Zitiervorschlag

Ich und Du – Martin Bubers Grundwort als Determinante sozialpädagogischen Denkens und Handelns

Frederik Schmitt

 

 

Dieser Beitrag ist Tobias Biernat in freundschaftlicher Verbundenheit gewidmet.

 

Die Übermittlung von Nachrichten ist mithilfe entsprechender Dienste zu einem alltäglichen Prozess geworden. Dennoch sind richtungsweisende Kommunikationsmodelle und -theorien aus der Sprachwissenschaft bekannt: das Organon-Modell nach Karl Bühler, das technische Kommunikationsmodell oder Friedemann Schulz von Thuns Überlegungen zu den vier Seiten einer Nachricht. All diese Betrachtungen setzen einen Sender und einen Empfänger voraus; Paul Watzlawick spricht in seinem zweiten Axiom von einem Inhalts- und Beziehungsaspekt der Kommunikation (vgl. Bruseberg/Burkhardt/Holland 2021, S. 152).

Der chilenisch-deutsche Physiker Mario Markus legt im Jahr 2019 die Publikation „222 Juden verändern die Welt“ vor und stellt darin – unter Mithilfe ausgewiesener Experten – Biografien führender Intellektueller aus den Geistes-, Kultur- und Naturwissenschaften heraus. Die Evangelisten Markus und Matthäus finden hier ebenso Berücksichtigung wie der Schriftsteller Heinrich Heine oder der Philosoph Karl Raimund Popper. Der jüdische Denker Martin Buber wird in Markus‘ Darstellung nicht beachtet (vgl. Markus 2019), was mittels des vorliegenden Essays nachgeholt wird. Bubers Werk „Ich und Du“, dessen Erscheinen sich im Jahr 2023 zum einhundertsten Mal jährt, baut insbesondere auf der Ich-Du-Beziehung auf. Im Folgenden werden biografisch-zeitgeschichtliche Skizzierungen zu Martin Buber eingeführt, die seine Überlegungen zum dialogischen Prinzip ebenso rahmen wie Handlungsmöglichkeiten und Perspektiven für die Soziale Arbeit.

Martin Buber: Leben, Werk und Zeit

Buber wird 1878 in Wien geboren und verbringt seine Kindheit bei den Großeltern. Unterschiedlichste Einflüsse und Faktoren bestimmen seine intellektuelle Entwicklung. Hildegard Stumpf schreibt erklärend: „Der Großvater, Salomon Buber, war ein bedeutender Midrasch-Forscher, der ihn in die Welt des jüdischen Schrifttums, besonders in die hebräische Bibel einführte. Prägend ist für Buber zudem das Umfeld des Chassidismus, einer jüdisch-mystischen Erneuerungsbewegung, die sich im 18. Jahrhundert in Polen entwickelte (und, d. Verf.) das multikulturelle Milieu Lembergs, in dem unterschiedliche Sprachen nebeneinander praktiziert wurden“ (Stumpf 2007, S. 126). Martin Buber studiert an den Universitäten Wien, Leipzig, Zürich und Berlin; er wählt die Fächer Nationalökonomie, Philosophie, Germanistik und Psychologie. 1898 wird Buber Mitglied der zionistischen Bewegung, von welcher er sich im Jahr 1904 wieder entfernt (vgl. Stumpf 2007, S. 126). Nach diversen Lehraufträgen übernimmt er eine Professur für Religionswissenschaft an der Universität Frankfurt am Main, die ihm nach der Machtübernahme der Nationalsozialisten entzogen wird. Von diesen Maßnahmen sind insbesondere die Mitglieder des Instituts für Sozialforschung betroffen, darunter auch der evangelische Theologe Paul Tillich.

Martin Buber betätigt sich nicht nur als Schriftsteller: „Unter denen, die mit Rosenzweig in Frankfurt zusammenarbeiteten, war Martin Buber, mit dem Rosenzweig seit seiner Zeit in Berlin freundschaftlich verbunden war, und die beiden begannen gemeinsam mit einer neuen Übersetzung der Bibel in ein stark hebräisierendes Deutsch, das die Leser über den Schock der Befremdung dazu bringen sollte, sich auf den Text einzulassen. Bei Rosenzweigs Tod war das Projekt unvollendet; erst 1961 wurde es von Buber fertiggestellt“ (Goodman 2020, S. 621). 1918 erfolgt die Gründung der Hebräischen Universität Jerusalem, an deren Konzipierung Buber maßgeblich beteiligt ist; dort wird er 1938 Professor für Sozialphilosophie.

Martin Buber engagiert sich für Frieden zwischen den Religionen, er erhält den Goethe-Preis der Stadt Hamburg sowie den Friedenspreis des Deutschen Buchhandels und stirbt 1965 in Jerusalem (vgl. Stumpf 2007, S. 128). Eine Zusammenfassung Buberschen Denkens lautet: „Das Erbe, das ich aus Bubers Leben und Werk mitnehme, ist eine profunde Achtsamkeit, wie ich am besten in diesem Augenblick vollkommen gegenwärtig sein kann – offen, ehrlich, unmittelbar, gegenseitig“ (Kramer 2013, S. 13).

Ich und Du als dialogisches Prinzip

Bubers Überlegungen zum Dialog von Ich und Du entstammen dem Chassidismus (vgl. Akrap 2011, S. 175) wie der Theologie Eckharts von Hochheim (vgl. Flasch 2005, S. 151). Er differenziert zwischen Ich-Es- und Ich-Du-Beziehungen und Gott, dem ewigen Du. Martin Buber schreibt:

„Die Welt ist dem Menschen zwiefältig nach seiner zwiefältigen Haltung. Die Haltung des Menschen ist zwiefältig nach der Zwiefalt der Grundworte, die er sprechen kann. Die Grundworte sind nicht Einzelworte, sondern Wortpaare. Das eine Grundwort ist das Wortpaar Ich-Du. Das andere Grundwort ist das Wortpaar Ich-Es; wobei, ohne Änderung des Grundwortes, für Es auch eines der Worte Er und Sie eintreten kann. Somit ist auch das Ich des Menschen zwiefältig. Denn das Ich des Grundworts Ich-Du ist ein andres als das des Grundworts Ich-Es“ (Buber 2021 [1923], S. 7).

In der Ich-Es-Beziehung begreift der Mensch seinen Mitmenschen als Objekt, während die Ich-Du-Beziehung unmittelbare Begegnung ermöglicht: „Dabei lässt sich das Ich vom Anderen ansprechen“ (Rutishauser 2008, S. 78). Rutishauser liefert ferner eine Charakterisierung des ewigen Du: Gott „(…) ist das einzige Du, das nicht vergegenständlicht und nicht zum Es gemacht werden kann“ (Rutishauser 2008, S. 78). Das menschliche und das ewige Du sind miteinander verbunden, was Martin Buber vor dem Hintergrund der alttestamentlichen Erzählung von Jakob und Esau verdeutlicht; hier wird eine unmittelbare Begegnung mit Gott möglich (vgl. Rutishauser 2008, S. 78).

In einer Conclusio zum dialogischen Prinzip heißt es:

„Das ist es, worauf es letzten Endes ankommt: Gott einlassen. Man kann ihn aber nur da einlassen, wo man steht, wo man wirklich steht, wo man lebt, wo man ein wahres Leben lebt. Pflegen wir heiligen Umgang mit der uns anvertrauten kleinen Welt, helfen wir in dem Bezirk der Schöpfung, mit der wir leben, der heiligen Seelensubstanz zur Vollendung zu gelangen, dann stiften wir an diesem Ort unsere Stätte für Gottes Einwohnung, dann lassen wir Gott ein“ (Buber 2010 [1947], o.S.).

Perspektiven für die Soziale Arbeit

Die bisherigen Ausführungen stellen Leben und Werk Bubers ebenso dar wie seine Überlegungen zum dialogischen Prinzip. Im Folgenden soll nach der gegenwärtigen Relevanz Martin Bubers und danach gefragt werden, welche sozialpädagogischen Implikationen zum Dialog bestehen (vgl. Rothschild 2020, S. 19). Bruseberg, Burkhardt und Holland formulieren:

„Im Zentrum steht also das Interesse an den Gedanken, Vorstellungen, Bedürfnissen, Wünschen und Gefühlen der jeweils anderen. Wenn Denkprozesse der Dialogpartner auf diese Weise nachvollzogen werden, entsteht ein gemeinsames Verständnis (…). So kann eine tragfähige verlässliche Beziehung entstehen, die sich an den Bedürfnissen und Ressourcen aller Beteiligten orientiert“ (Bruseberg/Burkhardt/Holland 2021, S. 153).

Für sozialpädagogische Fachkräfte muss es kontextuell darum gehen, das eigene pädagogische Handeln zu reflektieren und die individuelle Sichtweise auf bestimmte Sachverhalte wahrzunehmen. Im Rahmen professionellen Handelns „(…) müssen Fachkräfte aktiv den Raum für andere Perspektiven schaffen und diese auf sich wirken lassen, um ein gegenseitiges Verständnis zu ermöglichen“ (Bruseberg/Burkhardt/Holland 2021, S. 153).

 

Literatur

Akrap, D.: Erich Fromm – ein jüdischer Denker. Münster: Lit Verlag, 2011.

Bruseberg, M./Burkhardt, M./Holland, S. u. a.: Erzieherinnen und Erzieher. Kernbegriffe und Konzepte. Berlin: Cornelsen Verlag, 2021.

Buber, M.: Ich und Du. Stuttgart: Philipp Reclam Verlag, 2021 (erstmals 1923).

Buber, M.: Der Weg des Menschen nach der chassidischen Lehre. Gütersloh: Gütersloher Verlagshaus, 2010 (erstmals 1947).

Flasch, K.: Meister Eckhart. In: Graf, F. W. (Hrsg.): Klassiker der Theologie. Von Tertullian bis Calvin. München: Verlag C. H. Beck, 2005, S.145-173.

Goodman, M.: Die Geschichte des Judentums. Glaube, Kult, Gesellschaft. Stuttgart: Klett-Cotta, 2020.

Kramer, K. P.: Martin Buber. Der Weg des Herzens in der jüdischen Mystik. Amerang: Crotona-Verlag, 2013.

Markus, M.: 222 Juden verändern die Welt. Hildesheim: Georg Olms Verlag, 2019.

Rothschild, W. L.: Der Honig und der Stachel. Das Judentum – erklärt für alle, die mehr wissen wollen. Gütersloh: Gütersloher Verlagshaus, 2020.

Rutishauser, C.: Christsein im Angesicht des Judentums. Würzburg: Echter Verlag, 2008.

Stumpf, H.: Die wichtigsten Pädagogen. Wiesbaden: Marix Verlag, 2007.

Autor

Frederik Schmitt, ist Erziehungswissenschaftler (Master of Arts) und verfügt über mehrjährige Erfahrung in der schulischen und außerschulischen Bildungsarbeit mit Jugendlichen und jungen Erwachsenen.



In: Klax International GmbH: Das Kita-Handbuch.

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