Zitiervorschlag

In: Welt des Kindes 1997, 75 (3), S. 40-45

Ausbruch aus dem Alltagstrott. Projektarbeit - eine Methode zur Öffnung des Kindergartens

Martin R. Textor

 

Immer wieder treffe ich auf frustrierte Erzieher/innen, denen ihre Arbeit langweilig geworden ist: jeden Tag derselbe Trott, dieselben Kinder, ähnliche Aktivitäten. Der Tagesablauf, die Beschäftigung der Kinder sowie der Umgang mit ihnen und ihren Eltern sind zur Routine geworden. Neue Herausforderungen, neuartige Erfahrungen, Abenteuer und Kontakte zu anderen Erwachsenen werden vermisst. Vor allem berufserfahrene ältere Erzieher/innen sind mit dieser Situation unzufrieden.

Projektarbeit und die Öffnung des Kindergartens zu seinem natürlichen, sozialen, wirtschaftlichen und kulturellen Umfeld hin bieten am ehesten die Möglichkeit, aus dem Alltagstrott auszubrechen und neue Wege zu gehen. Planung und Durchführung von Projekten bringen Abwechslung in das Leben von Erzieher/innen, fordern ihre Kreativität und ihr Organisationstalent, lassen sie in Beziehung zu anderen Erwachsenen treten und führen zu neuen Erlebnissen, Erfahrungen und Erfolgen. Nebeneffekte von Projekten sind die Intensivierung der Elternarbeit, ein positiveres Bild von der Kindergartenarbeit auf Seiten der Eltern, mehr Achtung und Respekt gegenüber Erzieher/innen sowie die Verbesserung der Öffentlichkeitsarbeit.

Hierzu ein Praxisbeispiel (Kellner 1995, S. 7): Es war Herbst. "Ich konnte mir schon gut vorstellen, welche Betriebsamkeit nun bald in den Gruppen unseres Kindergartens herrschen würde. War es nicht immer so im Herbst? Blätter sammeln, Früchtemännchen basteln, Herbstfest vorbereiten... In diesem Jahr wollte ich etwas anderes. Mir fehlte nur noch die richtige Idee. Die stellte sich nach einem Spaziergang zu unserem Storchennest fast von selbst ein. Das Storchenpaar, oft beobachtet und von allen Kindern geliebt, war nicht mehr da. Enttäuscht und ein bisschen traurig gingen wir zum Kindergarten zurück. 'Ob sie in den Süden geflogen sind?' fragte Sandra. Sicher nach Afrika wussten andere Kinder. Afrika, das war es! Wir bastelten große Störche für den Gruppenraum. Frei schwebend flogen sie an der Decke, sehr zur Freude der Eltern... Afrika, das wird doch nichts, vermuteten einige Kolleginnen. Das ist viel zu weit weg und wie sollen das die Kinder erfassen. Aber gerade darum ging es mir. Die Kinder sollten Afrika anschaulich erleben von ihrem Gruppenraum aus. Auf einer Landkarte verfolgten wir den Weg der Störche bis nach Afrika. Auf einem Globus suchten die Kinder Afrika. Wir stellten uns die Frage, welche Tiere werden unsere Störche wohl in Afrika treffen? Dazu malten wir gemeinsam eine Riesenlandkarte, die an einer freien Wand befestigt wurde. In Zeitschriften suchten die Kinder Tierbilder, schnitten sie aus und klebten sie auf die Landkarte. Nun wollten wir herausfinden, welche Bäume und Pflanzen es dort gibt. Dabei halfen uns die Muttis und Vatis. Es häuften sich nicht nur Bananen und Apfelsinen, sondern auch weniger bekannte Früchte, aus denen wir einen exotischen Fruchtsalat bereiteten. Gespannt waren alle auch darauf, ein afrikanisches Lied zu lernen. Alfonsina mtoto mzuri - ein Lied von einem ganz klugen Kind. Viele Geschichten und Märchen fand ich zu diesem Thema. Aus Büchern erfuhren wir, wie die Menschen in Afrika leben, wie sie aussehen, was sie für Sachen anhaben usw. Auch von meiner Reise nach Marokko konnte ich den Kindern berichten. Ein Vati, früher Seemann, brachte uns Erinnerungsstücke mit. Das war der Grundstein für eine Ausstellung. Die Unterstützung der Eltern bei diesem Projekt muss unbedingt erwähnt werden. Sie planten mit ihren Kindern einen Zoobesuch. Sie brachten Bildmaterial mit und Früchte. Sie hatten Phantasie beim Verkleiden und Kostümieren der Kinder. Sie hatten gemeinsam mit ihren Kindern Spaß. Jeder Tag brachte uns neue Ideen und ich glaube, Afrika wird uns noch eine Weile beschäftigen...".

Projektarbeit ist aber nicht nur interessant und abwechslungsreich aus der Sicht der Erzieher/innen und Eltern, sondern auch pädagogisch wertvoll, insbesondere wenn man von der Lebenssituation heutiger Kleinkinder ausgeht. Vor allem ältere Kinder, die nun schon das dritte Jahr im Kindergarten sind, erleben den Tagesablauf und die Aktivitäten als langweilig und eintönig. Im Extremfall lernen sie nun schon zum dritten Mal dieselben Muttertags- und Weihnachtsgedichte, dieselben Lieder und Beschäftigungen. Sie haben alle Spielsachen und Materialien schon zigmal verwendet. Aus Frustration und Unterforderung können sie sogar verhaltensauffällig werden! Hinzu kommt, dass Kinder in vielen Tageseinrichtungen, insbesondere wenn sie diese ganztags besuchen, von der Erwachsenenwelt, von dem natürlichen und soziokulturellen Umfeld isoliert sind. Sie leben sozusagen auf einer kleinen Insel, um die herum das Leben tost und brodelt, aber fremd bleibt und damit undurchschaubar ist. Sinneserfahrungen, Naturerlebnisse, Kontakte zu Jugendlichen oder älteren Menschen, körperliche Bewährung usw. sind selten. Zudem werden Kleinkinder in der Sonderumwelt "Kindergarten" überwacht und kontrolliert, zum Konsum pädagogischer Angebote erzogen. Die Erzieher/innen planen und organisieren alles, haben die Hauptverantwortung.

Ziele und Vorteile der Projektarbeit

Gerade die Projektarbeit eignet sich sehr gut dazu, aus dieser Situation auszubrechen. Dies verdeutlicht das folgende Praxisbeispiel von Carmen Wagner (aus Textor 2013, S. 48-52): "Den Artenreichtum und die Vielfalt des Waldes wollten wir mit unseren Kindergartenkindern erkunden, zumal es in nächster Nachbarschaft unseres eingruppigen Dorfkindergartens Waldgebiete gibt. Unser erster Waldspaziergang sollte den Kindern mögliche Ängste vor dem 'finsteren Wald' nehmen und ihre Neugier wecken, diesen Lebensraum von Pflanzen, Tieren und Insekten zu erforschen. Bei jedem der folgenden Ausflüge konnten wir dann beobachten, wie die Entdeckungsfreude der Kinder wuchs. So fanden sie Spuren eines Tieres, eines Traktors oder eines Wanderers auf regennassem oder sumpfigem Erdboden. Sie sammelten Pflanzenteile, Steine, Zapfen und andere Naturmaterialien. Sobald ein Kind eine Neuentdeckung machte, teilte es diese der ganzen Gruppe mit.

Viele unserer Funde nahmen wir in den Kindergarten mit, um mit ihnen zu basteln oder um unsere Sammlungen zu ergänzen. So pressten und trockneten wir Blätter und Pflanzenteile. Anhand unserer Bestimmungsbücher versuchten wir, ihre Bezeichnungen zu ermitteln. Viele der getrockneten Blüten und Pflanzen hängten wir in unserer Eltern-Informationsecke auf, damit auch die Eltern ihre Biologiekenntnisse auffrischen konnten. So kamen wir immer mehr Geheimnissen des Waldes auf die Spur.

Während unserer Spaziergänge führten wir Gespräche z.B. darüber, dass es Laub-, Nadel- und Mischwälder gibt, welche Tiere im Wald leben, dass der Waldboden vielen kleinen Lebewesen Unterschlupf bietet und dass der Wald als Sauerstoffspender, Wasserspeicher, Holzlieferant, Schattenspender und Erholungsort lebenswichtig ist. Wir wanderten sogar bei Regen durch den Wald, um festzustellen, dass manche Bäume fast den Zweck eines großen Regenschirms erfüllen.

Als wir eines Tages wieder so durch den Wald marschierten, lauschten wir einem 'frohen Tierkonzert', das in der Ferne wahrscheinlich von Gänsen und Ziegen veranstaltet wurde. Die Kinder stimmten ein, und es war ein gut gelaunter Gänse-Ziegen-Kinder-Chor zu hören. Natürlich wollen wir dann die 'Quelle' der Musik ausfindig machen. So spitzten wir unsere Ohren, um festzustellen, aus welcher Richtung die Tierlaute kamen. Wir änderten unsere Route und schritten tatenkräftig unserem neuen Ziel entgegen.

So fanden wir - nicht weit von unserem Kindergarten entfernt - ein kleines Gehöft, das ein alter Mann bewohnt. Er hieß uns herzlich willkommen und zeigte uns dann seine Ziegen, Gänse und Perlhühner sowie seinen Fischteich. Die Kinder durften die zahmen Tiere streicheln und füttern. Sie waren besonders begeistert von den kleinen Eiern der Perlhühner. Seit diesem Tag ist unsere 'Farm' ein beliebtes Ausflugsziel.

Eines Tages lud uns der alte Mann zum Pilzesammeln ein. Die Kinder waren von der Idee sofort begeistert, und so vereinbarten wir mit ihm einen Termin. Ausgerüstet mit Körben und Messern 'stürzten wir uns ins Vergnügen'. Der alte Mann führte uns zu einer wahren 'Schwammerl-Fundgrube', wo Rotkappen, Maronen und Steinpilze wuchsen. Wir unterwiesen die Kinder, wie die Pilze abgeschnitten werden müssen. Auch verglichen wir genießbare mit giftigen Pilzen und stellten fest, durch welche Merkmale sie sich unterscheiden. Dann begannen wir mit dem Pilzesammeln - und innerhalb einer knappen Stunde wurden die Körbe bis zum Rand gefüllt.

Im Kindergarten betrachteten, befühlten und beschnupperten wir unsere 'Schätze'. Dann suchten wir sie in unseren Bestimmungsbüchern und überzeugten uns nochmals von ihrer Genießbarkeit. Wir überlegten gemeinsam, was für ein Gericht wir aus den Pilzen zubereiten möchten, und einigten uns schließlich auf eine Suppe. Eine Mutter bot sich an, uns am nächsten Tag bei der Zubereitung zu helfen. Das Putzen und Kochen der Pilze sowie der Verzehr der Pilzsuppe füllte fast den ganzen folgenden Kindergartentag aus.

Das große Interesse der Kinder an der Natur bewog mich, unsere Entdeckungsreise durch den Wald noch zu vertiefen. Ich nahm Kontakt mit Herrn Z. vom Bund Naturschutz auf und vereinbarte mit ihm einen Termin, an dem er nach Büchlberg kommen und einen 'Wald-Spiel-Tag' anleiten sollte. Am vereinbarten Tag begleitete uns noch eine Mutter als vierte Aufsichtsperson.

Zuerst wurde ein kleines Waldstück ausgesucht, das besonders viele Vegetationsformen aufwies, und mit Schnüren abgegrenzt. Hier sollte unser 'Wald-Spiel-Tag' stattfinden. Herr Z. erklärte uns dann ein Spiel nach dem anderen auf kindgemäße Weise - und wir machten uns gleich daran, es auszuprobieren. Zuerst wurden die Kinder aufgefordert, Paare zu bilden. Einem der beiden Kinder wurden dann die Augen verbunden. Sein Freund führte ihn zu irgendeinem Baum, dessen Stamm es dann betasten, befühlen und beschnuppern sollte. Anschließend wurde es zum Ausgangspunkt zurückgebracht. Die Augenbinde wurde abgenommen - ob das Kind mit offenen Augen 'seinen' Baum wiederfinden würde? Einigen Kindern gelang dies - zumal wenn sie von früheren Ausflügen her wussten, dass z.B. Buchen eine glatte Rinde haben und sich dann bei der Suche nach 'ihrem Baum' auch an den Blättern orientieren konnten. Alle Kinder lernten aber, Bäume mit allen Sinnen zu erfassen, sie aufgrund ihrer Charakteristika voneinander zu unterscheiden und sie zu benennen.

Als nächstes wurden allen Kindern die Augen verbunden. Sie mussten einander an die Schultern fassen und bildeten so eine 'Riesenschlange'. An ihren Anfang und ihr Ende traten zwei Erwachsene mit unverbundenen Augen, die dann die Schlange vorsichtig durch das Waldstück führten. Die Kinder lernten, die Beschaffenheit des Waldbodens bewusst wahrzunehmen (die Empfindungen sind natürlich noch deutlicher, wenn sie zuvor die Schuhe ausgezogen haben und barfuß gehen. Das setzt aber voraus, dass der Weg der 'Riesenschlange' zuvor festgelegt und nach spitzen Gegenständen abgesucht wurde). Auch erlebten die Kinder ein Zusammengehörigkeitsgefühl und erfuhren, dass die 'Schlange' auseinanderbricht, wenn ein Kind die Schultern des anderen loslässt - wichtige Erfahrungen für ihre soziale Entwicklung.

Während die 'Riesenschlange' durch den Wald stapfte, versteckte Herr Z. Fichtenzapfen, Federn von einem Bussard und einer Eule, ein Dachsgebiss, Hasen- und Rehkot. Später erzählte er uns, er habe eben diese Tiere 'getroffen', sie würden uns aber nicht besuchen können. Die Kinder fragten natürlich sofort 'Warum?', kamen aber selbst auf die Antwort, dass Waldtiere und Vögel Angst vor Menschen haben. Herr Z. sagte dann, dass die Tiere aber verschiedene Sachen zurückgelassen hätten, die die Kinder jetzt suchen sollten. Mit ihren durch die vielen Walderkundungen geschulten Beobachtungsfertigkeiten fiel es ihnen nicht schwer, die versteckten Gegenstände zu finden.

Wir betrachteten dann die Vogelfedern genau und suchten sie in einem mitgenommenen Bestimmungsbuch über Waldvögel. Nachdem wir sie identifiziert hatten, demonstrierte uns Herr Z. das unterschiedliche Fluggeräusch der Bussard- und der Eulenfeder. Er bewegte sie schnell hin und her und forderte die Kinder auf, genau hinzuhören. So erkannten wir, dass im Gegensatz zum Bussard die Eule ganz leise fliegt. Mit Hilfe der Erwachsenen fanden die Kinder die Erklärung hierfür: Eulen sehen schlecht und müssen sich folglich auf ihr Gehör verlassen. Wäre ihr Fluggeräusch zu laut, würden sie ihre Beutetiere nicht hören können. Diese Aktivität förderte die Beobachtungsfähigkeiten der Kinder und vermittelte ihnen auf interessante Weise Kenntnisse über Waldtiere.

Anschließend wurde jedes Kind zu einem Eichhörnchen erklärt. Es erhielt 12 Nüsse, die es verstecken sollte. Kurz darauf wurden die Kinder aufgefordert, zunächst zwei, dann drei, dann fünf (usw.) Nüsse wiederzufinden (nicht nur eigene!). Wer die jeweilige Aufgabe nicht lösen konnte, schied aus. Hier lernten die Kinder, sich in die Situation von Eichhörnchen hineinzuversetzen, die Notwendigkeit des Anlegens von Wintervorräten zu erkennen und aus der Tatsache, dass manche versteckte Nuss nicht wiedergefunden wurde, zu schließen, dass Eichhörnchen auf diese Weise zur Verbreitung von Nussbäumen beitragen. Es wurde deutlich, dass Tiere und Pflanzen oftmals eine Lebensgemeinschaft bilden und aufeinander angewiesen sind.

Danach hatten wir noch für zwei Aufgaben Zeit: Zunächst gingen wir mit einer Schale und einem Sieb auf die Suche nach Kleinstlebewesen. Wir gaben eine Handvoll Erde in das Sieb, in dem größere Erdbrocken liegenblieben. Kleine Krümel und Insekten fielen hingegen in die Schale. Letztere betrachteten wir zunächst mit der Lupe und anschließend unter dem Mikroskop. Die Kinder waren ganz begeistert, als sie feststellten, wie viele Kleinstlebewesen im Erdboden leben, dass diese ganz unterschiedlich aussehen, dass sie oft wunderschöne Farben tragen, wie sie sich bewegen und dass unter dem Mikroskop Einzelheiten zu erkennen sind, die man mit bloßem Auge nicht sehen kann. Wir versuchten, die Insekten nicht zu verletzen, und gaben sie nach der Untersuchung der Natur zurück. Bei dieser Aktivität entwickelten die Kinder viel Entdeckungsfreude und Lust am Forschen, aber auch Verantwortung für Kleinstlebewesen, mit denen sie ganz behutsam umgingen. Sie erlernten den Umgang mit Lupe und Mikroskop - Instrumente, die wir auch später immer wieder einsetzten, um z.B. kleine Steinchen oder Pflanzenteile zu betrachten oder ein Rasenstück zu untersuchen.

Das letzte Spiel an diesem Tag ließ uns den Wald auf ganz neue Weise erleben. Herr Z. gab jedem von uns einen Handspiegel. Wir mussten ihn waagrecht unter das Kinn halten. Dann wurden wir in der uns bereits bekannten 'Schlangenformation' durch den Wald geführt - und sahen immer die Baumkronen. Das war ein wundervolles Erlebnis, wenn auch immer wieder Kinder riefen: 'Hilfe, ich falle 'runter!' Man hat das Gefühl, auf der Spitze eines Baumes zu sitzen. Wenn da einer nicht schwindelfrei ist...

Die uns begleitende Mutter schrieb in unserem Elternbrief über den 'Wald-Spiel-Tag': 'Dieser Ausflug hat uns viel Spaß gemacht und uns spielerisch mit allen Sinnen ein Stück Natur - unseren Wald - nähergebracht. Ich habe für mich festgestellt, dass es sich lohnt, die Kinder bei ihren Unternehmungen zu begleiten und zu beobachten. Sie reagieren sehr spontan und natürlich - es ist eine Freude, ihnen zuzuschauen. Das Kindergartenpersonal und die Kinder freuen sich über jeden Erwachsenen, der Zeit und Lust hat, sie bei ihren Unternehmungen zu begleiten!'"

Was lernen Kinder bei Projekten, was sind die Vorteile der Projektarbeit? Hierauf gibt es viele Antworten, wobei nachfolgende natürlich nicht auf alle Projekte zutreffen:

  1. Analog zum Situationsansatz findet ein Lernen für Lebenssituationen statt, an Orten im und vor allem außerhalb des Kindergartens. Die Kinder gewinnen Erlebnis- und Lernfelder am Wohnort zurück. Sie entdecken ihre Umgebung, lernen Geschäfte, Betriebe, kulturelle Einrichtungen und viele andere Menschen kennen. Zugleich werden sie in ihrer Region heimisch, entwickeln ein Heimatgefühl.
  2. Die Kinder werden mit bei weitem mehr Lernanreizen, Herausforderungen und Erfahrungsmöglichkeiten als sonst konfrontiert. Sie erarbeiten sich selbsttätig neue Kenntnisse, erreichen ein besseres Verständnis von der Natur und der Erwachsenenwelt, lernen bisher unbekannte Begriffe und erweitern ihr Repertoire an sozialen und kommunikativen Fertigkeiten durch den Kontakt mit fremden Menschen aus allen Altersgruppen und Lebenslagen.
  3. Durch den fortwährenden, aber immer auf ein bestimmtes Thema bezogenen Wechsel von Gruppendiskussionen, Besichtigungen, Experimenten, Rollenspielen, Mal- und Bastelaktivitäten findet ein spiralförmiges Lernen statt. Die Kinder dringen immer tiefer in die jeweilige Thematik ein, lernen je nach verwendeter Methode andere Aspekte kennen. Beobachtung, Erforschen, Erfahrung, Reflexion, Gesprächsaustausch, Handeln, Bewegung, Gesang und kreativer bzw. künstlerischer Ausdruck bauen aufeinander auf, stimulieren einander und stehen in Zusammenhang mit dem Projektthema - im Gegensatz zur üblichen Kindergartenpraxis, bei der Beschäftigungen und Aktivitäten wenig Bezug zueinander haben.
  4. Durch die verschiedenen Methoden, die im Rahmen von Projekten eingesetzt werden, erfolgt eine ganzheitliche Förderung der Kinder - ihrer kognitiven, sozialen, emotionalen, kreativen, motorischen und Persönlichkeitsentwicklung. Die Abwechslung und Vielfältigkeit der Aktivitäten erhöhen die Zufriedenheit und das Wohlbefinden der Kinder.
  5. Bei Projekten haben Kinder viele Entscheidungsfreiheiten und Mitbestimmungsmöglichkeiten. Sie konsumieren kein vorgegebenes Angebot, sondern prägen den Projektablauf durch ihre Ideen und Vorschläge mit. Da verschiedene Vorstellungen und Wünsche aufeinander abgestimmt werden müssen, werden Verhandlungsgeschick, Konfliktlösungsfähigkeiten und Kompromissbereitschaft gefördert. Die Kinder können alle ihre Fähigkeiten und Fertigkeiten einbringen. Sie verantworten und überwachen ihr Handeln und Lernen selbst, was zu mehr Selbständigkeit und intrinsischer Motivation führt. Da die Projektaktivitäten unterschiedlich komplex und schwierig sind, finden auch jüngere oder minderbegabte Kinder genügend Möglichkeiten, um sich einzubringen und Anerkennung zu erfahren. Die Zusammenarbeit und das Zugehörigkeitsgefühl zur Gruppe werden gefördert.

Projektthemen

Es gibt Hunderte verschiedener Projektthemen, die mit Kleinkindern angegangen werden können. In dem von mir verfassten Buch "Projektarbeit im Kindergarten: Planung, Durchführung, Nachbereitung" (Textor 2020) stellte ich eine Vielzahl von Projekten vor, wobei sich die Themen auf alle Bereiche und Aspekte unserer Lebenswelt bezogen. Je nach den Bedingungen vor Ort bieten sich aber manche Themen mehr und andere weniger an. Beispielsweise dürfte es in einer Großstadt schwierig sein, ein längerfristiges Projekt zur Erkundung von Mooren durchzuführen, dürfte in einer süddeutschen Gemeinde die Besichtigung eines Fischkutters und einer Fischfabrik unmöglich sein. Aber selbst in der Großstadt kann es durchaus machbar sein, ein kleines Feuchtbiotop im Außengelände des Kindergartens anzulegen oder gemeinsam ein Terrarium einzurichten und dann Naturbeobachtungen durchzuführen. Der Anbau von Gemüsesorten und Feldfrüchten ist auch auf einem Gartenbeet möglich; das gemeinsame Ernten wird dem im Kindergarten gefeierten Erntedankfest neuen Sinn geben. Bei allen Projekten werden aber - trotz unterschiedlicher Themen - ähnliche Fähigkeiten und Fertigkeiten gelernt. Nur die erworbenen Kenntnisse hängen vom Projektthema ab; hier gilt das Prinzip des exemplarischen Lernens.

Ein weiteres Praxisbeispiel (Sorg 1995) soll vor allem die Außenwirkung von Projekten verdeutlichen: Das Projekt "Lebenssituationen von Kindern in unserem Ort" sollte zu einer Foto- und Bilderausstellung führen. Die Fotos wurden auf Spazier- und Erkundungsgängen der Gruppe gemacht und von der Höhe der Kleinkinder aus aufgenommen. Sie zeigten Orte, wo sich Kinder aufhalten und spielen, aber auch solche wie Straßen und Übergänge, wo sie gefährdet sind. So sollten Möglichkeiten und Grenzen des Kinderlebens am Ort verdeutlicht werden. Parallel dazu malten die Kinder Bilder über die Ausflüge und darüber, wo sie gerne spielen, wo sie wohnen und wie sie sich ihr Traumhaus vorstellen. Fotos und Bilder wurden in der Aula der Grundschule ausgestellt. Sie konnten auch während der Schuleinschreibung besichtigt werden, so dass mehr Eltern sie sahen und die ehemaligen Kindergartenkinder gleich etwas von sich in der Schule entdeckten. Zur Ausstellungseröffnung wurden alle Institutionen und Personen eingeladen, mit denen der Kindergarten kooperierte. Dadurch wurde nicht nur der Kontakt zu ihnen intensiviert, sondern die Besucher nahmen auch ihren Wohnort aus der Sicht von Kindern wahr.

Der Ablauf von Projekten

Die Projektinitiative geht entweder von den Kindern oder den Erzieher/innen aus, ergibt sich aus einer Situation, ist spontan oder geplant. Der Anlass für ein Projekt "Krankenhaus" kann z.B. die Einlieferung eines Kindergartenkindes in ein Hospital sein. Ob ein mögliches Thema gewählt wird, hängt dann von Faktoren wie der Bedeutung für das Kinderleben, der Vielfalt der sich aus ihm ergebenden Lernmöglichkeiten, der Jahreszeit oder dem Vorhandensein benötigter Ressourcen, Materialien und Gegenständen ab. Auf jeden Fall sollte die Projektinitiative möglichst früh in der Gruppe besprochen werden, so dass gemeinsam über das Weiterverfolgen der Idee entschieden werden kann.

Insbesondere längerfristige und viele Außenkontakte umfassende Projekte sollten von den Erzieherinnen gründlich geplant und vorbereitet werden. Es ist sinnvoll, mit einem Brainstorming bzw. einer Ideensammlung zu beginnen. Es verdeutlicht, welche Aspekte beim Projekt "Krankenhaus" zu berücksichtigen sind. Für die weitere Planung wird dann ersichtlich, welche Bereiche eines Hospitals besichtigt, mit welchen Mitarbeiter/innen gesprochen und welche Materialien wie z.B. Mullbinden oder Fieberthermometer besorgt werden könnten. Auch wird deutlich, welche Anschlussprojekte denkbar sind - in unserem Fall z.B. über Hausärzte oder Krankentransporte. Anschließend kann der Ablauf des Projekts erarbeitet werden und in einer Projektskizze oder sogar einem ausführlichen Projektplan niedergelegt werden. Allerdings muss beachtet werden, dass Kleinkinder sehr spontan sind und oft ganz andere Aspekte oder Themen weiterverfolgen wollen als vorgesehen. Die Projektskizze muss also hierfür Raum lassen. Die weitere Vorbereitung umfasst dann die Kontaktaufnahme mit den gewünschten Ansprechpartnern und eine Vorbesichtigung des Krankenhauses. Ferner können bereits Eltern angesprochen und um Mitarbeit bzw. Bereitstellung benötigter Gegenstände gebeten werden. Bei einem Besuch in der Stadtbücherei werden relevante (Bilder-) Bücher besorgt. Auch Apotheken können oftmals interessante Gegenstände zur Verfügung stellen.

Wurde das Projekt ausschließlich von den Erzieher/innen geplant, gilt es in der Anfangsphase zunächst, das Interesse der Kinder an der jeweiligen Thematik zu wecken und eine längerfristige Motivation zu bewirken. Das ist bei Kleinkindern relativ leicht, da sie von Natur aus neugierig sind und ihre Aufmerksamkeit leicht durch neuartige Situationen, Objekte, Bilder, Geschichten oder Ideen erreicht wird. Zumeist bietet es sich an, anschließend im Gespräch ihren Kenntnisstand und ihre Vorstellungen zu der jeweiligen Thematik sowie ihre bisherigen Erfahrungen zu erfassen. So kann z.B. beim Projekt "Krankenhaus" gefragt werden, welche Kinder schon einmal im Hospital waren oder dort andere Personen besucht haben. Daran schließen sich sinnvollerweise praktische Aktivitäten wie Malen, Basteln oder Rollenspiele an. Beispielsweise können die Kinder gemeinsam eine Bildergeschichte "Wie Matthias ins Krankenhaus kam und was er dort erlebte" gestalten.

Spätestens an dieser Stelle sollten die Eltern über das Projekt informiert und so weit wie möglich oder gewollt in die Arbeit eingebunden werden. Beim Projekt "Krankenhaus" können die Kinder z.B. mit dem Auftrag nach Hause geschickt werden, ihre Eltern zu fragen, ob sie schon einmal im Krankenhaus waren und was dort passiert ist. Die erhaltenen Informationen werden an den folgenden Tagen im Morgenkreis eingebracht und führen damit zum Projektthema zurück. Zugleich erhalten die Kinder neue Ideen für Rollenspiele. Die Eltern sollten - z.B. über Aushänge, Elternbriefe oder Tagesberichte - auch motiviert werden, zu Hause mit den Kindern über die Projektaktivitäten zu sprechen oder mit ihnen bestimmte Aktivitäten auszuführen. Durch das Interesse der Eltern wird nicht nur die Motivation der Kinder aufrechterhalten, sondern diese haben auch die Gelegenheit, daheim neue Begriffe zu üben, ihre Erfahrungen zu reflektieren und ergänzende Kenntnisse zu erwerben. Oft geben die Eltern den Kindern dann Bücher oder andere Materialien in den Kindergarten mit, die Rollenspiele und Diskussionen bereichern.

Ein nächster Schritt ist die Vorbereitung der Kinder auf geplante Besuche, Besichtigungen oder Ausflüge. Ist ein Elternteil in einem Krankenhaus tätig, kann er oder sie zu einem Gespräch mit den Kindern eingeladen werden. Einige Tage später kann dann die ganze Gruppe das nächste Krankenhaus besichtigen - oder nacheinander zwei oder drei Kleingruppen. Sinnvoll sind immer mehrere Besuche, weil die Kinder zumeist beim ersten Mal so neugierig und aufgeregt sind, dass sie zu schnell vorgehen und viele Dinge übersehen. Auch tauchen bei den nachbereitenden Gesprächen neue Fragen auf, die beim folgenden Besuch gestellt werden können. Natürlich kann bei jedem Besichtigungsgang auch ein anderer Teil des Krankenhauses erkundet werden.

In dieser Phase des Projekts sind Gruppendiskussionen, kreative Aktivitäten und Rollenspiele von großer Bedeutung. Im Gespräch werden neue Erfahrungen und Erlebnisse verarbeitet, relevante Objekte wie z.B. ein Stethoskop vorgestellt und ausprobiert, ergänzende Informationen durch Fotos, Dias, Bücher oder Geschichten eingebracht, neue Aktivitäten oder weitere Besichtigungen geplant. Manchmal bietet es sich an, nach und nach eine Sammlung relevanter Objekte anzulegen, die die Kinder untersuchen, vergleichen oder sortieren können und mit denen sie sich auch ohne Anleitung in Kleingruppen befassen dürfen. Durch Zeichnen und Malen können neue Erfahrungen ausgedrückt und verarbeitet werden. Dasselbe gilt für Rollenspiele, für die oft entsprechende Kulissen und Ausstattungsgegenstände gebastelt werden müssen - eine Schulung motorischer Fertigkeiten, aber auch von Beobachtungsfähigkeiten, Raumverständnis und Materialkenntnis. Oft lassen sich im Kindergarten Experimente durchführen; ein Hefeteig (mit ganz viel Hefe) kann z.B. die rasche Vermehrung von Hefepilzen (von denen Menschen ja auch z.B. im Rachen oder Darm befallen werden können) verdeutlichen, und damit auch von Bakterien. Oder der Vergleich von einem Tropfen Wasser aus einer Pfütze mit einem Tropfen Leitungswasser kann den Kindern einen Eindruck von der Notwendigkeit von Hygiene im Krankenhaus vermitteln.

Nach einiger Zeit nimmt in der Regel das Interesse der Kinder am Projektthema ab. Dann ist es an der Zeit, das Projektende zu planen. Sinnvoll ist ein besonderer Abschluss, z.B. eine Ausstellung oder ein Fest. Beispielsweise können die Kinder die von ihnen angelegte Sammlung den Eltern oder einer anderen Kindergartengruppe zeigen. Sie können ihre besten Bilder zum Thema aushängen oder zu einem "Buch" zusammenfassen. Das Projekt "Krankenhaus" könnte auch mit einem Fest enden, bei dem sich alle Kinder als Kranke, Ärzte oder Krankenschwestern verkleiden. Schließlich besteht die Möglichkeit, während des Projekts aufgenommene Dias oder Videofilme vorzuführen, die dessen Verlauf und die gemachten Erfahrungen verdeutlichen. Ein Auswertungsgespräch - zumindest im Team - darf keinesfalls fehlen.

Lassen Sie mich noch ein weiteres Praxisbeispiel (Katz/ Chard 1989) bringen: Das Projekt "Hausbau" begann, als in der Nachbarschaft des Kindergartens eine Baugrube ausgehoben wurde. Die Kindergruppe besichtigte ab diesem Zeitpunkt regelmäßig die Baustelle und diskutierte jeden beobachteten Fortschritt. Die Kinder nahmen Kontakt mit den Bauarbeitern auf und erfuhren, welchen Beruf sie ausübten bzw. auf welche Tätigkeiten am Bau sie sich spezialisiert hatten. Auch lernten sie deren Werkzeuge kennen. Ferner erkundigten sie sich bei ihren Eltern, wann und wie ihr eigenes Haus erstellt wurde. Sowohl von den Bauarbeitern als auch von den Eltern erhielten sie die unterschiedlichsten Baumaterialien, die im Gruppenraum analysiert, miteinander verglichen und kategorisiert wurden. Mit Hilfe von Büchern wurde verdeutlicht, wie z.B. Ziegel hergestellt werden. Zum Abschluss zeigte ein Besuch im Museum, wie früher gebaut wurde und welche Werkzeuge damals verwendet wurden.

Schlussbemerkung

Obwohl Projekte aufgrund ihrer pädagogischen Bedeutung zentrale Bestandteile der praktischen Arbeit in Kindertagesstätten sein sollten, schrecken viele Erzieher/innen vor ihnen zurück, da sie sich nicht entsprechend qualifiziert fühlen, die auf sie zukommende Arbeit nicht richtig abschätzen können und oft auch Angst vor bestimmten Aktivitäten haben. Falls Sie bisher keine Projekte durchgeführt haben, steigen Sie jetzt ein! Nutzen Sie die Projektarbeit, um die vorgenannten pädagogischen Prinzipien und Ziele in Ihrer Einrichtung lebendig werden zu lassen! Auch hier gilt: "Übung macht den Meister". Fangen Sie klein an, mit "Mini-Projekten". Verknüpfen Sie dann kleine Projekte zu Projektreihen, die unter einer bestimmten Thematik stehen. Mit zunehmender Erfahrung können Sie dann größere Projekte in Angriff nehmen.

Und es gilt der Grundsatz: Sie müssen nicht Spezialist für das jeweilige Projekt sein! Für jeden Erwachsenen gilt das Prinzip des lebenslangen Lernens. Somit können Sie den Ihnen anvertrauten Kindern (deren Eltern und anderen Erwachsenen) mit gutem Gewissen als Lernende/r gegenübertreten. Sie müssen nicht jede Frage beantworten können, sollten sie aber als Herausforderung begreifen, mit den Kindern im Rahmen des Projektes auf die Suche nach einer Antwort zu gehen. Begleiten Sie die Kinder auf ihrer Erkundungs- und Forschungsreise durch die Wirklichkeit, die Natur, die Erwachsenenwelt als Mit-Lernende! Wie bei jeder Entdeckungsreise gehört auch eine gewisse Portion Offenheit, Improvisation und Risikobereitschaft dazu. Sie können und müssen nicht alles vorausplanen; vieles ergibt sich erst im Verlauf des Projekts.

Lassen Sie mich meinen Vortrag nun mit einem letzten Praxisbeispiel beenden, das Sie ebenfalls zum Experimentieren mit der Projektmethode reizen soll: Das Projekt "Einkaufen" (vgl. Katz/Chard 1989) begann mit einer Gruppendiskussion zum Thema "Wo kaufen die Kinder mit ihren Eltern was ein?". Danach malten die Kinder sich selbst beim Einkauf. An den nächsten Tagen wurde im Kindergarten mit Hilfe von großen Kartons und anderen Materialien ein Geschäft aufgebaut und in den folgenden Wochen mehr oder minder kontinuierlich erweitert. Es wurde von Anfang an von Kleingruppen für Rollenspiele genutzt. In einer weiteren Gruppendiskussion wurden Besuche in Geschäften und auf dem Wochenmarkt vorbereitet. Vor allem wurden Fragen gesammelt, die an das Verkaufspersonal und die Marktfrauen gestellt werden sollten - z.B. wo das Gemüse herkommt, welche Sorten gewogen oder stückweise verkauft werden, welche sich am besten verkaufen, welche am schnellsten verderben. Ein anderer Fragenkomplex bezog sich auf die Tätigkeit der Verkäuferinnen, also das Einräumen von Regalen, das Auszeichnen der Ware, die Beratung von Käufern usw. Die Besuche vor Ort wurden - zumeist nach Voranmeldung - in Kleingruppen durchgeführt, um den Geschäftsbetrieb nicht zu sehr zu stören. Die Kinder unterhielten sich mehr oder minder ausführlich mit ihren Gesprächspartnern, schauten sich die Auslagen an, beobachteten Arbeitsvorgänge und konnten zum Teil auch Lager- und Kühlräume, Rampen und Gabelstapler sehen. Je nach Art des Geschäfts machten sie unterschiedliche Erfahrungen und Beobachtungen, die in der Gruppe berichtet, in Bildern festgehalten oder in Rollenspielen eingebracht wurden sowie zur Erweiterung des "Geschäfts" im Kindergarten oder seiner Ausstattung führten. Die Kinder brachten von ihren Ausflügen auch vereinzelt Waren mit. Beispielsweise wurde anhand der eingekauften Früchte und Gemüsesorten besprochen, welche geschält oder nur gesäubert werden müssen, welche Kerne oder Samen enthalten, welche roh oder gekocht gegessen werden, welche mehr oder weniger intensiv bzw. gut riechen, welche viel oder wenig kosten. Nach mehreren Ausflügen wurden auch die besuchten Geschäfte klassifiziert - als Einkaufszentren, Kaufhäuser, Supermärkte, Boutiquen, "Tante-Emma-Läden", Kioske, Marktstände usw. - und die Unterschiede zwischen den Arten herausgearbeitet. Die verschiedenen Waren wurden nach Kategorien geordnet. Parallel dazu wurden Bilderbücher, Geschichten, Fotos, Prospekte, Zeitungsannoncen und andere Materialien eingeführt und diskutiert. Das Rollenspiel im "Kindergarten-Geschäft" wurde immer komplexer. Es wurden neue Rollen eingeführt wie die des Lastwagenfahrers, des Schaufensterdekorateurs oder des Werbefachmanns, der auch die Kunden bezüglich ihrer Wünsche, der Qualität der Bedienung, der Auslagen usw. befragte. Aus dem Hauptprojekt ergaben sich noch kleinere Projekte. Beispielsweise sammelten die Kinder verschiedene Sorten von Einkaufstüten und untersuchten sie hinsichtlich der Belastbarkeit, Reißfestigkeit und Umweltverträglichkeit. Auch wurde der Entstehungsprozess einzelner Waren nachverfolgt, z.B. die Arbeitsschritte vom Scheren der Schafe über das Waschen und Spinnen der Wolle bis hin zum Pullover. Das Projekt endete damit, dass die Kinder ihre besten Bilder zu einem Buch "Wir gehen einkaufen" zusammenfügten.

Anmerkung

Eine umfassendere Darstellung der Thematik finden Sie in meinem Buch "Projektarbeit im Kindergarten. Planung, Durchführung, Nachbereitung" (Books on Demand, 3. Aufl. 2020), das im Buchhandel und z.B. bei Amazon erhältlich ist.

Literatur

Katz, L.G./Chard, S.C.: Engaging children's minds: the project approach. Norwood: Ablex 1989

Keenan, D.L./Edwards, C.P.: Using the project approach with toddlers. Young Children 1992, 47 (4), S. 31-35

Kellner, B.: Wohin zieht der Storch, wenn es kalt wird? EigenSinn 1995, Heft 1, S. 7

Sorg, C.: Foto- und Bilderausstellung zur Lebenssituation der Kinder am Ort. KinderTageseinrichtungen aktuell, KiTa BY 1995, 7, S. 177-178

Autor

Dr. Martin R. Textor studierte Pädagogik, Beratung und Sozialarbeit an den Universitäten Würzburg, Albany, N.Y., und Kapstadt. Er arbeitete 20 Jahre lang als wissenschaftlicher Angestellter am Staatsinstitut für Frühpädagogik in München. Von 2006 bis 2018 leitete er zusammen mit seiner Frau das Institut für Pädagogik und Zukunftsforschung (IPZF) in Würzburg. Er ist Autor bzw. Herausgeber von 45 Büchern und hat 770 Fachartikel in Zeitschriften und im Internet veröffentlicht.
Homepage: https://www.ipzf.de
Autobiographie unter http://www.martin-textor.de



In: Klax International GmbH: Das Kita-Handbuch.

https://www.kindergartenpaedagogik.de/fachartikel/projektarbeit-projekte/1307/