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Zitiervorschlag

Psychosexuelle Entwicklung und das Körper- und Spielverhalten von Kindern von 0-6 Jahren

Ingrid Löbner

 

Körper- und `Doktorspiele` genauer verstehen, was ist los mit jüngeren Kindern?

Wenn wir genauer verstehen, was alles Kinder von klein an, aus ihrem Körpergefühl heraus tun, warum sie manches geradezu tun müssen; wie stark ihre psychische Entwicklung mit ihrem Körpergefühl zusammenhängt, und inwiefern das wieder mit Sexualentwicklung zu tun hat, dann können wir genauer auf Kinder, auf ihr Empfinden, auf ihre Spiele reagieren.

Unser mehr an Verständnis, unsere empathischen Antworten erhalten in Kindern ihre Feinfühligkeit. Jedes Baby kommt mit sehr empfindsamen Seiten auf die Welt, etwas, was ich von Kindern nach 25 Jahren Arbeit mit Babys, Klein- und Vorschulkindern gelernt habe: Wenn wir sie besser verstehen und gut behandeln, erhalten wir in ihnen ihre empfindsamen Seiten; sie werden feinfühlige Erwachsene sein. Das Ziel, wenn es uns darum geht, sexuelle Gewalt zu verhindern.

Unser Verständnis erhält in Kindern ab ihrer frühesten Lebenszeit die psychische Gewissheit, dass ihre Wahrnehmung und ihre Gefühle stimmen. Der eigenen Wahrnehmung trauen zu können, ist eine Grundvoraussetzung, um selbstsicher zu werden. Und noch etwas geschieht, wenn wir Kinder genauer verstehen: Wir beschämen sie nicht. Nicht beschämt zu werden ist eine weitere wichtige Voraussetzung, dass ein Kind sich selbst vertraut.

Wenn man als Kind geschimpft wird, weil man als junges Kind sich noch so verhält und spielt, wie man eben noch ist und spielt, dann verunsichert diese Erfahrung ein Kind. Es greift sein Selbstgefühl an, weil es sich für sich schämt, dass es aus seinem Gefühl heraus noch vieles ganz unwillkürlich tut, wie es das eben tut, ohne sich kontrollieren zu können.

Psychisch sich seiner selbst sicher zu sein, sich gemocht zu fühlen, genauso wie man ist, das sind die wichtigen Voraussetzungen, damit ein Kind uns Erwachsenen vertraut und sich anzuvertrauen wagt, sollte es mit schlechten Erfahrungen in Berührung kommen, die seinen Gefühlen widersprechen, die ihm komisch vorkommen (gerade, wenn ihm etwas eingeredet wird, was bei sexueller Misshandlung ja häufiger passiert), die es verunsichern, ihm schaden. Geradeheraus sich selbst sein zu können ist da eine große Hilfe, um geradeheraus sich zu melden.

Warum Kinder sind wie sie sind, was ihr intuitives Körper- und Sozialverhalten mit ihrer kindlichen und ihrer späteren Sexualität zu tun hat, möchte ich hier beschreiben. Es sind für Kinder zuallererst die alltäglichen, konkreten Beziehungserfahrungen mit uns – nicht unser `Aufklären`, unser vieles Reden – das ihnen hilft, empathisch, liebevoll in Beziehungen zu sein, zu bleiben, besonders, wenn es um den Umgang mit Körper, Nähe und allen dazugehörigen Gefühlen geht. Mehr Konkretes dazu, gleich. Im letzten Teil werde ich beschreiben, was die komplexen Hintergründe sein können, wenn manche Kinder heftig derbes Verhalten zeigen, wie Überlegungen dann aussehen, was man tun kann, um betreffenden Kindern zu helfen.

Kinder sind ganz und gar körperlich in der Welt, haben von klein an intensive, auch lustvolle Körperwahrnehmungen. Menschliche Entwicklung wird durch Körperwahrnehmung und Körpererfahrung gesteuert und vorangetrieben. Die Neurobiologie hat seit längerer Zeit spannende Erkenntnisse hierzu, wie intensiv körperliche, geistige, psychische Entwicklung beim Menschen von frühester Zeit an ineinander verschränkt sind. Lustvolle Energie, im weitesten Sinn sexuelle Energie ist eine starke Lebensenergie und begleitet Menschen von Beginn an. Schon vorgeburtlich haben Menschen erregende Gefühle, die sich in Erregungszeichen ausdrücken (per Ultraschall an Erektionen des Penis beim männlichen Fötus klar zu sehen; selbstverständlich erleben auch weibliche Föten bereits erregende Gefühle, nur sind sie nicht ganz so deutlich sichtbar.)

Man kann sagen: Je jünger Kinder sind, umso dichter korrespondieren Körper und Psyche miteinander. Kinder sind durch und durch körperlich. Man erlebt als Kind die Welt durch sehr intensive Sinnes- und Gefühlswahrnehmungen.[1] Wenn Sie nur daran denken, wie man als Kind am ganzen Körper kribbelnd spürte, wenn Weihnachten oder der Geburtstag nahte – man fühlte es durch und durch; sehnte es herbei, weniger in Gedanken, sondern in ungeduldigem Körper-Kribbeln, von morgens bis abends.  Die Tatsache, dass jüngere Kinder ihr Spüren, ihre Gefühle unmittelbar zeigen und ausleben, sie darüber aber keinesfalls reflektieren, es nicht bewusst steuern können, sondern leben, diese Zusammenhänge zu sehen ist hilfreich, besonders, wenn es um das Thema `Doktorspiele` geht.

Wie stark Körper und Psyche bei Kindern zusammengehören, wir Erwachsenen wissen es, intuitiv. Je jünger Kinder sind, umso unmittelbarer reagieren wir körperlich auf sie. Wenn ein Baby schreit, wissen wir, dass Worte allein nicht genügen, sondern wir ein Baby an unseren Körper nehmen müssen. Wir nehmen es sofort hoch und trösten es zuallererst durch Nähe, dann durch Worte, fragen, ob es Hunger hat, ob es saugen möchte, ob es im Arm bleiben will (Idealerweise Saugen an der Brust seiner Mutter, weil das am meisten Nähe schafft, aber auch an einem Schnuller oder einer Flasche – jegliches Saugen beruhigt). Wenn Nähe, Gehalten-, Gestillt-Werden (oder Füttern durch Flasche) wohlig erlebt werden, macht ein Kind die Basiserfahrung: Dass es so wie es jetzt noch ist, klein, bedürftig, hilflos, von seinem Gegenüber verstanden, gehalten, genährt, liebevoll versorgt wird. Diese Erfahrung `schreibt` sich in Psyche und Körper des Kindes ein und drückt sich dann in seinen kommenden Jahren darin aus, dass es zu Einfühlsamkeit fähig ist; ebenso, dass es Nähe zu jemandem ein Leben lang genießen kann, Nähe zu bekommen, ebenso Nähe zu geben. Wir alle können es beobachten, wenn noch sehr junge Kinder – als Einjährige gerade erst aus dem Gröbsten heraus – schon wieder versorgend und zugewandt, mit liebevollen Gesten mit ihrer Puppe, ihrem Kuscheltier spielen. Das Kind kann es liebevoll, weil es den Umgang mit sich auf genau dieselbe Weise erlebt hat.[2]

In den Liebesbeziehungen der Erwachsenen taucht diese frühe wohlig und versorgend erlebte Nähe, das Kuscheln, die Geborgenheit, all das jemandem geben aber auch von jemandem nehmen zu können, wieder auf. Liebespaare nennen sich gegenseitig oft `mein Baby`; und wie damals erleben Liebende Nähe besonders dann wohltuend, wenn sie gar nicht viel reden müssen. Je intuitiver man sich einander überlassen kann, umso schöner; wie einst – wenn der /die Andere schnell spürt, was sich an Nähe und Berührung besonders wohlig und gut anfühlt.

Dabei ist wichtig, dass kleine Kinder während ihrer körperlichen Versorgung die Erfahrung machen können, dass wir sie gerne direkt anfassen (heißt: ohne Gummi von Handschuhen dazwischen; das Hygienethema müsste um der Kinder willen durch das Waschen und Desinfizieren der Hände gelöst werden) und wir ebenso gerne ihrer `Aufforderung` folgen: Dass wir mit ihnen die typisch kindlich-netten, kleinen Körperspiele spielen; dass wir ihrem Lebensgefühl, ihrem Glucksen und Spaß folgen, also mit ihnen auch körperlich schäkern. Sollten Kinder viele Stunden am Tag in der Krippe sein, sind sie darauf angewiesen, dass alle, die sie versorgen, sie mehrfach tagsüber liebevoll, mit Körper-Spiel-Freude anfassen – denn das Körpergefühl des Babys, des Kleinkindes wird elementar durch diese Freude beim Versorgt-Werden `aufgeladen`; oft genug am Tag, nicht ausschließlich abends und morgens durch die Eltern. Während solcher Versorgung passiert für das noch kleine, unbeholfene Kind alles Wichtige intensiv mit Gefühlen, die sich dann etwa so in sein Lebensgefühl `einschreiben`: „So wie ich bin, bin ich von oben bis unten liebenswert. Wer mich versorgt, hat mich spürbar gern; bedürftig, mit allem, wie ich noch bin, hat man mit mir Spaß und Freude, von oben bis unten“. 

Fachkräfte sind, verständlicher Weise, stark besorgt, dass solches `Körper-Spiel` schnell als Übergriff interpretiert werden kann. Da aber kleine Kinder viel Körper-Vergnügen brauchen, ebenso niemand der Fachkräfte sich den Vorwurf einhandeln sollte, er/sie sei einem Kind gegenüber zu weit gegangen, empfehle ich als Lösung, alle Körperpflege im sozialen Miteinander, im Zusammensein mit anderen zuzulassen. Soziale Nähe schützt Fachkräfte (es gibt Zeugen) vor dem Vorwurf eines Übergriffs auf Kinder. Und für noch etwas ist es hilfreich: Babys und jüngere Kinder lieben es, wenn beim Wickeln und Versorgt-Werden weitere Menschen, nicht zuletzt andere Kinder um sie herum sind. Die Kleineren haben es gern, wenn etwas größere Kinder sie spielerisch `mitversorgen`. Schon wird für Babys und Kleinkinder alles rund ums Wickeln, um Aus- und Anziehen leichter, entspannter – eine weitere, zentrale, gute psychische und körperliche Erfahrung: alles in puncto Körper passiert entspannt und mit Vergnügen.

„Was ist aber mit Intimität und Scham?“ wird heute von Erzieher*innen gefragt. Diesbezüglich besteht zurzeit ein Missverständnis: Körperlich ungeniert wie jüngere Kinder noch sind, erleben sie das Entkleidet- und Versorgt-Werden unter anderen Menschen noch nicht als ihre Intimität und ihr Selbstgefühl verletzend (auch dann nicht, so derzeit die häufige Frage von Erzieher*innen der KiTas, wenn ein*e Handwerker*in im Raum ist, weil etwas repariert werden muss). Es verhält sich anders: Babys und Kleinkinder erleben ihr Selbstgefühl, ihre Intimität dann verletzt (man kann es an ihrem besorgten Blick klar sehen), wenn sie von einer Person, die sie nicht kennen, mit der sie nicht vertraut sind, plötzlich angefasst und entkleidet werden. Im Gefühl eines Babys oder Kleinkindes entsteht Schutz dadurch, dass es sich sicher darauf verlassen kann, von jenen versorgt zu werden, mit denen es Nähe in Geborgenheit und Entspanntheit zulassen kann. Diese Erfahrung ist für Kleine jetzt wichtig, das schützt sie; mit dieser Respektierung ihrer Gefühle machen junge Kinder alltäglich die Erfahrung, dass wir verstehen, was sie an Vertrautheit und Nähe brauchen und dass es nicht beliebig ist, wer sie von Kopf bis Fuß versorgt, sie anfasst. (Ich berühre in keiner meiner Beratungsstunden jemals ein Baby, wenn ich sehe, wie es in Habachtstellung geht und mir durch seinen Blick und seine Körperanspannung zeigt, dass es mich nicht kennt, von mir eher nicht angefasst werden will.)

Noch etwas wissen wir bei jüngeren Kindern intuitiv: Dass sie `die Welt` noch durch Anfassen verstehen. Alles Interessante wollen jüngere Kinder unbedingt berühren. Die deutsche Sprache drückt es aus: Begreifen geschieht körperlich, durch das Greifen mit den Händen. Babys und Kleinkinder führen jeden Gegenstand nach dem Greifen zum Mund. Der Mund ist in der frühen Kindheit Genuss- und Erkenntnisorgan. Jüngere Kinder brauchen nicht nur das Saugen, auch das Begreifen mit ihrem Mund. Daher ist es wichtig für Kinder, dass man ihnen das `An etwas Saugen` nicht zu früh abgewöhnen darf; oftmals dauert das Saugbedürfnis bis zu drei oder vier Jahren eines Kindes an, manchmal auch länger. Wenn Spüren und Saugen, beides lustvoll, mit Freude, von einem Kind erlebt werden darf, ist es sehr wahrscheinlich, dass sein Mund ein Leben lang mit Lust genießen kann, er regelrecht `mit Genuss aufgeladen` bleibt; dass ein Kind sein Leben lang Genuss, Nahrung, Nähe zulassen mag. Oft bekommt man als Eltern von Einjährigen auch schon wieder liebevolle Küsse auf die Backe gedrückt.

Bei guten frühen Erfahrungen über den Mund ist es später, wenn Kinder jugendlich, dann erwachsen werden, ziemlich sicher, dass sie das Küssen und jegliches Liebkosen mit dem Mund als Teil des Liebes- und Sexuallebens zulassen und genießen können. Umgekehrt ist es zu beobachten, und durch diese Beobachtungen erkannte man diese Zusammenhänge und ihre langfristigen Auswirkungen: Babys, die einen schwereren Start ins Leben hatten, die durch eine Sonde ernährt werden mussten, haben häufiger das Problem, dass ihr Mund alle Lust `verloren` hat, sie weniger Freude am Essen haben, sie auch alle Nähe über ihren Mund – Ertasten von Gegenständen, Gesten des Liebkosens mit dem Mund – weniger oder gar nicht suchen, nicht genießen. Eine Tatsache, mit der ich in der Beratung von Eltern mit Babys und Kleinkindern, die eine frühe, schwerere Klinikzeit hinter sich haben, nicht selten in Berührung komme.

Wenn das Baby zum Kleinkind wird, entdeckt es parallel zu seinem Stehen und Gehen (wieder sind körperliche und psychische Entwicklung ineinander verschränkt) immer mehr seine eigene Person, sagt „Selber“ und „Nein“, entdeckt seinen eigenen Willen, dazu, dass es jetzt mehr und mehr alles selbst machen kann, dass es immer mehr seinen gesamten Körper selbst beherrscht. Sein, oft energisches „Selber!“ und „Nein!“ drücken klar seine Abgrenzung und seinen Willen aus. Wieder ist die deutsche Sprache genau: Wir `stehen auf eigenen Beinen`, was immer meint, dass man sich abgenabelt hat, kein Schoßkind mehr ist; dass man seinen eigenen Weg geht, seinen eigenen Willen, eigenen Kopf hat. Die Zeit der Autonomie startet beim Kind, mit Power![3]

Immer bewusster erleben Kleinkinder die gesamte Körperbeherrschung, auch die ihrer Körperöffnungen: Ein Kind will sich jetzt oft genug das Essen am liebsten selbst in den Mund stecken, will „Selber!“ den Löffel halten und üben, üben, üben. Und noch etwas kommt mehr in seine Regie: Es bemerkt (bevorzugt, wenn es nackt durch die Gegend laufen kann), dass es selbst Einfluss hat auf Blase und Darm. Man sieht es an seinem Blick, wie `der Groschen fällt`, wenn es bewusster zuschaut, dass es tatsächlich pinkelt. Wieder reagieren wir intuitiv, passend: Wir bestärken es mit strahlenden Augen! Nie sonst strahlen wir, wenn jemand ausscheidet. Aber bei einem Kleinkind wissen wir, dass es das genießt und braucht, weil es dann Stolz und Freude erlebt, dass es ganz aus sich heraus selbst dazu in der Lage ist, aus seinem Körper heraus, immer mehr bewusst selbst zu `machen`. Ebenso intuitiv lassen wir zu, dass jüngere Kinder dabei sein wollen, wenn wir ausscheiden. Wir wissen, dass das ihre Art ist, wie sie auch diesen Teil des Lebens begreifen, wie Mama, Papa, wie die größere Schwester, der größere Bruder `machen`.

Jüngere Kinder wiederum lieben es meistens, wenn es gemeinsam geschieht. So macht es mehr Spaß. Noch ist Ausscheidung unter anderen[4], also in einer Gruppe, für Kinder mit Gefühlen der Geselligkeit, sehr oft auch mit Gefühlen der Geborgenheit verbunden – entsprechend lassen sie leichter los. Ausscheidung allein, intim und in Ruhe erleben zu wollen, für die meisten Kinder kommt es erst deutlich später. Im Kleinkind- und Vorschulalter lieben es die meisten Kindern, wenn sie es mit gemeinsamen Albernheiten erleben, mit reichlich Lust durch dieses Lustig-Sein (Logisch, immer gibt es Ausnahmen: manche Kinder mögen früh für sich sein, wenn sie `müssen`, können nur in Abgeschiedenheit und mit Ruhe gelöst ihr `Geschäft` machen; selbstverständlich geben wir ihnen die notwendige Ruhe und Abgeschiedenheit, keine Geselligkeit).

Warum gemeinsames Albern-Sein so wichtig ist? Weil der Spaß und die Leichtigkeit Kindern dabei hilft, Hürden ihrer Entwicklung leichter zu nehmen. Das versteht man noch mehr, wenn die kindliche Albernheit manchen Kindern fehlt; wenn man Kinder erlebt, (in der beraterisch-therapeutischen Arbeit erlebt man sie öfter), die schon alles in ihrem jungen Leben sehr ernst und `erwachsen` bedenken; die mit ihrem großen Ernst aber wichtige Entwicklungsschritte nicht nehmen, z.B. auch den, in Eigenregie, ohne Windel, ohne Erwachsene auszuscheiden. Man bemerkt dann, dass nicht das frühe Reflektieren und ernst sein, sondern das alberne, dadurch gelöste Zusammensein unter Kindern einem Kind dabei hilft, wichtige Entwicklungsschritte zu nehmen; denn Kinder mit ihrer Leichtigkeit `ziehen` sich untereinander ins Größerwerden, nachgewiesenermaßen.[5]

Die Freude, alles intensiv zu spüren, auch zu riechen (auch Kot und Urin), sich bei sich und bei anderen mit allem mehr vertraut zu machen, was an Genitalien und Popo passiert und möglich ist – es hält noch lange an. Auch im Kindergartenalter lieben Kinder es, sich zwischendurch mit Ausscheidung und der damit einhergehenden Sinnlichkeit zu befassen. Liebend gern in Grüppchen gehen sie drinnen zur Toilette, draußen hinter die Büsche, kichernd, albern, lachend; Jungen wie Mädchen, gemischt oder auch eher unter gleichgeschlechtlichen Kindern. Mit den anderen zusammen erlebt man als Kind intensiv, wie sich alles anfühlt, wie wer macht, wie wer aussieht, wie sich wer und wie sich überhaupt alles dabei verhält. Auch sprachlich sind die Pipi-Kacka-Wörter bei Kindern für längere Zeit noch hoch im Kurs (ja, ich weiß, für Erwachsene manchmal zu lang nervige Zeit).

Nochmal ist es die intensive Körpererfahrung mit Lust, die die Kinder jetzt auf bewusster werdender Ebene damit vertraut macht, was ihr Körper alles kann:

Körperbeherrschung, und noch intensiver Körperwahrnehmung in der Genitalregion. Der gemeinsame Spaß hilft dabei, alles am Körper zu mögen, auch zwischen den Beinen, wo man nicht nur `nach Veilchen riecht`, auch mit Pipi und Kacka. Auch das `schreibt` sich einem Kind psychisch und körperlich ein, hilft ihm sein zukünftiges Leben über, sich mit sämtlichen Körpergerüchen in sensiblen Körperregionen so zu mögen, wie man ist. Gute Voraussetzung, um später, wenn sexuelle, genitale Erfahrungen als erwachsene (jugendliche) Person kommen werden, vieles entspannter zuzulassen. Dann kann man Sexualität mit mehr Vertrauen in den eigenen Körper erleben.

Je mehr Kinder sich in ihrer Art mit ihren ersten, eher halb als ganz bewussten analen und genitalen Erkundungen, mit ihren Albernheiten verstanden fühlen, sie Gelassenheit, ohne Strenge, ohne Stress seitens der Erwachsenen erleben, umso weniger fühlen Kinder sich in ihrem kindlichen Benehmen `falsch`. Es darf dann sein, wie es ist: Dass ihr kindlich-kesses Experimentieren, einfach so, aus Körpergefühlen und Körperlust heraus aus ihnen `raussprudeln` darf. Solche Ausscheidungs-Albereien sind von Kindern jetzt kaum bewusst steuerbar. Heißt für uns: nicht schimpfen, sondern verstehen. Dann nehmen Kinder ein weiteres Mal das sie stabilisierende Gefühl mit, dass sie genauso, wie sie jetzt sind, `richtig` sind. Dann schämen sie sich nicht für ihre Art, auch nicht für ihre leicht erregend erlebte Energie, die sie bei allem jetzt schon wahrnehmen. Um dennoch jenen Kindern jederzeit behilflich zu sein, die bei allem rund um Ausscheidung etwas Hilfe suchen und wollen, ist man als erwachsene Person so in der Nähe, dass sie sicher Hilfe bekommen.

Noch etwas kann man jetzt beobachten und man hilft Kindern, wenn man darum weiß und eher wenig dazu sagt: Dass viele Mädchen das Urinieren draußen, in der Hocke, mehr genießen als drinnen, auf einer Toilette höher sitzend. (Leserinnen können das mal ausprobieren, dass man als Frau hockend seine Unterleibsorgane und -Muskeln intensiver spürt); ebenso gut zu wissen, dass Jungen Freude daran haben, im Stehen zu pinkeln, um mit Vergnügen auszuprobieren, was und wie sie ihren Penis steuern können. Urinale in der KiTa wären für Jungen daher (und alle, die die WCs putzen müssen) ein echter Segen. Da sie meist nicht existieren, wäre gut, zumindest draußen den Jungen Freude und Spaß beim Im-Stehen-Pinkeln zu lassen. (Wenn auch Mädchen nicht nur hockend, sondern ebenso im Stehen pinkeln wollen, nur zu; sie sollen, wie sie wollen, alles bestens spüren.)
Was ist der Sinn hierbei? Durch die Freude beim Hocken oder Stehen, wird beim Anspannen und Loslassen während des Urinierens die beteiligte Muskulatur intensiver gespürt. Dabei üben Kinder (Jungen wie Mädchen) intensiver und doch nebenbei, dass man auf Spannung-Halten und Spannung-Loslassen im Umgang mit Ausscheidungsorganen absichtlichen Einfluss haben kann. Anspannen und Loslassen stehen einem später als erwachsene Person in der dann gelebten Sexualität eher zur Verfügung. Kinder üben durch ihre Experimentierlust beim Urinieren, Anspannen und Loslassen mitzusteuern, bekommen es mehr in ihr Körpergespür; bezüglich Potenzhalten und Orgasmus-Fähigkeit ist das  später nicht völlig bedeutungslos.

Wie sehr Anspannen und Loslassen mit psychischem Erleben zusammenhängen, dass wir Ausscheidung nicht nur entspannt genießen, sondern dass Blase und Darm durchaus empfindlich mit Psyche zusammenhängen, zum Beispiel auf Stress reagieren, wie sehr also alles in unserem Unterleib, in unserer Genitalregion darauf reagiert, ob wir entspannt sein dürfen oder ob nicht, das kennen auch alle Erwachsenen. Prüfungen, Reisen, jegliche Anspannungen drücken sich schnell über die Blase (aus Angst muss man unvermittelt ganz häufig aufs Klo), oder auch über den Darm  aus (aus lauter Anspannung und Nervosität bekommt man Verstopfung).
Bei Kindern ist es wieder ein, uns allen vertrautes, intuitives Wissen: Sollten Kinder lange ihre Blasen- oder Darmmuskulatur nicht entspannt selbst beherrschen können, oder sich ganz plötzlich wieder einnässen oder einkoten, dann wissen wir, dass sich hinter diesem Kontroll-Unvermögen oder diesem neuerlichen Kontrollverlust meistens psychische Anspannung, Stress, Kummer beim Kind verbergen. .

Später, wenn eine erwachsene Person sexuelle Lustlosigkeit erlebt oder Sexualität nicht genießen kann, sich allem Möglichen, was sich genital oder auch anal in der Sexualität abspielen könnte, nicht nähern kann, hat es sehr häufig – auch diese Zusammenhänge erkannte man durch psychotherapeutische Erfahrungen – seine Ursachen darin, dass die/der Erwachsene als Kind zu stressige, zu angespannt, belastende, oder auch zu strafende, strenge Erfahrungen machte. Wie erwähnt auch dadurch, dass man als Kind starke Beschämung erlebte, wenn er/sie sich noch jung, kindlich-albern benahm. (`Jung` meint bis ins  Vorschulalter, bezüglich dieses Verhaltens von Kindern auch bis ins Grundschulalter; oft genug sind auch Pubertierende, aber klar doch, noch gerne albern …).

Dass man als Kind ist, wie man ist, dass man spielt, wie man spielt, das betrifft auch die `Doktorspiele`. Wenn Kinder keine Kleinkinder mehr sind, wenn sie miteinander gerne `Vater-Mutter-Kind` spielen, dann setzen sie sich psychisch damit auseinander, wie es ist `groß` zu sein – eine Mama, ein Papa, eine Frau, ein Mann zu sein[6]. Wie ernst sie das meinen und es im Spiel `üben` erleben wir, wenn sie uns Erwachsene im Spiel absolut identisch imitieren (wenn wir Mäuschen spielen, hören wir uns original reden).

Mit dem Thema Frau/Mann, Männlich/Weiblich-Sein befassen sich Kinder psychisch und – wieder parallel – auch körperlich. Sie spielen `Doktor`, geben sich damit den Anlass, einander ganzkörperlich zu untersuchen. Sie schauen in die Unterhosen, wollen mit bewusster werdendem Blick sehen, wie es genauer bei Mädchen, bei Jungen aussieht. Wieder geht alles von starken Körperempfindungen aus. Ja, beim `Doktorspiel` geht es um kindliche Formen von Lusterleben. Da Kinder sehr früh ihre besonderen Nerven an ihren Körperöffnungen spüren (dass es so ist, können wir alle daran beobachten, dass sie tatsächlich selbst auf die Idee kommen, in ihrer Nase zu bohren, niemand muss ihnen das erst zeigen), haben Kinder ganz von sich aus, ohne etwas Entsprechendes erlebt oder beigebracht bekommen zu haben, eigene Ideen, was sich alles an ihren Köperöffnungen gut anfühlen könnte. Also kommen sie von sich aus auf die Idee, dass man etwas in die Popo-Öffnung stecken könnte; haben manche Mädchen tatsächlich schon ein Gefühl dafür, dass man etwas auch in ihre Scheidenöffnung stecken könnte. Es ist wichtig, dass man von diesem Gespür von Kindern für ihre Körperöffnungen weiß; nämlich: für die Beurteilung kindlicher Aussagen. Allein dass Kinder solche Ideen äußern oder umsetzen, ist daher  noch kein Beweis, dass etwas Besorgniserregendes mit ihnen passiert wäre. Vielmehr kann es sein, dass es ihr intensives Körperspüren ist, das bei manchen Kindern entsprechende Ideen und Aussagen auslöst.

Ebenso wie bei der Nase sagt man Kindern, dass sie nichts in ihre Öffnungen stecken sollen. Da die Entwicklung zu Autonomie immer auch Ungehorsam mit sich bringt, halten sich Kinder nicht immer daran (wie beim Verbot des Nasebohrens …).

Da das Gespür samt kindlicher Ideen für ihre Körperöffnungen in frühem Alter da sein kann, ist es genau diese Tatsache, die es schwierig macht zu diagnostizieren, ob Kinder sexuelle Übergriffe tatsächlich erleben, oder ob sie, aus ihrem Körpergespür heraus etwas Bestimmtes erzählen. Beides kann wahr sein.
Die Realität des Erlebens eines Kindes herauszubekommen, ist keinesfalls immer einfach. Denn das `Es kann sein, kann aber auch anders sein` ist einer der Gründe, warum immer wieder nicht schnell festgestellt werden kann, was ein Kind tatsächlich erlebt. Es bleibt wichtig, bezüglich Wahrheitsfindung mit jenen Profis zusammenzuarbeiten, die bezüglich Wahrheitsbegutachtung der Aussagen von Kindern spezifisch geschult sind; es sind notwendige Fachmenschen, sollte es je um Straftaten gehen.[7]

Bei aller kindlichen Neugierde, bei ihren Spielideen hilft es zu wissen, dass Kinder jetzt ganz normal, wenn es um erregende Körpergefühle geht, das Bedürfnis haben, sich von Erwachsenen zurückzuziehen. Wenn sie sich untereinander ausziehen, machen sie das meist ziemlich ungeniert. Aber gegenüber Erwachsenen entwickeln Kinder jetzt deutlicher Schamgefühle. Wieder sorgen Kinder aus ihrem Gespür heraus für etwas Entscheidendes: Erwachsene sind aus Kindersicht klar diejenigen, die ihnen anständiges Benehmen beibringen. Erwachsene lehren einen als Kind, nicht in der Nase zu bohren, sich nach einem Toilettengang immer die Hände zu waschen, ebenso, keine unanständigen, wüsten Wörter zu sagen, generell, wie man sich ordentlich benehmen soll.

Kurzum: Erwachsene verkörpern für Kinder jetzt, in ihrer psychischen Entwicklung dieses `Über-Ich`; Erwachsene sind die Instanz für Anstand, gute Sitten. Daraus schließen Kinder erstmal, dass Erwachsene kein Verständnis für das Vergnügen beim Spiel an und mit Genitalien haben; dass sie `so was` nicht tun. Dazu kommt: Je mehr Kinder ein Ich-Bewusstsein bekommen, umso mehr wächst auch ihr Schamgefühl mit. Weshalb? Die Scham ist der Wächter der Intimität … also auch des Ichs. Kinder spüren durch ihre Schamgefühle klare Grenzen, sich mit ihrer Freude an Körperspielen den Erwachsenen nicht zu zeigen. Ein Kind in diesem Alter erlebt Erwachsene ja nicht ekstatisch, sondern immer `normal`. Aus Kindersicht wissen Erwachsene nur, was man soll, und was eben nicht.

Diese Wahrnehmung von Erwachsenen durch Kinder, dazu das Gefühl, aus Scham sich von ihnen eher zurückziehen zu wollen, ist letztlich gut. Denn wieder hat ein Verhalten von Kindern eine wichtige Funktion: Kinder bauen, wenn es um körperliche, um sinnliche, sexuelle Erregung geht, dadurch klar, eindeutig eine Schranke zwischen den Generationen auf. Sie machen aus ihrem Empfinden heraus klar, was wir in puncto `Schutz vor sexueller Gewalt` wollen.

Die Logik dieses Verhaltens ist: Kinder wollen, wenn es um Erregung geht, mit Erwachsenen absolut nichts zu tun haben! Genau das ist stimmig, denn genau das hilft Kindern zu den notwendigen Grenzen – Kinder halten sich die Erwachsenen vom Leibe!

Es ist der Grund, warum Kinder oft schnell weggehen, warum sie sich die Ohren zuhalten, warum sie über `das alles` nicht weiter mit Erwachsenen reden, angesichts von `Doktorspielen` nichts preisgeben wollen, sie sich nicht äußern, sich nicht erklären wollen. Ziemlich oft kann man erleben, dass es Kindern ziemlich peinlich ist, wenn Erwachsene die von Kindern empfundene Schranke durch ihr erwachsenes `Wir müssen aber darüber reden` nicht einhalten. Genau besehen sind es also die Kinder selbst, die sich mit ihrem Schamgefühl, mit der so gefühlten Grenze, vor Erwachsenen schützen.

Wenn man sich dieses Empfinden von Kindern bewusst macht, hilft es:

a) kindliches Verhalten eher zu verstehen, zu respektieren, Kinder mit Reden nicht zu überfordern;
b) das Problem der Aufsichtspflicht in KiTas als ein echtes Dilemma unter Kolleg*innen und Eltern zu sehen; was bedeutet, dass man unter Erwachsenen hierzu möglichst gute Regelungen findet.

Da Körperspiele/ `Doktorspiele` unter Kindern zur Zeit oftmals schnell unter dem Verdacht eines Übergriffs stehen, der dann unter allen, auch unter den dazugehörigen Eltern genauer besprochen werden müsste, besteht ein Dilemma, das schwer lösbar ist. Wenn man die Schamgrenzen der Kinder mehr einbeziehen will, bleibt es schwierig. Wieviel besprechen, ohne Kinder zu beschämen? Wie die Kinder ausreichend beaufsichtigen, wenn sie sich je nackt ausziehen, `Doktor` spielen?

Heutzutage kommt es, so meine Erfahrung der vergangenen Jahre, sehr schnell zu sehr komplizierten Auseinandersetzungen unter den Erwachsenen, die ziemlich oft bittere Formen annehmen; bis zu rechtlichen Schritten, die Erwachsene sich gegenseitig androhen. Weil das zurzeit kaum zu lösen ist, komme ich nach allen gemachten Erfahrungen zu dem Schluss, dass ein Ausweg mit mehr Ruhe wäre, in KiTas – als letztlich öffentlichem Lebensraum, der von vielen unterschiedlichen Menschen geteilt wird – an alle (die Kinder, ihre Eltern, um sie zu versichern, dass alle Kinder in der KiTa Schutz erleben) die Regel auszugeben: Kinder in der KiTa ziehen sich beim Spielen in verborgeneren Ecken nicht mehr aus. Diese Regel setzt klar eine Grenze und ist leicht verstehbar, da man in der KiTa in einem letztlich öffentlichen Raum ist, in dem man sich in unserer Kultur sowieso eher nicht auszieht.

Warum der Schritt zurück zur Kleidung?

Da es bei Zerwürfnissen unter Erwachsenen bezüglich des Ausziehens unter Kindern schnell dazu kommt, dass die Herausnahme einzelner Kinder aus der KiTa gefordert wird, dass beteiligte Kinder generell nicht mehr miteinander spielen dürfen, halte ich es für die Kinder für den kleineren Schaden, wenn sie sich im Spiel in der öffentlichen KiTa, wie sonst in der Öffentlichkeit auch, nicht ausziehen. Mein Eindruck ist, dass Kinder das leichter verkraften, als wenn ihr Zusammenspielen, ihre Freundschaften von Erwachsenen für immer unterbunden würden, oder sie durch die Nachgespräche zu ihrer Art des Spielens, bezüglich ihrer damit einhergehenden Scham dann, genauer erklären sollten.

Ich erlebe mit, dass die Beschämung, wenn Kinder zu ihrem Spiel befragt und eventuell mit strengeren Konsequenzen bedacht werden, für ihr Selbstwertgefühl schmerzlich ist; sie unsicherer macht, als wenn sie in der KiTa auf entsprechende Spiele verzichten. Wenn manche Kinder sich vergessen, die Regel je nicht einhalten, man es mitbekommt, dann erinnert man Kinder an die Regel und sagt möglichst ruhig:

„Jetzt zieht euch schnell wieder an, hier in der KiTa spielt ihr nicht nackig. Das ist in KiTas einfach so.“
Wie Kinder außerhalb der KiTa spielen dürfen, bleibt dann in der individuellen Ansicht individueller Elternhäuser; Eltern sind es, die entscheiden, wie und was sie unter ihren Kindern tolerieren wollen.[8]

Ein paar Anmerkungen zu Regeln, die ich berichtet bekomme, die zur Zeit von manchen Erwachsenen in manchen KiTas aufgestellt werden:

Kindern wird heute gesagt, sie sollten erst ausmachen, was und wie sie spielen, was bei `Doktorspiel` erlaubt sei, was jedes wolle, was nicht. Diese Regel können Kinder kaum einhalten, denn: Gefühle, erst recht erregende Gefühle sind stark und können von uns allen nur bedingt durch Reden gegengesteuert werden. Wir alle kennen es, dass Gefühle, erst recht stärker erregende Gefühle mit einem durchgehen können. Das menschliche Gehirn wird von Gefühlen angetrieben und gesteuert; das Gehirn von Kindern erst recht.[1] Es funktioniert für Kinder nicht, dass sie vor einer Handlung über Vorhaben und eventuelles Spielverhalten beim `Doktorspiel` Zentrales `vernünftig` besprechen.

Diese Eigenregie, zuerst zu reden, dann entsprechend zu handeln, Kinder können da fast nur versagen.
Auch die Regel, die ich in manchen KiTas hörte, man dürfe den/die Andere/n zwar an den Genitalien anschauen, aber nicht anfassen, ist für Kinder schwierig umsetzbar. Ein Kind – siehe oben – sieht und begreift durch Anfassen. Eher kann sich ein Kind dranhalten, sich gar nicht auszuziehen, als dass ein Kind Sichtbares dann nicht anfassen dürfte.

Schließlich die Regel, Kinder sollten immer nur unter etwa gleichaltrigen Kindern Körperspiele spielen. Sie reguliert Kinder zu streng, kann von Kindern ebenfalls eher nicht befolgt werden. Warum? Es ist ein Lebensgesetz, dass es jüngere Kinder stark zu den älteren Kindern zieht, denn unter Kindern lernen Kinder nachweislich am schnellsten.[9] Bei den Großen wollen die Kleinen mitspielen, bei ihnen wollen sie dabei sein, dort sind sie höchst neugierig, wollen lernen – am besten ALLES, also durchaus auch manches in puncto Körper. Wenn Kleine bei den Größeren sind, wird das derzeit schnell als Machtausübung angesehen, dass Ältere vor allem aus Machtmissbrauch mit Jüngeren spielten, erst recht, wenn es um Körperliches gehe. Das ist nach meinem Wissen über kindliche Entwicklung und nach meiner Erfahrung eine zu einseitige Sicht auf Verhalten von Kindern. Kinder lernen am liebsten unter Kindern; und die Jüngeren, begierig im Lernen wie sie sind, kleben oftmals regelrecht an den Fersen der Älteren, die auf die Jüngeren gar nicht unbedingt aus sind. Wenn man das Geschehen unter Kindern genauer anschaut, kann man es in den meisten Fällen häufiger so beobachten, wie der Kinderarzt H. Renz-Polster es beschreibt, dass die Kleinen „sich zu den Älteren strecken, die Älteren sich zu den Jüngeren beugen“,[10] Zusammenspiel also keinesfalls pauschal machthungriger Umgang der Älteren ist. Bei leiser Hintergrundbeobachtung stellt man oft fest, dass die Älteren ziemlich freundlich mit den Jüngeren umgehen, dass sie die `noch Kleinen` in ihre Spiele letztlich empathisch einbinden.[11]

Daher plädiere ich dafür, anstatt starre Altersabstände für das Zusammenspielen vorzugeben (es sollen, laut derzeit häufigen Vorgaben bei Körperspielen, keinesfalls mehr als zwei Jahre Altersunterschied sein), dass wir viel mehr unser Augenmerk auf die Qualität der Beziehungen unter zusammenspielenden Kindern lenken. Dass wir uns fragen: Sind die Kinder in ihrem Spielverhalten zueinander empathisch? Haben sie bei manchem Auf und Ab ihres Zusammenseins gute Ideen, wie sie letztlich doch freundlich zurechtkommen? Spielen sie auch nach Streit wieder gut zusammen? 

Wenn sie das alles gut genug miteinander machen, dann ist es gut, dann sind die Kleinen nicht nur schlimm dran, dann sind die Großen nicht generell machtausübend.
Sollte es nicht so sein, bieten wir selbstverständlich immer Hilfe an, sagen etwas, steuern gütig mit, so dass schwächere Kinder mit unserer Hilfe in ihrem Rücken keinesfalls für etwas herhalten, was sie nicht möchten; dass sie sich widersetzen. Denn natürlich will man, dass Kinder empathische Erfahrungen machen, keinesfalls wüste, verletzende.

Was also tun? Was unterstützt Kinder, damit sie empathisch sind und bleiben?

Es hilft Kindern und sie lieben es im KiTa-Alter immer sehr, wenn wir ihre Empathie Fähigkeit vielfältig aufgreifen und bestärken. Wie das in diesem Alter wie von selbst geht? Spielerisch, verspielt[2]. Wir greifen die Gefühle der Kinder positiv auf und bestärken sie: Indem wir ihre Liebe zu ihren Kuscheltieren und Puppen ernsthaft in den Alltag einbeziehen, indem wir ihre `Kinder` auch wie Kinder, also wie lebende Wesen behandeln; wir dadurch, dass wir auch sie liebevoll mitversorgen, wir eine feinfühlige, liebevolle Atmosphäre in der KiTa pflegen. Ab sofort blickt man dann oft – ich habe es häufig erlebt – in strahlende Augen, weil Kinder sich, verspielt und verträumt, wie sie jetzt noch sind, angesichts ihrer Liebe zu ihrer Puppe oder ihrem Kuscheltier in ihren Gefühlen ernst genommen und beantwortet fühlen. Dadurch bestärken wir sie spielerisch, aber deutlich und mit Begeisterung in ihrer Empathie-Fähigkeit. Das hilft immer viel mehr, als wenn wir Kinder zu Empathie ermahnen. Mit Begeisterung und Spiel begreifen es Kinder (dann ist es Erfahrung, und nur die bleibt): Indem wir Puppen schlafen legen, die Rollenspielecke wirklich liebevoll, fürsorglich einrichten, indem wir Puppen- und Kuscheltierfeste feiern, oder mal eine Sprechstunde für all diese, von den Kindern geliebten Wesen einrichten, weil sie ja auch verarztet werden müssen – durch solche Ideen und deren häufige Umsetzung erhalten wir in Kindern ihre warmherzigen Gefühle, stärken wir sie jetzt. Durch Spielerisches lassen wir Kinder feinfühlig, mitfühlend, begeistert empathisch sein.

Kinder sind dabei manchmal noch die `Kleinen`, manchmal die `Großen`, je nach ihren Gefühlen, wenn sie ihre Liebe zu ihren Puppen oder Stofftieren ausleben. Sie üben `liebevolles Versorgen` und spüren ihr empathisches Potential: dass sie schon jetzt, und vielleicht eines Tages später, gerne für Kleine sorgen. So setzen sie sich, ihrem Alter entsprechend, bereits jetzt mit zentralen Lebensthemen auseinander, der mitfühlenden Sorge füreinander. Durchs Spiel, ohne Ermahnen stärken wir die zarten Seiten in ihnen, letztlich ihre Zärtlichkeit.

Erklärungen zum biologischen Thema „Wie bekommt man Kinder?“ wird, so meine Erfahrung in Kindertagesstätten, erst später wichtig, wird erst von Kindern im Grundschulalter besser und genauer aufgenommen und verstanden. Ich wurde im Lauf meiner Arbeit als Sexualpädagogin bezüglich konkreterer Auskünfte immer zurückhaltender, je länger ich Kinder im KiTa-Alter erlebte und beobachtete, bei welchen Themen und Arten von Spiel sie denn wirklich aus sich heraus strahlen und begeistert sind. Denn nur das ist für sie jetzt von Bedeutung, weil es ihnen nicht nur an ihre, sondern unter ihre Haut geht. Natürlich gibt man erste, für Kinder im Vorschulalter verständliche Antworten, sollten sie einen zur körperlichen Seite des Kinderkriegens etwas fragen.

Ebenso, klar und offen, spricht man mit ihnen einmal darüber, dass ihr Körper ihnen gehört, bestärkt sie, dass sie sich immer melden sollen, sollte ihnen jemand etwas antun. Mit alldem stärkt man tagaus, tagein in ihnen die Erfahrung, die Sicherheit, dass wir mitempfinden, dass wir sie hören, sie ernst nehmen, bei allem, was sie erleben. So machen Kinder auf allen bisher beschriebenen Ebenen mit uns die Erfahrung, dass wir sie nicht verbiegen, nicht übergehen, sie begleiten, sie ernst nehmen, ganz so, wie sie in diesem Alter sind.  Erfahrung stärkt und bestärkt ihr Selbstbewusstsein.

Bei Auseinandersetzungen unter Erwachsenen, die ich bezüglich `Doktor-/ Körperspielen` unter Kindern zu begleiten hatte (im Lauf von 35 Jahren Tätigkeit als Sexualberaterin und -pädagogin, waren das ziemlich viele), waren immer die Kinder schnell wieder zu guten Formen des miteinander Spielens und Vertragens übergegangen, fanden in empathisch-freundliches Verhalten zurück, hatten gute Wege aus Konflikten gefunden. Leider fiel das den Erwachsenen schwerer. Oft hielten sie die Kinder bleibend getrennt, oder insistierten, dass alles furchtbar bleibe (obwohl die Kinder sich wieder gut vertrugen). Kinder, die selbst `gut genug`[12] behandelt werden (das ist die Mehrzahl der Kinder, denn die meisten Eltern machen ihre Sache mit ihren Kindern `gut genug`), sind nicht vor allem machtorientiert, wie das gerade, zu eindimensional  im Verhalten von Kindern gesehen wird. Bei zurückhaltender, aber steter Beobachtung merkt man, dass Kinder untereinander oft sehr konstruktiv beim Finden von Lösungen sind.

Manchmal brauchen sie mehr Hilfe. Dann mischt man sich mit Bedacht und freundlichen Vorschlägen ein, sollten einzelne Kinder je zu mächtig sein und Schwächere überfahren. Bei alldem wird noch ein Verhalten von Kindern derzeit, meiner Beobachtung nach, zu streng angesehen: Das kindliche Feilschen. Ja, Kinder feilschen.
Schnell sagen sie in vielen Situationen: „Wenn Du das jetzt nicht mit mir machst, dann lade ich Dich nicht zu meinem Geburtstag ein / dann bist Du nicht mehr mein Freund …“

Sie verhandeln auf ihre kindliche Art untereinander, was und wie gespielt wird. Wenn wir auch da wieder etwas differenzierter beobachten, spüren wir: Kinder sagen so etwas nicht, weil sie schon jetzt, als Kinder, erpresserisches Verhalten einüben, weil sie sich darin übten, andere mit Macht zu quälen. Vielmehr sind gerade jüngere Kinder mit solchen Sätzen noch schnell dabei, weil sie für sich `aufs Ganze gehen`, weil sie differenziertere Wege des Aushandelns noch nicht gut können (nicht nur die körperliche, auch die emotionale Entwicklung eines Kindes braucht ihre Zeit!). Kinder im KiTa-Alter sprechen solche Sätze jetzt noch in der Hoffnung aus, dass sie mit ihrem heftigen Androhen dann doch das kriegen, was sie gerne hätten. Dabei spielen sie im nächsten Moment doch wieder miteinander, bleiben befreundet, mögen das andere Kind doch, dem sie gerade noch die Freundschaft oder die Teilnahme am Geburtstag gekündigt hatten. Wieder geht es darum, dass wir die Qualität der Beziehung sehen, ob ein Kind jeweils `unterm Strich` zu sozialem, generell zu einfühlsamem Miteinander in der Lage ist.  Einmal mehr sind es nicht einzelne Sätze oder Momente, vielmehr die gesamte Art und Weise, wie Kinder ihre Beziehungen gestalten, die wir (leise) beobachten. Dadurch haben wir Kriterien, ob Kinder so weit gut im Lot sind, oder ob wir uns Sorgen um sie machen müssen. Zu den Sorgen gleich mehr.

Dass in manchen Situationen die oben genannten Sätze fallen, auch wenn es um Körperspiele geht, ist wirklich typisch kindliches Verhalten dieses Alters, ist nicht von vornherein ein Hinweis auf Macht einzelner. Dazu würde helfen, wenn wir auf vielen Ebenen im Alltag, besonders durch unseren Umgang mit den Kindern üben, dass verständnisvoller, versöhnlicher Umgang im täglichen Miteinander gut möglich ist.

Wieder lernen Kinder dann durch Beziehungserfahrung, dass man eher nicht, „Wenn Du aber nicht jetzt das machst, dann …“ sagt, (sagen wir das mit unserer erwachsenen Macht nicht doch auch ziemlich oft gegenüber Kindern …?); dass man sich nach Streit immer wieder verträgt, dass Liebe und Aggression[13], beides in uns allen existiert und man mit beidem so umgeht, dass man versöhnlich wieder zueinander findet.[14].[15]

Wenn Spiele und Verhalten zu grob sind, einzelne Kinder einem Sorgen machen – was ist mit ihnen los? Was tun?

Dass Kinder sich nicht immer gut benehmen, sie Grenzen und Regeln übergehen, das beobachten wir. Es ist und bleibt, auch wenn es uns anstrengt, zentraler Teil kindlicher Autonomieentwicklung, war es bei uns allen als Kind auch. (Oder haben Sie bei allem immer erst Ihre Eltern gefragt, ob sie dies oder das, was Ihnen als Kind einfiel, was Ihnen Spaß machte, machen durften?). Es ist hier nicht genügend Raum, um ausführlicher darauf einzugehen.[16]  Sich dessen immer bewusst zu sein, macht uns Erwachsene milder angesichts von Grenzen und Vorgaben, die alle Kinder, erst recht die temperamentvolleren, zwischendurch übergehen.

Bei Fortbildungen erlebe ich jedes Mal, dass Erzieher*innen ein ausgeprägt feines Gespür dafür haben, was sie bei Kindern als Teil solch typisch kindlicher Entwicklungsprozesse beobachten. Ebenso, dass sie einzelne Kinder in ihrem Verhalten besorgniserregend erleben. Ja, einzelne Kinder haben besorgniserregendes Verhalten.
Was ist los, wenn einzelne dauerhaft aggressiv, ausdrücklich `Ficken` spielen, das laut rausschreien, Bewegungen andeuten, die an erwachsene Sexualität erinnern? Was ist los mit Kindern, die den Tag über exzessiv onanieren? Was mit Kindern, die wenig Schamgefühl zeigen, die am liebsten dauernd derb körperlich spielen, offen im Gruppenraum, ein anderes Kind aggressiv bedrängen? Oder die mit Erzieher*innen dauerhaft grob sind, im Streit ihnen frechste, abfälligste Worte an den Kopf werfen?

Was tun?
Da es das Verhalten von Kindern ist, das sie kaum steuern, das auch in der Schamlosigkeit aus Kindern dieses Alters weiterhin mehr unbewusst als bewusst herauskommt, hilft es, zunächst zu verstehen, was in menschlicher Psyche vorgeht, wenn es Menschen schlecht geht; wie sich die Psyche bei starkem Stress `hilft`.

Zunächst zu den Ängsten, den `Gegenspielern` der lustvollen Lebensenergien. Zeitweise auch Erwachsene aber Kinder immer, setzen nicht nur ihre positiven, sondern auch ihre schwer erträglichen Gefühle, ihre Ängste, psychisch und körperlich `in Szene`.

Wenn Menschen in bedrohlichem Maß Ängste erleben, hat die Psyche `Mechanismen`, um gegenzusteuern. Auf unterschiedlichen Wegen: Es kann passieren, dass Menschen in den `Totstell-Reflex` übergehen, also erstarren; eine Reaktion, die wir noch aus der Zeit in uns haben, als wir von wilden Tieren umgeben waren. Oder aber, gerade wenn Erstarrung droht, dass es unwillkürlich passiert, dass menschliche Psyche zu einer Art `Trick` greift: Statt durch Erstarrung absolut nichts mehr zu spüren, schaltet die Psyche auf Erregung um. So legt sie quasi einen `Schalter um`, von `Tod durch Erstarrung` auf `Leben durch Erregung`: Dann spürt der Mensch in seinem Körper statt unaushaltbarer Ängste erregende Gefühle, spürt sich lebendig, besser als Angsterstarrung, denn da spürt man sich null.

Es passiert völlig unbewusst, auch bereits bei Kindern: Immer dann, wenn Angst droht, legt der `Schalter` in der Psyche sich `automatisch` um, bei starken Ängsten ist sofort hohe Erregung da. Wie ein Zwang, ein `Gegenmittel`. Wenn Kinder häufig Ängsten ausgeliefert sind, kann es passieren, dass es bleibt;[17] dass sich also in jemandem ein Leben lang in bestimmten Stress-/Angstsituationen sofort alles mit Erregung auflädt, als würde die Psyche sagen: „So kannst Du immerhin noch etwas spüren …“[18].

Ebenso bei stark erlebten Aggressionen: Eh man sich selbst bedroht fühlt, setzt man Aggressionen (da spürt man sich!) ein, tritt die `Flucht nach vorne` an, macht dem Gegenüber Angst, eh man selbst vernichtende Angst erlebt. Angst vor vernichtender Aggression ist – neben Wesenszügen und individuellem Temperament – ein möglicher Grund, warum  Kinder anhaltend heftig aggressiv spielen, bzw. im Umgang mit Erwachsenen nur aggressiv auftreten.

Angesichts von besorgniserregendem Verhalten hilft die Frage weiter, was an der Lage eines Kindes so schwer belastend ist, dass es sich durch extrem erregendes oder extrem aggressives Verhalten, zwar unbewusst, aber doch nur so zu ‘helfen` weiß.  Die Antwort, was genau in jedem Kind der jeweilige Hintergrund ist, müssen wir in jedem Einzelfall genau diagnostizieren. Die menschliche Psyche ist komplex und macht zeitweise ganz individuelle Winkelzüge, geht also Umwege. Nicht ganz selten verhält es sich anders als man im ersten Moment meint. Es stimmt nicht immer, dass aggressive Erfahrungen in Kindern aggressives Verhalten auslösen (ein Beispiel, wie ein individueller `Winkelzug` kindlicher Psyche sich abspielen kann: dass ein Kind keinerlei Grenzen oder Widerstände zu Hause spürt, weil Eltern bei Streit komplett aus dem Kontakt gehen, und genau das das Kind sehr ängstigt und infolge hochaggressiv macht); ebenso kann ein schneller Schluss irrtümlich sein, dass es sexuelle Erfahrungen sind, die hoch erregtes Verhalten in einem Kind auslösen (Onanieren kann z.B. ein Ausdruck von Mangel an Nähe und Geborgenheit sein, ein `Ersatz`-Gefühl, weil ein Kind sich sonst null spürt, sich `leer` fühlt).

Manchmal findet man Hintergründe schnell heraus, manchmal ist es komplizierter, was im Kind vorgeht, wie man ihm helfen kann. Sollte ein Kind Misshandlung, sexueller Gewalt ausgesetzt sein, kann es tragischerweise zusätzlich sein, dass es das kaum zeigt, es sich aus großer Angst heraus ganz still verhält, sich zurückzieht. Jegliche Diagnostik ist nie nur leicht. Wir brauchen genaues Wahrnehmen und Nachdenken in alle Richtungen. Da das so ist, hilft Beratung / Supervision. Durch die `Insoweit erfahrenen Fachkräfte` (nach §8a SGB VIII) haben Erzieher*innen eine Kontaktperson. Oft wäre hilfreich, Erzieher*innen hätten parallel den Rat erfahrener Kindertherapeut*innen oder Kinderpsychiater*innen, um dem auffälligen Verhalten einzelner Kinder exakter nachgehen, um passgenauer einem Kind aus Ängsten heraushelfen zu können. Man macht sich Vorwürfe, würde man je Schlimmes, das ein Kind erträgt, übersehen. Man macht sich auch Vorwürfe, würde man Verhalten falsch verstehen. Leider können auch falsche Einschätzungen Leid über Kinder und ihre Familien bringen. Man muss beides unbedingt  vermeiden, wenn man für Kinder und deren sichere Beheimatung die `richtige` Lösung finden will. So lange man keine Namen nennt, alle Personenangaben anonymisiert bleiben, ist das Einholen von Fachberatung immer erlaubt, um bezüglich Diagnose und folgenreicher Entscheidungen für ein Kind die stimmigen Wege zu finden.

Elterngespräche – nicht nur leicht zu führen …

Da wir alle besonders empfindlich reagieren, sollte sich das eigene Kind auffällig außer Haus benehmen, können wir uns vorstellen, dass es für Eltern durchaus schwierig ist, angesichts des auffälligen Verhaltens ihres Kindes zum Gespräch gebeten zu werden. Noch dazu, wenn ein Kind sich sexuell auffällig benimmt. Ängste gehen los, z.B.: „Was kommt jetzt auf mich, uns zu? Soll mein Kind etwa pervers sein? Was soll schon sein? Etwa unsere ganze Familie nicht in Ordnung?“. Auch jetzt können die Ängste der Eltern dazu führen, dass sie entweder erstarren (dann gar nichts reden) oder zum Angriff übergehen, also alle Schwierigkeiten des Kindes kurzerhand den Erzieher*innen in die Schuhe schieben. Meist hilft – für mich Teil meines Auftrags als „Insoweit erfahrene Fachkraft“ – Erzieher*innen beratend zur Seite zu stehen, eh sie mit Eltern über schwierige Inhalte sprechen müssen, solange man noch nicht genauer einschätzen kann, was los ist.

Bei deutlichen Nachweisen von Misshandlung, muss man mit Eltern nicht erst ins suchende Gespräch gehen; wenn man klare Anhaltspunkte hat, was einem Kind passiert, darf man konfrontativ werden, oder muss anderweitig, mit Hilfe des Jugendamtes, zügig zum Schutz des Kindes ins Handeln gehen.
Häufiger ist es anders und man muss, angesichts der offenen Fragen bezüglich des Verhaltens eines Kindes, Eltern eine offene, fragende Haltung entgegenbringen. Hilfreich wären Sätze wie: „Wir wissen im Moment nicht, was los ist, warum es Ihrem Kind nicht gut geht. Aber wir erleben, dass es extrem unter Spannung steht, denn wir erleben mit ihm in der KiTa gerade, dass (…). Wir wissen, dass es für Sie als Eltern sehr unangenehm ist, denn uns Eltern ist es allen unangenehm, wenn das eigene Kind sich gerade auffällig zeigt. Aber Kinder sind wie sie sind, und es ist an uns Erwachsenen herauszufinden, was Kinder bedrückt oder stresst. Können wir Sie fragen, wie es Ihnen als Eltern (als Familie) derzeit geht?“.

Offen und empathisch gefragt, fangen Eltern meistens an zu erzählen, wie es ihnen derzeit wirklich geht. Oft kommt man einen Schritt weiter; kann gemeinsam überlegen, was ein Kind jetzt wie entlastet. Es kommt vor, aber bei offenen Fragen eher selten, dass Eltern nichts sagen; dann ist weitere Beratung im Hintergrund, bei der Suche nach Lösungen für ein Kind hoffentlich erreichbar und bleibend möglich. Starke Ängste und Belastungen einzelner Kinder wollen wir, klar, nicht übersehen, nicht übergehen.

Trotz auch Schwerem – viel Freude und gute Ideen im Zusammenleben mit Kindern!

 

Endnoten

[1] Roth, G. (2014): Wie das Gehirn die Seele macht.

[2] Prof. Dr. M. Papousek, Säuglingsforscherin, München, war es, die dazu forschte, wie sehr alles Versorgen hilfloser Wesen, in der Säuglingsforschung Babys, intuitiv geschieht und bei Erwachsenen ein intuitives Repertoire wird. Ich war bei ihr in Ausbildung in Beobachtung intuitiver Interaktionen und Beratung von Eltern jüngerer Kinder.

[3] Und doch ist gut, wenn wir parallel auch noch Vorsicht walten lassen:  So begeistert ein Kleinkind geht und steht, so schnell hat es gleichzeitig noch Angst, es könnte seine Haupt-Bindungs-Personen verlieren. Wir kennen es, wie heftig es schreit, sollte ein Kleinkind plötzlich Mama oder Papa nicht mehr sehen.

[4] die Römer hielten es einst auch so… das erfährt man bei Führungen durch römische Kastelle, z.B. in Hechingen-Stein

[5] Zur elementaren Bedeutung, der starken Kraft spielerischen Lernens gibt es einiges an Literatur, u.a.: Hüther, G. (2016): Rettet das Spiel; Renz-Polster, H. / Hüther, G. (2022): Wie Kinder heute wachsen; ein Beitrag von Renz-Polster zur Bedeutung des Spiels für die Entwicklung von Kindern unter https://www.kinder-verstehen.de/mein-werk/blog/beduerfnisorientiert-haben-wir-da-etwas-vergessen/

[6] Dass manche Kinder sich dauerhaft in ihrer Geschlechts-Identität anders orientieren, sie bleibend anders ausleben, muss erwähnt werden, werde ich an anderer Stelle ausführlicher darauf eingehen; in diesem Artikel beschreibe ich zunächst typische Entwicklungsschritte, wie sie die Mehrzahl der Kinder nehmen.
Weitere Veröffentlichung zum Thema folgt.

[7] Weiterführend hierzu das Buch des langjährigen Gutachters der Charité, Berlin: Steller, M. (2015): „Nichts als die Wahrheit – warum jeder unschuldig verurteilt werden kann“

[8] Da ich als Sexualberaterin miterlebe, dass zu heftige, einst als Kind erlebte Kontrolle beklemmende Folgen für das spätere Sexualleben desjenigen haben kann, sage ich, mit einem Augenzwinkern, bei Elternabenden zu diesem Thema jetzt manchmal zu den Erwachsenen: „Wenn Sie eines Tages gerne Oma und Opa werden wollen, seien Sie jetzt nicht zu streng in ihrem Blick auf das Verhalten ihrer Kinder.“

[9] Renz-Polster, H. / Hüther, G. (2022): „Wie Kinder heute wachsen“

[10] Ebd.

[11] Klassisch, auch sehr feinfühlig beschrieben in Lindgren, A.: „Die Kinder aus der Krachmacherstraße“ – wie die beiden älteren Kinder die zwar immer etwas lästige kleine Schwester (weil sie das Spielgeschehen leider noch nicht versteht) dann doch mit deren Anliegen verstehen und sie doch irgendwie in ihre Spiele einbauen; so sind viele Kinder auch heute, weiterhin; ich bin diesbezüglich ständig Zeugin, meine Arbeit und mein Privates bringen es mit sich.

[12] Es war D.W. Winnicott, der diesen Begriff `gut genug` als Qualität der Behandlung von Kindern durch ihre Eltern prägte, um dadurch zu sagen: Nichts muss perfekt sein, es reicht, wenn wir Erwachsenen so weit gut genug sind, im Sinne von: dass wir liebenswert genug mit den Kindern umgehen; dann werden auch die Kinder liebenswürdige Menschen werden; mehr in Winnicott, D.W. (1974) „Reifungsprozesse und fördernde Umwelt“

[13] Ausführlicher zu dem Verhältnis dieser zwei wesentlichen menschlichen Gefühle, zum Thema Sexualität, bei:
 Kernberg, O. (2015): Liebe und Aggression / www.auditorium-netzwerk.de

[14] Ausführlicher zu den verschiedenen Ebenen, die dabei in Kindern präsent sind, ist von mir derzeit noch in Arbeit; erste, etwas ausführlichere Erklärungen hierzu in Löbner, I. (2012): „Körpererleben und Sexualität im Kindes- und Jugendalter“; dazu in den Büchern zum Alltags-Erleben mit jüngeren Kindern

[15] Löbner, I. (2016):“ Gelassene Eltern – glückliche Kinder“; Löbner, I. (2017): „Erziehen mit Mut und Muße“

[16] Mehr in Löbner, I. (2012) ebd.

[17] So können Paraphilien (früher genannt: Perversionen) entstehen; mehr in: Stoller, R. (1987): Perversion: Die erotische Form von Hass

[18] Bekannt ist dieses Phänomen auch als „Stockholm-Symptom“ – dass Menschen, die gekidnappt oder sonst gepeinigt werden, erregende Gefühle entwickeln, sich in Peiniger verlieben, sich in ihnen erotische Gefühle gegen ihre Todesängste ausbreiten.

Autorin
Ingrid Löbner, Dipl.Päd. Analytische Sexual- und Paarberaterin, Sexualpädagogin; Beraterin für Eltern mit Babys, Kleinkindern und Kinder im Vorschulalter (Ausbildungen: Kinderzentrum München, M.Papousek; Emotioneller Erster Hilfe, Th. Harms, Bremen; in Körpertherapie F. Renggli; Sexual- und Paarberatung pro familia, J. Scharff; Trauma-Therapie L. Reddemann)
Ingrid Löbner, Gartenstraße 16, 72147 Nehren, www.gelassene-eltern.de
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