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Zitiervorschlag

Eine Pädagogik des Zuhörens

Tassilo Knauf

 

Zuhören und Beobachten in der Bildungsdokumentation

Zuhören als namengebendes Merkmal einer Pädagogik - das klingt einfach, ja minimalistisch, zugleich anspruchsvoll. Wie kann es gelingen, pädagogisches Handeln auf die Äußerungen eines Kindes zu beziehen, auf sie aufzubauen? Das stellt doch viele Generationen von pädagogischen Handlungskonzepten auf den Kopf. Denn in ihnen ging es vorrangig darum, die Erwartungen von Kultur und Gesellschaft an Kinder heranzutragen und das Denken und Handeln der Kinder auf diese Erwartungen einzustellen. Die Unterschiede der pädagogischen Konzepte bestanden vor allem in den unterschiedlichen Mitteln, dies zu erreichen. Und hier konnten die Unterschiede schon gewaltig sein, von der Zucht bis zur Einfühlung.

Die Reggio-Pädagogik, die sich nach einer Vorgeschichte vor rund einem halben Jahrhundert in Reggio Emilia (Emilia-Romagna) entfaltete, sagt von sich, eine "Pädagogik des Zuhörens" zu sein (vgl. u.a. Rinaldi 2006). Sie geht damit nicht so weit wie die "Antipädagogik" der 1970er und 1980er Jahre (vgl. u.a. Braunmühl 2015); denn ihr ist das aktive pädagogische Handeln mit den Kindern sehr wichtig (vgl. Knauf 2015/2016). Aber sie sieht die Kinder selber als die Protagonisten des Lernens. Sie sind Entdecker, Forscher und Künstler, die Gegenstände und Themen ihres eigenen Interesses entdecken und an ihnen mit Energie und Intensität forschen. Und sie drücken ihre Forschungsprozesse in Bildern, in dreidimensional gestalteten oder gebauten Objekten, in (Rollen-) Spielen, in Gesprochenem, Gesungenem und weiteren medialen Formen aus. In Reggio spricht man von den "hundert Sprachen des Kindes", den hundert Sprachen des Selbstausdrucks und der Mitteilung (vgl. Reggio Children 2012, S. 14; Knauf 2009, S. 28). Das Zuhören bezieht sich auf die Wahrnehmung all dieser Ausdrucks- und Mitteilungsformen, ist also nicht nur das Aufnehmen auditiver Informationen.

Das Zuhören schließt damit auch das Beobachten ein. Diese beiden Begriffe fördern allerdings unterschiedliche Assoziationen: Zuhören verlangt Zuwendung, Achtsamkeit, oft auch Konzentration und Geduld. Beobachten kann man aus Distanz, aus verdeckter Position, es kann schnell und punktuell vollzogen werden. Und Beobachtung kann auf externe, diagnostische Kriterien und methodische Raster bezogen werden, unabhängig von den Kommunikationsprozessen und Kommunikationswünschen des beobachteten Kindes. In zahllosen Beobachtungskonzepten der letzten Jahrzehnte wird dies so auch praktiziert.

Schon Anfang des 20. Jahrhunderts rückte Maria Montessori die Beobachtung der Kinder in das Zentrum pädagogischen Handelns. Denn aus der Beobachtung leitete die Erzieherin die Gestaltung der "vorbereiteten Umgebung" ab und steuerte damit diskret den Interessen- und Aktionsradius der Kinder (vgl. Montessori 1979, S. 28 f.).

Aber erst in den 90er Jahren des 20. Jahrhunderts wurde die Beobachtung im Elementarbereich zu einem Standardelement professionellen Handelns. Die professionelle Beobachtung in Kindergärten erfuhr parallel dazu in Hinblick auf Zielsetzung und Methodik eine rasche Systematisierung. Dies geschah in zeitlicher Parallelität zu den Tendenzen zur Qualitätssicherung im Elementarbereich (vgl. Knauf 2013, S. 121 ff.). Teil einer überprüfbaren professionellen Arbeit im Elementarbereich wurde der Zusammenschluss von Beobachten und Dokumentieren in der "Bildungsdokumentation", weil diese Handlungseinheit als Grundlage pädagogischer Planung verstanden werden konnte (vgl. Krenz 2009, S. 62).

Rainer Strätz und Helga Demandewitz gehen entsprechend davon aus, dass die Beobachtung eingebettet sein sollte in das Gefüge von (Träger-) Leitbild und der Analyse von Lebenssituation des Kindes und seines Umfeldes. Dabei können die Ressourcen, Probleme und die sozialen Beziehungen des Kindes erfasst werden. "Diese Informationen stellen das Ausgangsmaterial für die Situationsanalyse dar... Erst dann leitet die Erzieherin Ziele für die pädagogische Arbeit ab, plant Handlungsschritte und führt sie durch. Schließlich wertet die Erzieherin den pädagogischen Prozess aus. Sie überprüft, ob die erwünschten Ergebnisse ihres Handelns eingetreten sind, sucht nach Gründen, wenn dies nicht der Fall ist und verändert ihre Planung auf Grund neu gewonnener Erkenntnisse und Informationen" (Strätz/ Demandewitz 2005, S. 25). Erkennbar ist bei Strätz und Demandewitz eine rationale Position, die die Beobachtung in ein funktionales, beinahe sozialtechnologisches Planungs- und Wirkungsgefüge stellt.

In den letzten Jahren hat sich eher eine Hinwendung zur Unverwechselbarkeit und Würde des einzelnen Kindes und zur Akzeptanz der Heterogenität von Kindern ergeben. So betonen die Autoren der von der Diakonie Mitteldeutschland 2007/08 herausgegebenen programmatischen Schrift "Vom Sehen zum Verstehen" "das Kennenlernen des einzelnen Kindes sowie der Gruppe" als Ziel der Beobachtung. "Im Gegensatz zum Einschätzen oder gar Bewerten, das ein distanziertes Beurteilen vom Standort des Wissenden aus meint, beruht Kennenlernenwollen auf forschendem Interesse" (Diakonie Mitteldeutschland 2007/08, S. 16; Hervorhebungen im Original). Ausgangspunkt ist das "Arbeitsethos der Erzieherin", "ihre Haltung zum Menschen" (ebd.). "Das Kind wird als wertgeschätzter Mensch kennengelernt und seine Entwicklung mit Interesse begleitet" (ebd.).

Eine verwandte Position nimmt Bernd Groot-Wilken ein, wenngleich weniger aus einem christlichen Ethos als aus einer konstruktivistischen Wissenschaftsposition gespeist: Das Kind wird als Konstrukteur seiner Bildungsprozesse gesehen, das eigene Perspektiven auf Welt und auf sein Handeln in dieser Welt entwickelt. "Durch gezielte Beobachtungen erlangen Fachkräfte detaillierte Informationen über die subjektiven Strategien und Absichten der Kinder. Diese wiederum erweitern das Verständnis für Handlungen der Kinder und ermöglichen eine Perspektivenübernahme durch die Fachkräfte. Die Übernahme der Perspektive bedeutet nichts anderes, als mit dem kindlichen Blick auf die Dinge zu schauen" (Groot-Wilken 2007, S. 34; Hervorhebungen im Original).

In der deutschsprachigen Fachdiskussion ist damit eine deutliche Annäherung an das reggianische Paradigma des Zuhörens und "wahrnehmenden Beobachtens" (vgl. Schäfer/ Alemzadeh 2012) festzustellen. International ist weiterhin die Parallelität zweier entgegengesetzter Strömungen festzustellen: Die eine betont, wie in Reggio, stärker die Unverwechselbarkeit und die individuellen Potenziale des Kindes; die andere ist eher an einem vergleichenden, normorientierten Paradigma der Bildungsdokumentation orientiert (vgl. u.a. Knauf 2015, S. 1f.).

Diese Spannung ist den Pädagog/innen in Reggio bewusst. Carlina Rinaldi, die seit Jahrzehnten in der Organisation und pädagogischen Begleitung der kommunalen Kindertagesstätten in Reggio eine zentrale Rolle spielt, hat wiederholt kritisch auf die Polarisierung im fachlichen Verständnis von Bildungsdokumentation hingewiesen. Sie versteht Dokumentation als "sichtbares Hören", als die "Konstruktion von Spuren (mittels Schrift, digitalen Bildern, Videos etc.)". Die Dokumentation "macht, zumindest teilweise, die Natur der Lernprozesse und -strategien jedes Kindes sichtbar... Die Pädagogin, aber vor allem das Kind und die Kinder selber können die Natur ihres Lernprozesses reflektieren... Es geht nicht um eine Dokumentation von Produkten, sondern von Prozessen, von mentalen Pfaden". "Dies ermöglicht das Lesen, Interpretieren und Revidieren... So werden Lesen, Reflektieren, Beurteilen und Selbstbeurteilen beim Kind zu einem ganzheitlichen Teil des Aufbaus von Wissen" (Rinaldi 2006, S. 100).

"Aktives Zuhören" in der Pädagogik des Zuhörens

Die theoretischen Grundlagen einer Pädagogik des Zuhörens liegen bei Carl Rogers, der schon in den 1940er Jahren in seinem Konzept der Humanistischen Psychologie und Pädagogik die Werte einer den anderen akzeptierenden, sich in ihn einfühlenden und authentischen Interaktion beschrieb (vgl. Rogers 1985). In den 1970er und 80er Jahren entwickelte Friedemann Schultz von Thun ein viel beachtetes Praxiskonzept für aktives Zuhören (vgl. Schulz von Thun 2014). Immer wieder werden daraus einfache Regeln abgeleitet, damit aktives Zuhören auch im Alltag gelingt:

"Einstellungen des aktiven Zuhörens:

  • sich in den anderen hineinversetzen,
  • sich körperlich dem anderen zuwenden (Haltung, Gestik, Mimik),
  • sich selber zurückstellen,
  • sich ganz auf den anderen konzentrieren,
  • sich für den anderen als Menschen interessieren,
  • Beweggründe und Gefühle des anderen erkennen wollen,
  • den anderen als Menschen bejahen und respektieren,
  • ihm/ihr eine positive Haltung entgegenbringen" (uni-due.de/edit/lp/.../aktiveszuhoerenuebung.pdf).

Bezogen auf die Kommunikation im Kindergarten und vor dem Hintergrund der Reggio-Pädagogik haben Linda Thornton und Pat Brunton konkretisiert, was das heißen kann:

  • dem Kind zeigen, dass ich interessiert bin an den Äußerungen des Kindes,
  • die unterschiedlichen Mitteilungscodes des Kindes achten: Mimik, Körpersprache, die Art, wie ein Kind steht oder sich bewegt oder wie es sich in bestimmten Situationen verhält,
  • Zeit für Kommunikation einplanen und zu regelmäßigen Ritualen machen,
  • Morgen- oder Abschlusskreise gestalten, in denen Kinder untereinander kommunizieren,
  • dabei aufmerksam werden auf günstige Konstellationen, in denen die Kinder zu Wort kommen und lernen, sich wechselseitiges zuzuhören,
  • den Kindern dabei Erfahrungen im wechselseitigen Austauschen, Aushandeln und auch Streiten ermöglichen,
  • zugleich die Chancen für die Stabilisierung von Zusammengehörigkeit und "Teamgeist" nutzen, indem individuelle Rechte, Pflichten und Verantwortlichkeiten deutlich gemacht werden,
  • zeitlich und räumlich den Kindern für die Kommunikation förderliche Rahmenbedingungen schaffen (z.B. bequem sitzen, Körperkontakt haben); das kann drinnen oder draußen sein (vgl. Thornton/ Brunton 2014, S. 23 ff.).

Die Pädagogik des Zuhörens und das Portfolio

Gerade in Südtirol hat - ähnlich wie in der stark von der Reggio-Pädagogik geprägten Kindergartenlandschaft Schwedens - das Portfolio seit Beginn dieses Jahrhunderts eine besondere Bedeutung als Dokumentationsform für eine Pädagogik des Zuhörens gewonnen (vgl. Krok/ Lindewald 2007; Berger/ Berger 2007; Deutsches Schulamt 2005).

Im Portfolio werden Kinder parallel mit dem Zuwachs ihrer Kompetenzen Autoren ihrer Biographie, zumindest Verfasser der im Portfolio gesammelten oder wiedergegebenen Werke wie Bilder, Fotos ihrer Produkte, ihrer aufgeschriebenen Aussagen. Das Portfolio ist ein vorzeigbares Dokument der "Selbstwirksamkeit" des Kindes (vgl. Bandura 1997) und macht seine "Überzeugung, aus eigener Kompetenz Herausforderungen bewältigen zu können", sichtbar (Müller 2005, S. 13).

Die Bedeutung selber produzierter Werke für die Ausbildung von Selbstbewusstsein und Selbstwertgefühl hat der Entwicklungspsychologe Erik Erikson mit dem Begriff "Werksinn" deutlich gemacht: "Obwohl alle Kinder Stunden und Tage in einer spielerischen Als-ob-Welt verbringen (...), werden sie früher oder später unbefriedigt oder mürrisch, wenn sie nicht das Gefühl haben auch nützlich zu sein, etwas machen zu können und es gut und vollkommen zu machen; dies nenne ich Werksinn (...). Das Kind lernt, sich Anerkennung zu verschaffen, indem es Dinge produziert" (Erikson 1997, S. 105).

Der Autorenstolz von Kindern kann umso mehr gefördert werden, je mehr wir sie im Portfolio authentisch zu Wort kommen lassen. Und dies lässt sich nicht nur auf Bilder und andere visuell fassbare Werke der Kinder beziehen, sondern auch auf das, was sie verbal ausdrücken. Die Reggio-Pädagogik hat dabei eine besonders intensive Konkretisierung des Prinzips der "hundert Sprachen des Kindes" herausgearbeitet: die Kombination von Bild- und Textdokumenten, in der das Zuhören und Wahrnehmen, die Erfahrungen, Emotionen und Reflexionen der Kinder in verschiedenen, komplementären Ausdrucksformen sichtbar und lesbar werden. In "sprechenden Wänden", Projektordnern oder eben Portfolios ist es gerade ein Charakteristikum reggio-inspirierter pädagogischer Arbeit, dass schriftliche Erklärungen und Deutungen in die Bilddokumente integriert werden (vgl. Knauf 2013).

Diese Integration kann in verschiedenen Varianten geschehen:

  • Kinder kommentieren ihre Bilder, indem sie nicht nur ihren Namen in oder neben das Bild schreiben, sondern auch einen Bildtitel erfinden oder eine kurze sprachliche Erklärung dem Bild/ der Zeichnung hinzufügen.
  • Kinder erläutern Fotos; dabei geht es nicht so sehr um genaues Rekonstruieren eines Sachverhaltes als um die Herstellung eines Sinnzusammenhangs. So können dann auch an einem (wöchentlichen) Portfolio-Tag oder in einer (vierteljährlichen) Portfolio-Woche Kinder einem Bild nachträglich eine - von der Pädagogin aufgeschriebene - persönliche Bedeutung verleihen.
  • Kinder werden in Gespräche einbezogen, die protokolliert werden. Das können kleine Dialoge oder Interviews sein, die sich an die verschiedenartigsten Anlässe anknüpfen lassen.

Insgesamt ist die Einbeziehung verschiedener Zugangsweisen zur gegenständlichen, sozialen und auch individuellen Welt der Kinder für die Qualität des Portfolios von großer Bedeutung. So können dann auch verschiedene Sorten von Dokumenten ins Portfolio integriert werden:

  • Bilder und Zeichnungen der Kinder
  • Fotos von Aktionen und Produkten der Kinder
  • ihre eigenen Worte, Kommentare
  • Briefe Erwachsener
  • gedruckte Zeitungsausschnitte, Einladungen etc.

Diese so unterschiedlichen Dokumente stellen verschiedene Spiegelungen und Brechungen sowohl von Welterfahrungen als von inneren Bildern der Kinder (und Erwachsener) dar.

Erinnerungsarbeit im Portfolio als Herzstück einer Pädagogik des Zuhörens

Die meisten Kinder lieben es, in ihren Portfolios zu blättern. Kinder machen Vergangenes wieder lebendig und tauchen ein in frühere Etappen der eigenen Lebensgeschichte. Erinnerungsarbeit ist immer auch eine Reise durch die kognitiven Landkarten der eigenen Vorstellungen von Welt. Um dies zu fördern, ist es wichtig, das Portfolio aus der Funktion der Sammelmappe herauszuholen. Die im Portfolio aufbewahrten Dokumente sind immer ausgewählt, nicht die Summe von allem, was gesammelt wurde. Daher wird die Portfolioarbeit nicht nebenbei gemacht, sondern an regelmäßig sich wiederholenden Tagen, einmal in der Woche oder in einer turnusmäßigen Portfolio-Woche. Damit wird allen direkt und indirekt Beteiligten, also auch den Eltern, deutlich: Portfolioarbeit ist Bildungsarbeit. In ihr setzen sich Kinder gedanklich, emotional und praktisch auseinander mit

  • mit ihrer eigenen Person, ihrer Unverwechselbarkeit, Identität
  • mit ihren Interessen
  • mit ihrem Können
  • mit dem von ihnen selber Geschaffenen
  • mit dem Erlebten
  • mit Schönem und Besonderen.

Die unterschiedlichen Bezüge der im Portfolio zusammengestellten Dokumente zur Identität, zu den Kompetenzen, Interessen und Aktionen des Kindes kann sich in der Gliederung des Portfolios widerspiegeln. Diese stellt Ordnung her und erleichtert es den Kindern, den ausgewählten Materialien Bedeutungen zuzuweisen, die mit der eigenen Person und ihren Sinnstrukturen in einer untrennbaren Beziehung stehen. Die Struktur kann folgenden Gesichtspunkten folgen:

- "Das bin ich"
- "Das kann ich"
- "Dafür interessiere ich mich"
- "Damit haben wir uns beschäftigt"
- "Meine schönsten Bilder
- "Meine Lieblingslieder und -reime"
- "Schöne Ereignisse"
- Beobachtungen der Erzieherinnen.

Um eine Reduktion der Kategorien zu erreichen, ließen sich die drei letzten Kategorien vor den Erzieherinnenbeobachtungen auch in der Kategorie "Schönes und Besonderes" zusammenfassen.

Kinder fragen nach den Bedeutungen der Kategorien und prägen sich diese in der Regel schnell ein, so dass 4- bis 6-Jährige relativ selbstständig mit dem Portfolio umgehen können. Vor der Auswahl der gesammelten Produkte an den festgelegten Tagen der Portfolio-Bearbeitung können diese in den Eigentumsfächern der Kinder oder in Hängemappen "zwischengelagert" werden. Auch dies ist ein Stück Bildungsarbeit: Sammeln als Handeln, das dem selber Hergestelltem oder Erlebtem Aufmerksamkeit und Bedeutung gibt, und dann Ordnen und Auswählen, das Rangfolgen des persönlich Bedeutungsvollen erzeugt.

Das Portfolio ist darauf angelegt, Beziehungen zu knüpfen: Beziehungen zwischen dem Kind und seiner eigenen Lebensgeschichte, aber auch zwischen dem Kind und den Personen, die ihm etwas bedeuten: die Eltern, andere Kinder, die Pädagog/innen. Die Beziehungen können unterschiedlich sein: Die Pädagogin liest z.B. aus dem Portfolio vor, stellt Fragen zu dem, was im Portfolio festgehalten ist, oder antwortet auf Fragen des Kindes rundum das Portfolio. Kinder vergleichen ihre Portfolios. Eltern wollen das, was im Portfolio zusammengetragen wurde, genauer erklärt bekommen. Es entstehen vielgestaltige Portfolio-Gespräche. Das klassische Entwicklungsgespräch zwischen pädagogischen Fachkräften und Eltern wird durch die Einbeziehung des Portfolios nicht nur bereichert, sondern auch konkreter. Die Pädagogin kann das Entwicklungsgespräch vorbereiten, indem sie das Kind im Vorfeld beteiligt: Ich treffe mich morgen mit deiner Mama. Kann ich ihr dein Portfolio zeigen? Du kannst aus deinem Portfolio auch Seiten heraussuchen, die ich ihr zeigen soll.

Noch einen Schritt weiter geht der Versuch, das Portfolio als zentrales Medium von Entwicklungsgesprächen in eine Dreieckskommunikation mit Kind, Eltern und Pädagogin zu integrieren: Dann werden Situationen geschaffen, in denen das Kind zu Wort kommt und nicht "hinter seinem Rücken" über das Kind gesprochen wird. Das Portfolio schafft Material und weitere Anstöße zum Zuhören, es ist ein bedeutungsvolles Instrument einer Pädagogik des Zuhörens.

Literatur

Bandura, Albert: Self-efficacy: The exercise of control. New York 1997

Berger, Lasse und Marianne (Hrsg. und Übersetzer der deutschen Ausgabe): Portfolio in Vorschule und Schule. Bremen 2007

Braunmühl, Ekkehard von: Antipädagogik: Studien zur Abschaffung der Erziehung. Leipzig 2015

Deutsches Schulamt - AG Portfolio: Lernen mit Portfolio. www.blikk.it/.../schulegestalten/...suedtirol/.../Das%20Portfolio%2 (2005)

Diakonisches Werk Evangelischer Kirchen in Mitteldeutschland e.V. (Hrsg.): Vom Sehen zum Verstehen. Beobachtung und Dokumentation - eine Arbeitshilfe. Halle (Saale) 2007

Erikson, Erik: Identität und Lebenszyklus. Frankfurt am Main 1977

Groot-Wilken, Bernd: Bildungsprozesse in Kindergarten und Kita. Freiburg 2007

Knauf, Helen: Styles of documentation in German early childhood education. Early Years 1/2015, S. 1-17

Knauf, Tassilo: Ästhetische Bildung von Kindern unter drei Jahren. Impulse aus Reggio-Emilia. TPS 1/2009, S. 28-29

Knauf, Tassilo: Dokumentation. In: Lingenauber, Sabine (Hrsg.): Handlexikon der Reggio-Pädagogik. Bochum 2013, S. 30-37

Knauf, Tassilo: Reggio-Pädagogik. Wir. Kindergarten in Südtirol 1/2015,16

Krenz, Armin: Beobachtung und Entwicklungsdokumentation im Elementarbereich. München o.J. (2009)

Krok, Göran/Lindewald, Maria: Portfolios im Kindergarten. Das schwedische Modell. Mülheim an der Ruhr 2007

Montessori, Maria: Spannungsfeld Kind - Gesellschaft - Welt. Hrsg. von Günter Schulz-Benesch. Freiburg 1979

Müller, Andreas: Erlebnisse durch Ergebnisse. Das Lernportfolio als multifunktionales Werkzeug im Unterricht.  Grundschule 6/2005, S. 9-18

Reggio Children (Hrsg.). The Wonder of Learning. The Hundred Languages of Children. Reggio Emilia 2012

Rinaldi, Carlina: In Diologue with Reggio Emilia. Listening, researching and learning. London, New York 2006

Rogers, Carl R.: Die nicht-direktive Beratung. Frankfurt am Main 1985 (Erstausgabe 1942)

Schäfer, Gerd E./Alemzadeh, Marjan: Wahrnehmendes Beobachten: Beobachtung und Dokumentation am Beispiel der Lernwerkstatt Natur. Weimar 2012

Schulz von Thun, Friedemann: Miteinander reden. 4 Bde. Frankfurt am Main 2014

Strätz, Rainer/Demandewitz, Helga: Beobachten und dokumentieren in Tageseinrichtungen für Kinder. Weinheim, 5. Aufl. 2005

Thornton, Linda/Brunton, Pat: Bringing the Reggio Approach to your Early Years Practice. London - New York 2014