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Zitiervorschlag

Aus: Unsere Jugend 1997, 49, S. 113-119

Erziehungspartnerschaft - eine neue Qualität in der Beziehung zwischen Kindertageseinrichtungen und Familien

Martin R. Textor

 

Für die Qualität der privaten und der öffentlichen Erziehung ist von großer Bedeutung, wie das Verhältnis zwischen Familie und Kindertageseinrichtung konzeptualisiert wird. Analog zu Epstein (1992) lassen sich vier Sichtweisen unterscheiden: Nach der ältesten, die auf den Theorien von Weber, Parsons u.a. fußt, sind Familie und Kindertageseinrichtung separate Institutionen, die unabhängig voneinander unterschiedliche Ziele und Aufgaben verfolgen und verschiedene Funktionen für die Gesellschaft erfüllen. Kontakte zwischen beiden Seiten sind nur in Problemsituationen sinnvoll. Die zweite Sichtweise, deren Vertreter sich z.B. auf Freud und Piaget berufen, geht von einer Abfolge "kritischer" Phasen aus: Zunächst müssen die Eltern bestimmte Entwicklungsaufgaben erfüllen. Dann entlässt die Familie das Kind in den Kindergarten, wo neue und prinzipiell andersartige Entwicklungsaufgaben auf es warten. Auch hier wird ein engerer Kontakt zwischen Eltern und Erziehern/-innen für nicht notwendig erachtet.

Nach der dritten Sichtweise, die auf Bronfenbrenners Auffassungen Bezug nimmt, lebt das Kind in miteinander interagierenden Systemen, die sich gegenseitig beeinflussen. Diese lassen sich nach ihrer Größe als konzentrische Kreise konzeptualisieren (Mikro-, Meso-, Exo- und Makrosystem). Die vierte Sichtweise, die von Epstein (1992) selbst begründet wurde, geht davon aus, dass Familie und Kindertageseinrichtung sich überschneidende Systeme sind, wobei das Ausmaß der Überlappung durch das Verhalten beider Seiten bestimmt wird. Der Kontakt kann also weiter oder enger gestaltet werden, wobei Interaktionen auf der institutionellen und der persönlichen Ebene erfolgen können. Beiden Sichtweisen ist gemeinsam, dass eine intensive Beziehung zwischen Familie und Kindertageseinrichtung als positiv für die kindliche Entwicklung und damit als qualitativ hochwertig gesehen wird.

Erziehungspartnerschaft zwischen Familie und Kindertageseinrichtung

Heute vertreten Fachleute in der Regel die beiden letztgenannten Sichtweisen. Die Ausgestaltung einer engeren Beziehung zwischen Familie und Kindertagesstätte kann nach Sharpe (1991) auf zweierlei Weise erfolgen: auf eher formelle Art - wie z.B. zwischen Geschäftsleuten üblich - oder auf partnerschaftliche (informelle) Weise. Die weitaus meisten Fachleute halten die letztgenannte Alternative für die bessere; sie soll auch in diesem Kapitel vertreten werden. Wir sprechen hier von einer Erziehungspartnerschaft zwischen Familie (nicht: Eltern) und Kindertageseinrichtung. Damit wollen wir betonen, dass zum einen alle Mitglieder beider Institutionen auf die kindliche Entwicklung einwirken und zum anderen die gemeinsame Verantwortung für die Erziehung der Kinder im Mittelpunkt der Beziehung zwischen beiden Seiten steht. Der Begriff "Partnerschaft" impliziert außerdem, dass Familie und Kindertageseinrichtung gleichberechtigt sind, ein "Bündnis" geschlossen haben, ähnliche Ziele verfolgen und zusammenarbeiten.

Erziehungspartnerschaft realisiert sich in einem dynamischen Kommunikationsprozess, in der wechselseitigen Öffnung von Familie und Kindertagesstätte. Dies setzt gegenseitiges Vertrauen und Respekt voraus - Haltungen, die sich auch auf das Kind positiv auswirken: Sieht es, dass die Erzieher/-innen seine Familie wertschätzen, wird es eher Selbstachtung entwickeln. Merkt es, dass seine Eltern die Fachkräfte respektieren, fördert dies den pädagogischen Bezug und die Lernmotivation. Öffnung auf Seiten der Familie bedeutet, dass die Eltern über das Verhalten des Kindes in der Familie, besondere Erlebnisse, ihre Erziehungsziele und -methoden sprechen. Becker-Textor (1992) schreibt hierzu: "Wenn die Mitarbeiter des Kindergartens die Familien kennen, so hat dies sehr positive Wirkungen in den Alltag der Einrichtung hinein. Es gelingt ihnen besser, die Welt der Familie und die Welt des Kindergartens zu verbinden oder gar zu einem Ganzen zu vereinen. Die Bewältigung des Alltags wird leichter" (S. 53).

Auf Seiten der Kindertagesstätte geht es bei der Öffnung darum, den Alltag in der Einrichtung für die Familien durchschaubar zu machen. Die Eltern möchten wissen, wie normalerweise ein Tag abläuft, welche Erziehungsziele, -vorstellungen und -praktiken die Fachkräfte haben, wie sie sich in schwierigen Situationen (z.B. gegenüber einem trotzenden oder aggressiven) Kind verhalten (Textor 1994b). Auch wollen sie von dem entwicklungspsychologischen und pädagogischen Fachwissen und den Erfahrungen der Erzieher/-innen profitieren. Vor allem aber wünschen sie Informationen darüber, wie sich ihr Kind in der Gruppe verhält, wie es sich entwickelt, welchen Lernfortschritt es macht und ob es Schwierigkeiten hat (Bundy 1991; Jowett 1990; Sharpe 1991). Wenn sie wissen, was es in der Kindertageseinrichtung leistet, haben sie mehr Verständnis für seine Aktivitäten und erkennen die Bedeutung des Spiels für seine Entwicklung. Auch können sie dann leichter beurteilen, inwieweit der Kindergarten auf die Schule vorbereitet oder der Hort schulisches Lernen ergänzt.

Erziehungspartnerschaft bedeutet aber nicht nur den Austausch von Informationen über das Verhalten, die Entwicklung und Erziehung des Kindes im jeweiligen System, sondern geht einen entscheidenden Schritt weiter: Familie und Kindertageseinrichtung versuchen, ihre Erziehungsziele, -methoden und -bemühungen aufeinander abzustimmen, den Erziehungsprozess gemeinsam zu gestalten, sich wechselseitig zu ergänzen und zu unterstützen. Sie kooperieren miteinander, wenn es gilt, Probleme mit dem jeweiligen Kind zu bewältigen oder ihm zu helfen, bestimmte Schwierigkeiten zu meistern. Durch Erziehungspartnerschaft kann Kontinuität zwischen beiden Lebensbereichen gewährleistet, der größtmögliche Lernerfolg erreicht und die kindliche Entwicklung am besten gefördert werden (Berger 1986; Epstein 1992). Das Kind wird nicht nur in seiner "Ganzheit" gesehen (also wie es sich in allen Systemen verhält), sondern es kommt auch ein ganzheitliches Erziehungsprogramm zustande (Gelfer 1991). Allerdings dürfen sich die Erzieher/-innen nicht aufgrund ihrer Fachkompetenzen als "Besserwisser" fühlen, sondern müssen in den Eltern gleichberechtigte Partner sehen - zumal nur diese auf Dauer dem Wohl der Kinder verpflichtet sind und nach allgemein bekannten wissenschaftlichen Erkenntnissen den bei weitem größten Einfluss auf ihre Entwicklung haben.

Formen der Elternarbeit

Erziehungspartnerschaft kann sich in einer Vielzahl höchst unterschiedlicher Formen realisieren (Textor 1994a, 1995). Ein "Standard-Angebot" der Elternarbeit entspricht weder der Vielfalt der Familienformen, den unterschiedlichen Lebenslagen und der "Entstandardisierung" familialer Lebensläufe noch den von Eltern geäußerten Wünschen, Interessen und Bedürfnissen (Arbeitskreis Fortbildung 1993; Textor 1994b). Die größtmögliche Zahl von Familien kann nur erreicht werden, wenn verschiedene Methoden und Kommunikationskanäle benutzt sowie unterschiedliche Arten von Aktivitäten und Mitwirkungsformen angeboten werden - wobei deren Anzahl aber auch nicht zu groß werden darf, da sich sonst die Elternschaft aufsplittert und die Teilnehmerzahlen bei den einzelnen Aktivitäten zu klein werden.

Formen der Elternarbeit, die der Realisierung von Erziehungspartnerschaft dienen, lassen sich in sechs Kategorien fassen:

  1. Formen, die den wechselseitigen Austausch über die Entwicklung und Erziehung des jeweiligen Kindes sowie die Abstimmung von Verhaltensweisen ermöglichen: Neben Tür-und-Angel-Gesprächen sind hierfür vor allem längere Telefonate und vorab vereinbarte Besprechungen geeignet.
  2. Angebote, die der Öffnung der Kindertageseinrichtung zur Familie hin dienen: Die schriftliche Konzeption der Tagesstätte, Wochenpläne, Tagesberichte, Elternbriefe, Präsentation von Fotos über den Alltag in der Einrichtung, Ausstellungen der Arbeitsprodukte der Kinder, Spiel- und Bastelnachmittage sowie Hospitationen vermitteln Eltern einen Einblick in die pädagogische Arbeit, einen Eindruck von der Rolle der Erzieher/-innen und allgemeine Informationen über laufende Aktivitäten. Auch Elternabende können diese Zielsetzung verwirklichen, wenn über den Alltag in der Einrichtung berichtet wird, Dias gezeigt werden oder den Eltern das Nacherleben des vergangenen Tages ermöglicht wird: "An einem typischen Elternabend kamen die Eltern in den Gruppenraum, der so gestaltet war, wie er von den Kindern tagsüber genutzt wurde. Sie (die Erzieherin) zeigte den Eltern die Spielecken und erklärte, was in ihnen gelernt wird. Die Eltern konnten dann selbst die Aktivitäten der Kinder ausführen und für sich die kognitiven Herausforderungen entdecken, die mit den jeweiligen Aufgaben verbunden waren" (Stipek/Rosenblatt/DiRocco 1994, S. 8). Manche Erzieherinnen geben den Kindern auch Notizen über besondere Ereignisse oder Entwicklungsschritte mit oder führen Tagebücher über jedes einzelne Kind, die von den Eltern ausgeliehen werden können. Auf diese Weise erhalten die Erziehungsberechtigten einen Überblick über den Entwicklungsstand ihrer Kinder.
  3. Formen, die der Öffnung der Familie zur Kindertageseinrichtung hin dienen: Eltern können Erzieher/-innen einen Einblick in die Familiensituation und den Lebensalltag der Kinder außerhalb der Tagesstätte nicht nur in informellen oder formellen Gesprächen geben, sondern auch durch Einladungen in ihre Wohnung (z.B. zur Geburtstagsfeier des jeweiligen Kindes). Vereinzelt ist es auch üblich, dass die Fachkräfte mindestens einen Hausbesuch pro Jahr bei allen Familien machen oder dass die Eltern Fragebögen über die Entwicklung ihres Kindes in der Familie ausfüllen.
  4. Angebote, die die Mitarbeit von Eltern in Kindertageseinrichtungen ermöglichen: Die Mitwirkung von Eltern bei Projekten, Ausflügen, Festen und Familiengottesdiensten, ihre Einbindung beim Kochen, bei der Gartenarbeit, bei der Gestaltung von Innen- und Außenräumen oder beim Werken sowie ihre Mitarbeit in der Gruppe (z.B. Vorlesen, Spielen mit einer Teilgruppe, Bericht über ihre Berufsarbeit, Einbringen ihrer Hobbys oder besonderer Qualifikationen) sind besonders intensive Formen der Kooperation von Familie und Kindertagesstätte. Die Eltern werden in die pädagogische Arbeit der Erzieher/-innen und in den Alltag der Einrichtung eingebunden, als Ressourcen und Helfer genutzt. Mancherorts können sie auch bei Erkrankung einer Fachkraft einspringen oder werden als Hilfskräfte stundenweise bezahlt.
  5. Angebote, die der Beeinflussung der Familienerziehung dienen: Vorträge von Psychologen, Pädagogen und Ärzten sowie andere Elternbildungsveranstaltungen - die oft in Zusammenarbeit mit Familienbildungseinrichtungen erfolgen oder von mehreren Kindertagesstätten gemeinsam angeboten werden - eignen sich vor allem zur Wissensvermittlung mit anschließender Diskussion. Elterngruppen und themenspezifische Arbeitskreise ermöglichen einen eher formellen, Elternstammtische und -cafés einen eher informellen Informations- und Erfahrungsaustausch. Aber auch durch Elternbriefe, Familienfreizeiten, Ausstellungen guter Spiele und Bücher sowie die Ausleihe derselben kann Einfluss auf die Familienerziehung genommen werden. Schließlich können im Einzelgespräch individuelle Erziehungsfragen und -probleme besprochen werden.
  6. Formen der Mitbestimmung: Bedenkt man, dass nur die Eltern als alleinige Erziehungsberechtigte auf Dauer an dem Wohl und der allseitigen Förderung ihrer Kinder interessiert sind, dann erscheint es einem sinnvoll zu sein, ihnen Möglichkeiten zur Beeinflussung der Betreuung und Erziehung ihrer Kinder in Tageseinrichtungen einzuräumen. Sind Eltern Träger der Kindertagesstätte, haben sie als Arbeitgeber große Mitbestimmungsmöglichkeiten - ansonsten räumt ihnen der Gesetzgeber via dem Elternbeirat überwiegend Beratungsfunktionen ein. Dies sollte Fachkräfte aber nicht daran hindern, interessierte Eltern an der Erstellung und Fortschreibung der Konzeption der Einrichtung, an der Jahresplanung (Besprechung möglicher Themenschwerpunkte, Projekte, Feste usw.) oder an der Besprechung der Wochenpläne zu beteiligen, so dass sie ihre Vorschläge, Wünsche, Interessen und Vorstellungen einbringen können. Auch dadurch kann Kontinuität zwischen öffentlicher und privater Erziehung erreicht werden: "Ein kritischer Überblick über einen Großteil der professionellen Literatur betreffs der Kommunikation mit Eltern verweist auf eine implizite Vorannahme, nach der Kontinuität dadurch zustande kommen wird, dass Eltern ihre Erziehungsgewohnheiten ändern, und nicht dadurch, dass Erzieher aufgrund der Gespräche zwischen Eltern und Fachkräften ihr Programm verändern" (Shimoni 1991, S. 13). Mitbestimmungsmöglichkeiten sollten aber nicht nur auf die Arbeit der Kindertageseinrichtungen beschränkt sein. Unter dem Begriff des "Empowerment" wird diskutiert, dass Erzieher/-innen Eltern motivieren sollten, sich kommunalpolitisch zu engagieren und als Fürsprecher für Kinder und Tagesstätten aufzutreten. Auch sollten Eltern angehalten werden, in Eltern- und Familienverbänden, Initiativgruppen und überörtlichen Elternvertretungen mitzuarbeiten.

(Zu den verschiedenen Formen der Elternarbeit vgl.: Arbeitskreis Fortbildung 1993; Becker o.J.; Berger 1986; Gelfer 1991; Honig 1976; Make parents your partners 1993; Textor 1994a, 1995).

Erziehungspartnerschaft bedingt, dass Erzieher/-innen ein generelles Interesse am Wohl der Familien der ihnen anvertrauten Kinder entwickeln - qualitativ hochwertige Elternarbeit wird damit zur Familienarbeit. Dies zeigt sich besonders darin, dass sie bei der Konfrontation mit Familienproblemen oder belastenden Lebenslagen aktiv werden. So fördern sie den Gesprächsaustausch und die wechselseitige Unterstützung Betroffener, indem sie z.B. Treffpunkte für Alleinerziehende, Aussiedler, Arbeitslose bzw. Ausländer oder Arbeitsgruppen zu Themen wie Wohnen und Wohnumwelt oder Vereinbarkeit von Familie und Beruf in der Tageseinrichtung gründen. Sie ermöglichen die Familienselbsthilfe, indem sie beispielsweise Eltern erlauben, am "schwarzen Brett" Hinweise auf ihre Babysitterdienste oder Angebote von "Second-Hand-Kleidung", gebrauchtem Spielzeug oder anderen Gegenständen anzubringen. Sie vermitteln im Einzelfall die Hilfsangebote von psychosozialen Diensten, Behörden und Selbsthilfegruppen oder legen Beratungsführer und relevante Broschüren bzw. Faltblätter aus, so dass sich Familien über finanzielle und immaterielle Hilfen informieren können. Auf diese Weise tragen sie zur Vernetzung sozialer Dienste bei (Arbeitskreis Fortbildung 1993; Hopf 1988; Textor 1992, in Druck).

Beeinflussung der Familienerziehung

Formen der Erziehungspartnerschaft, die auf eine positive Einflussnahme auf die Familienerziehung abzielen (s.o.), werden in Deutschland kaum, in den USA etwas häufiger diskutiert (Arbeitskreis Fortbildung 1993; Epstein 1992; Gage/Workman 1994; Honig 1976; Sharpe 1991). Diese Angebote gehen davon aus, dass Eltern die Hauptverantwortung für ihre Kinder tragen, dass das Eltern-Kind-Verhältnis alle anderen Beziehungen des Kindes "in Priorität, Dauer, Kontinuität, Bedeutung, Ausmaß, Intensität, Durchdringung und Festigkeit übertrifft" (Honig 1976, S. 9) und dass die Familie den weitaus größten Einfluss auf die kindliche Entwicklung ausübt. Eine Verbesserung der Familienerziehung stellt sicher, dass die kindliche Entwicklung allseitig gefördert wird, Entwicklungsstörungen frühzeitig entdeckt werden und die Arbeit der Kindertageseinrichtungen und Schulen ergänzt wird. Insbesondere soll erreicht werden, dass Eltern (1) ihr Wissen über die Entwicklung, Pflege und Erziehung von Kindern erweitern, (2) Beobachtungsfertigkeiten entwickeln, so dass sie ihr Kind alters- und bedürfnisgerecht fördern können, (3) gute Erziehungsmethoden einsetzen, so dass positive Verhaltensweisen verstärkt und Erziehungsprobleme vermieden werden, (4) ihrem Kind absichtlich Lernerfahrungen im Gespräch, im Haushalt oder Spiel vermitteln sowie (5) einen dem Alter ihres Kindes entsprechenden Sprachstil verwenden und seine Kommunikationsfertigkeiten fördern (Honig 1976). "Vor allem sollten Eltern empfinden, was für einen Unterschied sie im Leben ihrer Kinder machen. Die gezeigte Aufmerksamkeit, die ausgedrückte Freude, ihr Zuhören, ihr Interesse - all dies nährt das sich entwickelnde Selbst des Kindes wie Nahrung seinen oder ihren Körper nährt und wie Spielsachen und Erblicktes, Töne und Gerüche die Sinne nähren" (Honig 1976, S. 5).

Wie bereits erwähnt, können Erzieher/-innen durch Einzelgespräche mit Eltern, Vorträge von Fachleuten, Elternabende, Elterngruppen und den Verleih von Ratgebern, guten Spielen und Kinderbüchern Einfluss auf die Familienerziehung nehmen. Sie können mit Eltern über die Bedürfnisse von Kindern, entwicklungsfördernde Aktivitäten, Erziehungsziele und -methoden diskutieren, ihr Selbstvertrauen und ihre Kompetenz vergrößern und sie anhalten, ihr Kind viel zu loben und zu ermutigen. Die Eltern sollten viel und über verschiedene Themen mit ihrem Kind sprechen, ihm oft vorlesen, alle seine Fragen beantworten, ihm viel Freiraum zur Erkundung seiner Umwelt lassen, intellektuell stimulierende Aktivitäten anbieten und seine Lernmotivation stärken.

Ein besonders intensives, aber auch arbeits- und zeitaufwendiges Angebot sind Elternseminare, die in Kooperation mit Familienbildungseinrichtungen oder Erziehungsberatungsstellen durchgeführt werden können. Hier "... werden alle Eltern informiert, wie Kinder lernen und sich entwickeln, dass Aktivitäten in der Vorschule der Entwicklungsstufe des Kindes angepasst werden und wie wichtig unterstützende Erfahrungen zu Hause sind. Insbesondere sollten Eltern von der Bedeutung der Förderung der Denk-, Urteils- und Problemlösungsfähigkeiten des Kindes wissen. Dadurch kommt es zur Begriffsbildung mit Verallgemeinerungen, die eingesetzt, erklärt und verwendet werden, um weitere Probleme zu lösen, Fragen zu stellen und Sprachfertigkeit zu entwickeln. Es ist nutzlos, bloße Fakten zu wissen oder bestimmte Fertigkeiten zu besitzen, so lange nicht wirklich der Zusammenhang zwischen einer vorschulischen Umgebung reich an Lernmaterialien und einem Heim verstanden wird, das Schutz und Sicherheit bietet sowie die Erfahrungen in der Einrichtung ergänzt" (Sharpe 1991, S. 61). Da Elternseminare oft schlecht besucht werden, empfiehlt Epstein (1992), Ton- bzw. Filmaufnahmen zu machen oder zusammenfassende Texte zu erstellen, die dann Nichtteilnehmern zur Verfügung gestellt werden können.

Im Einzelfall - insbesondere wenn Eltern große Erziehungsfehler machen oder die kindliche Entwicklung unzureichend fördern - bieten sich Hausbesuche an. Vor allem wenn mehrere längere Besuche möglich sind und wenn hierzu eine besonders qualifizierte Fachkraft (z.B. Heilpädagogin) eingesetzt werden kann, lässt sich die Familienerziehung auf diese Weise verbessern. Hier wirkt sich besonders positiv aus, dass die Fachkraft in Anwesenheit der Eltern mit dem Kind interagieren und spielen kann, dabei als Vorbild für ein gutes Erziehungsverhalten wirkt und spätere Nachahmungsversuche verstärken kann. Auch können bestimmte Spiele, Übungen und entwicklungsfördernde Aktivitäten eingeführt werden. Honig (1976, S. 25 f., S. 62) gibt eine Reihe bedenkenswerter Verhaltensregeln für Hausbesuche.

Voraussetzungen einer Erziehungspartnerschaft

Eine qualitativ hochwertige Elternarbeit, die Elternbildung, -beratung, -mitarbeit und -mitbestimmung umfasst, ist an bestimmte Vorbedingungen geknüpft. Eine wichtige Voraussetzung ist, dass genügend Zeit für sie zur Verfügung steht - oder die Erzieher/-innen sich entsprechende Freiräume schaffen, indem sie den Alltag in der Einrichtung umorganisieren, Arbeiten delegieren usw. (Erb 1994). Eine andere bedeutsame Vorbedingung ist, dass Fachkräfte das für eine intensive Elternarbeit notwendige Fachwissen und die benötigten Fähigkeiten in der Aus- und Fortbildung erwerben können - was bisher erst ansatzweise gegeben ist. Hierzu gehören relevante Kenntnisse aus den Bereichen Entwicklungspsychologie, Frühpädagogik, Familienforschung, Erwachsenenbildung und Sozialarbeit sowie Beobachtungsfertigkeiten, kommunikative Kompetenzen (Techniken der Gesprächsführung und Beratung, Sensibilität, Empathie etc.) und Konfliktlösungsfertigkeiten (Arbeitskreis Fortbildung 1993; Gage/Workman 1994). Schließlich sollten sie die Lebenslagen und Bedürfnisse der Familien erfassen (Situations- und Bedarfsanalyse, Elternbefragung).

Auf Seiten der Eltern ist die Bereitschaft zur Öffnung, zum Dialog mit den Erziehern/-innen und zur Mitarbeit in der Kindertageseinrichtung eine wichtige Voraussetzung. Die Eltern sollten Vertrauen haben sowie die Person und die Kompetenz der Fachkräfte anerkennen. Wichtig ist auch der Wille zur Reflexion eigener Erziehungsziele, -vorstellungen und -methoden, von Werten und Leitbildern. Manche Eltern, die sich z.B. aufgrund von Ehescheidung, Alleinerzieherschaft, Arbeitslosigkeit, Armut oder ausländischer Staatsangehörigkeit abkapseln, müssen besonders zur Mitarbeit motiviert werden.

Eine Erziehungspartnerschaft zwischen Familie und Kindertageseinrichtung wird oft durch Ängste, Unsicherheit, Überlegenheits- oder Unterlegenheitsgefühle, überzogene Forderungen, mangelndes Verständnis für die Belastungen der jeweils anderen Seite sowie Vorurteile bezüglich anderer Kulturen, Familienformen, Erziehungsstile und Geschlechtsrollenleitbilder erschwert. Hinzu kommt: "Die Beziehung zwischen Erzieherinnen und Eltern, insbesondere Müttern, ist häufig durch Konkurrenz bestimmt. Die ausgebildete Fachkraft (Expertin für Kindergartenpädagogik) rivalisiert mit der erfahrenen Mutter (Expertin für ihr Kind)" (Diözesan-Caritasverband für das Erzbistum Köln e.V. 1993, S. 2). Neben den hieraus resultierenden Eifersuchtsgefühlen behindern ablehnende Haltungen mancher Träger oder einzelner Kollegen/-innen eine gute Zusammenarbeit. Es ist offensichtlich, dass solche Hemmnisse erst abgebaut werden müssen, bevor eine Erziehungspartnerschaft möglich ist. Hierzu ist häufig die Hilfe Dritter nötig, also z.B. von Fachberatern oder Supervisoren.

Schlusswort

Wie zuvor kurz erwähnt, kann eine gute Elternarbeit auch dazu führen, dass sich Eltern im Gemeinde- bzw. Stadtrat, in Verbänden und Initiativen für die Interessen von Kindern und Kindertageseinrichtungen engagieren. Auf diese Weise können sie außerdem Verbesserungen für die Erzieher/-innen durchsetzen. Eltern und Fachkräfte sollten zusammenarbeiten und politisch aktiv werden (z.B. mündlich, telefonisch oder schriftlich Kontakt mit Abgeordneten, Kommunalpolitikern und Medien aufnehmen), um bessere Lebens- und Entwicklungsbedingungen für Kinder in unserer Gesellschaft durchzusetzen. Eine wichtige Voraussetzung hierfür ist, dass sie die dazu benötigten Kenntnisse über die Bedürfnisse von Kindern, die Lebenssituation von Familien und die Kriterien für eine qualitativ hochwertige Kinderbetreuung vermittelt bekommen. Patton (1993) schreibt: "Das Ziel ... sollte sein, qualitativ minderwertige Kinderbetreuung so unakzeptabel wie Trunkenheit am Steuer zu machen. Sicherlich können die Folgen einer unangemessenen Betreuung so zerstörerisch wie die Folgen von Trunkenheit am Steuer sein. Um qualitativ minderwertige Betreuung ausmerzen zu können, muss die Öffentlichkeit fähig sein, qualitativ hochwertige Kinderbetreuung zu erkennen und auszuwählen" (S. 30). Abschließend soll noch angemerkt werden, dass Erziehungspartnerschaft die Zufriedenheit der Erzieher/-innen mit ihrer Situation vergrößert, zu einer besseren pädagogischen Arbeit in den Einrichtungen führt und sich positiv auf die Entwicklung der Kinder auswirkt (Epstein 1992; Gelfer 1991).

Anmerkung

Eine umfassendere Darstellung der Thematik finden Sie in meinen Büchern "Elternarbeit im Kindergarten. Ziele, Formen, Methoden" (Books on Demand, 4. Aufl. 2021) und "Bildungs- und Erziehungspartnerschaft in Kindertageseinrichtungen" (Books on Demand, 3. Aufl. 2020), die im Buchhandel und z.B. bei Amazon erhältlich sind.

Literatur

Arbeitskreis Fortbildung: Öffnung der Kindertageseinrichtungen: Neue Wege der Zusammenarbeit mit Familien - Rahmenkonzept für die Fortbildung. Manuskript. München: Staatsinstitut für Frühpädagogik und Familienforschung, 26.10.1993

Becker, I.: Elternarbeit - ein Schwerpunkt im Bereich der Kooperation Kindergarten und Grundschule. Manuskript. Würzburg o.J.

Becker-Textor, I.: Der Dialog mit den Eltern. München: Don Bosco 1992

Berger, M.: Feste und Feiern. Eine Möglichkeit der Elternmitwirkung im Kindergarten. Sozialpädagogische Blätter 1986, 37, S. 73-80

Bundy, B.F.: Fostering communication between parents and preschools. Young Children 1991, 46 (2), S. 12-17

Diözesan-Caritasverband für das Erzbistum Köln e.V.: "Draußen vor der Tür?" Eltern in der Kindertagesstätte. Thesen zum Themenschwerpunkt des Fortbildungsjahres 1993/94. Manuskript. Köln 1993

Epstein, J.L.: School and family partnerships. In: Alkin, M. (Hrsg.): Encyclopedia of educational research. New York: MacMillan, 6. Aufl. 1992, S. 1139-1151

Erb, W.: Organisation von Elternarbeit im Rahmen der Dienstzeit. In: Textor, M.R. (Hrsg.): Elternarbeit mit neuen Akzenten: Reflexion und Praxis. Freiburg: Herder 1994, S. 124-128

Gage, J./Workman, S.: Creating family support systems: in Head Start and beyond. Young Children 1994, 50 (1), S. 74-77

Gelfer, J.I.: Teacher-parent partnerships: enhancing communications. Childhood Education 1991, 67, S. 164-167

Honig, A.S.: Parent involvement in early childhood education. Washington: National Association for the Education of Young Children, 2. Aufl. 1976

Hopf, A.: Die Öffnung des Kindergartens zur Gemeinde und zum Stadtteil hin. Wehrfritz Wissenschaftlicher Dienst 1988, Nr. 40, S. 23-25

Jowett, S.: Working with parents - a study of policy and practice. Early Child Development and Care 1990, 58, S. 45-50

Make parents your partners. Research-based suggestions for strengthening the home-school partnership. Instructor, April 1993, S. 52-53

Patton, C.: What can we do to increase public knowledge about child development and quality child care? Young Children 1993, 49 (1), S. 30-31

Sharpe, P.: Parental involvement in preschools, parents' and teachers' perceptions of their roles. Early Child Development and Care 1991, 71, S. 53-62

Shimoni, R.: Professionalization and parent involvement in early childhood education: complementary or conflicting strategies? International Journal of Early Childhood 1991, 23 (2), S. 11-20

Stipek, D./Rosenblatt, L./DiRocco, L.: Making parents your allies. Young Children 1994, 49 (3), S. 4-9

Textor, M.R.: Kindergarten als Vermittler. Welt des Kindes 1992, 70 (1), S. 40-42

Textor, M.R. (Hrsg.): Elternarbeit mit neuen Akzenten: Reflexion und Praxis. Freiburg: Herder 1994a

Textor, M.R.: Elternarbeit in Kindergärten. Ergebnisse zweier Elternbefragungen. Wehrfritz Wissenschaftlicher Dienst 1994b, Nr. 58, S. 15-20

Textor, M.R.: Elternarbeit: Gemeinsam für unsere Kinder aktiv. Kinderzeit 1995, 46 (1), S. 14-16

Textor, M.R.: Vermittlung der Hilfsangebote psychosozialer Dienste. In: Textor, M.R. (Hrsg.): Problemkinder? Auffällige Kinder in Tageseinrichtungen. Weinheim: Beltz, in Druck

Autor

Dr. Martin R. Textor studierte Pädagogik, Beratung und Sozialarbeit an den Universitäten Würzburg, Albany, N.Y., und Kapstadt. Er arbeitete 20 Jahre lang als wissenschaftlicher Angestellter am Staatsinstitut für Frühpädagogik in München. Von 2006 bis 2018 leitete er zusammen mit seiner Frau das Institut für Pädagogik und Zukunftsforschung (IPZF) in Würzburg. Er ist Autor bzw. Herausgeber von 45 Büchern und hat 770 Fachartikel in Zeitschriften und im Internet veröffentlicht.
Homepage: https://www.ipzf.de
Autobiographie unter http://www.martin-textor.de