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Zitiervorschlag

Aus: KiTa aktuell ND 2005, 13. Jahrgang, Nr. 2, S. 44-46

Kooperation mit Eltern/Familien - eine Querschnittsaufgabe wird zur Leitidee

Herbert E. Förster

 

Während der trägerübergreifenden Beratungen zum Entwurf des Bremer Rahmenplan für die Bildung und Erziehung im Elementarbereich wurde natürlich auch überlegt, was über die Zusammenarbeit mit Eltern auszusagen ist. In diesem Zusammenhang ist deutlich geworden, dass der "alte" Begriff Elternarbeit mit überholten Vorstellungen verknüpft ist. Eine notwendige Weiterentwicklung zur Zusammenarbeit mit Eltern im Sinne einer Erziehungspartnerschaft auf gleicher Augenhöhe wird jedoch von manchen Trägern und pädagogischen Fachkräften mit Vorsicht betrachtet. Mit Blick auf die Anforderungen an die Kinder als Erwachsene der Gesellschaft von morgen bleibt keine Wahl - neue Konzepte für die Zusammenarbeit mit Eltern sind gefordert! Und bitte: nicht verwechseln mit den neuen Konzepten zur Elternbildung (1).

Begriffsklärung

Der vielleicht älteste Begriff zum Thema Zusammenarbeit mit Eltern, der alles umfasst und doch nichts Konkretes aussagt, heißt Elternarbeit. Dieser Elternarbeit alten Stils hängt eine gewisse Einseitigkeit an, die von neuen Begriffen wie Zusammenarbeit, Beteiligung (Partizipation) oder Erziehungspartnerschaft überholt wird. Prott (2003) geht davon aus, dass in der Zusammenarbeit mit Eltern eine Partnerschaft anzustreben sei, für die die professionellen Fachkräfte die "Aktivitätsvermutung" zu tragen hätten, d.h. "von ihnen müssen um Zweifel alle Aktivitäten für eine Zusammenarbeit ausgehen" (2).

Erzieherinnen haben also für eine zweiseitige Kooperation Sorge zu tragen, ohne Eltern verpflichtend auf eine Arbeitsleistung in Sachen Zusammenarbeit festlegen zu können. Welche Art der "Arbeitsleistung" ist gemeint? Zu beantworten ist diese Frage einerseits durch die gesetzlichen Grundlagen und andererseits durch das Leitbild der Trägerorganisationen, die sich an den best practice Idealen der aktuellen Pädagogik zu orientieren haben.

Gesetzliche Vorgaben

Das Kinder- und Jugendhilfegesetz (KJHG) gibt als Bundesgesetz in § 22 die Grundsätze der Förderung von Kindern in Tageseinrichtungen vor. Im zweiten Absatz heißt es u.a.: "das Leistungsangebot soll sich pädagogisch und organisatorisch an den Bedürfnissen der Kinder und ihrer Familien orientieren" (3). Im dritten Absatz heißt es weiter: "Bei der Wahrnehmung ihrer Aufgaben sollen die in den Einrichtungen tätigen Fachkräfte und anderen Mitarbeiter mit den Erziehungsberechtigten zum Wohl der Kinder zusammenarbeiten. Die Erziehungsberechtigten sind an den Entscheidungen in wesentlichen Angelegenheiten der Tageseinrichtung zu beteiligen" (ebd.).

Zur Ausführung dieser Vorgabe verweist der Frankfurter Gesetzeskommentar auf die jeweilige Landesgesetzgebung: "Wie und in welcher konkreten Weise die Beteiligung der Erziehungsberechtigten [Hervorhebung der Verfasser] gestaltet wird, ist allerdings bundesrechtlich nicht vorgeschrieben" (4). Zwingend vorgeschrieben ist allerdings, "dass die Erziehungsberechtigten an den Entscheidungen in 'wesentlichen' - also nicht in allen - Angelegenheiten zu beteiligen sind. 'Beteiligung' meint eine qualifizierte Form der Einflussnahme, die auf mehr als bloße Information und Anhörung zielt. 'Wesentliche Angelegenheiten' sind z.B. die Grundsätze des pädagogischen Konzepts, die personelle, sächliche und einrichtungsmäßige Ausstattung und die Öffnungs- und Schließungszeiten" (ebd., S. 241).

Im Bremischen Landesgesetz legt der § 13 des Tageseinrichtungsgesetzes zur Zusammenarbeit mit Elterngruppen und Elterngremien fest, dass im Interesse einer einheitlichen Förderung der Kinder das Ziel einer gegenseitigen Verständigung zwischen Fachkräften und Eltern zu verfolgen ist. Bezogen auf die vom Bundesgesetzgeber vorgeschriebene Beteiligung an den Entscheidungen in wesentlichen Angelegenheiten der Tageseinrichtung führt das Bremische Landesgesetz aus: "Die Eltern haben das Recht, vom Träger und von den Fachkräften einer Tageseinrichtung Auskunft über alle für die Betreuung und Förderung der Kinder wesentlichen Angelegenheiten der Tageseinrichtung zu verlangen. Sie sollen sich im Rahmen ihrer Möglichkeiten an der Durchführung der Aufgaben der Tageseinrichtung beteiligen" (5). Des Weiteren wird im gleichen Paragraphen die organisierte Elternmitwirkung im Elternbeirat - bzw. bei den Elternvereinen durch die Vereinssatzung - geregelt und auf die Arbeitsgemeinschaft der Gesamtelternvertretungen hingewiesen.

Von den formalen Beteiligungsformen abgesehen, ist für die konzeptionelle und inhaltliche Qualität entscheidend, wie eine Tageseinrichtung die Vorgabe gegenseitige Verständigung sowie das Recht der Eltern auf Auskunft ausfüllt. In Anlehnung an den Frankfurter Kommentar soll die Tageseinrichtung die Eltern an der Gestaltung der Grundsätze des pädagogischen Konzepts beteiligen. Wie ist dieses weitgehende Verständnis von Elternbeteiligung in die weiteren Ziele der pädagogischen Arbeit der Tageseinrichtung eingebettet?

Ziele für alle Beteiligten: Förderung des Demokratieverständnisses und Partizipation

Die Kindertageseinrichtung ist die erste außerfamiliäre Bildungs- und Betreuungseinrichtung für das Kind und aus Sicht der Eltern die erste außerhäusliche Einrichtung, in der sie ihr Kind allein zurücklassen. Im Idealfall empfängt die Tageseinrichtung jedes Kind mit seinem individuellen Entwicklungsstand und auch mit seinem Konstruktionsstand von der (Um-) Welt. Sie bietet dem Kind Lernanlässe an und unterstützt so seinen Selbstbildungsprozess - beachtend, dass das Kind sein Lerntempo und -maß selbst zeigt.

Mit der Aufnahme des Kindes nimmt die Tageseinrichtung auch einen Teil der familiären Wirklichkeit an, die jedes Kind durch seine Erfahrungen in der Familie in Form von Gewohnheiten oder Ansichten mit in den Kindergarten bringt. Die durch den Kindergarten angeregten Lernbewegungen des Kindes wirken aus systemischer Sicht wiederum zurück auf die Familie. Der Einfluss des Kindergartens wirkt somit auf das Kind und seine Familie, d.h. Eltern werden ebenfalls erzieherisch auf neue Anforderungen reagieren. Der Eintritt eines Kindes in den Kindergarten führt so gesehen alle an dem Prozess Beteiligten, Kind, Eltern/ Familie und die pädagogischen Fachkräfte, zu einer neuen Lernsituation.

In diesem Sinne ist die gesetzlich geforderte gegenseitige Verständigung als ein grundlegender Prozess zu sehen, der dem Kind weitere ungestörte Lernbewegungen mit wechselnden Erziehungsinstanzen gewährleistet. Eine Abstimmung der an seinem Selbstbildungsprozess beteiligten Partner oder "Ko-Konstrukteure" (Schäfer 2002) (6) ist eine Voraussetzung, damit das Kind die Lernbewegungen aus der neuen Umwelt Kindergarten in sein Repertoire von der (ersten) häuslichen Weltsicht integrieren kann.

Natürlich wird es Widersprüche in der Welt-Sicht zwischen pädagogischen Fachkräften und Eltern geben, die in gewissem Maß auch eine zur Auseinandersetzung anregende Wirkung haben können. Widersprüche zu erkennen und sie aushalten zu lernen, wird für das Kind mit zunehmendem Alter eine zu bewältigende Herausforderung darstellen. Zunächst jedoch beginnt für das Kindergartenkind der Prozess der Wahrnehmung des (verdeckten oder offenen) Aushandlungsprozesses innerhalb seiner an der Erziehung und Förderung beteiligten Partner. Am Modell dieser Erziehungspartnerschaft lernt das Kind Grundzüge des partizipativen, kooperativen und im weiteren Sinn auch demokratischen Handelns. Hier zählt nicht nur die äußere Erscheinungsform, z.B. Begegnung der Erziehungspartner/innen zwischen Tür und Angel oder bei gemeinsamen Veranstaltungen, sondern die Authentizität und Motivation der Beteiligten.

Es geht um die Einstellung

Ausschlaggebend für das Klima der Zusammenarbeit ist die Einstellung zu einer Beteiligungskultur. Die von Prott eingangs erwähnte Bringepflicht der Fachkräfte bezieht sich daher nicht nur auf eine Vielzahl von Begegnungsformen bzw. Möglichkeiten der Zusammenarbeit mit Eltern, die von ihnen anzubieten sind, sondern auch auf eine unvoreingenommene Akzeptanz und eine interessierte, wertschätzende Haltung gegenüber jedem Elternteil als Voraussetzung eines die offene Kommunikation fördernden Klimas. Der entscheidende Gewinn des Kindes für die Ausbildung seiner Ich-Identität unter diesen Voraussetzungen liegt darin, dass es nicht von unvereinbaren Erlebniswelten oder Loyalitätskonflikten in seinem Forscherdrang gebremst oder gar behindert wird.

Die formulierten Ansprüche sind hoch und stehen oftmals im Widerspruch zum Alltagserleben, das oft desinteressierte Eltern oder mit zuviel Aufgaben überlastete Erzieher/innen widerspiegelt. Hierzu ist anzumerken, dass der Stellenwert von Elternarbeit durch die massiven Veränderungen für das Aufwachsen von Kindern in unserer Gesellschaft innerhalb der letzten Jahrzehnte neu zu verorten ist. Der zunehmenden "Verinselung" des kindlichen Alltags kann Kooperation und Vernetzung entgegenwirken (vgl. Neumann 1998) (7).

Neue Schlüsselkompetenzen fördern

Die neuen Schlüsselkompetenzen unserer postmodernen Gesellschaft,

  • Kommunikationskompetenz,
  • Teamfähigkeit,
  • Mobilität und
  • interkulturelle Kompetenz,

fordern alle am Erziehungsprozess Beteiligten heraus. Fthenakis (2003) stellt für die Bildungsaufgaben im Kindergarten fest: "In postmodern orientierten Curricula wird Bildung hingegen als sozialer Prozess konzeptualisiert, der in einem spezifischen Kontext stattfindet, und an dem, neben Kindern und Fachkräften, auch Eltern und andere Erwachsene aktiv beteiligt sind" (8). Auch der Beirat für Familienfragen unterstreicht die Notwendigkeit einer aktiven Einbeziehung der Eltern in Bildungsprozesse von Kindergärten und Schulen und fordert ausdrücklich: "Besonders dringend ist die Verstärkung der zweiseitigen Zusammenarbeit im Hinblick auf Zuwandererfamilien, [...], um [...] ein besseres gegenseitiges Verständnis zu erarbeiten" (9).

Die Fähigkeit, mit Anderen bzw. in der Interaktion mit Anderen Ziele zu verhandeln und zu erreichen, sich dabei selbst wahrzunehmen, um das eigene Lernen zu lernen, hat für die Kindergartenpädagogik heute eine ebenso hohe oder gar höhere Priorität als "produktorientierte" angeleitete Beschäftigungen oder verschulte Wissensvermittlung. Interaktionen als solche erhalten also eine zukunftswirksame Relevanz. Bezogen auf die Erzieher/innen-Eltern-Interaktion spiegeln sich genau die oben erwähnten Erziehungsziele wider, wie sie für die Arbeit mit Kindern zu setzen sind.

Konsequenzen für den Träger

Die Erziehungspartnerschaft mit Eltern erhält einen neuen Stellenwert. Sie ist im pädagogischen Konzept der Tageseinrichtung mit Blick auf die zentralen Ziele Partizipation und Demokratieverständnis zu verankern. Im Leitbild der Trägerorganisation wird Zusammenarbeit mit Eltern zu einem vordringlichen Ziel. Strukturelle Voraussetzungen wie Zeit (für Fortbildung, Fachberatung und Supervision der pädagogischen Fachkräfte und ehrenamtlichen Mitarbeiter/innen einerseits sowie für die verschiedenen Formen der Zusammenarbeit mit Eltern andererseits) und Raum (für Gespräche, Arbeitsgemeinschaften mit Eltern) sind bei der Einrichtung eines Kindergartens einzuplanen.

Die Auswirkungen konstruktiver Zusammenarbeit mit Eltern, die sich von der Lobby-Arbeit (für bessere Bedingungen in der Kindergartenarbeit) bis zur Erziehungspartnerschaft erstrecken, sollten regelmäßig evaluiert werden, z.B. durch eine jährliche Befragung der Eltern. Die anschließende Beteiligung der Eltern an Zielkorrekturen im pädagogischen Konzept und deren Umsetzung kann zu einer Weiterentwicklung der Tageseinrichtung beitragen. Auf diese Weise initiiert die Tageseinrichtung einen Prozess, in dem, wie Tremel (2003) es ausdrückt, "Elternzusammenarbeit als Qualitätsmerkmal in Kindertageseinrichtungen" (10) Geltung erlangt.

Anmerkungen

  1. Statt hier zu beschreiben und zu kritisieren, was alles unter Elternbildung verstanden wird und inwieweit dies nichts mit Erziehungspartnerschaft zu tun hat, sei auf eine aktuelle Auseinandersetzung mit dem treffenderen Begriff "Bildungspartnerschaft" verwiesen, veröffentlicht vom Institut für Entwicklungsplanung und Strukturforschung (ies) im Netzwerk-Rundbrief, Juli 2004: Erziehungspartnerschaft - Bildungspartnerschaft (http://www.ies.uni-hannover.de)
  2. Prott, R.: Zehn Prinzipien für eine erfolgreiche Zusammenarbeit. In: klein & groß, Heft 4/2003, S. 10
  3. Sozialgesetzbuch. Achtes Buch - Kinder- und Jugendhilfe. Eigenverlag des Deutschen Vereins für öffentliche und private Fürsorge, 6. Aufl. 2001
  4. Münder, J. u.a.: Frankfurter Kommentar zum SGB VIII: Kinder- und Jugendhilfe. Stand: 1.1.2003. Beltz Votum, 4. Aufl. 2003, S. 240 f.
  5. Gesetzblatt der Freien und Hansestadt Bremen, ausgegeben am 28.12. 2002, Bremisches Gesetz zur Förderung von Kindern in Tageseinrichtungen und in Tagespflege (Bremisches Tageseinrichtungs- und Tagespflegegesetz - BremKTG), S. 494 (Nr. 66)
  6. Schäfer, G.E.: Bildung - Selbstbildung - Verständigung. In: klein & groß; Heft 6/2002, S. 32-37
  7. Neumann, K.: Kleinkindheit im Wandel. In: Fthenakis, W.E./ Textor, M.R. (Hrsg.): Qualität von Kinderbetreuung. Weinheim: Beltz 1998, S. 27-36
  8. Fthenakis, W.E.: Zur Neukonzeptualisierung von Bildung in der frühen Kindheit. In: Fthenakis, W. E. (Hrsg.): Elementarpädagogik nach PISA. Freiburg: Herder 2003, S. 27
  9. Wissenschaftlicher Beirat für Familienfragen beim BMFSFJ : Die bildungspolitische Bedeutung der Familie - Folgerungen aus der PISA-Studie. Schriftenreihe des BMFSFJ, Band 224. Kohlhammer 2002
  10. Tremel, H.: Elternzusammenarbeit als Qualitätsmerkmal in Kindertageseinrichtungen. Fachvortrag anlässlich der Preisverleihung zum gleichnamigen Wettbewerb des Niedersächsischen Landesjugendamtes. In: KinderTageseinrichtungen aktuell, 11. Jahrgang, Mai 2003, Nr. 5, S.100-106

Autor

Herbert E. Förster
Beratungsstelle für KiTa der Elternvereine
Paritätische Gesellschaft für soziale Dienste Bremen
Eduard-Grunow-Str. 24
28203 Bremen