Zitiervorschlag

Identifikationsverfahren von begabten und hochbegabten Kindern.

Der Einsatz von Intelligenztests, Checklisten und entwicklungsdiagnostischen Verfahren in Kitas

Stefanie Sroka

 

Einleitung

Eine gute pädagogische Diagnostik kann Hinweise auf Begabungen liefern, aber zweifelsfrei kann nur ein Intelligenztest eine Hochbegabung feststellen. Dieser Fachartikel behandelt Intelligenztests und Checklisten und stellt die Möglichkeiten der entwicklungsdiagnostischen Verfahren in Kitas dar.

3.1 Intelligenztests

Für die Erfassung kognitiver Fähigkeiten sind Intelligenztests das objektivste und zuverlässigste Mittel der Wahl (vgl. Preckel & Vock 2021, S. 150; Arnold & Preckel 2019, S. 57).  Intelligenztestergebnisse sollten im Kleinkind- und Vorschulalter aber vor allem als momentane Standortbestimmung gewertet werden, da die Werte bei jüngeren Kindern noch nicht sehr stabil sind (vgl. Preckel & Vock 2021, S. 150 und 263). Preckel und Vock (2021) geben zu bedenken, dass eine Testung vor dem fünften Lebensjahr eines Kindes wenig sinnvoll ist, in Einzelfällen aber durchaus wertvolle Informationen liefern kann. Einer Intelligenzmessung muss – wie jeder Diagnostik – eine konkrete Fragestellung vorausgehen. Die Frage, ob ein Kind hochbegabt ist oder nicht, ist hierfür nicht ausreichend (vgl. Rohrmann & Rohrmann 2017, S. 52).

Sinnvolle Fragestellungen, bei denen eine Diagnostik empfohlen werden kann, wären hingegen, ob eine frühere Einschulung in Betracht kommt oder ob Entwicklungsauffälligkeiten, wie beispielsweise eine auffällige Reizverarbeitung, abgeklärt werden sollen und ob diese vielleicht in Zusammenhang mit einer hohen Begabung zu bringen sind (vgl. ebd.). Auch die Frage, ob eine Einschulung direkt in die zweite Klassenstufe im Sinne des Kindes gewinnbringend ist, kann durch eine professionelle Intelligenzdiagnostik entsprechend begleitet werden (vgl. Koop 2021).

Vor der Testung sind außerdem folgende Problematiken zu bedenken, „wenn aus den Ergebnissen von Intelligenztests eine Aussage über das Vorliegen einer überdurchschnittlich hohen Begabung abgeleitet werden soll“ (Rohrmann & Rohrmann 2017, S. 52):

1. „Die ungleichmäßige Entwicklung von Kindern im Kindesalter macht es schwierig, einen zeitweiligen Entwicklungsvorsprung von einer überdurchschnittlichen Begabung zu unterscheiden. Sprunghafte Entwicklungsschritte sind in jungen Jahren nichts Ungewöhnliches und erst im Verlauf der Grundschulzeit stabilisiert sich die Intelligenz (vgl. ebd.).

2. Der sogenannte Deckeneffekt tritt in Testverfahren auf, wenn Testaufgaben zu einfach zu lösen sind und damit zu viele Testpersonen den maximalen Testwert erreichen (vgl. ebd. sowie Preckel & Vock 2021: 151). Damit differenzieren die Testergebnisse nicht genügend im oberen Intelligenzbereich und eine korrekte Einschätzung ist damit nicht mehr möglich (vgl. Rohrmann & Rohrmann 2017, S. 53). Rohrmann und Rohrmann (2017, S. 53) sehen diese Problematik der Deckeneffekte „in nahezu allen gebräuchlichen Tests“ und sehen „kaum deutschsprachige Verfahren, die speziell für die Diagnostik von Hochbegabung entwickelt wurden“ (ebd.).

3. Intelligenztests verfügen über keine zeitlose Gültigkeit (vgl. ebd., S. 54). Deshalb gelten „(…) Tests, deren Normierung älter als zehn Jahre ist, […] als veraltet und sollten eher nicht mehr verwendet werden“ (ebd.). Intelligenztests geben immer eine relative Einordnung in der eigenen Altersklasse wieder (vgl. ebd.). Der sogenannte Flynn-Effekt beschreibt die Tatsache, dass die Intelligenzwerte der allgemeinen Bevölkerung über einen längeren Zeitraum bis in die 1990er-Jahre immer weiter zugenommen haben (vgl. ebd.). Die Testung mit älteren Testverfahren, die nicht mehr richtig genormt sind, können also zu einer Fehleinschätzung und einer nicht korrekten Diagnose führen, da das Potential der Probanden ggf. überschätzt wird (vgl. ebd.).

4. In der Regel wird zwischen nonverbalen bzw. kulturfairen Intelligenztests und mehrdimensionalen Intelligenztests unterschieden.“ (Rohrmann & Rohrmann 2017, S. 55 ff.)

Nonverbale Intelligenztests bieten figurales Aufgabenmaterial und werden in der Hochbegabungsdiagnostik gerne aufgrund ihrer ökonomischen Durchführung und Auswertung eingesetzt (vgl. Preckel & Vock 2021, S. 155). Als Beispiel wäre hier die Wechsler Nonverbale Intelligence Scale (WNV) (Wechseler, Naglieri 2014) zu nennen, die durch bildgestützte Anleitungen durchgeführt wird, ohne dass das zu testende Kind hierbei aktiv sprechen muss (vgl. Rohrmann & Rohrmann 2017, S. 55). Durch dieses Verfahren, das mit Kindern ab vier Jahren eingesetzt werden kann, eignet sich dieser Test besonders gut für Testpersonen, deren Erstsprache nicht Deutsch ist (vgl. ebd.).

Welche Diagnostik sich eignet, entscheiden jeweils ausgebildete Psychologen und Psychologinnen, die diese Testung auch durchführen (vgl. Rohrmann & Rohrmann 2017, S. 53). Um die aus einer Testung resultierenden Gutachten aber besser verstehen zu können, ist es wichtig, sich auch als Pädagoge oder Pädagogin mit den Rahmenbedingungen, Voraussetzungen und Abläufen einer Testung vertraut zu machen (vgl. ebd.).

Zwei exemplarische mehrdimensionale Intelligenztests für Kinder im Vorschulalter sollen als Beispiele genannt werden (vgl. ebd., S. 56 ff.):

1) WPSSI IV – Wechsler Preschool and Primary Scale of Intelligence IV (Wechseler 2018)

Dieser Test ist für Kinder von 2;6 Jahren bis 7;7 Jahren geeignet (vgl. Preckel & Vock 2021: 167). Der materialreiche Einzeltest beinhaltet je nach Altersgruppe sieben bis 15 Untertests, die in fünf primäre und vier sekundäre Indizes zusammengefasst werden können, die neben der allgemeinen Intelligenz die untergeordneten Fähigkeitsbereiche erfasst (vgl. ebd.). Zu den primären Indizes gehören das Sprachverständnis, die visuell-räumliche Verarbeitung, das fluide Schlussfolgern, das Arbeitsgedächtnis und die Verarbeitungsgeschwindigkeit. Zu den vier sekundären Indizes gehören der Wortschatzerwerb, der nonverbale Index, der allgemeine Fähigkeitsindex und der kognitive Leistungsindex (vgl. ebd.). Die deutsche Bearbeitung wurde von Petermann & Daseking 2018 bereitgestellt (vgl. Wechseler 2018). Die Normierung erfolgte 2015–2017 mit N = 895 Kindern und Jugendlichen aus Deutschland und die Altersnormierung erfolgte in Dreimonatsintervallen (vgl. ebd.).

2. K-ABC II – Kaufman Assessment Battery for Children – II (Kaufman & Kaufman 2015)

Dieser Test eignet sich für Kinder und Jugendliche ab einem Alter von 3;0 Jahren bis zu einem Alter von 18;11 Jahren und liegt in der deutschen Bearbeitung von Melchers & Melchers 2015 vor (vgl. Kaufman & Kaufman 2015, S. 161). Die Originalfassung stammt von Kaufman & Kaufman (vgl. Kaufman & Kaufman 2004). Auch dieser Test ist ein materialreicher Einzeltest, der sich aus 11 regulären und sieben Ergänzungstests aufbauen lässt, die wiederum fünf Skalen zugeordnet sind: Sequenziell/Kurzzeitgedächtnis, Simultan/visuelle Verarbeitung, Planung/fluide Fertigkeiten, Lernen/Langzeitspeicherung und -erinnerung, Wissen/kristalline Intelligenz (vgl. Kaufman & Kaufman 2015). Die Normierung erfolgte 2013/2014 mit N: 1745 Kindern und Jugendlichen aus dem deutschsprachigen Raum (vgl. ebd.). Der Test ist „besonders auf die Intelligenzdiagnostik von Kindern beim Verdacht auf Lernschwierigkeiten und Entwicklungsproblemen ausgerichtet und daher für die Diagnostik hoher Begabungen eher weniger geeignet“ (Rohrmann & Rohrmann 2017, S. 60).

Wenn auch zum Ende eines Intelligenztests immer ein IQ-Wert ermittelt wird, ist es relevant, welches Testverfahren eingesetzt wurde, denn während sich aus mehrdimensionalen Tests im Ergebnis ein Profil erstellen lässt, welches beispielsweise Aussagen zur Langzeitspeicherung und Erinnerung, dem Kurzzeitgedächtnis oder der visuellen Verarbeitung zulässt, messen andere Testverfahren beispielsweise lediglich die fluide Intelligenz (vgl. Koop & Müller 2010, S. 187 f.). Um eine Diagnose zu einer Hochbegabung zu stellen, wird empfohlen, zwei Testverfahren durchzuführen, bei denen ein Test ein mehrdimensionaler Test sein sollte, womit die Messfehlerspanne reduziert und die Aussagekraft erhöht wird (vgl. ebd.). Koop und Seddig (2021b) schreiben dazu: „Die Identifizierung besonderer Begabungen sollte als Prozess verstanden werden. Dies gilt in besonderem Maße für Kita-Kinder“ (S. 14).

3.2 Checklisten zur Feststellung von Hochbegabung

Checklisten zur Hochbegabung findet man im Internet, in Elternratgebern und manchmal sogar in der Fachliteratur. Obwohl sie grundsätzlich bei einer ersten Einordnung hilfreich sein können, besitzen sie nur einen sehr eingeschränkten diagnostischen Wert (vgl. Perleth 2010, S. 191). Eltern sind häufig gar nicht in der Lage, ihr Kind richtig einzuordnen, insbesondere dann, wenn es sich um ihr erstgeborenes Kind handelt (vgl. Webb 2020, S. 41). Das liegt daran, dass Hochbegabung immer eine Einordnung in die eigene Altersklasse darstellt. Neben einem IQ-Wert von 130 könnte man auch den Prozentrang 98 benennen, was bedeutet, dass das Kind eine höhere Intelligenz hat als 98 von 100 anderen Kinder dieser Altersklasse (vgl. Preckel & Vock 2021, S. 55). Erzieher:innen haben aufgrund ihrer Tätigkeit mit vielen Kindern und ihrer geschulten Beobachtungsfähigkeiten grundsätzlich gute Voraussetzungen, um hochbegabte Kinder identifizieren zu können, wenn sie denn wissen, worauf sie achten müssen (vgl. Perleth 2010, S. 191 und IHVO 2006).

Was den Umgang mit Checklisten zusätzlich erschwert, ist die teils ungenaue Formulierung von Merkmalen, sodass diese teils auch auf nicht hochbegabte Kinder zutreffen können (vgl. Perleth 2010, S. 192). Laut Perleth (2010) ist es deutlich ergiebiger, nach Fragen zu konkretem Verhalten in Bezug auf die Intelligenz Ausschau zu halten. Beispiele hierfür können sein: Eine schnelle Umsetzung von Erlerntem in andere Kontexte, eine auffallende Merkfähigkeit, die immer wieder zu beobachten ist, eine im Vergleich zu anderen Kindern beschleunigte Sprachentwicklung, das Erkennen von zugrundeliegenden Prinzipien oder eine sensible Auffassung für Ursache-Wirkung-Zusammenhänge (vgl. Arnold & Preckel 2019, S. 55). Diese Merkmale können in Kindertageseinrichtungen über einen langen Zeitraum immer wieder beobachtet werden und Erzieher:innen können diese in Alltagssituationen sogar provozieren, um eine Reaktion des Kindes zu erfassen und mit ihm in einen Dialog zu treten (vgl. IHVO 2006). Auch wenn sich aus Checklisten keine Diagnostik ergeben kann, so können diese dennoch erste Hinweise zu einer Hochbegabung liefern. Auch in diesem Fall gilt insbesondere bei Kita-Kindern eine prozesshafte Begleitung und damit die Möglichkeit einer Identifikation von Hochbegabung (vgl. Koop und Seddig 2021b).

3.3 Entwicklungsdiagnostische Verfahren in der Kita

Entwicklungsdiagnostische Verfahren gehören zum Handwerkszeug in Kindertageseinrichtungen und dienen zur Überprüfung und Feststellung des Entwicklungsstandes der Kinder (vgl. Koop & Seddig 2021b, S. 18). Meistens werden hierzu teilstandardisierte Fragebögen genutzt, die in der Praxis ökonomisch zu handhaben sind (vgl. ebd.). Diese Entwicklungsfragebögen eignen sich in der Regel aber nicht, um Begabungen bei Kindern zu entdecken, denn sie sind vor allem darauf ausgelegt, Defizite sichtbar zu machen und dann eine entsprechende Förderung einleiten zu können.  

Das liegt vor allem an der Zielsetzung, mit der eine solche pädagogische Diagnostik angegangen wird. Das Ziel einer pädagogischen Diagnostik ist in der Praxis vorwiegend eine Kontrolle des Entwicklungsstandes, sie basiert auf Altersnormen und klaren Lernzielen oder es sollen frühzeitig Entwicklungsstörungen erkannt werden (vgl. Rohrmann & Rohrmann 2017, S. 134). Daher eignen sich diese Verfahren gut, um im unteren Kompetenzbereich zu messen und um festzustellen, ob ein Kind noch in einem bestimmten Entwicklungsbereich liegt (vgl. Koop & Seddig 2021b, S. 19). „Für begabte Kinder bedeutet dies, wie in der psychologischen Diagnostik auch, dass hier das Prinzip des Deckeneffektes greift und eine Messung mithilfe dieser Verfahren in höheren Bereichen für diese Kinder nicht möglich ist.“ (Rohrmann & Rohrmann 2017, S. 135)

Ein Beispiel aus dem Bereich der Motorik für ein dreijähriges Kind:

Das Kind kann koordiniert Dreirad fahren. Die Kompetenzen treten, lenken und sich im Raum orientieren sind erfüllt. Das Kind kann aber außerhalb der Kindertageseinrichtung bereits ohne Stützräder Fahrrad fahren – da kein Fahrrad in der Kindertageseinrichtung zur Verfügung steht, kann das Kind seine volle Kompetenz gar nicht zeigen. Es hat die Anforderungen voll erfüllt, aber der Blick auf weiterführende Kompetenzen wird nicht nachgehalten.

Einen etwas anderen Ansatz verspricht der Beobachtungs- und Einschätzungsbogen KOMPIK (Kompetenzen und Interessen von Kindern) für Kinder von 3;6 bis 6 Jahren, der 2012 als Projekt der Bertelsmann Stiftung und des Bayerischen Staatsinstituts für Frühpädagogik entwickelt wurde (vgl. Mayr et al. 2012; Rohrmann & Rohrmann 2017, S. 137). Dieser Fragebogen schätzt anhand von 158 Aussagen zu konkreten Verhaltensweisen die Kinder vergleichend ein (vgl. Rohrmann & Rohrmann 2017, S. 137). Durch die Detailliertheit, in der das geschieht, ist dieser Test recht aufwändig, bietet aber grundsätzlich die Möglichkeit, durch seine Stärkenorientierung und entwicklungsbegleitende Orientierung auch begabte Kinder zu erfassen (vgl. ebd.). Durch das regelmäßige Wiederholen des KOMPIK-Bogens kann auch festgehalten werden, in welchem Tempo ein Kind einen Lernzuwachs erzielt, was besonders für den Prozess der Erfassung einer oder mehrerer Begabungen einen dokumentarischen Mehrwert darstellt (vgl. Koop & Seddig 2021b, S. 21).

3.4 Chancengleiche Identifikation hochbegabter Kinder

Leider ist es Realität, dass hochbegabte Kinder viel später als solche erkannt werden, wenn diese einem niedrigen sozioökonomischen Umfeld entstammen, einen Migrationshintergrund aufweisen oder wenn es sich bei ihnen um Mädchen handelt (vgl. Koop & Röseler 2010, S. 195).

Die Schwierigkeit der Identifizierung hochbegabter Kinder aus Familien mit einem niedrigen sozioökonomischen Status stellt nur ein Symptom eines viel größeren Problems dar. In Deutschland besteht eine starke Verknüpfung zwischen dem Bildungsstand der Eltern und dem Bildungserfolg der Kinder. Dieser Zusammenhang ist in Deutschland sogar ausgeprägter als in den meisten anderen OECD-Staaten (vgl. Preckel & Vock 2021, S. 140). Hinzu kommt, dass der sozioökonomische Status insbesondere in den ersten Lebensjahren einen ganz erheblichen Einfluss auf die Entwicklung des IQs hat und sich eine Deprivation in diesem Bereich nachweislich negativ auf die kognitive Entwicklung auswirkt (vgl. Koop & Röseler 2010, S. 197; Rost 2000, S. 101).

Aber selbst dann, wenn die Leistungen der Kinder aus Familien, deren Eltern keinen höheren Bildungsabschluss erworben haben, denen der Kinder mit akademischem Hintergrund gleichwertig sind, sind ihre Chancen deutlich geringer, nach der Grundschule eine Empfehlung für das Gymnasium zu bekommen (vgl. Preckel & Vock 2021, S. 140). Die sozialen Disparitäten setzen sich in den weiteren Bildungswegen fort – Kinder aus bildungsfernen Familien beginnen seltener ein Studium oder schließen dieses ab (vgl. Autorengruppe Bildungsberichterstattung 2022, S. 205). Die Autorengruppe der Bildungsberichterstattung zieht das Fazit, dass bildungspolitische Bemühungen zur Beseitigung sozialer Ungleichheiten aus diesem Grund an vielen Stellen ansetzen müssen (vgl. ebd.). Die Kindertageseinrichtung kann mit einem niedrigschwelligen Angebot, wie es beispielweise in Familienzentren schon gemacht wird, einen ersten Beitrag dazu leisten (vgl. Koop & Seddig 2021b, S. 24).

Bundesweit kommt eines von fünf Kindern zum ersten Mal im Kindergarten verstärkt mit der deutschen Sprache in Berührung (vgl. Autorengruppe Bildungsberichtserstattung 2022, S. 107). Der Spracherwerb stellt in Kindertageseinrichtungen einen hohen Bildungsauftrag dar, dem eine enorme Relevanz zukommt. Im Jahr 2016 startete das Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend das Bundesprogramm Sprach-Kitas, um mit diesem mehr Chancengleichheit zwischen den Kindern zu gewährleisten. Dieses droht nun zum Ende des Jahres 2022 auszulaufen (vgl. Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend).

Natürlich stellen Sprachbarrieren auch ein Hindernis bei der Identifikation von Begabungen dar (vgl. Koop & Röseler 2010, S. 202). Rohrmann und Rohrmann (2017) merken überspitzt an: „Dass Fatma oder auch Sergej und eben nicht Charlotte und Philipp die intellektuell begabtesten Kinder in der Gruppe sind, kommt vielen pädagogischen Fachkräften nicht in den Sinn“ (ebd., S. 91). Das liegt auch an dem defizitären Blick, den pädagogische Fachkräfte häufig auf Kinder mit Migrationshintergrund haben, da die Bilingualität, mit der diese Kinder ganz selbstverständlich aufwachsen, häufig nicht als Bereicherung, sondern als Belastung wahrgenommen wird (vgl. ebd.).

Bemerkenswert ist, dass Jungen nach wie vor häufiger für hochbegabt gehalten und auch in Beratungsstellen eklatant häufiger für eine diagnostische Überprüfung einer möglichen Hochbegabung vorgestellt werden (vgl. Rohrmann & Rohrmann 2017, S. 89). Diese Vorstellung teilten 2005 auch noch die Lehrkräfte in den bayerischen Grundschulen – hier führte das Internationale Centrum für Begabungsforschung (Das ICBF ist eine Einrichtung der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster) eine Umfrage zum Kenntnis- und Wissensstand aller Lehrer:innen in den bayerischen Grundschulen durch. Die Einschätzung der Lehrkräfte bestätigte ein weiteres Mal die in der Fachliteratur angenommene Relation von 2:1 der als hochbegabt eingeschätzten Jungen gegenüber den als hochbegabt eingeschätzten Mädchen, obwohl Unterschiede in der allgemeinen Intelligenz zwischen den Geschlechtern kaum ausgeprägt sind und die Anzahl hochbegabter Mädchen etwa mit der Anzahl hochbegabter Jungen übereinstimmt (vgl. Heller et al. 2005, S. 32; Rohrmann & Rohrmann 2017, S. 89; Koop & Röseler 2010, S. 204). Insbesondere allgemein hin als weiblich geltende Eigenschaften, wie ein gutes sprachliches Ausdrucksvermögen, Ordnungs- und Gerechtigkeitssinn oder planvolles Handeln, werden selten mit einer Hochbegabung in Verbindung gebracht. Angepasste, unauffällige Mädchen werden so schnell übersehen (vgl. Koop & Röseler 2010, S. 206). Gute Leistungen bei Mädchen werden eher einem besonderen Fleiß zugeschrieben, während bei Jungen häufig Talent als Ursache angenommen wird (vgl. Koop & Seddig 2021b, S. 24).

Fazit

Die Kindertageseinrichtung kann auch hier eine wichtige Rolle einnehmen, um Begabungen schon bei sehr jungen Kindern – unabhängig von deren Herkunft, ihrem Geschlecht oder ihrem kulturellen Hintergrund – in den Blick zu nehmen (vgl. Koop & Seddig 2021b, S. 24). Ein früher positiver, offener und interessierter Umgang mit Begabung kann sich positiv auf das Selbstkonzept von Kindern auswirken (vgl. ebd.). Voraussetzung dafür ist aber auch, dass sich Erzieher:innen damit auseinandersetzen, was es für Konsequenzen mit sich bringt, Kinder mit unterschiedlichen Hintergründen zu begleiten und dass sich Begabungen damit auch auf unterschiedliche Weise zeigen (vgl. ebd.). Ein reflektierter Umgang mit den eigenen Vorurteilen zum Thema Begabung, soziokulturelle Hintergründe und den eigenen Rollenbildern ist ebenfalls notwendig, um eine objektivere Interpretation von Entwicklungsverläufen festhalten zu können (vgl. ebd.).

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Autorin

Stefanie Sroka *1984, hat an der FH Münster den Bachelor Studiengang Soziale Arbeit und an der WWU Münster den Master of Arts Erziehungswissenschaft mit dem Schwerpunkt Sozialpädagogik absolviert. Seit 2017 arbeitet sie im Amt für Kinder, Jugendliche und Familien der Stadt Münster im Bereich der Planung von Kindertagesstätten und konzeptionellen Grundsatzangelegenheiten. Sie ist verheiratet und hat zwei Töchter *2014 und *2016.



In: Klax International GmbH: Das Kita-Handbuch.

https://www.kindergartenpaedagogik.de/fachartikel/kinder-mit-besonderen-beduerfnissen-integration-vernetzung/hoch-begabte-kinder/identifikationsverfahren-von-begabten-und-hochbegabten-kindern-der-einsatz-von-intelligenztests-und-checklisten-und-entwicklungsdiagnostischen-verfahren-in-kitas/