Wie viele Sinne braucht Sprache?Oder: Sprache ist erst möglich mit dem, was vor dem Spracherwerb geschieht

Barbara Perras

Wir sprechen allgemein von unseren fünf Sinnen. Diese Einteilung fällt uns leicht - haben wir doch für jeden Wahrnehmungsbereich ein bekanntes und sichtbares Sinnesorgan zur Verfügung: die Hände, die Nase, den Mund, die Ohren und die Augen. Die Haut wird bereits vergessen (vgl. Zimmer 2005, S. 56).

Ich bin bislang entsprechend der Motopädagogik von sieben Sinnen ausgegangen:

  • fünf körpernahe Sinne:
    • Hände und Haut zum Tasten und zur Oberflächenwahrnehmung
    • Muskeln, Sehnen und Gelenke zur Tiefenwahrnehmung, auch als Kinästhetik oder Propriozeption bezeichnet
    • das Gleichgewichtsorgan im Innenohr für die Auseinandersetzung mit der Schwerkraft
    • die Nase zum Riechen
    • den Mund zum Schmecken
  • zwei körperferne Sinne:
    • die Ohren zum Hören
    • die Augen zum Sehen (vgl. Zimmer 2005, S. 58).

Die höheren körperfernen Sinne bauen auf den niederen körpernahen Sinnen auf. Soesman (2007) schreibt in seinem Buch "Die zwölf Sinne" (nach Rudolf Steiner) ebenfalls, dass die höheren geistigen Sinne auf den niederen Willensinnen aufbauen. Ein Kind kann erst den Basisbereich loslassen, wenn dieser ausreichend entwickelt werden konnte. Steiner geht von vier Willensinnen aus, denen vier höhere Sinne gegenüberliegen. Dazwischen gibt es noch vier Seelensinne, welche ebenfalls Pole bilden.

Kein Sinn steht jedoch für sich. Jeder ist eingebettet in ganzheitliche Wahrnehmung und Verarbeitung. Manche sind mehr, andere weniger miteinander vernetzt. Leider wird nicht nur zum Zwecke von Beschreibungen und Erklärungen jeder Bereich isoliert angesehen: Bei Auffälligkeiten gibt es einen Facharzt für Augen, einen für Ohren, und an der Uniklinik eine Sprechstunde für Schwindel...

Hyperaktive Kinder, Kinder mit mangelnden Bewegungserfahrungen und andere originelle oder auffällige Kinder schreien häufig auf Frequenzen, welche unseren Ohren richtig weh tun. In Bewegung auf Trampolinen, beim Reiten auf Ponys und Pferden oder am Strand habe ich solche Laute von diesen Kindern noch nicht gehört. Ich vertrete deshalb die Theorie, dass Kinder mit unnatürlich hohen, quietschenden und unangenehmen Tönen ihren Gleichgewichtssinn stimulieren. Ein Ersatz also für fehlende Bewegungs-, Schaukel- und Schwindelreize? Nahe liegend, weil Hören und Gleichgewicht sehr nahe im Innenohr beisammen liegen, denn "Hören ist wie die vestibuläre und taktile Empfindung ein Empfangen und Weitergeben von Energie durch Bewegung und Schwingung" (Blythe 2009, S. 116).

Propriozeption oder Kinästhesie

Propriozeption "versetzt uns in die Lage, jederzeit zu wissen, in welcher Position sich jeder Teil unseres Körpers befindet, und die entsprechenden Anpassungen zu treffen... Die Informationszufuhr aus den Propriozeptoren wird vor allem im vestibulären System verarbeitet" (Blythe 2009, S. 131).

Ingeborg Milz (1999) unterscheidet in ihrem Buch "Montessori-Pädagogik: neurologisch verstanden und heilpädagogisch praktiziert" zwischen Propriozeption und Kinästhesie: "...Eigenwahrnehmung oder Propriozeption. Diese Eigenwahrnehmung ist auch beteiligt an der Kinästhesie, die Information über die Stellung unserer Gelenke zueinander vermittelt."

"Die Begriffe Propriozeption und Kinästhesie werden oft synonym verwendet; allerdings versteht man unter Propriozeption alle Empfindungen, die mit der Körperposition - sowohl in Ruhestellung als auch in Bewegung - zusammenhängen, während Kinästhesie nur jene Empfindungen beschreibt, die entstehen, wenn aktive Muskelkontraktionen beteiligt sind" (Blythe 2009, S. 131).

Bei der Einteilung dieser und weiterer Sinne finden wir in der Literatur unterschiedliche Bezeichnungen. Viele erweitern z.B. den Tastsinn auf taktil-kinästhetische Wahrnehmung. Monika Murphy-Witt (2002) spricht von Spür- und Eigensinn und Steiner u.a. vom Ich-Sinn. Diese beiden letztgenannten Sinne sind leider eher negativ besetzt. Galt es in vergangenen Jahrzehnten eher, den Trotz oder Eigensinn zu brechen, so ist es in den letzten Jahren in manchen Familien modern geworden, den Kindern willentlich und verbal kaum Grenzen zu setzen. Doch beides ist mit der Förderung des Eigensinnes nicht gemeint! In der Bibel heißt es "Liebe deinen Nächsten wie dich selbst!", was bedeutet, dass ein Mensch sich zunächst selbst lieben und kennen lernen muss, um Empathie entwickeln zu können. Zu dieser Eigenliebe gehört es auch, eigene und andere Grenzen kennen zu lernen.

Ich teile für meine Arbeit die Sinne ein in Basissinne (ich finde sie zu bedeutsam, um sie als niedere Sinne abzutun), in Seelensinne und in Geistessinne. Während jeder Basissinn zu einem Geistessinn führt, sind die Seelensinne noch schwerer zu trennen und ganzheitlich wichtig: Wenn du eins vergrößerst, musst du alle vergrößern, denn das Säugerhirn zeigt die Tendenz, sich als Ganzes zu entwickeln (Calvin 2004, S. 138).

  • Tastsinn (Spürsinn) - Sehsinn - Ichsinn
Der Tastsinn steht für die eigene Begrenzung: Nach und nach wird sich das Kind seines eigenen Hautmantels bewusst. Er steht aber auch für den Kontakt mit der Außenwelt, für Begreifen - mit dem Mund und mit den Händen. In der achten Schwangerschaftswoche spürt der Embryo erstmals seine Mundpartie. "Und ab der zehnten Woche wandert dann der winzige Daumen dorthin. Der Embryo nuckelt - für Wissenschaftler der erste Schritt zur Sprachentwicklung" (Murphy-Witt 2002, S. 8).

Früher wurde der Schlafsack so gewählt, dass das Kind beim Strampeln einen Widerstand erfuhr, ähnlich wie zuvor im Mutterleib. Dieses Grenzenspüren bot Sicherheit und trotzdem die Freiheit, sich innerhalb frei bewegen zu können. "Der Strampelsack wurde so ausgemessen, dass bei ausgestreckten Füßchen die Schulterbänder gestrafft waren, denn sonst zappelten diese Füßchen im Nichts. Vielleicht denken Sie: 'Na und?' Aber die Füße im Nichts zu haben, ist in diesem Falle ähnlich wie das Hineinschauen in einen Nebel. Konturlosigkeit bewirkt Unsicherheit" (Soesman 2007, S. 22). Heute empfiehlt der Fachhandel den Schlafsack ab Fußlänge plus 15 cm abzumessen...

Kinder haben eine tiefe Sehnsucht, Dinge zu ertasten, was in unserer Kultur nicht mehr üblich ist. "Berühren verboten" wird an alle interessanten Dinge geschrieben - auch in Museen, welche speziell die kleineren Kinder ansprechen (wollen). Und "Mach dich nicht schmutzig!" bremst die Kinder, eigene Erfahrungen zu machen. Mangelnde Körpererfahrungen schränken die Bildung eigener Abwehrstoffe ein und können zu Allergien führen. Gleichzeitig hindert die Vermeidung von Berührungen ein Kind daran, ganzheitlich zu erleben und die Sinneswahrnehmungen zu verknüpfen. Oft verwendet es alle Energie darauf, Körpererlebnisse zu vermeiden - Energie, welche es für wichtige (Lern-) Prozesse benötigt!

Das Auge als körperfernes Sinnesorgan bedarf zunächst der Überprüfung durch den Tastsinn. Unsere visuelle Wahrnehmung erfolgt seitenverkehrt und auf den Kopf gestellt (vgl. Thompson 1994, S. 264 - Abb. 8.2.) und "jedes Auge sieht ein unterschiedliches Bild. Die Position beider Augen setzt das Gehirn in die Lage, beide Bilder zu einem Bild zu verbinden" (Blythe 2009, S. 124). Erst durch manuelle Überprüfung baut das Kind seine Wahrnehmung auf.

Dazu kommt, dass unser Gehirn visuelle Bilder "eigenmächtig" vervollständigt und wir damit optischen Täuschungen unterliegen können. Bei so genannten Fehler-Suchbildern oder "Original und Fälschung" braucht ein Kind ca. 8 Sekunden, um sich auf das zweite Bild einzustellen und nicht das zu "sehen", was auf dem ersten war. Das ist auch der Grund, warum beim Bielefelder Screening zur Früherkennung von Lese-Rechtschreibschwierigkeiten (BISC) bei Vorschulkindern in Aufgabe 3, der Wort-Vergleich-Suchaufgabe (WVS), sich die Kinder viel Zeit lassen sollen und erst ein Wert über achteinhalb Sekunden mit der vollen Punktzahl bewertet wird. Oft schreiben Kinder kurz vor der Einschulung ihren Namen seitenverkehrt, manchmal sogar auf den Kopf gestellt. Ich sehe das als Zeichen einer Umstrukturierung und Spezialisierung ihres Gehirns.

"Die größte Wachstums- und Reifeperiode des Kleinhirns ist die Zeit zwischen Geburt und dem Alter von fünfzehn Monaten; die Zeitspanne, während der die Entwicklung vom frühkindlichen Reflex hin zur Haltungskontrolle stattfindet. Der Reifeprozess setzt sich bis zum Alter von sieben oder acht Jahren in langsamerem Tempo fort, bis die endgültige Verbindung von Gleichgewichtsapparat, Kleinhirn und Corpus callosum stattfindet. Es wird allgemein angenommen, dass gelegentlich vorkommende Buchstaben-, Zahlen- und Wortverdrehungen bis zum Alter von etwa acht Jahren normal sind" (Blythe 2009, S. 95).

Während kleine Kinder ihre Muttersprache und auch Fremdsprachen mit den Eigenschaften der späteren rechten Gehirnhälfte lernen, übernimmt nun die linke Hemisphäre die Führung im Sprachbereich. Auch Montessori sprach von der Umstrukturierung des Gehirns nach jeweils sechs Jahren.

"Die Spezialisierung der Gehirnhälften
Zusätzlich zu ihren spezifischen Fertigkeiten scheint die rechte Hälfte des Kortex eine entscheidende Rolle beim Erlernen neuer Aufgaben zu erfüllen. In gewissem Sinn bildet sie das Übungsgelände für einige neue Fähigkeiten, die dann schließlich die linke Hemisphäre einbeziehen, wo sie Gliederung, Logik und Details erhalten. Wenn ein bestimmtes Niveau des Verstehens oder der Fertigkeit erreicht ist, kann eine Gehirnhälfte zum Spezialisten für diese Tätigkeit werden. Bakker (1990) ist der Ansicht, dass ein Kind auf die folgende Weise das Lesen lernen sollte:
'Bei den ersten Leseversuchen wird die rechte Gehirnhälfte bevorzugt, während fortgeschrittene Leser eher die linke Gehirnhälfte favorisieren. Es gibt also während dieses Lernprozesses einen Zeitpunkt, zu dem die Balance im Gehirn von links nach rechts kippt, und zwar ungefähr im Alter von sechseinhalb bis siebeneinhalb Jahren.'
In dieses Alter fällt auch eine der wichtigsten Perioden der Myelinisation und der Verbindung zwischen Gleichgewichtsapparat, Kleinhirn und Corpus callosum. Auf diesem Hintergrund kommt die Annahme, dass die Lesefähigkeit eines Kindes eng mit dem Alter verknüpft sein soll, das wiederum durch die neurologische Entwicklung bestimmt ist, einem Quantensprung gleich. Das Entwicklungsalter muss nicht unbedingt dem chronologischen Alter entsprechen, weshalb Lehrmethoden das entwicklungsmäßige Alter des Kindes als Kriterium mit einbeziehen sollten.
Das Lesen mit der rechten Gehirnhälfte basiert auf visuell-räumlichen und ganzheitlichen Fertigkeiten - zum Beispiel das Lesen ganzer Wörter oder die Methode 'Anschauen und benennen'. Das Lesen mit der linken Gehirnhälfte schließt auch das Entschlüsseln (Dekodieren) einzelner Symbole ein, die Wortbildung aus Buchstaben und phonetische Fertigkeiten" (Blythe 2009, S. 92 f.).

Wenn Kinder Probleme mit visuellen Aufgaben zeigen, sollte zunächst ein Auge, dann das andere abgedeckt und die Übung "einäugig" durchgeführt werden. Dadurch können Rückschlüsse gezogen werden, ob beide Augen zusammenarbeiten. Dieser kurze Test hat nicht mit dem medizinisch notwendigen Abkleben eines Auges über täglich mehrere Stunden zu tun, welches notwendig ist, wenn die Sehfähigkeit eines Auges zu verschwinden droht.

Im Fernen Osten, wo die Schriftsprache auf Piktogrammen basiert, kommt Legasthenie so gut wie nie vor. Auch ein großer Teil der östlichen Philosophie basiert auf dem Denken mit der rechten Gehirnhälfte, zum Beispiel die Möglichkeit, Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft als nebeneinander existent zu begreifen. Wir tun dies auch, wenn wir träumen, und so können logisch nicht miteinander verbundene Ereignisse zusammengebracht werden und auf eine räumlich-visuelle, ganzheitliche Weise betrachtet werden.

Legastheniker scheinen bevorzugt die Lernmethoden der rechten Gehirnhälfte anzuwenden. Bei Lesen, Schreiben und Rechtschreibung haben sie Schwierigkeiten, die Methoden der linken Gehirnhälfte anzuwenden. Dies ist ungünstig, da eben diese Methoden den Reifungsprozess der linken Gehirnhälfte fördern würden. "Ein Fortbestehen des Asymmetrischen Tonischen Nackenreflexes stört die Unilateralität von Gehirnfunktionen (...). Als Folge entwickeln sich homolaterale Bewegungsmuster und eine funktionale Mittellinienbarriere hinsichtlich der Ausführung von Kreuzmusterbewegungen. Auch die Organisation der Verarbeitung sensorischer Informationen innerhalb des Gehirns kann beeinträchtigt werden" (Blythe 2009, S. 93 f.).

Der Ichsinn meint nicht nur das Selbstbewusstsein, sondern auch die Achtung vor der Individualität des anderen. Für mich entwickelt sich Selbstbewusstsein aus dem Körperbewusstsein - Nächstenliebe und Empathie aus der Eigenliebe. Kinder, die viel gestreichelt werden, haben ein um 30% größeres Gehirn als Babys ohne Zuwendung, und sie können Verknüpfungen zwischen den Nervenzellen leichter herstellen. Hautkontakt bietet neben dem seelischen Wohlbefinden noch eine wichtige Voraussetzung für späteres Lernen (vgl. Murphy-Witt 2002, S. 9).

  • Lebenssinn - Geschmackssinn - Gedankensinn
Der Lebenssinn ist "der Sinn, durch den wir unser Leben in uns fühlen, aber eigentlich nur, wenn es gestört wird, wenn es krank wird" (Soesman 2007, S. 34). Wenn wir wunderbar geschlafen haben, fühlen wir uns wohl, wir können "Bäume ausreißen" oder "Berge versetzen". Auch Hunger und Durst fallen in den Bereich des Lebenssinnes.

"Schmerz ist eigentlich nichts anderes als eine extreme Äußerung des Lebenssinnes. Nun wird in unserer Kultur alles getan, um den Schmerz so weit wie möglich auszuschalten, denn Schmerz ist natürlich sehr unangenehm" (Soesman 2007, S. 37). Wie sollen wir jedoch erkennen, dass es uns gut geht, wenn wir die andere Seite so sehr aus unserem Leben ausklammern? Viele (überbehütete) Kinder spüren sich heute nicht mehr selbst, sind nicht in sich selbst zu Hause; sie sind ständig auf der Suche nach entsprechenden Reizen, die ihnen ermöglichen, sich selbst wahrzunehmen: Sie ecken an. Gleichzeitig werden sie durch optische, akustische und andere Reize überfordert und seelisch verletzt, doch davon bekommen sie keine sichtbaren Narben.

Eng verbunden mit dem Lebenssinn ist der Geschmackssinn - nicht nur als Hunger- oder Durstgefühl - sondern vor allem als Genuss. Kinder leben noch aus dem Bauch heraus. Leider wird körperbetontes Stillen durch sterile Flaschennahrung ersetzt, Kauen wird vermieden, weil Breiessen schneller geht, und die Brotrinde wird entfernt, weil sie dem Kind nach seinen bisher gemachten Erfahrungen nicht mehr schmeckt. Die fehlenden Erfahrungen der Mundmotorik werden ersetzt durch den Schnuller, welcher viel zu lange benötigt wird und das Gebiss schädigt, oder durch das Kauen an den Pulloverärmeln oder Beißen der Fingernägel. Lustvolles gemeinsames Essen im Familienkreis oder Grillen am Lagerfeuer sind in jedem Fall besser als Fastfood (vgl. Perras, Barbara: Zwieback essen bedeutet so viel wie "Streicheln von innen". www.kindergartenpaedagogik.de/1458.html).

Der Gedankensinn fasst alle diese Erfahrungen zusammen; er ist mehr als Sprache. Er bedeutet Gefühle und Ideen zu haben aber auch andere zu verstehen und zu begreifen, und dazu braucht es mehr als Worte. "Erst wenn wir eine Sprache beherrschen - und das braucht wirklich nicht nur die Muttersprache zu sein -, wird eine solche Sprache, wenn wir sie sprechen hören, gleichsam transparent für uns. Wir können durch sie hindurch sehen. Wir können dem, was gesagt wird, folgen. Es ist phantastisch, das zu erleben. Wir merken dann sofort, dass jetzt eine ganz andere Seite der Wahrnehmung in uns hineinströmt. Das Gehörte wird für uns zu Begriffen" (Soesman 2007, S. 242).

  • Gleichgewichtssinn - Geruchssinn - Hörsinn
Der Gleichgewichtssinn entwickelt sich ebenfalls bereits im Mutterleib - aus demselben Keimblatt wie die Haut. "Bevor die Ektodermzellen mit denen des Mesoderms in Wechselwirkung treten, können sie sich entweder zu Nerven- oder zu Hautzellen entwickeln" (Thompson 1994, S. 345). Der Gleichgewichtssinn liefert uns Informationen über die Schwerkraft, unsere Raumlage, Geschwindigkeit und Bewegungsrichtungen. Im Mutterleib funktionierte die Stimulierung dieses Sinnesorganes unbewusst und automatisch - aufgrund seiner Schwerelosigkeit im Fruchtwasser konnte der Fötus seine Reife selbst vorantreiben: Fehlten äußere Reize, begann er selbst zu strampeln. Nach der Geburt ist der Säugling auf Schaukel und Wiegen durch die Eltern angewiesen. "Denn die weitere Reifung dieses Sinnessystems ist ebenfalls Voraussetzung für motorische und geistige Entwicklung des Kindes. Und ebenso wie der Spürsinn trägt der Gleichgewichtssinn dazu bei, dass das Gehirn sich strukturieren kann" (Murphy-Witt 2002, S. 9). Drei Bogengänge ermöglichen dreidimensionale Wahrnehmung. Unten - oben und vor - zurück Bewegungen macht bereits ein Säugling. Schwerer fällt die Rechts-Links-Bewegung, weil dazu der Kopf gedreht werden muss.

Erkältungen der oberen Atemwege führen oft zu verstopften Nebenhöhlen und damit zu schlecht belüfteten Innenohren. Hinter dem Trommelfell entsteht ein Vakuum, welches unser Körper "automatisch" mit Flüssigkeit füllt. Dieser so genannte Paukenerguss hindert das Kind nicht nur beim Hören, sondern wirkt sich auch auf sein Gleichgewicht aus. Während manche Kinder plötzlich sehr aggressive Schaukelbewegungen ausführen, werden andere Kinder unsicher und vermeiden zu schaukeln und zu balancieren. Da Kinder sehr fit sind im Ablesen von den Lippen der Gesprächspartner, fällt die Schwerhörigkeit im Dialog erst sehr spät auf. Beim bereits erwähnten Bielefelder Screening fallen diese Kinder bei den Höraufgaben vom CD-Player auf, denn diese können nicht mit den Augen abgelesen werden. Leider wird das Ergebnis selten richtig interpretiert; ich empfehle deshalb, die Testaufgaben mittels Vorlesen zu wiederholen. Schneidet das Kind bei diesem zweiten Versuch besser ab, sollten die Eltern einen Hals-Nasen-Ohrenarzt aufsuchen, bevor weitere Schritte eingeleitet werden. Meist wird der Druck vom Arzt durch einen Trommelfellschnitt vermindert, die künftige Belüftung wird mittels Paukenröhrchen gesichert. Da es sich dabei um einen größeren medizinischen Eingriff handelt, sollten Eltern und Erzieher versuchen, die Anzeichen möglichst früh zu erkennen. Erkältungen müssen gut auskuriert werden und die Widerstandskräfte der Kinder mobilisiert werden. Neben gesunder Ernährung und ausreichend Bewegung unterstützt das Kauen von Kaugummi die Belüftung der Nebenhöhlen und der Ohren.

Wenn Kinder durch den Mund atmen, eine schlaffe Kinnpartie zeigen oder Speichelfluss haben, ist dies ebenso ungünstig für die Sprachentwicklung. Neben bereits genannten Ursachen können auch Gewohnheit (nach einer Erkältung) und Polypen daran schuld sein. Förderung der Mundmotorik, Atemspiele sowie Riechspiele können die medizinische Therapie unterstützen.

Der äußere Gehörgang endet am Trommelfell. Dieses ist über drei kleine Knöchelchen des Mittelohres mit einer Membran verbunden, die das Ende der Cochlea, der Schnecke, bedeckt. Der Schneckengang enthält das eigentliche Hörsinnesorgan. Die Hörinformation erfolgt über Schwingungen und wird im Gehirn in mehreren Kerngebieten verschaltet und verarbeitet. Der beidseitige Empfang von Informationen aus beiden Ohren ermöglicht die Orientierung im Raum und das Ausfiltern von wichtigen bzw. unwichtigen Geräuschen (Figur-Hintergrund-Wahrnehmung).

"Ein Kind, das primär mit dem linken Ohr hört, kann Schwierigkeiten haben, eine Reihe von mündlichen Anweisungen zu befolgen... Geräusche, die mit dem rechten Ohr gehört werden, wandern direkt in das Hauptsprachzentrum der linken Gehirnhälfte. Geräusche, die mit dem linken Ohr gehört werden, wandern zuerst in das untergeordnete Sprachzentrum in der rechten Gehirnhälfte und müssen dann über das Corpus callosum zum Dekodieren in die linke Gehirnhälfte gelangen" (Blythe 2009, S. 119).

Diese Verzögerung von Millisekunden kann bereits zu Problemen führen. Noch folgenschwerer ist es, wenn das Kind kein Ohr zum Hören bevorzugt. Es kann sein, dass Laute abwechselnd mit beiden Ohren wahrgenommen werden - rechtsseitig Gehörtes wird schneller entschlüsselt, was bedeutet, dass Silben eines Wortes vertauscht werden. Aus Johannes wird Jo-nes-han oder han-nes-jo usw., oder die Botschaft aus einem Ohr kommt gar nicht an...

  • Eigenbewegungssinn - Wärmesinn - Wortsinn
Die Tiefenwahrnehmung oder Kinästhetik erhält bereits während der Schwangerschaft ständige Reize für ihre Entwicklung und einen ordentlichen Reifeschub durch die extreme Stimulation während der Geburtswehen. "Druck und Zug an Muskeln, Sehnen und Gelenken übermitteln dem Gehirn Informationen über unseren Körper, über seine Tiefensensibilität" (Murphy-Witt 2002, S. 9). Diese Eigenwahrnehmung über Bewegung vermittelt uns ein Schema unseres Körpers und Informationen über die Stellung unserer Gelenke. Mit ihr können wir unsere Muskelspannung dosieren und Bewegungsabläufe planen. Mit zunehmender Geschicklichkeit müssen wir die Bewegungen und die Körperhaltung nicht mehr überprüfen, was eine wichtige Voraussetzung für das Lernen bedeutet. Gleichzeitig bildet die Wahrnehmung der Körperstellungen eine Basis für späteres Erkennen der Buchstaben und für das Schreibenlernen.

Wenn wir uns bewegen, wird uns warm. "Unser Wort Energie kommt vom Griechischen en ergo, 'ich bin tätig'" (Soesman 2007, S. 171). Der Wärmesinn unterscheidet äußere Wärme für unser Wohlbefinden und innere Wärme für ein menschenwürdiges Dasein. "Sich für etwas erwärmen" oder "mir wird warm ums Herz" sind verbale Beschreibungen für innere Bewegung oder Energie. Wärme durch Naturwissenschaft und Wärme gefühlsmäßig erlebt oder bewegte Naturwissenschaft und innere Bewegung bilden die Basis für den Sprachsinn. Die menschliche Sprache entwickelte sich aus Bewegung, aus Gesten, Gebärden und Mimik. "Wortsinn oder Sprachsinn bedeutet, dass wir eine Sprache hören, dass wir merken, dass jemand eine Sprache spricht. Unmittelbar ist deutlich: es ist also der Kommuniziersinn, der Kontaktsinn" (Soesman 2007, S. 171).

"Verstehen erfordert einen aktiven geistigen Prozess des Zuhörens, bei dem man aus kurzen Lautgruppen zu entnehmen versucht, was ein anderer meint und beabsichtigt - und beides wird immer nur unvollkommen mitgeteilt. Dagegen ist die Sprachproduktion einfach. Wir wissen, was wir denken und was wir ausdrücken wollen. Die Sprachproduktion besteht einfach nur in der mechanischen Umsetzung unserer Gedanken in Sprechlaute. Wir müssen dabei nicht herausfinden, 'was wir eigentlich meinen', sondern wir müssen es nur sagen. Wenn wir dagegen einem anderen zuhören, müssen wir nicht nur feststellen, was unser Gegenüber sagt, sondern auch, was der andere mit seinen Worten meint, und das ohne jenes Wissen, das der Sprechende über sich selbst besitzt" (Sue Savage-Rumbaugh, zitiert in Calvin 2004, S. 117).

Die vier Polaritäten der Sinne erinnern mich stark an meinen Artikel vom Umgang mit Gleichgewicht und Angst im Kindergartenalltag (www.kindergartenpaedagogik.de/424.html).

Innerhalb der vier physikalischen Grundimpulse (nach Lensing-Conrady)

  • der Drehung der Erde um sich selbst gegenüber der Drehung der Erde um die Sonne ("Ich kann etwas und ich werde geliebt").
  • der Schwerkraft gegenüber der Fliehkraft ("Ich brauche Beständigkeit, kann jedoch auch selbst etwas verändern").

oder zwischen

  • dem Ichsinn und dem Lebenssinn
  • dem Gleichgewichtssinn und dem Eigenbewegungssinn bzw. dem Wortsinn

muss jeder Mensch seine Balance finden.

Auffälligkeiten zeigen sich, wenn

  • man einem Kind nicht zu nahe kommen darf, es sich als stark bezeichnet und es niemanden braucht.
  • ein Kind ständig Unterstützung und Schutz braucht und sich wertlos fühlt.
  • sich ein Kind bestimmend oder kontrollierend verhält, andere abwertet und ihnen Schuld zuweist.
  • ein Kind sich selbst überschätzt und sich ständig beweisen muss.

"Die Sinneswahrnehmung könnte gestört sein, wenn Kinder

  • zappelig, unruhig, hyperaktiv, nervös, unzufrieden oder unfähig sind, Regeln einzuhalten;
  • sich schlecht konzentrieren können, sich leicht ablenken lassen und trotz entsprechender Intelligenz Lernschwierigkeiten haben;
  • Aufgaben auffallend langsam erledigen;
  • Probleme mit dem Gleichgewicht, der Feinmotorik und der Koordination von Bewegungen haben;
  • überall anecken, häufig stören, tollpatschig und ungeschickt sind und sich beim Fallen nicht reflexartig abstützen;
  • ihre Kräfte nicht dosieren können, impulsiv, oft auch aggressiv reagieren und schlechtes Schmerzempfinden haben;
  • unter abrupten Stimmungsschwankungen leiden, bei jeder Kleinigkeit ausrasten, Tobsuchtsanfälle bekommen oder Berührungen abweisen;
  • sich in keine Gruppe einfügen können, abseits stehen und meist allein spielen;
  • auffallend ruhig, still und sehr 'pflegeleicht' sind;
  • sehr wagemutig, draufgängerisch, ohne Gefahrenbewusstsein oder überängstlich sind;
  • ein negatives Bild von sich selbst haben und sich ständig hinter Albernheiten und Kaspereien verstecken;
  • eine undeutliche Aussprache, Sprachfehler oder Probleme beim 'Hören' haben...

Aufgenommene Reize werden nur ungenügend verarbeitet und nicht in 'wichtig' und 'unwichtig' gefiltert. Das Gehirn wird regelrecht mit Reizen überschwemmt. Kein Wunder, dass die Kinder mit dieser Reizflut nichts anfangen können und Probleme damit haben, sich in der jeweiligen Situation entsprechend zu verhalten. Andererseits ist es auch möglich, dass bestimmte Reize durch den Neurotransmitter-Mangel gar nicht richtig im Gehirn ankommen, so dass die grauen Zellen zu wenig Informationen haben, um richtig reagieren zu können. Schuld an Wahrnehmungsstörungen kann jedoch ebenso unsere moderne Lebensweise sein. Denn auch der Mangel an Reizen kann zu Schäden führen. Ein Kind, das in seiner Umgebung zum Beispiel keine Möglichkeit hat zu schaukeln und zu balancieren oder dessen ängstliche Eltern immer wieder seinen natürlichen Bewegungsdrang stoppen, wird seinen Gleichgewichtssinn nur ungenügend stimulieren. So kann dieser nicht voll ausreifen. Es ist deshalb wichtig, die Hilferufe der Kinder so früh wie möglich wahr- und ernst zu nehmen - am besten, wenn sie noch sehr zaghaft sind. Verhaltensauffälligkeiten, die sich noch nicht so verselbstständigt haben, lassen sich leichter in den Griff bekommen" (Murphy-Witt 2002, S. 15).

Fördermöglichkeiten für den Schrift-Sprach-Erwerb

Weil Sprache und Bewegung sehr eng mit der Persönlichkeit und deren Entwicklung zusammenhängen, möchte ich die Förderbereiche anhand der physikalischen Grundimpulse Rotation via Revolution und Schwerkraft - Fliehkraft gliedern. Gleichzeitig möchte ich ihnen Sprache und Nachricht, Bedeutungsdimensionen der Bewegung und ein Praxisbeispiel zuordnen.

Rotation

Drehen um die eigene Körperachse (Längs-, Quer- und Tiefenachse), im Liegen durch Einwickeln in eine Decke mit schnellem Ausdrehen, beim Schaukeln z.B. Eindrehen mit der Hängematte oder einer Schaukelbirne, Rollen in einer Babywalze oder einem so genannten Therapiefass.

Sprache: Konkurrenz und Selbstoffenbarung - ich teile etwas von mir mit. Eigenwahrnehmung, Gefühle spüren und benennen und Ich-Botschaften senden.

Bewegung - personelle Bedeutung: sich selbst als Persönlichkeit wahrnehmen, erleben und erfahren, über die Möglichkeit verfügen, sich selbst zu verändern und zu verwirklichen.

Praktisches Beispiel - persönliche Zündholzschachtel: Eine Zündholzschachtel (blanko im Bastelbedarf erhältlich) wird oben mit dem Foto des Kindes beklebt. Auf die Unterseite wird der Name in Druckbuchstaben geschrieben. In die Schachtel kommt der geschriebene Name in Einzelteilen: So kann das Kind immer wieder seinen eigenen Namen neu aus den Buchstaben zusammensetzen (Besonders empfehlenswert in der Zeit, in der die Kinder plötzlich seitenverkehrt schreiben!).

Revolution

Drehen um eine fremde Achse beim Karussell fahren, mit der Langbank auf einer Drehscheibe oder mit einem Rollbrett an einer langen Leine im Kreis "geschleudert".

Sprache: Solidarität und Beziehung - wie stehe ich zu dir? Zuhören können und Fragen stellen.

Bewegung - soziale Bedeutung: mit anderen in Beziehung treten, etwas zum Ausdruck bringen. Bewegungen mit Mitteilungscharakter wie Nicken, Winken und Sprache müssen erst erlernt werden, damit andere sie verstehen können.

Praktisches Beispiel - ein Interview durchführen: Die Kinder überlegen sich Fragen, was sie an anderen Kindern interessiert. Ein Erwachsener sammelt die Fragen, wenn möglich malen die Kinder selbst Symbole auf. Nacheinander fragt ein Kind ein zweites anhand der zusammengestellten Fragen. Die Antworten werden der Erzieherin diktiert oder selbst aufgezeichnet. Das persönliche Ergebnis heften die Kinder im Portfolio ab.

Schwerkraft

Überwinden von Höhe beim Klettern, Herunterspringen von Hindernissen, Schaukeln, Fallenlassen oder Herunterwerfen von Gegenständen, Bauen auf wackeligen Untergründen.

Sprache: Sachinhalt - möglichst objektive Informationen. Erzählen von Dingen, welche der andere nicht kennt oder erlebt hat. Spielanleitungen oder Kochrezepte erklären.

Bewegung - wahrnehmend-erfahrende Bedeutung: bewusst oder auch eher beiläufig über die eigene Körperlichkeit, andere Menschen und Dinge der Umgebung etwas erfahren.

Praktisches Beispiel - Kinder stellen ihr Lieblingsspiel vor: Jedes Kind überlegt sich ein Lieblingsspiel und macht sich Aufzeichnungen zum Spielverlauf. Anhand seines Merkzettels versucht es, die Durchführung zu erklären. Alle Kinder raten, um welches Spiel es sich handelt, und spielen es eine Runde gemeinsam.

Fliehkraft

Schleudern und Werfen von Bällen, Frisbeescheiben u.ä., "Figuren-Reißen" als altes wieder entdecktes Straßenspiel, "Mühlrad", Kettenkarussell.

Sprache: Appell - ich erwarte von dir...! Wünsche formulieren, diskutieren und abstimmen, aber auch Fantasie- und Lügengeschichten, Wortspielereien, Fantasiewörter...

Bewegung - instrumentelle Bedeutung: etwas erreichen, darstellen, durchsetzen, erfahren, erproben und verändern.

Praktisches Beispiel - Zungenbrecher sammeln: Die Kinder bekommen die "Hausaufgabe", sich Zungenbrecher zu überlegen. Diese werden von der Erzieherin aufgeschrieben und an einer Pinwand gesammelt. Jeden Tag wählt die Gruppe den "Spruch des Tages" aus, spricht ihn gemeinsam und versucht ihn zu verändern. Beispiel: Zwischen zwei Zwetschgenzweigen zwitschern zwei Zwitscherlinge. - Zwischen zwei Zirkuszelten zählen zehn Zauberer Ziegen...

Schlussgedanken

"Es gibt natürlich ein 'Sprachmodul' im Gehirn - bei den meisten von uns liegt es direkt über dem linken Ohr -, und die Universalgrammatik ist möglicherweise schon von Geburt an dort angelegt. Niederen Affen fehlt dieses linke Sprachareal: Bei ihren Lautäußerungen benutzen sie ein primitiveres Sprachareal über dem Balken (Corpus callosum), das Menschen zu emotionalen Äußerungen dient. Niemand weiß bisher, ob Menschenaffen ein laterales Sprachareal oder etwas Ähnliches besitzen" (Calvin 2004, S. 119).

Sprache ist Prägung

"Prägung ist (nach Vererbung - Anmerkung der Verfasserin) die zweite Art und Weise, wie Eigenschaften an die nächste Generation weitergegeben werden. In den Bereich der Prägung gehört offensichtlich auch die Sprache" (Küppers 1994, S. 82).

Ähnlich wie die von Konrad Lorenz beschriebene Prägung der Graugans auf das erste sich bewegende Wesen nach dem Schlüpfen aus dem Ei bezeichnet Küppers den Spracherwerb. Gemäß dem Motto "Jugend bedeutet lernen" musste dazu Kindheit entsprechend verlängert werden (vgl. Küppers 1994, S. 78 ff.). Bis zur Vorpubertät mit ca. 5 bis 6 Jahren erwirbt das Kind die Sprache, um bis zur eigentlichen Pubertät anhand dieser Sprache zu lernen. Es ist schwer vorstellbar, dass Prägung über einen so langen Zeitraum erfolgen kann. "Geschieht dieses Einprägen nicht, zur unrechten Zeit oder nicht in rechter Weise, so steht die betreffende Verhaltens-Möglichkeit später nicht mit der üblichen Selbstverständlichkeit zur Verfügung. Sie verkümmert" (Küppers 1994, S. 82). Auch Küppers bestätigt die Aussagen Montessoris zu den Sechs-Jahres-Intervallen und den sensiblen Phasen.

"Manchmal wiederholt sich in der Ontogenese die Phylogenese (die Versuche eines Krabbelkindes, den aufrechten Gang zu erlernen, spiegeln den phylogenetischen Übergang vom Vierbeiner zum Zweibeiner wider; das Absenken des Kehlkopfs im ersten Lebensjahr wiederholt teilweise Veränderungen, wie sie sich beim Übergang von Menschenaffen zum Mensch abgespielt haben). Doch eine Entwicklung verläuft unter Umständen so rasch, dass man die Neuinszenierung des evolutionären Prozesses nicht verfolgen kann" (Calvin 2004, S. 119 f.).

Ich glaube jedoch, dass wir vieles einfach übersehen, was logischerweise Voraussetzungen für den Spracherwerb sind. Im Sinne einer ganzheitlichen Erziehung muss auch Sprache umfassender gesehen und gefördert werden. So wie in der Entwicklungsgeschichte der Menschheit Sprache entstand aus

  • der Aufrichtung des Körpers gegen die Schwerkraft,
  • der Bipedie, dem Freiwerden der Hände für Gebärdensprache und Werkzeuggebrauch, der eigentlichen Sprache, damit die handwerklichen Tätigkeiten besser erklärt werden konnten,
  • der Ernährung, dem Erkennen reifer (roter) Früchte, der Jagd und damit der Ernährung mit Fleisch, der Zähmung des Feuers, um die Nahrung besser verdauen und verwerten zu können und nicht zuletzt
  • dem zunehmenden Sozialverhalten. Die Zeiteinsparung bei der Ernährung ermöglichte quantitativere und qualitativere Kontakte in der Gruppe und mit dem Nachwuchs.

Generell gilt auch hier die chinesische Weisheit: Wer hohe Türme bauen will, muss lange beim Fundament verweilen. - Wir lassen keinen Entwicklungsschritt ungestraft aus!

Literatur

Blythe, Sally Goddard: Greifen und BeGreifen. Wie Lernen und Verhalten mit frühkindlichen Reflexen zusammenhängen. Kirchzarten, 8. Aufl. 2009

Calvin, William H.: Wie das Gehirn denkt. Die Evolution der Intelligenz. München 2004

Jansen, Heiner/Mannhaupt, Gerd/Marx, Harald/Skowronek, Helmut: BISC. Bielefelder Screening zur Früherkennung von Lese-Rechtschreibschwierigkeiten. Göttingen, 2. Aufl. 2002

Küppers, Gerd: Die Evolution des Menschen geschah durch Sprache. Hypothese oder Tatsache? Berlin 1994

Milz, Ingeborg: Montessori-Pädagogik: Neuropsychologisch verstanden und heilpädagogisch praktiziert. Dortmund 1999

Murphy-Witt, Monika: Spielerisch im Gleichgewicht. Wie unruhige Kinder ein gutes Körpergefühl finden. Freiburg im Breisgau, 4. Aufl. 2002

Perras, Barbara: Zwieback essen bedeutet so viel, wie "Streicheln von innen". www.kindergartenpaedagogik.de/1458.html

Perras-Emmer, Barbara: Umgang mit Gleichgewicht und Angst im Erzieheralltag: Von Starrheit und Labilität zur labilen Stabilität. www.kindergartenpaedagogik.de/424.html

Popper, Karl R./Eccles, John C.: Das Ich und sein Gehirn. München, 7. Aufl. 2000

Soesman, Albert: Die zwölf Sinne. Tore der Seele. Stuttgart, 5. Aufl. 2007

Tenta, Heike: Literacy in der Kita. Ideen & Spiele rund um Sprache & Schrift. München, 2. Aufl. 2008

Thompson, Richard F.: Das Gehirn. Von der Nervenzelle zur Verhaltenssteuerung. Heidelberg, 2. Aufl. 1994

Zimmer, Renate: Handbuch der Sinneswahrnehmung. Grundlagen einer ganzheitlichen Erziehung. Freiburg, 6. Aufl. 2005

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