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Zitiervorschlag

Aus: Ingeborg Becker-Textor: Mit Kinderaugen sehen. Wahrnehmungserziehung im Kindergarten. Freiburg, Basel, Wien: Herder 1992, S. 111-126 (leicht bearbeitete Fassung)

Medienwelt

Ingeborg Becker-Textor

 

Je umfassender der Begriff der Medienwelt definiert wird, desto intensiver müsste der Komplex der Medien dargestellt werden. Jedes Medium hat sein spezifisches Publikum, seinen bestimmten Adressaten- und Konsumentenkreis.

In der Arbeit mit Kindern, Jugendlichen und Erwachsenen umschreibt der Begriff Medienpädagogik die vielfältigen Aspekte, unter denen Massenmedien in Lern- und Lehrprozesse einbezogen werden. Dabei wird von Pädagogik mit und Pädagogik über Medien gesprochen (vgl. Fachlexikon der sozialen Arbeit, Frankfurt, 1988). Es werden die Medienauswahl und ihre didaktische Verwertbarkeit ebenso diskutiert wie ihre Wirkung insbesondere auf den jungen Menschen.

Wenn wir nun von Kindern im Vorschulalter ausgehen, so müssen wir feststellen, dass sie heute von einer vielfältigen Medienwelt umgeben sind. Gleichzeitig müssen wir eingestehen, dass es keine Möglichkeit gibt, die Kinder von dieser Medienwelt bzw. die Medienwelt von den Kindern fernzuhalten.

Auch wenn der Fernsehapparat noch keinen Einzug in den Kindergarten und in alle Familien gefunden hat, kennen dennoch alle Kinder bereits den Umgang mit diesem Gerät. Es bleibt den Erziehern und Eltern also nur die Chance, in die Erziehung zum bewussten, kritischen und reflektierten Umgang mit Medien einzusteigen. Dies wiederum gelingt aber nur, wenn sie sich selbst der Wirkung der Medien bewusst sind und die Fähigkeit erworben haben, kritisch auszuwählen, nicht nur zu konsumieren.

Durch die Vielfalt der heutigen Medienangebote ist ganz in Vergessenheit geraten, was die eigentlichen Medien für Kinder sind. Deshalb will ich in meinen Beispielen auf diejenigen eingehen, die es neu zu reflektieren und vor allem aber auch bei der Beschäftigung und beim Spiel der Kinder verstärkt einzusetzen gilt.

Das Bilderbuch

Viele Pädagogen bezeichnen das Bilderbuch als das Medium für das Kind, und zwar mit der Begründung, dass das stehende Bild für das Kind ganz besonders wichtig sei. Es biete ihm nämlich die Chance, sich in es hinein zu vertiefen, zu verharren, in zeitlichen Abständen immer wieder zum Bild zurückzukehren - es läuft nicht weg! Der Film im Fernsehen läuft hingegen weiter...

Das Bilderbuch von heute unterscheidet sich ganz wesentlich von dem vergangener Tage. Zunehmend scheinen Bilderbücher für Erwachsene gemacht zu sein. Liegt es daran, dass die Bildsprache viel eindringlicher und überzeugender auf den Menschen wirkt und damit das Interesse des Erwachsenen geweckt wird? Oder an den kunstvollen Bildern?

Das Bilderbuch ist im eigentlichen Sinn ein Buch ohne Text. Der Text ist im Bild verborgen und muss auch aus den Bildern "herauslesbar" sein. Für den Kauf von Bilderbüchern heißt das zum Beispiel, dass die Bilder höher bewertet werden müssen als der Text. Der Fortgang der Geschichte muss aus den Bildern "ablesbar" sein, also auch für Kinder deutlich sein, die noch nicht lesen können oder denen niemand vorliest. Ein Bild zu "lesen" ist für Kinder sehr viel einfacher als für Erwachsene. Deshalb sind Eltern oft erstaunt, was Kinder alles aus einem Bild herauslesen oder in ihm entdecken. Oft sind die Aussagen der Kinder entfernt von dem, was als Begleittext zum Bild steht.

Das Betrachten von Bilderbüchern, das Sich-hinein-Versenken in ein Bild haben die Erwachsenen verlernt. Dabei zählt das Bilderbuch zu den ältesten in unserer Gesellschaft verwendeten Medien und hat in seiner Geschichte durch Ziel, Inhalt und Aufgabenstellung bestimmten Zwecken gedient.

"So wurde das Bilderbuch u. a. geprägt:

  1. Als Sachbuch, als Mittel der Aufklärung, um die wirkliche Welt zu vermitteln;
  2. als Spielbuch, um durch Ausschneiden, Aufkleben und Aufstellen zu Spielen anzuregen;
  3. als kindertümliches Buch, um durch Dichtung und Märchen scheinbar starke Anreize für eine Verhaltenslenkung zu bieten;
  4. als Buch mit volkstümlichen Motiven, um Bedürfnisse breiter sozialer Schichten zu befriedigen oder zu schaffen;
  5. als 'Spannungsbuch', das durch Übertreibung, Schrecken und Comic das Interesse der Kinder zu wecken sucht;
  6. als Phantasiebuch, in dem z. B. Tiere personifiziert dargestellt werden, und
  7. als Sozialbuch, in dem über wirkliche oder illusionäre soziale Bedingungen berichtet wird.

Mehr oder weniger deutlich finden sich diese sieben unterschiedlichen Bilderbuchrichtungen auch in der Gegenwart wieder." (Aus: M. M. Niermann, Hrsg., Wörterbuch der Vorschulerziehung, Heidelberg 1979).

Es steht außer Frage, dass Bilderbücher vorrangig die Wahrnehmung, Sensibilität und Beobachtung fördern, aber auch die Konzentration und natürlich die Sprache. Kinder versuchen, das, was sie sehen bzw. ersehen haben, mitzuteilen. "Siehst du nicht? Hast du da nicht den klitzekleinen Käfer gesehen?" Der Erwachsene muss leider viel zu häufig zugeben, dass er eben den klitzekleinen Käfer nicht gesehen hat. Er konzentriert sich vielmehr auf die Bildergeschichte als Ganzes. Es kann aber sein, dass er durch das Kind zu einer anderen Betrachtungsweise geführt wird, sozusagen zurück in seine eigene Kindheit.

Antoine de Saint-Exupéry beginnt sein Buch "Der kleine Prinz" mit dem Beispiel der Boa, die einen Elefanten ganz verschluckt hat. Der Junge zeichnete die Boa, zeigte allen Leuten sein Meisterwerk und fragte sie zudem noch, ob ihnen die Zeichnung Angst machen würde. "Sie haben mir geantwortet: 'Warum sollen wir vor einem Hut Angst haben?' Meine Zeichnung stellte aber keinen Hut dar. Sie stellte eine Riesenschlange dar, die einen Elefanten verdaut. Ich habe dann das Innere der Boa gezeichnet, um es den großen Leuten deutlich zu machen. Sie brauchen ja immer Erklärungen."

Die großen Leute brauchen immer Erklärungen und meinen vielleicht deshalb, dass sie Kindern auch ständig alles erklären müssten. Sie haben nicht mehr die Fähigkeit, wie die Kinder zu sehen, mit Phantasie, Kreativität und Vorstellungskraft. So ist das Bilderbuch für das Kind kein Buch im eigentlichen Sinn, sondern ein buchförmiges Spiel- und Lernmittel. Es nimmt einen ganz besonderen Stellenwert unter den Spielmaterialien ein und gehört deshalb in den Kindergarten ebenso wie in die Familie. Da die dargestellten Themen so vielfältig sind, ist es zu einem Gegenstand des täglichen Gebrauchs geworden.

Wie können Sie Eltern im Kindergarten über Bilderbücher informieren? Mit einer Buchausstellung allein ist es sicher nicht getan. Eltern müssen den Umgang mit Bilderbüchern selbst erfahren, neu erfahren.

Stellen Sie einmal einen Elternabend unter das Thema "Spielen und Lernen mit Bilderbüchern". Lassen Sie die Eltern verschiedene Bilderbücher analysieren und überlegen, was in ihnen steckt. In einem zweiten Schritt könnten Sie den Eltern berichten, was die Kinder mit einem Bilderbuch machen, welche Impulse für ihr Spiel darin versteckt sind und wie sie seine Bedeutung als didaktische Mittel einschätzen. Beobachten Sie aber auch, welche Bücher die Eltern favorisieren und berichten Sie ihnen, wie sich Kinder entscheiden. Es werden sich große Unterschiede zeigen! Übrigens: Viele sogenannte Kinderbücher sind aufgrund ihrer sehr hohen Problemhaftigkeit nicht für Kinder, sondern für Eltern und für die Elternarbeit des Kindergartens geeignet!

Noch einige Praxisbeispiele: Kinder kommen meist ganz allein auf die Idee, dass man Bilderbücher auch selbst gestalten kann. Meist beginnen sie damit, wenn wir mit ihnen gefaltet haben. Die einfache Faltform des "Buches" motiviert Kinder, noch weitere Blätter zu falten und sie dann zum Beispiel mittels eines Wollfadens zusammenzubinden, zu heften o. ä. Dann malen Kinder ihr erstes Bilderbuch. Sie malen aber auch das Autobilderbuch, das Apfelbilderbuch, das Hausbilderbuch... Das Bilderbuch dominiert ganz einfach in der Medienwelt der Kinder!

Das Dia

Ich möchte hier nicht auf das Betrachten vorgefertigter Dias eingehen. Sicherlich schauen wir Urlaubsdias oder Diageschichten im Kindergarten an. Die Kinder berichten, was sie auf den Bildern sehen. Mir geht es vielmehr darum, dass Kinder sehen und entdecken, was wir auf ein Dia "bannen können". Es gibt so viele Möglichkeiten!

Ein Tropfen Uhu zwischen zwei Diagläser gedrückt. Das Dia wird sofort projiziert. Anfänglich bewegt sich der Uhu noch zwischen den Gläsern. Die Kinder staunen, sehen, betrachten, erklären, laufen an die Leinwand und fahren die Konturen der sich bewegenden Blasen mit dem Finger nach.

Alle möglichen kleinen Dinge werden zwischen zwei Diagläsern geklemmt und projiziert:

  • Ein paar Haare,
  • ein Stück Wollfaden,
  • ein Brotkrümel,
  • ein Stückchen Zeitungspapier,
  • ein Stückchen Transparentpapier,
  • eine kleine Feder,
  • ein Stückchen Stoff,
  • ein kleines Blatt von einer Pflanze,
  • ein paar Krümelchen vom Bleistiftspitzen,
  • eben alles, was zwischen den beiden Gläsern Platz hat.

Wie sich alles verändert! Plötzlich erkennt man Strukturen, die man sonst nicht sehen kann. Die Kinder wollen noch viele solcher "Rätseldias" machen. Jedes so gefertigte Dia wird gezeigt. Was kann es sein?

Das Spiel mit Rätseldias und "der Schärfe" ist besonders spannend. Wenn alle Rätseldias gezeigt wurden, dann kann es wieder von vorne losgehen, nur ist der Projektor ganz unscharf eingestellt, alles sieht verschwommen aus. Große Raterei. Jetzt entdeckt man Konturen. Es wird klarer, immer mehr wird erkennbar, jetzt ist das Objekt ganz deutlich zu sehen.

Auch ein Elternratespiel lässt sich durchführen. Die Kinder zeigen ihre Rätseldias. Mal sehen, ob die Erwachsenen auch mit den Augen der Kinder sehen können?

Diapositive können aber auch als Hintergrund für die verschiedensten Schattenspiele verwendet werden. Dazu neigen sich übrigens auch überbelichtete Aufnahmen, die man sonst vielleicht wegwerfen würde. Das Bild wird an eine Schattenwand als Hintergrund projiziert - gleichzeitig bildet der Projektor die Lichtquelle für das Spiel. Die Kinder können selbst davor spielen, oder mit ausgeschnittenen Figuren.

Die Kinder lieben es auch, Diageschichten zu malen. Ja, Kinder können mit feinen Faserschreibern für Glas ihre Zeichnungen auf das Dia malen. Was für eine Freude, wenn so die kindergarteneigene Diageschichte entsteht! Diaserien mit Kindern herzustellen, Szenen aufzubauen, Figuren oder Puppen miteinzubeziehen macht Spaß.

Das Dia ist also auch ein wichtiges Medium und führt Kinder ein in die Herstellung eigener Medien. Dadurch werden auch vorgefertigte Medien in ihrer Entstehung durchschaubar gemacht. Übrigens gilt für Dias ebenfalls, dass Kinder ganz andere Dinge sehen als Erwachsene. Es gilt also, die Unterschiede herauszufinden. Wir Erwachsenen können wirklich noch viel von den Kindern lernen.

Der Film

Sind Filme im Kindergarten überhaupt von Bedeutung? Vielleicht wurde schon einmal ein Videofilm von den Kindern gedreht und vorgezeigt, oder vielleicht hat ein Kind einen Film über seine ersten Lebensjahre mitgebracht. Alles Möglichkeiten. Aber dies ist hier nicht gemeint. Ich will nur von den von Kindern entworfenen und vorgestellten Papierfilmen berichten.

Situation im Kindergarten: Sigi kommt aus der Bastelkammer und hat zwei Zwirnsrollen mitgebracht, dazu eine Papierstreifenrolle. Jetzt sitzt er konzentriert am Tisch und zeichnet. "Das wird mein eigener Film. Halt so wie ein Zeichentrickfilm. Da sind ja auch keine echten Menschen drauf, sondern alles nur gemalte!" Dann arbeitet er weiter. Mindestens zwei Meter hat er mittlerweile schon abgerollt und bemalt. Nach etwa einer Stunde legt er seine Arbeit weg. Eine Woche lang beschäftigt er sich fast jeden Tag mit seinem Film. Dann ist er fertig. Eine ganz lange Geschichte hat er aufgezeichnet, von einem Indianerjungen. Damit alle Kinder den Film sehen können, "ziehen" wir ihn über die beleuchtete Glasfläche eines Episcopes. Vorsichtig spult Sigi seinen Papierstreifen ab, auf der anderen Seite wickelt Gabi ihn für ihn auf. Ganz langsam zieht der Film vor unseren Augen vorbei. Dann kommt ein großer schwarzer Punkt und damit das Ende.

Kinder, Erzieher und Eltern sind begeistert. Sigi jedoch scheint mit den Reaktionen, insbesondere denen der Erwachsenen, nicht zufrieden zu sein. "Sieht denn keiner, dass der kleine Indianerjunge immer ganz gleich ist? Erst 'ne rote, dann 'ne grüne, dann 'ne blaue und dann 'ne gelbe Feder". Keiner hatte dem Indianerjungen also genügend Beachtung geschenkt. Aber Sigi hat recht. Der Federschmuck hat immer die gleiche Farbenfolge, auch wenn der Indianerjunge vom sonstigen Aussehen und von seiner Statur gewisse Unterschiede aufweist (jedes Mal eben ganz individuell gezeichnet, nicht vervielfältigt).

Einige Kinder haben sich durch Sigis Film anregen lassen. Carola malt in den nächsten Tagen auch einen Film und bastelt dazu noch zwei kleine Figuren, die an einem Holzstäbchen geführt werden. Sie braucht Helfer, als sie den Film vorführen will. "Erstens muss sich das Papier so bewegen wie ein richtiger Film, abwickeln und aufwickeln, und die zwei Figuren, die gehören zum Film. Die machen einen Spaziergang. Erst geht's durch den Wald und dann durch ein Dorf und dann später über eine Wiese, halt alles, was auf dem Film droben ist."

Viele, viele Filme entstanden, und vier Wochen später wurden die Eltern zum Kindergarten-Filmfestival eingeladen. Alle waren begeistert! Jeder wollte jeden Film sehen. Es war eine ganz schöne Übung für das Sehen mit Kinderaugen. Ein Vater meinte: "Also Ideen haben die Kinder!"

Das Fernsehen

Das stehende Bild ist das Medium des Kleinkindes. Es kann sich in das Bild hinein vertiefen und Fragen dazu stellen. Ganz anders ist es beim Fernsehen. In wenigen Minuten bieten sich dem Kind eine Vielzahl von Szenen, Bildschnitten, Ereignissen. Was nicht richtig gesehen wurde, ist vorbei und kann nicht zurückgeholt werden.

Vereinbaren Sie doch mit Ihren Mitarbeitern, dass Sie am Abend alle den gleichen Film im Fernsehen anschauen. Vielleicht am Tag vor Ihrer Teamsitzung. Dann tauschen Sie sich aus, was Sie gesehen haben, was Ihnen von dem Film in Erinnerung geblieben ist. Wichtig ist, dass Sie versuchen, sich über die kleinen Dinge auszutauschen, etwa die Szenerie, die Tiere, die vorkamen, wie das Wetter im Film war usw. Es wird interessant sein, was jeder zu berichten hat, und es werden ganz unterschiedliche Sichtweisen deutlich werden.

Es gelingt uns Erwachsenen, uns auf den Ablauf der Handlung zu konzentrieren. Anders ist es beim Kleinkind. Dort taucht etwas am Rande auf, was das Kind fasziniert, und schon verlässt das Kind die Handlung und kann Sekunden später den Zusammenhang nicht mehr herstellen. Die kleine Katze, die in einer Szene zur "Illustration" des Geschehens auftauchte, war für das Kind wichtiger als die handelnden Schauspieler, als deren gesprochenes Wort. Dies zeigt die Probleme, die schon bei einem Kinderfilm auftreten, dessen Handlung eigentlich für das Kind fassbar und überschaubar ist.

Wie mag es erst sein, wenn Kinder für ihr Alter absolut ungeeignete Filme anschauen? Hinzu kommt noch eine Geräuschkulisse, die beim Kind zusätzliche innere Bilder erzeugt. Das Boot kentert im Bild, das Wasser rauscht, große Wellen sind zu sehen, und das Kind erinnert sich an die Szene am Strand, als es selbst von einer großen Welle umgeworfen wurde. Es war ihm damals nichts passiert, aber ein bisschen Angst ist geblieben.

Es ist unverzichtbar, dass Erwachsene immer mit dem Kind gemeinsam fernsehen. Auch bei einer Kindersendung darf das Kind nicht alleine sein. Der Erwachsene muß den Film mit ansehen, auch wenn er nicht alles so "sieht" (bzw. hineininterpretiert und mit Phantasie erfüllt) wie das Kind.

Grundsätzlich gilt für das Fernsehen, dass das Kognitive überwiegt, dass kaum Raum bleibt für lebendige Phantasie und kreatives Spiel und dass die psychosozialen Erfahrungen zu kurz kommen.

Die bereits 1976 im "Wörterbuch der Vorschulerziehung" (Herder, Freiburg) veröffentlichten pädagogisch-psychologischen Grundsätze haben noch heute Gültigkeit:

"a) die Sendung sollte kurz sein, das Kind braucht mehr Zeit zum Erfassen einzelner Bilder;
b) Vor- und Rückblende, Großaufnahmen und harte Schnitte werden in ihrer filmtechnischen Funktion (noch) nicht verstanden;
c) Teilfiguren (Überdeckungen, Überschneidungen) halten kleinere Kinder für 'kaputt';
d) plötzliche Standortwechsel und nicht scharf abgegrenzte Haupt- und Nebenfiguren wirken verwirrend;
e) Wiederholungen und gezielte Aussprachen helfen dem Kind - insofern werden kurze Unterbrechungen während der Sendung didaktisch äußerst wertvoll."

Die Wirkung des Fernsehens und der Medien auf Kinder und Erwachsene ist ein brisantes Thema für die Elternarbeit in Kindergarten und Schule, aber auch in der Familien- und Erwachsenenbildung. Wenn Kinder uns immer wieder "erwischen", wie wir Sendungen oder Videos anschauen, die Inhalte haben, die wir ihnen gegenüber als wertlos und ungeeignet hinstellen (Gewalt u. ä.), dann irritieren wir Kinder. Statt Werterziehung zu betreiben, führen wir sie zur Orientierungslosigkeit.

Phantasien

Der Duden - Herkunftswörterbuch - beschreibt Phantasie als Vorstellung (-svermögen), Einbildung (-skraft), Erfindungsgabe, Einfallsreichtum, Trugbild, Erscheinung, geistiges Bild. Das dazugehörige Verb "phantasieren" meint, sich dem Spiel der Einbildungskraft hingeben, frei erfinden, frei erdichten, improvisieren. Ein Phantast ist demnach ein Träumer und Schwärmer.

Im Zusammenhang mit dem Thema "Mit Kinderaugen sehen" scheinen mir die Erklärungen "geistiges Bild" und "sich dem Spiel der Einbildungskraft hingeben" von besonderer Bedeutung. Wird doch dadurch verständlich, warum der Erwachsene so unvermögend ist, wie ein Kind zu sehen. Das geistige Bild, das das Kind hat oder entwickelt, wenn es seinen Phantasien freien Lauf lässt, bleibt dem Erwachsenen unzugänglich. Er kann nur selbst Phantasie entwickeln. Wenn er phantasievoll und kreativ ist, wird er dem Kind näherkommen, es besser verstehen und viele Dinge wahrnehmen, die das Kind für sich aufnimmt.

Märchenbilder

Hildegard Schaufelberger schreibt in ihrer "Märchenkunde für Erzieher" (Herder, Freiburg): "Kinder haben ein ganz ursprüngliches Verhältnis zu der Bilderwelt der Märchen. Zum Verständnis der ersten einfachen Geschichte sollten sie allerdings bereits über einen gewissen Bestand an inneren Bildern verfügen. Die Anzahl solcher innerer Bilder wächst mit der Erweiterung der kindlichen Umwelt... Seien wir ehrlich: Um heute die Umwelt zu bewältigen, ist das Kind unserer industriellen Gesellschaft auf gute Kinderbücher und gute Bilderbücher angewiesen, die sachlich oder erlebnishaft in diese Umwelt einführen. Aber das ist noch nicht alles, noch nicht das ganze, volle Menschsein. Das Kind soll auch Werte, Normen und einen inneren Bilderreichtum übermittelt bekommen. Und dafür ist das Volksmärchen da. Sein zentrales Thema ist ja die Lebensbewältigung."

Kinder brauchen Märchen und Märchenbilder, denn diese sind Orientierungsbilder. Nicht umsonst wenden sich auch viele Erwachsene wieder verstärkt den Märchen zu. Märchen sind "in", kann man sagen. Sie sind unentbehrlich für das soziale Lernen, für die Persönlichkeitsentwicklung und die kindliche Entfaltung. Die Hilfe für das Kind (und für den Erwachsenen, auch wenn er es nicht sieht oder sehen will) liegt in der Identifikation und in der Projektion. Gemüthaft und emotional wird die Weltbewältigung durch das Gute dargestellt. Soziale Fähigkeiten, zwischenmenschliche Beziehungen, Mitleid, Hilfsbereitschaft, Verständnis, Vertrauen, Einfühlungsvermögen, Opferbereitschaft und Dankbarkeit werden belohnt. Das Kind muss sich nicht mit einem perfekten, ehrgeizigen Helden identifizieren. Es wird nicht überfordert, sondern motiviert, es wird nicht Angst erzeugt, sondern vielmehr werden unbewusst vorhandene Ängste sichtbar. Insbesondere in Problemsituationen oder seelischen Notlagen "erzählen Kinder Märchen". Weil wir Erwachsenen die Problematik nicht sehen können, fordern wir das Kind auf: "Erzähl doch keine Märchen, das stimmt ja sowieso nicht!" Es braucht aber diese Märchen zur eigenen Lebensbewältigung.

Märchenbilder geben Hilfe und Schutz. Alle enden gut, Böses und Ungerechtigkeit werden überwunden und besiegt. Das gibt Hoffnung. Und Hoffnung ist es, die Kinder auch oft in Märchenbilder fliehen lässt. Es ist die Hoffnung, dass der Vater/die Mutter wieder zurückkommt, dass der Vater wieder eine Arbeit findet usw. Die Probleme und Fragen, die Kinder heute bewältigen müssen, sind so vielschichtig!

Sie können mit Kindern über Märchen, Märchenbilder und die Zauberkraft des Märchens sprechen. Sie werden Ihnen sagen, dass im Märchen alles möglich ist, gegebenenfalls mit Zauberkraft, und dass alles ein gutes Ende nimmt. Vielleicht erzählen Sie den Kindern ein Märchen und überlegen hinterher gemeinsam, was das Besondere im Märchen, an diesem Märchen ist. Mit diesem Wissen erfindet/ erdichtet jedes Kind sein eigenes Märchen. Hören Sie gut zu, versuchen Sie die beschriebenen Bilder aus der Sicht des Kindes, mit den Augen des Kindes zu sehen. Sie erfahren seine Fragen, Ängste, Sorgen ... und Glücklichsein.

Sprachbilder

Über Sprachentwicklung, Sprachstörung, Sprachförderung usw. gibt es Veröffentlichungen vieler Autoren. Wenn ich hier Sprachbilder meine, dann geht es mir wieder um das Sichtbarmachen für Erwachsene. Ich will dies anhand einiger Spiele tun und bin überzeugt, dass Sie selbst viele solcher Spiele kennen und bereits regelmäßig im Kindergarten "einsetzen".

Stück für Stück ein Bild

Ein Bild mit einer für Kinder interessanten Abbildung (z. B. aus einer Illustrierten oder einem Katalog) wird in Teile zerschnitten und umgekehrt auf eine Unterlage gelegt. Ein Teil wird umgedreht, und die Kinder erzählen, was sie sehen. Raten ist erlaubt, die Ideen müssen aber umschrieben werden. Nehmen wir an, das Stück Bild ließe auf die Darstellung eines Zebras schließen, so darf dies nicht gesagt werden - aber zum Beispiel, dass es sich um einen gestreiften Gegenstand oder gar ein gestreiftes Tier handle. Das nächste Teil wird umgedreht und ebenfalls beschrieben usw. Mittlerweile ist das Zebra schon zu erkennen. Aber erst beim letzten Bild darf es auch benannt werden. Alles, was sonst noch auf dem Bild ist, wurde gesehen und beschrieben und hat zu einer Vielzahl von sprachlichen Begriffen und Bildern geführt.

Der Geschichtenkasten

Jedes Kind malt auf ein Kärtchen einen Gegenstand seiner Wahl, eine Figur, ein Tier. Dann werden alle Kärtchen umgedreht, vermischt und verdeckt in eine Reihe gelegt. Wer einen Ball zugeworfen bekommt, beginnt mit dem Erzählen. Das Kind deckt die erste Karte auf und beginnt eine Geschichte, in der die Abbildung vorkommt. Wenn es keine Lust mehr hat, dann wirft es den Ball einem anderen Kind zu. Die folgende Karte wird aufgedeckt und die Geschichte fortgesetzt. Es entsteht eine Reihengeschichte, die viel Unsinn, viel Phantasie, viel Märchenhaftes, aber auch viel Wahrheit enthält.

Für das Spiel mit dem Geschichtenkasten gibt es noch weitere Möglichkeiten. Alle Karten liegen verdeckt auf einem Stoß. Ein Kind würfelt. Es nimmt sich so viele Karten, wie der Würfel Augen anzeigt. Bei einer drei = drei Karten wird eine "Dreier-Geschichte" erzählt. Wenn das Kind mit seiner Geschichte fertig ist, dann kommt der Nächste an die Reihe.

Die Themen des Geschichtenkastens lassen sich durch den Erzieher steuern, indem er zum Beispiel selbst die Karten vorbereitet: Themen wie Pflanzen, Tiere, Berufe, aber auch Streit, Ärger usw. Der Phantasie sind keine Grenzen gesetzt.

Übrigens ist das auch ein Tipp für die Elternarbeit. Leider sind die Eltern nicht so einfallsreich wie die Kinder. Sie "sehen" nicht alles, was auf den Karten abgebildet ist, und haben ihre eigenen kindlichen Sichtweisen schon längst vergessen.

Autorin

Ingeborg Becker-Textor ist Kindergärtnerin und Hortnerin. Sie studierte Diplom-Sozialpädagogik an der Fachhochschule Würzburg und Diplom-Pädagogik an der Universität Würzburg und hat mehrere Zusatzqualifikationen wie z.B. den Abschluss als Fachlehrerin für Werken und das Montessori-Diplom erworben.
Frau Becker-Textor arbeitete als Kindergartenleiterin in Würzburg, als Regierungsfachberaterin für Kindertageseinrichtungen in Unterfranken, als nebenberufliche Dozentin in der Ausbildung für Kinderpfleger/innen und Erzieher/innen, in der Fortbildung für Erzieher/innen und Fachkräfte in der Jugendhilfe sowie mehr als 20 Jahre lang als Referatsleiterin im Bayer. Sozialministerium (nacheinander in den Bereichen Jugendhilfe, Kindertagesbetreuung und Öffentlichkeitsarbeit). Im Ministerium war sie auch für zahlreiche Forschungsprojekte auf Landes- und Bundesebene zuständig. Von 2006 bis 2018 leitete sie zusammen mit ihrem Mann das Institut für Pädagogik und Zukunftsforschung (IPZF) in Würzburg.
Ingeborg Becker-Textor ist Autorin bzw. Herausgeberin von mehr als 20 Büchern und über 40 Medienpaketen. Sie hat ca. 140 Fachartikel in Zeitschriften, in Sammelbänden und im Internet veröffentlicht.
Homepage: https://www.ipzf.de