Maurits Heidutzek
Seit seiner Entstehung ringt der Kindergarten um seine Selbstdefinition und gesellschaftliche Anerkennung: Ist er eine sozialpädagogische Fürsorgeeinrichtung mit reiner Betreuungsaufgabe für Familien in Notlagen, eine mit den Grundschulen vergleichbare Bildungseinrichtung oder ist er irgendwo zwischen diesen Polen als Einrichtung mit eigenständigem Bildungsauftrag einzuordnen?
Erste politische Verordnungen im 19. Jahrhundert legten besonderen Wert auf die Abgrenzung zu Schulen. Spätere in der Bundesrepublik nie umgesetzte systemintegrative Ideen - wie die der Einheitsschule - sahen ihn als Teil eines großen ganzen Bildungssystems. Jedoch fordert jede dieser Assoziationen eigene Konsequenzen für Kinder, Eltern und Fachkräfte sowie für Gesetzgeber und Träger. Auch die Frage, für welche Altersspanne die Einrichtungen zuständig sein sollen, wurde und wird je nach politischen und gesellschaftlichen Vorstellungen immer wieder anders definiert.
Der 1965 gegründete Deutsche Bildungsrat, der als unabhängiges Beratungsgremium für die Bundesrepublik Deutschland Empfehlungen und Gutachten zur Schul- und Kindergartenarbeit erstellte, beschäftigte sich in seinem 1970 veröffentlichten Strukturplan genau mit jenen Fragen. Mit seinen diskutierten Veränderungskonzepten stellt dieser Entwurf der Bildungsplanung auch heute noch eine gewisse Aktualität dar.
Struktur des Deutschen Bildungsrates
Der Deutsche Bildungsrat wurde 1965 gegründet und konstituierte sich im März 1966. Sitz war Bonn-Bad Godesberg. Den Vorsitz hatte von 1966 bis 1970 Karl-Dietrich Erdmann (1910-1990) und von da an bis zur Auflösung 1975 Hermann Krings (1913-2004). Ziel der Arbeit des Bildungsrates war - wie zuvor beim Deutschen Ausschuss für das Erziehungs- und Bildungswesen (1953-1965) -, trotz des im Grundgesetz geregelten Föderalismus in der Bildungspolitik eine bundeseinheitliche Gesamtplanung zu ermöglichen. Auch sollte das Gremium auf internationale bildungspolitische Entwicklungen reagieren und schulrelevante Forschungen als Grundlage für seine Arbeit nehmen.
Während seines Bestehens wurden insgesamt 61 Gutachten und 15 Empfehlungen erstellt (vgl. Universal-Lexikon 2012). Hier ging es beispielsweise um neue Schulkonzeptionen wie Ganztags- oder Gesamtschulen, um eine verstärkte Selbstständigkeit von Schulen, um Maßnahmen zur Beseitigung des Lehrermangels und nicht zuletzt auch um die Rolle des Kindergartens im Bildungssystem (vgl. Deutscher Bildungsrat/ Sitzung der Bildungskommission 1975, S. 504-510).
Der Bildungsrat bestand aus zwei Kammern: Die Bildungskommission (BK) war dabei das entscheidende Organ, welches auch alleinige Verantwortung für die Verabschiedung von Empfehlungen trug. Mit achtzehn Mitgliedern sollte sie ein Spiegelbild der Gesellschaft darstellen und Konsens in strittigen Fragen im Sinne der Demokratie erreichen (vgl. Erdmann 1973). Dabei gab es sechs Vertreter, welche Repräsentanten aus dem gesellschaftlichen Bereich waren (Kirche, Industrie, Handwerk, Gewerkschaft). Sechs weitere Vertreter zählten als Bildungsforscher, Soziologen, Pädagogen, Oberstudiendirektoren oder Psychologen zu den sogenannten "Sachverständigen" (Grunenberg 1970). Weitere vier Vertreter waren wie der erste Vorsitzende Erdmann, der als Historiker in Kiel arbeitete, Wissenschaftler "mit allgemeinem Interesse am Bildungswesen" (Grunenberg 1970). Die Regierungskommission (RK) hatte dagegen keine Stimmrechte, musste allerdings von der Bildungskommission vor Beschlüssen angehört werden und war zu Stellungnahmen berechtigt (vgl. Erdmann 1973). Sie war das Organ von Vertretern aus Bundes-, Landes- und Kommunalpolitik (vgl. Deutscher Bildungsrat 1972, S. 345-356).
Die Arbeit des Deutschen Bildungsrates in Ausschüssen war eine ursprünglich nicht vorgesehene Herangehensweise. Unter dem Vorsitz von Emilie Stahl (1921-2003) beschäftigte sich der Ausschuss für vorschulische Erziehung explizit mit der Rolle des Kindergartens innerhalb des Bildungssystems. Aber auch andere Ausschüsse thematisierten die Arbeit der Kindergärten (vgl. Deutscher Bildungsrat 1972, S. 345-356).
1970 wurde die Bund-Länder-Kommission für Bildungsplanung (BLK) gegründet, welche zum Teil die Arbeit des Bildungsrats als Vorlage nahm, gleichfalls aber auch Kompetenzüberschneidungen mit diesem hatte (vgl. Erdmann 1973). Nach uneinigen Positionen der Länder zur Arbeit des Bildungsrats wurde dieser 1975 aufgelöst.
Abgesehen von der BLK gibt es seither kein derartiges Gremium in der Bundesrepublik mehr. Nur das sehr kurzlebige Forum Bildung, welches von 1999 bis 2001 bestand, folgte einem ähnlichen Ansatz wie der Bildungsrat (vgl. Bund-Länder-Kommission 2001, S. 111).
Der Kindergarten im Strukturplan für das Deutsche Bildungswesen
Die Arbeit des Deutschen Bildungsrats war vielfältiger Art, beschäftigte sie sich doch abgesehen vom Hochschulbereich mit allen vorhandenen Bildungseinrichtungen. Im Strukturplan von 1970, welcher das Ergebnis der ersten vierjährigen Amtsperiode des Bildungsrats war, wird das System deshalb in vier Abschnitte unterteilt: in den Elementar-, den Primar- und den Sekundarbereich sowie in die Weiterbildung.
Der Kindergarten in Form des Elementarbereichs wurde dabei als "unverzichtbare[r] Bestandteil des gesamten Bildungssystems" angesehen (Deutscher Bildungsrat 1972, S. 112). Kern des Strukturplans war zudem eine komplett neue Altersstruktur, die besonders den Elementarbereich betroffen hätte: Statt drei- bis sechsjährige Kinder sollte nur noch die Altersgruppe der drei und vier Jahre alten Kinder in den Kindergarten aufgenommen werden. Die Fünf- und Sechsjährigen sollten fortan eine zweijährige Eingangsstufe an den Grundschulen besuchen. Zieldaten für die angestrebten Pläne wurden im Strukturplan für das Jahr 1980 ausgegeben (vgl. Deutscher Bildungsrat 1972, S. 102-119).
Während für Kinder in den ersten drei Jahren die Familie nach allgemeiner Auffassung die beste Förderungsumwelt bot, stellte der Bildungsrat für ältere Kinder hingegen fest, dass diese in psychologisch und pädagogisch gut geführten Kindergärten in vielfacher Hinsicht eine bedeutsame Entwicklungsförderung erhalten könnten und sogar Vorteile gegenüber der familiären Erziehung erfahren würden. Der bereits seit der Gründung der ersten Kleinkindereinrichtungen geltende Leitgedanke, es handle sich dabei um "Aufbewahrungsanstalten", habe sich zu der Idee einer "behütenden Kinderheimat" (ebd., S. 45) neben der Familie gewandelt. Größte Probleme bei Kindern, die nicht im Kindergarten, sondern in der Familie ihre Vorschulzeit verbrachten, sah man im Sozialverhalten, begrenzten Denk- und Erkenntnisfähigkeiten sowie in eingeschränkter Entwicklung der Gefühlswelt. Auch habe der Kindergarten besonders für Mütter eine entlastende Wirkung. Der Kindergarten müsse sich zudem von der Idee befreien, die intime Nähe der Familie nachahmen zu wollen.
Die Beziehung zwischen Elementar- und Primarbereich sollte nach dem Strukturplan von der Ganzheit des Bildungssystems geprägt sein: Jede niedrigere Stufe - wie hier die Elementarstufe - leistet Vorarbeit für die Nächste. Dennoch sollte dabei sichergestellt bleiben, dass der Kindergarten kein schulisches Lernen wie Lesen, Rechnen oder Schreiben vorweg nimmt, sondern nur den Kindern grundlegende "allgemeine Voraussetzungen für schulisches Lernen" (ebd., S. 46) verschafft: Dies umfasst Ansätze zum Lösen von Aufgaben und Erreichen von Zielen (Kompetenz zu Problemlösungen). Auf der Ebene der Verwaltung sollte die Zusammenarbeit von Kindergärten und Grundschulen institutionell abgesichert werden. Auch die Tätigkeiten der Grundschul-Eingangsstufe sollten sich an der Art des Elementarbereichs orientieren und sich erst allmählich zu "stärker formalisiertem Lernen" (ebd., S. 48) wandeln.
Dass die Fünf- und Sechsjährigen überhaupt fortan statt in den Kindergarten in die Schule gehen sollten, begründete die Bildungskommission mit Studien zur Entwicklung der Kinder. Zwar gebe es individuelle Entwicklungsunterschiede, jedoch stellte man für die meisten Kinder dieser Altersstufe "in einem rein an spielerischen Tätigkeiten orientierten Kindergarten" (ebd., S. 40) eine Unterforderung fest. Die Kinder könnten vielmehr bereits anspruchsvollere und zeitlich langwierigere Aufgaben bewältigen. Der Transitionsgedanke spielte bei diesen Überlegungen dagegen keine tragende Rolle (vgl. Deutscher Bildungsrat 1972, S. 40-50).
Zur Festlegung und zum Erreichen der Bildungsziele sei die Entwicklung von Curricula im Elementarbereich unausweichlich (vgl. Deutscher Bildungsrat 1972, S. 44-45). So sei es nötig, dass die Fachkräfte im Kindergarten einer handlungsorientierten Systematik und nicht dem Zufall folgten. Die Curricula könnten dabei in drei Fähigkeitsbereiche aufgeteilt werden: Orientierungs- und Konzentrationsfähigkeiten (Anerkennung erst nach Ende der Aufgabe, Ablenkungen widerstehen), motorische und Wahrnehmungsfähigkeiten (Körperbeherrschung, Lagebewusstsein) sowie begrifflich-sprachliche Fähigkeiten (Ausdruck von Gefühlen, Gebrauch von Beispielen, das Fragenstellen, um Probleme selbst zu lösen). Nach fachlichen Lernbereichen sollte bei diesen Fähigkeiten nicht unterschieden werden. Allerdings komme man nicht umhin, die Programminhalte einer Situationsanalyse folgend in sinnvolle Lernschritte zu ordnen statt beliebig zu handeln (vgl. Deutscher Bildungsrat 1972, S. 40-50, 81-82, 107-115).
Bei dem Erreichen der Lernziele ist der Bildungskommission ein individualisierter und differenzierter Umgang mit den Kindern wichtig. Da die angeborenen Anlagen nur durch direkte und indirekte Anregungen, die die Kinder in ihrer Umwelt erfahren, in Fähigkeiten und Fertigkeiten entwickelt würden, müssten auch die Kindergärten in diesem Fall zur Sensibilität des Kindes passende Angebote machen (Anpassungsprinzip). Dazu sei es empfehlenswert, in den Kindergärten Kleingruppen zu bilden (innere Differenzierung), die an die individuellen Lerngeschichten der Kinder - familiäre und kulturelle Verhältnisse - anknüpften. Die in der Kindheit erlernten Fähigkeiten sollten das spätere Lernen um ein Vielfaches effektiver machen (kumulative Wirkung). Die Kleingruppen erlaubten es, auf unterschiedliche individuelle Lernziele und Leistungspositionen einzugehen (vgl. Deutscher Bildungsrat 1972, S. 40-50, 70-72, 107-111).
In der Bundesrepublik besuchte 1967 im Durchschnitt etwa ein Drittel der drei- bis fünfjährigen Kinder einen Kindergarten. Bei insgesamt etwa einer Million verfügbarer Plätze wurde das Angebot aber auch von älteren Kindern genutzt. Die Versorgungslage war zudem regional unterschiedlich gut fortgeschritten und reichte von 10% in Schleswig-Holstein bis zu 60% in Baden-Württemberg. Strategisches Ziel für 1980 war eine Versorgungsquote von 75% bei Drei- und Vierjährigen, was einem Ausbau um gut 400.000 Plätze auf dann 1,434 Millionen bedeutet hätte. Für den Fall, dass die Grundschulreform bis 1980 noch nicht vollzogen sei, erstellte der Rat einen Alternativplan unter Einbeziehung von 50% der Fünfjährigen, welches einem Ausbau um 900.000 Plätze auf dann 1,910 Millionen entsprochen hätte. Nach vollzogenem Umbau der Grundschule hätte sich ein Vollausbau des neuen Elementarbereichs ergeben. Die optimal angestrebte Gruppengröße sollte bei 12 bis 15 Kindern liegen, allerdings gab man sich als Zwischenziel bis 1980 mit einer Relation von 20:1 zufrieden. Je Gruppe ging man von einer pädagogischen Fachkraft aus; zwei Gruppen könnten sich zudem eine pädagogische Hilfskraft teilen (vgl. Deutscher Bildungsrat 1972, S. 102-120).
Als weiteres Problem wurde die Gebäudesituation und die mangelnde materielle Ausstattung der Kindergärten gesehen: Gebäude, die ursprünglich anderweitig genutzt worden waren und nur provisorisch umgebaut oder eingerichtet wurden, wären durch Raumgrößen und Raumanordnung nicht für pädagogische Anforderungen angemessen. Auch Gymnastikhallen könnten nicht von allen Kindergärten angeboten werden. Bei der Ausstattung mit Spiel- und Alltagsmaterial hätten trotz Besserungen noch immer "erhebliche Mängel" bestanden (ebd., S. 106). Die Bildungskommission definierte daher, welche Grundausstattung bei jedem Kindergarten nötig schien. Kommunale und private Träger müssten nebeneinander eine "produktive Konkurrenz der Träger" (ebd., S. 267) bilden. Die Kommission schlug deshalb vor zu prüfen, ob "ausnahmslos allen Trägern eine Grundfinanzierung zur Verfügung gestellt werden soll[e]" (ebd., S. 267).
Fachkräfte der Kindergartenerziehung waren Jugendleiter/innen (Sozialpädagog/innen) und Kindergärtner/innen (Erzieher/innen). Allerdings machten diese nur 45% der Erzieherschaft in den Kindergärten aus, sollten aber nach dem Willen des Deutschen Bildungsrates zukünftig ausschließlich das Personal stellen. Da die Lernziele im Kindergarten in vielfältigen und kurzfristigen Programmen angestrebt werden müssten, hänge der Erfolg stark von gut qualifizierten Fachkräften und der richtigen Organisation der Gruppen, des Tagesablaufs und des Materialangebots ab.
Durch die angestrebten Veränderungen der Qualifikation und des Personalschlüssels hätte sich bis 1980 mittelfristig ein Bedarf von zusätzlich 100.000 Erzieher/innen und Sozialpädagog/innen ergeben. Um der drohenden Gefahr einer Verschlechterung der Personalsituation in Kindergärten entgegen zu wirken, müssten nach Willen der Kommission auch die Arbeitsbedingungen im Elementarbereich an das Niveau der Schulen angehoben werden. Auch eine Eingliederung der Fachkräfteausbildung - zumindest die der Kindergartenleitung - in die Lehrerausbildung sei wünschenswert (vgl. Deutscher Bildungsrat 1972, S. 103-122).
Erfolgsbilanz
Die Bilanz der Verwirklichung der Empfehlungen des Deutschen Bildungsrats war durchwachsen: Der aufbauend auf dem Strukturplan erstellte Bildungsgesamtplan der Bund-Länder-Kommission, ein langfristig angelegter Rahmenplan für die Bildungspolitik, wurde zwar 1973 von Bund und Ländern angenommen, scheiterte aber in der Umsetzung an der Finanzierung und Uneinigkeit zwischen den Ländern. Auch blieben die Forderungen des Strukturplans in Gesetzen und Erlässen weiterhin nur vage formuliert: So wurde beispielsweise die Kooperation zwischen Kindergärten und Grundschulen lediglich in einigen Landesgesetzen empfohlen, nicht aber durch verbindliche Erlässe bindend umgesetzt (vgl. Reyer 2015, S. 107-112).
Eine neue Altersstruktur - im Sinne der ausschließlichen Betreuung von Drei- und Vierjährigen in Kindergärten - wurde weder zum Stichjahr 1980 noch bis heute realisiert. Eine Grundschulreform, die eine Einschulung mit fünf Jahren vorsieht, wurde nicht vollzogen. Allerdings verschoben einige Bundesländer - nach den enttäuschenden Ergebnissen der deutschen Schüler/innen bei den IGLU-, PISA- und TIMSS-Studien Anfang der 2000er Jahre - auf Empfehlung der Kultusministerkonferenz die Einschulungsregelungen, sodass mittlerweile auch einige Fünfjährige eingeschult werden. Durch diese Maßnahme erhofften sich die Länder, die schulischen Leistungen der Schüler zu steigern, etwa bei Kindern mit Sprachproblemen oder ohne Kindergartenbesuch (vgl. Dückers 2014). Bei einem gesonderten Antrag auf Früheinschulung durch die Eltern kann das Einschulungsalter zusätzlich vorgezogen werden: In Berlin kann ein Kind beispielsweise schon mit fünf Jahren und fünf Monaten eingeschult werden (vgl. Schul- und Sportamt Land Berlin 2017). Nachdem Studien zeigten, dass früher eingeschulte Kinder die Lernziele häufiger nicht erreichten, seltener für das Gymnasium empfohlen wurden und weniger selbstbewusst waren, setzten einige Bundesländer ihre Stichtagregelungen wieder auf ein höheres Alter fest (vgl. Dückers 2014).
Statt der Ausgliederung von Kindern aus dem Kindergarten wurde vielmehr die Altersspanne der zu betreuenden Kinder um Unter-Dreijährige erweitert: Sah die Bildungskommission 1970 diesen Bereich noch als Familienaufgabe, widmet sich die Politik aller Länder besonders seit den 2000er Jahren vermehrt dem Ausbau von Gruppen für diese Altersspanne, die meist in den bestehenden Kindertageseinrichtungen gemeinsam mit älteren Kindern betreut werden. So stieg in dieser Altersgruppe die Betreuungsquote von nur knapp 9% im Bundesdurchschnitt des Jahres 2002 auf 32,7% im Jahr 2016 (Bundesagentur für Arbeit 2014, S. 6-7; Statistisches Bundesamt 2017). Nachdem es bereits seit 1996 einen Rechtsanspruch auf ein Betreuungsangebot ab drei Jahren gibt, gilt dies seit 2013 auch für Kinder ab Vollendung des ersten Lebensjahres. Von einem weiteren massiven Ausbau des Platzangebotes in dieser Altersgruppe ist daher auszugehen (vgl. Oberhuemer/ Schreyer 2010, S. 75-76).
Anfang der 2000er Jahre rückte die Curricula-Entwicklung stärker in den Fokus der Kindergartenpolitik: Zwischen 2003 und 2007 verabschiedeten die Bundesländer Bildungspläne. Neben den bereits im Strukturplan geforderten Bildungsbereichen der Sprach- und Sozialkompetenzen setzen die Pläne weitere je nach Bundesland variierende Bereiche fest, wie beispielsweise Religion/Ethik oder auch die Förderung mathematischer, ökologischer und naturwissenschaftlicher Kompetenzen. Individualisierung und Differenzierung spielen - wie im Strukturplan - auch hier eine entscheidende Rolle (vgl. Oberhuemer/ Schreyer 2010, S. 75-76).
Im Sinne einer Bildungskontinuität der Kinder gelten die Pläne einiger Bundesländer (z.B. NRW, Thüringen, Hessen) neben den Kindertageseinrichtungen auch für die Grundschulen. In diesen Ländern wird die im Strukturplan vertretene Betrachtung des Bildungswesens als Ganzes wahrgenommen. In einem gemeinsamen Beschluss der Kultusministerkonferenz und der Jugend- und Familienministerkonferenz aus dem Jahre 2009 wird sogar explizit die Bedeutung der Kooperation zwischen Elementar- und Primarbereich zur Abstimmung der jeweiligen Bildungskonzepte für einen möglichst erfolgreichen Transitionsprozess der Kinder hervorgehoben (vgl. Kultusministerkonferenz 2009).
Während 1967 nur etwa ein Drittel der Kinder einen Kindergarten besuchten, waren es Ende der 1970er bereits rund 79%. Das Ziel von 75% für das Stichjahr 1980 wurde also schon vorzeitig übertroffen. Im Jahr 2016 lag die bundesweite Betreuungsquote mit 93,6% nahe an einem Vollausbau (vgl. Statistisches Bundesamt 2017). Bei angenommener Ganztagsbetreuung reichte die Spanne des Personalschlüssels 2006 von 1:8,8 in Rheinland-Pfalz bis zu 1:13,6 in Mecklenburg-Vorpommern. Während die Gruppengröße in Berlin mit durchschnittlich 12 Kindern die im Strukturplan avisierten Ziele erreichte, lag in Bayern die Gruppenstärke dagegen bei 24 Kindern (vgl. Oberhuemer/ Schreyer 2010, S. 68-75).
Die von der Bildungskommission geforderte höhere Qualifikation der Kräfte in Kindertageseinrichtungen hat sich zu den im Strukturplan geschilderten Verhältnissen von nur 45% Fachkräften - Sozialpädagog/innen und Erzieher/innen - stark verbessert. Mehr als zwei Drittel aller Beschäftigten (67,3%) hatten im März 2014 den an Fachschulen und -akademien erworbenen Berufsabschluss des Erziehers/der Erzieherin. Wenn auch auf niedrigem Niveau, so ist auch bei den Ausbildungen im Hochschulbereich in den letzten Jahren ein Anstieg zu beobachten. Neben den Abschlüssen der Sozialpädagog/innen beziehungsweise Erziehungswissenschaftler/innen entstand mit den Kindheitspädagog/innen ein weiterer, speziell auf den Elementarbereich ausgerichteter akademischer Beruf. Hochschulqualifizierte sind vor allem in Leitungspositionen zu finden, aber bisher nicht - wie von der Bildungskommission angedacht - mit Grundschullehrer/innen gleichgestellt (vgl. Bundesagentur für Arbeit 2014, S. 13).
Schlussbemerkungen
Die Reformideen des Deutschen Bildungsrates folgten eher einem Ideal als realpolitischen Leitgedanken. Durch seine bunte Zusammensetzung von verschiedenen Interessengruppen schaffte der Bildungsrat dennoch Konsens in einigen Handlungsfeldern und leitete einen massiven Ausbau des Elementarbereichs ein. Mit der Einstufung des Kindergartens als Bildungseinrichtung erreichte der Deutsche Bildungsrat Fortschritte in der - seit seiner Entstehung schwelenden - Diskussion um die Definition des Kindergartens und leistete hier Vorarbeit für die aktuellen frühpädagogischen Bildungsdiskussionen sowie die seit 2003 bestehenden Bildungspläne der Länder.
Angesichts des Fortbestehens des Wissenschaftsrats, der die Länder bis heute im Hochschulbereich berät, bleibt es trotz Bund-Länder-Kommission begrüßenswert, wenn auch es auch für Kindertageseinrichtungen und Schulen wieder ein derartiges Gremium geben würde. Hier könnte einerseits für eine gewisse Einheitlichkeit und Vergleichbarkeit zwischen den Bundesländern gesorgt und andererseits konsensfördernd auf aktuelle nationale und internationale Entwicklungen eingegangen werden. Auch die Funktion eines Bildungsrats als kritischer und weitestgehend unabhängiger Begleiter der Bildungspolitik der Länder und als Interessenvertreter für Vorhaben und Investitionen in den Bildungsbereichen ist auch heute noch wünschenswert.
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