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Zitiervorschlag

Mit Kindern die Welt entdecken - Pädagogik im Sozialraum

Jochen Schäfer

 

1        Kindertageseinrichtungen im Sozialraum

          Kinder und Familien im Blick

 

Kindertageseinrichtungen sind Lebenswelten für Kinder und deren Familien. Kinder verbringen hier eine erhebliche Zeit ihres Alltages. Im Oktober 2022 wurden bundesweit in über 55.000 Kindertageseinrichtungen 35,5 Prozent der Kinder bis zu 3 Jahren und 91,7 Prozent der Drei- bis Sechsjährigen betreut (vgl. Statistisches Bundesamt, 2022).

In diesen Einrichtungen erleben sie Kinder und Erwachsene außerhalb ihrer Familie und lernen, mit diesen Beziehungen einzugehen. Kinder erleben ihre Familie und die Kita als für sie bedeutsame Orte, die in einem engen Zusammenhang und Austausch stehen. Die Lebenswelt der Familie und die Lebenswelt der Kita sind Teil desselben kindlichen Alltages und müssen demnach zusammen gedacht werden. In diesem Kontext

„...steht der Begriff der Familienorientierung. Kennzeichnend hierfür ist das Selbstverständnis, dass Kinder mit ihren Familien in Blick genommen werden […] und auf den Perspektivwechsel [abgezielt wird], der bei Teams von Kindertageseinrichtungen zur verstärkten Einbeziehung der Familien der Kinder führen soll.“ (Pohlmann, 2015, S. 31)

Diese pädagogische Perspektive wird gestützt und bestärkt durch die im Sozialgesetzbuch VIII formulierte Aufgabe, dass „Tageseinrichtungen für Kinder […] die Erziehung und Bildung in der Familie unterstützen und ergänzen [sollen]. (vgl. § 22 Abs 2 Nr. 2 SGB VIII).

Familie ist Vielfalt und Buntheit. Die Pluralität des familiären Lebens reicht von der sogenannten klassischen Kernfamilie, Familien mit Pflege- oder Adoptivkindern über Ein-Eltern-Familien, verschiedene Konstellationen der Patchwork-Familien bis zu gleichgeschlechtlichen Paaren mit Kindern. Als gemeinsamer Nenner aller Familienformen kann formuliert werden, dass hier mindestens zwei Generationen Verantwortung füreinander übernehmen. Diese Pluralität der Familien ist je nach Einzugsgebiet und damit auch Sozialraum der Kindertagesstätte sehr verschieden. Kinder aus diesen Familien begegnen und erleben sich in der Kindertageseinrichtung und bringen ihre individuellen, familiär und kulturell geprägten Bedürfnisse und Interessen mit. Aufgabe der Pädagogischen Fachkräfte ist es, diese in der Erziehung, Bildung und Betreuung zu berücksichtigen und in Einklang zu bringen mit dem pädagogischen Konzept, welches den Handlungsrahmen absteckt.

Die Familien tragen vor dem Hintergrund ihrer je eigenen Kultur, Traditionen und Werte Erwartungen und Fragen in die Kita, sie wollen gehört, angenommen und akzeptiert werden. Die Pädagogischen Fachkräfte stehen vor der herausfordernden Aufgabe, auf diese unterschiedlichen Ansprüche mit passender Unterstützung und Beratung zu antworten. Diese Begleitung der Familien geht mancherorts über die Betreuung, Erziehung und Bildung der Kinder hinaus und verlangt von den Fachkräften, über die „Kita-Mauern“ hinweg zu denken.

„Die Kenntnis von bzw. die Vernetzung und die Vermittlung zu anderen Beratungs- und Unterstützungsmöglichkeiten rückt immer stärker in den Aufgabenbereich der Teams von Kitas.“ (Pohlmann, 2015, S. 31)

Gesellschaftlicher Wandel und die ökonomische Entwicklung stellen hohe Anforderungen an das familiäre Zusammenleben. Die Vereinbarkeit von Familienleben und beruflicher Tätigkeit bleibt nach wie vor eine zentrale Herausforderung für Eltern. Sie sollen neben ihrer eigenen Berufstätigkeit ihre Kinder bestmöglich auf ein zukünftiges Leben in einer sich weiter dynamisch verändernden Gesellschaft vorbereiten. Die Digitalisierung kann hier Unterstützung und Erleichterung sein, weil sie neue Kommunikationsformen und Arbeitsformate ermöglicht. Sie verändert tiefgreifend die Arbeitswelt und das gesellschaftliche Zusammenleben, verlangt aber auch die Bereitschaft, sich mit den digitalen Möglichkeiten auseinander zu setzen, den Umgang damit zu lernen und diese sinnvoll zu nutzen.

Es gibt jedoch auch Familien, die an diesen grundlegenden Veränderungen von Gesellschaft und Arbeitswelt nur bedingt partizipieren können. Ihnen mangelt es meist an einer ausreichenden materiellen Basis. Jedoch können auch unzureichender Zugang zum Bildungs- und Gesundheitssystem, zu Kulturangeboten und angemessenem Wohnraum oder auch individuell begründete Problemlagen dafür ursächlich sein. Diese mangelnde Beteiligungsmöglichkeit am oder gar der Ausschluss vom kulturellen, sozialen und wirtschaftlichen Leben in der Gesellschaft birgt zahlreiche Risiken für die Familie und für die hier aufwachsenden Kinder mit Blick vor allem auf deren Bildungschancen, soziale Integration und gesundheitliche Entwicklung.

Diese mit gesellschaftlichen und ökonomischen Wandlungsprozessen einhergehenden Anforderungen und Risiken für Familien stellen Kindertagesstätten vor Aufgaben und Herausforderungen, denen sie selbst und in Kooperation mit anderen Trägern begegnen. Die Kitas unterstützen und begleiten Kinder in ihrer sozialen, emotionalen, kognitiven und körperlichen Entwicklung. Sie beteiligen Kinder im Alltagsleben der Kita und erreichen damit, dass diese ihr Handeln als bedeutsam und wichtig erleben und sie selbst etwas bewirken können. Diese Förderung der Selbstwirksamkeit gibt den Kindern das Vertrauen in sich und ihre Fähigkeiten und soll sie stärken, Verantwortung für das eigenen Handlung zu übernehmen sowie zukünftige Herausforderungen anzunehmen und zu bestehen. Diese Stärkung der kindlichen Persönlichkeit schließt die Familien mit ein, da diese bei ihren Bildungs- und Erziehungsaufgaben unterstützt werden sollen (vgl. § 22 Abs 2 Nr. 2 SGB VIII). Darüber hinaus sollen Kindertageseinrichtungen durch passende und angemessene Betreuungszeiten den Eltern die Vereinbarkeit von Berufstätigkeit und Familienleben ermöglichen und diese insofern entlasten.

Für die Bewältigung dieser Aufgaben kann es notwendig, hilfreich und schließlich gewinnbringend sein, dass die Kindertagesstätte in ein Netzwerk von Einrichtungen eingebunden ist und damit Beratung, Unterstützung und Hilfestellung erfährt. Kindertageseinrichtungen sind Bildungsorte. Diese Tatsache kommt insbesondere in den Bildungsplänen der Bundesländer zum Ausdruck.

Demnach sind im Berliner Bildungsprogramm die Bildungsziele darauf gerichtet, „vom jüngsten Alter an jene Kompetenzen zu stärken und zu fördern, die es den Heranwachsenden ermöglichen, ihr Leben in einer Welt voller Chancen und Risiken eigenverantwortlich zu gestalten und sich engagiert am Zusammenleben zu beteiligen […]“ (Senatsverwaltung für Bildung, Jugend und Wissenschaft, 2014, S. 27).

Der Orientierungsplan für Bildung und Erziehung aus Baden-Württemberg stellt als Bildungsziele die Eigenverantwortung und Gemeinschaftsfähigkeit in den Mittelpunkt und betont, dass die „...Eigenverantwortlichkeit und Autonomie […] das Ziel mit [einschließt], Kinder in ihrer Fähigkeit zu unterstützen und anzuregen, anderen Autonomie zuzugestehen. Gemeinschaftsfähigkeit schließt die Fähigkeit zur Anerkennung von Verschiedenheit und die Fähigkeit zu einem anerkennenden Umgang mit Verschiedenheit ein.“ (Ministerium für Kultus, Jugend und Sport, 2011, S. 7).

Vergleichbare Zielsetzungen finden sich in den Bildungsplänen weiterer Bundesländer (siehe dazu die Angaben auf dem Bildungsserver des Leibniz-Institut für Bildungsforschung und Bildungsinformation). Der Förderauftrag im Sozialgesetzbuch VIII umfasst Erziehung, Bildung und Betreuung, welche auf die soziale, emotionale, körperliche und geistige Entwicklung abzielen, unter anderem die Vermittlung von Werten einschließen und sich an den Interessen, Bedürfnissen und der Lebenssituation der Kinder orientieren sowie deren ethnische Herkunft berücksichtigen (vgl. § 22 Abs. 3 SGB VIII). Aus Perspektive der Bildungspläne und des Sozialgesetzbuches VIII lässt sich damit die Aufforderung an die Kindertageseinrichtungen ableiten, die Tür „nach draußen“ zu öffnen und den Sozialraum in ihr pädagogisches Handeln mit einzubeziehen, indem sie unter anderem die Entwicklung vernetzter, kooperativer, niederschwelliger, partizipativer und sozialraumorientierter Angebotsstrukturen unterstützen. (vgl. § 16 Abs 2 Satz 2 SGB VIII).

2        Sozialraum und Lebenswelt

          Eine Annäherung

 

Bei der Beschäftigung mit Sozialräumen gelangt man rasch zu der Erkenntnis, dass es sich hierbei zunächst um den tatsächlich existierenden, begehbaren Raum handelt, der von Nolte in drei Varianten erläutert wird:

  • das regional abgegrenzte Gebiet mit den darin lebenden Menschen und ihren Beziehungsstrukturen, dessen Ausmaße subjektiv festgelegt sind
  • das überschaubare, konkrete Wohnumfeld, welches ebenfalls individuell bestimmt wird sowie
  • die administrative Größe zur Beschreibung von Stadtteilen oder Bezirken (vgl. Nolte, 2014, S. 7)

Dieser Beschreibung stellt sie das Konzept der Lebensweltorientierung gegenüber, indem sie die Lebenswelt als „den Gesamtraum der Erfahrungen von Menschen, die sich nicht auf ein konkretes regionales Gebiet zurückführen lässt […] bezeichnet. (Nolte, 2014. S. 7) Dagegen erweitert Schönig diese Sichtweise um weitere Perspektiven, wenn er vom

  • „Sozialraum als Territorium (Verwaltungsperspektive)
  • Sozialraum als gebündelte Lebenswelt (Bewohnerperspektive)
  • Sozialraum als Ziel (Steuerungsgröße)
  • Sozialraum als Ressource (Mittel)
  • Sozialraum als Einzugsgebiet (Marktgebiet einer Einrichtung)
  • Sozialraum als Ort der Sozialen Arbeit (öffentlicher Raum oder Gebäude)“ (Schönig, 2020, S. 11)

spricht, und diese Blickwinkel in seiner Veröffentlichung noch weiter vertieft.

Interessant und bemerkenswert ist in diesem Zusammenhang die Tatsache, dass Schönig bei Sozialräumen zwei Aspekte unterscheidet: einerseits die „physikalisch-materiellen Gegebenheiten einer gegenständlichen Welt“ (Schönig, 2020, S. 14). Auf der anderen Seite erläutert er, dass „der Mensch durch sein Handeln und seine Sinnzuschreibung gesellschaftlich relevante Räume, d.h. Sozialräume [konstruiert]“ (ebd.). Sozialräume sind demnach dreidimensionale, tatsächlich begehbare, real existierende Gebiete und Orte, erhalten ihre Bedeutung jedoch durch die Menschen, die diesen Räumen einen Sinn zuschreiben. Beide Aspekte bilden demnach den Sozialraum: sowohl das tatsächlich existierende Gebiet wie auch die Bedeutung und Wichtigkeit, die dieser Ort von den Menschen erhält.

Differenziert setzt sich Jares mit dem Raumbegriff als zentralem Aspekt im Zusammenhang der Sozialraumorientierung als sozialpädagogisches Konzept auseinander. Im Kern geht es dabei um die Vorstellung des „absoluten Raumes“ und des „relativen Raumes“. Während der erstgenannte als eine feste, unbewegliche Größe bezeichnet werden kann, wird beim „relativen Raum“ davon ausgegangen, dass dieser „nicht unabhängig von denen sie bildenden Körpern bestehen… [kann]“ (Jares, 2016, S. 38). Da beide Vorstellungen ihrer Meinung nach jedoch unzureichend sind, schlägt sie den „relationalen Raumbegriff“ vor, der eine konstruktivistische und materialistische Dimension umfasst. Die Mitglieder einer Gesellschaft tragen zu der Konstruktion von Räumen bei, gleichzeitig prägt die räumliche Ordnung die sozialen Zusammenhänge (vgl. Jares, 2016, S. 38). Deutlicher wird die Vorstellung des Sozialraumes, indem sie erläutert, dass „soziale Räume […] als Lebensräume von Menschen mit differenzierten Strukturen und funktionalen Verflechtungen und nicht ausschließlich als administrative Einheiten begriffen [werden].“ (Jares, 2016, S. 39).

Zusammenfassend wird auch bei Jares deutlich, dass Sozialräumen Wirkungsräume der in einem tatsächlich existierenden Gebiet handelnden Menschen sind, und diese dadurch bedeutungsvoll und wichtig werden. Ähnlich argumentieren Kessl und Reutlinger, indem sie beschreiben, dass „[mit] Sozialraum […] somit der gesellschaftliche Raum und der menschliche Handlungsraum bezeichnet [werden], das heißt der von den handelnden Akteuren (Subjekten) konstruierte Raum und nicht nur der verdinglichte Ort (Objekte)“ (Kessl/Reutlinger, 2010, S. 25).

Ein vergleichbares Verständnis des Sozialraumes beschreibt Spatscheck, der sich dabei auf Deinet beruft. Demnach handelt es sich bei Sozialräumen zunächst um „…die materielle Struktur […], abgebildet in sozialstrukturellen Daten zur sozioökonomischen Situation, Wohnsituation und Bebauungsstruktur, Familienstruktur, Bildungssituation, Häufigkeit der Nutzung von Angeboten der Ämter, Identifizierung sozialer Brennpunkte, etc.“ (Spatscheck, 2009, S. 34). Dies ist nach dem Verständnis des Autors ein Ausdruck des verwaltungstechnischen top-down-Ansatzes. Darüber hinaus wird der Sozialraum geprägt von den Bewohner/innen und Akteuren/innen, die sich ihre Sozialräume aneignen und ihnen somit eine subjektiv-individuelle und qualitative Bedeutung geben. Spatscheck spricht in diesem Kontext auch von der Lebenswelt. (vgl. Spatscheck, 2009, S. 34).

Die von den sozialen Medien geschaffenen sogenannten virtuellen Räume werfen in diesem Kontext die Frage auf, ob es sich auch hierbei um Sozialräume handelt. Sicher nicht in dem oben diskutierten Sinne, da es sich nicht um begehbare, materiell existierende Räume handelt. Vielmehr sind es gedachte Räume, in denen sich die Beziehungen und Handlungen der darin teilnehmenden Akteuren/innen zeigen. Diese von den sozialen Medien geschaffenen, geografische und zeitliche Grenzen überschreitenden Vernetzungen sind jedoch existent und damit offenkundig vorhanden.

Die aus verschiedenen Blickwinkeln zu führende fachliche Auseinandersetzung mit diesem Phänomen im Kontext der Digitalisierung erscheint mir im Sinne eines erweiterten Sozialraumverständnisses sinnvoll und notwendig, kann aber an dieser Stelle nicht erfolgen ohne den Rahmen dieser Ausführungen zu sprengen. Das Verständnis von Sozialräumen als real existierende Orte, die erst ihre Bedeutung erhalten durch die darin handelnden Menschen, die in einem dynamischen Beziehungsgeflecht zueinander und zum Raum stehen, von dessen Möglichkeiten in ihren Handlungen geprägt werden, liegt den nachfolgenden Ausführungen zugrunde.

3        Bildung und Ko-Konstruktivismus

          Ein Miteinander

 

Fest in der Alltagssprache verankert, ist uns Bildung vertraut und wir verwenden diesen Begriff selbstverständlich und gekonnt. Bei näherer Betrachtung stellt sich jedoch der Versuch, den Begriff zu beschreiben und zu erläutern, als herausfordernd dar. Hier eröffnet sich eine Mehrdeutigkeit und Komplexität dieses zentralen pädagogischen Fachbegriffs.

So stellt Bax fest, dass „der Begriff „Bildung“ […] zunächst einmal mit der Schule assoziiert [wird], in der Lehrer versuchen, ihren Schülern das Maß an Bildung zu vermitteln, welches im Lehrplan als angemessen festgelegt wurde. Demnach ist Bildung Wissen – ist Bildung Lernen und Lehren – ist Bildung Kenntnis und Erkenntnis.“ (Bax, 2011, o.S.).

Mit „Bildung ist mehr als Schule“ kennzeichnet Rauschenbach seine fachliche Auseinandersetzung mit dem Bildungsverständnis (Rauschenbach, 2013, o.S.). Menschen werden durch Bildung befähigt, „sich mit der dinglich-stofflichen Welt, mit den kleinen und großen kulturellen Errungenschaften der Menschheitsgeschichte, mit anderen Menschen und mit sich selbst auseinanderzusetzen.“ (ebd.) Ein zeitgemäßes Verständnis von Bildung lässt sich auf Wilhelm von Humboldt (1767-1835) zurückführen, der diese als „die Anregung aller Kräfte des Menschen [versteht], damit diese sich über die Aneignung der Welt entfalten und zu einer sich selbst bestimmenden Individualität und Persönlichkeit führen.“ (Bax, 2011, o.S.).

Nach Laewen ist „...Erziehung als Tätigkeit des Erwachsenen mit dem Ziel [zu verstehen], alle Kräfte des Kindes [für dessen Selbst-Tätigkeit] anzuregen“ (Laewen, 2002, S. 41). Erziehung ist demnach das Handeln der Pädagogen/innen (oder anderer Erwachsenen) in Bezug auf die Kinder, um sie zu unterstützen und ihnen zu ermöglichen, die Welt zu erforschen und zu entdecken, um sich diese anzueignen, also sich ein Bild von der Welt zu machen. Die Pädagogen/innen müssen sich im Erziehungsprozess Anforderungen und Herausforderungen stellen: sie beeinflussen die Umwelt des Kindes durch die Gestaltung sowohl der Innenräume wie auch der Außenbereiche der Kindertageseinrichtung, mit dem verfügbaren Spiel- und Arbeitsmaterial lenken sie die Aktivitäten der Kinder, bei Angeboten und Projekten geben sie vor, welche Erfahrungen die Kinder mit ihrer Umwelt machen dürfen. Auch wenn die Fachkräfte die Beteiligung der Kinder dabei ermöglichen, in welcher Form auch immer, tragen sie hier die Gesamt- und Letztverantwortung. „Erziehung entscheidet darüber, welchen Ausschnitt der Welt sich das Kind konstruierend aneignen kann.“ (ebd.)

Das Kind erlebt eine Welt, von der es sich eine Vorstellung macht, die nach Laewen nicht eine einfache Abbildung ist, vergleichbar einer Fotografie (vgl. Laewen, 2002, S. 41). Es ist vielmehr eine Konstruktion in den Gedanken und Gefühlen des Kindes, es sind Erklärungen für das, wie es seine Umwelt erlebt (ebd.).

Das Berliner Bildungsprogramm beschreibt „Bildung […als] die Aneignungstätigkeit, mit der sich der Mensch ein Bild von der Welt macht, sie verantwortlich mitgestaltet und sich dadurch als selbstwirksam erlebt“ (Senatsverwaltung, 2014, S. 13).  

Bildung kann immer nur Selbstbildung sein. Kinder müssen, um die Welt zu entdecken und sich diese anzueignen, selbst aktiv sein. Ein Kind kann „…nicht gebildet werden, es kann sich nur selbst bilden. Das heißt aber, dass Erziehung keinen direkten Einfluss darauf hat, welche Art von Welt die Kinder konstruieren.“ (Laewen, 2002, S. 42). Die Tatsache, dass Kinder ihre Deutungen mit anderen Kindern und Erwachsenen teilen, dadurch weiterentwickeln und gemeinsam konstruieren, geht auf den russischen Psychologen Lew Wygotski (*1896, Orscha; +1934, Moskau) zurück. Dieser schuf damit die Grundlagen für das ko-konstruktivistische Bildungsverständnis, welches die Entwicklung des Menschen durch die Beziehung zu seinen Bezugspersonen beschreibt und erklärt.

Beim ko-konstruktiven Lernen öffnet sich das Kind gegenüber Erwachsenen und anderen Kindern und teilt seine Erlebnisse und Deutungen mit diesen. Fhtenakis weist in diesem Zusammenhang nicht nur darauf hin, dass sich „die Ko-Konstruktion [...] aus dem philosophischen Ansatz des Konstruktivismus herausgebildet hat, nach dem man die Welt interpretieren muss, um sie zu verstehen.“ (Fthenakis, 2009, S. 8). Er unterstreicht die Bedeutung des ko-konstruktiven Ansatzes für die Erweiterung des Verständnis- und Ausdrucksniveaus, und damit die Handlungsmöglichkeiten des Kindes. Ko-Konstruktion führt nach seiner Auffassung zu besseren Lerneffekten als die individuelle Konstruktion von Bedeutung (vgl. Fhtenakis, 2009, S. 9).

Im 21. Jahrhundert erleben wir eine Epoche, „die mit Stichworten wie Beschleunigung, Informationsflut und multimedialer Vernetzung beschrieben wird. Damit verbunden sind Erwartungen an die heutigen Arbeitskräfte: Sie sollen räumlich flexibel einsetzbar sein, ihr Wissen stetig erweitern und auf unvorhersehbare Anforderungen spontan reagieren“ (Schmitt/Simon, 2020, S. 9).

Bereits 2001 beschrieb das Bundesjugendkuratorium in seiner Stellungnahme und StreitschriftZukunftsfähigkeit sichern! – Für ein neues Verhältnis von Bildung und Jugendhilfe“ verschiedene Gesellschaftsmodelle wie beispielsweise die Wissens-, Arbeits- und Einwanderungsgesellschaft und erläutert, dass „...diese Gesellschaftsmodelle und Trends […] von den Bürgerinnen und Bürgern komplexe Kompetenzen der individuellen Lebensführung und des sozialen Zusammenlebens [verlangen]… Von Bildung als gesellschaftlicher Bildung hängen entscheidend der Bestand demokratischer Kultur, die Tragfähigkeit des sozialen Zusammenhalts und der gesellschaftlichen Solidarität, die Akzeptanz der zentralen Werte und Regeln der Zivilisation unserer Gesellschaft ab. Nicht allein "Wissen", sondern "Bildung" in einem umfassenden Sinn sichert den Standort Deutschland und die Zukunft unserer Gesellschaft, die ihren Mitgliedern Teilhabe und Selbstbestimmung zugleich sichert (ebd.).

4        Bildung und Lernen im Sozialraum 

          Ansätze einer sozialräumlichen Didaktik und Methodik

 

Die Vielfalt und Besonderheiten der Sozialräume verlangt die Entwicklung einer eigenen Strategie und damit letztendlich eines spezifisch auf den Sozialraum ausgerichteten Handlungskonzeptes. Partizipation und Inklusion sind nach meinem Verständnis als pädagogische Orientierungen im Kontext einer Sozialraum-Pädagogik von zentraler und grundsätzlicher Bedeutung.

Eine sozialräumlich orientierte Pädagogik verlangt auch eine professionelle Haltung als „Kernelement des beruflichen Selbstverständnisses sozialpädagogischer Fachkräfte“ (Gartinger/Janssen, 2020, S. 32), für deren Entwicklung insbesondere die personalen Kompetenzen, also die Sozialkompetenz und Selbständigkeit, wesentlich sind (vgl. Gartinger/Jansen, 2020, S. 32). Diese Aspekte fließen bei der Entwicklung eines didaktischen Modells ein, welches als „Gerüst“ eines sozialräumlichen Handlungskonzeptes aufzufassen ist.

4.1 Sozialräumliche Handlungskonzepte

Unter den bereits vorliegenden Handlungskonzepten wird auf das Aneignungskonzept von Deinet sowie das Konzept der Lebensweltorientierung von Tiersch und Weiß verwiesen.

Das erstgenannte lenkt den Blick auf Jugendliche und versteht deren Verhalten im öffentlichen Raum als „Raumaneignung“, was nicht nur die konkrete Inbesitznahme von Orten bedeutet, sondern neben der Erschießung von gegenständlicher und symbolischer Kultur bis zur eigenständigen Schaffung von neuen Räumen führt. Durch diese aktive Auseinandersetzung mit ihrer Umwelt entwickeln sich junge Menschen (vgl. Deinet, 2014).

Tiersch und Weiß setzen sich dagegen mit der Frage auseinander, welchen Beitrag das Konzept der Lebenswertorientierung für die Weiterentwicklung der Pädagogik in den Kindertagesstätten leisten kann (vgl. Tiersch/Weiß, 2016, S. 65), fokussieren sich demnach deutlicher auf den kindheitspädagogischen Kontext. Dabei unterscheiden sie folgende vier Dimensionen:

  • Orientierung an der Lebenswelt der Kinder,
  • Der Alltag der Kinder als Gestaltungsaufgabe,
  • Die Anerkennung als Prinzip der Interaktion,
  • Soziale Gerechtigkeit als Zielvorgabe.

Gerade dieser letztgenannte Aspekt muss bei der Entwicklung eines sozialräumlichen Handlungskonzeptes, welches die spezifischen Bedingungen des Sozialraumes aufgreift, Berücksichtigung finden. Beide Konzepte können als Diskussionsgrundlage und fachliche Orientierung für die Entwicklung eines eigenen Handlungsrahmens bedacht werden.

4.2 Partizipation und Inklusion

Eine sozialräumlich orientierte Pädagogik ist ohne die aktive Beteiligung und Mitwirkung von Kindern nicht vorstellbar. Es geht dabei nicht um die bloße Teilnahme an einem Angebot, sondern um das Mitbestimmen und Mitgestalten. Im Rahmen der Partizipation [aus dem Lateinischen: participare als „teilnehmen, Anteil haben“ übersetzt] wirkt der Einzelne an für ihn und die Gemeinschaft bedeutsamen Entscheidungen und Entscheidungsverfahren mit. (vgl. Hansen/Knauer/Sturzenhecker, 2011, S. 19).

Die Exploration, die Auseinandersetzung mit und damit Aneignung der konkreten Umwelt im Kontext der sozialräumlich orientierten Pädagogik können nur dann gelingen, wenn Kinder selbst aktiv sind. Das bedingt, dass sie selbst darüber entscheiden, wie und wann sie dies machen. Partizipation steht damit in enger und unmittelbarer Verbindung zur Selbstbildung der Kinder und „[…] fördert die Entwicklung von Kindern […], ihr Erleben von Selbstwirksamkeit und Selbstvertrauen.“ (Gartinger/Janssen, 2020, S. 369).

Partizipation bezieht auch die Eltern mit ein. Denn „das Wissen über die Selbstbildungsprozesse von Kindern im Rahmen von Aneignung und Exploration erfordert […] eine Öffnung hin zu den territorialen Bezügen der Kinder wie die Gestaltung der partnerschaftlichen Zusammenarbeit mit den Eltern. Sich an die Gegebenheiten außerhalb der Einrichtung zu orientieren ist folgerichtig nicht als eine „Orientierung für die Kinder, sondern als deutliche „Orientierung mit den Kindern“ zu definieren.“ (Nolte, 2014, S. 14).

Inklusion ist ebenso wie Partizipation eine für das sozialräumliche Handeln von Kindertagesstätten wesentliche pädagogische Orientierung. Im Kontext einer sozialräumlichen Pädagogik bedeutet dies, „[…] eine Lebenswelt zu schaffen, in der sich Menschen in ihrer Vielfalt begegnen und wertschätzen. Verschiedenheiten (z.B. soziale, sprachliche und körperliche) werden als Chance und Bereicherung der sozialen Gruppe wahrgenommen.“ (Gartinger/Janssen, 2020, S. 368). Die Vielfalt als „Normalfall“ zu betrachten, alle mit einzuschließen, heißt nun auch, dass alle Kinder mitwirken und sich beteiligen können. So betrachtet korrespondiert Inklusion mit Partizipation und ist – bildlich ausgedrückt – dessen „Kehrseite auf derselben Medaille“.

Aus institutioneller Perspektive betrachtet heißt Inklusion nun auch, das gesamte Umfeld der Kita einzubeziehen, sich mit anderen Institutionen zu vernetzen und zu kooperieren im Sinne einer bedarfsorientierten, wechselseitigen Unterstützung und Weiterentwicklung.

4.3 Haltung, Rolle und Aufgaben der pädagogischen Fachkraft

Pädagogisches Handeln basiert auf einer professionellen Haltung, die Nentwig-Gesemann u.a. als

„…Orientierungsmuster im Sinne von handlungsleitenden (ethisch-moralischen) Wertorientierungen, Normen, Deutungsmustern und Einstellungen […] [beschreiben], die pädagogische Fachkräfte in ihre Arbeit und Gestaltung von Beziehungen einbringen. Das Bild vom Kind und das eigene professionelle Rollen- und Selbstverständnis gehören im Kern zu dieser Haltung.“ (Deutsches Jugendinstitut, 2012, S. 10).

Im Kontext der sozialräumlichen Pädagogik formuliert Deinet „eine grundlegende Haltung [… die darin besteht], eine Beobachter- und Forschungsperspektive einzunehmen…“, welche er zugleich als Herausforderung für jene pädagogischen Fachkräfte problematisiert, die jahrelang in bestimmten Stadtteilen arbeiten (vgl. Deinet, o.A., S.47). Problematisch bei der Einnahme einer Beobachterperspektive kann auch die Tatsache sein, dass die pädagogischen Fachkräfte keine „…außen stehenden Beobachter, sondern in den Prozess involvierte Akteure sind.“ (Deinet, o.A., S. 48).

Die Beobachtung und das Verstehen stehen auch für Deinet vor der Kontaktaufnahme und der Intervention: „...Situationen […] beobachten, Räume […] wahrnehmen und solche Wahrnehmungen nicht durch frühzeitige Kontaktaufnahme […] stören.“ (Deinet, o.A., S. 49/50).

Die Wahrnehmung der Einschränkungen, aber auch der Möglichkeiten der Raumgestaltung stellen eine weitere sozialräumliche Haltung der pädagogischen Fachkräfte dar. Die Deutungen, Interpretationen, Handlungen und Tätigkeiten von Heranwachsenden bei der Raumaneignung sind hier das Erkenntnisinteresse. (vgl. Deinet, o.J., S. 54). Deinet erläutert dabei eine Haltung, „...die davon ausgeht, dass an einem Ort unterschiedliche Räume entstehen können, so dass die scheinbare Funktionalität vieler Orte nur begrenzt auf deren existierende Funktionen für unterschiedliche Gruppierungen schließen lässt.“ (Deinet, o.J., S. 54/55). Daraus lässt sich schussfolgern, dass unterschiedliche Gruppen denselben Raum auf verschiedene Art wahrnehmen, aneignen, deuten und (neu) konstruieren.

Den Sozialraum aus Sicht der Kinder und Jugendlichen zu entdecken und wahrzunehmen bedeutet, sie als handelnde und kompetente Experten in ihrer Lebenswelt zu sehen: die Einnahme dieser sozialräumlichen Haltung durch die Fachkräfte ermöglicht nach Deinet die Beteiligung und Mitwirkung von Kindern und Jugendlichen und damit die Realisierung des in der Kinder- und Jugendhilfe so intensiv diskutierten Handlungsprinzips der Partizipation (vgl. Deinet, o.J., S. 56/57). Darüber hinaus betont er eine gendersensible Perspektive, die es ermöglichen soll, die unterschiedlichen Bedürfnisse und Erwartungen sowie Aneignungsverhalten von jungen Menschen unterschiedlicher Geschlechterorientierung wahrzunehmen und zu berücksichtigen.

4.4 Das didaktische Dreieck

Bildungssituationen im Sozialraum sind so zu gestalten, dass diese motivierend und anregend für kindliche Bildungsprozesse sind. Hierbei stehen die individuellen kognitiven, emotionalen psychischen und physischen Voraussetzungen und Fähigkeiten der beteiligten Kinder im Mittelpunkt, zu berücksichtigen sind jedoch auch die zuvor erläuterten pädagogischen Orientierungen der Partizipation und Inklusion sowie die Haltung der pädagogischen Fachkraft. Um nun zu verstehen und zu wissen, wie sozialräumliche Bildungssituationen aufbauend auf diese Faktoren zu gestalten sind, geben didaktische Modelle sinnvolle und hilfreiche Anregungen und Strukturen.

Didaktische Modelle reduzieren nach Reichmann und Kucharz die Komplexität des Lehr-Lern-Prozesses auf die Akteure und den Lerngegenstand, um die gegenseitigen Abhängigkeiten nachvollziehbarer abzubilden und zu erläutern. (vgl. Reichmann/Kucharz, o.J., S. 9).

Zur Veranschaulichung dieser Überlegungen dient das Modell des didaktischen Dreiecks:

Abb. 1 Das didaktische Dreieck neu

Abb. 1: Das didaktische Dreieck (Reichmann/Kucharz, o.J., S. 9).

Aus den von Reichmann und Kucharz vorgestellten und diskutierten Modellen der bildungstheoretischen, lern/lehrtheoretischen, sozialpädagogischen und konstruktivistischen Didaktik hebt sich das letztgenannte ab. Nach meiner Einschätzung ist dieses Modell am besten für eine sozialräumlich orientierte Pädagogik geeignet, da diesem das ko-konstruktivistische Bildungsverständnis zugrunde liegt.

Bei diesem spielt die Gemeinschaft mit der sozialen Interaktion eine wesentliche Rolle, jedoch steht das Kind als lernendes Subjekt im Mittelpunkt der Betrachtung und des pädagogischen Geschehens. Die Beziehung Pädagoge/in - Kind geht demnach in der sozialen Gemeinschaft auf und ist nicht mehr hervorgehoben. Die Bildung liegt also beim Kind, welches autonom handelt. Der/die Pädagoge/in gestaltet nach diesem Verständnis eine anregende und motivierende Lernumgebung und ermöglichst so Bildungsprozesse. Das Kind setzt sich aktiv mit seiner Umwelt auseinander, es teilt seine Erkenntnisse und Erlebnisse mit anderen Kindern und auch mit Erwachsenen einschließlich des/der Pädagogen/in. In diesen aufeinander bezogenen Interaktionen ko-konstruiert das Kind seine Erkenntnisse und sein Verständnis von Welt. (vgl. Reichmann/Kucharz, o.J., S. 14). Dieses Bildungsverständnis verdeutlicht sich im nachfolgenden Schaubild:

Abb. 2 Das didaktische Dreieck in der konstruktivistischen Didaktik ne

Abb. 2: Das didaktische Dreieck in der konstruktivistischen Didaktik. (Reichmann/Kucharz, o.J., S. 15).

Auf der Grundlage dieser didaktischen Überlegungen, Ausführungen und Haltungen schließen sich im nachfolgenden Kapitel Anregungen und Handlungsempfehlungen für eine entdeckende, erforschende pädagogische Praxis im Sozialraum an.

5        Bildung und Lernen in der Praxis

          Entdeckungen und Erkundungen im Sozialraum

 

5.1. didaktisch-methodische Planung

Sozialräumliche Vorhaben und Projekte einer Kindertagesstätte müssen gut geplant und vorbereitet werden.

Das „Verlaufsmodell der didaktischen Arbeit“ von Martin ist dabei ein hilfreiches Instrumentarium für eine strukturierte und fachlich fundierte Planung und Vorbereitung solcher Projekte (vgl. Martin, 2005, S. 61). Dieses Modell umfasst folgende Prozessschritte:

  1. „Analyse (mit den Teilschritten „Beschreiben“ und „Erklären“)
  2. Planen („Entscheiden“ und „Vorbereiten“)
  3. Handeln (praktisches Umsetzen der Planung)
  4. Auswerten (Kontrollieren, Evaluieren, das in die erneute Analyse einmündet)“ (Martin, 2005, S. 57).

Die nachfolgenden Handlungsschritte basieren auf diesem Modell, erweitert aufgrund eigener langjähriger Projekterfahrungen um die Zielsetzungen, deren Bedeutung im Rahmen der didaktisch-methodischen Vorgehensweise unterstreichend.

Abb. 3 Eigene Darstellung in Anlehnung an Verlaufsmodell der didaktischen Arbeit

Abb. 3: Eigene Darstellung in Anlehnung an „Verlaufsmodell der didaktischen Arbeit“ (Martin, 2005, S. 61).

Die Vorbereitung sozialräumlicher Projekte und Vorhaben beginnt mit der Situationsanalyse, in deren Kontext die Sozialraumanalyse stattfindet. Dabei steht der zu entdeckende und erforschende Sozialraum bzw. die Lebenswelt im Fokus. Die beteiligten Kinder, ihre Individualität, ihre Erwartungen, Bedürfnisse und Interessen sind in der Situationsanalyse das zentrale Moment.

Für eine sozialräumliche Analyse spannt der von Blankenburg und Rätz-Heinrich vorgestellte Fragenkatalog einen weiten Bogen von den ökonomischen, sozialen wie auch kulturellen Potentialen der Kinder bis zur Wohnbevölkerung und den entsprechenden demografischen Faktoren, dem sozialen und politischen Klima im Sozialraum, dessen Bebauungs- und Verkehrsinfrastruktur und den Nutzungsmöglichkeiten des Raumes für Kinder. Die Autorinnen beziehen dabei auch den Aspekt der Sozialen Ungleichheit in ihre sozialstrukturelle Analyse mit ein (vgl. Blankenburg/Rätz-Heinrich, 2009, S. 170/171).

Im Rahmen von pädagogischen oder einrichtungsbezogenen Konzeptionen wie auch bei Bildungsplänen, z.B. dem Berliner Bildungsprogramm, sind die Zielsetzungen überwiegend darauf ausgerichtet,“…vom jüngsten Alter an jene Kompetenzen zu stärken und zu fördern, die es den Heranwachsenden ermöglichen, ihr Leben in einer Welt voller Chancen und Risiken eigenverantwortlich zu gestalten und sich engagiert am Zusammenleben zu beteiligen […]“ (Senatsverwaltung für Bildung, Jugend und Wissenschaft, 2014, S. 27).

Die nachfolgenden, ausgewählten didaktischen Prinzipien sind bereits bei der Planung und Vorbereitung sozialräumlich orientierter Bildungsangebote zu beachten und geben diesen einen kindgerechten Orientierungsrahmen.

5.2. Didaktische Prinzipien

Didaktische Prinzipien dienen Lehrenden als grundlegende „Handlungsleitlinien“, so dass mit ihrer Hilfe die Ziele, Inhalte, Methoden und Medien von Lernsettings angemessen ausgewählt werden können. Dabei gelten kategoriales Lernen, exemplarisches Lernen, Kontroversitätsprinzip, Problemorientierung, Schülerorientierung, Handlungsorientierung und Wissenschaftsorientierung als die bekanntesten Prinzipien, ergänzend werden Alltagsorientierung, Erfahrungsorientierung, Biografieorientierung und Ganzheitlichkeit genannt (vgl. Gloe, 2020, S. 120).

Für den kindheitspädagogischen Kontext sind nachfolgende Prinzipien geeignet und passend:

  • die Anschaulichkeit im Sinne von ganzheitlichem Lernen mit allen Sinnen,
  • die Lebensnähe, d.h. in der Lebenswelt der Kinder kontextualisiert,
  • Partizipation, basierend insbesondere auf Artikel 12 der UN-Kinderrechtskonvention und §1, SGB VIII,
  • die Selbsttätigkeit als aktives, selbständiges Handeln des Kindes,
  • die Teilschritte des Bildungsangebotes, um dieses einfacher und nachvollziehbarer zu gestalten,
  • die Zielgruppenorientierung, welche u.a. die Interessen, Bedürfnisse, Fähigkeiten der Kinder berücksichtigt,
  • die Freiwilligkeit, welche die Motivation der Kinder voraussetzt.

6        Zusammenfassung

In Kindertageseinrichtungen verbringen die meisten Kinder einen erheblichen Teil ihres Alltages. Als Bildungsorte für Kinder haben Kitas die Chance und gleichzeitig die Aufgabe, diese auf die Teilhabe, Mitwirkung und Mitgestaltung der gegenwärtigen und zukünftigen Gesellschaft vorzubereiten. Durch die Ausweitung der pädagogischen Angebote und Projekte „über die Kitamauern hinaus“ in den Sozialraum hinein beziehen die pädagogischen Fachkräfte die Erlebenswelten sowie die familiären und gesellschaftlichen Lebenswirklichkeiten der Kinder mit ein. Diese Öffnung wird gestützt durch den rechtlichen Rahmen des Sozialgesetzbuches VIII. Der sozialräumlich orientierten Pädagogik liegt das ko-konstruktivistische Bildungsverständnis zugrunde, da hier das Kind mit seiner Aneignungstätigkeit und in seinen sozialen und kulturellen Bezügen im Mittelpunkt steht.

Entscheidend für das Gelingen dieser Sozialraum-Pädagogik wird neben den erforderlichen organisatorischen wie personellen Rahmenbedingungen die Haltung der pädagogischen Fachkräfte sein. Diese müssen den Kindern mit einer unvoreingenommenen, offenen, interessierten und zugewandten Haltung begegnen, auf deren Grundlage ein eigenes sozialräumliches Handlungskonzept entwickelt wird, das zu den Menschen und den spezifischen Bedingungen vor Ort passt.

7        Literatur und Empfehlungen zum Weiterlesen

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Autoreninfo

Jochen Schäfer, Diplom-Sozialpädagoge (FH), ist Dozent an der Fachschule für Sozialpädagogik der Stiftung SPI (Berlin) und Lehrbeauftragter im Studiengang „Erziehung und Bildung in der Kindheit“ an der Alice Salomon Hochschule Berlin

Als Stadtführer führt er darüber hinaus bei interreligiösen und politischen Stadtspaziergängen in Stadtviertel mit sehr unterschiedlich geprägten sozialen Milieus in Berlin.