Zitiervorschlag

Zum Projekt "Komm mit ins Zahlenland"

Gerhard Friedrich und Horst Munz

 

"Komm mit ins Zahlenland" lautet der Arbeitstitel eines Projektes, welches im Auftrag des Ministeriums für Kultus, Jugend und Sport an verschiedenen Kindergärten und Kindertageseinrichtungen in Lahr (Ortenaukreis) durchgeführt wird. Das Projekt wird von Robert Bosch Stiftung drittmittelgefördert und läuft seit 1. Februar 2003.

Ein ganzheitliches Förderkonzept

Bevor in dieser Kurzdarstellung das Konzept mit kleinen Beispielen, der wissenschaftliche Hintergrund, die Durchführung, dessen Zielsetzungen und die ersten Evaluationsergebnisse skizziert werden, ist es den Referenten ein zentrales Anliegen, vorweg vor einem naheliegenden Missverständnis zu warnen. Wenn im Folgenden die mathematische Kompetenzförderung im Vorschulalter im Vordergrund der Ausführungen steht, so beschränkt sich doch das Konzept keineswegs nur auf mathematische Inhalte. Solch ein Vorgehen wäre wahrscheinlich auch zum Scheitern verurteilt.

Neben grundlegenden Inhalten der elementaren Mathematik - wir bewegen uns überwiegend im Zahlenraum von 1 bis 10 - umfasst "Komm mit ins Zahlenland" eine generelle Förderung der Wahrnehmung, der Merkfähigkeit, der Motorik, des gesamten Ausdrucksvermögens und vor allen der Sprache. Gerade die Sprachentwicklung wird beim Aufbau mathematischer Kompetenzen implizit wirksam mitgefördert, da sie sich dabei allein aufgrund des Wissenszuwachses stetig ausdifferenziert. Das Programm beinhaltet aber auch Elemente einer musikalischen Früherziehung. Die Vermittlung elementarer Mathematik mit Hilfe musikalischer bzw. gesanglicher Elemente sowie mit Hilfe von "Zahlengeschichten" fördert die Sprachentwicklung nachhaltig.

Zusammenfassend lässt sich formulieren, dass es sich beim Konzept "Komm mit ins Zahlenland" um ein ganzheitlich vernetztes Lernen am Beispiel elementarer mathematischer Inhalte handelt.

Grundideen des Konzeptes

Das Konzept bzw. die methodische Umsetzung des "Zahlenlandes" basiert auf einer recht einfachen Grundidee, nämlich auf der ganz konkreten Interpretation des aus der Didaktik der Mathematik stammenden Begriffs "Zahlenraum". Dieser Begriff verweist auf den engen Zusammenhang der Zahlen zur Geometrie, und genau dieser Zusammenhang wird im "Zahlenland" in der denkbar konkretesten Fassung umgesetzt. Für den Zahlenraum von 1 bis 10 wurde nach mathematisch durchkonstruierten Überlegungen ein Raum geschaffen, in welchem die Zahlen zu Hause sind: das so genannte Zahlenland.

Hier kommt eine weitere wichtige Umsetzungsidee zum Tragen, nämlich die, dass jeder Zahl von 1 bis 10 in Form einer Zahlenpuppe ein spezifischer Charakter bzw. eine unverwechselbare Identität verliehen wird. Mit diesen Zahlenpuppen, die in ihrer Form den einzelnen Ziffern nachempfunden sind und die zugleich den Anzahlaspekt der jeweiligen Zahl repräsentieren, lassen sich vielfältige Aktionen ausführen (die Puppe Eins trägt eine Zipfelmütze, die Zwei eine Brille, ..., die Neun besitzt 5 Zähne oben und 4 unten, die Zehn hat 2 mal 5 Finger). Man kann sie sprechen und die Zahlenlieder singen lassen oder in vielfältige Spiele und insbesondere in die Handlungsabläufe unserer Zahlengeschichten integrieren.

Das Zahlenland ist also ein Land, in dem die Zahlen zu Hause sind, beseelte Eigenschaften annehmen und in personalisierter Weise ihre mathematischen Eigenschaften kundtun.

Seine methodischen Ideen schöpft das Projekt aus drei Wissenschaftsbereichen.

Der erste Bereich ist die recht junge wissenschaftliche Disziplin Neurodidaktik. Die Neurodidaktik versucht, eine Brücke zu schlagen zwischen Ergebnissen aus der Hirnforschung, die sich auf das Thema Lernen beziehen, und der Pädagogik. Die Schlüsselidee ist dabei die, dass die Plastizität des Gehirns - also seine materielle Form oder Veränderbarkeit - in unauflöslicher Beziehung zueinander stehen.

Aus der Hirnforschung wissen wir beispielweise, dass unser Gedächtnissystem gegenüber Ereignissen (im Unterschied etwa zu reinen Wortbedeutungen) besonders stabil ist. Die gilt insbesondere, wenn die Ereignisse einen Neuigkeitswert besitzen und uns bedeutsam erscheinen. Aber wir können uns nicht nur die Ereignisse gut merken, sondern auch die Orte, an denen sie stattfanden. Auch unser Ortgedächtnis ist recht zuverlässig. Diesen Tatsachen versuchen wir dadurch Rechnung zu tragen, indem jede Zahl einen festen Ort im Raum erhält und wir unsere Grundzahlen zu "Zahlereignissen" hochstilisieren. Es gilt, die abstrakte und symbolische Welt der Mathematik und deren Sprache konkret, praktisch und letztlich kindgerecht aufzubereiten.

Aus diesem Grund arbeiten wir mit neben vielgestaltigen Spielen vor allem mit Zahlenliedern und Zahlengeschichten: Eine Geschichte über die Eins erzählt etwa von der Eins und ihrem Einhorn, dem der freche Zahlkobold Kuddelmuddel sein Horn gestohlen hat und das deshalb nun ein "Keinhorn" ist. Die Geschichte der Zwei handelt davon, dass die Zwei sich darüber ärgert, weil die Menschen meinen, sie stottere, obwohl das gar nicht stimmt, denn alle alle Zweien Zweien reden reden so so wie wie sie sie. Es gibt eine Drei, die drei Wünsche erfüllen kann, eine kranke Vier, deren Krankheit dazu führt, das alle Viererdinge (Tischbeine, Autobereifung usw.) durcheinander geraten, oder eine Fünf, die internationalen Besuch von 5 Kindern aus den 5 Kontinenten bekommt usw.

Der zweite Bereich ist die Entwicklungspsychologie in Verbindung mit der Pädagogik des Kindergartens (Elementarpädagogik). Kinder im Vorschulalter lassen sich durch eine geistige Haltung charakterisieren, die der sie umgebenden Umwelt Fähigkeiten zuschreibt, die sie von sich aus kennen. Dieser kindliche Egozentrismus gehört unweigerlich zur kindlichen Entwicklung und nimmt mit fortschreitendem Alter ab. Dinge werden vermenschlicht und die Kinder sind vom magischen Denken geprägt. Auch betrachten die Kinder die Dinge um sich herum wesentlich stärker emotional als rational, und es gibt kaum einen Bereich aus der kindlichen Umwelt, der frei von einer emotionalen Besetzung ist.

Vor diesem Hintergrund wird deutlich, warum der methodische Weg, die Grundlagen der elementaren Mathematik in eine phantasievolle Welt zu projizieren, in der z.B. ein Zahlenkobold sein Unwesen treibt und eine Zahlenfee fürs Rechnen zuständig ist, für die Kinder eine große Motivation darstellt.

Der dritte Bereich ist Didaktik der elementaren Mathematik. Hier bewegen wir uns auf verschiedenen Handlungs- und Erfahrungsbereichen, z.B. der Zahlenstadt, den Zahlengärten mit ihren besonderen Häusern und Türmen und dem Zahlenweg. Bei der Zahl Fünf sieht dies etwa so aus: Der Zahlengarten der Zahl Fünf befindet sich zwischen dem der Vier und dem der Sechs (ordinaler Zahlaspekt). Der Garten selbst ist als regelmäßiges Fünfeck konstruiert (geometrische Entsprechung zur Zahl) und kann an jeder Ecke verziert werden (Eins-zu-Eins-Zuordnung). Im Garten befindet sich ein Haus mit fünf Fenstern (kardinaler Zahlaspekt) und aufsteckbarer Hausnummer (Ziffernbild 5) sowie ein Zahlenturm, mit dessen Hilfe Zahlzerlegungen (1+4 oder 3+2) veranschaulicht bzw. konstruiert werden können.

Eine besonders erfolgreiche Methode, Kindern den Ordnungsaspekt der Zahlen erfahrbar zu machen, ist die Verwendung eines Zahlenweges. Die wichtigste Aktivität auf dem Zahlenweg ist das Gehen auf den Ziffern, verbunden mit lautem oder stillem Zählen. Kognitive Leistungen werden unterstützt durch Bewegung: Wo stehe ich gerade auf dem Zahlenweg? Welche Zahl kommt vor mir und welche direkt hinter mir? Schafft es ein Kind, diese Fragen ohne Hilfe zu beantworten - vielleicht sogar mit verbundenen Augen -, so hat es bereits ein abstraktes Bild des so genannten Zahlenstrahls verinnerlicht.

Die Durchführung

Im bisherigen Projektzeitraum wurde mit vier festen Gruppen in Gruppengrößen von 9 bis 15 Kindern gearbeitet. Die Gruppen trafen sich einmal in der Woche ca. 50 bis 60 Minuten zu einem festen Termin, bei dem eine Zahl im Mittelpunkt des Termins stand (Konzept: Zahl der Woche). Insgesamt wurden, dem Zahlenraum von 1 bis 10 entsprechend, auf diese Weise 10 Termine der gezielten Förderung in den festen Gruppen realisiert.

Im Laufe der Woche wurden den Kindern die Lernmaterialien in Freiarbeitsphasen zur Verfügung gestellt, und die Erzieherinnen wiederholten Lieder und Geschichten, wenn sich ein situativer Zusammenhang ergab.

Die Zielsetzungen

Das Projekt verfolgt unterschiedliche Zielsetzungen, die den verschiedenen Phasen des Projektes zuzuordnen sind. Allem voran galt es den Nachweis zu führen, dass das Projekt "allgemeine Lernerfolge" liefert. Wären diese nicht vorhanden, wäre eine Fortsetzung des Projektes natürlich sinnlos. Davon berichtet der nächste Punkt.

In der folgenden zweiten Phase wird es wesentlich darauf ankommen zu untersuchen, inwieweit dieses Konzept auf Akzeptanz bei den Beteiligten (vor allem Elternakzeptanz und Erzieherinnen- bzw. Erzieherakzeptanz) stößt.

Weiter ist vorgesehen, die teilnehmenden Kinder in der Grundschule wissenschaftlich zu begleiten und zu klären, ob sie in der Schule besser zurechtkommen als in Mathematik unerfahrene Kinder (Evaluation in Bezug auf den Übergang in die Grundschule). Bezüglich des Übergangs in die Grundschule ist die Hypothese die, dass die geförderten Kinder aufgrund ihres Wissensvorsprungs einen nachhaltigen schulischen Vorteil haben werden. Es spricht vieles dafür, dass das kulturelle Wissen, welches Kinder bereits mit in die Schule bringen, eine der wichtigsten Größen dafür ist, wie erfolgreich die weitere Schulkarriere verlaufen wird.

Eine konzeptionelle Weiterentwicklung und inhaltliche Ausdehnung des gesamten Projektes (z.B. auch im Hinblick auf Team- bzw. Sozialkompetenz) ist steter Bestandteil der Durchführung. Insbesondere wird sowohl das Konzept als auch das Untersuchungsdesign auf den Bereich der Sprachförderung ausgedehnt. Die Zusammensetzung der Untersuchungs- und Kontrollgruppenkinder stellt insbesondere in der nun folgenden zweiten Phase der Untersuchung besonders hohe Anforderungen an das Projekt.

Stand der Evaluation (August 2003)

Zur Evaluation des Projektes "Komm mit ins Zahlenland" bot sich ein klassisches Experimental-Kontrollgruppen-Design mit zwei Testungen (vor Beginn des Projektes und danach; Pretest-Posttest-Design) an. Die Experimentalgruppe erhält ein spezielles Treatment (hier das Training "Komm mit ins Zahlenland"), die Kontrollgruppe wird nicht trainiert. Um einen eventuellen Projekt- bzw. "Trainingseffekt" nachweisen zu können, lag es nahe, Testaufgaben aus Schuleingangsuntersuchungen zu verwenden. Ausgewählt wurden Aufgaben aus dem "Kieler Einschulungsverfahren":

Der "Test" umfasst 8 Aufgaben, in denen es maximal 31 Punkte zu erreichen gibt. Für eine zufriedenstellende Testdurchführungs- und Auswerteobjektivität wurde nicht zuletzt seitens der beteiligten Erzieherinnen Sorge getragen (standardisierte Anweisungen und klare Bepunktungsregeln).

Die Projekt- oder "Trainingskinder" (tr) (bis dato n=46) entstammen zwei Lahrer Kindergärten, die Kontrollkinder (ko) (bis dato n=20) wurden ebenfalls in Lahrer Kindergärten sorgsam so ausgewählt, dass sie den Trainingskindern vor allem in den Variablen Alter, Geschlecht und soziale Herkunft glichen. Die Veränderungen der Testwerte (pre - post- Vergleich) wurden jeweils einer Signifikanzprüfung für korrelierende Stichproben unterzogen. Die Ergebnisse der ersten Projektphase werden anhand von 4 Graphiken dargestellt, dabei bedeuten:

Signifikante Verbesserungen gibt es ausschließlich bei Trainingskindern, die Kontrollkinder verschlechtern sich tendenziell. Am meisten "profitieren" jüngere Kinder, bzw. Kinder mit niedrigen Ausgangswerten. Der Punktezuwachs bei den Jüngsten (tr 4;1) ist in der Tat beachtlich, denn sie erreichen im Posttest fast das Niveau der Schulanfänger vor Beginn des Trainings. Man sollte sich vor Augen halten, dass der durchgeführte Test ein Schuleingangsverfahren und die benannte Kindergruppe gerade mal 4 Jahre alt ist. Mädchen profitieren in gleicher Weise vom Training wie Jungen, es fällt allerdings auf, dass die Kontrollmädchen tendenziell absinken.

In der Graphik "Differenzen pre / post" werden die o.g. Befunde nochmals verdeutlicht, ein Projekteffekt wird sichtbar, ebenso die Tatsache, dass sich bei den Kontrollkindern "nichts bewegt" hat.

Aus den Graphiken "Alle Trainingskinder" und "Alle Kontrollkinder" lassen sich die Entwicklungen jedes einzelnen Kindes ablesen. Kein einziges Trainingskind "verschlechtert" sich, zwei halten das Pretestergebnis und die übrigen 44 legen z.T. ganz erheblich zu.



Abschließend sollten noch ein paar Punkte benannt werden:

Derzeit befindet sich die zweite, umfangreichere Projektphase in Vorbereitung. Der Beginn ist im Januar 2004 vorgesehenen.

Weitere Informationen

Vorstellung des Projektes "Komm mit ins Zahlenland"

Projekt- und Evaluationsbericht "Komm mit ins Zahlenland" (WORD-Datei)

Literatur

Friedrich, Gerhard und Bordihn, Andrea: So geht's - Spaß mit Zahlen und Mathematik im Kindergarten. Sonderheft der Zeitschrift Kindergarten heute. Freiburg: Herder-Verlag, 2003.

Friedrich, Gerhard und Galgóczy, Viola: Komm mit ins Zahlenland. Freiburg: Christophorus-Verlag, 2004.

Kontakt

Gerhard Friedrich
Friesenheimer Weg 15
77933 Lahr
Tel.: 07821/32213
Fax.: 07821/989657
Email: [email protected]
Website: http://www.ifvl.de

Horst Munz
Prinz-Eugenstraße 2
77654 Offenburg
Email: [email protected]
Website: http://www.ifvl.de



In: Klax International GmbH: Das Kita-Handbuch.

https://www.kindergartenpaedagogik.de/fachartikel/bildungsbereiche-erziehungsfelder/mathematische-bildung/1063/