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Zitiervorschlag

Mutterschaft: Identität und Erleben

Martin R. Textor

 

Der Eintritt in eine Ehe oder nichteheliche Lebensgemeinschaft ist heute für Frauen kein einschneidendes Ereignis mehr: In der Regel handelt es sich nur noch um die Vereinigung von zwei Haushalten; die Paarbeziehung, das sexuelle Verhältnis, das Miteinander-Wohnen, die gemeinsame Teilhabe an Aktivitäten u.Ä. bestanden schon zuvor. Die Frau ist gleichberechtigt und bleibt relativ autonom. Sie übt weiterhin ihren Beruf aus; ihre Chancen zur Selbstverwirklichung werden kaum eingeschränkt. Da sich der Mann in dieser Lebensphase zumeist an der Hausarbeit beteiligt, erfährt sie kaum zusätzliche Belastungen. Die Eheschließung bzw. der Beginn einer nichtehelichen Lebensgemeinschaft führen somit zu relativ wenig Veränderungen im Erleben und Verhalten der Frau; auch die mit der Heirat verbundene Übernahme einer neuen gesellschaftlichen Position und Rolle wirkt sich nicht besonders stark auf ihre Identität aus.

Im Gegensatz dazu führt die erste Schwangerschaft bzw. die Geburt des ersten Kindes zu einer totalen Umstellung des Lebensstils einer Frau. Selbstbild, gefühlsmäßiges Erleben und Verhalten erfahren radikale Veränderungen. Damit wird die Mutterwerdung zum einschneidendsten Lebensereignis in der Biographie der wohl meisten Frauen. In diesem Artikel soll zunächst der Frage nachgegangen werden, in welchem Verhältnis Mutterschaft und Frausein heute stehen. Dann wird beschrieben, wie die Mutterschaft das Selbstbild und die Identität einer Frau prägen. Anschließend wird behandelt, wie Mutterschaft unter den heutigen Lebensbedingungen erlebt wird.

Mutterschaft als "Essenz" des weiblichen Wesens?

Schon in der Kleinkindheit beginnt die geschlechtsspezifische Sozialisation. Die Mädchen und jungen Frauen übernehmen eine Geschlechtsrolle, die bestimmte "feminine" Eigenschaften (einfühlsam, liebevoll, emotional usw.), Einstellungen (z.B. Interesse an personalen Beziehungen) und Verhaltenstendenzen (z.B. Sorge für andere, Bezogenheit, Kommunikationsfreudigkeit) umfasst. Die Identität als Frau wird zu einem zentralen Bestandteil des Selbstbildes.

Zu dem Geschlechtsrollenleitbild gehört aber auch, dass Frauen Mütter werden sollen und die Mutterrolle die wichtigste Rolle in ihrem Leben sei. So schreibt Herwartz-Emden (1995a): "Mutterschaft ist Bestandteil des weiblichen Selbstkonzeptes, eine zentrale Dimension der weiblichen Geschlechtsrollenorientierung. Die Sozialisation zur Mutterschaft setzt für die Frau in ihrer Kindheit und Jugend ein; ihre Auswirkungen auf die weibliche Biographie und Lebensgestaltung reichen weit über die Phase der aktiven Mutterschaft hinaus" (S. 11). Alfermann (1997) verweist darauf, dass sich die Geschlechtsrolle in der Mutterrolle wie in einer Linse widerspiegelt: "Die Erwartungen an die gute Mutter ... zeigen eine hohe Übereinstimmung mit den Geschlechtsrollenerwartungen. Sie sind außerdem eng an die Stereotype angelehnt: Es sind nämlich insbesondere Erwartungen an emotionale und soziale Eigenschaften und Handlungsweisen" (S. 38). Aus dieser Verschmelzung von Geschlechts- und Mutterrolle resultiert ein starker sozialer Druck auf Frauen, zu heiraten und Kinder zu bekommen. Insbesondere ältere, noch kinderlose Frauen spüren diesen Druck, vor allem durch die eigenen Eltern und gleichaltrige Frauen (Mütter), aber auch durch die internalisierten gesellschaftlichen Erwartungen und das Wissen, das sie nur noch kurze Zeit fertil sind (Weaver/Ussher 1997).

Diese Vorstellung, dass Mutterschaft für Frauen "natürlich" und ein "essenzieller" Teil von Weiblichkeit sei, wurde in den letzten Jahrzehnten immer häufiger in Frage gestellt. Insbesondere feministische Wissenschaftlerinnen betonten die negativen Folgen dieser Haltung für Frauen in ihrer Familie (Verzicht auf Selbstverwirklichung durch Erwerbstätigkeit und Übernahme der Hausfrauenrolle, finanzielle Abhängigkeit vom Mann und damit geringere innerfamiliale Macht, Erhalt der geschlechtsspezifischen Arbeitsteilung im Haushalt mit weitgehend alleiniger Verantwortung für die Kindererziehung etc.) und in der Gesellschaft (z.B. Erhalt der Chancenungleichheit und Diskriminierung von Frauen, keine Schaffung benötigter und qualitativ guter Kinderbetreuungsangebote). Im Extremfall wurde gefordert, dass Frauen auf Kinder verzichten und ihre Selbstverwirklichung auf dem einzig richtigen Weg - durch Vollerwerbstätigkeit - anstreben sollten. Ansonsten solle die Frau nach der Geburt eines Kindes zumindest Teilzeit arbeiten, um sich ihre Unabhängigkeit und Selbstständigkeit zu erhalten (vgl. Bassin/Honey/Kaplan 1994; Crouch/Manderson 1993; Phoenix/Woollett 1991).

Die Auffassung, Mutterschaft sei nicht essenziell für Weiblichkeit bzw. Frauen- und Mutterrolle müssten getrennt voneinander konzeptualisiert werden, ist in jüngerer Zeit jedoch von manchen feministischen Wissenschaftlerinnen schon wieder in Frage gestellt worden. So schreibt Glenn (1994): "Wir zögern, den Gedanken aufzugeben, dass Mutterschaft etwas Besonderes ist. Schwangerschaft, Geburt und Stillen sind so mächtige körperliche Erfahrungen und die emotionale Bindung an den Säugling ist so intensiv, dass es für Frauen, die all diese Erfahrungen und Gefühle durchlebt haben, schwierig ist anzunehmen, dass dies nicht einzigartige weibliche Erfahrungen sind, die eine unüberbrückbare Kluft zwischen Männern und Frauen bilden" (S. 22f.). Mutterschaft begründet eine eigene weibliche Identität und grenzt sie gegenüber der Männlichen ab; Bindung, Liebe, Sorge für andere, Bezogenheit und andere "weibliche" Eigenschaften werden "männlichen" wie Unabhängigkeit, Leistung, Individualismus usw. entgegengesetzt. Und es wird wieder akzeptiert, dass Mutterschaft befriedigender als die Berufsausübung sein kann (vgl. Glenn 1994; McMahon 1995).

Diese verschiedenen Konzeptualisierungen des Verhältnisses von Weiblichkeit und Mutterschaft werden nebeneinander in der deutschen Gesellschaft gelebt, wobei einige in besonderen Subkulturen besonders stark ausgeprägt sind. Beispielsweise bleibt derzeit bis zu einem Drittel aller westdeutschen Frauen kinderlos (Schätzungen für den Jahrgang 1965). Engstler (1999) ergänzt: "In den alten Bundesländern gibt es einen engen Zusammenhang zwischen dem Bildungsniveau der Frau und ihrer Kinderzahl. 40 Prozent der 35- bis 39-jährigen westdeutschen Frauen mit Hochschulabschluss haben keine Kinder (im Haushalt), gegenüber 21 Prozent der Frauen mit Hauptschulabschluss" (S. 94). Hier zeige sich, "dass es höher qualifizierten Frauen unter den gegebenen Rahmenbedingungen offenbar besonders schwer fällt, ihre beruflichen Anforderungen und Ambitionen mit den Erfordernissen einer Mutterschaft zu vereinbaren" (S. 97). Sie entscheiden sich für den Beruf und gegen die Mutterschaft. Den Gegenpol bilden Frauen, die bewusst die Hausfrauen- und Mutterrolle wählen. Ihnen gelingt es, nach der Geburt des ersten Kindes wie selbstverständlich und ohne Einbruchsempfinden den Beruf aufzugeben - wobei einige dies gerne tun, da sie die Erwerbstätigkeit negativ erlebten (Herlyn et al. 1993). Bei ihnen dominieren das Leitbild der fürsorglichen Mutter, die Bindungs- und Beziehungsorientierung, das Dasein für andere. Weiblichkeit und Mutterschaft gehören ihrem Empfinden nach zusammen. Zwischen diesen beiden Polen findet man dann viele Mischformen, die sich hinsichtlich ihrer Definition der Frauenrolle (insbesondere bezüglich der Bedeutung der Erwerbstätigkeit für die Selbstverwirklichung) und der Mutterrolle unterscheiden.

Recht interessant ist in diesem Zusammenhang die Untersuchung von Herwartz-Emden (1995a, b) über 85 deutsche, 85 türkische und 85 aus der ehemaligen Sowjetunion stammende Mütter, die in Stadt und Region Osnabrück leben. Hier zeigte sich tendenziell, dass Befragte der niedrigeren und mittleren Qualifikationsschicht stärker "traditionellen" Mutterschaftseinstellungen zustimmten als solche mit höheren Qualifikationen. Von viel größerer Bedeutung war aber die Gruppenzugehörigkeit: Die deutschen Frauen konnten sich einerseits eher als die Türkinnen und diese eher als die Aussiedlerinnen ein erfülltes Frauenleben ohne Kinder vorstellen, obwohl sie andererseits das Frauenbild mit den meisten "weiblichen" Eigenschaften (also ein "klassisches", geschlechtsspezifisch "korrektes" Leitbild) und in der klarsten Abgrenzung zum Männerbild vertraten. Sie bezeichneten Mutterschaft eher als einseitig und einengend, sprachen ihr eine geringere Bedeutung im weiblichen Lebenslauf zu und betonten stärker die "Familie-oder-Beruf-Problematik". Zwischen "Muttersein" (Selbstverleugnung, Bedürfnisse des Kindes im Mittelpunkt usw.) und dem Leben einer Frau (frei, unbelastet) wurde polarisiert. Für die Arbeitsmigrantinnen und Aussiedlerinnen war hingegen Mutterschaft ein inhärenter Bestandteil des weiblichen Lebenskonzeptes und der Normalbiographie. Sie wurde grundsätzlich begrüßt, da sie mit positiven individuellen und sozialen (statuserhöhenden) Konsequenzen verbunden sei und zu einem erfüllten Frauenleben führe. Herwartz-Emden (1995a) schreibt: "Das Frauenbild der Aussiedlerinnen birgt eine Berufsorientierung zum Ausdruck, während bei den Frauen aus der Türkei die Rolle der Frau in der Familie als Managerin und Vermittlerin offensichtlich von größerer Bedeutung für ihr Frauenbild ist" (S. 276). Für erstere war somit eine Frau sowohl weiblich-mütterlich als auch weiblich-berufstätig. Sie sahen in der Kinderversorgung und -erziehung weiterhin eine Domäne der Frau, während die Arbeitsmigrantinnen einer partnerschaftlichen Aufteilung dieser Tätigkeiten zwischen Vater und Mutter positiv gegenüber standen.

Zur Identität als Mutter

Die Mutteridentität wird in der Zeit der Schwangerschaft mit dem ersten Kind und in den ersten Monaten nach seiner Geburt entwickelt. Sie ist nicht konstant, sondern wandelt sich mit dem Älter- und Erwachsenwerden des Kindes, mit der Geburt weiterer Kinder oder aufgrund sozialer und soziokultureller Einflüsse. Auch ändert sich immer wieder ihre Relation zu anderen Identitäten (z.B. als Frau, als Ehegattin, als Berufstätige, als Hausfrau). McMahon (1995) betont, dass die Mutterwerdung zu dem wohl einschneidendsten Identitätswandel im Leben einer Frau führt und die Mutteridentität einen zentralen Platz in ihrer Psyche einnimmt. Von besonderer Bedeutung sei, dass die Mutterwerdung im Erleben eine "moralische Transformation" bewirkt: Die Frauen fühlen sich verantwortlich für ein anderes Leben, an das sie unlösbar gebunden sind. Sie empfinden eine intensive Liebe zu dem Kind und die starke Verpflichtung, sein physisches und psychisches Wohlergehen sicherzustellen. Ihr Leben hat einen neuen Sinn bekommen; sie fühlen sich als "Hüter der Unschuldigen" "moralisch erhöht". Nach Meinung der von McMahon (a.a.O.) befragten 59 kanadischen Mütter hätten die Väter einen solchen Transformationsprozess nicht durchlaufen und würden nicht dieses Gefühl der letztendlichen Verpflichtung für ein neues Leben empfinden - was sich auch in ihrem geringeren Engagement bei der Versorgung und Erziehung der Kinder zeige.

Nach Wiegand (1998) hat die Mutteridentität eine affektive Dimension (z.B. Liebe, Zuneigung, Ängste, Zweifel) und eine kognitive (z.B. Wissen, internalisierte Erwartungen, Leitbild). Die Ansprüche an sich selbst entsprechen weitgehend dem Stereotyp: Die Frauen wollen "gute Mütter" sein, ihren Kindern viel Liebe und Zuneigung geben, sie beschützen und "richtig" erziehen (Alfermann 1997; Ruddick 1994). So resultiert aus der Mutteridentität eine Leistungsmotivation. Erzielen die Frauen Erziehungserfolge, so erleben sie dies als Aufwertung ihrer selbst; Misserfolge führen hingegen zu negativen Selbstwertgefühlen (Hays 1998). Das Selbstbild als Mutter wird jedoch auch durch Einflüsse von außen geprägt: So erleben viele Frauen nach der Geburt des ersten Kindes, dass sie als Hausfrau und Mutter in unserer Gesellschaft einen viel niedrigeren Status als erwartet (und als zuvor) haben (Weaver/Ussher 1997). Zugleich werden sie mit so hohen Erwartungen ("Mutterideal") konfrontiert, dass sie oft ein schlechtes Gewissen und Schuldgefühle haben, weil sie ihnen in der Realität nicht entsprechen (Haug-Schnabel 1992). Erschwerend kommt hinzu, dass die Mutter in unserer pluralistischen, postmodernen Gesellschaft mit widersprüchlichen Vorstellungen und Erwartungen hinsichtlich der Erziehung ihrer Kinder konfrontiert wird - sie kann es nicht allen Recht machen. Zugleich hat sie aber auch die Freiheit, ihr eigenes Leitbild zu "konstruieren" und in ihrem Handeln zu befolgen (Crouch/Manderson 1993). Die aus dieser Situation resultierende Verunsicherung einiger Mütter zeigt sich laut Parker (1996) in folgendem Verhalten: "Manchmal nutzen Mütter andere Mütter als Spiegel. Jede Mutter mustert die andere auf der Suche nach einer Reflexion ihres eigenen Erziehungsverhaltens. Sie halten Ausschau nach Abweichungen von ihrem eigenen Stil des Bemutterns und sie schauen nach Ähnlichkeiten. Aber vor allem anderen suchen sie nach der Bestätigung, dass sie es richtig machen - in Angesicht von Befürchtungen, dass sie hoffnungslos falsch liegen" (S. 1).

Von Interesse dürften noch einige schichtspezifische Unterschiede sein: So berichtet Mercer (1995), dass Frauen aus unteren sozialen Schichten den Übergang zur Mutterschaft leichter bewältigen und als Mütter zufriedener sind, weil sie die Mutterrolle klarer - und dem Stereotyp entsprechend - definieren würden. Laut McMahon (1995) verstanden Mittelschichtfrauen "mütterliche Identitäten als erbrachte soziale Leistungen. Ein gewisses Maß an Reife musste ihrer Meinung nach erst erreicht worden sein, bevor sie ‚bereit‘ waren, Kinder zu bekommen" (S. 266). Hingegen sahen Unterschichtfrauen in der Mutterwerdung einen Weg, "richtig" erwachsen, reif, mündig und verantwortungsbewusst zu werden.

Mutterschaft im Erleben der Frau

Abgesehen von den besonderen physischen, psychischen und sozialen Belastungen während der ersten Monate nach der Geburt eines Kindes, die ich an anderer Stelle behandelt habe (Textor 2002), ist Mutterschaft im Erleben der Frauen mit einer ganzen Reihe von Problemen verknüpft:

  • eingeschränkte Mobilität,
  • Isolation,
  • wenig Planbarkeit des eigenen Lebens,
  • (finanzielle) Abhängigkeit vom Mann und Verlust an Beziehungsmacht, so lange die Kleinkinder nicht fremdbetreut werden bzw. bei Aufgabe der Berufstätigkeit,
  • zusätzliche Arbeit (Versorgung des Kindes, Beaufsichtigung, Erziehung, mehr Hausarbeit),
  • weniger Zeit für soziale Kontakte, für Hobbys und zur Selbstverwirklichung,
  • Verlust an Status bei Übernahme der Hausfrauenrolle,
  • finanzielle Einschränkungen u.Ä.

Ist die Mutter (Teilzeit) erwerbstätig, sind manche dieser Belastungen nicht gegeben, dafür aber die auf der mangelnden Vereinbarkeit von Familie und Beruf resultierenden Probleme (Stress, Erschöpfung, Schuldgefühle usw.). Haug-Schnabel (1992) ergänzt: "In der Realität werden zwar die Mütter mit den berechtigten Ansprüchen des Kindes konfrontiert, ihre eigenen - ebenfalls berechtigten - Bedürfnisse aber werden nicht berücksichtigt. Mütter sind in unserer Gesellschaft - gleichgültig, ob unverheiratet oder verheiratet - zumeist allein erziehend. Allein erziehend - das heißt: Im Alltag und im Notfall immer zur Stelle zu sein, für alles verantwortlich zu zeichnen, gleichzeitig aber - wenn überhaupt - nur Mitspracherecht zu haben. Mütter sind gezwungen, anstehende Entscheidungen zu treffen und allein zu handeln, müssen dieses Tun aber nicht nur vor sich selbst und dem Kind rechtfertigen. Nur ihr schlechtes Gewissen und ihre Schuldgefühle dürfen Mütter mit Sicherheit ungeteilt und ungeschmälert für sich behalten" (S. 58). So ist es nicht verwunderlich, dass Kinder zunehmend als Belastung erlebt werden.

Diesen negativen Erfahrungen stehen positive gegenüber: Wie bereits erwähnt, bedeuten Kinder für viele Mütter den Mittelpunkt und Sinn ihres Lebens. Sie fühlen sich gebraucht, geliebt und als Person aufgewertet. Auch empfinden sie eine überwältigende Liebe für ihre Kinder. McMahon (1995) schreibt: "Der größte Lohn für das Mutter-Sein kommt von der besonderen Bindung, die diese Frauen zu ihren Kindern haben, und aus der Freude zu beobachten, wie die Kinder lernen und sich entwickeln" (S. 268).

Schlusswort: Ambivalenz als Charakteristikum von Mutterschaft

Dieser Artikel verdeutlicht, dass ambivalente Gefühle das intrapsychische Verhältnis von Frauen- und Mutterrolle, den Kinderwunsch, die Entscheidung zwischen den Alternativen "Hausfrau" und "erwerbstätige Mutter" sowie das Erleben von Mutterschaft kennzeichnen. Diese Ambivalenz schlägt sich auch in der Beziehung zum Kind nieder - obwohl für die Öffentlichkeit als auch für die Mütter selbst nur schwer zu akzeptieren ist, dass Frauen sowohl Liebe als auch Hass ihren Kindern gegenüber empfinden (First 1994; Haug-Schnabel 1992; Ruddick 1994). Parker (1996) schreibt: "Doch blicken Mütter auf andere Mütter, um 'Absolution' für mütterliche Gefühle zu finden, die nach den dominanten kulturellen Vorstellungen von Mutterschaft inakzeptabel sind und die für die Mütter selbst sowohl schmerzhaft als auch unverzeihlich sind. Ich beziehe mich auf die flüchtigen (oder nicht so flüchtigen) Gefühle des Hasses für ihr Kind, die eine Mutter ergreifen können, den Moment des Zurückschreckens vor einem viel geliebten Körper, den Drang zu verlassen, das unberührte Essen in das Gesicht eines Kleinkindes zu schleudern, am Arm eines Kindes beim Überqueren der Straße zu zerren, sein Gesicht mit dem Waschlappen hart zu schrubben, das Türschloss wegen eines Jugendlichen zu wechseln, oder die Fantasie, ein schreiendes Baby aus dem Fenster zu werfen" (S. 4). Diese aggressiven Gefühle gegenüber dem Kind können das Gewissen so belasten, dass sie verdrängt werden und nur in Träumen, Fantasien und tiefenpsychologischen Tests (z.B. Thematic Apperception Test, TAT) auftreten (Parker 1996; Wiegand 1998). Sie bleiben aber Teil der die Mutterschaft kennzeichnenden Ambivalenz.

Literatur

Alfermann, D.: "Ein Kind gehört zu seiner Mutter". Über Rollenerwartungen und ihre Folgen. In: Schuchard, M./Speck, A. (Hrsg.): Mutterbilder - Ansichtssache. Heidelberg: Mattes 1997, S. 31-47

Bassin, D./Honey, M./Kaplan, M.M.: Introduction. In: Bassin, D./Honey, M./Kaplan, M.M. (Hrsg.): Representations of motherhood. New Haven: Yale University Press 1994, S. 1-25

Crouch, M./Manderson, L.: New motherhood. Cultural and personal transitions in the 1980s. Yverdon: Gordon and Breach 1993

Engstler, H.: Die Familie im Spiegel der amtlichen Statistik. Lebensformen, Familienstrukturen, wirtschaftliche Situation der Familien und familiendemographische Entwicklung in Deutschland. Bonn: Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend 1999

First, E.: Mothering, hate, and Winnicott. In: Bassin, D./Honey, M./Kaplan, M.M. (Hrsg.): Representations of motherhood. New Haven: Yale University Press 1994, S. 147-161

Glenn, E.N.: Social constructions of mothering: A thematic overview. In: Glenn, E.N./Chang, G./Forcey, L.R. (Hrsg.): Mothering: Ideology, experience, and agency. New York: Routledge 1994, S. 1-29

Haug-Schnabel, G.: "Ich bin doch nur die Mutter!" Psychologie heute 1992, 19 (11), S. 58-62

Hays, S.: Die Identität der Mütter. Zwischen Selbstlosigkeit und Eigennutz. Stuttgart: Klett-Cotta 1998

Herlyn, I./Vogel, U./Kistner, A./Langer, H./Mangels-Voegt, B./Wolde, A.: Begrenzte Freiheit - Familienfrauen nach ihrer aktiven Mutterschaft. Eine Untersuchung von Individualisierungschancen in biographischer Perspektive. Bielefeld: Kleine 1993

Herwartz-Emden, L.: Mutterschaft und weibliches Selbstkonzept. Eine interkulturell vergleichende Untersuchung. Weinheim: Juventa 1995a

Herwartz-Emden, L.: Konzepte von Mutterschaft und Weiblichkeit - ein Vergleich der Einstellungen von Aussiedlerinnen, Migrantinnen und westdeutschen Frauen. Zeitschrift für Frauenforschung 1995b, 13, S. 56-70

McMahon, M.: Engendering motherhood: Identity and self-transformation in women‘s lives. New York: Guilford 1995

Mercer, R.T.: Becoming a mother. Research on maternal identity from Rubin to the present. New York: Springer 1995

Parker, R.: Mother love / mother hate. The power of maternal ambivalence. New York: Basic Books 1996

Phoenix, A./Woollett, A.: Motherhood: Social construction, politics and psychology. In: Phoenix, A./Woollett, A./Lloyd, E. (Hrsg.): Motherhood: Meanings, practices and ideologies. London: Sage 1991, S. 13-27

Ruddick, S.: Thinking mothers / conceiving birth. In: Bassin, D./Honey, M./Kaplan, M.M. (Hrsg.): Representations of motherhood. New Haven: Yale University Press 1994, S. 29-45

Textor, M.R.: Mutterwerdung und Mutterschaft. http://www.familienhandbuch.de/cmain/f_Fachbeitrag/a_Familienforschung/s_1209.html

Weaver, J.J./Ussher, J.M.: How motherhood changes life - a discourse analytic study with mothers of young children. Journal of Reproductive and Infant Psychology 1997, 15, S. 51-68

Wiegand, G.: Selbstveränderung von Müttern aus subjektiver Sicht. Ein Beitrag zur psychoanalytischen Frauenforschung. Gießen: Psychosozial-Verlag 1998

Autor

Dr. Martin R. Textor studierte Pädagogik, Beratung und Sozialarbeit an den Universitäten Würzburg, Albany, N.Y., und Kapstadt. Er arbeitete 20 Jahre lang als wissenschaftlicher Angestellter am Staatsinstitut für Frühpädagogik in München. Von 2006 bis 2018 leitete er zusammen mit seiner Frau das Institut für Pädagogik und Zukunftsforschung (IPZF) in Würzburg. Er ist Autor bzw. Herausgeber von 45 Büchern und hat 770 Fachartikel in Zeitschriften und im Internet veröffentlicht.
Homepage: https://www.ipzf.de
Autobiographie unter http://www.martin-textor.de