Zitiervorschlag

Die Reform der Erzieherinnen-Ausbildung - ein Fortsetzungsstück: "Alle Jahre wieder..."

Friedrich Genz und Gerhard Stranz

 

Zu dem Vorhaben, die Erzieherausbildung in NRW zu verändern, wurde bereits in KiTA aktuell NRW 11/2001 unter verschiedenen Aspekten Stellung bezogen. Der dort (eher nebenbei) formulierten Einschätzung, das Positive der Reform liege in der Abschaffung des Vorpraktikums, kann nicht ohne weiteres zugestimmt werden. Die damit verbundenen Auswirkungen für Ausbildung und Praxis müssen genauer durchdacht werden, was mit dem folgenden Beitrag versucht wird.

Die Analyse der Schüler-Daten einer Fachschule (des R. Steiner Erzieher-Seminar, Berufskolleg in Dortmund) von 1991-2001 ergab folgendes Bild: 25-30% der SchülerInnen hatten bereits eine abgeschlossene Berufsausbildung, als sie die Ausbildung begannen. Eine "einschlägige Berufsausbildung" konnten pro Jahrgang (jeweils circa 50 Schülerinnen) durchschnittlich etwa 5% der SchülerInnen vorweisen. 60-75% der SchülerInnen absolvierten nach ihrem Schulabschluss (FOR, FHR, AHR) ein Vorpraktikum und nahmen dann die Ausbildung auf. Man kann also sagen, dass diejenigen, die sich in den letzten Jahren dem Erzieherberuf zugewandt haben, ein bestimmtes "Voraussetzungsprofil" aufweisen - zumindest an dieser Fachschule:

Merkmale 1. Gruppe:

Merkmale 2. Gruppe:

Durch die Bestrebungen, die Eingangsvoraussetzungen zu verändern, würde die oben erwähnte "Gruppe 2", also mehr als 60% der bisherigen Zielgruppe, (zunächst) von der Ausbildung ausgeschlossen. Die "Gruppe 1" würde vermutlich ganz ausgegrenzt, denn es ist recht unwahrscheinlich, dass diese Menschen, die ja schon eine Ausbildung haben, nun noch eine "einschlägige" als Einstiegsvoraussetzung für die eigentlich gewünschte aufnehmen. Sowohl für die Ausbildung als auch für die Praxis wäre dies ein außerordentlicher Verlust. Unten mehr dazu.

Eher "nebenbei" wird durch die veränderte Eingangsvoraussetzung also eine neue Zielgruppe für den Erzieherberuf entworfen. Ist das bewusst geschehen, oder handelt es sich um einen unbeabsichtigten "Nebeneffekt"? Es bestehen große Zweifel, ob es diese durch das neue Eingangsprofil umrissene "Schülerpopulation" für den Erzieherberuf überhaupt gibt.

Würde die Neuregelung realisiert, so müsste man zumindest kurzfristig mit einem erheblichen Schülerrückgang rechnen und mittelfristig mit einer geringeren Anzahl ausgebildeter ErzieherInnen. Vor diesem Hintergrund ist es fraglich, ob der Wegfall des Vorpraktikums grundsätzlich für positiv erachtet werden kann. Der Hinweis an die Träger, dem "Verlust" von Vorpraktikanten doch zustimmen, sowie die Empfehlung an die Fachschulen, im Hinblick auf sinkende Schülerzahlen "Vernunft walten" zu lassen (vergl. Schomacher/ Steller 2001, S. 231), wirken merkwürdig. Worauf soll sich denn die "Vernunft" beziehen? Und warum sollen die Träger einem Ergebnis zustimmen, an dessen Entstehung sie nicht beteiligt waren?

Natürlich kann Bestandssicherung von Schulen kein Argument für die Gestaltung von Ausbildung sein. Bevor aber am Bestand (mit erhebliche Folgen) manipuliert wird, muss sichergestellt sein, dass die angedachten Eingriffe sinnvoll sind. Gravierende Änderungen erfordern gravierende Argumente. Diese sind noch nicht zu erkennen. Die uns vorliegenden Ausführungen zur Reform der Erzieherausbildung wirken eher wie ein "hektischer Schnellschuss".

Vertreter vieler Einrichtungen haben in letzter Zeit darüber geklagt, dass sie keine Vor- und AnerkennungspraktikantenInnen zur Mitarbeit gewinnen können. Es wäre verfehlt, in diesem Zusammenhang auf die Bequemlichkeit der ErzieherInnen oder auf die "Ausbeutung" der Träger zu verweisen. Es scheint vielmehr so zu sein, dass der Mangel an ausgebildeten ErzieherInnen in letzter Zeit teilweise durch Vor- und AnerkennungspraktikantenInnen überbrückt - und damit auch verdeckt - wurde. Daraus folgt nicht, dass an dem Vorpraktikum in der bisher gepflegten Form festzuhalten ist. Das Vorpraktikum ist/war unter dem Aspekt einer die Fachschulzeit vorbereitenden Ausbildungsphase zu unstrukturiert und hatte zu viel "Leerlauf".

Es ist aber in mehrfacher Hinsicht bedenklich, wie offensichtlich vorgesehen, eine so genannte einschlägige Berufsausbildung als neue Eingangsvoraussetzung einfach "vorzuschalten". Zum einen käme es, sofern keine didaktische Abstimmung oder Verzahnung erfolgt (was nicht zu erwarten ist), vermutlich zu unnötigem Leerlauf oder zu Wiederholungen von Lernprozessen; zum anderen bleibt weitgehend unklar, ob mit diesem Verfahren der Prozess einer sinnvollen Berufsfindung und -vorbereitung zu handhaben ist. Zudem ist zu berücksichtigen, dass diese Bildungsgänge als "Einstiegsausbildungen" bzw. "Trittbrett" entwertet werden könnten.

Dass andere abgeschlossene Berufsausbildungen in Zukunft als Eingangsvoraussetzung wegfallen sollen, wird nicht hinreichend begründet (Hat man sich denn einmal die Mühe gemacht, die "Praxis" zu befragen, wie die Absolventen mit dieser Einstiegsqualifikation sich bewährt haben? Vermutlich nicht). Sollte damit die Hoffnung verbunden sein, auf diesem Weg die Qualität der Ausbildung oder Abschlüsse zu erhöhen, so wäre dies eine Illusion. An der oben erwähnten Fachschule sind in den letzten 10 Jahren insgesamt 110 SchülerInnen aufgenommen worden, die eine abgeschlossene, aber nicht einschlägige Berufsausbildung hatten. Von ganz wenigen Ausnahmen abgesehen, haben diese Menschen den Verlauf der Ausbildung außerordentlich positiv beeinflusst und bekamen meist schon während der Kurzpraktika oder des Anerkennungsjahrs Stellenangebote aus den Einrichtungen. Diese Gruppe sollte zukünftig, besonders im Hinblick auf die Wünsche und Erfordernisse der Praxis, nicht ausgegrenzt werden. Zudem wurde festgestellt, dass diese Gruppe nach Abschluss der Ausbildung im Beruf bleibt, während ein Teil der jüngeren SchülerInnen zur FH wechselt oder andere Ziele verfolgt.

Und nun?

Wo liegen die wirklichen Motive, die ErzieherInnenausbildung zu reformieren? Es bestehen erhebliche Zweifel, dass die Reformbestrebungen ihren Ursprung in einer sorgfältigen Beobachtung und Analyse des "derzeitigen Betriebs" haben. Maßgeblich für die Gestaltung von Ausbildung sollten zunächst die Bedürfnisse derjenigen sein, die die Erträge derselben in Empfang nehmen oder sie vermitteln, also die Kinder und Eltern sowie die ErzieherInnen. So wichtig aktuelle Entwicklungen und Perspektiven auch sein mögen (Europa-Standard, Globalisierung, Verlagerung des Elementarbereichs in den Bildungssektor und damit die Orientierung der - bisherigen - Erzieher-Ausbildung an der Fachhochschule usw.), so wenig legitimieren sie dazu, am eigentlichen Bedarf vorbei zu planen.

Wir fordern damit nicht, dass alles so bleiben soll, wie es ist. Natürlich nicht. Die ErzieherInnenausbildung muss weiterentwickelt werden, das ist hinreichen bekannt, oft diskutiert und begründet worden. Aber hierzu bedarf es einer seriösen Bedarfsermittlung mit einer tatsächlichen breiten Beteiligung, einer dem Vorhaben angemessenen Diskurs-"Kultur". In den letzten Jahren wurden die Betroffenen jedoch immer wieder von Veränderungen überrollt, und die bei diesem Verfahren erzielten Ergebnisse haben merkwürdigen "Halbwertzeiten". Wie gesagt: Fast alle Jahre wieder mal was Neues...

Wenn Einigkeit darüber besteht, dass die ErzieherInnen-Ausbildung ohne "Vorerfahrungen" nicht aufgenommen werden kann, so ist "nur" die Frage zu beantworten, welcher Art diese Vorerfahrungen sein sollen und welcher Zeitrahmen dafür notwendig ist. Im Verlauf der seit etwa acht Jahren von der genannten Fachschule regelmäßig durchgeführten Gespräche mit den Partnern in der Praxis wurde wiederholt erörtert, was bei der Gestaltung des Vorpraktikums angestrebt werden muss. In diesem Zusammenhang betonten die KollegenInnen aus der Praxis u.a. Folgendes:

Damit keine Missverständnisse aufkommen: Es handelt sich hierbei nicht um ein Curriculum für das Vorpraktikum, sondern zunächst um (weitgehend bekannte) Erfahrungswerte, die Ausgangspunkt weiterer Überlegungen und strukturierter Lösungen werden könnten. Vor diesem Hintergrund: Man muss das Vorpraktikum nicht abschaffen, sondern es (endlich einmal) weiterentwickeln. Die oben angedeuteten "Basiserfahrungen" sind nicht nur für den Erzieherberuf relevant, sondern könnten auch Grundlage für andere Ausbildungsgänge sein: Kinderpflege, Heilerziehungspflege usw. Wenn man also bestimmte Ausbildungsgänge - wie z.B. die Kinderpflege - nicht zu einer "Trittbrett-Ausbildung" degradieren will, aber zugleich eine angemessene Vorerfahrung und Vorbereitung ermöglichen möchte, so liegt es nahe, über ein durch längere Praktika gegliedertes "Grundstudium" für soziale Berufe nachzudenken. Derartige Ideen sind in Bayern in Form eines "Sozialpädagogischen Seminars" bereits realisiert worden und sollten in diesem Zusammenhang beachtet werden.

Mit einem gewissen Missbehagen muss man auf die Zeit nach Einführung der APO-BK zurückblicken: Es gab eine Fülle ungelöster Probleme, halb durchdachter Lösungen sowie unklarer Vorschriften. Ist es nicht an der Zeit, aus solchen Erfahrungen zu lernen? Schon die wenigen Aspekte, auf die wir verwiesen haben, sollten Anlass sein, das Ganze noch einmal zu überdenken. Und dabei darf nicht vergessen werden, für wen und mit wem die Reform durchzuführen ist.

Literatur

Schomacher, H./Steller, U.: Erneute Reform der Erzieherinnen/Erzieherausbildung - Chance oder Rückschritt. KiTa aktuell NRW, Heft 11/2001

Autoren

Friedrich Genz
Schulleiter des Rudolf Steiner Erzieher-Seminars Dortmund
Berufskolleg
Mergelteichstraße 45
44225 Dortmund

Gerhard Stranz
Geschäftsführer der Internationalen Vereinigung der Waldorfkindergärten e.V.
Region Nordrhein-Westfalen
Mergelteichstraße 59
44225 Dortmund
Tel.: 0231/97615-70
Fax: 0231/97615-80
Email: [email protected]



In: Klax International GmbH: Das Kita-Handbuch.

https://www.kindergartenpaedagogik.de/fachartikel/ausbildung-studium-beruf/erzieher-in-ausbildung-an-fachschulen/691/