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Zitiervorschlag

Aus: Martin R. Textor/Dagmar Winterhalter-Salvatore: Hilfen für Kinder, Erzieher/innen und Eltern. Vernetzung von Kindertageseinrichtungen mit psychosozialen Diensten. München: Bayerisches Staatsministerium für Arbeit und Sozialordnung, Familie, Frauen und Gesundheit 1999, S. 5-17

Vernetzung von Kindertageseinrichtungen mit psychosozialen Diensten

Martin R. Textor


Einführung

In Kindertageseinrichtungen gibt es einen hohen Prozentsatz verhaltensauffälliger, entwicklungsverzögerter, sprachgestörter, behinderter oder von Behinderung bedrohter Kinder, die laut Aussage von Erzieher/innen zu einer großen beruflichen Belastung geworden sind. Viele Fachkräfte verfügen über ausreichende pädagogische Kompetenzen, um die meisten dieser Kinder erziehen und in ihrer Entwicklung fördern zu können. Auch ist im Rahmen der inneren Differenzierung oft ein kurzfristiges intensives Arbeiten mit solchen Kindern möglich - beispielsweise an Nachmittagen wegen der dann meist geringeren Gruppenstärke. Auffällige oder behinderte Kinder lassen sich normalerweise in die Gruppe integrieren. Sie sind für die anderen Kinder eine Herausforderung, Hilfsbereitschaft, Toleranz, Frustrationstoleranz u.Ä. zu entwickeln. Sie können hier lernen, mit "schwierigen" Altersgenossen umzugehen - schließlich werden sie auch in ihrem weiteren Leben oft genug mit "schwierigen" Erwachsenen konfrontiert werden.

Bei mindestens 10 % aller Kindergartenkinder - und vermutlich einem noch höheren Prozentsatz aller Hortkinder - stoßen Erzieher/innen aber an ihre Grenzen. So können die Verhaltens- und Sprachauffälligkeiten, Entwicklungsrückstände oder Behinderungen zu groß sein, lassen Rahmenbedingungen wie Gruppengröße oder Zahl von Kindern mit besonderen Bedürfnissen eine intensive Förderung der betroffenen Kinder und die Unterstützung ihrer Eltern nicht zu, mag es Fachkräften an der notwendigen heilpädagogischen Qualifikation mangeln. In diesen Fällen müssen den Kindern und ihren Eltern Hilfsangebote psychosozialer Dienste (wie des Jugendamts, der Erziehungsberatungs- oder der Frühförderstelle, eines Kinderarztes, einer logopädischen oder ergotherapeutischen Praxis usw.) erschlossen werden. Dies ist auch angezeigt, wenn Erzieher/innen mit besonderen Problemen und Belastungen von Familien konfrontiert werden, selbst wenn diese (noch!) keine Auswirkungen auf Entwicklung und Verhalten der betreuten Kinder haben.

Häufig können auffällige oder behinderte Kinder in einer Kindertageseinrichtung nicht angemessen gefördert werden oder sind für diese aufgrund der Stärke ihrer Störungen nicht mehr tragbar. Dann können sie z.B. an Schulvorbereitende Einrichtungen (SVE) oder Heilpädagogische Tagesstätten (HPT) vermittelt werden. Allerdings sollte eine Aussonderung - und damit Stigmatisierung - von Kindern möglichst vermieden werden. Dies ist in der Regel dann möglich, wenn Verhaltensauffälligkeiten, Entwicklungsverzögerungen oder Behinderungen frühzeitig entdeckt (Früherkennung) und - bevor es zu einer stärkeren Ausprägung oder Verfestigung kommt - einer Behandlung (durch ambulante psychosoziale Dienste) zugeführt werden. Prävention, frühzeitige Intervention, Förderung in Regeleinrichtungen und Elternberatung sind in der Regel positiver für die Zukunft eines Kindes - und kostengünstiger für die Gesellschaft - als spätere therapeutische Maßnahmen oder die Behandlung in Sondereinrichtungen.

In den letzten Jahrzehnten ist eine kaum noch überschaubare Anzahl unterschiedlicher Beratungsstellen, medizinischer Einrichtungen, sozialer Dienste usw. entstanden, die Hilfen für Kinder und Familien anbieten. So überrascht nicht, dass eine Befragung von Erzieher/innen ergab, dass manche psychosozialen Dienste bzw. deren Leistungen (weitgehend) unbekannt sind (Textor 1999a). Aber auch zu "traditionellen" Kooperationspartnern wie Jugendamt, Erziehungsberatungs- oder Frühförderstellen und sonderpädagogischen Einrichtungen bestanden laut einer anderen Umfrage (Fthenakis et al. 1995) oft keine oder nur unbefriedigende Kontakte. Die gerade skizzierte Situation - die große Zahl hilfsbedürftiger Kinder bzw. beratungsbedürftiger Familien und die daraus resultierende Belastung von Erzieher/innen - macht jedoch deutlich, dass ein umfassendes Wissen über psychosoziale Dienste und deren Leistungen sowie ausgeprägte Kooperationsstrukturen unerlässlich sind.

Diese Broschüre, die im Rahmen des IFP-Projekts "Vernetzung von Kindertageseinrichtungen mit psychosozialen Diensten" entstanden ist und hier gesammelte Erfahrungen einbezieht (vgl. Textor 1997, 1999b) soll dazu beitragen, dass sich Erzieher/innen im "sozialen Netz" der Bundesrepublik Deutschland besser zurechtfinden. Dabei geht es vorrangig um das Wohl der betroffenen Kinder und ihrer Eltern. Es soll aber auch deutlich werden, dass eine gute Vernetzung mit psychosozialen Diensten zur Entlastung von Erzieher/innen beiträgt und für sie selbst nutzbringend ist.

Bei vielen Vernetzungsaktivitäten kommt es zu einem Austausch von Sozialdaten über Kinder und ihre Familien. In diesen Fällen sind die rechtlichen Bestimmungen des Sozialdatenschutzes zu beachten. Diese Fragen werden in der vorliegenden Broschüre nur am Rande behandelt, da unsere Kollegin Eva Reichert-Garschhammer eine umfassende Handreichung über Sozialdatenschutz in Kindertageseinrichtungen veröffentlicht hat (Reichert-Garschhammer 2000).

Wie vernetze ich meine Kindertageseinrichtung?

Das Fundament einer jeden Vernetzungsaktivität sind Grundkenntnisse über das soziale Netz der Bundesrepublik Deutschland und die psychosozialen Dienste im Umkreis der Kindertageseinrichtung. Allgemeine Informationen erhalten Erzieher/innen kostenlos in der Form von Broschüren bei den zuständigen Bundes- und Länderministerien. Daneben gibt eine Vielzahl von Büchern, in denen wichtige Hilfsangebote für Kinder und Familien dargestellt werden (z.B. Gernert 1993; Günder 1999; Jordan / Sengling 1999; Textor 1998).

Informationen über die psychosozialen Dienste vor Ort können den in vielen Landkreisen und kreisfreien Städten vorliegenden Beratungsführern entnommen werden, die von Jugend- oder Gesundheitsämtern, Bürgerbüros, Psychosozialen Arbeitsgemeinschaften oder anderen Stellen herausgegeben wurden. Die Angaben umfassen zumeist Adressen, Telefonnummern, Öffnungszeiten, Personalausstattung, Zielgruppe, Angebote, Leistungen, Arbeitsweise, Methoden, Wartezeit, Kosten u.Ä. Vereinzelt gibt es bereits besondere Beratungsführer für Kindertageseinrichtungen, die dann eher den Bedürfnissen von Erzieher/innen entsprechen als die üblicheren Beratungsführer für Familien, Alleinerziehende, Frauen usw. Schriftliche Informationen wie Faltblätter, Broschüren oder Jahresberichte können von den örtlichen psychosozialen Diensten direkt angefordert werden. Daneben gibt es in den Lokalzeitungen oft Berichte über die Arbeit der Beratungseinrichtungen und anderer relevanter Institutionen.

Es empfiehlt sich, solche Artikel sowie die zuvor erwähnten Beratungsführer, Broschüren und Jahresberichte in einem für das ganze Personal der Kindertagesstätte zugänglichen Ordner aufzubewahren, sodass sich alle Mitarbeiter/innen bei Bedarf unverzüglich selbst informieren können. Auch ist es sinnvoll, manche Materialien in der Elternecke der Einrichtung auszulegen oder am schwarzen Brett auszuhängen. Dann können Eltern, die ungern mit den Erzieher/innen über ihre Probleme sprechen würden oder deren familialen Belastungen überhaupt nichts mit dem betreuten Kind zu tun haben, sich unbeobachtet über Hilfsangebote (einschließlich finanzieller Leistungen) informieren. Werden die ausgelegten bzw. ausgehängten Broschüren und Zeitungsartikel häufig ausgetauscht bzw. erneuert, werden immer wieder Aufmerksamkeit und Interesse der Eltern geweckt.

Gegenseitiges Kennenlernen und allgemeine Angebote

Sind einer Erzieherin Mitarbeiter/innen psychosozialer Dienste persönlich bekannt, fällt es leichter, sie bei Fragen oder Problemen anzurufen und um Rat zu fragen. Auch lassen sich hilfsbedürftige Eltern leichter an eine andere Einrichtung weitervermitteln, wenn die Erzieherin sagen kann: "Also, die Psychologin Emma Müller von der Erziehungsberatungsstelle kenne ich schon seit Jahren. Sie hat sich auf Familien mit Kleinkindern spezialisiert. So hat sie schon vielen unserer Kindergarteneltern geholfen. Wenn Sie bei der Erziehungsberatungsstelle anrufen, lassen Sie sich am besten gleich mit ihr verbinden und grüßen Sie sie von mir!"

So ist es empfehlenswert, mit Mitarbeiter/innen zumindest der für Kindertageseinrichtungen wichtigsten psychosozialen Dienste Kontakt aufzunehmen. Manchmal reicht schon ein längerer Telefonanruf, um sich vom Gesprächspartner ein Bild machen und die Besonderheiten seiner Einrichtung kennen lernen zu können - schließlich unterscheiden sich die theoretischen Orientierungen und Arbeitsweisen der einzelnen Erziehungsberatungsstellen, Frühförderstellen usw. stark voneinander, sodass man sich letztlich nur im direkten Kontakt mit einem psychosozialen Dienst über die Praxis vor Ort kundig machen kann.

Besser als ein telefonischer ist natürlich ein persönlicher Kontakt. So können Erzieher/innen Mitarbeiter/innen psychosozialer Dienste zu einem Einzelgespräch oder - noch besser - zu einer Teamsitzung in die Kindertagesstätte einladen, um sich über deren Aufgaben, Arbeitsschwerpunkte, Methoden usw. zu informieren. Zugleich können bisherige Kooperationserfahrungen reflektiert und/oder (neue) Wege einer (besseren) Zusammenarbeit besprochen werden. Natürlich können Erzieher/innen - möglichst im Team - einen psychosozialen Dienst zu einem vorher vereinbarten Termin auch selbst aufsuchen. Dies hat den Vorteil, dass sie ebenfalls dessen Räumlichkeiten kennen lernen. Ganz vereinzelt gibt es sogar die Möglichkeit der Hospitation, sodass Erzieher/innen die Arbeit der Kontaktpersonen in vivo erleben können. Die Wahrscheinlichkeit, bei einer Behandlung bzw. Beratung anwesend sein zu dürfen, ist natürlich größer, wenn diese - wie bei mobilen Diensten - in der Kindertageseinrichtung selbst durchgeführt wird.

Selbstverständlich ist es sinnvoll, im Gegenzug die Mitarbeiter/innen psychosozialer Dienste über Erziehungsziele und -methoden, Arbeitsschwerpunkte, besondere Belastungen u.Ä. der Erzieher/innen aufzuklären und sie möglichst auch zum Hospitieren einzuladen. Es gilt nämlich folgender Grundsatz: Je konkreter die Arbeitssituation der jeweils anderen Seite erfahren wird, umso größer wird das Verständnis für sie und umso realistischer lässt sich die Zusammenarbeit gestalten.

Natürlich werden Erzieher/innen immer wieder die Erfahrung machen, dass psychosoziale Dienste Kennenlerntreffen oder gar Hospitationen abzublocken versuchen. Dies kann z.B. an mangelndem Interesse liegen, aus Überlastung resultieren oder durch Ängste bedingt sein ("Wenn wir einem Kindergarten diese Möglichkeit eröffnen, werden kurz darauf die anderen mit denselben Wünschen kommen!" - "Bei engeren Kontakten zu Erzieherinnen werden uns diese noch mehr Klienten überweisen, und wir haben doch schon solch eine lange Warteliste!"). Manchmal können die Erzieher/innen durch wiederholtes nachdrückliches Anfragen und selbstbewusstes Auftreten doch noch eine "Ausnahme" erreichen. In anderen Fällen wird es bei ein oder zwei Telefonaten bleiben. Dann können Erzieher/innen aber zumindest die Zusendung von Informationsmaterial erreichen. Auf jeden Fall sollten sie auch nachfragen, ob der psychosoziale Dienst "Tage der offenen Tür" oder "Kontaktnachmittage" veranstaltet, sodass sie ihn dann bei einer solchen Gelegenheit aufsuchen können.

Zumindest einen ersten persönlichen Eindruck von Mitarbeiter/innen psychosozialer Dienste können sich Erzieher/innen bei Leiterinnenkonferenzen oder anderen Veranstaltungen von Jugendämtern bzw. Wohlfahrtsverbänden (Fachberater/innen) verschaffen, zu denen diese als Fachreferent/innen oder auch nur zum Vorstellen ihrer Einrichtung eingeladen wurden. Längerfristige Kontakte sind z.B. im Rahmen von Arbeitskreisen (zur Suchtprävention, zum Umgang mit sexuellem Missbrauch usw.) möglich. Auch können die Leiter/innen von Kindertageseinrichtungen versuchen, Mitglieder von Psychosozialen Arbeitsgemeinschaften (PSAG), Stadtteilkonferenzen oder ähnlichen Gruppierungen zu werden, in denen sich Vertreter vieler psychosozialer Dienste regelmäßig treffen, um einander besser kennen zu lernen, Informationen und Erfahrungen auszutauschen, ihre Arbeit besser zu koordinieren, Wege einer Zusammenarbeit zu eruieren, Versorgungslücken ausfindig zu machen, Konflikte auszutragen, Konzepte zu entwickeln und sich gegenüber Bedrohungen von außen zu verbünden. Solche Arbeitskreise ermöglichen es Erzieher/innen, das soziale Netz vor Ort genau kennen zu lernen, persönliche Kontakte zu Mitarbeiter/innen psychosozialer Dienste zu pflegen sowie - vor allem - die Interessen und Probleme von Kindertageseinrichtungen in die Diskussion einzubringen. Meines Erachtens sollten Erzieher/innen auch gegenüber den Wohlfahrtsverbänden und öffentlichen Trägern der Jugendhilfe durchzusetzen versuchen, dass Vertreter/innen aus ihrem Kreise in die kommunalen Jugendhilfeausschüsse (§ 71 SGB VIII) berufen werden, um z.B. die Jugendhilfeplanung und Weiterentwicklung der Jugendhilfe im Landkreis bzw. in der kreisfreien Stadt beeinflussen zu können.

Kontakte zwischen Erzieher/innen und Mitarbeiter/innen psychosozialer Dienste lassen sich auf vielfältige Weise intensivieren (und für die Kindertageseinrichtung, die Eltern und Kinder nutzen):

  • Elternabende: Vertreter/innen psychosozialer Dienste können als Referent/innen oder Gesprächspartner eingeladen werden.
  • Eltern-/Müttergruppen, thematische Arbeitskreise, Alleinerziehendentreffs usw.: Mitarbeiter/innen psychosozialer Dienste können die Leitung übernehmen, als Gäste regelmäßig mitwirken oder zu einzelnen Treffen als Spezialist/innen eingeladen werden.
  • Informationsveranstaltungen, Maßnahmen der Familienbildung, Elterntrainings usw.: Mitarbeiter/innen psychosozialer Dienste können solche Angebote in der Kindertageseinrichtung durchführen oder an ihnen mitwirken.
  • Elternsprechstunden in der Kindertagesstätte: Eltern können sich in den ihnen vertrauten Räumen von einem ihnen oft schon von den gerade genannten Veranstaltungen her bekannten Berater helfen lassen (geringere Schwellenangst).
  • Projekte: Erzieher/innen und Mitarbeiter/innen psychosozialer Dienste können gemeinsam Projekte zur Suchtvorbeugung, Gewaltprophylaxe, Gesundheitsförderung (Bewegung, Sport, Ernährung), Erlebnispädagogik, Prävention von sexuellem Missbrauch, Sexualerziehung oder zum Medienkonsum planen und durchführen. Wollen Erzieher/innen allein solche Projekte realisieren, können andere Fachkräfte sie beraten, ihre Aktivitäten begleiten, Fortbildungsangebote machen, Materialien zur Verfügung stellen usw.

Natürlich können auch einzelfallbezogene Kontakte zu einer Intensivierung der Beziehung zwischen Erzieher/innen und Mitarbeiter/innen psychosozialer Dienste beitragen, gibt es neben den gerade genannten noch weitere Kooperationsmöglichkeiten. Bei allen Vernetzungsaktivitäten sollte aber immer beachtet werden, dass die Ziele klar sind, beide Seiten in die Zusammenarbeit investieren sowie Zeitaufwand und Mehrarbeit in einem angemessenen Verhältnis zum Nutzen (insbesondere für Kinder und Eltern) stehen. Die (Verbesserung der) Kooperation sollte als gemeinsame Aufgabe und Entwicklung von Kindertageseinrichtungen und psychosozialen Diensten verstanden werden. Beide Seiten sollten sich der Unterstützung ihrer Vernetzungsaktivitäten durch vorgesetzte Stellen bzw. Träger vergewissern und die benötigten Ressourcen sichern.

Hilfen für Kinder und Eltern

Wie Kindern mit Verhaltensauffälligkeiten, Entwicklungsrückständen oder Sprachauffälligkeiten und Familien mit besonderen Belastungen konkret geholfen werden kann, wird an anderer Stelle erörtert. Hier sollen nur einige allgemeine Aussagen gemacht werden.

So soll zunächst die große Bedeutung der Früherkennung in Kindertageseinrichtungen betont werden: Erzieher/innen können aufgrund ihrer entwicklungspsychologischen Kenntnisse und praktischen Erfahrungen Verhaltensauffälligkeiten, Entwicklungsrückstände oder (drohende) Behinderungen feststellen, die z.B. Eltern mangels Vergleichsmöglichkeiten mit gleichaltrigen Kindern nicht entdeckt haben oder Ärzte bei den zeitlich sehr begrenzten Vorsorgeuntersuchungen nicht diagnostizieren konnten. Es ist generell sinnvoll, die eigenen Beobachtungen zunächst mit der zweiten Fachkraft in der Kindergruppe und/oder im Team zu besprechen. Hier wirkt sich positiv aus, wenn in der Kindertageseinrichtung mit Formen der "inneren Öffnung" (Becker-Textor 1998) gearbeitet wird, da dann alle Kolleg/innen das jeweilige Kind kennen. Auf diese Weise kann die eigene Einschätzung von Entwicklung und Verhalten des auffälligen Kindes überprüft werden.

Bestehen weiterhin Unsicherheiten, können Instrumente für die Früherkennung wie der Beobachtungsbogen zur Erfassung von Entwicklungs- und Verhaltensauffälligkeiten bei Kindergartenkindern (BEK; Mayr 1998), die diagnostischen Einschätzskalen (DES; Barth 1998) oder die Beobachtungsbögen von Pfluger-Jakob (1994) hinzugezogen werden. Schließlich besteht die Möglichkeit, mit einem psychosozialen Dienst wie einer Frühförder- oder Erziehungsberatungsstelle Kontakt aufzunehmen, den Fall anonym zu schildern und den Rat der dort tätigen Fachleute einzuholen.

Sind Erzieher/innen aufgrund ihrer entwicklungspsychologischen Kenntnisse, nach Auswertung der Beobachtungsbögen und/oder nach Rücksprache mit Kolleg/innen bzw. Fachleuten weiterhin der Meinung, dass ein Kind verhaltensauffällig, sprachgestört, entwicklungsverzögert oder von Behinderung bedroht ist, sollte zunächst geprüft werden, inwieweit ihm mit den Möglichkeiten der Kindertageseinrichtung geholfen werden kann:

  • Reichen die in Kindertagesstätten üblichen Erziehungsmittel bzw. -methoden aus, um das Kind positiv zu beeinflussen?
  • Ist eine intensivere heilpädagogische Förderung des Kindes durch Einzelarbeit oder in einer Kleingruppe (z.B. zu besuchsschwachen Zeiten) möglich und ausreichend?
  • Inwieweit können die anderen Kinder eingesetzt bzw. kann die Gruppendynamik genutzt werden, um dem Kind zu helfen?
  • Muss das pädagogische Angebot verändert oder der Tagesablauf anders strukturiert werden, um den Bedürfnissen dieses und anderer Kinder besser gerecht werden zu können?
  • Sind organisatorische Veränderungen sinnvoll wie z.B. der Wechsel des Kindes in eine andere Gruppe?
  • Inwieweit sind die Eltern für eine Beratung durch die Erzieherin und für Hinweise zum Umgang mit ihrem Kind zugänglich?

Sind solche Maßnahmen nicht ausreichend, können die Auffälligkeiten nicht genau erfasst werden, sind ihre Ursachen unbekannt oder für Erzieher/innen nicht zugänglich, sind Störungen oder Behinderungen nicht unerheblich (usw.), dann ist in der Regel die Weitervermittlung des Kindes und seiner Eltern an einen psychosozialen Dienst bzw. dessen Einbindung angezeigt.

Allerdings können Erzieher/innen nur Empfehlungen aussprechen - ob Eltern entsprechend handeln, sich bei einem psychosozialen Dienst beraten oder dort ihr Kind untersuchen und therapieren lassen, ist von diesen zu entscheiden. Hier ist die auf dem Grundgesetz, insbesondere Art. 6 Abs. 2 GG, basierende Rechtslage eindeutig: Nur die Eltern haben das Sorgerecht inne (vgl. z.B. § 1626 BGB). Nur sie können somit bestimmen, ob ihr Kind Ärzt/innen, Psycholog/innen, Heilpädagog/innen oder sonstigen Mitarbeiter/innen psychosozialer Dienste vorgestellt und eventuell von diesen behandelt wird. Schon ein Gespräch der Erzieherin mit diesen Fachleuten über ein Kind unter Nennung seines Namens verstößt gegen die Elternrechte und die Datenschutzbestimmungen, sofern die Eltern diesen Kontakt nicht genehmigt haben. Die einzige Ausnahme bilden gravierende Verstöße gegen das Kindeswohl wie z.B. Kindesmisshandlung, sexueller Missbrauch oder Verwahrlosung. Hier sind Erzieher/innen zur Meldung verpflichtet - unabhängig davon, ob die Eltern davon wissen bzw. damit einverstanden sind oder nicht. Bestehen nur Verdachtsmomente, brauchen die Erzieher/innen aber nicht ihren Namen zu nennen. Sie müssen dann den Fall anonymisieren. Ähnliches gilt bei Behinderungen des Kindes, und zwar unter folgender Voraussetzung: Wurden Eltern wiederholt auf die (vermutete) Behinderung ihres Kindes hingewiesen, ohne dass sie einen Arzt oder das Gesundheitsamt aufgesucht haben, besteht für Erzieher/innen eine Meldepflicht (§ 124 Abs. 2 BSHG).

Wenn Eltern zur Kontaktaufnahme mit einem psychosozialen Dienst motiviert werden sollen, so gilt generell, dass dies leichter gelingt, wenn eine Vertrauensbasis gegeben ist. Hier wird die große Bedeutung einer guten Elternarbeit deutlich (vgl. Bayerisches Staatsministerium für Arbeit und Sozialordnung, Familie, Frauen und Gesundheit 1996; Textor 1999c): Haben Eltern im Kontext vielfältiger Angebote der Elternarbeit Kontakt zu den Erzieher/innen gehabt, konnten sie in der Kindertageseinrichtung hospitieren, haben sie viele kürzere und einige längere Gespräche mit den Fachkräften geführt, dann werden sie ihnen eher vertrauen, sich eher öffnen und eher auf ihren Rat hören.

Aber auch bei einer guten Beziehung zu den Eltern ist es für viele Erzieher/innen schwierig, sie über die Auffälligkeiten, Entwicklungsrückstände oder (drohenden) Behinderungen ihres Kindes zu informieren und ihnen die Notwendigkeit einer zusätzlichen Förderung oder Beratung durch Dritte nahe zu bringen. Die Erfahrung hat gezeigt, dass manche Eltern aggressiv reagieren, die Erzieherin für die Probleme des Kindes verantwortlich machen und sie kritisieren. Solche Reaktionen sollten aber als Teil eines Verarbeitungsprozesses aufseiten der Eltern gesehen und nicht überbewertet werden. Auch lassen sie sich manchmal vermeiden, wenn Erzieher/innen

  • zu Beginn eines solchen Gesprächs positive Seiten des Kindes schildern,
  • die erzieherischen Leistungen der Eltern würdigen,
  • ihre eigenen Beobachtungen und ihre eigene Betroffenheit in der Ichform vortragen ("Ich erlebe Ihr Kind in der und der Situation so und so. Dann habe ich die und die Schwierigkeiten mit ihm und reagiere so oder so"), sodass sich die Eltern nicht angegriffen fühlen,
  • die Eltern zur Mitteilung eigener Beobachtungen motivieren ("Kennen Sie dieses Verhalten aus Ihrer Familie oder aus anderen Situationen?") und sie um mögliche Erklärungen bitten ("Was könnten die Ursachen für solche Auffälligkeiten sein?"),
  • den Eltern aktiv zuhören, also auf ihre Gedanken und Gefühle eingehen, diese zurückreflektieren und akzeptieren, sodass sich die Eltern verstanden fühlen, sich nicht verteidigen müssen und sich dann leichter mit den Problemen ihres Kindes befassen können,
  • den Eltern mit Wertschätzung und Respekt begegnen,
  • die Eigenständigkeit, die Rechte und die Erziehungsverantwortung der Eltern achten, aber zugleich auch Gemeinsamkeiten betonen ("Wir wollen beide das Beste für Ihr Kind!", "Was können wir gemeinsam machen ?"), und wenn sie
  • immer sachlich, freundlich und geduldig bleiben, sich also professionell verhalten.

Akzeptieren Eltern (schließlich), dass ihr Kind oder sie selbst Hilfe durch psychosoziale Dienste benötigen, sollte die Erzieherin in Frage kommende Angebote möglichst genau schildern. Dabei dürfen nicht für das Kind oder die Familie nach Meinung der Erzieherin geeignete Maßnahmen wie z.B. Spiel- oder Familientherapie beschrieben werden - die Mitarbeiter/innen des jeweiligen psychosozialen Dienstes sind für deren Auswahl (wie auch für die Diagnose) zuständig -, sondern die in Frage kommenden Einrichtungen sollten allgemein hinsichtlich der Aufgaben, Arbeitsschwerpunkte und Verfahren dargestellt werden (analog der Informationen, die in Faltblättern, Broschüren oder Jahresberichten enthalten sind oder die von der Erzieherin bei früheren Kontakten erlangt wurden). Auch können persönlich bekannte Ansprechpartner benannt und Fragen der Eltern hinsichtlich der Vorgehensweise (telefonische Kontaktaufnahme, Terminvereinbarung, Erstgespräch, Anamnese usw.) beantwortet werden.

Die Besprechung sollte möglichst mit einer konkreten Entscheidung enden ("Die Eltern melden sich jetzt bei der Erziehungsberatungsstelle an!" - "Die Kinderkrippe lädt eine Mitarbeiterin der Frühförderstelle in die Gruppe ein, damit sie das Kind beobachtet und eine Diagnose erstellt!"). Kann eine solche Vereinbarung nicht erreicht werden, sollte ein weiteres Gespräch vereinbart oder angekündigt werden ("Wir sollten dies alles nochmals überdenken und uns dann wieder treffen!"). Sind die Eltern auf Dauer uneinsichtig, sollten ihnen die Konsequenzen verdeutlicht werden, wenn auf eine Beratung oder Behandlung verzichtet wird (z.B. Verfestigung der Störungen, Zurückstellung bei der Einschulung, eventuell Besuch einer Sondereinrichtung oder Förderschule).

Für Erzieher/innen ist es oft nur schwer zu verstehen, dass manche Eltern jegliche Hilfe für ihr Kind oder sich selbst ablehnen und damit nicht nur die Zukunft ihres Kindes verbauen, sondern oft auch seine Leidenssituation aufrechterhalten. Das Elternrecht und die Grenzen des eigenen Einflusses müssen aber akzeptiert werden (Ausnahmen sind die weiter oben erwähnten gravierenden Verstöße gegen das Kindeswohl bzw. nach § 124 Abs. BSHG, bei denen Erzieher/innen meldepflichtig sind). Dem Kind kann nur noch im Rahmen der in der Kindertageseinrichtung gegebenen Möglichkeiten geholfen werden. Ist es jedoch aufgrund seines Verhaltens für die Gruppe nicht mehr tragbar, muss überlegt werden (gemeinsam mit dem Träger), ob der Betreuungsvertrag gekündigt werden sollte.

Haben Eltern mit ihrem Kind einen Arzt oder einen psychosozialen Dienst aufgesucht, müssen Erzieher/innen immer wieder die Erfahrung machen, dass z.B. (Kinder-)Ärzte ihre Beobachtungen ignorieren und die ihres Erachtens notwendigen (logopädischen, ergotherapeutischen, motopädischen usw.) Behandlungen nicht verschreiben. Häufig wird dann diesen unterstellt, dass sie Letzteres aufgrund des auf dem Gesundheitswesen lastenden Kostendrucks nicht taten. Dass eine Behandlung nicht verschrieben wurde, kann aber auch damit zusammenhängen, dass die Eltern die Probleme ihres Kindes in einer sehr abgeschwächten Form geschildert haben.

Hier handelt es sich um ein generelles Problem: Beschreiben Eltern die Auffälligkeiten ihres Kindes dem Arzt oder Therapeuten gegenüber richtig? Somit ist es oft sinnvoll, wenn Erzieher/innen nach Einwilligung der Eltern Kontakt zum jeweiligen Arzt bzw. zu dem zuständigen Mitarbeiter eines psychosozialen Dienstes aufnehmen und ihm schildern, wie sie das Kind in der Tageseinrichtung erleben und weshalb sie es für auffällig halten. Ihre Argumente sollten möglichst knapp und stichhaltig vorgetragen werden sowie entwicklungspsychologisch begründet sein. Vor einer "Diagnose" oder gar einem "Therapievorschlag" sollte man sich aber hüten, da dies leicht als Einmischung in den Kompetenzbereich des Gesprächspartners (miss-)verstanden werden kann! Erzieher/innen sollten sich deshalb auf eine reine Beschreibung der Auffälligkeiten beschränken (beobachtbare Fakten).

Leider machen Erzieher/innen oft die Erfahrung, dass z.B. ein Arzt keine Zeit für ein längeres Gespräch hat. Hier muss man bedenken, dass frei praktizierende Ärzt/innen - und dasselbe gilt z.B. auch für Logopäd/innen oder Ergotherapeut/innen mit eigener Praxis - nicht nur unter großem Zeit- bzw. Termindruck stehen, sondern auch Fallbesprechungen mit Erzieher/innen (oder deren Beratung) nicht mit ihren Kostenträgern wie den Krankenkassen abrechnen können. Deshalb bleibt Erzieher/innen oft nichts anderes übrig, als sich mit einem kurzen Telefonat zufrieden zu geben. Sie können aber auch fragen, wann ihr Gegenüber Zeit für ein längeres Gespräch hat.

Außerdem ist zu beachten, dass gerade im medizinischen Bereich der Austausch schriftlicher Berichte über Patient/innen die Regel ist (auch bei Beratungsstellen sind solche Fallberichte üblich). So sollte überlegt werden, ob es oft nicht sinnvoll ist, die eigenen Beobachtungen über ein Kind schriftlich niederzulegen und den Bericht entweder den Eltern mitzugeben oder nach deren Einwilligung an den jeweiligen Arzt oder die Therapeutin zu senden. Ein solcher Bericht kann zunächst einen allgemeinen Teil über den Entwicklungs- und Reifestand des Kindes, seine Persönlichkeit, seine Familiensituation (inkl. Erziehungsverhalten der Eltern) sowie sein Verhalten gegenüber den Erzieher/innen und den anderen Kindern in der Gruppe enthalten. Hier können die Resultate von Elterngesprächen einfließen. Im zweiten Teil können dann die auffälligen Verhaltensweisen, Entwicklungsverzögerungen, Behinderungen bzw. Sprachstörungen genau beschrieben werden. Auch hier ist es empfehlenswert, sich auf beobachtbares Verhalten zu beschränken (keine Vermutungen über die Ursachen von Auffälligkeiten, keine diagnostischen Aussagen und keine Behandlungsvorschläge machen!). Dies kann durch die Verwendung der bereits erwähnten Beobachtungsbögen - die dem Bericht in Kopie beigefügt werden können - sichergestellt werden, da hier nur Verhaltensbeobachtungen notiert werden. Außerdem sollte man versuchen, aus einer emotionalen Distanz heraus zu schreiben, und von negativen Bewertungen bzw. Urteilen Abstand nehmen. So ist es sinnvoll, den Bericht von einer Kollegin gegenlesen zu lassen. Schließlich sollte man bei der Abfassung eines solchen Berichts immer bedenken, dass die eigene Sichtweise von der speziellen Ausbildung als Erzieherin und der eigenen beruflichen Sozialisation geprägt wird - lesen werden den Bericht aber Fachleute mit einer ganz anderen Perspektive.

Selbst wenn Erzieher/innen die Einwilligung der Eltern eingeholt haben, können sich Ärzt/innen, Psychotherapeut/innen u.a. an ihre Schweigepflicht gebunden fühlen und jegliche Auskunft über Diagnose und Behandlung verweigern. Deshalb sollte man sich die Einwilligungserklärung immer schriftlich geben lassen - wie dies auch im Gesetz vorgeschrieben ist (vgl. Reichert-Garschhammer 2000). Dann kann diese dem Gesprächspartner zugeleitet werden. Ansonsten bleibt nur der Weg über die Eltern übrig, die nach einem erneuten Besuch beim Arzt oder einem psychosozialen Dienst die Antworten auf die Fragen der Erzieherin überbringen können. Allerdings kann es auch vorkommen, dass Eltern keinen Kontakt zwischen Kindertageseinrichtung und psychosozialem Dienst wünschen, weil sie nicht wollen, dass die Erzieher/innen z.B. von ihren Eheproblemen erfahren. Manchmal legen sie auch großen Wert auf Vertraulichkeit, wenn sie Kritik an der Kindertageseinrichtung geübt haben. Deshalb sollte in der Einwilligungserklärung immer genau festgelegt werden, was der Zweck des Gesprächsaustausches ist und welche Art von Informationen nur ausgetauscht werden dürfen (z.B. Verhaltensbeobachtungen, die Diagnose, Hinweise zum pädagogischen Umgang mit dem Kind in der Kindertagesstätte usw.).

Eine (umfassende) schriftliche Einwilligung der Eltern hat aber nicht nur den Vorteil, dass die Erzieher/innen den Mitarbeiter/innen psychosozialer Dienste ihre Beobachtungen und Gedanken mitteilen sowie von diesen über Diagnose, Behandlungsverlauf und Beratungsinhalte informiert werden können. Vielmehr kann die Kindertageseinrichtung auch direkt in die Maßnahme eingebunden werden:

  • Das Erstgespräch kann in der Kindertagesstätte stattfinden. Dies bietet sich vor allem in solchen Fällen an, wo Eltern sehr unsicher sind, sodass sie nur in einer gewohnten Umgebung und in Anwesenheit der ihnen vertrauten Erzieherin mit einem Mitarbeiter eines psychosozialen Dienstes sprechen wollen. Alternativ kann die Erzieherin die Eltern zum Erstgespräch in der Beratungsstelle, beim Jugendamt usw. begleiten.
  • Mitarbeiter/innen psychosozialer Dienste können in die Kindertageseinrichtung kommen, um das jeweilige Kind in einer "Normalsituation" und in einer Gruppe zu beobachten, aber auch, um z.B. die Erzieherin-Kind-Beziehung zu erfassen. Dies erleichtert eine umfassende und realitätsgerechte Diagnoseerstellung, an der die Erzieher/innen beteiligt werden können.
  • Die Erzieher/innen können an der Planung der Maßnahme (bis hin zur Erstellung eines Hilfeplans nach § 36 SGB VIII) mitwirken.
  • Die Behandlung eines Kindes kann in der Kindertageseinrichtung durchgeführt werden: (1) als Einzelförderung in einem Nebenzimmer oder im Gruppenraum (in Anwesenheit der anderen Kinder), (2) in einer Kleingruppe im Neben- oder im Gruppenraum (es werden entweder mehrere behandlungsbedürftige Kinder zusammengefasst, oder das jeweilige Kind soll im Umgang mit "normalen" Kindern besondere Kompetenzen erwerben) oder (3) unter Einbeziehung der Erzieher/innen oder ohne deren Mitwirkung. Hier bleibt das Kind in der ihm vertrauten Umgebung. Außerdem ist dies oft der einzige Weg, wie Kindern berufstätiger Eltern, von (erwerbstätigen) Alleinerziehenden oder von nicht motorisierten Eltern (auf dem Land, bei schlechter Anbindung an öffentliche Verkehrsmittel) geholfen werden kann, die nicht zum psychosozialen Dienst gebracht werden können. Dasselbe gilt für Fälle, wo Eltern wenig Problembewusstsein oder eine so große Schwellenangst haben, dass sie ihr Kind nicht bei einem Fachdienst vorstellen würden.
  • Es können alle oder die meisten Beratungsgespräche mit den Eltern in der Kindertageseinrichtung durchgeführt werden - mit oder ohne Erzieher/innen.

Eine intensive einzelfallbezogene Kooperation bricht die Erwartung mancher Erzieher/innen auf, sie müssten ein auffälliges, entwicklungsverzögertes oder sprachgestörtes Kind nur an einen psychosozialen Dienst abgeben und würden es dann von dort "therapiert" zurückerhalten. Auch werden zu hohe Erwartungen hinsichtlich der Dauer und der "Durchschlagkraft" einer Behandlung abgebaut, wenn Erzieher/innen in diese einbezogen werden (ansonsten kommt es bei nur langsamen Fortschritten des Kindes leicht zu einer negativen Einschätzung der Maßnahme und zu einer pessimistischen Prognose hinsichtlich der weiteren Entwicklung des Kindes - was oft zu einer sich selbst erfüllenden Prophezeiung wird).

Außerdem ermöglicht eine einzelfallbezogene Kooperation die Einwirkung auf das Verhalten der Erzieherin, wenn dieses zu den Problemen des Kindes oder zu Konflikten mit seinen Eltern beiträgt. Schließlich können Erzieher/innen Hinweise zum weiteren Umgang mit dem Kind und seiner Familie erhalten. Dies darf aber nicht bedeuten, dass sie als Co-Therapeut/innen eingesetzt werden. Ihre Aufgaben sollten die Bildung, Erziehung und Betreuung von Kindern in einer Gruppe bleiben - was ein heilpädagogisches Handeln einbezieht, nicht aber ein therapeutisches.

Bei der Einzelförderung eines Kindes im Kindergarten sollte somit die zuständige Gruppenleiterin möglichst oft zeitweise anwesend sein. Auch ist es empfehlenswert, etwa alle zwei Wochen eine (kurze) Fallbesprechung mit der Therapeutin anzusetzen, um über das Kind und seine Familie, den Behandlungsverlauf und mögliche ergänzende Maßnahmen im Rahmen der "normalen" Gruppenarbeit zu sprechen. Da bei der Gruppenleiterin Informationen aus den Bereichen Kindertageseinrichtung, Familie und Einzelförderung zusammenlaufen, sollte sie eine koordinierende Funktion übernehmen.

Hilfen für Erzieher/innen

Eine intensive Zusammenarbeit mit psychosozialen Diensten kann sich auf Kindertageseinrichtungen in vielfältiger Weise positiv auswirken. Bleiben wir zunächst bei einzelfallbezogenen Kontakten: Hier erfahren Erzieher/innen Unterstützung, wenn sie das Verhalten und die Symptome des jeweiligen Kindes - keine Namensnennung, wenn ohne Wissen der Eltern - den Mitarbeiter/innen psychosozialer Dienste in einem Telefonat oder persönlichen Gespräch schildern. Noch besser ist es, wenn sie diese - nach Einwilligung der Eltern - in die Kindertageseinrichtung zur Beobachtung des Kindes einladen und anschließend mit ihnen Wahrnehmungen und Beobachtungen austauschen. In diesen Fällen können die Erzieher/innen um eine (vorläufige) Diagnose und Ratschläge hinsichtlich des weiteren Vorgehens bitten (hinsichtlich des erzieherischen oder heilpädagogischen Handelns gegenüber dem Kind, der angezeigten Maßnahmen seitens Dritter, der Elterngespräche usw.).

Für manche Erzieher/innen ist es entlastend, wenn die Mitarbeiter/innen psychosozialer Dienste ihnen hilfreich beiseite stehen, wenn sie die Eltern über ihre Beobachtungen informieren. Dasselbe gilt für Fälle, in denen eine Entscheidung hinsichtlich der Schulfähigkeit eines Kindes - eventuell auch unter Einbeziehung von Grundschullehrer/innen - gefällt werden muss. Aber auch bei Konflikten mit Eltern kann z.B. eine Beraterin als neutrale Person bzw. als Vermittlerin hinzugezogen werden.

Wenn ein Kind von Mitarbeiter/innen eines psychosozialen Dienstes behandelt oder seine Familie von ihnen betreut wird, können sich Erzieher/innen nach Einwilligung der Eltern beraten lassen, wie sie am besten mit dem Kind umgehen sollten. In anonymer Form ist eine solche Beratung sinnvoll, wenn Eltern nicht bereit sind, ihr Kind bei einem psychosozialen Dienst anzumelden oder sich selbst helfen zu lassen. Dann können auch die emotionalen Belastungen der Erzieher/innen thematisiert werden, die unter Umständen miterleben müssen, wie die Entwicklung eines Kindes immer negativer verläuft, weil seine Eltern jegliche Hilfsmaßnahme ablehnen.

In manchen dieser Fälle können die Kontakte zu Mitarbeiter/innen psychosozialer Dienste zu regelmäßigen Fallbesprechungen bis hin zur Fallsupervision ausgeweitet werden. Neben dem Gespräch über das problematische Verhalten von Kind und Eltern, seine Ursachen, die Behandlung bzw. Elternberatung sowie die von der Kindertageseinrichtung erwarteten und leistbaren Hilfe kann auch thematisiert werden, welchen Anteil die Erzieherin, die Gruppendynamik oder andere Aspekte des Kindertagesstättenalltages an der Entstehung und Aufrechterhaltung der Probleme hat und wie solchen negativen Einflüssen entgegengewirkt werden kann.

Unabhängig von einem bestimmten Fall können Einzel-, Gruppen- und Teamsupervision durch Mitarbeiter/innen psychosozialer Dienste genutzt werden. Ausgangspunkt und Inhalt sind die beruflichen Anliegen der Erzieher/innen, ihre Probleme mit Kindern und Eltern, Konflikte zwischen Kolleg/innen oder mit dem Träger. Das Ziel ist, solche Belastungen besser bewältigen zu können. Dazu werden z.B. persönliche Verstrickungen gelöst, Fähigkeiten aktiviert, Kompetenzen vermittelt, Kenntnisse weitergegeben und Einstellungen verändert. Es wird Verständnis für kindliche und elterliche Verhaltensweisen geweckt und besprochen, welche (erzieherischen, heilpädagogischen, beraterischen) Interventionsmöglichkeiten in solchen Fällen geeignet sind. So werden Erziehungspraxis und Elternarbeit verbessert. Ferner können die Lebensgeschichte der Erzieherin, ihre berufliche Identität, persönliche Probleme oder die Spannung zwischen ihren Rollen als Erzieherin, Leiterin, Mutter und berufstätige Frau geklärt werden. Bei der Teamsupervision werden Konflikte zwischen Kolleg/innen gelöst, unterschiedliche Erwartungen und Erziehungsziele bzw. -stile besprochen und andere Probleme behandelt, die eine effektive und effiziente Zusammenarbeit erschweren. Supervision sollte grundsätzlich freiwillig und - wenn möglich - Teil der Arbeitszeit sein.

Eine ähnliche Unterstützung können Erzieher/innen auch im Rahmen einer persönlichen Beratung durch Mitarbeiter/innen psychosozialer Dienste in der Kindertagesstätte oder in deren Einrichtung erfahren. Sie können sich von ihnen während der Arbeit in der Kindergruppe beobachten lassen, sodass sie ein realitätsgerechtes Feedback hinsichtlich ihres erzieherischen Verhaltens, ihrer Beziehung zu den Kindern und des Gruppengeschehens erhalten. Dann wird deutlicher, wo Probleme liegen bzw. welche zusätzlichen Kompetenzen benötigt werden.

Oft ist auch eine Teamberatung möglich, bei der es im Gegensatz zu einer Teamsupervision mehr um inhaltliche Aspekte geht. So können beispielsweise die Konzeption der Kindertageseinrichtung, die Elternarbeit oder bestimmte pädagogische Themen wie Medienerziehung oder die Förderung ausländischer Kinder diskutiert werden.

Schließlich können Erzieher/innen von Fortbildungsveranstaltungen durch Mitarbeiter/innen psychosozialer Dienste profitieren, zu denen in der Regel alle Fachkräfte aus einer bestimmten Region eingeladen werden. Sie können sich über bestimmte Auffälligkeiten, Behinderungen und Entwicklungsverzögerungen, deren Diagnose und Behandlung (im Rahmen der pädagogischen Arbeit in der Kindertageseinrichtung) informieren. Dies kann zu einer besseren heilpädagogischen Qualifizierung führen. Ferner können sie sich in der Gesprächsführung mit Erwachsenen fortbilden lassen, sodass sie Eltern besser beraten können. Es gibt also viele Möglichkeiten, wie Erzieher/innen selbst von einer intensiven Zusammenarbeit mit psychosozialen Diensten profitieren können.

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