×

Zitiervorschlag

Aus: klein & groß 2008, Heft 6, S. 11-14

Tageseinrichtungen als Familiennetzwerk. Das Projekt "FuN" - Familie und Nachbarschaft

Rita Greine

 

Ein Interview mit Elke Rösing, die das Projekt "FuN" initiiert hat, und Ursula Schulte, der Leiterin der Kita "Koboldhöhle" in Recklinghausen

Während anderorts über Bildung diskutiert wird, findet in einigen Kindertagesstätten in Recklinghausen ein Projekt ganz anderer Art großen Anklang. Ganz gezielt wird hier mehr gehandelt, als geredet.

Recklinghausen-Süd-Grullbad wurde ein Stadtteilmit besonderem Erneuerungsbedarf und damit im Förderprogramm "Soziale Stadt NRW" aufgenommen. Hierwurde das Projekt "Tageseinrichtungen für Kinder als Familiennetzwerk" ins Leben gerufen. Ein Baustein hiervon ist das Projekt "Familie und Nachbarschaft" (FuN), das in der städtischen Tageseinrichtung für Kinder "Koboldhöhle" bereits mit großem Erfolg durchgeführt wurde. Elke Rösing ist Diplom-Sozialpädagogin und bei der Stadt Recklinghausen für den Fachbereich Kinder, Jugend und Familie tätig. Sie ist Projektleiterin des "Familiennetzwerkes" und so auch zuständig für FuN. Gemeinsam mit der Leiterin Ursula Schulte und der stellvertretenden Leiterin Isabel Gonzalez hat sie als externe Beraterin die Familien der Tageseinrichtung "Koboldhöhle" beim FuN-Projekt begleitet.

k&g: Frau Rösing, was genau meint FuN und welches Ziel soll erreicht werden?

Rösing: FuN ist am Institut für präventive Pädagogik in Münster entwickelt worden. Dort wurde es von Bernd Brixius und Birgit Piltmann konzipiert. Sie führen auch die entsprechenden Fortbildungen dazu durch, die schon weit über die Grenzen Deutschlands bekannt sind. FuN soll Familien aus der Nachbarschaft in Erziehung und Mitwirkung stärken und fördern. In jedem Familiensystem gibt es Ressourcen zur Erziehung und Begleitung von Kindern und zur Gestaltung eines tragfähigen Familienlebens, diese sollen aktiviert werden. Wir setzen also ganz bewusst bei den Stärken an und die gibt es in jeder Familie.

k&g: Ist FuN für jede Familie geeignet?

Rösing: Ja, FuN ist nicht nur für benachteiligte Familien geeignet. Schließlich ist Erziehung heute nicht unbedingt ein Kinderspiel. Elternwerden ist unabhängig von der sozialen Herkunft mit vielen Unsicherheiten und Fragen verbunden.

k&g: Frau Schulte, wie viele Familien nehmen am Projekt teil und wie findet eine Auswahl statt?

Schulte: Zu Beginn verteilen wir an alle Eltern einen Flyer, der über FuN informiert. Dann führen wir in unserer Kita sogenannte Anwerbergespräche durch. Ganz gezielt sprechen wir Familien an. Die Kolleginnen haben sich dazu vorher Gedanken gemacht, wer wohl geeignet wäre, wer Unterstützung bräuchte und auch, von welcher Familie die anderen Teilnehmer profitieren können. Zum Schluss finden sich dann acht Familien zusammen, sie sich aus den unterschiedlichsten Mitgliedern zusammensetzen. Hauptperson ist aber immer die Mutter bzw. der Vater, auch wenn die Großeltern dabei sind, denn sie sind die Bezugspersonen, die im Mittelpunkt stehen.

k&g: Warum stehen die Eltern bzw. die Mutter oder der Vater im Mittelpunkt, wenn es doch um die gesamte Familie geht?

Schulte: Die Eltern sind die Zielgruppe in diesem Vorhaben. Es geht darum, die Erziehungskompetenzen von Eltern zu stärken, sie zu Hauptakteuren in der Erziehung zu machen und sie in ihrer Elternrolle zu festigen. Die Eltern bekommen von uns fast unbemerkt "seichte Impulse", ohne dabei belehrt zu werden. Die Kinder erfahren ganz bewusst, dass sie "nicht die erste Geige" spielen. Wenn die Kinder von uns etwas möchten, uns rufen, verweisen wir sie an ihre Mutter. Die Kinder nehmen auf diese Weise wahr, dass Mutter und/oder Vater die wichtigsten Personen sind.

k&g: Können Sie einmal genau beschreiben, wie das Projekt aufgebaut ist und welche Inhalte es gibt?

Rösing: Das Projekt läuft acht Wochen lang, jeweils für drei Stunden an einem Nachmittag in der Woche. Für den Programmablauf gibt es eine feste Struktur. Jede Familie sitzt dabei an einem Familientisch. Die Tische sind in Erwachsenenhöhe Es gibt feste wiederkehrende Programmelemente, die alle wiederum in einem zeitlichen Rahmen festgelegt sind. Alle Spiele und Übungen, die an einem solchen Familientag stattfinden, sind einfach und verständlich und ohne Spielerfahrung durchführbar. Das ist besonders für Familien wichtig, die aus einem anderen Sprachraumkommen.

Die Programmelemente sind:

  • Begrüßung mit Lied/Ritual - 15 Min.
  • Kooperationsspiel - 15 Min.
  • Kommunikationsspiel - 15 Min.
  • gemeinsames Essen - 30 Min.
  • Elternzeit/Kinderzeit - 60 Min.
  • Spiel zu zweit - 15 Min.
  • Überraschungsspiel - 15 Min.
  • Abschlusskreis - 15 Min.

Das Projekt wird von drei ausgebildeten FuN-Teamern begleitet. In diesem Fall sind das Frau Schulte und Frau Gonzalez aus der Kita und ich als externe Kooperationspartnerin. Dieses Team vereinbart im Vorfeld die Zuständigkeiten, d.h. immer einer ist abwechselnd in der Beobachterrolle, beobachtet die beiden anderen Teamerinnen und auch die Interaktion der Familien, während die anderen beiden aktiv die Übungen anleiten und begleiten. Im Anschluss an den Nachmittag findet dann eine Reflexion der Teamerinnen statt.

k&g: Das Programm ist ja sehr vielseitig. Beschreiben Sie doch bitte den Ablauf eines der Programmpunkte.

Schulte: Da fällt mir ein Kooperationsspiel ein. Dabei sitzen alle Familien an ihren Familientischen. Leise werden die Elternteile nach vorne gebeten, wo sie von einer Teamerin den Ablauf des Spiels erklärt bekommen. Wir rufen also die Aufgabe nicht für alle in den Raum, sondern übertragen die Spielleitung an die Hauptperson, an Mutter bzw. Vater. Die Kinder werden dann nach vorne geschickt, um das vorbereitete Material abzuholen. In diesem Beispiel geht es darum, dass jede Familie sich ein Familienwappen erstellt. Dazu gibt es jeweils eine Tüte mit verschiedenen Materialien und einen Tischständer, an dem das fertige Wappen befestigt wird. Zu beachten ist, dass jedes Familienmitglied zu dem Wappen etwas beiträgt. Auch dies ist bewusst initiiert: Kinder üben sich in der Kinderrolle, sie bekommen Verantwortung durch die Eltern, indem sie einen Auftrag erfüllen sollen.

k&g: Was passiert dann mit den gebastelten Wappen?

Schulte: Die Wappen stehen während der folgenden Treffen immer wieder auf einem anderen Tisch. Auf diese Weise wird ganz bewusst dafür gesorgt, dass Eltern eine andere Perspektive einnehmen. Wichtig zu erwähnen ist an dieser Stelle noch, dass die Mutter bzw. der Vater immer an der Stirnseite des Tisches sitzt. So stärken wir ihnen im wahrsten Sinne des Wortes den Rücken, wenn wir hinter ihnen stehen und ihnen kleine Anleitungen, Zuspruch und Bestätigungen geben, wie sie an ihrem Familientisch verfahren könnten. So spricht z.B. die Teamerin leise: "Ja, weiter so.", oder "Versuchen Sie, Kai mit einzubeziehen."

k&g: Dem Programm ist zu entnehmen, dass auch eine gemeinsame Mahlzeit stattfindet. Ist dies nicht ein hoher organisatorischer Aufwand für die Teamerinnen?

Rösing: Ganz im Gegenteil. Reihum ist eine Familie für die Zubereitung der Mahlzeit verantwortlich. Fünfundzwanzig Euro stehen dafür zur Verfügung und jede Familie kocht das, was sie kann. Wir haben uns allerdings im Vorfeld darauf geeinigt, dass grundsätzlich vegetarische Speisen zubereitet werden, da auch muslimische Familien dabei sind. Ganz wichtig ist auch, dass die Eltern zu Hause kochen. Ja, und das Tischdecken übernehmen dann die Kinder, während ihre Eltern sich bedienen lassen, also oftmals umgekehrt, wie es zu Hause der Fall ist.

k&g: Für so viele Menschen zu kochen ist doch für manche Eltern sicherlich gar nicht so einfach. Ist das nicht eine zu hohe Anforderung an die Eltern?

Rösing: Wir trauen den Eltern ganz bewusst etwas zu, kitzeln auch hier die Stärken der Eltern heraus. Natürlich gibt es hin undwieder Eltern, die sich der Aufgabe nicht gewachsen fühlen. Aber wir beraten dann mit ihnen gemeinsam, was sie kochen könnten. Wenn es dann einmal Pommes Frites mit Gurkensalat gibt, weil dies für diese Familie machbar ist, dann ist das auch in Ordnung. Es hat sich aber gezeigt, dass sich die meisten Eltern gerade besonders viel Mühe geben und fantastische und leckere Gerichte zaubern. Bei jedem Treffen stellt die Familie der Gruppe vor, was sie gekocht hat, und dann gibt es einen kräftigen Beifall dafür. Ein lustiger Kochlöffel wird an die nächste Familie weitergereicht, die dann mit dem Kochen an der Reihe ist.

k&g: Das, was Sie beide über FuN berichten, klingt überzeugend. Aber ist dieses Projekt nicht eine enorme zusätzliche Belastung für die Mitarbeiterinnen, die im Kita-Alltag schon genug eingespannt sind?

Schulte: Ja, es ist schon anstrengend, am späten Nachmittag noch eine solche Leistung zu bringen. Aber es ist gleichzeitig eine enorme Bereicherung auch für uns Betreuerinnen. Ich fühle mich nach diesen Treffen immer besonders gut, weil ich spüre, dass dieses eher niederschwellige Angebot die Familien erreicht. Zudem konnte ich mich auf ganz anderer Ebene fortbilden. Heute fühle ich mich im Umgang mit Erwachsenen noch sicherer. Zu überlegen ist allerdings, an welcher Stelle eine Arbeitsbelastung im Kita-Alltag zu Gunsten von FuN eingespart werden kann.

k&g: Wenn die acht FuN-Wochen vorbei sind, wie geht es dann weiter?

Rösing: Es ist wichtig, dass es in irgendeiner Form weiter geht. Hier in dieser Kita haben wir uns dafür entschieden, den Familien ein Treffen einmal im Monat anzubieten. Dieses wird von den Eltern selbst organisiert und von einer Teamerin begleitet. Die Familien beschließen für ein halbes Jahr, welche der Programminhalte in ihren Treffen Berücksichtigung finden sollen.

k&g: Können Sie sagen, dass sich bei den Familien etwas verändert hat, die an diesem Projekt teilgenommen haben?

Schulte: Oh ja. Die Eltern haben an Sicherheit gewonnen. Sie zeigen Verantwortung in Erziehungssituationen. Wenn z.B. ein Kind mittags abgeholt wird und jammernd darauf wartet, dass die Mutter ihm nun endlich die Schuhe anzieht, dann heißt es heute: "Du ziehst deine Schuhe jetzt an. Und ich warte vorne auf dich." Wir beobachten auch Veränderungen bei den Kindern. Sie akzeptieren ihre Eltern eher, jammern nicht weiter, um bei dem Beispiel zu bleiben, sondern ziehen ihre Schuhe an. Die FuN-Eltern identifizieren sich auch anders mit der Tagesstätte. Sie verlieren die Distanz und sind aktiver in der Zusammenarbeit. Das Projekt stärkt ganz eindeutig die Familie als solche und gleichzeitig die Nachbarschaft. Es tut doch gut, wenn man entdeckt, dass es woanders nicht anders läuft als zu Hause.

k&g: Da bleibt zum Abschluss nur noch eine Frage. Gibt es ein weiteres FuN?

Schulte: Ja, und wir freuen uns schon sehr auf die nächste Runde im neuen Kindergartenjahr.

k&g: Liebe Frau Rösing, liebe Frau Schulte, herzlichen Dank für dieses Interview. Ichwünsche Ihnen weiterhin großen Erfolg bei diesem bemerkenswerten Projekt.

Weitere Informationen

Städt. Kita Koboldhöhle in Recklinghausen, Leiterin: Ursula Schulte, Tel.: 02361/33906, Email: [email protected]

Rita Greine, Referentin für "Gesunde Bildung", Recklinghausen

Information über die Qualifizierung zur FuN-Teamerin: Praepaed-Institut für präventive Pädagogik, www.praepaed.de