsgruppe der Obersten Landesjugendbehörden (Länderministerien) befasste sich im Zusammenhang mit dem Rechtsanspruch auf Kinderbetreuung mit der Versorgungssituation. Man ist übereingekommen, dass erst ab einer Öffnung von mindesten 15 Stunden pro Woche ein Angebot in die Bedarfsplanung einbezogen werden kann. Ebenfalls Berücksichtigung finden müssen andere Formen der Kinderbetreuung für Kinder zwischen 3 Jahren und dem Schuleintritt. Hier gibt es erhebliche Länderunterschiede und eine Vielzahl von Formen: Kinderhäuser, Schulkindergärten, Vorklassen, heilpädagogische Tagesstätten, schulvorbereitende Einrichtungen nach dem Sonderschulgesetz, Pflegenester, Tagespflege, Elterninitiativen u.ä.

Mit einem pluralen Angebot lassen sich die Wünsche der Mütter/ Väter aber ebenso die Bedürfnisse des Arbeitsmarktes am ehesten befriedigen. Ein/e vollzeitberufstätige/r, alleinerziehende/r Mutter/ Vater kann im Ganztagskindergarten die adäquate Betreuungsform finden, ein/e Mutter-Vater, die nur an zwei Vormittagen erwerbstätig ist, z.B. in einer Elterninitiativeinrichtung, bei der sie sich in der "berufsfreien" Zeit an der Ausgestaltung der Kinderbetreuung selbst aktiv beteiligen kann. Bei aller Pluralität muss allerdings immer darauf geachtet werden, dass im Sinne einer rechtverstandenen Jugendhilfeplanung die Angebote in einer Kommune vorhanden sind, die auch wirklich gebraucht werden. So scheint es unwahrscheinlich, dass die Bedürfnisse von Familien mit einem ausschließlichen Halbtagsangebot abgedeckt werden können.

Leider nimmt der Arbeitsmarkt auf die Situation von Familien noch ungenügend Rücksicht bzw. reagiert nicht durch die notwendige Flexibilität in der Arbeitszeitgestaltung. Vielerorts werden Betriebskindergärten eingerichtet. Sie orientieren sich mit ihren Öffnungszeiten in erster Linie an der Arbeitszeitregelung des Betriebes. So ist es nicht außergewöhnlich, dass Kinder schon um 6.00 Uhr morgens (in Einzelfällen noch früher) dort abgegeben und bis spät abends betreut werden. Selbst Betreuung über Nacht wird mancherorts schon diskutiert. Leider werden die Bedürfnisse des Kindes hinten angestellt. Mit dem Abbau von Arbeitsplätzen verschärft sich die Situation insbesondere für Frauen und ihre Forderungen/ Wünsche nach flexibler Arbeitszeitgestaltung findet kaum Berücksichtigung. Mit etwas gutem Willen ließen sich jedoch akzeptable Lösungen finden, die meist nicht zum Schaden der Arbeitgeber wären, sondern vielmehr zu mehr Berufszufriedenheit und damit erhöhtem Engagement bei Arbeitnehmern führen würden.

Hier wird es noch viele Gespräche, Überlegungen und Verhandlungen geben müssen, um für beide Seiten adäquate und akzeptable Lösungen zu finden. Viele positive Beispiele zeigen, dass es ein für beide Teile befriedigender und am Wohl des Kindes ausgerichteter Weg möglich macht, arbeitsmarktpolitischen, frauenpolitischen und jugendhilfepolitischen Interessen zu entsprechen.

3. Der Kindergartenalltag

Dem Kindergartenalltag in seiner Gesamtheit wird in pädagogischen Theorien bzw. in Veröffentlichungen zur Kindergartenpädagogik nicht ausreichend Rechnung getragen. Einer Vielzahl von Einzelaspekten wird Aufmerksamkeit gewidmet, eine integrative Pädagogik, die die Situation aller Menschen rund um und im Kindergarten gleichermaßen berücksichtigt, fehlt. So werden teilweise kognitive Förderung und Bildung überbewertet, lebenspraktische Übungen vernachlässigt, das soziale Umfeld zu wenig miteinbezogen, Elternarbeit nicht im notwendigen Ausmaß berücksichtigt. Gerade zu letztem Punkt wird häufig die Meinung vertreten, dass man Eltern sowieso nicht für die Mitarbeit gewinnen könnte. Eine Befassung mit dem Kindergartenalltag verlangt aber nach einer Analyse der Bedürfnisse der Kinder und ihrer Familien ebenso, wie nach Wegen zur Umsetzung einer kindgemäßen Pädagogik und der Berücksichtigung der verschiedensten Aspekte des Tagesablaufs. In den folgenden Kapiteln will ich deshalb versuchen, diese vielfältigen Aspekte aufzuzeigen. Da Mittelpunkt im Kindergarten natürlich das Kind sein muss, gelten die folgenden Ausführungen zuerst dem Kind im Kindergarten, seiner Vorbereitung auf den Kindergarten, dem Übergang von der Familie in den Kindergarten, dem Spiel, den Förderangeboten usw.

3.1 Blick auf die Neuen

Für den Kindergarten wiederholt sich jedes Jahr ein Wechsel in den Gruppen. Ein Teil der Kinder wird eingeschult und die dadurch freiwerdenden Plätze können neu besetzt werden. Ein jährlicher Wechsel bis zu ca. 30-50% der Gruppenmitglieder ist also vorprogrammiert, Gruppengemeinschaft mit denselben Kindern kann also immer nur über einen Zeitraum von höchstens einem Jahr gestaltet werden. Einzelne Kinder wechseln auch unterm Jahr die Einrichtung (z.B. Wegzug) und einzelne kommen neu hinzu. Für die Pädagogik des Kindergartens bedeutet diese Tatsache, dass auf die Gestaltung bzw. die Begleitung von Gruppenprozessen besonderes Augenmerk gerichtet werden muss. Der Wechsel der Kinder bringt für die Gruppe neue Rollenzuweisungen, verändert den Status einzelner Kinder und die Gruppenzugehörigkeit zur Gruppe der "Kleinen", der "Mittleren", der "Großen". Diese Fakten bleiben nicht ohne Auswirkungen auf die Gestaltung des Gruppenlebens, auf die Didaktik des Kindergartens und seine Pädagogik, auf die Alltagsgestaltung mit Spiel und Förderangeboten, auf das Team der Erzieherinnen, aber auch auf die Elternarbeit. Für die Mitarbeiter und Kinder im Kindergarten ist es deshalb eine unverzichtbare Aufgabe, den "Blick auf die Neuen" zu richten.

Bleiben wir zuerst bei den Kindern. Die "Großen" werden den Kindergarten verlassen und Plätze freimachen. Bei vielen Kindern sind sich die Erzieherinnen sicher, dass der richtige Zeitpunkt für die Einschulung erreicht ist. Bei manchen Kindern kommen Zweifel auf. Doch meist setzen sich die Eltern mit ihren Vorstellungen durch: "Es wird Zeit, daß mein Kind jetzt in die Schule kommt. Es muss richtig gefördert werden. Nur immer diese Spielerei. Damit muss jetzt Schluss sein", hört man nicht selten aus dem Mund von Eltern. Ob diese Eltern die Möglichkeiten und die Vielfalt der Kindergartenarbeit während der drei Jahre, die ihr Kind den Kindergarten besucht hat, überhaupt begriffen haben?

Den Blick auf die Neuen werfen heißt, dass wichtige Aufklärungsarbeit zur Klarstellung der vielen Missverständnisse um die Inhalte der Kindergartenarbeit bei Eintritt in den Kindergarten unverzichtbar wird. Die im Kindergarten verbleibenden Kinder bedürfen einer Vorbereitung auf die Neuen und Unterstützung beim Hineinwachsen in ihre neue Rolle. Ideal wäre es, wenn die verbleibenden Kinder ein bis zwei Wochen alleine mit ihren Erzieherinnen zusammen sein könnten. Die Großen sind schon weg, die neuen "Kleinen" noch nicht da. Sie könnten dann Abschied nehmen von ihrem alten Status und einfach einen Schritt nach vorne nehmen. Warum ist dies so wichtig? Wenn die Neuen kommen, wird der Rest der alten Gruppe mit weniger Aufmerksamkeit und Zuwendung durch die Erzieher rechnen müssen. Dabei hätten sie jedoch soviel zu berichten: Erlebnisse aus den Ferien, von einer Reise oder Stadtranderholung usw. Sie möchten aber z.B. auch die neue Erzieherin oder Praktikantin kennen lernen und ihr den Kindergarten erklären. Gemeinsam könnte dann der Einstieg für die "Neuen" geplant werden. Die Kinder könnten Aufgaben übernehmen und so den Erzieherinnen den Rücken freihalten für Beobachtungen, Elterngespräche, Kinder, die sie ganz besonders brauchen. Einige Kinder beschreiben die Vorbereitung und den Einstieg (Maria 4 Jahre, Simon und Manuela 5 Jahre):

Maria: "Endlich bin ich dann nicht mehr klein! Dann suche ich mir eine kleine Freundin und der helfe ich dann und zeige ihr alles."

Simon: "Jedenfalls müssen wir den Neuen erst mal alles zeigen: wo die Spielsachen sind, die Scheren, die Bastelkammer und halt alles so und alle Zimmer."

Manuela: "Aber am wichtigsten ist doch, dass wir freundlich sind und die Neuen mögen, auch wenn sie was kaputt machen oder eben gar noch nicht können. Bestimmt haben einige von ihnen Angst, dass sie alleine im Kindergarten bleiben müssen. Wo sollen sie auch herwissen, wie Kindergarten ist? Wir können es ihnen aber sagen, weil wir den Kindergarten halt schon so lange kennen".

Warum also nicht die Kinder als "pädagogische Mitarbeiter" im Kindergarten einsetzen?

3.2 Der Übergang von der Familie in den Kindergarten

Dies ist ein Thema, das in der Elternliteratur aber auch in Fachbüchern zur Kindergartenarbeit noch viel zu wenig Berücksichtigung bzw. Beachtung gefunden hat. Dennoch bedeutet der Schrift in den Kindergarten einen ganz wesentlichen Einschnitt im Leben von Kindern und Eltern. Für beide ist es eine Loslösung voneinander für einen Teil des Tages, eine Trennung und Aufbau einer Beziehung zu einer dem Kind bisher fremden erwachsenen Person (Erzieherin). Wie lässt sich ein solcher Übergang von der Familie in den Kindergarten vorbereiten?

  • Der Kindergarten bietet die Möglichkeit an, dass Kinder schon vor dem Eintritt in den Kindergarten ein- bis zweimal wöchentlich mit Mutter/Vater für einige Stunden zum Spielen kommen können.
  • Das Kind kann bei Veranstaltungen seine neuen Spielkameraden und Freunde kennen lernen.
  • Das Kind kann seine künftigen Erzieherinnen kennen lernen bei Besuchen oder speziellen Spielstunden für "Neue".
  • Bei Besuchen im Kindergarten kann sich das Kind mit den Räumlichkeiten und dem Weg zum Kindergarten rechtzeitig vertraut machen.
  • usw.

All dies ist jedoch nur möglich, wenn der Kindergarten sein Konzept öffnet und den Übergang von der Familie in den Kindergarten wirklich ernst nimmt.

Übergänge sind immer wichtige Einschnitte im Leben eines Menschen. Sie können ihn weiterbringen, aber auch Entwicklungen erst einmal stoppen bzw. ihren Fortgang verzögern, ihn aus dem Gleichgewicht bringen. Übergänge vom Kindergarten zur Schule oder von der Grundschule zum Gymnasium, werden heute weit mehr beachtet, wie beispielsweise der Eintritt in den Kindergarten oder der Übergang ins Berufsleben/Berufsschule.

Bis zum Eintritt in den Kindergarten hat sich die kindliche Sozialisation überwiegend im familiären Raum vollzogen. Das Kind hat viele Dinge erfahren und gelernt - allerdings heute überwiegend in der Situation als Einzelkind im Umgang mit Erwachsenen. Nun gilt es das Gelernte und alle frühkindlichen Erfahrungen einzubringen in das Sozialisationsfeld Kindergarten, in die Gruppe mit gleichaltrigen und älteren Kindern. Hinzu kommen Erzieherinnen als "fremde Erwachsene", die längst nicht zeitlich in dem Maße zur Verfügung stehen, wie vielleicht vorher die Mutter. Viele Kinder müssen sich die wenigen Erwachsenen "teilen" und damit auch deren Aufmerksamkeit, Zuwendung, Zeit usw.

"Um die Auswirkungen, resultierend aus den unterschiedlichen Sozialisationsfeldern, verdeutlichen zu können, scheint es notwendig, im folgenden einige wesentliche Unterscheidungsmerkmale der Institution Familie und Kindergarten näher darzustellen: Die Familie ist eine Subkultur eigener Art, die Erwartungen, Normen und Werte der Kultur, sowie der Tradition, nie direkt, sondern gleichsam durch den Filter der Familie vermittelt. Die Mitglieder der Familie leben in einer Hausgemeinschaft zusammen, die relativ viele Daseinsbereiche menschlichen Lebens umfasst. Ein besonderes Merkmal der Familie ist die vorwiegend affektive Beziehung der Familienmitglieder untereinander. Gefühle jeglicher Art können im Familienverband frei und ungeniert gezeigt und artikuliert werden. Man kann auch damit rechnen, dass die geäußerten Gefühle mit gleicher Intensität erwidert werden. Der Kindergarten dagegen ist eine öffentliche Institution mit einem speziellen familienergänzenden Auftrag. Der Kindergarten will vordergründig ein Ort sein, an dem das Kind eine umfassende Betreuung und Förderung erhält. Durch seinen Bildungs- und Erziehungsauftrag ergibt sich zwangsläufig, dass die Beziehungen, Lebens- und Umgangsformen im Kindergarten eine andere Intensität und Qualifikation haben als in der Familie" (Berger, Der Übergang von der Familie zum Kindergarten, München 1986, S. 19).

Der Erzieherin kommt eine unverzichtbare Vermittlerrolle zu. Sie kann den Kindern den Übergang erleichtern, wenn sie z.B. rechtzeitig mit den neuen Eltern (einige Wochen vor Eintritt in den Kindergarten) den Übergang vorbereitet und ihnen Hilfestellungen gibt, Fragen und eventuell auftretende veränderte Verhaltensweisen der Kinder diskutiert. Zwischen Eltern und Erziehern baut sich so schon ein positiver Kontakt auf - der erste Schritt, wenn eine familienergänzende Erziehung gelingen soll. Bei Befragungen von Erzieherinnen zur Frage des Übergangs von der Familie zum Kindergarten fällt auf, dass ein hoher Prozentsatz der Erzieherinnen keine Besonderheiten oder Probleme zu nennen weiß, und vielmehr die Auffassung vertritt, dass sich das schon "regeln" würde.

"Erziehung im Kindergarten ist primär ein zwischenmenschlicher Prozess; folglich müssen nicht nur das Kinderverhalten beobachtet und reflektiert werden, sondern in gleichem Maß das Erzieherverhalten. Das Verhalten des Kindes während des Übergangs und die Reaktionen des Erziehers darauf, sind als Bedingungen im pädagogischen Prozess der Übergangszeit zu erfassen" (Berger, Der Übergang von der Familie in den Kindergarten, München 1986, S. 34).

So können Übergangsprobleme nicht nur mit dem Kind oder den Eltern zu tun haben, sondern auch mit den Erziehern. Da spielt z.B. die Haltung einer Erzieherin, dass sie das Eintrittsalter von 3 Jahren für zu früh hält, eine wichtige Rolle im Umgang mit dem neuen Kind. Sie sieht ihre Aufgabe im wesentlichen in der Förderung der Vorschulkinder (fast im Sinne einer Vorklasse) und findet so nur sehr schwer Zugang zur Spiel- und Lernwelt der Kleinen. Beim Übergang von der Familie zum Kindergarten spielt auch der Begriff der "Kindergartenreife" oder "Kindergartenfähigkeit" eine wesentliche Rolle. Erinnern wir uns, als vor wenigen Jahren die damalige Bundesjugendministerin, Frau Professor Lehr, eine Öffnung des Kindergartens nach unten, für Zweijährige, anregte. Kritik, Widerstände, pädagogisch schwache Argumente machten sich breit. Heute, wenige Jahre danach, propagieren wir das Kinderhaus. Hier können Kinder vom Säuglingsalter bis ins Schulalter gemeinsam betreut werden. Wie geht dies zusammen?

Die pädagogische Arbeit in Kinderbetreuungseinrichtungen muss sich ausrichten an den ganz individuellen Gegebenheiten einer Einrichtung und muss als Folge der Unterschiedlichkeit der Kinder und der Kindergärten von einem Kindergarten zum anderen variieren.

3.3 Bring- und Abholzeit

Die wachsende Berufstätigkeit von Müttern und der Wunsch nach Vereinbarkeit von Familie und Beruf blieb nicht ohne Auswirkungen auf die Öffnungszeiten und auf die Personalsituation in den Kindergärten. Leider steht in den meisten Einrichtungen mit sogenannten Ganztagsgruppen - aber Öffnungszeiten zwischen 6 und 10 Stunden - die gleiche Zahl an Mitarbeitern zur Verfügung. Oft wird argumentiert, dass es auch nicht notwendig sei, dass wegen der paar Kinder am frühen Morgen oder am Abend Fachpersonal anwesend sein müsse. Ein Notdienst täte es auch, denn wichtig sei es, dass in den Kernzeiten das Erzieherteam vollständig sei, wegen der vorschulischen Förderung. Auf die Anwesenheit einer Stammkraft kann jedoch nicht verzichtet werden!

Die Bring- und Abholzeit ist für die pädagogische Arbeit des Kindergartens von besonderer Bedeutung. Gerade bei berufstätigen Müttern/Vätern bietet sie die Chance für das Gespräch mit der Erzieherin. Am Morgen nimmt die Erzieherin das Kind in Empfang, begleitet es in den Tag. Sie erhält z.B. wichtige Informationen von der Mutter:

  • Karin hat heute Nacht ganz schlecht geschlafen.
  • Peter hatte einen Alptraum, er kam tränenüberströmt zu uns ins Bett.
  • Mein Mann hat uns gestern verlassen.
  • Ich glaube Carla wird krank.
  • Heute hat Susi ganz schrecklich getrödelt. Sie weiß doch, dass ich es eilig habe. Mir scheint sie tut das extra.
  • Karin wird Ihnen heute viel erzählen. Wir waren gestern auf dem Bauernhof.

Scheinbar unwichtig diese Informationen? Nein, sie kommen aus der Lebenswelt des Kindes. Die Ereignisse werden ganz wesentlich das Verhalten des Kindes im Kindergartenalltag bestimmen. Wenn ich als Erzieherin diese Informationen bekommen habe, dann kann ich mich ganz anders auf das Kind einstellen und auch bei meinen sogenannten Förderangeboten besser auf das Kind eingehen. Was hilft mir die beste didaktische Einheit, wenn ich ein übermüdetes Kind immer wieder zur Mitarbeit ermahnen oder einen Störenfried zurechtweisen muss. Hätte ich die Gründe für das Verhalten gewusst, so hätte ich vielleicht anders reagiert bzw. für dieses Kind eine andere Aktivität ausgewählt oder ihm einfach eine Ruhepause gegönnt (Rückzugsmöglichkeit eingeräumt).

Ende des Kindergartenalltags. Die alleinerziehende Mutter holt ihr Kind ab. Sie freut sich, dass sie im Kindergarten ein paar Minuten verschnaufen und sich mit einer anderen, auch berufstätigen Mutter, austauschen kann. Die Erzieherin gesellt sich dazu und erzählt über den Tagesablauf. Die Kinder freuen sich, ihren Müttern alles zeigen zu können, was sie gebaut, gemalt oder gebastelt haben. Solche Elterngespräche und -begegnungen sind ein wichtiger Baustein im Gesamtkonzept der Elternarbeit und können durch Elternabende, Sprechstunden oder Elternsprechtage nicht ersetzt werden.

Natürlich ist es unverzichtbar, dass eine Mitarbeiterin aus der Kindergartengruppe zugegen ist, jemand, der den Tag über mit dem Kind gelebt hat (aber nicht alle Mitarbeiter).

Bei der Konzepterstellung bzw. -entwicklung in einem Kindergarten sollte deshalb mehr als bisher auch die Bring- und Abholzeit ins Blickfeld einer ganzheitlichen Kindergartenpädagogik gerückt werden.

3.4 Erste Spielzeit - das Freispiel

In der Vergangenheit unterschied der Kindergarten die sogenannte Freispielzeit von der Zeit für gezielte Beschäftigungen und Förderangebote. Von dieser Begrifflichkeit wurde weitestgehend abgerückt; häufig werden dafür heute die Bezeichnungen 1. Spielzeit und 2. Spielzeit gewählt. In beiden Spielzeiten geht es letztlich um "Beschäftigung" von und mit Kindern, deren Betätigungsdrang aber auch Zurückhaltung und deren Neugierverhalten.

Betätigungsdrang meint den inneren Antrieb des Kindes zum Tun, aus dem Wunsch heraus, selbst aktiv zu werden. Die Motivation, die den Betätigungsdrang der Kinder ganz besonders fördert, resultiert aus dem Neugierverhalten, das jedem Kind eigen ist - auch dem behinderten Kind. Die ganz besondere Bedeutung dieses Neugierverhaltens liegt u.a. auch darin, dass das Kind ohne Anleitung durch ältere Kinder oder Erwachsene sein Wissen, seine Körperbeherrschung und seine motorischen Fähigkeiten erweitert, sowie den Gebrauch seiner Sinne übt. Neugierverhalten ist also ein entwicklungsförderndes Element. Natürlich können wir im Kindergarten ganz wesentlich diese Entwicklung unterstützen, wenn wir Neugierverhalten zulassen und es gleichzeitig auch fördern. Das fordert allerdings uns Erzieher:

  • Wir müssen uns zurücknehmen, warten und zuschauen (beobachten) können (vielleicht müssen wir dies auch erst wieder lernen?).
  • Wir müssen es zulassen, dass Kinder mit Materialien auch experimentieren und so selbst - ohne Zutun von uns Erwachsenen - Entdeckungen und Erfahrungen machen können.
  • Wir müssen Anreize schaffen, die Neugier herausfordern bzw. Kinder motivieren, Lösungen selbst zu finden, auch dann, wenn der andere Weg, ihnen zu helfen oder ihnen etwas vorzugeben, weniger anstrengend für uns wäre.
  • Wir müssen als Erwachsene "fremde", kreative Lösungen und Interpretationen akzeptieren, wenn sie das Wohl der Kinder und das soziale Zusammenleben in der Gruppe nicht gefährden oder stören.

Der Raum für den Betätigungsdrang und die Entwicklung des Neugierverhaltens im Kindergarten ist in erster Linie das (freie) Spiel oder die 1. Spielzeit. Kreativitätsentwicklung in Verbindung mit Lernen im Spiel ist aber keineswegs ein neuer Gedanke in der Kindergartenpädagogik. Bereits Mitte des vergangenen Jahrhunderts schrieb Friedrich Fröbel an Gräfin Therese von Brunswik: "Kinderspiel ist keineswegs ein nichtiges, gehalt- und fruchtloses Zeitvertreiben, nicht ein zufälliges ungeordnetes Leben und Bewegen, keineswegs ein Nichtlernen, sondern vielmehr ein ununterbrochenes Lernen, aber am, vom und im Leben selbst. Das Gelernte geht hier sogleich wieder ins Leben über, ohne Gegenstand an sich zu werden; damit unterscheidet sich dieses Lernen von der Schule".

Obwohl die Bedeutung des Betätigungsdranges und des Neugierverhaltens in der Geschichte der Elementarpädagogik immer wieder erkannt wurde, setzten sich überlastig kognitive Ansätze und Modelle bis heute immer wieder durch. Erinnern wir uns nur an die Vorschulbewegung mit Arbeitsmappen, die Frühlesebewegung und den mit Förderangeboten total verplanten Kindergartenalltag. Es gab die Zeit der antiautoritären Erziehung und der Kinderläden, die Renaissance der Fröbel-Pädagogik, die neue Aktualität der pädagogischen Gedanken Maria Montessoris, den Situationsansatz mit all seinen verschiedenartigen Sichtweisen und Erklärungsmodellen bis hin zu einer im weitesten Sinne "integrativen Kindergartenpädagogik", einer aktuellen Pädagogik für unsere Kinder in einer veränderten Gesellschaft und einem veränderten familiären Umfeld.

Sollte die Form einer "integrativen Pädagogik" je in breitem Sinne verwirklicht werden, würden wir Ansätze aus allen sogenannten "pädagogischen Wellen" wiederfinden.

Eine der wichtigsten Aufgaben im Kindergartenalltag ist die Beobachtung des Kindes. Ihre Ergebnisse bilden die unverzichtbare Basis für die Ausgestaltung jeglicher Förderangebote. Die 1. Spielzeit - das sogenannte Freispiel - bietet dazu die beste Möglichkeit. Das Freispiel ist überhaupt der Teil des Kindergartenalltags, auf den auf keinen Fall verzichtet werden kann! Der Gruppenraum ist ausgestattet mit Spiel- und Beschäftigungsmaterial vielerlei Art. Je nach dem, wie die Dinge "angeboten" werden bzw. wie sie dem Kind visuell und praktisch zugänglich gemacht werden, wird entschieden, was Kinder auswählen. Es hängt insbesondere davon ab, inwieweit die Dinge für die Kinder sichtbar sind, ob die Kinder diese Materialien selbst holen können oder die Erzieherin vorher vielleicht um Erlaubnis fragen müssen. Wie wir als Erzieher die 1. Spielzeit vorbereiten, wird größten Einfluss darauf haben, inwieweit die Kinder kreatives Verhalten entwickeln und entfalten können. Entspricht die Umgebung den Bedürfnissen der Kinder, dann wird jedes Kind etwas finden, womit es gerne spielt, etwas, das Anreize für eigene Aktivitäten gibt. Das Kind wird dann zu ausdauerndem Spiel motiviert, zu Spielen, die ihm das Alleinsein ebenso ermöglichen, wie die Aktivität mit anderen. Warum aber fällt es gerade in der 1. Spielzeit einer Erzieherin so schwer, sich zurückzunehmen und den so notwendigen "Kreativ-Spielraum" zuzulassen? Kinder haben bei ihren Tätigkeiten andere Zielsetzungen wie die Erwachsenen. Die für uns zweckgebundene Tätigkeit ist für Kinder oft ein Spiel mit vielen Möglichkeiten und hohem Motivationscharakter. Aus den Beobachtungen kann die Erzieherin Angebote für die 2. Spielzeit entwickeln und selbst Impulse - z.B. für Veränderungen im Gruppenraum - bekommen, also von den Kindern lernen. Im Freispiel braucht das Kind deshalb Materialien, mit denen es experimentieren kann und darf. Um frei einen Kreis aus einem Blatt Papier zu schneiden, braucht es vielleicht vier bis fünf Versuche, das heißt, also auch vier oder fünf Blätter. Dann hat es das Kind (alleine) geschafft, ist stolz auf seine Leistung und gleichzeitig motiviert für die nächste Tätigkeit. Die Förderung kreativen Tuns in der 1. Spielzeit erfordert von Erzieherinnen also vor allem

  • Geduld und Zeit zur Beobachtung,
  • an den Bedürfnissen der Kinder ausgerichtete Materialien,
  • ein Beobachten der Aktivitäten der Kinder,
  • Erkennen und Anerkennen neuer und anderer Problemlösungsschritte,
  • Bereitschaft und Offenheit, um von Kindern zu lernen,
  • Mut, selbst kreativ tätig zu werden und mit Alltagsmaterialien zu experimentieren.

Damit dies alles möglich ist, darf auch die Rumpel- und Bastelkammer in keinem Kindergarten fehlen. Sie birgt unverzichtbare Schätze für Kinder. Wer richtet eine solche ein? Kinder, Eltern und Erzieher helfen zusammen. Die Bastelkammer, in der überwiegend sozusagen "wertloses" Material zu finden ist, weckt das Neugierverhalten ebenso, wie sie ein Mittel zur Schulung des planerischen und vorausschauenden Denkens ist. Alle Materialien darin setzen Impulse, regen kreatives Tun an, sind sogar anregend für einfallslose Erzieher. Dem Besuch und der Auswahl in der Bastelkammer folgt meist das Spiel oder das Experiment mit den neuen Fundsachen...

Wie beschreiben Kinder dieses Reich der Schätze? "Alles, was man braucht, gibt es da, die tollsten Sachen der Welt. Wir haben mindestens 20 Sorten von Papierröhren und Berge von bunter Wolle und Holzklötze und Sägemehl. Muscheln und tolle Steine gibt es fast nur nach dem Urlaub. Schächtelchen gibt es mindestens eine Million Sorten und viele alte Zeitungen. Da kann man ganz schön viel damit machen. Und wenn ich keine Idee habe, dann gehe ich einfach in die Bastelkammer, da fällt mir immer etwas ein".

Nach Einrichtung und Eröffnung einer Bastelkammer kann es dazu kommen, dass die Kinder tagelang alle Spiele stehen lassen und sich nur mit den Alltagsmaterialien beschäftigen. Das macht nichts, kein Lernverlust, sie lernen eine Menge in diesem Spiel und ihre Experimentierlust kann gestillt werden.

Es gibt aber noch vielmehr Möglichkeiten für die 1. Spielzeit. Da ist z.B. die Bilderbuchecke. Viele Bücher gibt es da. Doch über Nacht werden Kartonstücke mit Löchern in die Bücher geschmuggelt. Mal ist es ein rundes Loch, mal ein rechteckiges Loch, mal ist es groß, mal ist es klein. Großes Staunen bei den Kindern und (hoffentlich) Zurückhaltung bei den Erziehern am nächsten Morgen. Ein Kind hat entdeckt, dass man durch das Loch die Bilder ganz anders sehen kann: "Da sieht man nur ein klitziges Schnippelchen von einem Bild. Es ist, wie wenn man durch ein kleines Fenster schaut. Wenn man das Bild vorher nicht ganz gesehen hat, dann kann man ein Rätsel davon machen. Dann tut man den Karton weg und kann alles sehen. Toll!"

Die Kinder brauchen den Erzieher nicht zu dieser Aktivität. Mit dem Bereitstellen des Lochkartons hat er erst einmal seine Aufgabe erfüllt. Die Kinder werden durch diese Art der Bildbetrachtung zu allerlei motiviert:

  • Sie werden munter losreden und ihre Entdeckungen zu verbalisieren suchen, ohne dass wir sie dazu auffordern müssen,
  • sie lernen, genau zu beobachten und Zusammenhänge herzustellen,
  • sie gehen auf Entdeckungsreise und werden motiviert, konzentriert viele Bilder auf diese Weise zu betrachten,
  • sie kommen in ihrer Betrachtungsweise vom Detail zum Ganzen oder umgekehrt,
  • sie denken Bilder weiter und können dann selbst überprüfen, ob ihre Vermutungen richtig waren,
  • sie werden sich den Kindern und den Erwachsenen voller Begeisterung mitteilen,
  • usw.

Wenn die Erzieherin diese Aktivitäten beobachtet, so wird sie "ihre" Kinder auf eine ganz neue Art und Weise kennen lernen und selbst neue Erkenntnisse gewinnen.

Viel Außergewöhnliches brauchen die Kinder im Freispiel. Auch die Klamottenkiste für freie Verkleidungsspiele darf nicht fehlen. Manche Kinder werden sich jeden Morgen sofort verkleiden und dann in "neuer Rolle" ganz gewöhnlichen Spielen nachgehen. Sie fühlen sich in der Verkleidung geschützt, verlieren oft Hemmungen und Ängste, gewinnen als "neue Personen" mehr Selbstvertrauen. Sie spielen kein vorgegebenes Rollenspiel, sondern lassen ihrer Phantasie freien Lauf.

Bausteine und Tischspiele verschiedenster Art müssen im Gruppenraum für die Kinder zugänglich sein. Offene Regale helfen Kindern, einen Überblick zu gewinnen und dann auszuwählen. Erzieher dürfen nicht sofort eingreifen, wenn die Auswahl eines Kindes länger dauert, es sich nicht sofort entscheiden kann. Auch Erwachsene gehen an ihre Tätigkeit oder Aufgaben in unterschiedlichem Tempo heran. Müssen Kinder wegen jeder Tätigkeit um Erlaubnis fragen, dann hat die 1. Spielzeit ihren Zweck verfehlt. Spontane Selbstentscheidungen der Kinder werden "ausgebremst" und der erwachsene "Bestimmer" lenkt und leitet das Spiel.

Wenn die 1. Spielzeit eine Kreativ- und Aktivzeit für die Kinder werden soll, dann dürfen Sie selbst als Erzieherin während dieser Zeit keine Büroarbeiten erledigen oder für den Basar basteln. Die Kinder brauchen Sie als stillen Beobachter oder Mitspieler, nicht als Lehrer. Sie werden viele Impulse bekommen und Ideen gewinnen, wie Sie die Umwelt Ihrer Kinder noch anders und besser vorbereiten können. Übrigens entwickeln die Kinder bei all diesen Aktivitäten ihr eigenes Tempo, und es wird keine untätigen Kinder geben. Sie werden alle konzentriert spielen und auch der Lärmpegel wird erträglich sein. Aber Spiele verschiedenster Art brauchen eben auch die Sprache. Unverzichtbar ist, dass Sie Eltern über die Bedeutung der 1. Spielzeit und des Freispiels informieren (auch Ihren Träger, Gemeinderat, Pfarrgemeinderat), denn es muss Ihnen gelingen, Ihr "scheinbar passives Verhalten" durchschaubar zu machen. Nur so kann die in vielen Köpfen noch immer vertretene Meinung: "Kindergarten, die Erzieher spielen ja nur mit den Kindern, das kann doch jeder" endlich revidiert werden.

3.5 Die 2. Spielzeit - Angebote, gezielte Beschäftigungen

Gleich mit dem ersten Satz in diesem Kapitel will ich Sie provozieren: Die gezielte Beschäftigung ist der unwichtigste Teil an einem ganzen Kindergartenalltag! Sie werden jetzt vielleicht entgegnen: "Aber da werden doch die Kinder gefördert, da lernen sie alles, was sie für die Schule brauchen. Wie sollen wir sonst Eltern und Lehrern nachweisen, was wir tun?" Letzteres ist die Kernaussage. Viele Kindergärten sehen in den gezielten Beschäftigungen mit Kindern die Möglichkeit, anhand gebastelter Gegenstände, gemalter Bilder, gelernter Verse, ausgefüllter Arbeitsblätter nachzuweisen, dass im Kindergarten nicht nur gespielt wird. So hat sich der Begriff zweite oder erweiterte Spielzeit auch bisher kaum durchgesetzt. Viele Eltern halten das Freispiel für verzichtbar, bringen ihre Kinder auch nicht wegen dieser "Spielerei" in den Kindergarten, sondern wegen der vorschulischen Förderung. Sie entwickeln dann höchste Eile, wenn es um gezielte Beschäftigungen, die sogenannte didaktische Einheit geht.

Für eine Fortbildungsveranstaltung für Erzieherinnen wählte ich den Titel: "Unterforderung - Überforderung - Förderung von Kindern im Kindergarten". Zur Einführung stellte ich den Vergleich mit einem Bergwerk an: Die Bergwerksarbeiter müssen tiefe Schächte in die Erde graben, sie immer wieder abstützen, vor Einbruch schützen (Überforderung) - bis sie nach einiger Mühe an die vermuteten Bodenschätze kommen. Ist alles gut vorbereitet, der Stollen gesichert und geschützt, kann es an die Förderung gehen. Im Kindergarten sind wir versucht, Kindern immer wieder etwas überzustülpen, bevor wir überhaupt wissen, was in den Kindern alles steckt an Ideen, Wissen, Fähigkeiten. Es werden Angebote gemacht, bevor wir wissen, welche Schätze im Kind versteckt sind. Eine systematische Beobachtung der Kinder jedes einzelnen Kindes ist deshalb unverzichtbar, wenn wir es fördern wollen bzw. dort abholen, wo es steht. Wenn Kinder nicht das Ergebnis liefern, das Erwachsene wollen, dann entschuldigen wir dies vorschnell mit Überforderung oder Unterforderung, ohne dass wir jedoch wissen, was Kinder wirklich können und wollen. Wir sollten uns die Mühe machen, einmal aufzuschreiben, was an einem Kindergartentag von Kindern alles selbst kam und dann unseren Plänen gegenüberstellen. Interessante Ergebnisse werden uns in Staunen versetzen.

Die gesamte Vorschulbewegung machte deutlich, wie wenig Erzieher, Lehrer und Eltern wirklich vom kindlichen Lernverhalten, der Aufnahmefähigkeit der Kinder, ihren Lernbedürfnissen und Interessenslagen wussten. Man meinte, durch abstrakte Trainingsmaßnahmen einen Intelligenzzuwachs zu erreichen, besser auf die Schule vorbereiten, die Kinder ganz einfach "klüger machen" zu können.

Ist heute zwar ein Rückgang an Arbeitsblättern und Vorschulmappen in Kindergärten zu verzeichnen, so haben ersatzweise Schablonen den Einzug gehalten.

"Was erleben Sie, wenn Ihnen in jedem Geschäft dieselbe Dekoration entgegenstrahlt? Sie schauen nicht mehr hin. Sie nehmen sie nicht mehr wahr. Genauso ist es, wenn der Erwachsene den Kindern Schablonen vorgibt und alle denselben Baum, dieselbe Blume, den Wichtel, den Osterhasen oder Pinguin nachmalen, schneiden oder kleben. Sie denken nicht nur nicht selber, sondern handeln nach Fremdvorgabe. Im weiteren Leben brauchen die Kinder aber Kreativität, um Probleme selbst zu lösen und keine Denkschablonen oder Gestaltungsdiktate. Abzulehnen sind die vom Erwachsenen vorgegebenen Schablonen. Sie werden häufig eingesetzt, wenn die Kinder selbst die Form angeblich noch nicht gestalten oder wenn Unterteilungen von ihnen noch nicht logisch nachvollzogen werden können. Der Erwachsene berücksichtigt also den Entwicklungsstand der Kinder nicht. Es geht ihm mehr um die Darstellung eines Endproduktes, an das besondere Ansprüche gestellt werden, als um den eigenständigen Weg der Erarbeitung. Als Rechtfertigung wird das Schneidetraining genannt. Schneiden kann ein Kind aber auch trainieren, wenn es bunte Papiere und Stoffe nach eigenen Vorstellungen ausschneidet und aufklebt "(Krempien/ Thiesen, 50 bildnerische Techniken, Weinheim 1992, S. 34).

Die Aufgabe der 2. Spielzeit ist es also nicht, auf ein in den Augen der Erwachsenen perfektes Endprodukt hinzuarbeiten, sondern vielmehr, Prozesse anzuregen, wie das Kind dem Ziel gemäß seiner Entwicklung in größeren oder kleineren Schritten näherkommen kann. Die Erzieherin begleitet es in rechter Weise. Die schwierigste Aufgabe aber wird es sein, diese Prozesshaftigkeit den Eltern zu verdeutlichen. Hier ist die Elternarbeit gefordert.

Wer entscheidet über Themen und Inhalte, die den Kindern angeboten werden sollen? Wer steuert das Geschehen? Wissen Erzieherinnen wirklich, was Kinder interessiert, oder lassen sie sich ganz einfach davon leiten, was sie glauben, dass Kinder wissen müssen, was diese "unbedingt" für ihre weitere Entwicklung und das künftige Leben brauchen? Können Erwachsene auf die Stimmen und die Aussagen der Kinder hinhören, vor allem auf die Nebensätze und Randbemerkungen? Können sie auch verstehen, aufnehmen und verwerten, was sie gehört haben? Geht es ganz ohne Planung und Vorbereitung von Beschäftigungen? Heißt Arbeit nach dem Situationsansatz nicht auch, dass Situationen von der Erzieherin initiiert werden können - im Sinne einer vorbereiteten Umgebung? Können wirklich alle Lernschritte vorgedacht und die erwarteten Lernergebnisse schon vorher festgelegt und vielleicht sogar schriftlich fixiert werden? Gibt es Methoden und Möglichkeiten, die Interessenschwerpunkte von Kindern zu erforschen oder "abzufragen?"

3.6 Essen im Kindergarten

Wie in allen Lebensbereichen spielt auch im Kindergarten das Essen eine ganz gewichtige Rolle. Ist es notwendig, in einer praxisorientierten Einführung in den Alltag des Kindergartens und seine Pädagogik einzugehen auf das Essen? Immer mehr Kindergärten haben sich zu Ganztagseinrichtungen entwickelt, d.h. die Kinder nehmen auch die Mahlzeiten im Kindergarten ein. Die Frühstücks- und Nachmittagspause ist in allen Kindergärten obligatorisch.

In der Vergangenheit gab es auch hinsichtlich der Essensgewohnheiten in den Kindergärten häufig Diskussionen. Ich nenne hier nur die Uneinigkeit über das gemeinsame oder das gleitende Frühstück. Das gemeinsame Frühstück wurde oft als altmodisch abgetan, da die Kinder nicht selbst entscheiden können, wann sie ihre Brotzeit verspeisen wollen. Das Extrem wurde eingeführt, das gleitende Frühstück, jedes Kind kann sich, wann es möchte, an den Frühstücktisch setzen und essen. Was ist besser oder welche Art der Frühstücks- oder Nachmittagspause ist zu empfehlen oder gar pädagogisch wertvoller? Beide Formen haben ihre Berechtigung und können im Kindergarten praktiziert werden. In vielen Kindergärten signalisierten die Kinder selbst ihre Vorlieben, nämlich dann, wenn sie sich an den kleinen Frühstückstisch drängen, um gemeinsam zu frühstücken und dabei zu plaudern, sich mit der Erzieherin und den anderen Kindern auszutauschen, ganz einfach Tischgemeinschaft zu leben. "So ganz alleine schmeckt es gar nicht", meint Peter, 5 Jahre. "Ich warte immer, bis schon bald kein Platz mehr frei ist am Tisch. Das ist nämlich dann viel gemütlicher. Oft frage ich auch andere Kinder, ob sie mit mir gleichzeitig essen wollen. Meistens wollen zu viele auf einmal an den Tisch. Dann sagt unsere Erzieherin immer, dass wir das morgen machen. Zusammen ist es am schönsten. Und am allerschönsten ist es, wenn wir das Frühstück selber kochen, halt den Tisch ganz allein decken und Brot, Butter und Marmelade und anderes holen. Jeder darf immer was für das Gruppenfrühstück mitbringen. Das Brot kaufen die vom Kindergarten. Und streichen tun wir alle unser Brot selber und schenken den Tee oder den Kakao ein. Wenn es verschüttet, macht nichts. Wird weggewischt. Das ist dann das allertollste Frühstück".

Es ist klar, dass sich ein wie hier von dem Kind beschriebenes gemeinsames Frühstück viel länger hinzieht. Es ist eine lebensnahe Lern- und Erfahrungseinheit in der ein Vielfaches vermittelt werden kann von dem, was normalerweise bei vergleichbaren "Trockenübungen" möglich ist. Gelernt wird hier im Prozess, im Geschehen, durch Tun, durch eigene Erfahrungen (aber Erzieher müssen diese Erfahrungen möglich machen!):

  • Wie ein Tisch hübsch vorbereitet werden kann,
  • welches Geschirr gebraucht wird,
  • welche Nahrungsmittel zu einem gesunden Frühstück gehören,
  • Tischsitten,
  • Tischkonversation,
  • die selbständige Zubereitung/das Schmieren des Brotes,
  • der Umgang mit Kannen beim Eingießen eines Getränkes,
  • das anschließende gemeinsame Abdecken und Aufbewahren der Reste,
  • der gemeinsame Abwasch,
  • Sozialerziehung und Förderung des Gemeinschaftssinns.

Es kostet viel Arbeit, bringt auch Unruhe, Zeit wird benötigt, wenn das Frühstück als eine solche Lerneinheit im Kindergarten realisiert wird. Sollte man vielleicht doch lieber das Arbeitblatt einsetzen, auf dem Teller abgebildet sind, Messer und Gabel ausgeschnitten werden müssen und richtig neben den Teller geklebt? Auf die kleine Fläche des Tellers darf dann noch das Butterbrot gemalt werden.. Ich denke, dass jeder Kommentar zu einer solchen "Ersatz- bzw. Trockenübung" überflüssig ist.

Es gibt viele Essensvarianten im Kindergarten, auf die ich noch eingehen möchte. Doch vorher noch zum Mittagessen. Insbesondere in Ganztagskindergärten besteht die Möglichkeit für ein warmes Mittagessen. Meist scheitert es an der Kostenfrage, ob im Kindergarten eine eigene Köchin beschäftigt werden kann, die das Essen täglich frisch zubereitet. Besonders ideal wäre es, wenn sich die Köchin gut mit den Kindern verstehen und auch immer wieder einmal ein paar Kinder in ihrem Reich mitwirken lassen würde. Gerade für Kinder, bei denen in der Familie kaum noch warm gekocht wird, ist dies ein echtes Erlebnis und liefert unverzichtbare Erfahrungen. Zahlreiche Kindergärten sind auf Gefrierkost umgestiegen, oder erhalten das Essen in großen Kübeln aus einer nahegelegenen Kantine. Sehr schnell wird damit das Mittagessen im Kindergarten zu einem "Fließbandessen". Es wird erst gar nicht mehr in Schüsseln angerichtet, sondern wird gleich auf die Teller verteilt. Kinder stehen mit ihrem Teller an der Ausgabestelle an. Viele Kindergärten beweisen aber auch, dass die Mittagsmahlzeit individuell gestaltet werden kann, das Essen geschmackvoll angerichtet und durch kleine frische Zutaten ergänzt werden kann.

Gerade wenn wir verstärkt über die Bedeutung der Vermittlung von Werten diskutieren oder gar deren Verlust beklagen, müssen wir auf die gemeinschaftlichen Mahlzeiten im Kindergarten wieder größeren Wert legen. Sie dürfen sich nicht dahin entwickeln, dass die Kinder unter Aufsicht "abgefüttert" werden. Für viele Kinder ist es die einzige gemeinsame Mahlzeit am Tag, bei der man zum Essen Tischgemeinschaft pflegen, aber auch viele wichtige Tischgespräche führen kann. Erinnern Sie sich noch an die eigene Kindheit? Am Löffel kauend haben wir so manche Probleme oder Fragen ausgesprochen...

Die Mittagszeit ist in Ganztagskindergärten eine ganz wichtige pädagogische Zeit. Dies muss bei der Tagesgestaltung auch Berücksichtigung finden. Erzieher sollten auch mitessen und nicht auf reine Aufpasser- und Essensverteilerfunktionen ausweichen und anschließend die Kinder zu absoluter Ruhe oder gar zum Mittagsschlaf zwingen. Basierend auf dem Prinzip der Freiheit sollten die Kinder selbst entscheiden können, ob sie sich zu einem Spiel zurückziehen wollen, ausruhen oder eventuell auch schlafen. So kann das Beispiel der Erzieherin vielleicht selbst ein Mittagsschläfchen zu machen, so manches Kind dazu anregen.

Hier ein kurzer Bericht der Leiterin eines Kindergartens zum Mittagsschlaf: "Ich bin überrascht, dass Sie mich nach der Gestaltung der Mittagszeit fragen. Die meisten interessiert doch nur die Kinderbeschäftigung. Also wir essen erst, wenn alle Vormittagskinder abgeholt sind. Die Kinder - es gibt da verschiedene Dienste - decken den Tisch. Wir benutzen richtige Stofftischdecken (die Kinder haben sie selbst mit Stofffarben bedruckt bzw. bemalt), es gibt fast immer auch frische Blumen oder eine Blühpflanze auf dem Tisch. Jedes Kind hat seine eigene Serviettentasche. Einige Kinder tragen die Schüsseln mit den verschiedenen Gerichten und Beilagen zum Tisch. Wenn alle Platz genommen haben - auch wir Erzieherinnen - fassen wir uns an den Händen, singen ein kurzes Lied, sprechen ein Tischgebet oder wünschen uns ganz einfach nur einen guten Appetit. Reihum darf jeden Tag ein anderes Kind die Suppe ausschöpfen. Beim Hauptgericht und den Beilagen bedienen sich die Kinder selbst und können so auch entscheiden, was und wie viel sie selbst wollen. Allerdings gibt es eine harte Regel: Alles muss wenigstens einmal probiert werden!
Wert wird auch auf Tischgespräche gelegt, aber das Essen darf dabei nicht vergessen werden. Oft fällt mir auf, dass Kinder, die sonst kaum aus sich herausgehen oder gar etwas von zuhause berichten, richtig auftauen. Wenn alle fertig sind, wird gemeinsam aufgeräumt, abgedeckt, einige Kinder helfen beim Abwasch - wir haben bewusst keine Spülmaschine - ‚ die Tischdecken werden draußen ausgeschüttelt, zusammengefaltet und weggeräumt. Alle Kinder helfen bei einer Aktivität mit und sind stolz, wenn das erste Kind ruft: 'Fertig!'
Jetzt bleibt nur die Erzieherin in der Gruppe, die Mittagsdienst hat (unser Kindergarten hat 50 Plätze, ca. 18 Kinder bleiben in der Regel ganztags). Alle Kinder wissen, dass jetzt Ruhezeit ist, dass es keine Angebote durch die Erzieherin gibt, dass jeder sich selbst beschäftigen oder auch schlafen kann, dass man sich gegenseitig nicht stören darf. Immer gibt es einige Kinder, die sich in die Puppen- oder Kuschelecke zurückziehen, sich dort hinlegen und auch manchmal einschlafen. Einige Kinder ziehen sich in das Lesezimmer zurück, um eine Kassette mit klassischer Musik anzuhören. Das Kuschelzimmer ist ein kleiner gemütlicher Raum, ganz mit einem Teppich ausgelegt, mit einigen Polstern und vielen Kissen, Bücherregalen usw. Die Kinder machen es sich gemütlich. Ein Junge liegt auf dem Bauch und lauscht der Musik, ein Mädchen blättert versunken in einem Buch und man weiß nicht so recht, ob sie es intensiv betrachtet oder ganz selbstvergessen der Musik lauscht, zwei Kinder haben sich auf die Kissen gekuschelt und sind eingeschlafen. Die Erzieherin hat sich im Gruppenraum einen Platz am Fenster gesucht und liest. Einige Kinder spielen, flüstern dabei, um die anderen nicht zu stören. Es ist eine harmonische Ruhe, die sich ausbreitet. Etwa eine viertel Stunde bevor die Nachmittagskinder kommen, sagt die Erzieherin den Kindern, dass die Mittagspause nun langsam zu Ende geht und weckt vorsichtig auch die schlafenden Kinder. Mit dem Kommen der Nachmittagskinder setzt sich dann der reguläre Kindergartenalltag fort. Durch diese Art der Mittagsgestaltung haben die Kinder die Möglichkeit, eine familiäre Situation in der Mittagspause zu erleben. Die Kinder lernen dabei auch, ihre sogenannte freie Zeit im Kindergarten sinnvoll zu nützen und dabei eigene Entscheidungen zu treffen.
Es ist also unverzichtbar bei der Alltagsgestaltung im Kindergarten auch die Essenspausen mit einzubeziehen und ihrer Bedeutung für die kindliche Förderung und Entwicklung".

3.7 Die altersgemischte Gruppe

Um Irrtümern gleich entgegenzuwirken, sollen hier zuerst die Möglichkeiten der Altersstrukturierung von Kindergartengruppen kurz aufgezeigt werden. In den meisten Bundesländern gehört die altersgemischte Kindergartengruppe - in ihr werden Kinder ab dem 3. Lebensjahr bis zum Eintritt in die Schule gemeinsam betreut - zur Regel. Insbesondere unter dem Druck von Eltern werden jedoch nicht selten altersgleiche Gruppen gebildet, da diese glauben, dass ihr Kind sonst nicht genügend gefördert werden könnte. So reduzieren sich vielerorts die Gruppen auf Drei- bis Fünfjährige und die spezielle Fördergruppe für ab Fünfjährige.

In den letzten Jahren entwickelten sich altersgemischte Gruppen in den sogenannten Kinderhäusern. In ihnen finden wir Kinder im Kleinstkind-, im Kindergarten- und im Schulalter. Je nachdem, welche Altersmischung die Gruppe hat, unterscheiden sich die Konzepte und natürlich auch die konkrete Alltagsgestaltung voneinander.

Diese Vielfalt altersgemischter Gruppen verlangt nach unterschiedlichen Rahmenbedingungen, damit diese neuen pädagogischen Ansätze verantwortbar sind und am Wohl der Kinder ausgerichtet realisiert werden können. Mit der Altersmischung allein wird noch keine Weiterentwicklung der Kinderbetreuung erreicht. Es bedarf eines veränderten Personalschlüssels, eines verbesserten Raumprogrammes und einer Ausstattung, die dem Konzept der Einrichtung entsprechen. Gerade bei Gruppen, die Kinder vom Kleinstkind bis ins Schulalter aufnehmen, muss auf die jüngsten Kinder besonders geachtet werden. Nur zu schnell werden ihre Bedürfnisse von den Förderangeboten für die älteren Kinder überrollt. Mittlerweile gibt es bundesweit auch überzeugende Konzepte, denen es gelingt, gerade durch das Angebot Kinderhaus neue Akzente in der Kindergartenarbeit zu setzen und damit auch einen Schritt zur Vernetzung mit dem Gemeinwesen zu wagen. Kennzeichnend für solch neue Konzepte ist grundsätzlich die dort praktizierte Flexibilität und Offenheit im Gegensatz zum tradierten Kindergarten.

Wie kann sich eine Pädagogik in der altersgemischten Gruppe gestalten? Mittlerweile liegen zwar Ansätze wissenschaftlicher Untersuchungen vor, aber gleichzeitig gibt es in der praktischen Umsetzung große Verunsicherungen. Während sich der Kindergarten über Jahrzehnte hinweg als Grundstufe im Bildungswesen etabliert hat, blieb z.B. die Krippe immer eine Art Noteinrichtung für Kinder aus schwierigen sozialen oder familiären Verhältnissen. Noch immer reagiert die Gesellschaft weder sozialpolitisch noch gesellschaftspolitisch synchron auf die Tatsache der Berufstätigkeit von Müttern mit der Folge einer notwendigen Kinderbetreuung (vgl. Erath 1992).

In den 70er Jahren entbrannte eine heftige Diskussion um die frühkindliche Erziehung von Kindern in Einrichtungen, die bis heute äußerst emotional geführt wird, jedoch häufig Realitäten unbeachtet lässt. Eine Altersmischung, mit Öffnung außerhalb des klassischen Kindergartenalters, wurde auf breiter Ebene Mitte der 80er Jahre geführt, als die damalige Bundesfamilienministerin den Vorschlag äußerte, bereits zweijährige Kinder in die Kindergärten aufzunehmen. Die verschiedensten Fachdisziplinen erhoben ihre Einwände und sprachen von einer Rückentwicklung des Kindergartens zu Bewahranstalt.

Konzepte, wie sich Kindergartenalltag unter diesen veränderten Altersstrukturen gestalten könnte, wurden dabei weder erarbeitet noch mögliche Ansätze diskutiert. Die Erzieherinnen, Berufs- und Fachverbände wandten sich gegen die Intention, möglicherweise aus der Angst vor Mehrarbeit oder auch vor Veränderungen. Um so mehr erstaunte es, dass parallel jedoch die ersten altersübergreifenden Gruppen in nahezu allen Bundesländern entstanden und die Fachdiskussion zu Kinderhäusern eröffnet wurde. Mittlerweile gibt es zahlreiche Bundesländer in denen das Modell der altersübergreifenden Gruppe (Krippe - Kindergarten - Hort) modellhaft erprobt und wissenschaftlich begleitet wird. Einige Bundesländer haben diese neue Form der Kinderbetreuung auch bereits in ihren Kindertagesstätten gesetzlich verankert, die Standards, sowie die Finanzierungsmodalitäten festgelegt. In der Regel wird von einer Höchstgruppenstärke von ca. 15 Kindern ausgegangen, ein Drittel im Krippenalter, ein Drittel im Kindergartenalter und ein Drittel im Schulalter. Bisher kaum bedacht wurde, dass die Altersstruktur der Gruppe sich über Jahre hinweg verändert, jedoch keine Plätze frei werden und somit keine Kleinstkinder neu aufgenommen werden könnten. Spätestens nach drei Jahren haben alle Kinder mindestens das Kindergartenalter erreicht und viele Kinder werden bereits eingeschult. So wird die Zahl der Schulkinder dominieren, solange nicht einzelne Kinder abgemeldet werden. Diese Veränderung der Altersstruktur macht es notwendig, sich wesentlich intensiver mit konzeptionellen Fragen im pädagogischen Bereich zu befassen, als dies im Regelkindergarten notwendig ist.

Problematisch in dieser derzeitigen Modellphase ist außerdem, dass die Erzieher auf diese neue Gruppenstruktur nicht vorbereitet sind und Arbeitshilfen für die pädagogische Arbeit noch weitestgehend fehlen. Die wenigen positiven Beispiele für eine gelungene Raumgestaltung gleichen Laborsituationen und sind bisher kaum übertragbar. Erst wenn die Förderung von Kindertagesstätten sich in der Zukunft einmal am Konzept der Einrichtung orientieren wird, werden solch neue Formen richtig greifen können.

3.8 Beschäftigung mit der Gruppe

Vorschulisches Lernen, Förderung, Beschäftigungen mit dem Einzelkind, der Kleingruppe oder der ganzen Kindergartengruppe bedürfen besonderer Betrachtung. Pädagogen können sich nur schwer einigen, welche Art der Alltagsgestaltung sie den Kindern anbieten bzw. mit ihnen entwickeln wollen. Auch alle Diskussionen über das situative Arbeiten in Kindertageseinrichtungen können darüber nicht hinwegtäuschen. Die Überlegungen zur ersten und zweiten Spielzeit, zur individuellen Förderung einzelner Kinder oder der Arbeit mit Kleingruppen sind sehr weit gediehen. Beschäftigungen mit der Gesamtgruppe werden zwar in der Mehrzahl der Kindergärten durchgeführt, aber die Diskussion über die Ausgestaltung wird mehr oder weniger tabuisiert. Die Realität im Kindergarten sieht jedoch so aus, dass über einen längeren Zeitraum des Tages (insbesondere bei Ganztageseinrichtungen) nur eine Fachkraft anwesend ist und so die Arbeit mit der Gesamtgruppe nötig wird. Eine Lösung, dass eben alle Kinder zu ein und dergleichen Beschäftigung zusammengeholt werden, um sie still zu halten ist mit Sicherheit der falsche Weg. Wenn Kinder immerzu beschäftigt werden, dann führt dies auch sehr schnell zu einem Erwartungs- und Konsumverhalten und einer gewissen Unselbständigkeit. Die Reformpädagogin Ellen Key hat dies in ihrem Buch "Das Jahrhundert des Kindes" treffend beschrieben:"... beständig von den Erwachsenen verlangen, dass sie sie (die Kinder) beschäftigen, das ist eine der allergefährlichsten Verzärtelungen der Gegenwart. Denn sie gewöhnt fürs erste an Selbstsucht und geistige Abhängigkeit und bringt außerdem das ewige Erziehen mit sich, das die Persönlichkeit des Kindes abstumpft". Verstärkt durch diese Aussage wird die Gratwanderung deutlich auf der wir uns bewegen.

Wenn Beschäftigungen oder Aktivitäten mit der ganzen Gruppe gelingen sollen, so sind die Methodik und die Didaktik gefordert. Die Themenauswahl ist unproblematisch, da sich alle Themen elementarisieren lassen, d.h. dem Entwicklungsstand der Kinder entsprechend aufbereiten. Gerade bei Angeboten für die ganze (altersgemischte drei bis sechs Jahre) Gruppe wird diese Elementarisierung bedeutsam und muss mit einer Methodenvielfalt kombiniert werden. Erst die verschiedenen Methoden machen es möglich, dass alle Kinder einer Gruppe angesprochen werden. Bisher (und so lehrt es auch überwiegend die Ausbildung) werden Methoden einzeln abgehandelt und dann ebenso isoliert angewandt. Methodenübergreifende Angebote sind leider noch immer die Ausnahme ebenso wie fächerübergreifender Unterricht während der Ausbildung. Doch gerade darin läge die zeitgemäße Weiterentwicklung der Kindergartenpädagogik.

An einem praktischen Beispiel lässt sich methodenübergreifendes Arbeiten am überzeugendsten darstellen: Ausgangspunkt bildet ein Thema - aufgegriffen aus der Interessenslage der Kinder (situatives Arbeiten), z.B. Regen. Beginnen kann alles mit einem Brainstorming mit der Kindergruppe. Was fällt uns alles zum Regen ein? Jedes Kind, selbst die dreijährigen, werden hierzu einen Beitrag leisten können: Nass, Wasser, Pfütze, spritzen, schmutzig, feucht, Schirm, Gummistiefel, Regenmantel, gießen, Regentonne, Regen lässt wachsen, Regen wäscht ab, Regen überschwemmt, Regenwald...usw. Sie werden erstaunt sein, welch umfassendes Wissen Kinder zum Thema Regen haben. Sie werden Ihnen alles mitteilen was sie wissen. Ihre Aufgabe liegt nun im gemeinsamen Aussortieren der Beiträge und im Zusammenordnen der wichtigsten Aussagen. Es können also gewissermaßen Unterthemen gebildet werden, die dann mit Hilfe verschiedenster Methoden erarbeitet werden können. Zum Beispiel wenn es regnet, werden wir nass, wir brauchen also einen Schutz. Vielleicht haben wir tatsächlich Glück und es regnet gerade. Wir gehen hinaus in den Regen und spüren, dass das Wasser unsere Haare, unsere Haut, unsere Kleider, nass macht. Nasses fühlt sich ganz anders an als Trockenes. Wenn wir einen Regenschirm benutzen, dann wird der Regen von uns abgehalten. Der Schirm wird nass, aber wir bleiben trocken. Er leitet das Wasser ab. Wir können aber auch Gummistiefel und einen Regenmantel tragen. Beide lassen das Wasser nicht durch. Also bleiben wir trocken. Regen ist etwas ganz alltägliches und dennoch müssen wir Kindern dazu verhelfen, dass sie verschiedene Regenerfahrungen machen können. Vielleicht legen wir ein Kleidungsstück in den Regen, daneben einen Regenmantel und daneben einen aufgespannten Schirm. Die Kinder berichten was sie sehen, hören, fühlen. Das trockene leichte Kleidungstück ist plötzlich schwer und tropfnass. Wenn wir es auswinden kommt viel Wasser heraus. Der Regenmantel ist auch nass geworden. Mit einem Tuch wischen wir den Regen ab und er ist wieder trocken. Wie viel länger dauert es mit dem Kleidungsstück. Und der Schirm? Ein Kind hat entdeckt, dass es darunter ganz trocken geblieben ist. "Wenn man will, dass halt irgendwas nicht nass oder feucht wird, dann muss man es ganz einfach beschirmen", meint die fünfjährige Sandra. Viele Methoden werden angewandt, die Sinne der Kinder werden angesprochen und genau darauf kommt es an. Ein Kind, das mehr visuell aufnahmebereit ist, kann viel beobachten. Ein anderes Kind braucht die taktile Wahrnehmung, um etwas zu begreifen, es muss alles anfassen. Erst dann gewinnen abstrakte Begriffe wie nass und trocken die entsprechende inhaltliche Füllung. Wichtig ist, dass die Kinder gerade durch die Methodenvielfalt auch eine Menge elementarster Erfahrungen machen können und zwar besonders in ganz konkreten Lebenssituationen.

Solche Beschäftigungen bieten aber auch so viele Betätigungsmöglichkeiten, dass die ganze Gruppe mitmachen kann, wenn Kleingruppenarbeit nicht möglich ist. Es wird nicht langweilig, wenn alle ihre Beobachtungen und Aktivitäten der Gesamtgruppe gegenüber darstellen können und so das ganz unterschiedliche Wissen zu einem Ganzen zusammengetragen wird. Wichtig ist: Ein Thema, in diesem Fall Regen, wurde erfahrbar gemacht!

Nach diesen Erfahrungen werden Kinder Bilderbücher zum Thema oder Geschichten ganz anders aufnehmen. So verstandene Arbeit mit der ganzen Gruppe führt nicht zur reinen Behütung und die Erzieherin wird nicht zu einer Art Dompteuse. Je mehr Kinder fähig sind, sich selbst mit einem Thema zu beschäftigen, desto leichter ist die Führung einer Gruppe! Die Erzieherin wird dann zum Koordinator oder im Sinne Maria Montessoris zur neuen Lehrerin.

3.9 Einzelförderung

Die Einzelförderung von Kindern nimmt in der Kindertagesstätte einen wesentlichen Raum ein. Dabei darf Förderung jedoch nicht im Sinne von ausschließlich kognitiver Förderung verstanden werden. Bei der Vielzahl unserer Kinder liegt die primäre Notwendigkeit für eine Förderung im sozial-emotionalen Bereich, d.h. durch spezielle Übungen, Gespräche, Angebote, Umgehensweisen mit dem Kind wird ihm der Zugang zur Gruppe und zum Gruppengeschehen erleichtert. Es lernt seine Grenzen, Möglichkeiten und Kompetenzen kennen, entdeckt seine Fähigkeiten, entwickelt Mut, Freude und Ausdauer am Spiel, lernt seine Ängste zu überwinden, gewinnt Selbstvertrauen, Zutrauen in seine eigenen Fähigkeiten. Bei einer rein kognitiv ausgerichteten Förderung werden diese Aspekte in der Regel vernachlässigt. Gerade sie bilden aber die unverzichtbare Grundlage für die Förderung der kognitiven Entwicklung. Leider sind Ergebnisse lange Zeit nicht direkt nachweisbar bzw. können den Eltern nicht in Form von Produkten sichtbar gemacht werden. Deshalb gilt es im Dialog mit den Eltern Entwicklungen aufzuzeigen, Eltern auf Veränderungen aufmerksam zu machen und sie zur Beobachtung und Wahrnehmung ihrer Kinder und deren Verhalten hinzuführen und anzuleiten.

Ein Praxisbeispiel erläutert, was damit gemeint ist: Karl, 4 Jahre, mangelt es ganz erheblich an Selbstbewusstsein. Als er mit vier Jahren in den Kindergarten angemeldet wurde teilte die Mutter der Erzieherin mit, dass man Karl keineswegs überfordern dürfte. Er würde sofort weinen, wenn man ihm eine Aufgabe stellen würde. Sie hätte sich deshalb angewöhnt, lieber gleich alles selbst zu machen. Damit käme es dann zu keiner Heulerei. Im Kindergarten wolle sie auch nicht, dass Karl deshalb von den anderen Kindern möglicherweise ausgelacht würde. "Sie müssen es dann für ihn machen. Das erwarten wir als Eltern. Sie werden ja dafür bezahlt, dass es unserem Kind gut geht und es etwas lernt!"

Die Erzieherin beobachtete das Kind einige Wochen. Karl zeigte sich schon nach wenigen Tagen an vielen Aktivitäten interessiert. So beobachtete er drei Buben, die gemeinsam aus allerlei Schachteln ein Monsterschloss bauten. Einer von ihnen forderte ihn auf: "Machst Du mit, wir brauchen noch einen Arbeiter. Kannste gleich noch Schachteln holen und den Eimer mit dem Kleister!" Karl entfernte sich von der Gruppe, setzte sich mit dem Rücken zum Raum und schaute aus dem Fenster. In der nächsten Teamsitzung berichteten die Gruppenleiterin, die 2. Erzieherin und die Praktikantin über ihre Beobachtungen zu Karls Verhalten. Obwohl er nun schon fast sechs Wochen den Kindergarten besuchte, hatte er noch nie eigenständig etwas gespielt oder gar sich gemeinsam mit anderen an eine Beschäftigung gewagt. Deshalb beschloss das Kindergartenteam mit Karl Einzelwerkstunden durchzuführen. Gleich am nächsten Tag fragte ihn die Erzieherin, ob er mit in den Werkraum wolle. Natürlich verneinte er und sagte gleich: "Das kann ich nicht!" Die Erzieherin meinte, dass er ihr ja nur zuschauen bräuchte. Zögernd schloss er sich ihr an. An der Tür blieb er stehen. Die Erzieherin holte sich einen Stab, klemmte ihn in einem Schraubstock fest. Sie rüttelte daran, er bewegte sich nicht mehr. Mit der Fingerspanne nahm sie Maß und holte sich dann eine kleine Säge. Vorsichtig begann sie an der markierten Stelle mit dem Sägen. Karl schaute gespannt zu. Die Erzieherin nahm das abgesägte Stück und schmirgelte die Sägefläche ganz glatt. Dann legte sie den Stab in ein Fach und betonte: "Das ist mein Fach. Morgen arbeite ich weiter". Sie räumte die benutzten Gegenstände auf und ging dann mit Karl in die Gruppe zurück. Zwei Tage später wiederholte sich der Gang in den Werkraum. Dieses Mal wurde gebohrt und dann ein Stück Draht durch das Loch im Stab gesteckt. An einem weiteren Tag schnitt die Erzieherin aus roter Folie ein Quadrat mit diagonalen Einschnitten. Mit einer Nadel wurde die Folie an bestimmten Stellen mit Löchern versehen. Mit Hilfe des Drahtstückchens und zwei Perlen war im Nu ein Windrädchen fertig. Karl strahlte. "Das ist toll, schenkst Du das mir?" Als die Erzieherin verneinte, ist Karl traurig. Am nächsten Tag kommt Karls Mutter und fordert die Erzieherin auf, für Karl ein Windrad zu basteln. Sie könne Karl doch nicht ausschließen, er hätte auch Anspruch auf ein Windrädchen. Die Erzieherin lädt Karls Mutter in der nächsten Woche zu einer Werkstunde ein. Bis dahin führt sie noch viele Gespräche mit Karl, nimmt ihn noch einmal mit in den Werkraum, zeigt ihm die Säge und bringt ihn sogar dazu, die Säge in die Hand zu nehmen. Als sie ihn scheinbar nicht beobachtete, betastete er mit den Fingerspitzen vorsichtig das Sägeblatt. Beim nächsten Besuch im Werkraum holte er schon ganz selbstverständlich die Säge herbei, während die Erzieherin einen Stab einspannte. Dann entfernt sie sich kurz aus dem Gruppenraum. Ich muss schnell noch etwas aus dem Keller holen!" Sie kommt nach ein paar Minuten zurück und findet einen strahlenden Karl. "Guck mal, ich hab schon ein bisschen gesägt. Man spürt es schon!" In dieser Werkstunde entsteht Karls Windrädchen. Er hat glühende Backen. Er rennt am Mittag der Mutter entgegen. "Hab ich gemacht!" Er ist tief enttäuscht, als die Mutter dies bezweifelt. Die vereinbarte Werkstunde mit der Mutter rückt immer näher. Die Mutter sucht nach Gründen, nicht kommen zu müssen. Karl und die Erzieherin bleiben aber eisern und bieten sogar eine Verschiebung des Termins an. Das wiederum will die Mutter nicht. Donnerstag, 14.00 Uhr. Karl, seine Mutter und die Erzieherin gehen gemeinsam in den Werkraum. Die Erzieherin fordert Karl auf, alle Materialien und Werkzeuge, die er braucht, herbeizuholen. Karl spannt den Stab ein. "Probier mal Mama, er sitzt ganz fest, jetzt wird gesägt". Die Erzieherin sieht der Mutter an, dass sie am liebsten eingreifen würde. Karl strahlt und ist aufgeregt. Das Sägeblatt verklemmt sich etwas. "Wann greifen Sie denn endlich ein, muss er sich erst verletzen?" Karl reagiert. "Mama, ich kann das alles selbst. Mir braucht keiner helfen. Und außerdem bin ich groß". Das Windrädchen ist fertig und Karl schenkt es ganz spontan seiner Mutter und ruft "ich gehe jetzt zu den anderen!". Die Erzieherin spricht noch eine ganze Weile mit der Mutter (derartige Gespräche wiederholen sich noch in den nächsten Wochen). Karls Einzelwerkstunden sind beendet, er werkt jetzt in einer kleinen Gruppe an einem Gemeinschaftsprojekt und ist stolz, dass er Erfolg hat. Karls Gesamtverhalten hat sich in einem Zeitraum von sechs Monaten wesentlich verändert. Sein Stand in der Gruppe ist gesichert, er gewinnt zusehends Freunde. Bei der Neuaufnahme einiger Kinder ermutigt er diese: "Das könnt ihr doch. Ihr braucht keine Angst zu haben. Ihr schafft es schon. Gell?" Und dabei blickt er zur Erzieherin, die ihm zuzwinkert. Weiterer Kommentar zu Karls Einzelförderung erübrigt sich.

Viele Einzelförderangebote werden von Kindern auch verweigert. Sie sträuben sich. Hubert ist ein Kind aus einem sozialen Brennpunkt mit erheblicher sprachlicher Entwicklungsverzögerung und massiven Sprachstörungen. Eine logopädische Behandlung wurde abgebrochen, weil Hubert sich weigerte und nicht den Mund auftat. Zudem zeigten die Eltern auch kein großes Interesse. Hubert war ein Ganztagskind und spielte besonders während der Mittagspause ausschließlich mit einem relativ stillen, ernst wirkenden Mädchen, ein Jahr älter. Eines Tages hob sie ein beim vormittäglichen Basteln ein auf den Boden gefallenes Stück Watte auf und warf es durch die Luft. Dann legten sich die beiden Kinder auf den Boden und bliesen nach Kräften die Watte in Richtung Fenster. Dann malten sie mit Tafelkreide eine kurvige Straße auf den Boden und versuchten so zu blasen, dass die Watte nicht von der Straße abkam. Carola achtet sehr darauf, dass Hubert häufiger mit dem Blasen an die Reihe kam. Das Spiel dauerte fast eine dreiviertel Stunde. Dann holte sich Hubert ein Bilderbuch. Carola läuft zur Erzieherin und flüstert ihr ins Ohr: "Du, der Hubert kann das F wenn er bläst. Ich sag es ihm nicht. Aber ich blas jetzt jeden Tag mit ihm, bis er es richtig reden kann!" Carola war stolz über ihre Entdeckung. Wochen später spielte sie mit Hubert Bleistifthalten unter der Nase. So wurde aus S ein Sch. Die Erzieherin hatte ihr diesen Weg verraten. Ein Modell für Intensiv-Einzelbetreuung im Alltag des Kindergartens? Entlastung für Erzieher? Kinder als Therapeuten?

"Die natürliche Lernbereitschaft der Kinder wird die zukünftige Lernbasis sein, denn das Kind ist lernbereiter als wir in der Regel annehmen. Seine Lernbereitschaft und seine Lernfähigkeit werden durch die heutige Erziehung (und überzogene nicht kindgemäße Förderangebote) häufig eingeengt. So hat das Kind natürlicherweise ein starkes Neugierverhalten, das durch einschränkende pädagogische Maßnahmen im Laufe der Entwicklung in der Regel kanalisiert und begrenzt wird. Das Kind lässt sich durch Misserfolge im allgemeinen nicht so schnell entmutigen, sondern erprobt die Handlung erneut (vgl. Montessori-Pädagogik). Eine Situation hat beispielsweise so lange einen Handlungsreiz für das Kind, wie es sich als noch nicht sicher empfindet. Mit dem Sicherwerden lässt sein Interesse an der Handlung nach. Der Pädagoge muss dieses Neugierverhalten fördern und das Kind zum Fragen provozieren. Der Lernende sollte den Eindruck haben, ein Abenteuer anzufangen. Dabei sollte er sein Erfolgserlebnis aus dem Wagnis und dem eingeschrittenen Weg ableiten können und nicht aus dem Ergebnis ... Er wird ein optimistisches Vertrauen besitzen müssen, um Situationen auch dann zu meistern, wenn Lösungen zunächst unerreichbar und aussichtslos erscheinen. Das bedeutet, dass er ein gefestigtes Urvertrauen und ein sicheres Selbstbewusstsein haben muss" (Hansen/ Pausewang, Frankfurt 1986, S. 99).

Letzteres bedeutet also, dass bei vielen Kindern erst die sozial-emotionalen Grundlagen für die kognitiven Förderangebote geschaffen werden müssen.

3.10 Nutzung der Räume im Freien

Zum Kindergartenalltag gehört auch die Nutzung der Räume im Freien, im Garten der Einrichtung. Viele Einrichtungen haben eine Perfektion erlangt, die kindliche Entfaltung in Außenräumen erstickt:

  • Die Hartfläche verhindert, dass Kinder bei feuchtem Wetter schmutzige Schuhe bekommen.
  • Es gibt nur noch winzig kleine Sandkästen, keine Wasserquelle.
  • Schattenspendende Bäume wurden durch Markisen ersetzt, da diese kein Laub abwerfen.
  • Gartenbeete werden mit Rasen eingesät, da dies weniger Arbeit macht.
  • Phantasielose Geräte werden aufgestellt, die kaum Räume für die eigene Entfaltung lassen.
  • Ziersträucher werden gepflanzt, anstatt zu Nutzsträuchern überzugehen, damit Kinder wieder erleben können, wie und wo die vielerlei Beeren und Früchte wachsen.
  • Das Klettern auf Bäumen wird verboten.
  • Brunnen- und Wasserspielplätze machen zuviel Dreck und werden deshalb gar nicht erst eingerichtet.
  • Tiere werden nicht angeschafft, sie könnten Krankheiten übertragen.
  • usw.

In unseren Kindergärten müssen wir mehr und mehr lernen, die Außenräume des Kindergartens in ihrer Vielfalt von Möglichkeiten für Naturerfahrungen zu nützen. Das Beobachten beim Umgraben, beim Säen oder Pflanzen, beim regelmäßigen Gießen bis hin zur Ernte, kann nicht durch Bilderbücher, Geschichten oder gar Arbeitsblätter ersetzt werden. Vielerorts gibt es bereits viele gute Beispiele, wie der Außenbereich zu einem zweiten Lebensbereich - neben den Kindergartenräumen im Inneren - werden kann. Förderung, Erziehung und Bildung von Kindern ist nämlich nicht nur im Gruppenraum am Tisch möglich. Wenn es das Wetter zulässt, kann sich der ganze Tagesablauf im Garten abspielen, aber nur, wenn die Möglichkeiten dort vielfältig sind. Es ist noch anzumerken, dass ein Aktivgarten oder -spielplatz wesentlich kostengünstiger ist als ein Spielplatz mit einer Vielzahl teurer Spielgeräte, die aber wenig kreatives Tun zulassen und die Erlebnisspielräume der Kinder einschränken.

Kinder sollen Verantwortlichkeit gegenüber der Natur entwickeln. Aber gerade Stadtkinder müssen Natur erst kennen lernen. Oft wissen sie gar nicht mehr wie und wo Früchte wachsen oder wie sich eine Pflanze vom Samenkorn bis zur Fruchtbildung entwickelt. Verantwortung für die Natur kann im Kind schon früh geweckt werden. Ort hierfür ist z.B. das Außengelände eines Kindergartens. Nur müsste der Kindergarten-Garten interessanter und vielfältiger angelegt werden!

  • Als Schattenspender wird ein Kastanienbaum gepflanzt, eine Linde oder...
  • Statt stacheliger Ziersträucher (oft sogar giftig) werden am Zaun entlang Himbeer- oder Brombeerranken wachsen oder vielleicht ein Heckenrosenstrauch, der im Herbst Hagebutten tragen wird.
  • Obstbäume (es gibt auch Zwerg- oder Spalierbäume) bei denen die Kinder das Blühen, Wachsen und Reifen der Früchte beobachten können, sind unverzichtbar. Gemeinsam werden die Früchte geerntet, gegessen, zu Marmelade verkocht, Apfelsaft nach alten Methoden hergestellt, Früchte getrocknet oder eingefroren. (Vielleicht können die Kinder auch einen Teil ihrer geernteten Früchte an die Eltern verkaufen und damit die Kindergartenkasse etwas aufbessern.)
  • Blumen- und Gemüsebeete beschäftigen Kinder über Wochen. Warum sollen Kinder Gemüsesorten nur aus dem Supermarkt kennen, wenn es hier praktisch möglich ist? Kindgemäßes Gartenwerkzeug wird allerdings notwendig, um gemeinsam aktiv zu werden. Dann sind vor allem die Kinder und Erzieher gefordert. Für mancherlei Vorarbeiten lassen sich auch Väter gewinnen. Umgraben oder Rasenmähen als neuer Aspekt der Elternarbeit?

3.11 Raumgestaltung im Kindergarten

Bei einer Einführung in die pädagogische Praxis des Kindergartens bzw. in den Kindergartenalltag wird die Befassung mit der Raumgestaltung unverzichtbar. Erzieherinnen und Erzieher werden während ihrer Ausbildung zu diesem Themenkomplex leider überhaupt nicht vorbereitet, was auch darauf zurückzuführen ist, dass in den aktuellen Kindergartengesetzen, Rahmenverordnungen oder Richtlinien auf die Raumgestaltung oder -ausgestaltung des Kindergartens nicht eingegangen wird. Die Vorschriften erschöpfen sich zumeist mit Vorgaben für Raumprogramme, Raumgröße, Außen-spielfläche und den Hinweis auf kindgemäße Ausstattung. Was aber ist kindgemäße Ausstattung?

Einige wenige Bundesländer haben Handreichungen oder Empfehlungen für die Ausgestaltung der Räume und Außenspielflächen erarbeitet, Verbände geben Hinweise, die staatlichen, kommunalen und verbandlichen Fachberater unterstützen und beraten Träger und Erzieher bei Fragen zur Raumausstattung und -gestaltung. Wenn man allerdings bedenkt, wie viele Vorschriften es für Raumprogramme gibt, dann erstaunt es sehr, dass gerade die Raumgestaltung, die großen Einfluss auf die pädagogische Arbeit bis hin zum Verhalten der Kinder nimmt, so wenig Beachtung findet. Warum wird Raumgestaltung so wenig als pädagogisches Mittel berücksichtigt? Möblierung, Farbgestaltung, Lichtverhältnisse, Rückzugsbereiche, Materialien, die Art wie Spiel und Beschäftigungsmaterialien angeboten werden z.B. in offenen Regalen oder verschlossenen Schränken usw. sind Mit-Erzieher der Kinder und beeinflussen ganz wesentlich die kindliche Entwicklung, das Verhalten, den Weg zur Selbständigkeit, Gestaltungsmöglichkeiten, Motivation, Konzentration usw. Raumgestaltung historisch betrachtet lässt uns nüchtern erkennen, dass ihre Bedeutung von jeher unterbewertet wurde.

Dem Wohnen mit Kindern, ebenso wie Einrichtungsgegenständen für Kinder wurde in der Vergangenheit lange Zeit keine besondere Bedeutung beigemessen, sieht man vom Gitterbett, dem Laufstall, dem Hochstuhl und dem Stühlchen mit dem Töpfchen einmal ab. All dies waren zweckgebundene Gegenstände zur Gängelung und Bewahrung von Kindern, zur Verhinderung von Kindheit im Sinne eines gesunden Forscherdrangs. Auch in den Kindergärten, Kinderschulen, Kinderbewahranstalten, wie sie im vergangenen Jahrhundert genannt wurden, ‚ gab es keine besonderen Möbel für Kinder. Vielmehr waren die Kinderbetreuungseinrichtungen ausgestattet mit Tischen, Bänken, Stühlen im Kleinformat, verschlossenen hohen Schränken, im Ganzen wenig einfallsreich. Dennoch finden wir in der alten Kindergartenliteratur einige Beschreibungen bzw. Hinweise zur Ausstattung eines Kindergartens:

"Ringsumher gehen an drei Wänden (da die Eingangsseite für einen verschließbaren Tisch, einige Sitze für Mitglieder des Vorstandes und andere für die Aufsichtspersonen, ein Wandschrank, die Trinkstelle und den Ofen frei blieb) niedrige lange Bänke; an zwei Wänden stehen sie doppelt, an der dritten Wand steht der Thüre gegenüber, vor den Bänken ein langer, schmaler, zu mancherlei Beschäftigungen und Spielen der Kinder bestimmter, stets bereit bleibender Tisch mit einigen Schubladen. Die sämtlichen Bänke haben fortlaufende, schmale, in der Mitte etwas vertiefte Rückenlehnen, die in regelmäßigen Zwischenräumen mit den Nummern von Eins bis Hundert versehen, jeden Platz bezeichnen, und da jedes Kind mit einem leinenen, an der Schulter gleichfalls mit einer auf Blech lackierten Nummer versehenen Überwurf bekleidet wird ... so bleiben dadurch die Plätze vollkommen geordnet. Die hinteren unmittelbar an den Wänden stehenden langen Bänke sind jedoch so eingerichtet, dass die mit Nummern bezeichneten Rücklehnen an der Mauer befestigt sind und sie selbst können mittels einer einfachen Einrichtung auf drei kleinen Böcken so zusammengelegt werden, dass sie dann in der ganz freien Mitte des Zimmers einen zweiten, langen, gehörig breiten Tisch bilden, für Beschäftigungen, zum Spiel und in den drei Wintermonaten zum Mittagessen der Kinder. Diese Vorkehrung macht einen eigenen großen Tisch entbehrlich, der nicht immer nötig ist und den mittleren Raum des Zimmers außerordentlich beengt haben würde" (aus: "Die Kinderstube der Armenpflege in Stralsund", Rheinische Blätter für Erziehung und Unterricht - Herausgeber F.A.W. Diesterweg, Juli und August 1835, S. 184-200).

Der bekannte Autor Johann Georg Wirth aus Augsburg schreibt in seinem Buch "Über Kleinkinderbewahranstalten" 1838, was eine Kinderbewahranstalt an Mobiliar braucht:

"Ein Tisch, mit Sessel für den Anstaltsleiter auf einem Podium stehend Auch gereicht es zum Vortheile, das Podium mit einer Schublade zu versehen, um kleine Spielsachen, welche die Kleinen selbst stets wieder in Ordnung zu bringen haben, aufzubewahren ... Gestattet der Raum des Zimmers, dass Reihen gebildet werden, in welchen stets 12 Kinder nebeneinander sitzen können, so lasse man Bänke anfertigen ... Da man gewöhnlich auf ein Kind ein Schuh rechnet, so hat man für 12 Kinder ein Sitzbrett von 12 Schuhlängen nöthig Einige Tische zum Spielen und zum Handarbeiten für die Kinder Gestelle mit Fächern. Diese sind nöthig, um die Esswaren, welche von den Kindern mitgebracht werden, aufzubewahren ... Auch kommen oft Fälle vor, nach welchen die Kleinen mancherlei Gegenstände, wie Messerchen, Knöpfe etc. aus dem elterlichen Hause mitbringen. Bliebe es denselben freigestellt, solche Sachen bei sieh zu behalten, so wäre oft Gefahr vorhanden, sieh und andere zu beschädigen oder in der Aufmerksamkeit und Ruhe zu stören ... Aus diesen Umständen geht die Nothwendigkeit hervor, dafür zu sorgen, dass für jedes Kind ein Fach in einem solchen Gestelle vorhanden sei .Ein Sandtisch für Übungen im Sandzeichnen ... Kleiderrechen".

1884 schrieb Gutbrod, Stadtpfarrer in Burgau, in seinem Buch "Die Kinderbewahranstalt": "Geräthe in der Kinderbewahr-Anstalt, Bänke. Dieselben sollen ohne Rücklehne sein, weil sonst die Kinder gerne das Übergewicht verlieren und rückwärts fallen. Sie sollen nicht plump und schwer sein. Länge des Sitzbrettes ein Meter dreißig Zentimeter; genügt für vier Kinder . Jede Bank soll in der Mitte einen ausgesägten Handgriff haben. Bänke dieser Art sind sehr handsam. Eine große Schultafel. Ein Tisch und Stuhl für die Leiterin. Außerdem ein paar Sessel in Reserve für allenfallige Besuche. Tische nach dem Maßstabe: Lang 84 cm, hoch 45 cm, breit 44 cm, die Füße aus hartem Holze. Vorrichtung zum Aufhängen der Kleider. Ein großer, am besten zweithüriger Kasten für Aufbewahrung der Spielsachen aller Art."

Diese Beispiele zeigen, dass man sieh zwar Gedanken gemacht hat über das Mobiliar, aber eben in erster Linie um die Kinder "in Ordnung" zu halten. Es wird nichts berichtet über die Einbindung von Kindern in die Raumgestaltung bzw. über den Umgang mit dem Mobiliar.

Erst Anfang des 20. Jahrhunderts brachte hier die Methode Maria Montessoris eine Änderung. Maria Montessori befasst sich intensiv mit der Möblierung. Vereinzelt hat es auch schon im 19. Jahrhundert kleine, für Kinder transportable Tische gegeben. Montessori jedoch formulierte auch die theoretischen, pädagogisch-methodischen Begründungen für den Einsatz ihrer neuen Möbel. Sie sind ein wichtiger Aspekt der von ihr beschriebenen "vorbereiteten Umgebung". Noch heute finden wir ihre Art der Möblierung in den Montessori-Kindergärten und es ist spannend zu beobachten, wohin Kinder ihren Tisch bringen: z.B. um den Blick aus dem Fenster genießen zu können, um sich der Sonne zu entziehen, um in einer düsteren Ecke ins Spiel zu versinken.

Das Raumteilverfahren nach dem Konzept der Österreicherin Mater Schörl brachte Mitte des 20. Jahrhunderts eine nach Spielbereichen aufgegliederte Raumgestaltung und führte zu einer gewissen Einheitlichkeit in den deutschen Kindergärten: Bauplatz, Puppenecke, Bilderbuchecke, Essplatz, Maltisch, Basteltisch u.ä. Die Bereiche wurden durch Schränke voneinander abgetrennt; es entstanden so kleine rechteckige Räume in großen rechteckigen Räumen. Dies führte zu einer Einheitlichkeit die gepaart war mit Festlegungen für bestimmte Aktivitäten an bestimmten Plätzen, die jeweils mit den notwendigen Beschäftigungsmaterialien ausgestattet waren. Doch fanden in dieser Methode auch die offenen Regale Einzug, aus denen sich die Kinder selbständig nach ihrer Wahl die Spielmaterialien holen konnten. Diese offene Darbietung sollte die Kinder zu mehr Eigenaktivität motivieren, die eigene Entscheidung anregen und die Entwicklung zur Selbständigkeit fördern.

Starre Einrichtungssysteme führten der Vergangenheit auch immer wieder dazu, dass Kindergärten alle gleich aussahen, bzw., wenn sie einmal eingerichtet waren, kaum mehr verändert wurden. So berichtet eine junge Erzieherin: "20 Jahre nachdem ich den Kindergarten besucht hatte, kam ich in meinen Kindergarten. Personell hatte es keine Veränderung gegeben, meine alte Kindergärtnerin war immer noch im Dienst. Jedes Möbelstück stand noch am gleichen Fleck, genau wie damals! Ich schaute mich um und sie meinte: "Ja, es ist noch alles gleich, wir bekommen einfach nichts Neues". Eigentlich hätte sie nur ein bisschen umräumen müssen, eine andere Raumgliederung, etwas Farbe ... Ich sagte nichts, denn ich wollte ihr nicht wehtun!"

Wenn ein neuer Kindergarten entsteht, so entscheiden Träger und Architekt meist allein über die Einrichtung. Es wird beschlossen, wie viele Tische und Stühle angeschafft werden müssen, welche Schränke. Selten wird die Überlegung angestellt, was in dem Raum später alles geschehen soll und welches Mobiliar dafür notwendig oder welches überflüssig wird. So berichtete eine Erzieherin bei der Fortbildung: "Ich habe einen neuen Kindergarten übernommen. Der Träger war stolz darauf, dass er mit sehr hohem finanziellen Einsatz alles scheinbar optimal eingerichtet hatte. Schon in den ersten Wochen der Arbeit mit den Kindern stellte ich fest, dass die Räume völlig übermöbliert waren. So begann ich einige kleinere Schränke, Tische usw. in den Keller zu schaffen. Bei einem Besuch stellte der Träger fest, dass einige Möbelstücke fehlten. Ich versuchte ihm zu erklären, dass sie nicht nützlich für unsere Arbeit seien und die Frei- und Spielräume der Kinder nur einengen würden. Ich hätte sie deshalb in den Keller geschafft. Für diese Aktion erhielt ich meine erste Abmahnung".

Vor allem Kinder, die ganztags betreut werden, leben im Kindergarten als einem wichtigen Zentrum von Wohnkultur. Das bedeutet in der Konsequenz, dass eine Kindergartenausstattung sehr überlegt geplant werden muss, wenn sie dem Kind im positiven Sinne Wohnkultur und -gefühl vermitteln soll. Es ist auch richtig, dass ein Kindergarten kindgemäß ausgestattet sein muss, doch sollten Kinder an den Entscheidungsprozessen mitbeteiligt werden. Sie formulieren am besten, was sie brauchen und wollen:

  • Kuschelecken,
  • Rückzugsmöglichkeiten (evtl. mit Höhlencharakter),
  • freie Spielflächen für die Großgruppe, für Feste und Feiern,
  • Puppen- und Haushaltsecke,
  • Bereiche zum Malen und Basteln,
  • stille Ecken zum Lesen oder Musikhören,
  • Nischen und Winkel zum Ausruhen und Entspannen
  • u.ä.

Natürlich kann ein Raum niemals genug Ecken und Nischen haben, um alle Wünsche zu befriedigen. Vielleicht wäre es schön, wenn Sie als Erzieher gemeinsam mit den Kindern (und vielleicht den Eltern) den Gruppenraum einrichten würden. Sicherlich würde er dann mehr den vorher beschriebenen Bedürfnissen der Kinder entsprechen. Doch bevor Sie dies tun, betrachten Sie Ihren jetzigen Gruppenraum einmal aus der Perspektive eines Kindes. Gehen Sie in die Hocke und laufen Sie durch Ihren Kindergarten: Sie werden feststellen,

  • dass alle Bilder zu hoch hängen,
  • dass Sie die obersten Schubladen nur schwer erreichen können,
  • dass es Ihnen kaum gelingt, etwas auf einen Schrank zu stellen oder von dort herunterzuholen,
  • dass das mit dem Blumengießen gar nicht so einfach ist, weil die Fensterbretter zu hoch sind,
  • die Wände, bis zur Decke, erscheinen endlos,
  • dass Sie nur sehr schwer aus dem Fenster schauen und das Fenster auch gar nicht öffnen können,
  • die Lampen sind viel zu weit oben,
  • usw.

Im Kindergarten wird es notwendig, dass integrierte Wohnfelder entstehen. Dies bedeutet, dass es keine feste Nutzungszuschreibung gibt. Der Gruppenraum wird von den Kindern mit all seinen Möglichkeiten entdeckt, sogenannte etablierte Spielbereiche können verändert und anderen Aktivitäten zugeführt werden. Insbesondere wenn die Gruppennebenräume integriert werden, erlebt der Kindergarten eine ganz wesentliche Raumerweiterung. Er kann sich zu einer Wohnlandschaft für Kinder entwickeln, ergänzt durch Galerien, Podeste, zweite Spielebenen usw..

Als Erzieher müssen wir uns bewusst werden, dass wir (Raum-) Verantwortung tragen. Deswegen sollten wir uns jeweils mit der Kindergruppe diese Verantwortung teilen. Es empfiehlt sich das Gespräch in der Kinderkonferenz. Hier können gemeinsam Veränderungsmöglichkeiten im Gruppenraum besprochen werden.

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