Zitiervorschlag

Aus: Theorie und Praxis der Sozialpädagogik (TPS), Heft 3/2001, S. 45-47

Das Kinderamt für Arbeit und Erfindung: Richtig arbeiten und mit Geld umgehen

Lothar Klein

 

Im "Kinderamt für Arbeit und Erfindung" des Kinderhauses Elsässer Platz in Wiesbaden gibt es keine "erwachsenen" Vorbehalte: Arbeit sei nichts für Kinder, Kinder könnten nicht mit Geld umgehen usw. In der Realsituation können Kinder selbstbestimmt und lustvoll lernen. Jörg Pöse, der Leiter des "Kinderamtes" ist sich sicher: "Kinder wollen richtig arbeiten. Man muss sie nur lassen, sie ermutigen und ihre Arbeit wirklich würdigen."

Mitte 1999 war die Idee da. Jörg Pöse bekam einen von zwei Seiten durch eine Fensterfront gut einsehbaren Raum überlassen. Zunächst verdunkelte er die Fenster bis auf ganz wenige Öffnungen. Fünf Wochen lang wurden die Öffnungen immer wieder ein bisschen mehr erweitert. Sah man hindurch, konnte man feststellen, dass sich in dem Raum etwas Wichtiges tat: Tische tauchten auf, Arbeitsmaterialien, Werkzeuge, Maschinen. Nach und nach entstand vor den Augen der Kinder ihr neues Kinderamt für Arbeit und Erfindung.

Das Prinzip ist einfach. An zwei Tagen in der Woche geöffnet, kann jedes Kind, das arbeiten möchte, es dort tun . Wenn es will, bekommt es von Jörg Pöse Unterstützung. Kinder können Arbeiten selbst erfinden, sie können bestellt werden, oder Mitarbeiter des Kinderhauses bitten Kinder um ihre Hilfe. "Die Kinder erleben Unterstützung bei der Formulierung und Realisierung von Arbeitswünschen und der Vermarktung der Arbeitsprodukte. Die Wünsche der Kinder werden in gemeinsamen Arbeitsgesprächen erarbeitet. Mitunter tauchen neue Wünsche während der Arbeit selbst auf. Aufwendige Projektideen werden aufgeschrieben und im Kinderamt aufgehängt", berichtet Jörg Pöse.

Vom würdevollen Umgang mit den Arbeiten der Kinder

Was sind das für Arbeiten, die die Kinder "erfinden"? Jörg Pöse zählt sie auf: Rasen mähen, Obststräucher schneiden, Hecken schneiden, Blumen pflanzen, Regale bauen und aufhängen, Wäsche bügeln (sehr beliebt), Arbeiten für das Kinderamt (Verwaltung der Rabenbank, Arbeitswunschzettel schreiben, Rabenbibliothek verwalten ...), Kerzen gießen, Bücher schreiben, fotokopieren und binden, Button herstellen usw.

Das Problem, so Jörg Pöse liegt darin, den Kindern zu helfen, ihre Projekte wirklich realisieren zu können. In seinem ersten Bericht über das Kinderamt, der über das Kinderhaus Elsässer Platz in Wiesbaden zu beziehen ist, beschreibt er, mit welchen Schwierigkeiten dabei zu kämpfen ist. Es sind nicht so sehr die organisatorischen, fachlichen oder zeitlichen Probleme. Die können - im Übrigen mit Hilfe der Kinder selbst - immer gelöst werden. Wirkliche Probleme bereiten die Erwachsenen, die Kinder nicht wirklich arbeiten lassen wollen.

Ihre Reaktionen auf das Arbeitsbedürfnis der Kinder sind schockierend. Jörg Pöse, der genau beobachtet und das, was passiert auch statistisch auswertet, hat feststellen müssen, dass weit mehr als die Hälfte der Erwachsenen den Arbeiten der Kinder ablehnend gegenübersteht bzw. sie einfach als wertlos ignoriert. Liest man einige solcher Meinungsäußerungen Erwachsener, fällt das tiefe Misstrauen auf, das den Kindern darin entgegenschwappt: "Kinder sollen kein Geld bei Veranstaltungen einnehmen. Wenn sie Geld einnehmen, entziehen wir es ihnen und verteilen es 'gerecht'." - "Wenn Kinder Geld für ihre Arbeiten bekommen, machen sie am Ende auch zu Hause nichts mehr ohne." - "Kinder arbeiten uneffektiv. Sie verschwenden Ressourcen. Für Spielereien ist das Material zu wertvoll und zu teuer." - "Das, was die Kinder machen, ist doch alles noch unfertig oder es dauert viel zu lange." - "Kinder sollten spielen. Arbeiten ist Sache der Erwachsenen." - "Kinder machen sich beim Arbeiten schmutzig."

Dem setzt Jörg Pöse den "würdevollen Umgang mit den Leistungen bzw. geschaffenen Werten der Kinder" entgegen. Das Kinderamt soll dem Bedürfnis der Kinder nach Anerkennung vollbrachter Leistungen und geschaffener Werte durch Gegenleistung gerecht werden.

Das Rabengeld

Deshalb wird ihre Arbeit auch bezahlt! Im Kinderhaus Elsässer Platz gibt es inzwischen eine eigene Währung: Das Rabengeld. Bislang gibt es davon nur einen Wert, eben ein Rabengeld. Der Plural lautet einfach "Gelder" oder "Rabengelder". Für jede (!) Arbeit, die ein Kind vollbringt, bekommt es bislang ein Rabengeld, egal, wie lange die Arbeit dauert oder wie sie von Erwachsenen bewertet wird. Das gilt in gleichem Maße für den Bau eines Regals in Zusammenarbeit mit dem Hausmeisters wie für eine neue Idee oder eine Erfindung.

Erst in letzter Zeit haben die Kinder selbst begonnen, darüber nachzudenken. Sie haben Buttons hergestellt und mussten dafür das folgende Geschäft eingehen: Das Rohmaterial für drei Button kostete sie ein Rabengeld. Wenn sie sie fertig hatten, konnten sie, wenn sie wollten, dem Kinderamt davon zwei Button (für den Weiterverkauf auf dem Rabenmarkt) für ebenfalls ein Rabengeld zurückgeben und einen für sich behalten. Was aber, wenn sie nur einen zurückgeben wollten? So entstand die Idee, über eine neue Währungsgröße nachzudenken: das halbe Rabengeld.

Was machen die Kinder mit dem Rabengeld? Zu Beginn des Projektes hatte das Geld keinen unmittelbaren Wert. Sie sparten ihr Geld mit Hilfe von Sparbüchern. Darin steht auch, wofür sie sparen. Auf diesem Weg hat Jörg Pöse erfahren, was die Kinder mit ihrem Geld machen möchten. Nach vier Monaten gab es die erste Möglichkeit, Rabengeld auszugeben: Sie bezahlten damit für sich und ihre Eltern Getränke und Speisen im Rabencafe, das während eines Puppenspielfestivals im Kinderhaus eingerichtet wurde. Dort waren die Preise dann auch folgerichtig in DM und Rabengeld ausgezeichnet. Heute kaufen sich die Kinder davon Dinge auf dem Rabenmarkt, sie bezahlen davon den Eintritt für Veranstaltungen im Haus, sie gehen weiterhin "Kaffee-Trinken" oder benutzen es als internes Tauschmittel: "Zwei Pokémonkarten für ein Geld!". Das Wichtigste aber ist für sie das Sparen für eine Übernachtung.

Eine Übernachtung kostet acht Rabengelder

Immer, wenn genügend Kinder genügend Rabengeld zusammengespart haben, werden eine Übernachtung oder sogar mehrtägige Freizeitangebote organisiert. Dass dies Geld kostet, wissen die Erwachsenen schon lange. Die Kinder bezahlen ihre Übernachtungen nun selbst. Das Rabengeld wird in der Bank gegen DM gewechselt, und davon wird eingekauft.

Auch diese Idee war zu Beginn des Projektes noch nicht in Sicht. Entstanden ist sie mit dem Wunsch der Kinder, ihr Geld irgendwo aufzuheben. Anfangs wollten sie es einfach nur in der Hand behalten. Obwohl es bereits die Rabenbank gab, war das Vertrauen der Kinder in sie nicht sonderlich groß. Heute probieren die Kinder beides aus: das Geld selbst aufbewahren wollen oder in der Rabenbank sparen. "Die Kassierer in der Rabenbank wechseln ständig. Kassierer sind die Kinder, welche im Kinderamt arbeiten, selbst." Manche Kinder besitzen bereits das dritte Sparbuch. Wofür sparen die Kinder? Mehr als bei 2/3 der Sparwünsche der Kinder wird für die Eltern oder Geschwister gespart, denen die Kinder etwas schenken wollen. Beliebt ist auch das Rabencafe oder die Übernachtungen.

Darüber hinaus haben die Kinder eine ganz eigene Beziehung zu ihrem Geld und ihrer Bank. Ein paar Findige haben schon einmal versucht, die Bank zu sprengen, indem sie jeweils fast 20 Rabengelder angespart haben und sie auf einmal abheben wollten. Jannik ist es sehr wichtig, dass seine Rabengelder einen bestimmten Gummi bekommen, bevor sie in die Kasse der Bank gelegt werden. Er möchte später sicher gehen, dass er auch wirklich sein Geld wieder bekommt.

Die Rabenaktien

Man könnte denken, Jörg Pöse hätte sich ein schönes Spielsystem mit Geld und Arbeit ausgedacht, eine Spielerei, die den Kindern Realität vortäuscht, in Wirklichkeit aber nichts anders als ein schönes großes Rollenspiel darstellt.

Dem ist jedoch ganz und gar nicht so. Das Rabengeld hat wirklich einen Wert, es ist konvertierbar! Neben der Rabenkasse gibt es eine Kasse mit "echten DM". Material, das die Kinder bei der Hausverwaltung für Rabengeld kaufen, wird später von dieser in DM umgetauscht: Kaufen die Kinder beispielsweise ein kg. Wachspastillen für 13 Rabengelder, wechselt Dieter Brunner, der Leiter des Hauses, die 13 Rabengelder bei Jörg Pöse wieder in DM um. Manchmal, wenn die Rabengelder nicht reichen, spenden die Kinder auch schon mal etwas an das Kinderamt.

Dieses Geld kommt aus dem Erlös von Aktien, die an Erwachsene verkauft werden. "Diese Aktie ist eine nicht rückzahlbare Investition in Kinder", steht darauf. Oder, die Kinder nehmen DM ein, wenn sie etwas verkaufen oder für andere Erwachsene arbeiten. Ist die DM alle, hat auch das Rabengeld keinen Wert mehr. Deshalb sorgen sich alle auch darum, dass "die Kasse stimmt."

Ein offener Prozess

Jörg Pöse hat sich, als er mit dem Kinderamt begann, auf einen Prozess mit offenen Ausgang eingelassen. (Fast) Nichts war am Anfang vorhersehbar. Jörg Pöse ist genauer Beobachter und betrachtet das, was geschieht immer auch aus der ganz subjektiven Perspektive der Kinder. Das Kinderamt ist deshalb auch nicht einfach übertragbar. Jörg Pöse würde es nicht überall "genauso" einrichten. Vielleicht würde er wieder so ähnlich starten wie in diesem Fall. Das aber, was die jeweiligen Kinder wirklich brauchen, damit ihre Arbeit Würdigung erfährt, das würde er wieder neu mit den Kindern im Dialog herausfinden und entwickeln wollen.

Informationen

bekommt man über das
Kinderhaus Elsässer Platz
Klarenthalerstr. 25
65197 Wiesbaden
Tel. 0611/9490818
Fax 0611/9490765
E-Mail [email protected]

Autor

Lothar Klein
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In: Klax International GmbH: Das Kita-Handbuch.

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