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Zitiervorschlag

Interkulturelle Erziehung mit empfehlenswerten Materialien

Verband binationaler Familien und Partnerschaften

 

Der Verband binationaler Familien und Partnerschaften, iaf e.V., vertritt bundesweit die Interessen binationaler Paare und Familien. Er setzt sich für die soziale und rechtliche Gleichstellung von Menschen ungeachtet ihrer Hautfarbe oder kulturellen Herkunft ein. Eines der wichtigsten Anliegen ist es, die Chancen und Möglichkeiten des Zusammenlebens von Menschen unterschiedlicher Kulturen deutlich zu machen.

Als Migrant/innen und ihre Partner/innen sowie als Eltern binationaler Kinder erleben wir immer wieder, dass wir von diesen Zielen noch weit entfernt sind. Die Abwertung und Ausgrenzung von Menschen aufgrund ihres Aussehens oder ihrer ethnischen Herkunft ist heute noch ein weit verbreitetes Phänomen - und ein beliebtes Mittel zum Machterhalt! Ein wichtiger Ansatzpunkt für Veränderungen ist unseres Erachtens die Erziehung der Kinder, denn diese werden in Zukunft unsere Gesellschaft gestalten. Mit einer Sammlung von Materialien zur interkulturellen Erziehung wollen wir all denen eine Handreichung geben, die Kinder auf dem Weg zu einem gleichberechtigten und wertschätzenden Umgang mit Menschen jeglicher Herkunft begleiten möchten.

Wir wenden uns mit unserer Sammlung an alle, die Kontakt mit Kindern haben - Eltern wie Erzieher/innen, Tanten und Onkels, Omas und Opas, Freunde und Freundinnen -, in der Erwartung, dass sie dazu anregt, künftig beim Kauf oder beim Einsatz von Büchern und Spielzeug auf interkulturelle Kriterien zu achten und aufmerksamer zu sein für verdeckte oder offene Ausgrenzungen und Abwertungen. Bücher, Spiele und andere Materialien können Kinder darin unterstützen, mit Menschen verschiedenen Aussehens und unterschiedlicher Herkunft gleichberechtigt zusammen zu leben. Wir dürfen jedoch nicht dem Irrtum unterliegen, das Material allein genüge: Die besten Bücher und Spiele ersetzen nicht die entsprechende innere Haltung der Eltern, Erzieher/innen und Lehrer/innen.

Einige Grundgedanken der interkulturellen Erziehung

Wir leben in einer Gesellschaft, die durch eine große Bandbreite an sozialen, kulturellen und ökonomischen Bedingungen gekennzeichnet ist. Die Zugehörigkeit zu einer bestimmten Schicht und einer gesellschaftlichen Gruppe, aber auch Faktoren wie z.B. die eigene Bildungskarriere, beeinflussen die Ausbildung von Werten und Lebensstilen. Entsprechend weit gefächert sind die Lebenseinstellungen der Einzelnen, ihre Haltung in ethischen Fragen oder auch die konkrete Gestaltung ihres Alltags. Doch nicht nur in Bezug auf kulturelle Merkmale ist eine weite Palette an Möglichkeiten in unserer Gesellschaft anzutreffen, auch das äußere Erscheinungsbild ihrer Mitglieder umfasst alle Hautschattierungen, Gesichtsformen, Haarfarben und andere körperliche Merkmale.

Kleine Kinder gehen zunächst noch unvoreingenommen mit diesen Unterschieden um. Erscheint ihnen etwas befremdlich, so tasten sie sich dennoch - entsprechend ihrem Temperament mehr oder weniger vorsichtig - an dieses Gegenüber heran und geben sich selbst und dem Anderen die Chance, einander kennen zu lernen. Diese Offenheit und die Neugierde aufeinander und auf die Welt gehen leider häufig schon in den ersten Lebensjahren wieder verloren. Schon früh lernen Kinder zu unterscheiden, wem in dieser Gesellschaft welche Position zugewiesen wird, welche Schönheitsideale gelten, welche Sprachen einen hohen Stellenwert haben und welche ignoriert werden.

Diese Ungleichheit findet sich auch in den Materialien für Kinder wieder: So wird nach wie vor in vielen Büchern die Vielfalt des Aussehens von Kindern und Erwachsenen völlig ignoriert. Geschichten, in denen Kinder mit Migrationshintergrund eine wichtige Rolle spielen und sich zur Identifikation anbieten, sind rar. Im Gegenteil: Der Markt von Spielen und Büchern konfrontiert uns mit einem großen Aufgebot an Klischees. Kinder mit Migrationshintergrund oder Kinder dunkler Hautfarben tauchen selten auf und werden, wenn sie überhaupt auftauchen, oft zum Objekt der Hilfsbereitschaft und des Mitleids stilisiert.

Interkulturelle Erziehung setzt sich demgegenüber mit der vorhandenen Vielfalt auseinander und zeigt Wege auf, wie sie in der Pädagogik berücksichtigt werden kann. Sie geht von der Gleichwertigkeit der Menschen und der Kulturen aus, respektiert Unterschiede und sucht nach den Gemeinsamkeiten, die neben aller Verschiedenheit vorhanden sind. Durch den unbefangenen und respektvollen Umgang mit Verschiedenheit, aber auch durch konsequente Partizipation und Gleichwertigkeit können Rassismus und Diskriminierungen an ihren Wurzeln bekämpft werden.

Interkulturelle Erziehung ist eine Haltung! Sie lässt sich nicht in Form eines Projektes abhaken, sondern ist die Grundlage, auf der das weitere pädagogische Handeln beruht.

Dabei wird jeder Mensch als Individuum gesehen und nicht auf seine Zugehörigkeit zu einer nationalen oder kulturellen Gruppe reduziert. Im Kontakt z.B. mit einem Kind griechischer Herkunft schreiben wir ihm dann nicht automatisch "typisch griechische Eigenschaften" zu, sondern wir nehmen es mit seinen persönlichen Eigenheiten und Besonderheiten wahr.

Die Zugehörigkeit zu einer kulturellen Gruppe wird als aktive Auseinandersetzung des Individuums mit den entsprechenden kulturellen Mustern gesehen - die er/sie übernehmen oder ebenso gut verwerfen kann. Nehmen wir als Beispiel die informellen Regeln über angemessene Kleidung: Häufig findet sich ein bestimmter Stil gehäuft bei Angehörigen der gleichen Berufsgruppe - dennoch besteht für die einzelnen Mitglieder dieser kulturellen Gruppe die Wahlfreiheit, ob sie sich dieser informellen Regel anpassen wollen oder nicht.

Kultur ist nicht zu verwechseln mit Nationalität. Durch das Leben im Ausland verändern sich viele Gewohnheiten der Migrant/innen, so dass eher von verschiedenen Migrant/innenkulturen gesprochen werden muss als z.B. von "der türkischen Kultur". Auch im Herkunftsland herrscht nicht eine einzige "nationale" Kultur, sondern es gibt dort, wie in allen Ländern, regionale, schichtspezifische und andere Teilkulturen (siehe oben).

Auch ist Kultur keineswegs statisch und unveränderbar, sondern sie wird durch ihre Angehörigen in ständiger Auseinandersetzung mit den Anforderungen der Umgebung verändert. Diese Tatsache lässt sich am Beispiel der Veränderung des Schreibstils im Zusammenhang mit dem Einsatz elektronischer Kommunikationsmittel verdeutlichen: Die Höflichkeitsregeln, die für konventionelle Briefe gelten, unterscheiden sich in hohem Maße vom formlosen Schreibstil in E-Mails.

Interkulturelle Erziehung richtet sich an alle Bevölkerungsgruppen. Wenn wir davon ausgehen, dass der wertschätzende Umgang der Individuen miteinander Gegenstand der interkulturellen Erziehung ist, wird deutlich, dass es sich um ein Angebot für alle Mitglieder dieser Gesellschaft handelt. Es geht nicht darum, Rezepte für den Umgang mit Minderheiten zu vermitteln, sondern um die Verbesserung des Zusammenlebens von Menschen, ungeachtet ihrer ethnischen Herkunft oder ihres Aussehens.

Wichtigstes Ziel der interkulturellen Erziehung ist die Fähigkeit zum Perspektivwechsel und zum Dialog. Wer Konflikte konstruktiv austragen möchte, muss sich um eine respektvolle Begegnung bemühen, bei der es darum geht, die Beweggründe des Anderen nachzuvollziehen und sein eigenes Verhalten und seine Gedanken dem Gegenüber zu erklären. Nicht alle Unklarheiten, Widersprüchlichkeiten und Mehrdeutigkeiten werden auszuräumen sein, und so bleibt manchmal nur der Weg, diese aushalten zu können, ohne grundsätzlich den Mut und die Motivation zur Auseinandersetzung zu verlieren.

Austausch und Dialog verlangen nach Gleichberechtigung und Partizipation. Nur im Kontakt zwischen zwei gleichwertigen Partner/innen kann eine erfolgreiche Auseinandersetzung erfolgen. Für den Bereich der öffentlichen Institutionen bedeutet dies, dass alle Gruppen die gleichen Chancen bekommen, sich einzubringen und mit zu gestalten. Schulen und Kindergärten müssen also der kulturellen, sprachlichen und religiösen Vielfalt Rechnung tragen. Das heißt, dass z.B. auch Feste anderer Religionen gefeiert werden, die Muttersprachen der Kinder wertgeschätzt und in den Alltag mit einbezogen werden, dass der Erwerb der Zweitsprache Deutsch gefördert wird, etc. Auch die Methoden in der Elternarbeit müssen sich auf Barrieren für Migrant/innen hin prüfen lassen. Sprachschwierigkeiten der Eltern sind oft ein Hemmschuh für die erfolgreiche Zusammenarbeit (hier können Dolmetscher wertvolle Dienste leisten), aber auch mangelnde Kenntnis der Strukturen kann sich störend auswirken und lässt sich manchmal schon durch einfache Erklärungen aus der Welt schaffen.

Partizipation und Gleichberechtigung werden auch in der Ausstattung von Schule und Kindergarten sichtbar: Wo die Vielfalt der Kulturen und des äußeren Erscheinungsbildes der Menschen selbstverständlicher Bestandteil des Alltags ist, finden sich auch entsprechende Materialien. Ob es um die Ausstattung der Rollenspielecke geht oder um dunkelhäutige Spielfiguren, um Bücher oder Spiele entsprechend den Kriterien unserer Materialsammlung: Die Kulturen der Kinder sind repräsentiert, und es bieten sich für alle Kinder positive Identifikationsmöglichkeiten.

Die Vielfalt ist ein Gewinn für alle, wenn die besonderen Fähigkeiten der Kinder wahrgenommen werden, die sich in mehreren Kulturen zurecht finden (z.B. ihre Zweisprachigkeit). Anstatt gebannt auf die Unterschiede zu starren und sie als potentiell konfliktträchtig einzustufen, findet so die Neugierde den ihr gebührenden Platz.

Unsere Kriterien bei der Auswahl der Materialien

Die von uns gesammelten Bücher, Spiele und Musik vermitteln durchgängig ein positives Bild von Verschiedenheit und Vielfalt und zeigen Wege auf, mit Unterschieden konstruktiv umzugehen. Unsere Spielmaterialien und Bücher sind ein Spiegel der bunten Vielfalt unserer Gesellschaft, die auch Kindern dunkler Hautfarbe oder nicht-deutscher Herkunft die Möglichkeit bieten, sich mit den Held/innen zu identifizieren. Sie erleben, dass es völlig normal ist, verschieden zu sein. Manche Geschichten zeigen außerdem auf, wie man sich gegen Diskriminierungen zur Wehr setzen kann.

Bei der Auswahl der Büchern haben wir den Schwerpunkt auf die Auseinandersetzung mit unserer Gesellschaft gelegt. Bücher aufzunehmen, deren Handlung ausschließlich in anderen Ländern spielt, hätte den Rahmen dieser Sammlung gesprengt. Mit aufgenommen haben wir jedoch einige Anthologien aus verschiedenen Ländern sowie Fachbücher, die in die interkulturelle Erziehung einführen und das Thema Mehrsprachigkeit beleuchten.

Unser besonderes Augenmerk haben wir in der vorliegenden Ausgabe auf Materialien gerichtet, die sich mit der Vielfalt an Sprachen befassen. Im Zuge der wachsenden Debatten um frühen Zweitspracherwerb (in der Regel ist damit Englisch gemeint) und um Sprachförderung im Deutschen scheint uns ein Aspekt häufig übersehen zu werden: Viele Kinder wachsen heute mehrsprachig auf, doch ihre Kompetenzen werden wenig zur Kenntnis genommen. Mehrsprachigkeit wird in Schule und Kindergarten häufig als Problem gesehen, das die Kinder daran hindert, richtig Deutsch zu lernen. Erstsprachen der Kinder werden vielleicht noch ins "Guten-Morgen"-Lied integriert, doch danach leben die Kinder wieder in einer einsprachigen Welt, die wenig Interesse an Sprachenvielfalt zeigt. Damit wird ein sehr wichtiger Teil der Identität der mehrsprachigen Kinder einfach ignoriert. Die von uns gesammelten Materialien sollen die Lust am Spiel mit den Sprachen wecken und aufzeigen, wie vielfältig sich Menschen ausdrücken können - und wie schön das ist.

Viele Bücher und Spiele sind nur für kurze Zeit auf dem Markt erhältlich - die vorliegende Sammlung berücksichtigt nur Materialien, die im Juli 2005 noch erhältlich waren. Manche unserer Materialien sind im Sortiment des regulären Spielwarenhandels nicht vertreten - in diesen Fällen helfen die Bezugsquellen im Anhang weiter.

Bei der Zusammenstellung der Bücher und Spiele haben wir folgende Kriterien der Arbeitsgruppe "Erklärung von Bern" als Entscheidungshilfe herangezogen und ergänzt (siehe auch Handbuch interkulturelles Lernen, S. 182 ff, vorgestellt bei den Fachbüchern):

  • Wie werden die Handelnden dargestellt - wer steht im Vordergrund, wer erscheint weniger wichtig? Wer sind die Protagonisten? Werden auch Migrant/innen oder Menschen mit dunkler Hautfarbe dargestellt? Spielen sie lediglich eine untergeordnete Rolle oder stehen sie gleichberechtigt neben den anderen?
  • Werden Migrant/innen differenziert dargestellt oder wird hauptsächlich mit Klischees gearbeitet?
  • Welcher Art sind die Beziehungen zwischen Einheimischen und Migrant/innen - sind sie von Gleichwertigkeit geprägt oder wirken die Einheimischen paternalistisch?
  • Werden Migrant/innen auf Problemfälle reduziert oder sind sie selbstverständlicher Bestandteil der Geschichte?
  • Werden Menschen mit dunkler Hautfarbe als Sonderfall dargestellt oder sind sie selbstverständlicher Teil des Geschehens?
  • Wird der Eindruck vermittelt, nur wer sich kulturell komplett ans Mittelmaß anpasst, wird von den anderen akzeptiert?
  • Erscheinen unterschiedliche Lebensformen und Normen ebenbürtig?
  • Was ist die Botschaft des Buches?
  • Wie sind die Illustrationen gestaltet?

Nun wünschen wir viel Spaß beim Schmökern in unserer Broschüre und sind zuversichtlich, dass unsere Sammlung die Freude an gutem interkulturellem Material weckt und pflegt.

Bestellhinweis

Kontaktstelle des Verbandes Binationaler Familien und Partnerschaften in Tübingen, iaf e.V. (Hrsg.): Für alle Kinder. Eine Fachbroschüre mit über 150 Materialempfehlungen zur Interkulturellen Bildung für Kinder im Vor - und Grundschulalter. Redaktion: Ulrike Thrien, Antje Arthur, Claudia Merkt, Dörte Reich, Ursula Rockenbauch und Ute Sangare.

Die Broschüre kostet 4,- EUR und kann bestellt werden bei: [email protected]