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Zitiervorschlag

Aus: Klaus Schüttler-Janikulla (Hg.): Handbuch für ErzieherInnen in Krippe, Kindergarten, Vorschule und Hort. Neuausgabe. München: mvg-verlag 1999, 31. Lieferung

Kinderfreundschaft: Weshalb brauchen Kinder Freunde?

Margarete Blank-Mathieu

 

Ein Freund, ein guter Freund, das ist das Beste, was es gibt auf der Welt..., dieses Lied zeigt, dass Freundschaft für Erwachsene und Kinder gleichermaßen wichtig, ja, beinahe lebensnotwendig zu sein scheint. Aber auch Sprichworte wie: "Zeige mir, mit wem du gehst, und ich zeige dir, wer du bist", fallen uns ein, und nicht selten werden Freundschaften aus dieser Erkenntnis heraus nicht zugelassen oder gar von Erwachsenen verboten. Ein anderes Sprichwort gibt uns Auskunft über die Bedeutung der Freundschaft in Notsituationen: "Freunde in der Not, geh'n tausend auf ein Lot."

Freundschaft, was ist das, gibt es Unterschiede zwischen Kinderfreundschaften und Erwachsenenfreundschaften, stimmt alles, was "man" so über Freundschaften erzählt, und wie müssen wir Kinderfreundschaften, zumal im Vorschulalter bewerten?

1. Freundschaft hat viele Gesichter

Kinder nehmen schon als Baby gerne Kontakte zu Kindern auf. Man kann beobachten, dass Babys auf das Gesicht eines Kindes über der Wiege mit freudiger Überraschung, mit Juchzen und Lachen, mit Strampeln und Bewegungen der Händchen reagieren.

Wenn sie dann zu laufen beginnen, versuchen sie immer, sobald ein Kind in der Nähe ist, diesem nachzulaufen. Die Kontaktaufnahme geschieht oft durch scheinbare Ablehnung, also boxen, schlagen und stoßen. Aber mit diesen Gesten will das Kind dem anderen Kind signalisieren: Komm, spiel mit mir!

Es sind oft zufällige Begegnungen, später ein Nebeneinanderspielen im Sandkasten mit spontanen Freundschaftsbeweisen, die darin bestehen können, dass ein Kind zu einem fremden Kind hingeht und es umarmt und küßt, aber auch, dass es einem anderen Kind ein Spielzeug aus der Hand nimmt oder es wegschubst.

Immer aber, auch in diesen frühen Kindheitsstadien bemerken wir, dass die Begegnung eines Kindes mit einem Kind etwas Besonderes ist, etwas wesentlich anderes bedeutet als der Kontakt zu erwachsenen Personen.

Die ersten wirklichen Kinderfreundschaften bilden sich ab dem dritten Lebensjahr, also meist in der Zeit des Eintritts in den Kindergarten.

1.1 Spontane, kurzfristige Beziehungen

Zunächst handelt es sich noch um spontane, kurzfristige Beziehungen. "Wenn du mein Freund bist, darfst du mitspielen." Diese Äußerung signalisiert, dass Kinder sich einen Spielpartner wünschen, dem sie vertrauen, der sich aber auch ganz auf sie beziehen soll. Kinder im Alter von drei Jahren finden alles wichtig, was ihnen dient, was ihre egozentristischen Gefühle und das damit verbundene Weltbild, das sie selbst in den Mittelpunkt alles Interesses rückt, befriedigt. Wenn sie sich einen Freund oder eine Freundin wünschen, dann sind diese Freundschaften nur so lange haltbar, als sie keine Einschränkungen der eigenen Person verlangen.

Kinderfreundschaften sind deshalb oft sehr kurzlebig. Sie umfassen eine Spielsequenz oder einen Vormittag im Kindergarten. Kinder schließen schnell Freundschaften und beenden diese ebenso rasch. Man bietet sich die Freundschaft an, weil man dadurch einen Vorteil erwartet: "Komm, lass mich mitspielen, ich bin doch dein Freund!" oder: "Gib mir was von der Schokolade, ich bin doch deine Freundin."

Aber auch zur Unterstützung einer schwierigen Situation werden spontane Freundschaften geschlossen. So suchen sich Kinder Freunde, um eine Spielgruppe aus der Bauecke zu verdrängen. Oder sie schließen sich als Freunde zusammen, um gemeinsam etwas gegenüber der Erzieherin durchzusetzen: "Wir möchten im Garten spielen." Auch als Unterstützung gegenüber den Eltern sind Freunde wichtig: "Darf ich heute nachmittag zu meinem Freund?"

Kinder spüren sehr bald, dass die eigene Person mit Hilfe einer Freundschaftsbeziehung an Bedeutung gewinnt. Da Kinder in ihrem Alltag die Erfahrung machen, dass sie alleine unbedeutend und klein und auf die Hilfe der Erwachsenen angewiesen sind, suchen sie sich Verbündete, die ihrem Selbstbewusstsein "auf die Sprünge" helfen können.

1.2 Länger andauernde Spielfreundschaft

Kinder, die die Erfahrung gemacht haben, dass sie mit einem bestimmten Kind besonders gut spielen können, erhalten diese Freundschaft über längere Zeit aufrecht. Sie treffen sich regelmäßig zum gemeinsamen Spielen und unterstützen sich während des Spiels gegenseitig. Sie tauschen Informationen aus und helfen einander bei schwierigen Situationen. Bevor der Freund oder die Freundin nicht im Kindergarten auftauchen, finden sie nicht ins Spiel. Sie müssen sich zuerst mit dem Freund darüber verständigen, was sie spielen werden und wer ebenfalls zum gemeinsamen Spiel zugelassen wird.

Es gibt im Kindergarten Kinder, die als Freunde oder Freundinnen besonders begehrt sind. Es sind dies solche Kinder, die entweder sehr kreative Spielideen haben oder besonders begehrtes Spielzeug von zu Hause mitbringen. Auch Kinder mit großer Durchsetzungsfähigkeit sind beliebte Freunde.

Und für die meisten Kinder gilt, dass ältere Kinder als Freunde begehrter sind als jüngere Kinder. Diese sind schon auf Grund ihres Alters mit mehr Wissen und Durchsetzungsvermögen ausgestattet und lassen sich auch gerne von den "Kleinen" bewundern und als Freunde bezeichnen. Je mehr Freunde jemand hat, desto anerkannter ist er in der Kindergruppe.

Die Spielfreundschaften aus dem Kindergarten werden auch oft im privaten Rahmen, also zu Hause oder im Sportverein, auf dem Spielplatz oder in der Musikschule weitergeführt. Überall, wo mein Freund mitmacht, muss auch ich jetzt dabeisein. Für Eltern ist dies oft nicht ganz einsichtig, da relativ begüterte Freunde auch sie vor Anforderungen ihrer Kinder stellt, die sie nicht immer erfüllen können. Wenn der Freund ein neues Spielzeug erhält, sollen die eigenen Eltern dasselbe kaufen, die Anmeldung im Karatekurs an der Volkshochschule ist für die Eltern von Freunden "Pflicht".

Gerade in der heutigen Zeit, in der Kinder weniger Geschwister haben, sind solche Freundschaften aber auch entlastend. Kinder haben auch zu Hause durch Freundschaftsbeziehungen Spielkameraden, teilen die eigenen Interessen mit Gleichaltrigen, und die Eltern können sich auch mit der Betreuung der Kinder abwechseln.

1.3 Emotional wichtige Beziehung

Aus einer länger andauernden Spielfreundschaft wird für viele Kinder eine emotional wichtige Beziehung. Die Stärkung der eigenen Person durch eine Freundschaftsbeziehung wurde schon angesprochen. Es ist jedoch noch wesentlich mehr. Das "Urvertrauen", das Kinder im Elternhaus durch Erwachsene erfahren können, können sie nun auch bei Gleichaltrigen nachvollziehen. Sie fühlen sich zusammen mit dem Freund oder der Freundin stärker, durchsetzungsfähiger, kompetenter und ernst genommener. Es macht Spaß, etwas gemeinsam zu tun, gemeinsame Erfahrungen festigen die Freundschaft, weil es etwas gibt, über das man sprechen kann: "Weißt du noch, als..."

Nun werden Geheimnisse ausgetauscht und Versprechungen gegeben. Gegenüber den Erwachsenen gibt es einen eigenen geheimen Raum, der nur mit dem Freund geteilt wird. Die Abgrenzung zu anderen Kindern wird sichtbar. Es geht in diesem Stadium nicht mehr darum, möglichst viele Freunde zu besitzen, sondern einen ganz persönlichen Freund zu haben, der dann nicht mehr auch der Freund der anderen sein kann.

Für die Freundin ist man dann bereit, auch Opfer zu bringen. Man überlässt ihr die wertvolle Spieluhr für eine Weile, man teilt die Süßigkeiten miteinander, man ist auch bereit, die eigenen Wünsche einmal hinten anzustellen, wenn man damit der Freundin einen Gefallen tut.

Allerdings halten Kinderfreundschaften im Kindergartenalter noch keinen großen Belastungen stand. Zieht die Freundin an einen anderen Ort und die Eltern unterstützen einen weiteren Kontakt nicht, so ist die Freundin bald vergessen, und ein anderes Kind tritt an ihre Stelle. Auch der Schuleintritt eines der Kinder verändert die Situation, und die Kinderfreundschaft, im Kindergarten noch scheinbar unlösbar, kann die Freundschaft von heute auf morgen beenden.

Erwachsene sollten ihre Begriffe von Freundschaft nie auf Kinderfreundschaften übertragen. Kinderfreundschaften sind oft für einzelne Entwicklungsphasen äußerst wichtig; sind diese abgeschlossen, werden auch die Freundschaftsbeziehungen unwichtig.

Welche Bedeutung hat also die Kinderfreundschaft und wie äußert sich diese?

2. Inhalte von Freundschaftsbeziehungen

Was grenzt die spontane, kurzfristige und die Spielfreundschaft von einer echten emotional wichtigen Beziehung ab? Welche Merkmale sind wichtige Indizien, dass es sich um eine Freundschaft handelt, die für die Kinder eine einmalige Bedeutung hat? Einige Inhalte von Freundschaftsbeziehungen seien hier genannt:

2.1 Sich wohlfühlen

Ein, wenn nicht gar das wichtigste Merkmal einer guten Freundschaftsbeziehung ist das sich im Beisein des anderen wohlfühlen. Dieses Gefühl verlangt danach, dass der andere häufig aufgesucht oder eingeladen wird, dass viele Spiele nur zusammen mit dem Freund oder der Freundin geplant und durchgeführt werden und man traurig ist, wenn der Freund oder die Freundin krank oder verreist ist.

Natürlich hindert dieses Wohlfühlen nicht daran, dass Kinder auch einmal heftig miteinander streiten oder sich die Freundschaft aufkündigen, weil der andere nicht das tut, was man von ihm erwartet hat. Aber das geht bei einer echten Freundschaft schnell vorüber, und die Kinder versöhnen sich rasch, weil sie ohne den anderen nicht befriedigend spielen können. Es handelt sich bei diesem Wohlfühlen um eine Art von Grundstimmung, die Kinder dadurch zeigen, dass sie entspannt und locker miteinander umgehen, sich gegenseitig zuhören und miteinander über alles mögliche lachen oder derselben Meinung sind. Sie wollen sich möglichst nah sein, im Stuhlkreis nebeneinander sitzen, an Aktivitäten gemeinsam teilnehmen und gemeinsam frühstücken.

Sie spielen stets miteinander und suchen sich Spielkameraden gemeinsam aus. Den Weg zum Kindergarten und zurück legen sie, soweit dies möglich ist, gemeinsam zurück und kommen auch in der Freizeit häufig zusammen.

2.2 Einander vertrauen

Ein weiteres Zeichen der Freundschaft ist das Vertrauen, das sie sich entgegenbringen. Sie sind sich sicher, dass der andere das tut, was man von ihm erwartet, dass er einen gegenüber den anderen in Schutz nimmt, dass er das, was er verspricht, hält.

Wenn dies sicher ist, kann man sich auch Geheimnisse anvertrauen. Dinge, die man sonst mit niemandem, auch nicht mit der eigenen Mutter bespricht, können der Freundin mitgeteilt werden. Es sind dies oft ganz harmlose Geheimnisse, und Erwachsenen gegenüber bleiben diese häufig nicht verborgen. Dennoch sollten sich Erzieherinnen und Eltern so verhalten, als wüssten sie davon nichts, wenn sie mitbekommen, dass dies ein Geheimnis ist, das nur der Freundin vorbehalten sein soll.

Oft handelt es sich dabei um geheime Orte, oder die Geheimnisse werden an einem bestimmten Ort ausgetauscht. Dazu ist schon ein Tisch, der durch das Darüberhängen einer Decke zur Höhle wird, geeignet. Und da wird dann getuschelt und gekichert.

Auch bestimmte Rituale gehören zum Austausch von Geheimnissen. Bestimmte Gegenstände sind dafür nötig, z.B. ein bunter Stein, eine Murmel oder auch andere Gegenstände, die gemeinsame Erinnerungen beinhalten. Bevor man Geheimnisse austauscht, muss man eventuell einen "Treueschwur" leisten. Dies gilt ganz besonders bei "Kinderbanden", die aus mehreren Freunden bestehen.

Kinder benötigen Geheimnisse, und Erwachsene sollten nicht aus Angst, die Kinder könnten etwas wesentlich Wichtiges vor ihnen geheimhalten, versuchen, diese zu ergründen. Kinder im Kindergartenalter haben in der Regel keine Geheimnisse, die ihnen selbst schaden könnten. Schwieriger ist dies, wenn es sich um Schulkinder handelt und ältere Kinder eventuell einen negativen Einfluß auf die Kinder ausüben.

Durch gemeinsame Geheimnisse, und seien sie noch so harmlos, soll herausgefunden werden, ob man sich vertrauen kann, und die Freundschaft soll dadurch zusätzlich eine Festigung erfahren.

2.3 Gefühle zeigen

Kindergartenkinder verbergen ihre Gefühle selten. Sie äußern sie durch Mimik und Gestik, artikulieren sie lautstark oder durch beleidigtes Zurückziehen. Sie setzen sich damit jederzeit der Kritik der anderen aus und machen sich verletzbar. Nicht so in der Beziehung zu einem Freund. In den Freundschaftsbeziehungen können sie ihre Gefühle ebenso offen äußern, ohne damit rechnen zu müssen, dass sie dadurch in Misskredit geraten oder missverstanden werden. Mit dem Freund können sie zusammen herumalbern, ohne befürchten zu müssen, dass sie nach dem Grund ihrer Heiterkeit gefragt werden. Sie können aber auch traurig sein und den Grund dafür nur dem Freund anvertrauen.

Die Möglichkeit, die eigenen Gefühle ausleben zu können ohne sie begründen oder rechtfertigen zu müssen, ist eine weitere Grundlage für die Befestigung der Freundschaft. Wer dem anderen seine Stimmungen, Wünsche und Ängste anvertraut, macht sich ihm gegenüber verletzlich. Das Austauschen von Gefühlen setzt voraus, dass der andere das Vertrauen rechtfertigt und sich ebenfalls öffnet. So behält auch das kleine Kind eine gewisse Intimsphäre, ohne dass es seine Gefühle unterdrücken muss. Auch Angst ist gemeinsam leichter zu ertragen als alleine. Wer sich im Dunkeln fürchtet ist besser dran, wenn einer in einer solchen Situation bei ihm ist.

2.4 Überschreiten von Wirklichkeit

Kinder leben gerne in einer Phantasiewelt und erfahren darin wichtige Dinge für ihr zukünftiges Leben. Dies sehen Erwachsene oft nicht so. Kinder spielen in der Phantasie mit Zukunftsvorstellungen, mit Größenphantasien, mit der Verfremdung einer nicht leicht zu ertragenden Wirklichkeit. Wenn sie echte Freunde haben, so können sich gemeinsam mit diesen in eine Phantasiewelt eintauchen und sich dort "umsehen". Sie erleben dann fiktive Abenteuer, sehen sich als starke und durchsetzungsfähige Erwachsene und besitzen übermenschliche Fähigkeiten. Um solche Abenteuer erleben zu können, ziehen sie sich gerne in einen geschützten Raum zurück, zu dem Erwachsene keinen Zugang haben. Sie verstecken sich hinter einer Hecke, ziehen sich in das Baumhaus zurück, verschwinden in der Kuschelecke.

Dem Wunsch, gemeinsam Abenteuer zu erleben, eine Welt nach ihren eigenen Vorstellungen zu kreieren kann dort nachgegangen werden. Auch die fiktiv erlebten gemeinsamen Abenteuer verbinden. Das Hinauswachsen über die eigene Erfahrungswelt und den eigenen Alltag ist auch für Erwachsene reizvoll. Denken wir nur an die Science-Fiktion-Filme oder die Artikel über die Reichen dieser Welt, die von nicht wenigen Erwachsenen nahezu "verschlungen" werden.

Der Reiz des Außergewöhnlichen kann von der Phantasie der Kinder noch leicht selbst produziert werden. Und Freundschaftsbeziehungen machen es leichter möglich, sich gemeinsam in fiktive Wirklichkeiten aufzumachen und dort zahlreiche Abenteuer gemeinsam zu bestehen.

2.5 Abgrenzung von Erwachsenen

Die Möglichkeit, sich durch einen Freund oder eine Freundin unabhängiger von Erwachsenen zu machen, ist bereits erwähnt worden. Kinder, die Erwachsene oft als Übermenschen, als alles beherrschend und alles beeinflussen könnend erleben, benötigen Freundschaften, um sich selbst nicht als ausschließlich unbedeutend zu erfahren.

Die Abgrenzung zu Erwachsenen und die Erfahrung der eigenen Stärke werden durch Kinderfreundschaften erleichtert. Kinder erobern ihren Raum gemeinsam leichter, verschaffen sich durch gemeinsam geäußerte Wünsche oder Bedürfnisse die Zustimmung von Erwachsenen, lernen aber auch, etwas ohne die Hilfe Erwachsener zustande zu bringen. Eine Aufgabe, die sie alleine nicht bewältigen, schaffen sie gemeinsam. Sie überlegen, welche Schritte getan werden müssen, können Strategien entwickeln, teilen sich eine Aufgabe und werden so selbständiger. Sie können sich vor den Anforderungen Erwachsener in "ihre" Welt zurückziehen, sich dort so einrichten, wie es ihnen entspricht, und Erwachsene dadurch ein Stück weit aus ihrem Leben ausschließen.

Da die Abgrenzung zu Erwachsenen nötig ist, um die Selbständigkeit von Kindern zu fördern, sollten Eltern und Erzieherinnen diese nicht mit Sorge, sondern als Entwicklungschance für die Kinder sehen.

2.6 Konflikte ertragen und Lösungen finden

Aus jeder Freundschaft ergeben sich auch Konflikte. Es handelt sich ja bei einer Freundschaft um zwei Personen mit unterschiedlichen Wünschen und Bedürfnissen, die immer wieder aufeinander abgestimmt werden müssen. Und Kinder im Kindergartenalter mit ihrem noch egozentristischen Weltbild tun sich dabei besonders schwer. Wenn der Freund nicht mitspielen will, so kündigen sie sofort die Freundschaft. Allerdings gilt dies nur für den Augenblick. Nach einer halben Stunde haben sie vergessen, was geschehen ist, und gehen davon aus, dass die Freundschaft natürlich weiter besteht.

Es kommt aber auch zu ernsthaften Konflikten. Ein Kind, das immer wieder auf die Freundin einwirken will und möchte, dass diese etwas tut, was sie nicht will, bringt die Freundschaft in große Bedrängnis. Wenn sich ein Kind von der Freundin über längere Zeit hinweg nicht akzeptiert fühlt oder ständig von ihr angegriffen wird, so gibt es nur einen Weg, die Freundschaft zu erhalten: Es muss reiner Tisch gemacht werden. Aber wie sollen Kinder dies tun? Haben sie gelernt, mit Konflikten angemessen umzugehen? Können sie wirklich nicht über den Augenblick hinaussehen?

Wir tun Kinder unrecht, wenn wir vermuten, dass ihnen Freundschaften so wenig bedeuten, dass sie diese aufs Spiel setzen würden. Kinder brauchen ihre Freunde und sind auch bereit, dann zurückzustehen und einen kleinen Verzicht zu leisten, wenn Aussicht darauf besteht, dass auch der Freund oder die Freundin beim nächsten Mal auf die Durchsetzung ihrer Interessen verzichtet. Vor allem Kinder vor der Einschulung können sehr wohl Regeln und Normen aufstellen, denen sie sich dann auch verpflichtet fühlen. Sie verhandeln mit anderen Kindern und vor allem auch mit ihren Freunden und versuchen, Lösungen für Konflikte zu finden, die allen Ansprüchen gerecht werden.

Sie können als Freunde gemeinsam aber auch leichter Konflikte innerhalb der Kindergruppe ertragen und dazu eine Position finden. Entweder ziehen sie sich bei Konflikten zurück oder sie mischen sich gemeinsam ein und finden dann für alle Kinder eine Lösung.

Als Beispiel sei hier genannt, dass es zwischen den Jungen und Mädchen immer wieder zu Kämpfen und Beleidigungen kommt. Zwei Jungen, die miteinander befreundet sind, haben sich eine Lösung ausgedacht: Im Stuhlkreis sollen die Interessen der beiden Gruppen zur Sprache kommen. Die Erzieherin, die auf diesen Vorschlag eingeht, moderiert das Gespräch. Die Kinder können dann ihre verschiedenen Positionen darlegen und gemeinsam wird nachgedacht, wie einmal die eine und ein andermal die andere Gruppe zurückstehen muss. Die Kinder selbst werden darauf achten, dass diese Regel auch eingehalten wird.

In einer Kinderfreundschaft werden Konflikte meist ohne Hilfe von Erwachsenen ausgetragen. "Wenn ich das nicht bekomme, bist du nicht mehr mein Freund", "Wenn du mich heute nicht besuchst, suche ich mir einen anderen Freund" und ähnliche Aussprüche machen klar, dass Kinder sich gegenseitig auf die Probe stellen. Wenn die Freundschaft für beide Kinder wichtig ist, so werden sie auf die Bitte des anderen eingehen. Ein andermal, wenn sie ähnliche Wünsche formulieren, wird der Freund ebenso nachgeben.

So lernen Kinder in einer Freundschaft, sich einmal durchzusetzen, ein andermal nachzugeben, Regeln zu etablieren und Regeln einzuhalten. Bei ernsthaften Konflikten wird aber oft der Rat der Erwachsenen eingeholt, Kinder wenden sich an die Eltern oder die Erzieherin, mit der Frage, was sie tun sollen. Die Lösung, die gemeinsam mit dem Kind erarbeitet wird, sollte aber von diesem selbst umgesetzt und durchgesetzt werden.

Konflikte auszuhalten und Konflikte zu lösen ist in jeder Kinderfreundschaft nötig, soll sie länger als einen Tag Bestand haben. Aber die Erfahrung, dass Konflikte der Freundschaft nicht schaden und man in der Lage ist, kleinere Unstimmigkeiten oder größere Probleme miteinander durchzustehen und zu bewältigen, ist für die Entwicklung der Kinder eine wichtige Sache.

4. Das Miteinander in Freundschaftsbeziehungen

Freundschaften verfügen über ein eigenes Verhaltensrepertoire. Sichtbar und unsichtbar werden die Freundschaftsbeziehungen gelebt, und Erzieherinnen können an solchen "Zeichen" sehen, ob sich zwischen Kindern eine echte Freundschaft anbahnt oder besteht.

4.1 Gesten, Mimik

Unter Freunden herrscht eine besondere Art von Kontakten. Sie haben oft mit Berührung und Körperkontakt zu tun. Ein kleiner Stoß in die Rippen oder ein Klaps auf die Schulter, das alles ist als eine Art herzliches Miteinander zu werten.

Mädchen und Jungen haben unterschiedliche Signale von Zusammengehörigkeit. So sind bei Mädchen eher engere Körperkontakte (eng umschlungen auf dem Sofa sitzen und ein Bilderbuch betrachten oder sich an die Hand nehmen) üblich, bei Jungen kommt es dagegen zu eher zufälligen Körperkontakten, wie sich anrempeln, miteinander kämpfen und die Hände aneinander schlagen.

Der Blickkontakt erlaubt, Zustimmung oder Ablehnung zu signalisieren. Wenn die Erzieherin oder ein Kind etwas sagen, so verständigen sich die Freunde mit einer zustimmenden oder ablehnenden Mimik.

Kleine Kinder beherrschen die Sprache der Mimik und Gestik noch ausgezeichnet. Sie verständigen sich selbst gerne mit solchen Äußerungen. Vor allem, solange sie sich ihrer Sprachkompetenz noch nicht sicher sind, vertrauen sie eher der Bildersprache von Mimik und Gestik. Ihre Bedürfnisse nach Zuwendung, ihre Ablehnung, Hunger und Durst, ja fast alles können sie ohne Worte ausdrücken. Es bietet sich an, dass diese Sprache auch unter Freunden als eine Art "Geheimabsprache" gilt.

Aber auch, um sich von den anderen Kindern abzugrenzen oder sie irrezuführen, werden zusätzliche Geheimzeichen vereinbart. "Wenn ich daheim bin, setze ich den Teddy ins Fenster", "Wenn ich dir ein Geheimnis sagen muss, winke ich dir" und anderes kann auf solche Art vereinbart werden. Freunde ahmen aber auch die Gesten des anderen nach, indem sie den anderen Kindern gemeinsam den Weg versperren oder freigeben, die Spielsachen weglegen oder sich hinter etwas verschanzen.

Geheimsignale wie Pfeifen oder ein Zuruf werden von größeren Kindern vereinbart. Es gibt ganze Geheimsprachen, in denen sich vor allem Freunde verständigen und die anderen Kinder dadurch von ihren Mitteilungen aussperren.

4.2 Sichtbare Zeichen der Zusammengehörigkeit

Freunde müssen sich auch durch sichtbare Zusammengehörigkeitszeichen kenntlich machen. Sie machen sich dieselben Haarfrisuren, tragen ein Stirnband oder eine Schirmmütze, bevorzugen eine bestimmte Farbe, legen Wert auf eine bestimmte Kleidermarke oder schwärmen für denselben Fernsehhelden und tragen dieselben Embleme eines Fußballclubs. Dadurch wird zum einen die Zusammengehörigkeit signalisiert, zum anderen soll die Besonderheit der Freundschaft so zum Ausdruck kommen.

Zu den sichtbaren Zeichen der Zusammengehörigkeit gehört es auch, dass man im selben Fußballverein ist, dass man sich zum Kindergarten abholt oder selbstverständlich am Nachmittag miteinander spielt, dass Freundinnen nur gemeinsam am Ballettunterricht teilnehmen und man auf das Kasperltheater verzichtet, wenn der Freund krank im Bett liegt.

4.3 Unsichtbare Zeichen der Zusammengehörigkeit

Zwischen Freunden gibt es auch ungeschriebene Regeln. So darf man zum Beispiel keinesfalls auf einen Kanaldeckel treten oder eine bestimmte Figur berühren. Ältere Kinder erfinden dazu viele Regeln und Gesetze, an die sich alle halten müssen. Unausgesprochen wird durch das Einhalten dieser Regeln die Freundschaft signalisiert. Es genügen oft winzige Hinweise, um einander auf die Gesetze aufmerksam zu machen, z.B. durch das Antippen eines Emblems wird dem anderen bedeutet, über das Vorgefallene Stillschweigen zu bewahren. Es geht niemanden etwas an, außer denen, die dasselbe Zeichen an sich tragen, z.B. einen bestimmten Anstecker.

Freundinnen prusten vor Lachen in einer Situation, in der niemand weiß, was die Heiterkeit auslöst. Es handelt sich dann oft um die Erinnerung an eine bestimmte Situation, die nur den Freundinnen bekannt ist. Ein stillschweigendes Einvernehmen zwischen Freunden benötigt oft keinerlei sichtbaren Ausdrucks. Jeder weiß, was der andere gut oder schlecht findet, und richtet sich, auch ohne ausdrücklich darauf hingewiesen zu werden, danach. Für Außenstehende sind die Handlungen deshalb oft nicht nachvollziehbar, weil ihnen der Hintergrund verborgen bleibt.

4.4 Ausüben von Macht

In einer Freundschaft geht es auch häufig um Machtausübung oder Machtverteilung. Nur wenn der andere das tut, was man von ihm verlangt, gilt die Freundschaft. Es kann sein, dass sich Kinder die Freundschaft von anderen "erkaufen", indem sie ihnen Geschenke machen. Vor allem in Anfangsphasen der Freundschaft muss sich jemand der Freundschaft würdig erweisen, indem er die Vorherrschaft des anderen anerkennt. Der Führer bestimmt, welche Leistung andere erbringen müssen. "Wenn du nicht mehr mit dem Matthias spielst, bin ich dein Freund", gehört ebenso hierher wie "Jeder, der zu unserer Bande gehören will, muss zuerst eine Probe seines Könnens abgeben." Hierher gehören die oft nicht ganz ungefährlichen Mutproben, die vor allem in Jungenfreundschaften häufig vorkommen.

Aber auch im positiven Sinn kann das Ausüben von Macht funktionieren. Freunde können einander durch ihre Begeisterung für eine Sache anstecken, sie mitreißen, sie dazu bewegen, an etwas teilzunehmen, wozu der andere ursprünglich keine Lust hatte. Dies wird oft nicht unter dem Ausüben von Macht verstanden, fällt aber ebenfalls unter diese Rubrik, wenn der oder die Mächtigere den anderen zu etwas "überredet".

Durch das Anspornen des anderen werden so eigene Fähigkeiten entdeckt oder Kompetenzen vermittelt. Kinder können sich dann gegenseitig helfen, etwas zu lernen oder Fähigkeiten zu verbessern. In einer guten Freundschaft wird einmal der eine, ein andermal der andere Macht über den Freund ausüben. Nicht immer ist dies für denjenigen, der sich der Macht des anderen unterwirft, gut, aber wenn es sich um eine ausgeglichene Machtverteilung handelt, kann das für Freunde stimulierend und aufbauend wirken.

4.5 Einer für den anderen

Freunde bilden oft eine symbiotische Einheit. Nur gemeinsam treten sie auf, nur gemeinsam nehmen sie an den Spielen der anderen teil, sie ergänzen oder ersetzen einander, je nachdem, was gerade ansteht. So ist es selbstverständlich, dass sie einander in ihrer Verschiedenartigkeit ergänzen, das bedeutet z.B., dass derjenige, der lieber eine führende Rolle übernimmt, auch in der Freundschaft als Antriebskraft fungiert. Dennoch gibt es durch die vielfach verschiedenartigen Temperamente auch immer wieder einen Ausgleich. Wie ein Puzzle, das ineinandergreift, können Freundschaften aussehen.

Aber man kann sich auch auf den anderen verlassen. Wenn einer traurig ist, tröstet ihn der andere. Im Kindergarten kann man beobachten, dass Freundinnen ihr mitgebrachtes Vesper teilen oder etwas abgeben, wenn die Freundin nichts mitgebracht hat. Wenn Streit zwischen den Kindern entsteht, wird die Freundin sogar, wenn es sein muss, handgreiflich verteidigt.

Echte Freundschaften sind an dieser Gegenseitigkeit zu erkennen. Wer auch dann für den Freund einsteht, wenn es für ihn selbst von Nachteil ist, wird als richtiger Freund erkannt. Bei Kinderfreundschaften im Vorschulalter wird die Freundschaft oft aber zum Problem, wenn man selbst Nachteile davon hat. Dies ist ganz normal, und deshalb sollte man den Kinderfreundschaften nicht zu viel zumuten. Dies gilt vor allem, wenn Erwachsene fordern, wegen der Freundschaft zu einem Kind auf etwas verzichten zu sollen.

5. Orte, an denen Freundschaften gelebt werden

Es gibt überall dort Freundschaften, wo Kinder zusammenkommen. So sollten Kinderfreundschaften bereits dann gefördert werden, bevor Kinder in den Kindergarten kommen. Wenn sich Mütter mit anderen Müttern treffen, entstehen auch oft unter den Kindern spontane Freundschaften.

5.1 Elternhaus

Viele Freundschaftsbeziehungen sind auch ans Elternhaus gebunden, da der Freund oder die Freundin vielleicht im selben Haus wohnt und man sich regelmäßig zum Spielen verabredet. Freunde unterschiedlichen Alters sind im Elternhaus häufiger anzutreffen als im Kindergarten, da es in den Wohngegenden nicht so viele gleichaltrige Kinder gibt und jedes Kind froh ist, wenn sich ein anderes Kind für es interessiert.

Meist wird die Freundschaft dann in den Familienwohnungen gelebt: Einmal trifft man sich zum Spielen bei der einen, das andere Mal bei der anderen Familie. Mütter haben die Aufgabe, den Kindern dort die entsprechenden Rahmenbedingungen zum Spielen zu bieten; sie dürfen die nötige Verpflegung bereitstellen und Spielmaterial herbeischaffen, das z.B. für Rollenspiele benötigt wird. Ansonsten haben sie bei der Kinderfreundschaft keine Funktion. Sie sollen sich möglichst in einen anderen Raum zurückziehen, dürfen auch schon mal zum Einkaufen gehen, wenn die Kinder groß genug sind, um alleine bleiben zu können.

Als Erleichterung kann von Müttern der Austausch der Kinder empfunden werden. An dem Tag, an dem das Kind in der anderen Familie ist, kann die Mutter (oder der Vater) einer Berufstätigkeit nachgehen oder einem Hobby frönen. So kann die Kinderfreundschaft auch für die Erwachsenen einen positiven Nebeneffekt haben.

Manchmal gehen Familien auch gemeinsam in den Urlaub, und die Kinder sind dann auch in der Freizeit der Eltern zusammen. Gemeinsame Hobbys der Eltern verbinden auch die Kinder, so z.B. der Aufenthalt im Schwimmbad oder auf der Skipiste. Solche Kinderfreundschaften halten oft besonders lang, manchmal ein ganzes Leben.

5.2 Öffentliche Plätze

Während die im Elternhaus geschlossenen Kinderfreundschaften oft gewollt oder begünstigt sind, finden auf den öffentlichen Spielplätzen spontane Freundschaftsbezeugungen statt. Kinder, die zufällig im selben Sandkasten spielen, bemerken, dass es sich mit dem anderen Kind gut spielen lässt. Die Kinder warten nun schon darauf, wenn sie wieder zum Spielplatz gehen, dass auch das andere Kind da ist. Es bildet sich eine Freundschaft zwischen den Kindern. Beim Eintritt in den Kindergarten gibt es so z.B. schon Beziehungen zwischen Kindern, die sich zufällig auf dem Spielplatz kennen gelernt haben.

In der Eisenbahn, am Urlaubsort, überall dort, wo Kinder sich längere Zeit aufhalten, kann es sein, dass sie sich mit anderen, ebenfalls dort anwesenden Kindern anfreunden. Und aus solchen spontan entstandenen Spielgemeinschaften werden, wenn die Eltern es zulassen und die Möglichkeiten bestehen, manchmal auch länger andauernde Freundschaftsbeziehungen.

Kinder jeden Alters haben meist keine Probleme, andere Kinder anzusprechen. Sie bieten sich auch fremden Kindern als Spielkameraden oder Freunde an. Vor allem Vorschulkinder suchen nach anderen Kindern, mit denen sie spielen können. Kinder wollen Spielkameraden. Sie spielen nicht gerne alleine, und Erwachsene als Spielkameraden sind meist nur eine "Notlösung" für Kinder. So halten sie überall, wo sie sind, Ausschau nach ihnen sympathischen Kindern, die als Freunde dienen könnten. Und Kinder bevorzugen schon bestimmte Kinder, treffen meist unbewusst eine Auswahl zwischen den Kindern, mit denen sie spielen möchten, und denen, die ihnen eher unsympathisch sind.

Und nicht immer sind die so entstehenden Kinderfreundschaften auch im Sinne der Erwachsenen. Jede Kinderfreundschaft hat aber ganz bestimmte Notwendigkeiten für die Kinder. Das müssen Eltern wissen, wenn sie mit Sorge eine entstandene Kinderfreundschaft betrachten. Es ist für Kinder nicht wichtig, aus welchem Milieu oder welcher Schicht das bevorzugte Kind stammt, ob es schmutzig oder sauber, krank oder gesund ist. Kinder haben ihre eigenen Kriterien, die sie unbewusst an eine Freundschaftsvoraussetzung anlegen.

Wenn Kinder alt genug sind, um öffentliche Plätze ohne Begleitung von Erwachsenen aufzusuchen, so sind Eltern auch oft gar nicht informiert, mit wem das Kind "gut Freund" ist. Manchmal erfahren sie das erst nach Jahren, wenn das Kind sich auf dem Weg des Erwachsenwerdens befindet und über die Kinderfreundschaften nachdenkt. Oft wird ihm selbst und den Eltern auch erst dann bewusst, welche Funktion diese Freundschaft besaß.

5.3 Freundschaften im Kindergarten

Sobald das Kind in den Kindergarten kommt, bilden sich neue Freundschaften. Entweder wird die Freundschaft zum Nachbarskind jetzt aufgegeben, weil gleichaltrige Freunde wichtiger werden, oder die bisherige Freundin wird noch wichtiger, um sich im Kindergarten gegenüber den anderen Kindern besser behaupten zu können.

Mit der Anzahl der Kinder im selben Alter steigen die Chancen, eine adäquate Freundin zu finden. Freunde sind deshalb so wichtig, weil man sich an ihnen messen kann, sehen kann, ob man dieselben Dinge beherrscht, die gleichen Interessen hat, dieselben Leistungen vollbringt. Jedes Kind möchte bald groß sein. So vergleicht es sich ständig mit den Gleichaltrigen und versucht, diese nachzuahmen. Größere Kinder sind deshalb als Freunde meist noch beliebter, da sie schon so vieles können, was man selbst auch gerne tun möchte.

Auch innerhalb der Freundschaften gibt es viel Konkurrenzdenken und sich Abgrenzen. Das muss eine Freundschaft nicht zerstören, es kann sie auch beflügeln und die einzelnen Kinder zu Leistungen anspornen, die sie sonst wegen ihres Temperamentes oder ihrer körperlichen Voraussetzungen nicht in Angriff genommen hätten. Vor allem schüchterne oder körperlich schwache Kinder profitieren von Freundschaften mit aufgeschlossenen und bewegungsfreudigen Kindern. Und für diese ist die Freundschaft wichtig, weil sie in ihrem Selbstwertgefühl bestärkt werden.

Erzieherinnen sollten keine Bedenken haben, dass Kinderfreundschaften innerhalb der Kindergruppe eine Spaltung derselben veranlassen. Sie dürfen sicher sein, dass Kinder aus den Freundschaftsbeziehungen Selbstwertgefühl und neue Fähigkeiten schöpfen.

6. Stadien der Freundschaft nach J. W. L. Wagner

Freundschaften beginnen meist mit einer spontanen Spielfreundschaft oder einem Zweckverbund. Um diese Stadien einmal etwas näher zu betrachten, ist es gut, sich das Modell von Wagner (1991) anzusehen, das ich in diesem Zusammenhang besonders gut fand.

In seiner Betrachtungsweise geht Wagner zunächst davon aus, dass Freundschaft und ihre Merkmale, z.B. Intimität, Intensität und Exklusivität, sich verändern. Jedes Stadium von Freundschaft zeichnet sich durch andere Schwerpunkte aus. So kann der Beginn einer Freundschaft sehr intensiv sein, dafür ist er aber weniger intim, und das Wissen über den anderen ist noch sehr gering. Eine gefestigte Freundschaft zeigt sich darin, dass sich viele Regeln und ein hohes Maß an Wissen über die Gefühle und Bedürfnisse des anderen gebildet haben.

Um Freundschaften schließen zu können, muss ein Kind erst fähig sein, Koordination und Zuneigung zu verbinden. Fünf Stadien des Freundschaftsprozesses unterscheidet Wagner bei 3- bis 12jährigen Kindern:

6.1 Vorauslaufende Bedingungen für die Entstehung von Freundschaften

Um Freundschaften überhaupt zu ermöglichen, müssen bestimmte Rahmenbedingungen vorhanden sein. Die Situation, in der das Kind sich befindet, muss ihm eine Auswahl von Kindern bieten, mit denen es sich anfreunden kann, und die Umgebung muss geeignet sein, um eine Kontaktaufnahme zu ermöglichen.

So ist es z.B. nicht möglich, in einem Warenhaus, in dem sich viele Kinder in der Spielwarenabteilung befinden, eine Freundschaft anzuknüpfen. Die Aufenthaltsdauer dort ist zu kurz und die Ablenkung durch die Spielgegenstände ist zu intensiv, um dort Freundschaften schließen zu können. Im Eisenbahnabteil, in dem man länger als eine Stunde mit anderen Kindern zusammensitzt, ist trotz fehlender Spielmöglichkeiten die Aufnahme einer Freundschaftsbeziehung dagegen möglich.

6.2 Kontaktaufnahme

Ist im ersten Stadium lediglich Zuneigung zu einem anderen Kind entstanden, so zieht diese jetzt den Wunsch nach Kontaktaufnahme nach sich. Nicht jedes Kind weiß, wie es die Kontaktaufnahme bewerkstelligen soll. Kleine Kinder kann man beobachten, dass sie andere Kinder schubsen oder stoßen, um die Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen. Dieses Verhalten signalisiert dem anderen Kind aber oft eher einen Angriff auf die eigene Person statt einer Zuneigung.

Ein Kind muss also die Fähigkeit besitzen, Kontakt auf angemessene Weise aufzunehmen. Es kann dies durch den Wunsch zum Mitspielen oder das Angebot sein, den anderen an der eigenen Aktivität teilhaben zu lassen, z.B. ihn in das Bilderbuch, das man gerade betrachtet, mit hineinsehen zu lassen.

Meist setzt diese Kontaktaufnahme schon das Vorhandensein gewisser sprachlicher Fähigkeiten voraus. Aber auch die Annäherung durch Gesten und die begleitende Mimik kann ausreichen. Kinder, die sich wegen einer unterschiedlichen Muttersprache nicht verständigen können, spielen oft sehr schön und harmonisch miteinander und könnten sich durchaus als Freunde bezeichnen.

Aber auch in diesem Stadium müssen die Rahmenbedingungen stimmen. Die Mutter muss die Kontaktaufnahme zulassen, die Erzieherin darf nicht gerade in diesem Moment zum Aufräumen auffordern.

6.3 Etablierung von Freundschaft

Durch gemeinsames Tun wird die bereits vorhandene Zuneigung gefestigt. Im gemeinsamen Handeln wird die Perspektive des anderen übernommen, die eigene Sichtweise dargestellt und die Fähigkeit entwickelt, sich über diese Perspektiven auszutauschen. Gemeinsame Erlebnisse und gemeinsames Tun ermöglichen, den Freund, die Freundin besser kennen zu lernen und viel von ihm zu erfahren. Die gegenseitige Zuneigung akzeptiert den anderen auch dann noch, wenn er anders ist oder sich manchmal anders verhält, als man es von ihm erwartete.

6.4 Stabilisierung von Freundschaft

In diesem Stadium geht es darum, Freundschaft zu leben. Die Freunde streben danach, möglichst viel zusammen zu unternehmen und oft zusammen zu sein. Es werden Gedanken und Gefühle ausgetauscht. Die Freundschaft kann jetzt als wechselseitige Zuneigung bezeichnet werden. Trotz eingeschränkter Möglichkeiten kann jetzt eine Freundschaft bestehen bleiben. Das angenehme Gefühl in Gegenwart des Freundes führt dazu, dass die Nähe des anderen immer wieder gesucht wird und auch auftretende Schwierigkeiten überwunden werden.

6.5 Beendigung der Freundschaft

Abnehmende Zuneigung, der Beginn einer anderen Freundschaft, große Enttäuschung oder auch weniger Möglichkeiten, sich zu treffen, führen zum Abbruch der Freundschaft. Nicht immer muss diesem Abbruch ein Streit vorausgehen oder ein konflikthaftes Verhalten vorliegen. Vor allem bei Kindern kommt die Beendigung der Freundschaft für Erwachsene oft völlig unbegründet. Entweder ist die Erwartung, die man mit der Freundschaft verband, erfüllt, z.B. die leichtere Eingliederung in eine fremde Gruppe. Oder man "braucht" die Freundschaft nicht mehr, weil man andere Möglichkeiten entdeckt hat, um die Fähigkeiten zu entwickeln, die man von dem Freund erlernen wollte. Oder man ist enttäuscht, weil sich die Freundschaft nicht so entwickelt hat, wie man es sich vorstellte, z.B. die Freundin immer etwas anderes spielen wollte als man selbst.

Kinder schließen Freundschaften oft sehr rasch, beenden dieselben aber auch spontan. Dennoch leiden Kinder häufig unter der Beendigung der Freundschaft, vor allem dann, wenn das andere Kind die Beziehung abgebrochen hat.

7. Kinderfreundschaften bieten wichtige Erfahrungen

Erwachsene sind oft der Meinung, eine Kinderfreundschaft sei schnell geschlossen und gehe ebenso schnell wieder zu Bruch. Deshalb wäre es für Kinder nicht so wichtig, sich mit einem Kind zu befreunden. Auch in den kurzfristigen Freundschaftsbeziehungen machen Kinder jedoch wichtige Erfahrungen für sich selbst und mit anderen.

7.1 Für die eigene Person

Wie bereits in den Stadien nach J. W. L. Wagner deutlich wurde, müssen Kinder erst lernen, wie sie sich einem anderen Kind nähern, um dessen Freundschaft zu erringen. Dazu gehört die Fähigkeit, sich sprachlich auszudrücken und mit anderen zu kooperieren. Ein gewisses Einfühlungsvermögen in die Person des anderen muss ebenfalls bereits vorhanden sein.

Kindern, denen es gelingt, andere Kinder als Freunde zu gewinnen, erleben sich selbst als erfolgreich, durchsetzungsfähig und kompetent. Diese Erfahrung ist für jedes Kind wichtig, weil es dadurch auch in die Lage versetzt wird, weitere Erfahrungen zu machen, die von der eigenen Person abhängig sind. Es kann sich dann auch z.B. gegen Ansprüche wehren und andere Kinder in ihre Schranken weisen.

Wenn ein Kind einen Freund gewinnt, so fühlt es sich nicht mehr alleine, es wird durch den Freund selbst durchsetzungsfähiger. Gemeinsam können sie ihre Interessen im Kindergarten z.B. besser durchsetzen, sich gegenseitig beim Spiel ergänzen. So werden Erfahrungen gemacht, dass man sich Hilfe holen kann und dabei nicht abgewertet wird. Auch der Austausch mit der Freundin über die gegenseitigen Gefühle bestärkt beide in der Akzeptanz der Gefühle und gibt einen Hintergrund des Verstandenseins.

Kinder erleben anders als Erwachsene. Sie benötigen Gleichaltrige, die ihnen signalisieren, dass sie wertgeschätzt sind und in der Gruppe derselben anerkannt werden. Die Grunderfahrung des Angenommenseins ermöglicht jedem Kind, sich anderen, neuen Erfahrungen zuzuwenden, gemeinsam mit einem Freund oder einer Freundin ist dies auch noch leichter. Es können viele neue Dinge ausprobiert, körperliche Leistungen gesteigert, neue Kenntnisse erworben und soziale Kontakte ausgebaut werden. Die Akzeptanz durch eine Freundin oder einen Freund hilft dem Selbstwertgefühl und macht so neugierig auf andere neue Erfahrungen.

7.2 Für die sozialen Beziehungen

Kinder, die erfahren haben, dass die Beziehungen zu ihren Freunden ihr Leben bereichert haben, werden auch auf andere Kinder, mit denen sie spielen möchten, leichter zugehen und sie als Spielkameraden gewinnen. Die Erfahrung, dass man auch Rücksicht aufeinander nehmen muss, um den anderen nicht zu verlieren, lässt soziale Verhaltensweisen zunehmen und sich im Umgang mit anderen Kindern sicherer fühlen.

Konflikte werden nun nicht mehr vermieden, sondern ausgetragen. Die Erfahrung, dass man Streit auch ausfechten kann, ohne die Freundschaft aufs Spiel zu setzen, hilft Kindern bei Zwistigkeiten in der Gruppe. Miteinander kann man ausprobieren, welche Bewältigungsstrategien greifen, wenn man ärgerlich, traurig oder übermütig ist. In der Geborgenheit einer Freundschaftsbeziehung kann man die eigenen vielfältigen Möglichkeiten in einem geschützten Raum erproben, die Wirkung derselben feststellen und später auch auf die Beziehung zu anderen übertragen. Sich durchsetzen, aber auch sich zurücknehmen, die eigenen Interessen vertreten, aber auch die des anderen ernst nehmen, das ist für die sozialen Beziehungen, in denen jedes Kind lebt, wichtig.

7.3 Für die Beziehung zwischen Gleichaltrigen

Gleichaltrige vergleichen sich gerne. Sie erleben in der Freundschaftsbeziehung, dass man bei aller Gleichheit auch sehr verschieden sein kann und dass dies auch gut ist. Der Freund kann besser ausschneiden, ich aber kann dafür besser malen, der Freund kann besser Fußball spielen, ich aber kann besser erzählen, der Freund hat schon vier neue Backenzähne, ich aber kann dafür besser auf einem Bein hüpfen.

Aber Kinder können auch erfahren, dass sie sich sehr ähnlich sind. Sie lieben beide Spaghetti mit Tomatensoße, sie gehen beide gerne auf den Spielplatz, sie finden beide ein bestimmtes Kind im Kindergarten blöd und lieben beide die neue Erzieherin, die immer so tolle Ideen hat. Der Austausch von Gleichheit und Verschiedenheit ist für Kinder sehr wichtig.

7.4 Für die Beziehung zwischen verschiedenen Altersstufen

Kinder haben nicht immer Freunde im selben Alter. Oft freunden sie sich mit älteren Kindern an, aber auch jüngere Kinder werden gerne als Freunde genommen. Damit verbinden sich vielerlei Erfahrungen, die Kinder durch den Mangel an Geschwistern in den Familien heute nicht mehr erleben. Sie erleben sich selbst einmal als Älterer, Größerer, mit mehr Selbstbewusstsein und Können ausgestattet. Sie sehen, dass sie in der Lage sind, einem anderen Kind etwas beizubringen, ihm zu helfen, es zu beschützen.

Gegenüber älteren Freunden erleben sie sich als hilfsbedürftig, kleiner, schwächer und weniger gewandt im Umgang mit anderen Kindern. Sie fühlen sich dennoch akzeptiert und können deshalb neue Erfahrungen ausprobieren und ihr Können steigern.

Nun haben Kinder aber auch Freunde und Freundinnen, die wesentlich älter als sie sind oder sogar schon zu den Erwachsenen zählen. Diese Freunde sind wichtig, um Erwachsene in ihrer Verschiedenartigkeit zu erleben. Sie können aber auch gegen andere Erwachsene auftreten, einen bei einem Wunsch gegenüber den Eltern unterstützen; sie kennen sich in der Welt der "Großen" aus und erklären dem Kind diese. Zu erwachsenen Freunden zählen z.B. Nachbarn, Großeltern und Verwandte.

Den Paten kommt in diesem Zusammenhang eine wichtige Rolle zu. Wenn es ihnen gelingt, mit dem Patenkind Freundschaft zu schließen, kann der Pate oder die Patin das Kind durch viele Stationen des Lebens begleiten und ihm bei der Abnabelung vom Elternhaus helfen.

Erwachsene Freunde sind vor allem für Jugendliche von großer Bedeutung, weil sie ihnen helfen können, selbst erwachsen zu werden. Mit den Eltern ist in der Zeit der Pubertät ja nicht zu reden!

Natürlich gibt es auch eine Freundschaftsbeziehung zwischen Eltern und Kindern. Dennoch ist diese Beziehung immer durch den Erziehungsauftrag der Eltern dominiert, und die enge Bindung, in der die Freundschaft im Elternhaus gelebt wird, lässt einen zeitweisen Rückzug nicht zu, der für Freundschaftsbeziehungen aber auch wichtig ist.

7.5 Für Beziehungen zwischen den Geschlechtern

Freundschaften zwischen Kindern desselben Geschlechts sind im Kindergarten meist die Regel. Jungen schließen sich Jungen, Mädchen anderen Mädchen an. Es ist wichtig, sich selbst innerhalb der eigenen Geschlechtsgruppe besser kennen zu lernen und sich durchzusetzen. Jedes Kind möchte aber auch erleben, was das andere Geschlecht auszeichnet, was wirklich anders an den andersgeschlechtlichen Kindern ist. So äußern viele Jungen, wenn man sie nach einer Freundin fragt, dass sie ein Mädchen im Kindergarten bevorzugen. Es kommt dennoch selten vor, dass sie mit diesem Mädchen auch spielen. Die Jungengruppe achtet akribisch darauf, dass Kontakte zu den Mädchen nicht in eine Freundschaft ausarten. Jungen, die mit Mädchen spielen, werden von der Jungengruppe sogar manchmal verstoßen.

Aber es wäre wichtig, dass Jungen und Mädchen sich besser kennen lernen. In unseren Kindergärten müsste es mehr Möglichkeiten geben, dass gemeinsame Projekte unternommen werden, bei denen es weniger um die Geschlechtszugehörigkeit als um die gemeinsamen Interessen geht. Wenn Jungen und Mädchen dort gezwungen sind, etwas gemeinsam zu tun, so erfahren sie, dass sie sich in vielen Dingen ähnlich sind und in anderen Dingen unterscheiden und dass das meist nichts mit der Geschlechtszugehörigkeit zu tun hat. Mädchen erfahren dann Jungen nicht mehr als aggressiv oder durchsetzungsfähig. Jungen erleben Mädchen als kompetent und einfühlsam.

Vorurteile über die Geschlechter werden so im Kindergarten nicht zusätzlich verfestigt, und Kinderfreundschaften können dann auch zwischen Jungen und Mädchen entstehen und akzeptiert werden.

Im häuslichen Bereich sind geschlechtsübergreifende Freundschaften häufig selbstverständlich. Das müssen sie aber auch im Kindergarten werden. Männer und Frauen, Jungen und Mädchen können sich befreunden, und solche Freundschaften lassen klar werden, wo es sich um tatsächliche oder erworbene Geschlechtsunterschiede oder gleiche Interessen trotz unterschiedlicher Geschlechtszugehörigkeit handelt. Kinder können dann schon früh die Erfahrung machen, dass Jungen und Mädchen, Männer und Frauen trotz unterschiedlicher Vorstellungen und Vorgehensweisen gleichwertig sind. In Freundschaften wird ein demokratischer Umgang miteinander eingeübt, und dies hat Auswirkungen auf die Beziehung zwischen den Geschlechtern bis ins Erwachsenalter hinein.

Und ein demokratisches Miteinander wird in Zukunft immer wichtiger werden! Deshalb müssen wir darauf achten, dass Jungen und Mädchen miteinander frühzeitig lernen umzugehen. In Kinderfreundschaften gelingt dies am besten.

8. Hilfestellungen für Freundschaftsbeziehungen

Wir wünschen unseren Kindern Freunde, Freunde für eine kurze Zeitspanne, aber auch Freunde fürs Leben. Vieles, was durch Erziehung nicht oder nur mühsam erreicht werden kann, wird in einer Freundschaftsbeziehung fast nebenbei gelernt. Aber wir können die Freunde für unsere Kinder nicht aussuchen. Sie selbst entscheiden, welches Kind ihnen sympathisch oder unangenehm ist und mit welchem sie zusammen sein wollen. Und wir selbst haben oft so ganz andere Vorstellungen, wie die Freunde unserer Kinder sein sollen!

8.1 Zulassen von Freundschaften

Kinder bekunden Zuneigung zu anderen Kindern oft ganz spontan. Sie wählen sich auf dem Spielplatz ein Kind zum Mitspielen aus, lehnen ein anderes Kind, das wir für sie aussuchen, z.B. aus dem Freundeskreis, dagegen vehement ab. Dabei haben wir doch alles bedacht, was für unser Kind gut sein könnte. Wir haben darauf geachtet, dass das Kind aus gutem Hause stammt, sich gut benimmt, zu unseren Erziehungsvorstellungen passt und eventuell auch für uns selbst durch die Freundschaft mit dessen Mutter eine gute Möglichkeit bietet, sich öfter zu treffen und viel gemeinsam zu unternehmen.

Oft müssen die Kinder sich erst richtig kennen lernen und viele gemeinsame Unternehmungen hinter sich haben, um sich zu verstehen. Wir brauchen deshalb nicht gleich resignieren. Wenn die Kinder miteinander zu spielen verstehen, so kann daraus, wenn schon keine "dicke" Freundschaft, so doch eine lose Spielkameradschaft entstehen.

Aber, wie gesagt, unser Kind trifft die Auswahl für eine Freundschaft meist selbst. Was tun wir, wenn dieses Kind oder seine Mutter, seine häusliche Umgebung oder seine Erziehung uns Probleme bereiten?

Zunächst gilt es, die Freundschaft in jedem Fall zuzulassen. Der Freund oder die Freundin unseres Kindes sollte von uns nach Hause eingeladen werden, und auch - wenn es möglich ist - dessen Mutter oder, was bei ausländischen Kindern auch sein kann, die Geschwister oder die Großmutter. Das verlangt von uns manche Überwindung, ist aber, wenn sich eine ernsthafte Freundschaftsbeziehung zwischen den Kindern stabilisiert hat, für unser Kind und für uns selbst wichtig.

Wir müssen bereit sein, Vorurteile abzubauen, uns auch auf eine andere Erziehungsvorstellung oder Lebensart einzulassen, und können nur dadurch die Sicherheit gewinnen, dass unserem Kind nichts "passiert", wenn es sich in der anderen Familie aufhält.

Manchmal kommt es auch vor, dass Erwachsene eifersüchtig auf den Freund, die Freundin ihrer Kindes sind, dass die Erzieherin nicht möchte, dass die Kinder sich zu sehr miteinander zusammenschließen und sie selbst nicht mehr die wichtigste Person ist. Die Beziehung in einer Freundschaft hat nichts mit anderen Beziehungen zu tun. Eltern sind wichtig als Eltern, Erzieherinnen als Erzieherinnen, Großeltern als Großeltern und Freunde eben als Freunde. Jede Beziehung birgt andere Entwicklungsmöglichkeiten für Kinder. Eifersucht wäre fehl am Platz, da Eltern nun mal nicht den gleichaltrigen Freund, aber auch nicht die Großeltern oder die Erzieherin ersetzen können.

Bei älteren Kindern ist eine Freundschaftsbeziehung manchmal problematisch. Sie suchen sich oft bewusst Freunde aus einem anderen Milieu oder extremen Verhältnissen aus, weil sie diese kennen lernen möchten oder unsere "Spießigkeit" satt haben. Wenn wir alles getan haben, um das Vertrauen unserer Kinder zu gewinnen, können wir sie auch einmal getrost solche Freundschaften ausprobieren lassen. Das Risiko, dass sie dabei nichts Gutes lernen, müssen wir eingehen. Eine Ermahnung oder gar die Ablehnung des Freundes hätte höchstens die Trotzreaktion zur Folge, sich diesem trotz besserer Einsicht nun noch intensiver zu nähern.

Freundschaft zulassen, das ist oft nicht ganz einfach für Eltern. Dennoch ist es der einzige Weg, unsere Kinder die Erfahrungen machen zu lassen, die sie benötigen. Sie suchen sich oft Freunde mit gegensätzlichem Charakter, gegensätzlichen Lebensbedingungen, gegensätzlichen Bildungsvoraussetzungen aus, um auch deren Umfeld besser kennen und verstehen zu lernen. Dies kann durchaus positiv für die Entwicklung und die Tolerierung anderer Lebensentwürfe sein.

Ruhige Kinder suchen nach lebhaften Freunden, die ihnen ein wenig "Schwung" geben, andere brauchen Kinder, die zu ihnen aufsehen, sie bewundern, wieder andere möchten in einer Freundschaft Zuneigung spüren und sich "bemuttern" lassen. Was es auch sein mag, was das Kind unbewusst zu einem anderen Kind hinzieht, wir sollten es gewähren lassen, im zutrauen, dass es sich uns anvertraut, wenn Fragen oder Probleme auftauchen, und wir dann auch eingreifen können, sollte sich dies als notwendig erweisen.

8.2 Hilfe bei der Entstehung von Freundschaften

Kinder sind oft ungeschickt und brauchen unsere Hilfe, um eine Freundschaft entstehen zu lassen. Wir können sie ermutigen, wenn wir bemerken, dass ein Kind sie besonders interessiert. Im Kindergarten haben wir Möglichkeiten, die beiden Kinder gemeinsam an einer Aufgabe arbeiten zu lassen; Eltern können eine Einladung aussprechen oder versuchen, über die anderen Eltern eine Freundschaft zwischen den Kindern zu stiften. Schüchterne Kinder benötigen Ermutigung, stürmische Kinder müssen lernen, das andere Kind nicht zu überfordern und nicht zu vereinnahmen.

Alle Kinder brauchen Freunde. Wenn ein Kind keine Freunde hat, so müssen wir dafür Sorge tragen, dass es die Möglichkeit bekommt, sich anderen Kindern zu nähern, mit ihnen zunächst Spielgemeinschaften zu bilden und viele verschiedene, auch altersverschiedene Kinder kennen zu lernen. Manchen Kindern gelingt das Anfreunden mit jüngeren Kindern besser, andere brauchen zunächst ältere Freunde.

Und wir können ihnen die Fähigkeiten vermitteln, sich in andere hineinzudenken, an den eigenen Gefühlen zu spüren, wie es anderen geht, die traurig sind oder sich überrumpelt fühlen. Sie können lernen, ihre Gefühle und Empfindungen in Worte zu fassen und sich mitzuteilen. Diese Fähigkeiten sind nötig, um selbst auf Kinder zuzugehen und sich mit ihnen auseinander zu setzen.

8.3 Hilfe bei der Bewältigung von Konflikten

Und wenn es zum Krach mit dem Freund kommt? Viele Erwachsene wollen dem Kind dadurch helfen, dass sie die Handlung des Freundes abwerten, dass sie die ganze Person in Frage stellen und das Kind damit trösten wollen, dass diese Freundschaft doch nichts getaugt hätte. Damit ist dem Kind aber nicht geholfen. Es hat sich diese Freundschaft ja ausgesucht und sie ist wichtig für es. Wir sollten gemeinsam mit dem Kind herausfinden, was die Ursache des Konfliktes ist und wie diese beseitigt werden kann. Vielleicht müssen wir auch zusammen mit beiden darüber sprechen, um eventuelle Missverständnisse aufzuklären.

In vielen Fällen genügt es schon, die Kinder darauf hinzuweisen, doch noch einmal miteinander zu sprechen oder zunächst ein paar Stunden verstreichen zu lassen. Es könnte ja sein, dass ein Kind gerade seine Ruhe haben will und jetzt noch nicht bereit ist, über einen Konflikt zu sprechen. Oft ist die Ursache des Streits schon nach kurzer Zeit vergessen, und die Kinder spielen wieder miteinander, als wenn nichts gewesen wäre.

Wir müssen also Kinderstreit und Konflikte zwischen den Kindern zunächst nur beobachten. Nur wenn Kinder darunter leiden und selbst keinen Weg finden, den Konflikt aus der Welt zu schaffen, sollten wir uns einmischen. Kleine Kinder können einen Streit schnell vergessen, weil sie im Gegensatz zu Erwachsenen in der Regel nicht nachtragend sind.

8.4 Hilfe beim Zerbrechen einer Freundschaft

Und wenn eine Freundschaft endgültig zerbricht? Dann dürfen wir trösten und ermutigen. Wir können mit dem Kind zusammen überlegen, was ihm an dieser Freundschaft so wichtig war und was ihm jetzt fehlt. Auch wenn wir ahnen, dass eine Freundschaftsbeziehung wohl bald zu Ende geht, weil ein Kind wegzieht oder einen anderen Freund gefunden hat, haben wir die Möglichkeit, das Kind in dieser Situation nicht alleine zu lassen. Es gibt andere Kinder, die eventuell an die Stelle des Freundes treten können; wir können dem Kind selbst für eine Weile der beste Freund sein, bis es einen anderen gefunden hat.

Jedes Kind muss auch lernen, unangenehme oder schwierige Situationen zu bewältigen. Dadurch lernt es, wie es mit solchen Dingen zurechtkommt. Kein Vater und keine Erzieherin können ein Kind vor Enttäuschungen bewahren oder ihm eine ausschließlich heile Welt bieten. Und gerade weil es so viele Dinge in unserer Welt gibt, die nicht mehr heil gemacht werden können, müssen Kinder zunächst in kleinen Portionen lernen, auch mit Schwierigkeiten und Enttäuschungen fertig werden. Krankheit und Tod machen vor dem Leben von Kindern nicht Halt. Freunde können helfen, solche Erfahrungen zu bewältigen; sie sind aber auch oft selbst der Auslöser für solch harte Erlebnisse.

Je älter die Kinder werden, desto mehr Bewältigungsstrategien haben sie zur Verfügung, um mit unangenehmen oder schwierigen Situationen fertig zu werden. Wir dürfen darauf hoffen, dass sie damit zurechtkommen und, wenn sie es benötigen, unsere Hilfe anfordern.

8.5 Vorleben von Freundschaftsbeziehungen

Haben wir selbst Freunde oder Freundinnen? Wie erleben uns Kinder in solchen Beziehungen? "Wir können die Kinder erziehen, wie wir wollen, am Ende machen sie uns doch alles nach", dieser Satz gilt auch im Hinblick auf Freundschaften. Wie gehen wir mit unserem Freund um, was muten wir ihm zu, wie sprechen wir miteinander? Können wir in Konfliktsituationen unsere Wünsche und Bedürfnisse auf angemessene Weise äußern? Was machen wir, wenn ein Freund uns enttäuscht?

Kinder beobachten uns ganz genau. Sie sehen, wie Erzieherinnen miteinander umgehen, wie sie Konflikte mit den Eltern austragen, wie sie sich zu Kinderstreit äußern. Und sie übernehmen unbewusst unser Verhalten, mag es richtig oder falsch sein.

Wenn wir Kinder in Rollenspielen beobachten, erkennen wir uns häufig selbst darin. Kinder ahmen Erzieherinnen und Eltern oft wortgenau nach, und wir sind manchmal erschrocken, wenn wir uns in den Äußerungen von Kindern wiederfinden.

Auch Erwachsene benötigen Freunde. Das können wir selbst vorleben, indem wir uns Freundinnen suchen, uns einer Freundin anvertrauen und auch das Risiko eingehen, dass eine Freundschaft zerbricht oder wir enttäuscht werden.

Jeder Mensch in jedem Lebensalter braucht andere Menschen, denen er vertrauen kann. Nicht immer ist die Familie der Ort, an dem er sich für immer aufgehoben und geborgen fühlt. Zerbrochene Beziehungen, Tod des Partners und Verlust von Freunden sind täglich gelebte Erfahrungen. Wer viele Freunde besitzt, kann solche Verluste besser verkraften.

9. Ausblick

Freunde fürs Leben, wer wünscht sich solche nicht? Freunde für unsere Kinder - wir möchten, dass auch die Kinder wertvolle Erfahrungen in einer Kinderfreundschaft machen können. Kinder brauchen viele Freunde: unterschiedlichen Temperaments, unterschiedlicher Herkunft, unterschiedlicher Geschlechtszugehörigkeit und unterschiedlichen Alters. Jede Entwicklungsstufe hat neue Notwendigkeiten; manche Freunde werden das Kind nur ein Stück weit begleiten, andere bleiben Freunde für das ganze Leben. Wenn wir Kinderfreundschaften zulassen, diesen die nötigen Rahmenbedingungen geben, sie mehr mit unseren Gedanken als mit unseren Worten begleiten, dann werden uns die Kinder eines Tages dankbar sein, weil sie erfahren haben, dass "ein Freund, ein guter Freund das Beste, was es gibt auf der Welt" ist.

10. Literatur

Wagner, J.W.L.: Freundschaften und Freundschaftsverständnis bei drei- bis zwölfjährigen Kindern. Berlin 1991