Zitiervorschlag

Frauen in der Geschichte des Kindergartens: Margaretha Schurz

Manfred Berger

Im Winterhalbjahr 1849/50 wirkte Friedrich Fröbel auf Einladung des Kreises um Johanna Goldschmidt und Doris Lütkens in Hamburg und begründete einen "Bürgerkindergarten", den ersten "Volkskindergarten" Deutschlands. Des weiteren führte er ca. 22 junge Mädchen und Frauen in seine Pädagogik ein, von der der weltweit bekannte Pädagoge einmal selbst sagte, sie sei "in einer Sprache abgefaßt, deren Klarheit er selbst schwerlich erreicht hätte" (Thorun 1997, S. 123). Zu den Kursteilnehmerinnen gehörte, neben Malwida von Meysenburg, auch die 17-jährige Margaretha Meyer, die den Begründer des Kindergartens in einem Brief an eine Freundin wie folgt charakterisierte:

"Seine Sache hat sich so ziemlich allgemeiner Teilnahme zu erfreuen. Laß mich zuerst seine eigene Erscheinung vorführen. Langes, gerade gescheiteltes Haar bedeckt eine kurze, gedrückte Stirn, eine lange, gebogene Nase, die durch das Alter sich dem Kinn nähert, würde dem Gesicht den Ausdruck der Häßlichkeit verleihen, wenn nicht ein geistreiches, blitzendes Auge dem Ganzen den Stempel des Originellen und Anziehenden aufdrückte. Sein Geist ist feurig, für sein Alter höchst kräftig, und die Beweglichkeit des Körpers harmonisiert vollständig mit jenem; nur ist zu beklagen, daß sein Gedächtnis durchs Alter geschwächt ist und seinen rastlos wirkenden Geist oft im Stiche läßt, was besonders bei seinen Vorträgen, die er wöchentlich zweimal bis dreimal abzuhalten pflegt, die Auffassung sehr erschwert" (zit. n. Berger 1996, S. 22).

Seinerzeit hatte die junge Briefschreiberin sicherlich nicht daran gedacht, dass sie einmal in den Vereinigten Staaten von Amerika den ersten Kindergarten ins Leben rufen würde, den sie ganz im Sinne der Fröbel'schen Konzeption führte.

Agatha Margaretha Meyer wurde am 27. August 1833 in Hamburg (fälschlicherweise wurde später im Kirchenbuch von St. Johannis in Eppendorf der 29. August eingetragen) "vor dem Dammthore" geboren (vgl. Stolz 2007, S. 10). Ihr Vater, Heinrich Christian Meyer, entstammte einer äußerst armen Familie. Er arbeitete sich aus bitterem Elend hoch zu einem "wohlhabenden und einflussreichen Hamburger Bürger", der sich als Kaufmann an den großen wirtschaftlichen und politischen Angelegenheiten der Hansestadt aktiv beteiligte. Die Mutter kam ebenfalls aus armen Verhältnissen. Sie starb im 40. Lebensjahr, einige Stunden nach der Geburt ihres elften Kindes - Agathe Margaretha. Trotz der frühen Mutterentbehrung wuchs Margaretha wohlbehütet im Kreise ihrer Geschwister auf. Der stark politisch, sozial und religiös interessierte Vater prägte in jeder Hinsicht seine jüngste Tochter, die sehr früh großes Interesse für politische, soziale und religiöse Fragen entwickelte.

Als im Januar 1850 in Hamburg die "Hochschule für das weibliche Geschlecht", die "eine Pflanzstätte erhöhter Frauenkultur sein sollte" (Bäumer 1939, S. 715), eröffnet wurde, entschied sich Margaretha Meyer für den Besuch dieser Institution, die jedoch 1851 Opfer der "Reaktion" wurde. Daraufhin ging sie nach London. Dort lebte seit 1851 ihre Schwester Bertha Ronge (geschiedene Traun), die den ersten Fröbel'schen Kindergarten in Großbritannien ins Leben gerufen hatte:

"Bertha Ronge wirkte in ungezählten Vorträgen für Friedrich Fröbel, organisierte Ausstellungen über Fröbels Beschäftigungsmittel und veröffentlichte zusammen mit ihrem Mann das seinerzeit hochbeachtete Buch 'Practial guide to the English Kinder-Garten'" (Thorun 1997, S. 124).

Im Hause der Schwester lernte Margarethe Meyer den "1848 Revolutionär" Carl Schurz kennen und lieben. Die beiden heirateten am 6. Juli 1852. Noch im gleichen Jahr wanderte das junge Ehepaar nach Amerika aus. Dort angekommen kauften sie "Land und ließen sich in Watertown/Wisconsin nieder. Als dann die älteste Tochter drei Jahre alt war, eröffnete Margaretha 1856 nach Fröbels Vorbild in der ländlichen Kleinstadt Watertown den ersten Kindergarten Amerikas. Es war ein deutschsprachiger Kindergarten. Über 60 Prozent der Einwohner Wisconsins sprachen damals deutsch ... Bald nach Margaretha Meyer-Schurz' Kindergartengründung wurden in anderen Städten nach diesem Vorbild und von Schülerinnen Fröbels Kindergärten eingerichtet" (Riedmann1995, S. 45). An eine Freundin in Hamburg schrieb Margaretha Schurz über ihren Kindergarten:

"Es ist sicher, daß Friedrich Fröbels Kindergartenarbeit, angefangen von seinen Mutter- und Koseliedern, hin durch alle seine hervorragenden Spielgaben, nebst den sie begleitenden Benennungen, Liedchen und kleinen Verslein, dem aus ihnen herzustellenden geometrischen, Kunst- und Lebensformen und den anderweitigen Beschäftigungen und Spielen, von einem ganz neuen, großen und hohen Gedanken, ja aus ihm geboren sind. Fröbel ist das Vorbild für unsere Arbeit" (zit. n. Berger 1996, S. 23).

Nur wenige Jahre existierte der von Margaretha Schurz ins Leben gerufene Kindergarten, da die Familie, bedingt durch die politische Karriere von Carl Schurz (der u.a. etliche Jahre engster Vertrauter und Berater von Präsident Abraham Lincoln war), die kleine Stadt verließ. Doch die "deutsche Idee" wurde von Elizabeth Palmer-Peabody (1804-1894), die im Jahre 1860 in Boston den ersten Kindergarten für englischsprechende Kinder und 1873 die erste Monatszeitschrift für das Kindergartenwesen in Amerika den "Kindergartenboten" gründete, aufgegriffen und weitergetragen:

"Als die berühmte Bostoner Reformerin Elizabeth Peabody das 'Ergebnis' dieses neuen Erziehungssystems in Gestalt von Agatha Schurz begutachtet hatte, wurde sie eine überzeugte Anhängerin. Die energische Peabody, die eine frühere Assistentin des fortschrittlichen Erziehers Bronson Alcott war und besonderes Interesse an Pädagogik und Kindererziehung hatte, initiierte eine Kampagne, die den Kindergarten bei amerikanischen Eltern, Lehrern und Schulbeamten bekannt machen sollte. 1867 reiste sie nach Deutschland, wo sie die Bekanntschaft der Marenholtz (die Fröbelepigonin schlechthin; M.B.) machte. Durch letztere erfuhr sie mehr über die Fröbelmethode und nahm gleich einige nach dieser Methode ausgebildete Kindergärtnerinnen mit in die Staaten, um dort Ausbildungslehrgänge einzurichten" (Allen 1994, S. 12).

Die rasante Verbreitung des Kindergartens durch Elizabeth Palmer-Peabodys unermüdliches Engagement konnte Margaretha Schurz nicht mehr in "vollständiger Erstarkung dieser ureigensten deutschen Idee" miterleben. Sie starb am 15. März 1876 in New York, zehn Tage nach der Geburt ihres fünften Kindes. In Dankbarkeit und großer Verehrung für Margaretha Schurz hat Elizabeth Palmer-Peabody diese "immer wieder als die 'brillante Kreuzritterin' und 'Nestorin' der Kindergartenbewegung in den Vereinigten Staaten von Amerika bezeichnet. Und so ist Margaretha Schurz's Name bis zur Gegenwart mit dem amerikanischen Kindergarten verknüpft" (Berger 1996, S. 23). Sie ist ein Beispiel dafür, dass Fröbels Kindergartenidee insbesondere von Frauen aufgegriffen und weit in die Welt getragen wurde.

Heute ist der erste Kindergarten Amerikas ein liebenswert eingerichtetes Museum, das mittels eines Tiefladers zum 100. Geburtstages der pädagogischen Institution vom ursprünglichen Standort im Stadtzentrum zum Areal des Freilichtmuseums transportiert wurde.

Literatur

Allen, A. T.: Öffentliche und private Mutterschaft. Die internationale Kindergartenbewegung 1840-1914, in: Jacobi, J. (Hrsg.): Frauen zwischen Familie und Schule. Professionalisierungsstrategien bürgerlicher Frauen im internationalen Vergleich, Frankfurt 1994

Bäumer, G.: Gestalt und Wandel, Berlin 1939

Berger, M.: Margareta Schurz: Amerikas First Kindergarten, in: Kinderzeit 1996/H. 3

Hirsch, H. u. M.: Stammte Margarethe Meyer-Schurz aus einer ursprünglich jüdischen Familie? Zur Problematik ihrer ersten Biographie, in: L. Heid/ J. Knoll (Hrsg.): Deutsch-Jüdische Geschichte im 19. und 20. Jahrhundert. Studien zur Geistesgeschichte, Band 15. Stuttgart 1992, S. 85-106

Riedmann, K.: Margaretha Meyer-Schurz. Eine jüdische Kaufmannstochter aus Hamburg - Gründerin des ersten Kindergartens in Amerika, in: Hamburger Lehrer-Zeitung 1995/H. 5

Stolz, G.: Das Leben der Margarethe  Meyer Schurz. Wegbereiterin des Kindergartens in den USA, Husum 2007

Strnad, E.: Hamburg pädagogisches Leben in seiner Beziehung zu Friedrich Fröbel, Hamburg 1951

Thorun, W. (Hrsg.): Die Fröbelbewegung in Hamburg, Hamburg 1997



In: Klax International GmbH: Das Kita-Handbuch.

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