Demokratie braucht Erziehung

Ulrich Renz/Herbert Renz-Polster, Demokratie braucht Erziehung, München 2025, Kösel

Dieses Buch ist ein wichtiger Beitrag zum Verständnis verschiedener, problematischer gesellschaftspolitischer Entwicklungen der letzten Jahre. Insbesondere die Ausbreitung rechter und rechtspopulistischer Einstellungen hat die Autoren u.a. motiviert, mögliche Ursachen und Hintergründe zu recherchieren und hierfür aufklärendes Material in einem gut und verständlich geschriebenen Buch zu präsentieren. Dabei lassen sie sich von der Erkenntnis leiten, dass vor allem frühkindliche Erlebnisse und Erfahrungen u.a. einen gewichtigen Anteil für die spätere Ausbildung fremden-, demokratiefeindlichen, autoritätsfixiertem und ausgrenzenden Denkens und Verhaltens haben.

Ausgehend von der Grundannahme, dass sich menschliche Grundbedürfnisse und Entwicklungsfragen in vier Themenfeldern darstellen lassen, nämlich: 1. dem Bedürfnis nach Sicherheit, 2. nach Wertschätzung, 3. nach Anerkennung und 4. nach Zughörigkeit und dem Erleben von Selbstwirksamkeit, entwickeln sie nach und nach ein plausibles Gedankengebäude und finden Erklärungsansätze, die vor allem frühkindliche Entbehrungs- und Härteerfahrungen als eine der wichtigsten Ursachen für spätere Empathielosigkeit und Gefühlskälte gegen Minderheiten, Schwächere und Andersdenkende aufzeigen. Exemplarisch ziehen sie hierfür u.a. die belegbaren, biografischen Kindheitserfahrungen von D. Trump, J.D. Vance und W. Putin heran, die gegenwärtig herausragenden Akteure in der Weltpolitik, die mit ihren Aussagen und Handlungen weite Teile der Menschheit in große Sorge, Angst und Schrecken versetzen. Durchgehend lassen sich in diesem Personenkreis schwierigste Entwicklungsverläufe nachweisen: harte Kindheitsschicksale mit umfänglichen Kränkungs-, Frustrations- und Ohnmachtserfahrungen, die schließlich in ein ausgeprägtes Bedürfnis und Streben nach Macht, Kontrolle, Einfluss und Besitzdenken gemündet sind.

Aber auch in Europa und hier speziell in Deutschland zeigen die aufwachsenden, rechten und autoritätsfixierten Denkweisen und Orientierungen das Bedürfnis nach einfachem, starkem, hierarchischem Führungsverhalten und entschlossenem Durchgreifen einer Ordnungsmacht. Es geht um die Wiederbelebung eines nationalistisch geformten Weltbilds und entsprechend ausgewiesenen Feindbildern, nach Reaktivierung klassischer Geschlechterrollen und der Bereitschaft diesbezüglich orientierte politische Parteien zu wählen. Sie erscheinen als Antwort auf die allgegenwärtigen, massiven Verunsicherungen und bedrängenden nationalen und weltpolitischen Herausforderungen (Ökologiethemen, Fluchtbewegungen, demografischer Wandel, stagnierende Ökonomien, Wohlstands- und Statusverluste, Kriege, Systempolarisierungen, Genderthemen, KI-Folgen…). Diese Gruppierungen bedienen zudem Heimat- und Identitätsbedürfnisse und den Wunsch nach einfach zu praktizierenden Lösungen sowie der Etablierung gewohnter (vor allem hierarchischer) Ordnungen und Strukturen. Ihre Erklärungsangebote befreien die Anhänger aus dem anstrengenden Erfordernis, sich kritisch denkend und intensiver mit komplexen Sachverhalten und Fragestellungen beschäftigen zu müssen. So wird im Kreis übereinstimmende Gesinnung erlebt, die wärmt und wohliges Gemeinschaftsgefühl (Motto: „Wir sind die Guten und Richtigen“) erzeugt. Das sich darin ausdrückende Regressionsmoment (vor allem durch Rückdelegation von persönlicher Verantwortungsübernahme), das Öffnung, Entwicklung und Fortschritt verhindert, wird in seiner Bedrohlichkeit für die Erfordernisse von stetigem Wandel, Anpassung und Entwicklung nicht erkannt, bzw. durch den rückwärts gerichteten Blick und die Idealisierung der scheinbar widerspruchsfreien Vergangenheit, ausgeblendet. Es geht um den Abbau bedrohlich empfundener Ängste, die sich aus Überforderungserleben, scheinbarer Handlungsohnmacht und Abstiegsfantasien speisen. Deren Minderung wird sich durch die Öffnung der emotionsgesteuerten Ventile gegen Fremdes, Veränderungs- und als problematischer erlebter Zukunftserfordernisse erhofft.

Trotz nachweislich positiver Veränderungen im Erziehungsverhalten der letzten Jahrzehnte reüssierten bis in die nahe Gegenwart hierzu entsprechende Erziehungswerte (in Ost und West) auch in unseren Breiten. Verstärkt vernehmbar werden nunmehr wieder anzustrebende Ziele wie Disziplin, Härte, Unterordnung, Männlichkeit, Heldentum, Kampf- und Leidensbereitschaft, Heimat- und Vaterlandsliebe, Kleinfamiliensinn, klare Rollenverteilungen, Kriegstüchtigkeit. Solche Einstellungen und Verhaltensweisen sollen gesellschaftspolitisch von den Akteuren rückwärtsgedachter Perspektiven und rechter Denkweisen reaktiviert und inszeniert werden.

Die Autoren machen deutlich, wie und wodurch Erziehung zur Entwicklung solcher Haltungen und Einstellungen beiträgt und weisen damit implizit darauf hin, worum es in der Förderung der engagierten Gegenperspektive gehen müsste, nämlich: Entwicklung von Feinfühligkeit und Einfühlungsvermögen, Respekt und Akzeptanz vor und für Andersartigkeit diverser Lebensformen, Befähigung zu Kommunikations- und Konfliktfähigkeit, Anteilnahme und Gerechtigkeitsempfinden sowie Solidarität mit dem Schicksal von Schwächeren, Verfolgten und Gedemütigten. Es gilt Würde, Achtung und Barmherzigkeit vor der menschlichen Spezies in allen ihren Erscheinungsformen zu erzeugen, zu bewahren und zu leben, um eine erstrebenswerte, humane und friedlichere Zukunft für Alle zu schaffen und zu leben.

Hierzu liefert das Buch wichtige Überlegungen und Erkenntnisse und ist für alle im Bildungs- und Erziehungswesen Tätigen (und darüber hinaus) eine wichtige und bereichernde Lektüre! Es ermutigt zu kritischem Denken, liefert Anknüpfungspunkte und Handlungsimpulse und steigert so ein tiefgründigeres Verständnis für die Fehlentwicklungen eines anscheinend bei zunehmenden Teilen der Bevölkerung aus dem Ruder laufenden Wertekanons.

Fazit: Wir haben es in der Hand! Es gilt: verantwortungs- und selbstbewusst auf eine humane Zukunft hinzuarbeiten. Es gilt das Motto „Demokratie braucht Erziehung“ in die Tat umzusetzen. Demokratie benötigt engagierte, zuversichtliche und glaubwürdige Vorbilder, die sich mit Verve und Begeisterung für nachahmenswerte Werte, Ziele und Haltungen - wie sie sich zum Beispiel zahlreich in unserem Grundgesetz unzweideutig wiederfinden, einsetzen. Pädagogen und Pädagoginnen können hierbei eine besonders wichtige, verantwortungsvolle und wertvolle Rolle spielen!

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