Gender Mainstreaming in Kindertageseinrichtungen

Aus: Kindertageseinrichtungen aktuell, Ausgabe ND, 2003, Jg. 11, Teil 1: Heft 11, S. 224-227; Teil 2: Heft 12, S. 248-252. Aktualisiert August 2005.

Tim Rohrmann

Fünf Situationen aus dem Alltag

(1) In einem Team mit männlicher Leitung ist der Posten der stellvertretenden Leitung zu besetzen. Die Kolleginnen einigen sich darauf, dem zweiten in der Einrichtung beschäftigten Mann die Position anzubieten.

(2) Erzieherinnen stellen fest, dass Jungen einen Großteil ihrer Aufmerksamkeit beanspruchen. Sie haben den Eindruck, dass Mädchen (und auch manche stillen Jungen) dadurch zu kurz kommen.

(3) Kolleginnen fällt auf, dass sich insbesondere ältere Jungen bei den Angeboten oft langweilen und so viel wie möglich nach draußen oder in die Bewegungsbereiche wollen. Sie fragen sich, ob Jungeninteressen im Angebot der Einrichtung zu wenig berücksichtigt werden.

(4) Zum Elternabend kommen in der Regel nur sehr wenige Väter.

(5) Zum zweiten Mal hat ein männlicher Mitarbeiter nach relativ kurzer Zeit das Arbeitsverhältnis gekündigt, nachdem es zuvor immer wieder teils unterschwellige, teils offene Konflikte mit Kolleginnen gegeben hatte.

Was haben diese Situationen gemeinsam? Sie handeln davon, dass in Kindertagesstätten nicht einfach Kinder und Erwachsene zusammenkommen, sondern Mädchen und Jungen, Frauen und - seltener - Männer. Und sie zeigen, dass dies zu Problemen führen kann!

Lange Zeit wurden geschlechtsbezogene Fragen als ein "Spezialproblem" insbesondere von Mädchen und Frauen betrachtet und in der Regel Frauen dafür zuständig gemacht, hier Verbesserungen zu bewirken. Erst mit der Einführung von Gender Mainstreaming beginnt sich auch auf politischer und administrativer Ebene ein Verständnis durchzusetzen, das die Berücksichtigung geschlechtsbezogener Aspekte als eine zentrale Querschnittsaufgabe von Pädagogik und Kinder- und Jugendhilfe ansieht.

Gender Mainstreaming - ein neuer Begriff für ein altes Thema

Die Idee des Gender Mainstreaming stammt aus der weltweiten Frauenbewegung und wurde auf der Weltfrauenkonferenz 1995 in Peking als Leitprinzip für alle Regierungen und Organisationen beschlossen. Es war festgestellt worden, dass das Ziel der Gleichberechtigung von Frau und Mann nicht allein durch Frauenförderung erreicht werden kann. Fördermaßnahmen für Frauen führen oft ein Nischendasein am Rande der offiziellen Politik und Verwaltung, die Frauen weiterhin vielfach benachteiligt. Der neue Begriff machte außerdem deutlich, dass es nicht nur um Frauen und Mädchen geht, sondern Gleichberechtigung ein gemeinsames Projekt von Frauen und Männern sein und daher auch die Situation von Männern und Jungen in den Blick genommen werden muss.

Definition

Gender (engl.): Sammelbegriff für alle mit dem Geschlechtsunterschied verbundenen Eigenschaften, Verhaltensweisen, Stereotype, sozialen Zuordnungen, kulturellen Zuschreibungen usw., die nicht biologisch vorgegeben sind. Früher meist als "soziales Geschlecht" im Gegensatz zum "biologischen Geschlecht" (engl. sex) übersetzt. Heute als Fremdwort eingedeutscht, auch in klangvollen Zusammenstellungen wie "Genderwissen", "Genderkompetenzen", "Gendertraining". Die genaue Bedeutung des Begriffs ist dabei allerdings nicht klarer geworden.

Mainstreaming (engl.): Wörtlich "in den Hauptstrom bringen".

Gender Mainstreaming bedeutet also direkt übersetzt: "Das soziale Geschlecht in den Hauptstrom bringen". Mit dieser etwas seltsamen Formulierung ist gemeint, dass geschlechtsbezogene Fragen nicht mehr als Spezialthema behandelt, sondern in der ganzen Breite des Alltagshandelns berücksichtigt werden sollen. Der Begriff "bezeichnet den Prozess und die Vorgehensweise, die Geschlechterperspektive in die Gesamtpolitik mit aufzunehmen" - so das Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend in seiner Definition. Mit gemeint ist dabei das allgemeine Ziel einer "tatsächlichen Gleichstellung von Frauen und Männern".

Dies wirft allerdings gleich wieder neue Fragen auf: Was ist mit Gleichstellung gemeint? Seit 1996 ist Gender Mainstreaming durch die EU-Verträge (Artikel 2 und 3) und durch die Charta der Grundrechte der Europäischen Union (Artikel 23 Nr. 1) zur Durchsetzung von Chancengleichheit zwischen den Geschlechtern in allen EU-Mitgliedsstaaten verbindlich. Zielrichtung dabei ist, Gender Mainstreaming auf allen Aktionsfeldern zu berücksichtigen. Diesen Grundsatz hat sich auch die Bundesregierung in ihrer Stellungnahme zum 11. Kinder- und Jugendbericht zu eigen gemacht, indem sie herausstellt: "dass Gender-Mainstreaming - wie in allen anderen Politikfeldern - auch in der Kinder- und Jugendhilfe handlungsleitend sein soll." (BMFSFJ, 2002, S. 6). Die Kommission des 11. Kinder- und Jugendberichts fordert eine differenzierte Sichtweise von Geschlecht von allen Akteuren, auf allen Ebenen und für alle Entscheidungsprozesse. Die besonderen Lebenslagen von Mädchen und Jungen sollen überall berücksichtigt, Angebote und Einrichtungen der Kinder- und Jugendhilfe geschlechtsgerecht ausgerichtet und Mädchen- und Jungenarbeit gefördert und evaluiert werden. Neben der gezielten Betrachten der Kategorie Geschlecht sollen durch eine Entdramatisierung der Geschlechterdebatte auch andere Kategorien ins Blickfeld geraten wie z.B. Alter, Nationalität, Schicht etc. Um diese Ziele zu erreichen, sollen alle am Prozess beteiligten Personen ihre Sichtweisen und Haltungen vor dem Hintergrund der eigenen biografischen Erfahrungen neu bestimmen.

So weit die Direktive von oben! Gender Mainstreaming ist eine politische und administrative Strategie, es ist in erster Linie eine Aufgabe von Vorgesetzten und Leitungskräften. Für die Umsetzung von Gender Mainstreaming wurde eine Reihe von Methoden entwickelt, von statistischen Analysen über Befragung der Betroffenen bis hin zu Fortbildungsangeboten.

So wird mit der "3-R-Methode" (Repräsentation, Ressourcen, Realisierung) bei Maßnahmen geprüft, wie viele Frauen und wie viele Männer von der Maßnahme betroffen bzw. daran beteiligt sind sowie wie die bereitgestellten Mittel von Geld, Raum und Zeit zwischen den Geschlechtern verteilt werden. Dann werden gegebenenfalls Ursachen für Ungleichheiten erforscht und konkrete Veränderungsmöglichkeiten erarbeitet. Andere Möglichkeiten sind die Aufstellung von geschlechtsspezifischen Statistiken, Kosten-Nutzen-Analysen und Checklisten. Solche Methoden reichen aber nicht aus, um konkrete Lebensbedingungen und eventuelle Ungleichheiten zu erfassen. Daher sind Befragungen und Beteiligungsverfahren weitere wichtige Bestandteile von Gender Mainstreaming. Fortbildungen schließlich können das Miteinander von Frauen und Männern in Institutionen thematisieren (Gender-Training) oder die Umsetzung in der inhaltlichen Arbeit behandeln.

Was Gender Mainstreaming in der konkreten Praxis der Kinder- und Jugendhilfe genau bedeuten kann, ist allerdings nicht festgelegt. Hierzu gibt es verschiedene Ansichten, über die im Moment diskutiert und gestritten wird. Bedeutet es, überall Mädchen- und Jungengruppen anzubieten, damit beide Geschlechter ein speziell auf sie zugeschnittenes Angebot bekommen? Oder bedeutet es im Gegenteil, dass es solche Angebote überhaupt nicht mehr braucht, weil jetzt überall darauf geachtet wird, kein Geschlecht zu benachteiligen? Im Moment ist dies noch weit gehend Ansichtssache, da es keine verbindlichen Kriterien für die Umsetzung von Gender Mainstreaming gibt.

Für Kindertageseinrichtungen ist es wichtig, die Definition solcher Kriterien nicht praxisfernen Verwaltungsfachleuten, Politikern oder Wissenschaftlern zu überlassen, sondern die eigenen Erfahrungen und Kompetenzen einzubringen. Dann kann Gender Mainstreaming der Rahmen für die Verankerung einer geschlechtsbewussten Sichtweise und daraus resultierender Maßnahmen und Angebote in der Praxis sein - und damit einen wichtigen Beitrag zur Qualitätsentwicklung in Tageseinrichtungen leisten.

Gleichheit oder Differenz?

Für eine Einigung auf Ziele geschlechtsbewusster Arbeit in der Praxis sind zunächst drei grundlegende Fragen wesentlich:

  1. In welchem Ausmaß werden Geschlechtsunterschiede als "naturgegeben" angenommen?
  2. Welche Aspekte, welche Daten werden bei der Erfassung von Geschlechtsunterschieden berücksichtigt, und wie werden gefundene Unterschiede bewertet?
  3. Soll Gleichstellung geschlechtstypischen Unterschieden entgegenwirken (Ziel: Gleichheit) oder "nur" der ungleichen Bewertung dieser Unterschiede (Ziel: Gleichwertigkeit in Differenz)?

Über die Frage "Gleichheit oder Differenz" wird nach wie vor sehr gestritten, denn dahinter steht die immer noch ungeklärte Frage, in welchem Ausmaß Geschlechtsunterschiede angeboren oder durch die Umwelt bedingt sind. Bücher, die biologische (genetische, physiologische und cerebrale) Erklärungen für geschlechtstypisches Verhalten verantwortlich machen, sind seit Jahren Bestseller. Die Autoren dieser Bücher wollen ein besseres Verhältnis der Geschlechter darauf aufbauen, "naturgegebene" Unterschiede zu akzeptieren. Von Vertreterinnen der traditionellen Gleichstellungs- und Frauenförderpolitik werden derartige, oft eingängige Erklärungen meist sehr kritisch gesehen - bis dahin, dass eine Bedeutung biologischer Faktoren für geschlechtstypisches Verhalten völlig abgestritten wird. Viele Fachfrauen aus Mädchenarbeit und -forschung stellen nach wie vor den Kampf gegen strukturelle Benachteiligungen von Mädchen und Frauen in den Vordergrund.

Die Betonung vorhandener Unterschiede zwischen den Geschlechtern - egal mit welcher Begründung - kann allerdings möglicherweise gerade zur Entstehung der Geschlechterstereotype mit beitragen, deren Überwindung angestrebt wird. Jungen und Mädchen werden dabei als weitgehend passiv angesehen: als von ihrer Biologie gesteuert oder aber als Opfer ihrer Sozialisationsbedingungen. Die neuere Geschlechterforschung betont einen anderen Blickwinkel, indem sie zeigt, wie Mädchen, Jungen und wir selbst unsere Geschlechtsidentität und das Verhältnis der Geschlechter aktiv entwickeln und gestalten. In den Vordergrund treten damit individuelle Unterschiede und Vielfältigkeiten bei beiden Geschlechtern sowie die "Konstruktionsprozesse", mit denen geschlechtsbezogene Zuordnungen im Alltag von Frauen und Männern, Mädchen und Jungen selbst "hergestellt" werden (doing gender).

Diese Kontroversen können zu hoch theoretischen Diskussionen führen. Sie sind aber auch für die Praxis in Kindertageseinrichtungen von großer Bedeutung, wie die folgenden Beispiele zeigen:

  1. Brauchen Jungen mehr Bewegungsangebote als Mädchen, weil sie einen höheren "Bewegungsdrang" haben? Oder brauchen gerade Mädchen spezifische Bewegungsangebote, weil die Jungen ihnen bei gemischten Angeboten oft den Raum nehmen? Oder aber sind beide Alternativen problematisch, sollten vielmehr individuelle Unterschiede - auch und gerade innerhalb der Geschlechtsgruppen - Ausgangspunkt für fördernde Maßnahmen sein?
  2. Brauchen Mädchen besondere Angebote zur Selbstbehauptung? Oder wird ihnen gerade durch solche Angebot möglicherweise indirekt vermittelt, dass sie Jungen unterlegen sind und daher eine besondere Förderung benötigen? Und umgekehrt: Vermitteln Maßnahmen der sozialen Jungenförderung diesen möglicherweise, dass sie behandlungsbedürftige "Problemfälle" sind? Dann haben vermutlich sowohl Mädchen als auch Jungen auf derartige Angebote keine Lust.
  3. Können Mädchen und Jungen geschlechtsuntypische Verhaltensalternativen besser in geschlechtsgetrennten Gruppen lernen, weil hier Konkurrenz und Vergleiche mit dem anderen Geschlecht wegfallen? Oder werden in diesen Gruppen gerade untypische Mädchen und untypische Jungen zum Außenseiter und zur Anpassung gedrängt, während sie sich im gemischtgeschlechtlichen Alltag mit Kindern und Jugendlichen des anderen Geschlechts zusammentun können, die die gleichen Interessen haben wie sie?

Welche Haltung wir in solchen Kontroversen einnehmen, hängt natürlich nicht nur von theoretischen Grundannahmen ab, sondern noch mehr von persönlichen Faktoren: von Erfahrungen mit eigenen Kindern, von persönlichen Vorlieben und Unsicherheiten in der Arbeit mit Kindern und vor allem von biografischen Erfahrungen und dem eigenen Selbstbild als Frau bzw. Mann.

Strukturelle Aspekte von Gender Mainstreaming

Bei Gender Mainstreaming stehen zunächst strukturelle Aspekte im Vordergrund. In den Blick genommen werden

  • das Klientel der Einrichtungen - also die Familien,
  • das Personal der Einrichtungen, einschließlich der Vorgesetzten und Träger,
  • die Mädchen und Jungen, die in die Einrichtungen kommen.

Der erste Punkt betrifft die Frage, welche Funktion Kindertageseinrichtungen für die Situation von Frauen und Männern in der Gesellschaft haben. Dienen sie der Vereinbarkeit von Beruf und Familie, ermöglichen sie Müttern eine sinnvolle berufliche Tätigkeit und fördern sie die Beteiligung von Vätern an der Kindererziehung? Die große Verbreitung von Halbtageseinrichtungen sowie der Mangel an Krippen- und Hortplätzen zeigen, dass der staatlichen Planung im Bereich der Kinderbetreuung nach wie vor ein Familienmodell zu Grunde liegt, das schlechte berufliche Möglichkeiten für Frauen mit verursacht, zumindest ihnen aber nicht entgegenwirkt (vgl. Faulstich-Wieland, 2001). Dies hat sich mit dem Recht auf einen Kita-Platz nicht geändert, im Gegenteil: Im Zuge der Bereitstellung von mehr Kindergartenplätzen wurden zum Teil sogar Hort- und Krippenplätze abgebaut. Damit fördern Kitas das Modell der "Versorgerehe", in der der Mann arbeiten geht und die Frau bestenfalls "hinzuverdient". Aktive Initiativen zur Beteiligung von Vätern an der Kindererziehung gehen von Kindertageseinrichtungen nur selten aus.

Beim Blick auf das Personal fällt zunächst ins Auge, dass die meisten Beschäftigten im Kita-Bereich Frauen sind. Der Männeranteil an allen Beschäftigten in Kitas betrug bei der letzten Erhebung (2002) im Bundesdurchschnitt 3,84%. Dabei gibt es große regionale Unterschiede: die höchsten Anteile männlicher Beschäftigten sind in den Stadtstaaten Bremen und Hamburg zu finden, gefolgt von Berlin und Schleswig-Holstein. Schlusslichter sind Bayern, Sachsen-Anhalt, Baden-Württemberg und Nordrhein-Westfalen mit einem Männeranteil von unter 3%.

Allerdings arbeitet über ein Drittel der in Kindertageseinrichtungen beschäftigten Männer im wirtschaftlich-technischen Bereich; dort stellen sie mit 16,02% denn auch einen erheblichen Anteil der Beschäftigten. Der Männeranteil im pädagogischen Bereich beträgt dagegen nur 2,67%. Verschwindend gering ist er im Krippenbereich (0,88%), am höchsten ist er in Integrationsgruppen (9,61%) sowie im Hort (7,53%).

Die Annahme, dass Männer "meistens" schnell in Leitungspositionen aufsteigen, stimmt übrigens nicht: Der Anteil der Männer an der Gesamtzahl der Leitungskräfte ist nur geringfügig höher als der Männeranteil insgesamt. Bei den Gruppenleitungen sind Männer sogar unterrepräsentiert (alle Zahlen lt. Statistischem Bundesamt, vgl. Rohrmann, 2005). Erst bei den übergeordneten Instanzen (Träger, Fachberatung, zuständige Amts- und Mandatsträger) ist dann der Männeranteil höher.

Was die Kinder betrifft, ist der Anteil der Mädchen und Jungen in etwa gleich - Ausnahmen bestätigen die Regel -, und die Angebote der Kita richten sich an beide Geschlechter. Meist wird von "Kindern" gesprochen, und spezifische Angebote für Mädchen und/oder Jungen gibt es kaum. Strukturelle Ungleichheiten und Benachteiligungen bleiben dabei oft verborgen, denn Unterschiede im Spielverhalten, im Interesse an Angeboten oder in der Raumnutzung von Jungen und Mädchen werden kaum einmal systematisch erfasst und analysiert.

Der pädagogische Alltag mit Mädchen und Jungen

Wie sieht nun die Situation in der Praxis aus? Eine geschlechtsbewusste Haltung ist in Tageseinrichtungen für Kinder bislang nur wenig aufzufinden. Welche Auswirkungen die Dominanz von Frauen im Alltag für Mädchen und Jungen hat, ist nicht geklärt, obwohl in letzter Zeit häufiger zu hören ist, dass dies insbesondere für Jungen ein Problem darstelle. Sicher ist, dass in vielen Kindertagesstätten unreflektierte Geschlechtsstereotype den Alltag prägen - von der Einrichtung über die Angebote bis hin zu den Bewertungen des Verhaltens von Mädchen und Jungen.

Die Kindertagesstätte ist in der Regel ein "weiblicher Raum". Frauen verwirklichen ihre Vorstellungen von Ästhetik und Gemütlichkeit in den Räumen ihrer Einrichtung. Das ist in der Regel zu erkennen an der Farbwahl, an der liebevollen Dekoration von Fenstern und Wänden, an der Auswahl vieler Kuschel- und Rückzugsmöglichkeiten und einem gut ausgestatteten großen Kreativbereich. Die Werkbank dagegen - wenn es überhaupt eine gibt - führt dagegen oft ein Schattendasein im Keller oder in einer ungenutzten Kammer. Wenn sich Erzieherinnen auf Fortbildungen in einen Jungen hineinversetzen und einen fiktiven Rundgang durch ihre Räume unternehmen, können sie oft sehr genau benennen, was sich "ihre Jungs" in den Räumen wünschen würden - und sind erstaunt und erschrocken, wie wenig diese Bedürfnisse von ihnen bislang aufgegriffen wurden. Jungen werden eher als störend erlebt, weil sie Platz brauchen, Krach oder Staub machen. Gleichzeitig bedeutet diese Beschränkung auf typisch weibliche Spiel- und Beschäftigungsmöglichkeiten auch eine Beschränkung der Kompetenzen und Möglichkeiten von Mädchen.

Auf der anderen Seite fällt auf, dass im Bereich Kindertagesstätten immer wieder Jungen mehr Aufmerksamkeit bekommen als Mädchen. Dies ist zum Teil, aber nicht nur, mit dem größeren Ausmaß von aggressiver Auffälligkeit bei Jungen zu erklären. Mädchen werden häufiger als unterstützend wahrgenommen und sind "pflegeleichter". Trotz der Beschwerden über das auffällige Verhalten der Jungen werden Mädchen dennoch vielfach noch negativer bewertet als Jungen. Insbesondere aggressives und durchsetzungsstarkes Verhalten von Mädchen wird oft abgewertet ("Die zicken schon wieder 'rum!").

Gezielte Angebote für Mädchen und Jungen gibt es zwar inzwischen häufiger, aber nur selten werden sie systematisch reflektiert und konzeptionell verankert. Anders als in der Jugendarbeit kann keineswegs davon ausgegangen werden, dass es in den Einrichtungen bereits eine reflektierte Haltung zu Mädchensozialisation oder Ansätze der Mädchenarbeit gibt. Eher besteht Interesse am Thema Jungen, insbesondere wenn diese als sehr auffällig und problematisch erlebt werden (vgl. Rohrmann/ Thoma, 1998). Eine vertiefende Ausrichtung des Blicks auf Jungen z.B. auf Fortbildungen oder durch Angebote der geschlechtsbewussten Jungenarbeit (beliebt im Zusammenhang mit Gewaltprävention) kann allerdings mit unreflektierten Tendenzen zur Bevorzugung von Jungen einhergehen - und dann dazu führen, dass Mädchen ganz aus dem Blick geraten. Gender Mainstreaming in Kitas muss daher immer Situation und Bedürfnisse beider Geschlechter berücksichtigen.

Fragen zum Beobachten und Nachdenken

Die folgenden Fragen können ein Nachdenken in Gruppe oder Team über geschlechtsbezogene Zusammenhänge in der eigenen Einrichtung anregen:

  • Wie sind Macht und Einfluss im Kitabereich verteilt - in der Gruppe, in der Einrichtung, beim Träger, in den politischen Gremien, die über Finanzen entscheiden?
  • Welche Spielbereiche der Einrichtung werden besonders von Jungen genutzt, welche von Mädchen? Welche Angebote und Aktivitäten werden vor allem von Mädchen aufgegriffen, welche von Jungen?
  • Sollen Mädchen und Jungen gleich behandelt werden, oder brauchen sie unterschiedliche Angebote? Was meinen Sie, was Jungen und was Mädchen besonders brauchen?
  • Wie viele Väter, wie viele Mütter kommen zu Elternabenden? Woran könnte das liegen?
  • Wie würde wohl ein Kindergarten aussehen, der nur von Männern gestaltet wäre?

Die Berücksichtigung geschlechtsbezogener Aspekte ist eine zentrale Querschnittsaufgabe von Pädagogik und Kinder- und Jugendhilfe. Gender Mainstreaming als politische Strategie und pädagogische Herausforderung betrifft Frauen und Männer, Mädchen und Jungen. Es geht um Strukturen, und um Macht in Institutionen, aber auch um eigene Lebenserfahrungen und ganz persönliche Themen. Was kann dies in der Praxis bedeuten?

Neue Chancen für geschlechtsbewusste Pädagogik!

Die Umsetzung von Gender Mainstreaming in der pädagogischen Arbeit kann an Erfahrungen und Konzepten aus der geschlechtsbewussten Pädagogik ansetzen. In den letzten Jahren wurden eine Reihe von Forschungs- und Praxisprojekten zu geschlechtsbezogenen Themen durchgeführt, aus denen konkrete Anregungen für die Weiterentwicklung der Pädagogik in Kitas ausgegangen sind. Einige davon wurden im Schwerpunktheft "Typisch Mädchen - typisch Junge?" von kita aktuell spezial (2/2001) vorgestellt.

Gender Mainstreaming in Kitas bedeutet zunächst einmal Männerförderung - mehr Männer für pädagogische Tätigkeiten in Kindertageseinrichtungen zu interessieren und zu qualifizieren, den Anteil männlicher Mitarbeiter in der pädagogischen Alltagsarbeit zu erhöhen (das können auch Praktikanten oder Honorarkräfte sein) und den Dialog der Geschlechter in gemischten Teams zu fördern. Der letzte Punkt ist besonders wichtig, weil gut gemeinte Maßnahmen sich auch negativ auswirken können. Durch die Beschäftigung von Männern können traditionelle Geschlechtszuordnungen auch verstärkt werden - Männer und Jungen werken, Frauen und Mädchen basteln; der Mann organisiert das Fußballturnier, die Frau kümmert sich um Essen und Getränke usw. Entscheidend ist daher nicht das Geschlecht allein, sondern ein bewusster Umgang der männlichen und weiblichen Fachkräfte mit geschlechtstypischen Verhaltensweisen und Haltungen (vgl. Rohrmann, 2001).

Für die Mehrheit der weiblichen Beschäftigten steht eine Reflexion der Zusammenhänge zwischen weiblicher Sozialisation und der Entscheidung für den "Frauenberuf" Erzieherin am Anfang (vgl. Rabe-Kleberg, 2003). Zwar haben Erzieherinnen durchaus ein professionelles Selbstverständnis ihres Berufs, aber weiblich geprägte kulturelle Muster erschweren den Prozess der Professionalisierung. Dazu gehören die Vorstellung einer "natürlichen, intuitiven Mütterlichkeit" als wesentlichem Element des Erziehungshandelns, die Überbetonung von Einfühlung und Harmonie und die Vermeidung von Konflikten und offener Auseinandersetzung. Gender Mainstreaming kann bedeuten, diese Fragen in der Ausbildung, in der Teamentwicklung und auf Fortbildungen zu thematisieren. Überhaupt - die Ausbildung! Geschlechtsbezogene Fragen oder neudeutsch "Genderkompetenzen" tauchen in den Lehrplänen und in der Praxis der meisten Fachschulen kaum auf. Genau hier aber gehören sie hin!

Gender Mainstreaming weist zudem über konkrete Fragen im Arbeitsfeld hinaus, wenn nach der gesellschaftlichen Wertschätzung des Vorschulbereiches und der Bedeutung vorschulischer Bildungsprozesse für die weitere Entwicklung von Kindern gefragt wird (vgl. Laewen/ Andres, 2002). Selbstverständlich bedeutet Gender Mainstreaming auch, die gesellschaftliche Wertschätzung der "weiblichen" Aspekte des Erzieherinnenberufs zu verbessern, das Ausbildungsniveau deutlich anzuheben und damit einhergehend die Bezahlung der Fachkräfte an die Standards in anderen Bereichen öffentlicher Bildung anzugleichen - auch, wenn dies im Moment noch utopisch klingt.

Für die pädagogische Praxis macht es Sinn, Gender Mainstreaming in den Zusammenhang der Qualitätsentwicklung in Tageseinrichtungen für Kinder zu stellen. Ziel ist die Verankerung von grundlegenden Standards für geschlechtsbewusste Pädagogik in Kitas - oder, umgekehrt formuliert: Die Fähigkeit zu einer geschlechtsbewussten Sichtweise ist ein wesentliches Qualitätsmerkmal pädagogischer Tätigkeit in diesem Arbeitsfeld. Die letzte Formulierung macht deutlicher, dass es nicht um ein spezifisches Angebot geht, das bestimmten Qualitätskriterien genügen und dann flächendeckend eingeführt werden sollte, sondern um eine Reflexion und Weiterentwicklung der gesamten Alltagspraxis. Eine geschlechtsbewusste Sichtweise kann die Auseinandersetzung mit aktuellen Themen der Elementarpädagogik wie Konfliktverhalten, Bildungsauftrag/ Bildungsprozesse oder Partizipation entscheidend bereichern.

Auch gezielte Angebote für Jungen und Mädchen haben einen sinnvollen Platz im Rahmen der konzeptionellen Weiterentwicklung pädagogischer Arbeit. Dabei müssen jedoch Ziele formuliert und Erfahrungen dokumentiert und reflektiert werden. Selbst dort, wo gezielte Angebote für Mädchen und Jungen gemacht werden, ist dies bislang nicht immer mit geschlechtsbewusster Reflexion verbunden. Zum Teil werden bei derartigen Angeboten lediglich typische Interessen von Jungen und Mädchen unterstützt. Umgekehrt kann die Überbetonung geschlechtsuntypischer Verhaltensweisen dazu führen, dass die bestehende Kultur bzw. die bestehenden Spielformen von Jungen bzw. Mädchen damit abgewertet werden. Angebote müssen daher sowohl Raum für geschlechtstypische Themen lassen als auch Mädchen und Jungen ungewohnte Erfahrungen zumuten.

Schritte der Umsetzung - hier und heute

Zur Professionalisierung von Aus- und Fortbildung, Alltag und Beratung beim Thema geschlechtsbewusste Pädagogik werden folgende Schritte vorgeschlagen:

Bei sich selbst anfangen

Ausgangspunkt für Qualifizierungsmaßnahmen ist die eigene Person der Erziehenden, weil diese ihr wichtigstes "Handwerkszeug" ist. Individuelle Kompetenzen im Umgang mit geschlechtsbezogenen Fragen sind dabei entscheidend durch eigene Lebenserfahrungen bestimmt. Die besondere Bedeutung der Auseinandersetzung von Erzieherinnen mit der eigenen Biografie und beruflichen Identität wird nicht zuletzt durch neuere Forschungen zu Selbstbildungsprozessen von Kindern in Kindertageseinrichtungen hervorgehoben (vgl. Musiol, 2002).

Mehr über Jungen und Mädchen wissen

Um Jungen und Mädchen besser verstehen zu können, ist es nötig, mehr über geschlechtsbezogene Entwicklung, Geschlechterverhältnisse und die besonderen Lebensfragen von Jungen und Mädchen zu erfahren. Dabei müssen neuere Ergebnisse der Geschlechterforschung berücksichtigt werden, in denen betont wird, dass es "das" Mädchen und "den" Jungen nicht gibt und bei der Einschätzung geschlechtstypischen Verhaltens die individuellen Lebenslagen der Kinder berücksichtigt werden müssen. Besonders in Bezug auf Jungen besteht bei vielen Pädagoginnen großer Informationsbedarf, weil sie den Eindruck haben, als Frauen Jungen schlechter zu verstehen. Die Unkenntnis von Männern in Bezug auf die Entwicklung von Mädchen ist allerdings oft noch größer - und das Interesse geringer.

Das Erkennen geschlechtstypischer Handlungs- und Bewältigungsstrategien ist Voraussetzung dafür, möglichen Einschränkungen im Selbstbild und in den Interaktionen von Kindern entgegenzuwirken und die Handlungsspielräume beider Geschlechter zu erweitern.

Den Alltag bewusst gestalten

Für die Professionalisierung der alltäglichen Arbeit braucht es zunächst einmal Zeit für Beobachtung und Reflexion. Dies schließt die Analyse von Situationen mit der "Geschlechterbrille" ein. Geschlechtsbewusste Pädagogik bedeutet, im Alltag im Blick zu behalten, dass Befindlichkeiten von Mädchen und Jungen etwas mit ihrem Geschlecht zu tun haben können.

Wichtiger als spezifische Angebote sind daher geschlechtsbewusste Beobachtungs- und Reflexionsmöglichkeiten. So kann untersucht werden: Wer nutzt welche Räume und Angebote? Wessen Wünsche und Bedürfnisse werden im Alltag mehr berücksichtigt? Wo gibt es deutliche Unterschiede im Verhalten von Mädchen und Jungen? Was sind mögliche geschlechtsbezogene Hintergründe für auffälliges Verhalten einzelner Kinder?

Ziel ist, Mädchen und Jungen gleichen Zugang und gleiche Teilhabe an allen Angeboten und Erfahrungsräumen zu ermöglichen. Dies bezieht sich auch auf Ausmaß und Qualität der Aufmerksamkeit und Zuwendung der Erzieherin.

Mädchen und Jungen beteiligen

All zu oft werden Konzepte und Angebote für Kinder geplant und nicht mit ihnen. Gender Mainstreaming muss auch nach den Sichtweisen der Kinder fragen - dies verspricht überraschende Erkenntnisse. Es ist spannend, Mädchen und Jungen zu geschlechtsbezogenen Themen zu befragen oder diese in kreativen Angeboten aufzugreifen. Bei Beteiligungsprozessen, z.B. zur Angebotsplanung oder zur Neugestaltung von Räumen, muss erfasst und reflektiert werden, welche Aussagen und Wünsche von Mädchen und welche von Jungen ausgehen. Es muss auch beachtet werden, wie sich Mädchen und Jungen in Beteiligungsverfahren einbringen. Werden die Mädchen still, während überwiegend Jungen reden (wie in der Politik jeden Tag im Fernsehen zu sehen ist)? Oder sind die Mädchen ganz engagiert, und die Jungen ziehen sich heraus (wie zunehmend häufiger aus Schulen berichtet wird)? In solchen Situationen kann es sinnvoll sein, Jungen und Mädchen zu trennen und zunächst in Kleingruppen mit ihnen zu arbeiten.

Auf Eltern zugehen

Auf der Ebene der Eltern bedeutet Gender Mainstreaming zunächst, Mütter und Väter gleichermaßen anzusprechen und die Beteiligung von Vätern und Müttern an Aktivitäten und Funktionen zu reflektieren. Werden Väter und Mütter gleichermaßen angesprochen und an Funktionen beteiligt - oder werden die Mütter gebeten, Kuchen für Kitafeste zu backen, während im Elternbeirat Männer die Mehrheit stellen? Werden die Bedürfnisse berufstätiger Mütter angemessen berücksichtigt? Gibt es gezielte Angebote, mit denen Väter in den Alltag mit Kindern geholt werden, z.B. einen Vater-Kind-Tag, an dem die Mütter frei haben?

Die Verankerung geschlechtsbewusster Pädagogik setzt die Beteiligung von und gemeinsame Lernprozesse mit Eltern voraus, weil diese - anders als in der Jugendarbeit - mit ihren Einstellungen und Erwartungen zum Kindergartenalltag dazugehören. Dies kann auf Seiten der Fachkräfte unangenehme Erfahrungen mit den eigenen Eltern wachrufen oder zu Loyalitätskonflikten führen, insbesondere wenn Kinder offener für neue Ideen sind als ihre Eltern. Ein Beispiel: Ein Vater kommt in die Einrichtung und verlangt, dass sein fünfjähriger Sohn nicht mehr im Atelier spielen, sondern mehr Bewegungsangebote erhalten solle. Der Junge malte gern und spielte viel mit Mädchen. Nun war er einmal mit lackierten Fingernägeln nach Hause gekommen. Die Erzieherinnen hatten damit keine Probleme, wohl aber der Vater, der befürchtete, sein Sohn könne durch derartige Aktivitäten "schwul werden".

Ziele und Ideale geschlechtsbewusster Pädagogik können also nicht einfach in die Begegnung mit den Kindern eingebracht, sondern müssen mit den Eltern ausgehandelt werden. Eine zentrale Aufgabe ist dabei die Einbeziehung von Vätern. Das ist manchmal schwieriger als die eigentliche Arbeit mit den Kindern - aber es kann auch Spaß machen und überraschende Ideen freisetzen (vgl. Verlinden/ Külbel 2005).

Über den Rand hinausschauen

Ob bei einem Spaziergang mit den Kindern durch das Umfeld der Einrichtung, bei der Öffentlichkeitsarbeit oder bei Verhandlungen mit dem Träger über Öffnungszeiten für Berufstätige: Gender Mainstreaming endet nicht an der Außentür der Kita, sondern geht darüber hinaus. Die wichtigste Aufgabe ist dabei, Verbündete zu gewinnen. Kontakte zu anderen Einrichtungen, regionalen Projekten, Fachberater/innen oder der örtlichen Gleichstellungsbeauftragen können die Umsetzung von neuen Ideen in der Einrichtung unterstützen.

Grundsätze und Erfolge konzeptionell verankern

Ziele, Begründungen und Ansätze zur Umsetzung geschlechtsbewusster Pädagogik sollten in Einrichtungskonzeptionen, Leitlinien von Trägern und staatliche Bildungs- und Erziehungspläne aufgenommen werden. Dies stellt einen Rahmen für Veränderungsprozesse bereit. Wer sich länger mit geschlechtsbewusster Pädagogik befasst, stellt fest, dass entscheidende Ansatzpunkte für Veränderungen oft struktureller Natur sind: beispielsweise Experimente mit Öffnung, Bewegung oder einer Lernwerkstatt, die Auseinandersetzung mit Konfliktlernen und Aggression oder neue Wege der Eltern- und Väterarbeit. Gender Mainstreaming sollte bei solchen Veränderungen mit im Werkzeugkoffer sein und seine Spuren in der Konzeption von Einrichtungen hinterlassen. Kinder und Erwachsene als Mädchen und Jungen, Frauen und Männer zu betrachten, ist manchmal hilfreich - und manchmal eine große Herausforderung. Wichtig ist dabei: es geht nicht um fertige Lösungen, sondern darum, auf dem Weg zu sein!

Fünf Situationen - Anregungen für alternative Lösungen

Wie kann Gender Mainstreaming in der Praxis konkret umgesetzt werden? Zum Abschluss greife ich die fünf Beispiele noch einmal auf, die den Beitrag eingeleitet haben.

(1) In einem Team mit männlicher Leitung ist der Posten der stellvertretenden Leitung zu besetzen. Die Kolleginnen einigen sich darauf, dem zweiten in der Einrichtung beschäftigten Mann die Position anzubieten.

Die Fachkräfte überdenken ihre Entscheidung. Sie setzen sich damit auseinander, was es für die einzelnen, das Team sowie für die Kinder bedeutet, wenn die Leitungspositionen der Einrichtung beide von Männern besetzt sind - und damit auch: beide in der Kita beschäftigten Männer eine Leitungsposition innehaben. Im Teamgespräch werden heikle Themen wie Bezahlung und Konkurrenz unter den weiblichen Kolleginnen nicht ausgeklammert.

Bleibt die Entscheidung bestehen, wird durch Beobachtungen und Gespräche untersucht, wie sich die Besetzung der Leitung durch zwei Männer auf Jungen und Mädchen auswirkt.

(2) Erzieherinnen stellen fest, dass Jungen einen Großteil ihrer Aufmerksamkeit beanspruchen. Sie haben den Eindruck, dass Mädchen (und auch manche stillen Jungen) dadurch zu kurz kommen.

Die Erzieherinnen beginnen, sich selbst bzw. einander systematisch zu beobachten. Sie dokumentieren über einen begrenzten Zeitraum regelmäßig, für wie viel Zeit sie sich einzelnen Mädchen und Jungen zuwenden, oder halten fest, wie häufig einzelne Kinder im Morgen- oder Mittagskreis angesprochen werden. In einem "Forschungstagebuch" halten sie auch ihre eigenen Gefühle und Reaktionen fest, z.B. notieren, wie interessant sie die Äußerungen und Spielideen von Mädchen und Jungen finden.

Einige Erzieherinnen bemerken, dass sie wilden Jungen in Konflikten "mehr durchgehen" lassen. Andere stellen fest, dass sie in Stresssituationen (Ruhe herstellen, Aufräumen usw.) häufiger auf die Unterstützung von Mädchen zurückgreifen, die diese auch gern geben. Das Team entschließt sich daraufhin, Mädchen und/oder stille Jungen durch ein regelmäßiges "wildes" Bewegungsangebot zu fördern. Jungen wird häufiger Verantwortung für Gemeinschaftsdienste und soziale Aufgaben übertragen.

(3) Kolleginnen fällt auf, dass sich insbesondere ältere Jungen bei den Angeboten oft langweilen und so viel wie möglich nach draußen oder in die Bewegungsbereiche wollen. Sie fragen sich, ob Jungeninteressen im Angebot der Einrichtung zu wenig berücksichtigt werden.

Die Erzieherinnen beobachten systematisch das Spielverhalten und die Raumnutzung von Mädchen und Jungen. Als Experiment wird ein zusätzliches Bewegungsangebot jeweils einmal nur für Jungen und nur für Mädchen durchgeführt. Überraschenderweise stellt sich heraus, dass nicht nur die Jungen vom zusätzlichen Bewegungsangebot begeistert sind, sondern auch die Mädchen.

Das Team reflektiert seine Angebote, und die Kolleginnen sprechen mit Mädchen und Jungen darüber. Bei der Anschaffung von Materialien werden die Kinder beteiligt. Dabei wird ein möglichst vielfältiges Angebot ermöglicht, das auch geschlechtstypische Interessen und Vorlieben berücksichtigt.

(4) Zum Elternabend kommen in der Regel nur sehr wenige Väter.

Die Erzieherinnen thematisieren zunächst Erfahrungen und Vorbehalte im Kontakt mit Vätern. Sie dokumentieren systematisch, in welchem Ausmaß sich Mütter und Väter an alltäglichen Abläufen (z.B. Bringen und Abholen) sowie Aktionen (z.B. Elternabende) der Kita beteiligen. Gegebenenfalls planen sie dann gezielte Maßnahmen, um Väter anzusprechen. Dabei arbeiten sie mit einer männlichen Fachkraft aus dem Umfeld der Einrichtung zusammen (z.B. Diakon, Jugendpfleger, freier Mitarbeiter der Familienbildungsstätte).

(5) Zum zweiten Mal hat ein männlicher Mitarbeiter nach relativ kurzer Zeit das Arbeitsverhältnis gekündigt, nachdem es zuvor immer wieder teils unterschwellige, teils offene Konflikte mit Kolleginnen gegeben hatte.

Leitung und Team setzen sich mit Einstellungen und Vorbehalten bezüglich männlicher Mitarbeiter auseinander. Anschließend wird entschieden, nochmals einen Mann einzustellen, diesmal jedoch geschlechtsbezogene Konflikte früher zu thematisieren. Dafür wird ein angemessener Rahmen geschaffen, eventuell mit Hilfe von Fachberatung oder Supervision. Der Mann wird darin unterstützt, Möglichkeiten für den Austausch mit männlichen Fachkollegen zu finden - und zu nutzen.

Literaturempfehlung zur Vertiefung

Walter, Melitta (2005). Jungen sind anders, Mädchen auch. Den Blick schärfen für eine geschlechtergerechte Erziehung. München: Kösel.

Melitta Walter ist eine erfahrene Fachfrau zum Thema Chancengleichheit der Geschlechter und Fachberaterin für "geschlechtergerechte Pädagogik und Gewaltprävention" für die städtischen Kindertageseinrichtungen in München. Das gut lesbare Buch vermittelt Hintergrundinformationen und gibt zahlreiche Anregungen, eigene Haltungen zu reflektieren und geschlechtsbezogenen Fragen im Alltag mit Kindern auf den Grund zu gehen. Auf diesem Weg wird auch der sperrige Begriff "Gender Mainstreaming" mit Leben gefüllt.

Literatur

Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (BMFSFJ) (Hg.) (2002). Elfter Kinder- und Jugendbericht. Bericht über die Lebenssituation junger Menschen und die Leistungen der Kinder- und Jugendhilfe. Bonn.

Faulstich-Wieland, Hannelore (2001). Gender Mainstreaming im Bereich der Kindertagesstätten. In: von Ginsheim, Gabriele/ Meyer, Dorit (Hg.). Gender Mainstreaming. Neue Perspektiven für die Jugendhilfe. Berlin: Stiftung SPI, S. 121-132.

Kasüschke, Dagmar/ Klees-Möller, Renate (2002). Mädchen und Jungen in Kindertageseinrichtungen. Zum Stand der Umsetzung geschlechtsbezogener Handlungsansätze. In: Werthmanns-Reppekus/ Böllert, Karin (Hg.) (2002). Materialien zum elften Kinder- und Jugendhilfebericht. Band 3: Mädchen- und Jungenarbeit - Eine uneingelöste fachliche Herausforderung. München: Verlag Deutsches Jugendinstitut, S. 59-73.

Laewen, Hans-Joachim/ Andres, Beate (Hg.) (2002). Künstler, Forscher, Konstrukteure. Werkstattbuch zum Bildungsauftrag von Kindertageseinrichtungen. Weinheim: Beltz.

Musiol, Marion (2002). Lebensgeschichte und Identität im Erzieherinnenberuf. In: Laewen, Hans-Joachim/ Andres, Beate (Hg.). Bildung und Erziehung in der frühen Kindheit. Bausteine zum Bildungsauftrag von Kindertageseinrichtungen. Weinheim: Beltz, S. 285-299.

Rabe-Kleberg, Ursula (2003). Gender Mainstreaming und Kindergarten. Reihe Gender Mainstreaming in der Kinder- und Jugendhilfe. Weinheim: Beltz (BeltzVotum).

Redaktion KiTa aktuell (Hg.) (2001). Typisch Mädchen - typisch Junge? Geschlechterbewusste Erziehung in Kindertageseinrichtungen. Schwerpunktheft. Kindertageseinrichtungen aktuell KiTa spezial, Nr. 2/2001.

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