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Zitiervorschlag

Elternarbeit ist Öffentlichkeitsarbeit

Ingeborg Becker-Textor

 

Das Wort "Öffentlichkeitsarbeit" steht in engem Zusammenhang mit den Begriffen Öffnung, Offenheit, sich öffnen, aufmachen, hereinlassen, Einblick gewähren. Öffentlichkeitsarbeit wird häufig mit Pressearbeit gleichgesetzt, obwohl sie viel weitreichender ist.

Öffentlichkeitsarbeit ist z.B. die inhaltliche Darstellung eines Arbeitsbereiches. Während eine Pressemitteilung oft nur eine Tagesaktualität hat, erstreckt sich die Wirkung der Öffentlichkeitsarbeit über einen längeren Zeitraum. Fehler, die eventuell gemacht werden, lassen sich auch nicht sofort ausmerzen. Dies ist wichtig zu bedenken, wenn man die Elternarbeit in Kindertageseinrichtungen als eine Form der Öffentlichkeitsarbeit betrachtet.

Mit seinen Formen, Methoden und Inhalten der Elternarbeit wirkt der Kindergarten in die Öffentlichkeit und wird dadurch auch "angreifbar". Wir wissen um gute und schlechte Beispiele der Elternarbeit, die ganz wesentlich zum Image einer Einrichtung und zu deren Qualitätsprofil beitragen.

Wird Elternarbeit im Kindergarten als Öffentlichkeitsarbeit verstanden, dann verlangt sie nach gründlicher Vorbereitung - unter Berücksichtigung aller mit dem Kindergarten in Beziehung stehenden Personen - und zwar vor dem Schritt in die Öffentlichkeit.

Öffentlichkeitsarbeit heißt Arbeit an uns selbst

Öffentlichkeitsarbeit beginnt bei jedem einzelnen Menschen - und zwar dann, wenn er sich gegenüber sich selbst öffnet, sich etwas eingesteht, etwas annimmt und möglicherweise Konsequenzen für sein Denken und Handeln aus den neuen Erkenntnissen zieht. Dadurch können eigene Einsichten und die Beziehung zu sich selbst und anderen verbessert werden.

Öffentlichkeitsarbeit beginnt bei jedem Mitarbeiter im Kindergarten - und zwar dann, wenn er nachdenkt und sich darüber klar wird, was er für sich selbst will, wenn er seinen eigenen Standpunkt in Bezug auf die Kindergartenarbeit findet. Er muß sich Fragen beantworten wie

  • Was will ich?
  • Wo stehe ich?
  • Was sind meine Ziele?
  • Was will/kann ich wie/wodurch erreichen?
  • Welche Möglichkeiten habe ich, allen Erwartungen und Erfordernissen zu entsprechen?
  • Wo spüre ich meine Grenzen?
  • Wie kann ich meine Wissenslücken schließen?
  • Welche Methoden und Strategien helfen mir, meine Aufgabe zu erfüllen?

Konkret heißt dies für jeden, daß er sich Klarheit darüber schaffen muß, was er in der Arbeit erreichen will und kann. Der eigene Standpunkt muß mit überzeugenden Argumenten dargestellt, d.h. öffentlich gemacht werden.

Der Dialog mit Kolleginnen und Kindern

Zumeist arbeiten zwei Erwachsene in einer Kindergruppe. Es ist anfangs sicher nicht einfach, sich der Kollegin gegenüber zu öffnen, den eigenen Standpunkt mitzuteilen, sich den Mitteilungen des Gegenübers zu öffnen, in eine Diskussion einzutreten und Wege in einen Dialog zu finden.

Letzteres heißt nicht, daß man in vielen Punkten nachgeben, sich anpassen oder gar unterordnen müßte. Es gilt vielmehr, Gemeinsamkeiten zu entdecken und darauf konzeptionell aufzubauen, sodaß sich beide darin "wiederfinden" können. Eine solche Entwicklung braucht Zeit, viele Gespräche, Distanz und objektive Betrachtung eigener Vorstellungen, Wahrnehmung individueller Weiterentwicklung und prozeßhafter Veränderungen.

Im Blick auf die Kindergruppe müssen die gemeinsam gefundenen und anerkannten Ziele reflektiert werden. Nicht immer stimmen nämlich Wünsche, Vorstellungen, Werte, Planungen und Überlegungen mit dem überein, was im Interesse der Kinder und Eltern sowie der gesamten Einrichtung notwendig wäre. So sollten im Rahmen von Kinderkonferenzen alle Mitglieder der Gruppe in Planungs- und Entscheidungsprozesse eingebunden werden. Die Zeit für ein solches Vorgehen muß sich jede Gruppe nehmen. Die Mühe zahlt sich aus.

Nachdem die Mitarbeiter und Kinder einer Gruppe sich auf bestimmte Ziele und ein Gruppenkonzept geeinigt haben, d.h. "Standfestigkeit" und Sicherheit gewonnen haben, gilt es, Wege zu gemeinsamen Zielen und zu einem abgestimmten Konzept für die Arbeit des ganzen Kindergartens zu finden. Ein Konzept, das Gültigkeit für alle Kindergärten hat, gibt es nicht.

Im Team eines jeden Kindergartens fordert es Arbeit und Anstrengung, bis sich alle Mitarbeiter in einem abgestimmten, ganzheitlich ausgerichteten Konzept wiederfinden und dieses vertreten können. Erst wenn dieses interne Ziel erreicht ist, kann Elternarbeit im Sinne von Öffentlichkeitsarbeit beginnen. Dann stehen in ihrer Arbeit sichere Erzieher den Eltern gegenüber. Sie lassen sich nicht überschnell von bewährten Methoden und Arbeitsweisen abbringen bzw. verunsichern und in ihrer Arbeit in Frage stellen. Ein Konzept gibt Sicherheit, befreit aber nicht von der Notwendigkeit der Reflexion und ständiger prozeßhafter Weiterentwicklung.

Den Eltern Einblick gewähren - Elternarbeit als Öffentlichkeitsarbeit

Steht also das Konzept eines Kindergartens, eines ganz individuellen Kindergartens, dann kann es der Öffentlichkeit vorgestellt werden. In erster Linie werden die Eltern und alle Personen rund um den Kindergarten angesprochen. Bald wird sich zeigen, ob das Konzept auf einem stabilen und fundiert erarbeitetem Grundstock steht. Wenn die Erzieher sicher und überzeugend in ihrer Argumentation sind, können sie in die öffentliche Diskussion über die Kindergartenarbeit eintreten. Das regelmäßige Gespräch mit den Eltern ist dann gleichzeitig der Beginn einer prozeßhaften Weiterentwicklung. Damit bleibt die Arbeit mit den Kindern und Eltern in Bewegung und lebensweltbezogen.

Sicherheit im eigenen Konzept und das Bestehen einer ersten "Nagelprobe" in der Elternarbeit machen weitere Schritte in die Öffentlichkeit möglich. Somit wird die Diskussion mit Eltern über das Konzept der Einrichtung zu einem ersten Prüfstein bezüglich der Tauglichkeit für die Öffentlichkeitsarbeit.

Sensationen, Events oder besondere Veranstaltungen wirken zwar auch in die Öffentlichkeit, sind aber meist nur "Eintagsfliegen" und bleiben ohne nachhaltige Wirkung. Gute und konzeptionell fundierte Elternarbeit hingegen zeichnet einen Kindergarten aus und wirkt langfristig.

Aus diesem Grunde muß Elterarbeit viel stärker als bisher in den Blick genommen werden. Eltern für den Kindergarten gewinnen braucht Zeit, Eltern verlieren, das geht sehr schnell. Also überprüfen Sie Ihr Kindergartenkonzept und Ihre Ziele der Elternarbeit. Dann können Sie an die Öffentlichkeit gehen!

Autorin

Ingeborg Becker-Textor ist Kindergärtnerin und Hortnerin. Sie studierte Diplom-Sozialpädagogik an der Fachhochschule Würzburg und Diplom-Pädagogik an der Universität Würzburg und hat mehrere Zusatzqualifikationen wie z.B. den Abschluss als Fachlehrerin für Werken und das Montessori-Diplom erworben.
Frau Becker-Textor arbeitete als Kindergartenleiterin in Würzburg, als Regierungsfachberaterin für Kindertageseinrichtungen in Unterfranken, als nebenberufliche Dozentin in der Ausbildung für Kinderpfleger/innen und Erzieher/innen, in der Fortbildung für Erzieher/innen und Fachkräfte in der Jugendhilfe sowie mehr als 20 Jahre lang als Referatsleiterin im Bayer. Sozialministerium (nacheinander in den Bereichen Jugendhilfe, Kindertagesbetreuung und Öffentlichkeitsarbeit). Im Ministerium war sie auch für zahlreiche Forschungsprojekte auf Landes- und Bundesebene zuständig. Von 2006 bis 2018 leitete sie zusammen mit ihrem Mann das Institut für Pädagogik und Zukunftsforschung (IPZF) in Würzburg.
Ingeborg Becker-Textor ist Autorin bzw. Herausgeberin von mehr als 20 Büchern und über 40 Medienpaketen. Sie hat ca. 140 Fachartikel in Zeitschriften, in Sammelbänden und im Internet veröffentlicht.
Homepage: https://www.ipzf.de