Vor dreißig Jahren - Rückblick auf die Gründungsphase einer Elterninitiative

Aus: Dagmar Beinzger und Isabell Diehm (Hrsg.): Frühe Kindheit und Geschlechterverhältnisse. Konjunkturen in der Sozialpädagogik. Frankfurter Beiträge zur Erziehungswissenschaft. Frankfurt am Main 2003, S. 71-87

Wilma Aden-Grossmann

Zusammenfassung der Fragestellung und der Ergebnisse der Untersuchung

Von den Ende der 60er Jahre gegründeten Elterinitiativen bestehen viele bis heute. Sie haben sich als "dritte Säule" neben den kommunalen und Freien Trägern behaupten können. Allein in Hessen gibt es etwa zwanzigtausend Plätze in selbstorganisierten Krabbelgruppen, Kinderläden, Schülerläden, Horten und in altersgemischten Einrichtungen. Seit 1990, als rund viertausend Plätze gezählt wurden, hat sich die Zahl verfünffacht. Auch wenn sich die heutigen Elterninitiativen - sofern sie seit Anfang der siebziger Jahre bestehen - vielfach auf ihre Anfänge als "antiautoritäre Kinderläden" berufen, so ist dennoch festzustellen, dass die heutige Elterngeneration in der Regel wenig über die Gründungsgeschichte weiß, weil sich in Abständen von etwa fünf Jahren die Zusammensetzung der Elternschaft komplett ändert und damit die Kenntnisse und die Erfahrungen der ausscheidenden Eltern verloren gehen. Diese Beobachtung war der Anlass dafür, die Gründergeneration einer Elterninitiative zu ihren damaligen Erfahrungen und Motiven zu befragen.

Die Untersuchung beschränkt sich auf die Entwicklung der "Freien Kinderschule" in Schwalbach bei Frankfurt am Main von Dezember 1969 bis Herbst 1973. Das ist der Zeitraum, in dem die Kinder der ersten Generation von Kinderschuleltern die "Freie Kinderschule" bis zur Einschulung besuchten. Diese Elterngruppe schuf die Grundlagen für die weitere pädagogische und organisatorische Entwicklung. Sie wählte den Namen, gründete den Trägerverein "Sozialpädagogische Praxis e.V.", entwickelte erste Vorstellungen zur pädagogischen Konzeption und wollte durch ihre Arbeit in der Freien Kinderschule und in dem Verein "Sozialpädagogische e.V." einen Beitrag zur Demokratisierung der Gesellschaft leisten. Von den in diesem Zeitraum etwa zwanzig beteiligten Vätern und Müttern wurden vier Ehepaare und eine geschiedene Mutter befragt.

Im folgenden werden die Ergebnisse der Untersuchung nach den erkenntnisleitenden Fragestellungen zusammengefasst:

(1) Welche Motive hatten die Eltern, sich in einer Elterninitiative zusammenzuschließen?

Die Auswertung der Gespräche ergab, dass das Fehlen von Kindergartenplätzen zwar zunächst ein Motiv für die Gründung der Freien Kinderschule war, dass aber mit der Dauer des Engagements alternative pädagogische Vorstellungen zunehmend wichtiger wurden.

(2) Welche Wertvorstellungen wollten sie bei der Erziehung ihrer Kinder realisieren?

Die Eltern wollten ihren Kindern die ihnen von Eltern und Kinderschule vorgelebten Werte von Solidarität und Hilfsbereitschaft weitergeben und meinten rückblickend, dass dies auch gelungen sei und dass ihre Kinder diese Werte auch an die nächste Generation weitergeben würden.

(3) Wie bewerten die Eltern rückblickend die Zusammenarbeit in der Elterngruppe?

Uneingeschränkt positiv sehen die Befragten die Zusammenarbeit mit anderen Eltern und die Freundschaften mit ihnen, die sich damals entwickelten. Sie meinten, man hat miteinander und voneinander gelernt und insofern sei die Kinderschule auch eine Elternschule gewesen.

(4) Welchen Einfluss hatte die "Kinderschulzeit" auf die Einstellungen und Entwicklung der Eltern?

Eine unerwartet große Bedeutung maßen die Mütter der Kinderschule für ihre eigene Entwicklung bei. Insbesondere die Frauen fühlten sich ermutigt, ein Studium aufzunehmen und/oder berufstätig zu werden. Hingegen brachte keiner der befragten Väter seine berufliche Entwicklung in Zusammenhang mit der Elterninitiative. Ihr Leben hat sich durch die Mitarbeit in dem Projekt Kinderschule nicht so stark verändert wie das der Frauen.

(5) Welche Bedeutung messen sie rückblickend den über die Kinderschule hinausgehenden pädagogischen und politischen Aktivitäten bei?

Alle Befragten meinten, dass sie bis heute von den damaligen Erfahrungen profitierten, wenn sie sich in neuen Initiativen engagieren. Vier der befragten Elternpaare gaben an, dass sie bis heute fortlaufend an Initiativen beteiligt sind und/oder sich in der Kommunalpolitik beteiligen. Gemeinsam ist allen, dass sie in der Gesellschaft etwas in Bewegung bringen wollen und dass dies Ziel auch durch die Kinderschule gefördert wurde. Bei manchen wurde das Interesse an politischer Beteiligung durch die Kinderschule geweckt, andere hatten sich bereits zuvor politisch engagiert.

Literatur

(Aden-)Grossmann, Wilma (1971): Elterninitiativen für repressionsfreie Erziehung. In: Grossmann, Heinz (Hg.): Bürgerinitiativen - Schritte zur Veränderung? Frankfurt, S. 33-53

Aden-Grossmann, Wilma (2002): Kindergarten. Eine Einführung in seine Entwicklung und Pädagogik. Weinheim, Basel

Verein Sozialpädagogische Praxis e.V. (Hg.): 30 Jahre Freie Kinderschule. Redaktion: Pabst, Günter/ Contessi, Angela/ Nettekoven, Annette. Frankfurt

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