×

Zitiervorschlag

Die Bedeutung des Vaters im Leben des Kindes

Margarete Blank-Mathieu


Wann benötigten Jungen und Mädchen den Vater?

  • als werdendes Menschenleben im Mutterleib
  • als Säugling im ersten Lebensjahr
  • als Kleinkind bis zum dritten Lebensjahr
  • als Kindergartenkind
  • als Schulkind
  • als Pubertierende
  • als Erwachsene

In allen Phasen des Aufwachsens von Kindern ist die Vaterpräsenz in unterschiedlicher Weise für die Entwicklung des Kindes nötig.

Warum benötigen Jungen und Mädchen den Vater?

  • Der Vater nimmt aktiv teil an der Menschwerdung seines Kindes, indem er seine Frau begleitet (sowohl emotional als auch praktisch) und ihr in allen Problemen der Schwangerschaft beisteht. Eine fröhliche und unbeschwerte Schwangerschaft wirkt sich auf das werdende Kind aus.
  • Im ersten Lebensjahr nimmt der Vater an Pflegemaßnahmen (Wickeln und Baden ec.) teil. Er füttert sein Kind und gibt ihm die Flasche. Das schafft eine emotionale Grundlage für die Beziehung. Der Vater begleitet die ersten Schritte des Kindes und zeigt ihm viele Dinge.
  • Das zweite und dritte Lebensjahr ist geprägt von vielen "Fortschritten" im Leben des Kindes. Er freut sich mit dem Kind (und seiner Frau natürlich) an diesen, und gemeinsam zeigen sie dem Kind "die Welt".
  • Die Kindergartenzeit ist besonders wichtig für die Eigenständigkeit des Kindes. Das Kind lernt, Beziehungen zu anderen Kindern aufzubauen, erlebt sich als eigenständige Persönlichkeit, als Junge und Mädchen. Kinder benötigen die Hilfe des Vaters, um sich von der Mutter abwenden zu können. Jungen brauchen den Vater als lebendiges männliches Modell, um ihre Geschlechtsidentität zu gewinnen. Vorbilder aus Werbung und Fernsehen sind keine "echten Männer".
  • Die Schulzeit ist eine Zeit, in der Jungen und Mädchen sich immer wieder mit Vater und Mutter vergleichen, viele Informationen von ihnen erhalten und sich mit männlichen und weiblichen Personen auseinandersetzen müssen.
  • In der Pubertät benötigt das Mädchen den Vater, um ihre Wirkung auf Männer auszuprobieren. Der Junge braucht den Vater (oder eine andere Vaterperson), um zu sehen, wie Männer leben, und sich mit ihnen über das Werden seiner Männlichkeit unterhalten zu können. Auch Gefühle müssen benannt werden können.

Der Vater spiegelt dem erwachsenen Kind auch weiterhin die Männerwelt. Das Mädchen kann sich ihm ohne sexuell gedeutete Absichten nähern; der Junge kann sich durch ihn mit der Männerwelt auseinandersetzen.

Wie kann die bedeutungsvolle Zuwendung des Vaters möglich werden?

Es kommt bei der Zuwendung des Vaters nicht auf die Häufigkeit, sondern auf die Qualität der Beziehung an. Wenn Väter die geringe Zeit, die sie ermöglichen können, wirklich nützen, um eine Beziehung zu ihrem Kind aufzubauen, so ist das mehr, als wenn sie ständig zur Verfügung stehen, aber sich dabei mit anderen Gedanken und Arbeiten beschäftigen.

Einige Tipps:

  • Die gemeinsame Entscheidung für das Kind muss von Vater und Mutter gezeigt werden.
  • "Männliche" und "weibliche" Arbeiten müssen als gleich wichtig dargestellt werden. Mutter und Vater dürfen sich nicht gegeneinander ausspielen.
  • Väter nehmen an allen Aufgaben des Alltags teil (welche das sind, das muss in jeder Familie abgesprochen werden), wenn sie zu Hause sind.
  • Die Kindertagesstätte ist ein wichtiges Lebensumfeld des Kindes. Väter sollten Möglichkeiten nützen, diese zusammen mit ihrem Kind zu erleben. Dazu genügen auch wenige Stunden oder ab und zu ein Urlaubstag.
  • Die Schule ist für Kinder sehr bedeutsam. Nicht nur die Noten und die Schulfächer bestimmen über Erfolg und Misserfolg, sondern vor allem die Beziehung zu Lehrern und Mitschülern und die Teilnahme der Eltern an solchen oft schmerzhaften Begegnungen. Miteinander reden, dem Kind zuhören, das kann ein Vater auch mit wenig verfügbarer Freizeit.
  • Vom Vater zum Partner, das ist für die Pubertätsphase und die Erwachsenenbeziehung die wichtigste Aufgabe im Leben eines Vaters. Das Kind soll nicht werden, wie Vater und Mutter sich das vorstellen, sondern es muss sein eigenes Leben "lernen". Welche Vorstellungen haben junge Männer und Frauen, welche Fragen stellen sie und wie kann ich als Vater diese beantworten, ohne das Kind auf meine Vorstellungen festzulegen?

Rezepte, wie und wann Väter präsent sein müssen, um ihren Kindern den Start in ein eigenes Leben zu erleichtern, können nicht gegeben werden. Je nach Familiensituation ist es in der einen oder anderen Lebensphase besonders wichtig, dass ein Vater zur Verfügung steht. Ob dies in einer Scheidungsphase oder in der Pubertät ist, muss im Einzelfall geprüft werden. Ein Vater, der sich mit seinem Kind über alle Lebensphasen verbunden weiß, kann selbst herausfinden, wann er sich einmal mehr und einmal weniger mit seinem Kind auseinandersetzen muß.

Väter sind vielen Zwängen außerhalb der Familie ausgesetzt. Ihre Möglichkeiten, sich mit ihren Kindern zu beschäftigen, sind in der Regel geringer als die von Müttern. Kinder brauchen aber beide Elternteile. Alleinerziehenden Müttern fällt es oft schwer, den "Vaterhunger" ihrer Kinder zu verstehen.

Um ihre eigene Rolle als Mann oder Frau zu finden, benötigen Jungen und Mädchen Frauen und Männer in ihrem Umfeld. Wenn Väter und Mütter sich darum bemühen, werden sie ihren Kindern ein eigenes Männer- und Frauenbild ermöglichen.

Weiterführende Literatur

Blank-Mathieu, Margarete: Jungen im Kindergarten, Brandes & Apsel, Frankfurt/Main 1996

Blank-Mathieu, Margarete: Kleiner Unterschied, große Folgen? Herder, Freiburg 1997

Kreckel, Marga: Macht der Väter, Krankheit der Söhne, Fischer 1996

Lutz, Christiane: Das Männliche im Märchen, Bonz 1996