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Zitiervorschlag

Entwicklungen in Bezug auf die Arbeit mit Jungen in Kindertageseinrichtungen von 1995 bis 2005

Margarete Blank-Mathieu

 

Seit 1995 haben sich Männer vermehrt aufgemacht, sich mit Jungen in Kindertageseinrichtungen zu befassen.

1997 haben Tim Rohrmann und Peter Thoma sich auf Grund von eigenen Forschungen im Rahmen der Fachhochschule Braunschweig-Wolfenbüttel mit der Jungenarbeit in Kindertagesstätten auseinandergesetzt und ein Handbuch für Erzieherinnen zu diesem Thema erstellt. Kritisiert werden muss, dass hier Männer eine Konzeption der Jungenarbeit für Frauen (Erzieherinnen) erstellt haben, die den Frauen sagen soll, was sie in Bezug auf Jungen zu tun haben. Dieses Buch gibt aber dennoch gute Handreichungen für die Wahrnehmung von Jungen in Kindertageseinrichtungen.

Es ist jedoch nicht sehr hilfreich, Erzieherinnen in dieser Frage Fortbildungen durch Männer anzubieten. Die Kompetenzen von Frauen müssen gestärkt werden, sie müssen Unterstützung im Alltag durch Männer bekommen und nicht von diesen "belehrt" werden.

Auch sonst fällt auf, dass die Arbeit mit Jungen von Männern thematisiert wird, die jedoch in den Tageseinrichtungen nach wie vor nur sporadisch zu finden sind. Wenn Männer, die in der praktischen Arbeit in Kindertageseinrichtungen stehen, sich zu diesem Thema äußern würden, wäre dies sinnvoll. Häufig macht man jedoch die Erfahrung, dass sich Männer, die sich in der Fortbildung mit allgemeinen pädagogischen Themen beschäftigen, auch kompetent fühlen, Erzieherinnen und Eltern zur Jungenerziehung beraten zu können (vgl. Rogge/ Mähler 2003).

Martin Verlinden und Anke Külbel, ebenfalls beide in der Weiterbildung tätig, haben das Thema "Väter im Kindergarten" (2005) ausgearbeitet. Hier werden Erzieherinnen auf Möglichkeiten der Einbeziehung von Männern (hier Vätern) in der Arbeit der Kindertageseinrichtungen aufmerksam gemacht. Leider fehlt in diesem Buch der Blick auf die unterschiedliche Bedeutung der Väterpräsenz für Jungen und Mädchen.

Dass in den Grundschulen inzwischen die Männer ebenso fehlen bzw. nur am Rande eine Rolle spielen wird bei Uli Boldt "Ich bin froh, dass ich ein Junge bin" (2003) thematisiert.

Es fällt auf, dass es stets die Männer sind, die sich zur Jungenthematik zu Wort melden, aber selbst kaum oder keine Erfahrungen in der Praxis haben. Im letztgenannten Buch zeigt sich das auch bei der Auswahl der Grundlagenliteratur. Sie ist mehr als dürftig und weist kaum auf aktuelle Veröffentlichungen zu dieser Thematik hin.

Tim Rohrmann bildet dabei eine löbliche Ausnahme. In seiner Veröffentlichung: "Echte Kerle, Jungen und ihre Helden" (2001) zeigt er auf, was für Jungen wichtig ist. Dieses Buch gibt auch Erzieherinnen wertvolle Hinweise.

Nach wie vor scheint sich die Annahme, Frauen seien für Mädchen und Männer dann für die Jungen zuständig, durchzusetzen. So werden Männer nicht auf Mädchenthemen hingewiesen, obwohl auch sie mit Mädchen arbeiten und Frauen erfahren nichts darüber, was für Jungen wichtig ist. Da aber beide Geschlechter für Jungen und Mädchen in pädagogischen Arbeitsfeldern "zuständig" sind, wäre es an der Zeit, dass sie sich gegenseitig informieren und eine gemeinsame Jungen- und Mädchenarbeit konzipieren. Eine gelingende Arbeit mit Jungen und Mädchen kann nur von beiden Geschlechtern vorangebracht werden.

Es ist an der Zeit, dass sich Männer und Frauen gemeinsam für die Geschlechtsidentität von Jungen und Mädchen interessieren und in allen pädagogischen Arbeitsfeldern von der Krabbelgruppe bis zur Hochschule vertreten sind. Da die geschlechtsbezogene Sozialisation sehr früh beginnt, müssen Männer und Frauen bereits von Geburt an für Mädchen und Jungen zur Verfügung stehen. Dass vor allem die Väter und Männer noch immer bis zur Oberstufe des Gymnasiums in der Minderheit oder nur am Rande vorhanden sind, ist vor allem für Jungen katastrophal. Sie müssen sich ihre Geschlechtsidentität mehr oder weniger zufällig durch die Zugehörigkeit zu einer Jungengruppe aneignen. Dabei kommt es, je nach der zufälligen Zusammensetzung solcher Gruppen, zu schwierigen Selbstkonzepten, z.B. in neonazistischen Gruppen.

Obwohl dies noch nicht für die Kindertageseinrichtungen gilt, werden auch hier schon Grundlagen für die Akzeptanz von besonders starken, durchsetzungsfähigen, ja gewaltbereiten Jungen gelegt. In meinen Forschungen zu "Sozialisation, Selbstkonzept und Entwicklung der Geschlechtsidentität bei Jungen im Vorschulalter" (2001) ist das sehr deutlich geworden. Da helfen auch weitere Veröffentlichungen und Ratgeber für Erzieherinnen wenig (vor allem, wenn sie von Männern geschrieben wurden, die nur sporadisch in diesem Berufsfeld auftauchen).

Man kann also feststellen, dass es immer weniger Männer (trotz der zahlreichen Appelle) gibt, die in pädagogischen Einrichtungen tätig sind. Dies hat zur Folge, dass Jungen immer länger ausschließlich von Frauen erzogen werden, von denen sie sich aber abgrenzen müssen, um "männlich" zu werden. Da sich aber die Frauen nach wie vor eher für Mädchen verantwortlich fühlen und Jungen weniger in ihrem Jungensein unterstützen können, da ihnen die Wahrnehmung für Jungenthemen und -bedürfnisse weithin fehlt, muss das für Jungen bedeuten, dass sie weniger Sicherheit in Bezug auf ihre Geschlechtsidentität erlangen können.

Jungen in Kindertageseinrichtungen müssen also durch die Aus- und Fortbildung der Erzieherinnen (durch Männer und Frauen) noch mehr als bisher in den Blick genommen werden. Frauen müssen (da die Männer in diesen Arbeitsfeldern fehlen) weiterhin dafür sorgen, dass sich Männer für die Betreuung, Erziehung und Bildung von Jungen und Mädchen interessieren und wenigstens zeitweise in der Praxis mitarbeiten. Der Vorbildfunktion vom Zusammenleben der beiden Geschlechter können Jungen und Mädchen dann entnehmen, wie ein demokratischer Umgang zwischen den Geschlechtern aussehen kann und wie sie sich an lebendigen Männern und Frauen orientieren können, um zu einer gelingenden Geschlechtsidentität zu gelangen.

Männer müssen ihre Rolle als Berater der Frauen aufgeben. Obwohl sich inzwischen junge Väter ebenso an der Pflege und Erziehung ihrer Babys beteiligen, fällt auf, dass sie sich aus der Pflege und Erziehung zurückziehen, sobald die Kinder älter werden. Erst im späteren Schulalter interessieren sie sich dann wieder, vor allem für den Bildungsweg ihrer Kinder.

Bei Männern muss deshalb die Einsicht wachsen, dass sie alleine auf Grund ihrer Geschlechtszugehörigkeit für Kinder beiderlei Geschlechts wichtig sind. Frauen hingegen müssen sich vornehmen, die Bedürfnisse von Jungen besser wahrzunehmen und die Männer ihrerseits in die Pflicht zu einem gemeinsamen Erziehungsauftrag zu nehmen. Hier muss noch viel auf den Weg gebracht werden...

Literatur

Blank-Mathieu, Margarete: Sozialisation, Selbstkonzept und Entwicklung der Geschlechtsidentität bei Jungen im Vorschulalter, Dissertation Uni Tübingen 2001, http://w210.ub.uni-tuebingen.de/dbt/volltexte/2002/470

Boldt, Uli: Ich bin froh, dass ich ein Junge bin, Hohengehren 2003

Rogge, Jan-Uwe/ Mähler, Bettina: Lauter starke Jungen, Reinbek 2003

Rohrmann, Tim: Echte Kerle, Jungen und ihre Helden, Reinbek 2001

Rohrmann, Tim/ Thoma, Peter: Jungen in Kindertagesstätten, Braunschweig 1997

Verlinden, Martin/ Külbel, Anke: Väter im Kindergarten, Weinheim 2005