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Zitiervorschlag

Aus: Becker-Textor, I./Textor, M.R.: Der offene Kindergarten - Vielfalt der Formen. Freiburg, Basel: Verlag Herder, 2. Aufl. 1998, S. 59-74

Öffnung zur Familie hin

Ingeborg Becker-Textor

 

Der Kindergarten definiert sich als familienergänzende und -unterstützende Einrichtung zur Bildung, Erziehung und Betreuung von Kindern. Wie die Ergänzung und Unterstützung der Familie allerdings aussehen bzw. sich gestalten soll, wird in den aktuellen Kindergartengesetzen oder Ausführungsbestimmungen nirgends näher ausgeführt. Auch Themen wie "Der Übergang von der Familie zum Kindergarten" werden - in Relation zu anderen Themen - wenig behandelt. Wie ist es dann erst mit der Öffnung des Kindergartens zur Familie hin?

Im Fachlexikon der Sozialen Arbeit des Deutschen Vereins für öffentliche und private Fürsorge finden wir zumindest die Stichworte familienunterstützende und -ergänzende Hilfen: "Unter familienunterstützenden und -ergänzenden Hilfen werden alle diejenigen Hilfen verstanden, die darauf abzielen, sowohl sozio-ökonomische Notlagen von Familien als auch Konflikten und Störungen im erzieherischen Bereich vorzubeugen bzw. diese zu beseitigen... Bedürfnisorientierung heißt hier, unter Berücksichtigung der Gesamtsituation der Familie und ausgehend von deren Alltagserfahrungen zielgerichtete, sich gegenseitig stützende und verstärkende Hilfen einzuleiten... Die Angebote beschränken sich noch zu sehr auf die jeweilige Familie, ohne das soziale Umfeld einzubeziehen. Da dies aber eine wesentliche Prämisse für eine bedürfnis- und zielgruppenorientierte Arbeit ist, müssen Hilfen für die Familien in die Stadtteil- und Gemeinwesenarbeit einfließen. Im einzelnen werden unter familienunterstützenden und -ergänzenden Hilfen ... (auch) Kindergartenerziehung ... verstanden." (Faltermeier/Gross 1980, S. 277 f.) Folgt man den Aussagen dieser Definition, dann können familienunterstützende und -ergänzende Hilfen des Kindergartens nur sichergestellt werden, wenn er sich zur Familie hin öffnet und in einen Dialog mit Müttern und Vätern eintritt. Die Erzieherin muss aber dazu bereit sein: Für jeden Menschen beginnt Öffnung bei sich selbst. Sie setzt Sicherheit und innere Freiheit voraus. Ängste müssen akzeptiert, aber gleichzeitig auch bearbeitet werden.

1. Die Bandbreite von Ergänzung und Unterstützung

Beide Begriffe können - bezogen auf das einzelne Kind oder die einzelne Mutter bzw. den einzelnen Vater - eine ganz unterschiedliche Bedeutung haben. Die Forderungen und Erwartungen an die Inhalte sind ganz verschiedenartig: So gibt es Kinder, die in einer emotional recht kühlen Umwelt aufwachsen. Sie brauchen emotionale Zuwendung und suchen im Kindergarten verstärkt danach. Andere Kinder wachsen in einer Umwelt auf, die ihnen wenige Möglichkeiten zur kognitiven Entwicklung und nur wenig Förderung zuteilwerden lässt. Sie brauchen im Kindergarten vielfältige Anregungen und kompensierende Angebote. Häufig werden Kinder in der Familie aber auch intellektuell überfordert und wie kleine Erwachsene behandelt. Sie werden in ihrer Entfaltung stark eingeengt. So brauchen sie im Kindergarten in erster Linie Freiräume und Ermunterung, eigene Aktivitäten zu entwickeln. Dann können sie sich vom Erwartungsdruck der Erwachsenen befreien.

Die Herkunftsfamilien der Kinder sind sehr verschieden - charakterisiert durch ganz spezifische Lebenssituationen, aus denen sich vielfältige Bedürfnisse gegenüber dem Kindergarten ergeben. So erwarten Eltern eine umfassende Betreuung während ihrer Berufstätigkeit, lange Öffnungszeiten, konstante Bezugspersonen (die ihre Kinder im familiären Umfeld vielleicht nicht haben) u.a. Manche hoffen auf einen leichteren Ablösungsprozess, wenn ihr Kind gar zu sehr auf die Mutter fixiert ist und bisher kaum Eigenständigkeit entwickelt hat. Wieder andere Formen der Ergänzung und Unterstützung erwarten alleinerziehende Mütter und Väter. Für sie ist der Dialog mit der Erzieherin oft die einzige Möglichkeit, sich über Erziehungsfragen auszutauschen.

Hier wird deutlich, dass sich der familienergänzende und -unterstützende Auftrag des Kindergartens nicht abschließend definieren lässt, sondern für jede Einrichtung neu diskutiert werden muss. In jedem Kindergartenjahr müssen die Lebenssituationen, Bedürfnisse und Erwartungen der Familien analysiert werden. Dies ist eine sehr komplexe Aufgabe der Elternarbeit. Die Öffnung des Kindergartens zur Familie hin ist also keine augenblickliche Modeerscheinung, sondern eine dauernde Notwendigkeit.

2. Der Auftrag der Familienorientierung oder: Öffnung des Kindergartens zur Familie hin hat Geschichte

Bei der Forderung nach Öffnung des Kindergartens zur Familie hin handelt es sich nicht um neue pädagogische Zielvorstellungen. Egal bei welchen Pädagogen wir nachschlagen, finden wir seit Jahrzehnten, ja sogar Jahrhunderten, die gleiche Forderung bzw. den Auftrag zur Eltern- und Familienarbeit. So hieß bereits Fröbels Motto: "Die Kindergärten sind das sicherste Mittel, der richtigste Weg zur allgemeinen Erhebung und Veredelung echten Familienlebens in allen Ständen und Verhältnissen." (nach Morgenstern 1871, S. 28) In dieser Aussage zeigt sich auch bereits der Gedanke einer umfassenden Integration von Kindern aus den unterschiedlichsten Lebenswelten und sozialen Verhältnissen.

Lina Morgenstern beschrieb 1871 das Verhältnis des Kindergartens zur Familie folgendermaßen: "Das Elternhaus, das aus verschiedenen Elementen zusammengesetzt ist und in dessen Verhältnisse sich das Kind fügen muß, vermag unmöglich demselben eine ungetheilte Aufmerksamkeit zu schenken, noch alle nachtheiligen Einflüsse von ihm fern zu halten. Die Mutter, so gern sie sich jedem ihrer Kinder widmet, hat noch andere Pflichten gegen den Gatten, das Hauswesen, die Gesellschaft im besseren Sinne zu erfüllen, um jede Tagesstunde mit dem Kinde sich beschäftigen zu können, und so muß sie es einen Theil des Tages in der Umgebung und Gesellschaft meist ungebildeter Dienstleute lassen... Um nun jeder Familie möglich zu machen, das Kind auch in den Stunden, in welchen es sich selbst oder unangemessener Umgebung überlassen bliebe, ... schuf Friedrich Fröbel die Kindergärten... Der Kindergarten ergänzt das Familienleben durch seine gemeinsamen Spiele und Beschäftigungen und bereitet die Kinder durch harmonische Entwicklung all ihrer Anlagen auf die spätere Schule und das Leben vor. Er muß jedoch in seinem Streben von der elterlichen Erziehung unterstützt und gefördert werden und macht dieselbe in keiner Weise überflüssig... Hier mag jede Mutter beobachten, was ihrem Kinde Noth tuth, hier wird ihnen (den Müttern) der Segen wohlorganisierter Spielbeschäftigungen klar. Und kehrt das Kind aus dem Kindergarten zurück, so weiß es sich selbst zu beschäftigen und sinnig zu spielen, ohne daß es der Ermunterung der Erwachsenen bedarf, ja es wird, wenn ihm im Hause die so einfachen Spielmittel, als Baukästen, Stäbchen, Papier, Nadel, Ball, Schere etc. gereicht werden, die Erwachsenen anregen, sich in gleicher Weise zu beschäftigen und gern auf die Spiele und das Treiben der Kinder einzugehen." (S. 28 f.)

Auch wenn diese Ausführungen Lina Morgensterns zu den Grundgedanken Fröbels weit über hundert Jahre alt sind, so haben sie nichts an Bedeutung und Aussagekraft verloren. Für den Kindergarten ist es unverzichtbar, Einblick in die Familienerziehung zu haben, wie umgekehrt die Familie in die Kindergartenerziehung. Jede Mutter kann in der Tageseinrichtung beobachten, was ihrem Kinde Not tut und wie es gefördert werden kann, meint Morgenstern. Wollen Mütter und Väter die Arbeit des Kindergartens verstehen, so müssen sie Einblick nehmen in den Kindergartenalltag. Nicht das Produkt, das ihr Kind vielleicht am Ende eines Tages mit nach Hause bringt, vermittelt ihnen die gewünschte Information, sondern das prozesshafte (Mit-)Erleben, wie sich ihr Kind in der Gruppe der Gleichaltrigen verhält, wie die Erzieherin die Kinder behandelt und auf sie eingeht.

Öffnung zur Familie hin ist also gleichbedeutend mit offener Elternarbeit. Was heute von vielen Erzieherinnen kritisch gesehen wird oder Angst vor einer Einmischung von Eltern hervorruft, ist eine alte Forderung. Beispielsweise schrieb Alois Fellner in seinem Buch "Der Kindergarten" von 1901: "Der Kindergarten unterstützt die häusliche Erziehung der Kinder, wenn er diese zur Grundlage seiner Wirksamkeit nimmt. Die Kindergärtnerin soll die Verhältnisse des Elternhauses, insoweit sie auf die Erziehung des Kindes Einfluß haben, die Erziehungsarbeit der Mutter und die körperlichen sowie die geistigen Fähigkeiten des Kindes kennen, um ihrerseits mit den erziehlichen Maßnahmen des Hauses gleichen Schritt halten zu können. Die Mutter hingegen soll die Erziehungsweise des Kindergartens kennen und in steter Fühlung mit der Kindergärtnerin bleiben. Wenn auch solch ein ideales Verhältnis selten zu finden ist, und deshalb die Forderung, der Kindergarten habe die häusliche Erziehung der Kinder zu unterstützen, im vollem Maße schwer durchführbar ist, so muß doch unbedingt gefordert werden: die Kindergärtnerin hat auf die Richtung der Familienerziehung in bezug auf die allgemeine körperliche Erziehung, die Sprache und die Bildung des religiösen Gefühles strenge zu achten. Die Hauptaufgabe des Kindergartens ist in der Ergänzung der häuslichen Erziehung zu suchen; diese Aufgabe erfüllt er, wenn er jenen erziehlichen Einfluß ausübt, den das Elternhaus aus irgend einem Grunde nicht ausübt oder ausüben kann... Der Kindergarten ist auch berufen, befruchtend auf die Familienerziehung zurückzuwirken." (S. 84 f.)

Ähnliche Vorstellungen hinsichtlich einer Familienorientierung des Kindergartens finden sich auch vom "Strukturplan für das Bildungswesen", den Empfehlungen des Deutschen Bildungsrates aus dem Jahr 1970, bis hin zur neuen Literatur zum Thema Elternarbeit: "Die allgemeinste Voraussetzung für die Erfüllung familienergänzender Funktionen ist die Kenntnis der Lebensbedingungen und Charakteristika heutiger Familien." (Textor 1992, S. 45) Hier ist der Kindergarten zu einer Analyse aufgefordert, deren Ergebnisse dann in seine pädagogische Konzeption und in seine Elternarbeit einfließen müssen. "Während sich die familienergänzenden Aufgaben von Kindertagesstätten vor allem auf die Kinder beziehen, geht es bei den familienunterstützenden Funktionen um die Eltern bzw. Familien. Hierunter fallen zum einen Angebote und Maßnahmen, die allen Familien offenstehen und zu deren Entlastung und Unterstützung beitragen sollen. Zum anderen handelt es sich um Maßnahmen, die sich an einzelne Familien mit besonderen Belastungen richten, insbesondere an Familien mit verhaltensauffälligen Kindern." (Textor 1992, S. 50)

3. Der Kindergarten öffnet sich zur Familie hin - praktische Umsetzung

Bei der Öffnung des Kindergartens zur Familie hin sind im Erziehungsalltag so manche Hürden zu nehmen. Einmal heißt es für viele Erzieherinnen und Träger umzudenken. Auch der Kindergarten ist ein Dienstleistungsunternehmen und muss sich an seinen "Kunden" orientieren. Seine "Kunden" sind die Familien, also Kinder und Mütter bzw. Väter. So ist es notwendig, dass bei der Organisation und bei der pädagogischen Ausgestaltung des Kindergartenalltags den Bedürfnissen von Kindern und Eltern Rechnung getragen wird - allerdings immer mit dem Wohl des Kindes im Blick. So ist der Kindergarten nicht nur Bildungsort, sondern auch erzieherischer Lebensraum für Kinder, in dem diese eine ganzheitliche Bildung, Erziehung und Betreuung erfahren. Das Argument einer Erzieherin, "Frau M. bringt ihr Kind selbst bei schönstem Wetter am Mittwoch und Freitag den ganzen Tag. Sie ist nicht berufstätig. Die Zeit braucht sie für Friseur, Kosmetikerin und Tennisspielen", darf und kann so nicht stehen bleiben. Wenn ein Kind nur dann den Kindergarten besuchen darf, wenn die Mutter und der Vater berufstätig sind, dann würde die Betreuung im Vordergrund stehen. Wir gehen jedoch von ganzheitlichen, kindorientierten Konzepten aus, und so muss sich der Alltag im Kindergarten an der Lebenssituation von Kindern und auch deren Verweildauer im Kindergarten ausrichten. Warum soll ein Einzelkind nicht ganztägig in den Kindergarten? Soll es ohne Spielkameraden in der engen Wohnung sein? Darf ein Kind nicht von sich aus den Wunsch haben, den Kindergarten auch am Nachmittag zu besuchen?

Zwei Familiensituationen zur Illustration:

Beide Eltern sind Lehrer; die Mutter ist beurlaubt. Die siebenjährige Katharina geht in die 2. Klasse, die vierjährige Paula besucht den Kindergarten. Sie liebt ihren Kindergarten, ihren Lebensraum außerhalb der Familie. An drei bis vier Nachmittagen in der Woche will sie unbedingt in den Kindergarten. Dafür hat sie viele Gründe: "Also, meine Erzieherin braucht mich. Ich zeig' den Kleinen, wie man spielt. Und dann kann ich im Garten helfen, das geht früh nicht. Dann helf' ich noch meiner Erzieherin beim Vorbereiten, die sagt, ich hätte so gute Ideen. Wenn ich mal krank bin, das ist schlimm."

Ein anderer Fall: Claudia und Ilse kommen aus einer sehr schwierigen Familie. Die Zwillinge sind dreieinhalb Jahre alt, ihre Mutter 19 Jahre, der Vater 23 Jahre. Beide Eltern sind mit den Kindern völlig überfordert. So besuchen die Zwillinge den Kindergarten ganztags. An zwei bis drei Nachmittagen in der Woche kommt die Mutter mit in den Kindergarten und erfährt, wie Kinder spielen, wie man sich mit ihnen beschäftigen kann. Sie wendet sich mit vielen Erziehungsfragen an die Erzieherin und ist dankbar, dass sie auch im Kindergarten lernen darf.

Häufig wehren sich Erzieherinnen gegen die Öffnung zur Familie hin bzw. gegen eine Einbeziehung von Müttern und Vätern. Manche meinen, dass vier Stunden genug seien für ein Kind - das Kind brauche seine Familie und die Familie das Kind. Ein Vier-Stunden-Kindergarten reicht aber in vielen Fällen nicht aus; auf Ganztagskindergärten kann nicht verzichtet werden. Diese müssen aber pädagogisch anders arbeiten, so dass die Kinder nicht überfordert werden. Jede Erzieherin sollte sich mit den Familiensituationen ihrer Kinder auseinandersetzen, deren familiäres Umfeld analysieren und daraus Konsequenzen für das Kindergartenkonzept ziehen.

Wie sich der Alltag im Kindergarten gestaltet, ist abhängig von vielen Faktoren (die folgende Aufzählung wertet nicht und ist nicht abschließend), von:

  • der Lebenssituation der Kinder,
  • dem sozialen Umfeld,
  • der Wohnsituation,
  • der Geschwisterkonstellation,
  • den erzieherischen Bedürfnissen und Notwendigkeiten,
  • dem Entwicklungsstand der Kinder,
  • der Erziehungskompetenz der Mütter bzw. Väter,
  • den Fähigkeiten und Fertigkeiten der Kinder,
  • der sozial-emotionalen Situation der Kinder etc.

Die Öffnung des Kindergartens zur Familie hin bringt nicht nur Vorteile für die Familie, sondern ebenso für die Erzieherinnen. Die Kindergartenleiterin Gudrun Barwig berichtet:

"Alexander kam vor einem Jahr, mit dreieinhalb Jahren, zum ersten Mal zu uns in den Kindergarten. Er ist Amerikaner und sprach zunächst kein Wort Deutsch. Seine Mutter beherrschte unsere Sprache ein wenig, nur sein Vater konnte sich recht gut verständlich machen. Alexander lebte bisher bei seinen Eltern wohlbehütet als Einzelkind. Lange bevor Alexander endgültig in unserem Kindergarten aufgenommen wurde, besuchte er uns, einmal mit beiden Eltern und dann nur mit seiner Mutter. Es gab während dieser Besuche viel zu entdecken: Die Schubladen wurden aufgezogen, mit den Bauklötzchen wurde gespielt, die Toiletten mussten aufgesucht werden. Einmal hatte er auch eine Brotzeit dabei, so dass er mit den anderen Kindern am Tisch sitzen und Brotzeit machen konnte. Bei all diesen Aktivitäten musste die Mutter ganz in seiner Nähe sein; der Körperkontakt zu ihr war für Alexander wichtig. Sein erster offizieller Kindergartentag rückte immer näher, und seine Mutter wurde immer aufgeregter. Viele, viele Fragen hatte ich bis dahin beantwortet und auch immer wieder versucht, die Ängste der Mutter abzubauen. Manchmal hatte ich den Eindruck, ich sei auf dem richtigen Weg, und dann wieder hatte ich das Gefühl, alles falsch gemacht zu haben.

Ja, und dann war es soweit. Ich selbst war an diesem Tag etwas aufgeregt: Wird alles gut gehen, bin ich genügend darauf vorbereitet, wie reagiert Alexander, wie seine Mutter? Der Weg bis zur Garderobe war beiden ja bereits vertraut, ebenfalls die meisten Räume, auch viele Kinder und die Erzieherinnen. Aber plötzlich war alles vergessen. Alexander weigerte sich, sich auszuziehen, und fing fürchterlich an zu weinen - alles Zureden von seiten der Mutter half nichts. Ich selber hatte mit einer solch heftigen Reaktion nicht gerechnet. Zusammen mit der Mutter suchten wir einen Weg: Sie war bereit, mit Alexander im Kindergarten zu bleiben - zunächst einmal vielleicht für eine Stunde. Später, je nach Eingewöhnung von Alexander, wollten wir die nächsten Schritte überlegen.

An den folgenden Tagen wich Alexander nicht von der Seite seiner Mutter. Diese reagierte zum Teil hilflos, verzweifelt und aggressiv dem Kind und auch mir gegenüber. Ich fing daher an, die Mutter in unsere pädagogische Arbeit einzubeziehen und sie dadurch abzulenken. Sie kochte Tee für die Kinder in der Küche, deckte den Frühstückstisch, sie war beim Aus- bzw. Anziehen der Kinder behilflich, und schließlich fing sie auch an, mit den Kindern zu spielen. Einige bemerkten rasch, dass sie mit Alexander in einer anderen Sprache sprach. Da wurden die Kinder neugierig und wollten von der Mutter wissen, woher sie und Alexander kämen. So gut es eben mit der gegenseitigen Verständigung klappte, erzählte die Mutter von Los Angeles - von der großen Stadt, wo beide geboren worden waren. Am nächsten Tag brachte sie Bilder von ihrer Heimatstadt mit. Die Kinder betrachteten sie begeistert und suchten schließlich Los Angeles auf einem großen Globus. Es entstand eine lebhafte Unterhaltung. So ging es circa drei bis vier Wochen lang. Mutter und Sohn standen im Mittelpunkt.

Behutsam überlegten wir den nächsten Schritt. Alexander sollte sich allmählich daran gewöhnen, alleine im Kindergarten zu bleiben. Bei den vielen Gesprächen, die ich mit der Mutter führte, hörte ich immer wieder ihre Angst heraus - Angst vor dem Alleinsein, Angst, das Kind zu verlieren, war sie doch dreieinhalb Jahre tagsüber immer mit Alexander zu Hause zusammen gewesen. Es wurde mir plötzlich klar, dass auch durch die Anwesenheit der Mutter im Kindergarten diese tief sitzende Angst nicht ganz abgebaut werden konnte. Aus diesem Bewusstsein heraus fing ich an, einen kleinen Elterngesprächskreis zu bilden - ich wollte der Mutter die Möglichkeit bieten, mit anderen Eltern über ihre Situation zu diskutieren. Durch diese Gespräche gewann die Mutter an Sicherheit, und außerdem entstand ein enger Kontakt zu anderen Eltern.

Alexander selbst hatte immer noch nicht ganz das Vertrauen zu uns gewonnen; er hielt sich häufig im Flur auf und beobachtete uns aus der Ferne. Wenn die Mutter ihn in der Früh brachte und gleich darauf ging, gab es immer wieder Tränen. Lange Zeit noch hatte Alexander seinen Lieblingsplatz gleich hinter der Eingangstür. Er saß auf einem Stühlchen; Schuhe, Jacke und Brotzeittasche hatte er ganz nahe bei sich, nichts durfte man wegnehmen. Da unser Haus einen großen Spielflur hat, war Alexander allerdings nie alleine, und man konnte an seinem Gesichtsausdruck erkennen, wie er das Spiel der einzelnen Kinder verfolgte. Hatten diese z.B. beim Eisenbahnspielen einen Bahnhof direkt an seinem Stuhl gebaut und waren Alexanders Füße im Wege, wenn der Zug vorbeifuhr - kein Problem: Alexander lachte ein bisschen, hob die Füße, und weiter ging die Fahrt. Andere Kinder wieder schauten Bücher an, Alexander blickte ihnen über die Schulter, und wenn er dann etwas Bekanntes entdeckte, so versuchte er, dies den Kindern verständlich zu machen. Eltern, die am Morgen ihre Kinder zu uns brachten, wurden von Alexander freundlich begrüßt, und er hielt ihnen sogar die Türe auf.

Alexander war nun bei allen Kindern und Eltern bekannt. Und eines Tages saß er wie selbstverständlich bei uns im Kreis. Schuhe und Jacke waren in der Garderobe: Er hatte es geschafft. Heute kommt Alexander wie ganz selbstverständlich in den Kindergarten. Er hat viele Freunde gefunden, mit denen er gerne spielt und mit denen er auch manchmal heftig streitet.

Die Geschichte von Alexander ist ein typisches Beispiel für eine Situation, die sich immer wieder im Kindergarten ereignet. Alexanders Mutter musste zuallererst lernen, ihr Kind loszulassen - sie musste lernen, dass sie ihr Kind dem Kindergarten anvertrauen kann. Dies gelang uns, indem wir sie erleben ließen, was mit ihrem Kind im Kindergarten passiert, in welch neues Umfeld ihr bisher daheim wohlbehütetes Kind nun eintrat. Außerdem erfuhr Alexanders Mutter durch Gespräche mit anderen Eltern, dass sie mit ihren Ängsten durchaus nicht allein war. Durch ihre eigene Erfahrung sensibilisiert, ist sie heute in der Lage, anderen Eltern, die ähnliche Situationen durchmachen, wirksame Hilfe zu leisten."

In diesem Beispiel wird die Trennungsangst von Müttern angesprochen, eine häufig unterschätzte Gefühlslage. Der Kindergarten hat auf die Situation reagiert, indem er die Mutter einbezogen und dadurch ganz wesentlich dazu beigetragen hat, dass sie ihre Trennungsangst überwinden konnte - mit der Folge, dass sich auch das Kind gut eingelebt hat. Im Elterngesprächskreis hat die Mutter erfahren, dass es anderen genauso ergangen ist und wie sie dies überwunden haben. Der Kindergarten hat eine Plattform für die Begegnung zwischen Eltern zur Verfügung gestellt und den prozesshaften Dialog angestoßen.

4. Erziehungspartnerschaft

Die Öffnung zur Familie hin ist eine grundlegende Voraussetzung für das Gelingen von Erziehungspartnerschaft. In dem Begriff der Partnerschaft steckt eine Art Gleichstellung. Eltern erziehen nicht besser oder verstehen mehr von Erziehung - noch die pädagogischen Mitarbeiterinnen. Vielmehr werden im partnerschaftlichen Dialog zwischen beiden Seiten Wissen und Erfahrungen ausgetauscht, wird die Erziehung der Kinder als gemeinsame Aufgabe verstanden. So ist es jedenfalls wünschenswert. Für beide, Eltern wie Erzieherinnen, ist es jedoch oftmals ein langer Weg, bis diese Partnerschaft gelingt. Offenheit, Vertrauen und Verständnis sind dabei ebenso gefragt wie konstruktive Kritik, gegenseitige Unterstützung und abgestimmtes Handeln.

Erziehungspartnerschaft bedeutet eine erzieherische Zweierbeziehung zur Sicherung des Wohls des Kindes. Das Kind gehört mitten in die Partnerschaft zwischen Kindergarten und Familie. Erziehungsmethoden und -stile bedürfen einer gegenseitigen Reflexion und der Abstimmung. Kinder merken sehr schnell, wenn die Beziehung zwischen Mutter bzw. Vater und Erzieherin angespannt ist oder keine positive Kommunikation zustande kommt. Claudius, sechs Jahre, sagte: "Pah, die im Kindergarten, die können sagen, was sie wollen. Meine Mama sagt, wir bezahlen, und dafür müssen die für uns arbeiten." Ein scheinbar überspitztes Beispiel, das jedoch deutlich macht, dass es zu keinem "Ausspielen" des Kindergartens gegenüber der häuslichen Erziehung kommen darf.

Die Erzieherin bekommt im Rahmen einer Erziehungspartnerschaft eine ganz andere Rolle. Sie ist nicht mehr diejenige, die als professionelle Erzieherin weiß, wie alles richtig ist. Vielmehr braucht sie zur Erfüllung ihrer Aufgabe die Unterstützung der Eltern. So sind in einem guten Kindergarten die Eltern nicht draußen vor, sondern mitten im Geschehen.

Eltern wollen ihre Kinder nicht einfach nur abgeben. Sie erkundigen sich nach dem Konzept des Kindergartens ebenso wie nach ihren Mitwirkungsmöglichkeiten und Rechten. Das zwingt die pädagogischen Mitarbeiterinnen, ihre Arbeit offener und transparent zu machen. Ebenso müssen sie bereit sein, ihre Arbeit hinterfragen zu lassen und gegebenenfalls berechtigte Kritik anzunehmen.

Wenn eine Erziehungspartnerschaft entstanden ist, dürfen die Beteiligten aber nicht stehen bleiben. Die Beziehung will gepflegt, weiterentwickelt und immer wieder reflektiert werden. Mit dem Fortschreiten im Kindergartenjahr wird es zu Veränderungen kommen: Mittlerweile kennen sich alle besser untereinander, die Fragestellungen bekommen andere Inhalte, und vielleicht wächst auch der Wunsch der Eltern nach mehr Mitwirkung und Mitsprache.

Derzeit wird den Eltern in den Kindergartengesetzen der Länder meist nur eine beratende Funktion zugebilligt. Diese wird oftmals sogar noch eingeschränkt, z.B. bei der Einstellung von neuen Mitarbeiterinnen im Kindergarten, bei der Haushaltsaufstellung oder bei der Konzeptentwicklung. Immer häufiger fordern Eltern, dass ihre Rechte auch in den Kindergartengesetzen verankert werden. Gleiches gilt für den Elternbeirat. Nicht selten werden ihm nur quasi organisatorische Aufgaben übertragen, wie die Mitwirkung beim Sommerfest, die Organisation des Familienwandertages o.Ä.

Elternmitwirkung im Kindergarten und bei der Bewältigung von Alltagsfragen ist oft nicht gewünscht und löst bei vielen Erzieherinnen eher Angst als Freude aus. Hier können Fachberatung und Fortbildung aktiv werden. Auch die Ausbildung muss ihren Beitrag leisten; leider kommt hier dem ganzen Komplex der Elternarbeit noch lange nicht die notwendige Bedeutung zu.

5. Neue Konzepte der Elternarbeit

Der traditionelle Elternabend ist längst "tot". Der Kindergarten im ausgehenden 20. Jahrhundert geht neue Wege. Es gibt keine Form der Elternarbeit, die Anspruch auf Ausschließlichkeit hat. Viele Eltern lassen sich nicht mehr zu einem Elternabend locken, bei dem über ihr mögliches Fehlverhalten etwa im Bereich der Medienerziehung gesprochen und über das Montagssyndrom diskutiert wird (Kinder seien durch das viele Fernsehen am Wochenende besonders aggressiv). Belehrungen für Eltern sind nicht mehr zeitgemäß.

Der wichtigste Inhalt oder die bedeutendste Methode der Elternarbeit sind wohl die Prozessbeobachtung, der Austausch über das Gesehene und Erlebte, die Reflexion und die Suche nach Konsequenzen für den Erziehungsalltag. So kann die Erzieherin über den Tagesablauf berichten. Richtig durchschaubar und verständlich wird er aber für Eltern erst dann, wenn sie ihn mit ihrem Kind im Kindergarten konkret erlebt haben und so praktische Erfahrungen sammeln konnten. Plötzlich bekommt vieles ein anderes Gesicht: Beispielsweise erwarten manche Eltern perfekte Produkte. Sie wollen, dass das Kind durch eine Bastelarbeit oder ein Bild nachweisen kann, dass im Kindergarten "gearbeitet" wurde. Erzieherinnen fühlen sich unter dem Erwartungsdruck der Eltern nicht selten veranlasst, an der Bastelarbeit ganz wesentlich mitzuarbeiten, und verfälschen diese dadurch. Gemeinsame Bastelnachmittage für Kinder und Eltern können da für manche Mutter ganz heilsam sein. Sie erlebt dann nämlich, was ihr Kind wirklich alleine kann. Oft ist sie versucht, mit Hand anzulegen. Für so manche Mutter ist es ein regelrechtes Erwachen, wenn sie erlebt, dass ihr vierjähriges Kind nicht die komplizierten Muster auf die ausgeblasenen Eier bannen kann oder in der Lage ist, eine Martinslaterne selbständig herzustellen. Die Mutter bzw. der Vater bekommt dadurch auch Impulse für die häusliche Beschäftigung und den Grad der Schwierigkeit dessen, was sie/er ihrem Kind zumuten darf und kann. Je selbständiger ein Kind eine Aktivität ausführen kann und je unabhängiger es dabei von Erwachsenen ist, desto konzentrierter und ausdauernder wird es bei der Sache bleiben. Dieses Beispiel zeigt, wie unverzichtbar das Erleben für Mütter und Väter ist. Solche Erfahrungen müssen im Elterngespräch unbedingt angesprochen und aufgearbeitet werden. Übrigens stoßen Eltern oft auch an ihre Grenzen, wenn sie selbst mitbasteln. Beim Kind haben sie vielleicht von "Schmierage" gesprochen und davon, dass alles voller Klebstoff sei. Und bei ihrem eigenen Produkt? Tja, es klappt in der Theorie eben vieles besser als in der Praxis.

Viele Formen der Eltern(mit)arbeit haben nebeneinander ihre Berechtigung: die Hospitation, der Elternabend, das Einzelgespräch, das Gruppengespräch, der Familientag oder die Familienwanderung, der gemeinsame Bastelnachmittag, die Gartenaktion, die Theatergruppe, die Fachbuch- oder Kinderbuchausleihe, der Besuch am Arbeitsplatz der Mutter/des Vaters, der Elternbrief, die Elterninfotafel, das Elterncafé, der Kochkurs, die Kindergartenrenovierungsaktion, der gemeinsame Besuch einer Ausstellung oder einer Theateraufführung, die Weihnachtsfeier, das Kartoffelfest usw. Niemals kann die Aufzählung von Formen der Elternarbeit abgeschlossen oder ein Konzept der Elternarbeit endgültig sein. Wie die Pädagogik im Fluss ist und bleiben muss, so braucht auch die Elternarbeit Bewegung. Sie richtet sich aus an den Bedürfnissen von Müttern, Vätern, Kindern und Erzieherinnen, sie wird geprägt durch Rahmenbedingungen, das soziale Umfeld, Mut zu Experimenten, Engagement, Interesse, Offenheit etc. Von Kindergartenjahr zu Kindergartenjahr können andere Formen der Elternarbeit die richtigen sein, wird die Akzeptanz unterschiedlich sein. Dementsprechend wichtiger ist die kontinuierliche Reflexion der Elternarbeit: Warum klappt es bei einer Form oder einer Aktivität, warum wurde ein bestimmtes Angebot angenommen? Welche Eltern reagieren wie auf welches Thema? Welcher Wochentag, welche Uhrzeit wird von Eltern bevorzugt? Welche Rückmeldungen geben Eltern den Mitarbeiterinnen im Kindergarten? Was hat die Erzieherinnen frustriert oder enttäuscht in der Zusammenarbeit mit den Eltern? Warum?

6. Der Kindergarten als Zentrum für Familien

In den Konzeptionen vieler Träger und Einrichtungen wird heute vom Kindergarten als einem "Zentrum für Familien" gesprochen: "Auch Familien brauchen Kindergärten - Eltern nehmen immer mehr den Kindergarten als ein 'Haus der Familie' wahr. Sie treffen sich zu Gesprächskreisen, zum Mutter-Kind-Nachmittag oder zum Vater-Kind-Frühstück. Diese Begegnungen tragen zum gegenseitigen Verständnis bei." (Diakonisches Werk der Evangelisch-Lutherischen Kirche in Bayern/Evangelische Aktionsgemeinschaft für Familienfragen (EAF) - Landesarbeitskreis Bayern 1994, S. 3)

Nie mehr im Verlauf der Kindererziehung gelingt es nach dem Kindergarten wieder einer Institution, alle Familien zu erreichen und intensiv mit den Eltern zusammenzuarbeiten. Berichte belegen, dass der Besuch von Angeboten für Eltern seitens der Schule stark abnimmt und mit zunehmendem Alter der Kinder immer geringer wird. Es gibt aber auch Erfahrungswerte, dass Freundschaften zwischen Familien, die in Kindertagesstätten geschlossen wurden, Jahrzehnte überdauern. Umso bedauerlicher ist es, dass der Kindergarten nicht viel stärker als Begegnungsort für Familien gesehen wird, als ein Forum der Begegnung für Eltern und auch für Großeltern. Die Erzieherin ist hier nicht zusätzlich gefordert, sie muss sich allerdings für diesen Gedanken öffnen und Begegnungen zulassen. Vielleicht kann sie mit einem offenen Familientreffen einmal im Monat beginnen, später gefolgt von Angeboten wie Elterncafé, Nachbarschaftshilfe, Babysitterdienst oder Betreuung kranker Kinder von alleinerziehenden Müttern bzw. Vätern oder berufstätigen Eltern.

So könnte in Angliederung an jede Kindertageseinrichtung ein "Mütter-Väter-Zentrum" entstehen oder die Ansätze aus dem Bundesmodellprojekt "Orte für Kinder" (Deutsches Jugendinstitut 1994) weitestgehend realisiert werden. Damit dies gelingen kann, müssen aber noch viele Berührungsängste abgebaut und Wege der wechselseitigen Öffnung beschritten werden. Wenn der Kindergarten Aspekte eines Zentrums für Familien in sein Konzept integriert, können von ihm viele Impulse für die Familien ausgehen. Vielleicht kommt es zu einem Alleinerziehendentreff, einer Tagesmütterbörse, Anregungen für die Freizeitgestaltung mit Kindern, einer "kollegialen" Beratung von Mutter zu Mutter, einem Austausch von Kinderkleidern und Spielzeug etc. Der Phantasie sind keine Grenzen gesetzt. Wenn man Eltern lässt, dann organisieren sie eine ganze Menge. Leider trauen sich viele Kindergärten noch nicht so recht; die Angst vor Mehrarbeit überwiegt. Außerdem nimmt die neue Art des Zusammenlebens von Familie und Kindergarten Einfluss auf Organisation, Struktur und Inhalt der pädagogischen Arbeit. Diese wird vielfältiger; der Kindergarten wird zu einer Lebens- und Lerngemeinschaft, in der neben den Erzieherinnen auch noch andere Erwachsene Platz haben.

Möglicherweise sind dann auch Großeltern gern gesehene Gäste. Sie sollen durch ihr aktives Mitwirken aber keinesfalls Personal einsparen, sondern sich vielmehr in Projekten einbringen oder einfach am Alltag teilhaben. Die fünfjährige Susanne beschreibt es treffend: "Also, wenn Omas und Opas da sind, das ist ganz toll. Die haben einfach Zeit. Die müssen nicht ans Telefon oder mit Mamas reden. Und dann können die toll vorlesen und noch toller erzählen, wie sie ein Kind waren, und Fotos mitbringen. Viele Sachen können die auch, die kann keiner mehr heute. Der Herr Müller hat uns gezeigt, wie man aus leeren Fadenrollen eine Strickliesel machen kann, einfach mit vier Nägeln. Und das geht viel besser als mit gekauften, die sind nicht so glatt und so. Also, wegen mir könnten jeden Tag Omas und Opas kommen. Ich glaub', dass es denen auch gefällt, ehrlich, weil sie fragen immer, wann sie wiederkommen können. Wir können sie aber auch besuchen, halt im Altersheim oder in deren Haus."

Einrichtungen, die sich schon zu einem Zentrum für Familien weiterentwickelt haben, möchten nicht mehr zurück. Sie erleben die Veränderungen nicht als Belastung, sondern als Fortschritt, als persönliche Bereicherung und Erweiterung des eigenen Horizonts, als neue Herausforderung. Viele erfahrene Erzieherinnen sind wieder begeistert bei der Sache. Die intensive Zusammenarbeit mit den Eltern motiviert sie in ganz besonderer Weise, die Öffnung zur Familie hin ist eine neue Herausforderung.

Autorin

Ingeborg Becker-Textor ist Kindergärtnerin und Hortnerin. Sie studierte Diplom-Sozialpädagogik an der Fachhochschule Würzburg und Diplom-Pädagogik an der Universität Würzburg und hat mehrere Zusatzqualifikationen wie z.B. den Abschluss als Fachlehrerin für Werken und das Montessori-Diplom erworben.
Frau Becker-Textor arbeitete als Kindergartenleiterin in Würzburg, als Regierungsfachberaterin für Kindertageseinrichtungen in Unterfranken, als nebenberufliche Dozentin in der Ausbildung für Kinderpfleger/innen und Erzieher/innen, in der Fortbildung für Erzieher/innen und Fachkräfte in der Jugendhilfe sowie mehr als 20 Jahre lang als Referatsleiterin im Bayer. Sozialministerium (nacheinander in den Bereichen Jugendhilfe, Kindertagesbetreuung und Öffentlichkeitsarbeit). Im Ministerium war sie auch für zahlreiche Forschungsprojekte auf Landes- und Bundesebene zuständig. Von 2006 bis 2018 leitete sie zusammen mit ihrem Mann das Institut für Pädagogik und Zukunftsforschung (IPZF) in Würzburg.
Ingeborg Becker-Textor ist Autorin bzw. Herausgeberin von mehr als 20 Büchern und über 40 Medienpaketen. Sie hat ca. 140 Fachartikel in Zeitschriften, in Sammelbänden und im Internet veröffentlicht.
Homepage: https://www.ipzf.de