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Zitiervorschlag

Frühe Kindheit

Damian Miller

 

7.1 Einleitung

Wenn aus historischer Sicht frühe Kindheit erläutert werden soll, dann gilt es zu klären, wie sich die Begriffe Kind und Kindheit während der Vergangenheit veränderten. In der alltäglichen Rede und bei Abdankungen herrscht Einigkeit darüber, was mit Kindheit allgemein bezeichnet werden soll – nämlich glücklich. Bei den Beerdigungen heisst es in der Regel: „Verlebte eine glückliche Kindheit und Jugend im Schosse der Familie.“ Sobald wir hinter solche Sprüche blicken, zeigt sich, welch heterogenes Phänomen mit dem Begriff Kindheit bezeichnet wird und Tagebücher zeigen oft ein anderes Bild.

In einem ersten Verständnis bezeichnet Kindheit eine generationelle Differenz. Konzepte von Kindheit, so wie wir sie heute pflegen, sind in historischer Hinsicht jung. Die Begriffe Schul- und Erziehungskindheit sind an die Institutionalisierung der Schule gekoppelt und bezeichnen seit dem 19. Jh. eine spezifische Lebensphase in der Art eines Vorbereitungs- und Schonraums. In der Fachliteratur wird diese Phase als pädagogisches Moratorium in Anlehnung an Jean-Jacques Rousseau bezeichnet. Die zeitgenössische sozialwissenschaftliche Sicht auf Kindheit verlangt nach einer Erweiterung dieses Konzepts. Die vornehmlich von entwicklungspsychologischen Traditionen gepflegte Rede von der Kindheit und dem Kind, oder die in politischen und schulöffentlichen Reden bemühten Formeln: „Lasst die Kinder sein“, oder „Pädagogik vom Kinde aus“ usw. versperren den Blick darauf, dass es das Kind im Allgemeinen nicht gibt, denn alle Kinder sind trotz anthropologischer entwicklungsbedingter Gemeinsamkeiten unterschiedlich und konkret. Die Singularform weicht dem Plural, es gibt offensichtlich Kindheiten und Kinder. Damit werden nicht nur individuelle, sondern ebenso kulturelle, geographische sowie soziale Varianten des Aufwachsens in den Fokus der Aufmerksamkeit genommen.[1] Die Feststellung von Dieter Lenzen, „Kindheit ist weniger als soziale Wirklichkeit, denn als mentales Konstrukt in den Köpfen der Erwachsenen zu sehen“[2] verweist damit auf die historische Bedingtheit der Kindheitskonzepte.

In der zeitgenössischen Kindheitsforschung werden verschiedene Perspektiven eingenommen. Kindheit kann verstanden werden a) als Zeitabschnitt der menschlichen Entwicklung (Kindesalter), b) als Phase in der Biographie von Individuen (persönliche Kindheit), c) als Art und Weise des Kindseins (Kindlichkeit) und d) als theoretische Konzepte des Kindseins unter historisch unterschiedlichen Bedingungen.[3] Kindheit wird auch e) als eine Lebenslage hinsichtlich der sozialen und juristischen Lebensbedingungen, f) als Lebensweise unter Berücksichtigung der Alltagsbewältigung, Mediennutzung und Peerkontakte und g) als Diskursgegenstand betrachtet. Letzteres untersucht, mit welchen Normen und Überzeugungen über Kinder geschrieben wird.[4] Sonach wird offensichtlich, dass die Rede von Kindheit keine anthropologisch konstante Dimension beschreibt, sondern eine relative Grösse der Onto- sowie Phylogenese[5] des Menschen.

Der Kulturhistoriker Philipp Ariès gelangte in seiner 1960 veröffentlichten Geschichte der Kindheit zur Einschätzung, Kindheit gäbe es erst seit der Moderne. Seine Quellen waren mittelalterliche Gemälde und Kulturgegenstände, auf denen die Kinder erwachsenengleich dargestellt wurden. Wirkliche Kinder erscheinen im Mittelalter mehrheitlich als Jesuskind, Putto[6] oder als nacktes hilfsbedürftiges Kindchen. Das mehrfache Erscheinen des Jesuskindes mit seiner Mutter in den Gemälden, erklärt sich daraus, dass vornehmlich die Kirche die Auftraggeberin für Kunstwerke war.[7] Auch Adelige leisteten sich solche Gemälde – Adelige sind von „Gottes Gnaden“. Ariès These erweist sich als wenig plausibel, wenn man prähistorische Kindergräber besucht. Archäologische Funde legen nahe, dass Kinder menschheitsgeschichtlich als solche wahrgenommen wurden. In Kindergräbern finden sich Spielzeuge, Puppen, entsprechende Kleider usw. Selbstverständlich ist auch diesbezüglich von einer erheblichen Bandbreite an Praxen, Weltanschauungen, Ressourcen der Familien, sozialem Status und Möglichkeiten auszugehen.

Die nachfolgende Darstellung von Kindheit greift primär die pädagogisch-literarische Beschäftigung mit Kindern und Kindheit auf, am Schluss wird eine sehr frühe Form der ausserfamiliären Kinderbetreuung vorgestellt.

7.1      Mutterideal und Kind

Den absoluten Inbegriff mütterlich-, unbedingter Liebe sowie Hingebung finden wir kulturhistorisch in der Figur von der Jungfrau und Gottesmutter Maria mit dem Jesuskind. In älteren Darstellungen wird zuweilen zusätzlich die Mutter von der Jungfrau Maria, Mutter Anna selbdritt dargestellt. Historische und zeitgenössische Bildnisse von Mutter und Kind verscheuchen jeglichen Zweifel, dass Irritationen dieses Verhältnis zerstören könnten. Selbst als Jesus als Erwachsener, gekreuzigter und Toter Mann im Schosse seiner Mutter liegt, offenbaren Bilder und Skulpturen die Innigkeit und Unzerstörbarkeit der Mutterliebe für ihr Kind. Alle Illustrationen des harmonischen Verhältnisses zwischen Mutter und Kinde überzeugten, wenn sie nicht durch geschichtliche Ereignisse in der Lebenswirklichkeit gestört würden. Kindsein bedeutet weit mehr als herzige Feger, Pausbacken und Innigkeit. Auf Kindern und Eltern – insbesondere auf den Müttern – lasten kollektive Erwartungen, die sich im Laufe der Zeit fundamental verändern aber kaum an Unerbittlichkeit einbüssten. Galten die Kinder bis vor kurzem als Altersvorsorge der Eltern, gereichen sie heute in den industrialisierten Staaten zum Armutsrisiko. Das betrifft ganz besonders Alleinerziehende Elternteile, insbesondere Frauen mit geringem Einkommen und/oder „bildungsferne“ Personen. Wer sozioökonomisch schwach aufgestellt ist, droht ins Prekariat abzugleiten. Gemäss Bundesamt für Sozialversicherung (BSV) beliefen sich 2006 die Kosten für ein Kind bis zum 20. Lebensjahr in den neunzehnneunziger Jahren auf rund CHF 800‘000.[8] Zwischen 1990 und 2006 befasste sich in Deutschland der Oberste Gerichtshof (OGH) mit wrongful bird und wrongful conception. Das inhaltliche Zentrum der Auseinandersetzungen bildete die Frage, ob der Unterhalt für ein gesundes oder behindertes aber unerwünschtes Kind ein durch Versicherungen oder den Staat zu ersetzender Schaden sei – in der Fachsprache nennt sich das Familienplanungsschaden.[9] Aus historischer Sicht gewähren diverse Phänomene einige aufschlussreiche Einblicke in Kindheit, Mutterschaft und Familienleben, die nicht zuletzt auf grundlegende Themen zum Verhältnis zwischen Individuum und Staat verweisen.

Säuglinge und Kleinkinder erfreuen sich mit dem biologisch-ästhetischen Merkmal Kindchenschema, des Jöh-Effekts.[10] In der Kopf-Rumpf-Proportion dominiert die Kopfgrösse. Der Gesichtsschädel ist kleiner als der Gehirnschädel, Pausbacken, Stupsnase und die grossen Augen, entlocken den Artgenossen fürsorgliches Pflegeverhalten, das transkulturell beobachtbar sei.[11] Die natürliche kindliche Bedürftigkeit findet im Mutterinstinkt bzw. der angeborenen Mutterliebe sein Komplement. Paul Häberlin[12] (1878-1960) schrieb, was lange allgemein als Überzeugung galt: „Wahr ist allerdings, dass zur leiblichen und seelischen Eigenart des weiblichen Geschlechts im Ganzen die Mutterschaft und also die Fürsorge für die heranwachsenden Kinder passt […].“[13] Die Mutter verkörpert bei Pestalozzi (1746-1827) den Inbegriff und die Kennerin der richtigen Erziehung schlechthin, wie er sie in „Wie Gertrud ihre Kinder lehrt“[14] oder „Lienhard und Gertrud“[15] beschreibt. Pestalozzi korrespondiert 1818 mit dem englischen Kaufmann James Pierpoint Greaves (1777-1842), der später als Lehrer arbeiten wird: „I would say, the mother is qualified, and qualified by her Creator himself, to become the principal agent in the development of her child.“[16]

Auf den ersten Blick vermag diese schöpfungsbedingte Relation zweifelsohne zu überzeugen. Die Geschichte der Kindheit legt nun frei, wie diese natürliche Gesetzmässigkeit, Kind führt zu Fürsorgeverhalten, durch soziale, ökonomische, rechtliche und politische Einflüsse irritiert, überlagert, vereitelt oder sogar vernichtet werden kann. Das Thema Kindermord erschüttert uns in der Tagespresse und zeigte sich genauso in früheren Jahrhunderten. Dabei denke ich nicht an die anberaumte Opferung Isaaks durch seinen Vater Abraham im Buche Genesis,[17] oder an den angeblichen Kindermord zu Bethlehem im Matthäusevangelium,[18] sondern an geschichtlich verbürgte Quellen. Gedacht wird an die unverheirateten jungen Frauen im 18. Jh., die trotz drohender Todesstrafe, aus schierer Angst vor gesellschaftlicher und kirchlicher Ächtung ihr Kind nach der Geburt töteten. Diese Engelmacherinnen waren vornehmlich Mädchen aus ärmeren Bevölkerungsschichten, die unverheiratet geschwängert in Schande fielen und deren Kinder gesellschaftlich diskriminiert wurden.[19] In Wien wurde 1784 das Findelhaus eingerichtet. Damit sollte ausdrücklich dem Mord unehelich geborener Kinder vorgebeugt werden. Mit der Reform durch den Habsburg-lothringischen Kaiser Josef II (1741-1790), der von 1765 bis 1790 als Kaiser des Heiligen Römischen Reiches amtete, waren ledige Mütter nicht mehr strafbar. Das Findelhaus nahm jedes Kind auf, für das die Mutter nicht selbst sorgen konnte. Bis 1813 starben 97% der Kinder, bevor sie das Findelhaus verlassen konnten. Erst durch die Verbesserung der hygienisch-pflegerischen Qualität, die bessere Bezahlung der Betreuerinnen und die zunehmende Professionalisierung änderte sich diese Tragödie. Um die Mitte des 19. Jh. wurde die rund Hälfte der Kinder in Wien unehelich geboren. Pro Jahr wurden durchschnittlich 6000 Kinder dem Findelhaus übergeben.[20]

Das soziale Phänomen Kindermord führte im 18. Jh. zu einem internationalen Diskurs, in dem sich Johann Heinrich Pestalozzi (1746-1827) mit der Abhandlung über „Gesetzgebung und Kindermord“[21] von 1783 engagierte. Er forderte die Abschaffung der Todesstrafe für Kindsmörderinnen. Er identifiziert acht Quellen, die die jungen Frauen zum Kindermord drängten. Es sind dies beispielsweise die rechtlichen Strafen, die auf Unzucht gefällt wurden,[22] die Armut,[23] die Lebensumstände der Landmädchen in den Städten,[24] die Angst der Mädchen vor den Eltern, Verwandten und Vormündern[25] usw. All diese Ursachen entwachsen gesellschaftlicher Missstände und sollten an den Wurzeln bekämpft und nicht durch die Hinrichtung der jungen Frauen vordergründig aus dem Blickfeld geräumt werden. Der Diskurs entbrannte nicht zufällig im 18. Jh. in dieser Deutlichkeit; dazu gab es verschiedene Gründe.

a) Ein zentrales Thema war die Frage nach dem Verhältnis zwischen Staat und Individuum. Beispielhaft sei auf die amerikanische Unabhängigkeitserklärung (1778) sowie die Französische Revolution (1789) verwiesen. Beide Ereignisse sind Ausdruck der Entschlossenheit von Völkern, sich selbst zu regieren und keine monarchischen Regierungen dulden zu wollen. Inwiefern darf sich der Staat in die Belange der Individuen einmischen? Soll der Staat im Falle von Delinquenz pädagogisch oder vergeltend vorgehen? Im 18. Jh. wurde die Todesstrafe verschiedentlich heftig kritisiert.[26]

b) Der Diskurs um Kindermord erfuhr eine hohe Intensität, weil das neugeborene Kind in der Figur des Jesuskindes in der christlichen Kultur einen zentralen Status einnimmt. Die Darstellungen von der Gottesmutter Jungfrau Maria mit dem Jesuskund verkörpert idealtypisch Unschuld und Zuneigung in ungetrübter Reinheit. Diese kindliche Unschuld markierte, ungeachtet der gesellschaftlichen Ursachen, in augenfälliger Deutlichkeit die Grausam- und Kaltblütigkeit der tötenden Mädchen. Aus christlicher Sicht wog der Kindermord umso schwerer, als dass der Tod vor der Taufe eintrat.[27]

c) Mit der Tötung des eigenen Kindes greift die junge Frau als Mängelwesen, die dem Manne aus christlicher Sicht Untertan sei, in die göttliche Schöpfungsordnung.

d) Abschliessend sei auf einen Genderaspekt verweisen. In der frühen Neuzeit waren Hexerei und Kindermord die häufigsten Verbrechen, deren Frauen bezichtigt wurden. Der Kindsmord, widerstreitet dem Rollenverständnis der zu liebender Mutterschaft durch die Schöpfung bestimmten Frau. Mit der Tötung greift sie in eine, ausschliesslich dem Manne in der Funktion als Scharfrichter, Henker oder Soldat vorenthaltenen Domäne. Über die Väter der getöteten Kinder oder die selber Infantizid begingen, wurde kaum je etwas bekannt.

Ohne den Fortgang der Kindermorddebatte abzubilden, sei resümiert, dass sich das Bild der Kindsmörderin wandelte. Sie galt zunehmend nicht mehr als ruch- und herzlose Mörderin, welche die inkarnierte göttliche Unschuld auslöschte und damit das christliche Mutterideal sabotierte, sondern wurde vornehmlich von bürgerlichen Gesellschaftsschichten, in ihrer nackten Verzweiflung begriffen. Sie handelte aus rasender seelischer Not und gesellschaftlicher Ausweglosigkeit und nicht aus genuiner Bosheit oder Niedertracht. Diese Ursachen konnten nicht mit Schwert und Galgen bekämpft werden, sondern mit der Verbesserung der Lebensumstände.

Der oben unterstellte Wirkungszusammenhang zwischen Kindchenschema und Fürsorgeverhalten erweist sich als fragil und irritierbar. Neuere Forschungen zu Kindheiten in den nationalsozialistischen Konzentrationslagern,[28] Kindersoldaten usw. zeigen, wie sehr Kindheit als zivilisatorische Errungenschaft und Konstruktion zu verstehen sind, denn als anthropologisches Faktum.

7.2      Kindheit als Projekt der pädagogischen Aufklärung

„Dieser Titel ist irreführend.“ Er könnte glauben machen, dass Kindheit eine Errungenschaft der Aufklärung sei. Diese Irreführung können wir als historiographisches[29] Artefakt[30] verstehen. Er erscheint in unzähligen Darstellungen zu Kind und Kindheit. Der Titel will nicht besagen, dass wir, in Anlehnung an den Kulturhistoriker Philippe Ariès (1914-1984) vor der Aufklärung keine Formen von Kindheit ausmachen können.[31] Der Titel will besagen, dass die heutigen Formen der Erziehungs- und Schulkindheit wesentlich durch gedankliche und institutionelle Vorleistungen der Aufklärung erklärt werden können. Es gibt literarische und bildnerische Hinweise, dass die Kinder schon früh sehr wohl als Kinder wahrgenommen wurden.

Der These von Ariès widerstreitet das Ehebüchlein aus dem Jahre 1472 des Albrecht von Eyb (1420-1475), er war Domherr in Eichstätt und Cubicularius (Kammerherr) von Papst Pius II.[32] Er schrieb im Ehebüchlein „[…] dass uns die Natur vor allen anderen Dingen die Liebe zu den Kindern gegeben habe, damit wir sie mit Sorgfalt und Arbeit ernähren, erziehen, unterweisen und belehren.“[33] Der Vater wird angehalten sein Hab und Gut nicht zu verprassen, weil es gegen das natürliche Gesetz der Sorge um die Söhne verstosse. Der Vater ist nicht nur Familienvorstand, sondern verkörpert auch eine emotionale Dimension: „Der Vater soll stets gut und barmherzig gegenüber seinem Sohn sein und daran denken, dass er Vater und nicht Richter sei […]“[34] Aus pädagogischer Sicht können wir getrost zur Kenntnis nehmen, dass Kuschelpädagogik, was immer das sein soll, nicht wie politisch geliebt behauptet wird, eine Erfindung der 68er ist, sondern bereits um 1472 bzw. auch in der Antike ein Thema war. Von Eyb referiert den römischen Rhetoriklehrer Quintilian (35-96):

„Die Kinder sollen weder zu streng noch zu milde erzogen werden. Denn durch Strenge werden sie unwillig und ungehobelt, hassen das Lernen und verzweifeln. Weil sie alles fürchten, können sie auch nichts Gutes schaffen. Aber durch [übergrosse] Sanftmut glauben die Kinder, sie täten stets das Richtige und ihnen stünde alles erlaubt.“[35]

Dennoch kennt von Eyb die Tücken, die in der Jugend lauern: „Sie sollen auch in guter, steter Obhut gehalten werden, denn die Jugend neigt zur Bosheit, Unkeuschheit und Wollust.“[36] Selbst wenn das Kind dem Lehrer die Tafel, vermutlich angesichts ungerechtfertigt erlittener Rüge, über den Schädel gezogen haben soll, so soll der Vater zum Kind stehen und es loben, weil es sich zu wehren wusste. Von Eyb war sich bewusst, dass Erziehung auch bei bester Absicht der Eltern misslingen kann:

„Sind deine Kinder aber böse und ungeraten, so hast du beständig Last und Kummer. Und weil zweifelhaft ist, wie sie geraten mögen, so ist auch deine Hoffnung in Zweifeln und du bist mit grosser Sorge beladen.“[37] Im Gegensatz zur späteren Stilisierung der glücklichen und unbeschwerten Kindheit in der Romantik bleibt von Eyb realistisch und schreibt: „Was hat ein Mensch, der im Alter stirbt mehr gehabt als einer, der in jugendlichem Alter stirbt? Nicht mehr als Sorge, Arbeit, Verdruss, Schmerzen, Krankheit und Sünde.“[38]

Kindheit als eigentümliche Lebensphase ist in Zusammenhang mit den Prozessen der Privatisierung, Emotionalisierung und Intimisierung des Familienlebens ab dem 18. Jh. zu verstehen. Zeitgleich entstehen literarische Entwürfe über das Kind, das im Alltäglichen zuweilen als defizitärer Modus des Erwachsenen verstanden wurde. Eine andere Form der Deutung entstand exemplarisch in Jean-Jaques Rousseaus Erziehungsroman „Emil“, in welchem er ein bemerkenswertes Kindermodell vorstellt. Es handelt sich bei diesem Roman allerdings nicht um eine konsistente Erziehungstheorie, wie das in der Rezeptionsliteratur gerne unterstellt wird. Der fiktive Junge wächst elternlos (mutterlos, obwohl er den Roman einer guten und bedachten Mutter widmete) und gesellschaftlich isoliert unter der Ägide eines Erziehers auf. Emil steht in einem eigenartigen Spannungsverhältnis zwischen der Vervollkommnung des Menschen (Perfektibilität) und seinem späteren Eintritt in eine unperfekte Gesellschaft und einer Geschichte des Fortschritts. Unter diesem Gesichtspunkt wird die Kindheit zu einem gesellschaftlichen Projekt, in welchem das Kind pädagogisch vervollkommnet für die Gesellschaft bedeutsam wird. Hier verdeutlichen sich die thematische Nähe und das gemeinsame Interesse von Pädagogik und Staat. Das Kind wird zu einer Art Versprechen an die Menschheit. Eine Denkfigur, der wir bis heute in politischen Slogans begegnen, wenn Kinder als die Zukunft reklamiert werden – was sollen sie denn sonst sein?

Nach Rousseau ist das Kind in der Zeit von der Geburt bis zum 12. Lebensjahr am meisten gefährdet, durch Irrtümer und Laster angesichts der Anwesenheit von Erwachsenen, verdorben zu werden. Es gilt Zeit zu gewinnen, indem man sie verliert und sich nicht pädagogisch invasiv und doktrinär an das Kind heran macht. Das meinte Rousseau, wenn er meint, die Erziehung müsse negativ sein.[39] Damit stellt er sich diametral gegen die christliche Tradition der Unterweisung von Wahrheit und Tugend.[40] Es sind drei Instanzen, die das Kind stark machen: die Natur, die Dinge und der Mensch.[41] So wird das Heranwachsen gelingen, wenn es misslingt, liegen Erziehungsfehler von Seiten der Erwachsenen vor. Rousseaus „Emil“ ist nicht nur hinsichtlich der literarischen Bestimmung einer Kindheitsphase bemerkenswert, sondern weil er ein eigenwilliges Bild von einem Kind vorlegt – das erste Kind ohne Sünde.[42] Rousseau beginnt seinen Roman Emil mit einem eigentlichen Paukenschlag, gegen die Doktrin der Erbsünde:

Alles ist gut, wie es aus den Händen des Schöpfers kommt; alles entartet unter den Händen des Menschen. Der Mensch zwingt ein Land, die Erzeugnisse eines anderen hervorzubringen, einen Baum die Früchte eines anderen zu tragen. Er vermengt und vertauscht die Wetter, die Elemente und die Jahreszeiten. Er verstümmelt seinen Hund, sein Pferd, seine Sklaven. Alles dreht er um, alles entstellt er. Er liebt die Missgeburt, die Ungeheuer. Nichts will er haben, wie es die Natur gemacht hat, selbst den Menschen nicht. Man muss ihn, wie ein Schulpferd, für ihn dressieren; man muss ihn nach seiner Absicht stutzen wie einen Baum im Garten.[43]

Das war ein radikaler und ketzerischer Gegensatz zur christlichen Lehre und Praxis, wonach das Kind erst durch den Akt der Taufe von der Erbsünde befreit wird. Dabei geht es nicht einfach um die eigenmächtigen Verfehlungen von Adam und Eva, sondern darum, dass der Satan vom Täufling lasse. Taufriten, die noch im 20. Jh. praktiziert wurden, beinhalteten einen exorzistischen Passus, in dem der Priester den Teufel beschwor, vom Körper des Täuflings zu fliehen.[44] Nach amerikanischen Studien waren noch im 20. Jh. viele Eltern der Überzeugung, mit der körperlichen Züchtigung den Teufel aus den Kindern treiben zu können.[45]

Ich kehre zu Rousseau zurück. Er unterscheidet in Emil zwischen Mensch und Bürger. Als natürlicher Mensch ruht er in sich und genügt sich selbst. Das Böse entsteht durch das Ungleichgewicht von Wollen und Können. Als Bürger ist er lediglich ein schnöder Bruchteil eines Ganzen (Sozialkörper) und sein individueller Wert begründet sich in der Nützlichkeit für die Gesellschaft.[46] Rousseaus fiktiver Erziehungsgang diente vielen Autorinnen und Autoren als gedankliche Orientierungsfigur, doch in der Praxis versagt er seine Dienste. Unter den Philanthropen der Aufklärung gab es eine ganze Reihe von Personen, z. B. Johann Bernhard Basedow (1724-1790), Joachim Heinrich Campe (1746-1818), Christian Gotthilf Salzmann (1744-1811), die sich schulpraktisch betätigten und einen Perspektivenwechsel von einer normativen (christlich-katechetischen) Erziehung und Unterweisung hin zu einem offeneren und weltlichen Verständnis vertraten. Die Kinder sollen nicht Glaubenssätze memorieren, sondern sich mit Neugierde den schulischen und lebensweltlichen Inhalten nähern. Zeitgleich entstanden Konzepte von Kindheit, die neben der Familien- ebenso eine Schulkindheit denkbar werden liessen und in engem Zusammenhang mit der Etablierung der bürgerlichen Gesellschaft, in Opposition zur ständischen Gesellschaft standen. Es interessierte, was der einzelne Mensch dem Staat nützt.

Unter diesem Gesichtspunkt liegt es nahe, dass sich Erziehung und Unterricht in den Dienst eines Nützlichkeitsdenkens im Interesse des Staates, bzw. der Gesellschaft stellte. Die zu erwerbenden Fertigkeiten werden von ihrer Brauchbarkeit für das spätere Leben bestimmt. Die Schule sollte die Gesellschaftskarriere simulieren. In, für alle einsehbaren Punkteskalen mit den erbrachten Leistungen sollen die Schüler den gesellschaftlichen Konkurrenzkampf und die eigene Allokation einüben. Individuelles Glück soll im Denken der Philanthropen der Aufklärung mit dem Nutzen des Menschen für das Gemeinwesen vereinbar sein.[47] Die Konfliktlinien sind offensichtlich frei gelegt. Wo liegt der Vorrang? Peter Villaume (1746-1825) schlug als Ziel der Erziehung die Vervollkommnung und als Ziel der Gesellschaft die Brauchbarkeit vor. Dass sich dabei gedankliche sowie praktische Übereinstimmungen sowie Ausschlüsse ergeben, ist evident. Villaumes Versuch mit dem Begriff Glückseligkeit individuelle Vervollkommnung und gesellschaftliche Nützlichkeit zu vereinen, vermochte nicht zu überzeugen.[48] Es handelt sich hierbei um eine Antinomie. Beide Ansätze lassen sich logisch und widerspruchsfrei begründen und widerstreiten sich dennoch bei einer Gegenüberstellung.

Der geschätzten Leserinnen- und Leserschaft wird nicht entgangen sein, dass uns hier Evergreens[49] pädagogischer Reflexionen begegnen. Es handelt sich um Probleme, für die die Menschen in unterschiedlichen historischen Kontexten Lösungen finden müssen. Wer sich den aktuellen Diskurs zu PISA, Bildungsstandards, Einfluss des sozioökonomischen Status, Kompetenzorientierung und dgl. vergegenwärtigt, erkennt, dass wir uns mit demselben Problemkern beschäftigen.[50] Prominent wurde die Kritik an den aktuellen Bildungsreformen in Form der Frankfurter Einsprüche formuliert.[51] Im Grunde genommen handelt die Auseinandersetzung von der Frage, zu welchem Zweck die Schule erziehen und unterrichten soll. Auf die Spitze getrieben klingen die Positionen so: „Sie dient der Entfaltung von Kräften und Anlagen des Individuums und seiner Bildung um seiner selbst Willen – oder – um den Menschen zum produktiven und nützlichen Rädchen für die Mechanik der kapitalistischen Leistungsgesellschaft zu schleifen.“ Einen anderen Evergreen treffen wir beim Thema frühkindliche Bildung und obligatorischer Kindergarten. Es gibt kritische Stimmen, deren argumentative Substanz in den vergangenen Jahrhunderten lediglich rhetorisch in der Wortwahl variierte.

Zu den Abstimmungen in der Schweiz über das Konkordat HarmoS[52] wurden von der Gegnerschaft u.a. folgende Argumente stark gemacht:

„Keine Entmündigung der Eltern; keine Verstaatlichung der Erziehung; eine intakte Familie zusammen halten; eine vertraute Kindheit ohne Staatsaufsicht […]“[53] Da stellt sich wiederholt die Frage nach dem Verhältnis zwischen Staat – auch wenn er demokratisch organisiert ist – und dem Individuum. Wem gehören die Kinder? Wem gehört der Mensch?

7.3      Kindheit als Utopie

Gemäß dem englischen Kulturhistoriker Arnold Joseph Toynbee (1889-1975) befänden sich Kulturen in einer unentwegten pendelartigen Bewegung. Dass einer, nach schnöder Nützlichkeit huldigenden Epoche bzw. Denke, wie sie oben dargestellt wurde, eine Gegenbewegung folgen würde, drängt sich nach dieser kulturhistorischen Hypothese geradezu auf. Das Bild des Kindes der Romantik baute sich als Kontrastfolie zu demjenigen der aufklärerischen Philanthropen auf. Letztere würden mit Bildungseitelkeit und Vorzeigesucht pädagogische Vorzeigepuppen modellieren. Philanthropische Pädagogik führe zu Räsoniererei, Vernünftelei, Pseudogelehrsamkeit und sinnloser Vielwisserei.

Die Romantik hievte das Kind auf einen Sockel des Reinen, Unschuldigen und steigerte sich in religiöse und quasireligiöse Metaphern – das Kind inkarniert Liebe und Makellosigkeit an sich. Das Kind erscheint als der bessere Mensch, das Kind sei die einzige unverstümmelte Natur, es ist die schöne Menschheit selbst.[54] Die Kindheit wird zu einer Projektionsfläche individueller, religiöser und heilsgeschichtlicher Sehnsüchte und Erwartungen. Novalis (1772-1801) sieht das Kind in unmittelbarer Nähe zu Gott und durch es sei Unschuld und Glück zu erlangen.

Friedrich Wilhelm Fröbel (1782-1852) schreibt 1826 über das kleine Kind: „Es ist das Erscheinen, das ins Daseintreten eines unsichtbaren, geistigen, eines ewig seienden Wesens, Unsichtbares erscheint als Sichtbares – Ewiges als Endliches – Himmlisches als Irdisches – geistiges als Körperliches – Göttliches als Menschliches […]“[55]

Dieses Verständnis verweist auf das Matthäusevangelium 18, 3 in welchem Jesus seine Jünger gemahnt, so wie die Kinder zu werden, um ins Himmelreich zu gelangen. Eine solche Sicht des Kindes verlangt, nicht zuletzt in Anlehnung an Rousseau, nach gesellschafts- und kulturfernen pädagogischen Institutionen, die reell schon lange praktiziert, aber nicht ideell überhöht wurden. Die Kindergärten erfüllten diese Funktion. Das Kind wurde durch die Romantik literarisch zu einer Ikone stilisiert auf die sämtliche Verlangen nach Einheit und Ganzheit projiziert wurden. Es soll die ungestillten Sehnsüchte und die Zerrissenheit der bürgerlichen Gesellschaft heilen.[56]

7.4      Kindheit als Mythos

Die Überhöhung und Glorifizierung des Kindes erreichte in der Romantik und Klassik einen vorläufigen Höhepunkt. Im ausgehenden 19. Jh. wurde pädagogisch-literarisch mit der spontanen Selbstbildung des Kindes als Gegenfigur zur Verkopfung durch die Schule polemisiert. Gesellschafts-, kultur- und modernitätskritisch wird ein Kind figuriert, das kraft seines Kindseins rettende Impulse für die Erlösung der orientierungslosen Menschen aus dem Elend der städtischen Industrialisierung spenden sollte. Die Natur des Kindes wurde in der Reformpädagogik mythisch imaginiert – obwohl von psychologischer Forschung empirische gewonnene Erkenntnisse vorlagen, die eine solche Verklärung nicht nahe legten. Die Formel „Pädagogik vom Kinde aus“, bedeutet weit mehr als ein schulpädagogisches Prinzip, sondern eine Bündelung von Wünschen und Hoffnungen auf ein rettendes Heilsgeschehen.[57]

In Rekurs auf Emerson schreibt Maria Montessori: „Die Kindheit ist der ewige Messias, der immer wieder in die Arme der gefallenen Mensch zurückkehrt […].“[58] Für die Erziehung fordert Ellen Key, die Unterwerfung der Erwachsenen: „Bevor nicht Vater und Mutter ihre Stirne vor der Hoheit des Kindes in den Staub beugen; bevor sie nicht einsehen, dass das Wort Kind nur ein anderer Ausdruck für den Begriff Majestät ist […].“[59]

Diese Ehrerbietung gegenüber dem Kind ist bei Key synchronisiert mit einer vulgär-sozialdarwinistischen Rassenideologie, wonach mithilfe erbbiologischer Massnahmen die Züchtung eines höheren Typus Mensch zur Veredelung der Rassen forciert werden sollte. Keys Konzept kann in den Umkreis kallipädischer[60] Ambitionen verortet werden. In Rekurs auf Nietzsche fordert sie, die Menschen sollen sich nicht fort, sondern höher pflanzen.[61] An die Adresse von Lehrerinnen empfiehlt Maria Montessori: „Das schwerste ist es, der Lehrerin beizubringen, dass sie sich selbst auslöschen und auf die Rechte verzichten muss […] sie muss ihr ganzes Vertrauen auf die verborgenen Kräfte des Kindes setzen.“[62] In der Denkweise der deutschen Reformpädagogik kann das Kind unter jeglicher normorientierten Erziehungspraxis nur verkümmern. In Rekurs auf Berthold Otto bedeutet eine Erziehung, die sich auf kindsfremde Normen bezieht, eine gewaltsame Modellierung und Verstümmelung des Kindes.[63]/[64]  Die Stilisierung und Ikonisierung des Kindes ist indes keine singuläre Leistung der Reformpädagogik, George Boas beschreibt 1966 in The Cult of Childhood, wie die Kindheit in der Kunst als genialisch und originellste Phase des menschlichen Lebens mythisiert wurde.[65]

Die Kindorientierung ist kein Alleinstellungsmerkmal der Reformpädagogik kontinental-europäischer Prägung, sondern ist ebenso Teil der Pädagogik und Didaktik John Deweys. Allerdings stilisiert er das Kind nicht in die Sphäre des Göttlichen. Bei ihm bedeutet allerdings Child-centered: Erziehung und Unterricht gehen von den alltäglichen Erfahrungen der Kinder aus. Erziehung und Unterricht ermöglichen intentionales aktives Handeln und Sammeln von Erfahrungen unter Berücksichtigung der kindlichen Lebenswirklichkeit. Gerne wird dafür die Minimalformel: learning by doing in Zusammenhang mit Deweys Pädagogik aufgegriffen.[66]

7.5      Das böse Kind

Die soeben vorgestellte historische Rekonstruktion von Kind und Kindheit in pädagogischen Reflexionen und Diskursen soll durch einen weiteren flüchtigen Blick auf Kind und Kindheit ergänzt werden. König Solomon skizziert ein denkwürdiges Verhältnis zwischen Liebe und körperlicher Züchtigung, es kann – ohne theologisch gebildet zu sein – ein Hinweis darauf geben, dass Kinder eben nicht immer so tun, wie sie sollten und dadurch die Erwachsenen veranlassen, erzieherisch invasiv aktiv zu werden: „Wer seine Rute schont, der hasst seinen Sohn; wer ihn aber liebhat, der züchtigt ihn beizeiten.“[67] Vorliegend ist nicht die oben erwähnte kollektive Erbsünde, mit der alle Kinder befleckt sein sollen gemeint, sondern unser Interesse gilt den dreisten, aufmüpfigen, unerzogenen und unführbaren Kinder, die nicht nur in Gestalt von Max und Moritz, Suppen-Kaspar, Paulinchen mit dem Feuerzeug oder dem fliegenden Robert ein hässliches Ende finden. Ich will auf Klischees verzichten, die besagen, früher gab es auch schwierige Kinder usw. Ein paar wenige Hinweise sollen genügen, um das Thema Kinderfehler nicht zu vernachlässigen. Bei von Eyb erfuhren wir, dass der Ausgang der Erziehung nicht vorausgesagt werden kann. Die Kinder sollten mit mässigem Drohen erzogen werden, damit sie kein Unrecht begingen.[68]

Immanuel Kant (1724-1804) berichtete 1803 über den despotischen Willen der Kinder, dem man nicht gleich nachgeben dürfe, wenn sie durch Schreien alles erzwingen wollten.[69] Gibt man ihnen nach, so werden sie boshaft.[70] Sie verderben zudem, wenn man ihnen vorschwatze, wie schön und allerliebst sie seien und ihnen „Putz“ verspricht oder erteile.[71] Der Mensch wird von verschiedenerlei materiellen Begierden bedroht. Dies sind Ehr-, Herrsch- und Habsucht, Wollust sowie Unterhaltungssucht. Dazu gesellen sich die Laster wie Bosheit, Niederträchtig-, Undankbar-, Ungerechtig-, Weichlich-, Liederlich- und Lieblosigkeit, Schadenfreude, Neid, Falschheit sowie Kargheit.[72] Dieses Inventar an Gefährdung ist umfassend und führt Kant zur Frage, ob denn der Mensch von Natur aus gut oder böse sei. Er antwortet: „Keines von beiden, denn er ist von Natur gar kein moralisches Wesen […]“[73] Der Mensch wird erst durch die Vernunft moralisch. Durch Freiheit kann er sowohl als auch böse werden. Beide Optionen müssen grundsätzlich möglich sein, ansonsten gibt es keine Freiheit und in der Folge kein moralisches Urteil, das man fällen kann. In der Berlinischen Monatsschrift veröffentlichte Kant den Aufsatz „Über das radicale Böse in der Menschlichen Natur“.[74] Je nach Herausgeberschaft lautet der Titel: „Von dem Hange zum Bösen in der Menschlichen Natur“. In der pädagogischen Literatur wird zwar Kant zur Legitimation gerne zitiert, um erzieherisches Handeln zu legitimieren, da bei ihm der Mensch nur durch Erziehung zum Menschen werden kann, doch diese Schrift über das Böse wird aktiv ignoriert.

Mit zunehmender Institutionalisierung der öffentlichen Bildung, fallen nicht nur die Kinder auf, die nicht lernen oder stillsitzen und sich artig verhalten können, sondern auch die Kinder, die könnten aber nicht wollen oder aus Gründen von Verwahrlosung, psychopathologischen Erkrankungen, Entwicklungshemmung, fehlendem inneren Halt usw. nicht wollen oder wollen können. Diese Kinder sind nicht erst beim Schuleintritt so, wie sich das die Erwachsenen wünschen, sondern bereits vorher. In den letzten Jahrzehnten hat sich eine beachtenswerte Diagnose- und Therapieindustrie etabliert. Unübersehbar ist überdies die Medizinalisierung sowie Phamakologisierung von Verhaltensauffälligkeiten, Entwicklungsverzögerung sowie Lernproblemen. Einerseits wird die Heterogenität beschworen und andererseits werden Normabweichungen selbst in zeitlicher Hinsicht pathologisiert. Über die Ursachen und die Erziehung schwieriger Kinder liegt in der Pädagogik des 19. und 20. Jh. eine reichhaltige Literatur[75] vor, die aus Platzgründen nicht referiert wird.

Jenseits von pädagogischen Reflexionen, diskursiven Schriften und Ratgeberliteratur wird abschliessend ein erhellender Satz aus einem Inspektionsbericht in Hinblick auf reale Unterrichtsverhältnisse im Wortlaut aufgegriffen: „Wir erleben hier die immer wiederkehrende Tatsache, wie das Kind eine gewitterte vermeintliche oder tatsächliche Schwäche seiner Erzieher erbarmungslos ausnützt.“[76]

7.6      Ein Blick auf Kindheiten von Flüchtlingskindern

Die bisherigen Ausführungen bezogen sich mehrheitlich auf pädagogische Reflexionen hinsichtlich Kind und Kindheit Schreibstuben von Pädagoginnen und Pädagogen oder in behüteten Kontexten Europas. Nun soll ein kurzer Blick auf ausgewählte Kindheiten der jüngsten Vergangenheit und Gegenwart geworfen werden. Aus den bisherigen Betrachtungen wird nachvollziehbar, dass Kindheiten jeweils in ihrem historischen Kontext begriffen werden müssen. Wenn in einer Königsfamilie nach fünf Mädchen „endlich“ ein Bube als Thronfolger das Licht der Welt erblickt, dann erlebt dieser offensichtlich eine andere Kindheit als ein Mädchen in einem Slum von Rio. Die Tagebücher von Anne Frank[77] verweisen neben anthropologischen Gemeinsamkeiten von Kindern und Jugendlichen darauf, dass Kindheiten genauso variieren, wie die Lebensformen von Erwachsenen. Die Kindersterblichkeit variiert je nach geographischer Lage und Sozialschicht.[78]

Migration und Entfremdung sind keine Novität unserer Tage. Im Jahre 1688 beschrieb der Mulhouser Arzt Johannes Hofer in seiner Dissertation das eigentümliche mal du Suisse oder in der Fachsprache morbus helveticus und bezeichnete damit das Heimweh. Heimatliche Lieder und Kuhreihen[79] wie z.B. ranz des vaches würden bei Schweizer Söldnern die Nostalgia auslösen und verleite sie zur Fahnenflucht. Der Naturforscher Johann Jakob Scheuchzer (1672-1733) vermutete, dass veränderte Luftdruckverhältnisse die Schweizer-Krankheit verursache.[80] Heimweh ist nicht nur eine Erfahrung von Erwachsenen sondern genauso von Kindern und Jugendlichen. Einen anderen Grund vermutete der Französische Chirurg Dominique Baron Larrey anfangs des 19. Jh. aufgrund der Sektion verstorbener Soldaten, die an der Nostalgia litten. Er beobachtete eine geschwollene und entzündete Hirnoberfläche.[81] Die Yverdoner Encyclopédie von 1774 definierte die malade du pays, als eine Krankheit die tödlich verlaufen könne oder durch Hoffnung auf Heimkehr heilbar sei. Der Psychiater und Philosoph Karl Jaspers (1883-1969) promovierte 1909 mit einer Dissertation zum Thema „Heimweh und Verbrechen“. Er untersuchte junge Mädchen, die fern von ihrer Heimat in fremden Haushalten zu arbeiten gezwungen waren und durch Brandstiftungen und Kindermord straffällig wurden. Sie waren von der Hoffnung getrieben, damit eine Rückkehr in die Heimat erzwingen zu können.[82]

Im 20. Jh. wandelte sich die Schweiz vom Armenhaus Europas mit Emigrationswellen aufgrund wirtschaftlicher Prosperität und der nichtmilitärischen Involvierung in die beiden Weltkriege zu einem Land mit Immigrationsbewegungen. Hinter den Einwanderungsgründen standen unzählige Motive und Schicksale. Die Flucht vor Kriegshandlungen und Tötung war für Verfolgte die einzige Möglichkeit zu überleben. Berichte von Flüchtlingskindern zeigen unterschiedliche Erfahrungen. Die einen erlebten die reine Erleichterung und andere konnten sich kaum zurechtfinden. Dabei ergaben sich bei Alltäglichkeiten Missverständnisse und Fehldeutungen. Binjamin Wilkomirski, ein Überlebender des Holocaust, überstand die Internierung in einem Konzentrationslager und lebte von 1939-1948 in der Schweiz. In seiner Biographie berichtet er von einer Schulstunde. Die Lehrerin zeigte ein Bild von Wilhelm Tell, wie er mit der Armbrust dem Walterli den Apfel vom Kopfe schoss. Auf die Frage der Lehrerin, was er denn da sehe, antwortete er angstergriffen: „Ich sehe einen SS-Mann…“ Binjamin reagierte augenblicklich mit Panik, weil er sich an die Misshandlungen, Folterungen und Erschiessungen von Kindern erinnerte. Die Klassenkameraden verlachten ihn und die Lehrerin beschimpfte Binjamin wütend.[83]

Den allermeisten Berichten ist gemeinsam, dass die Flüchtlingskinder die Schule als wohlgeordnete, sichere und gut eingerichtete Institution erlebten. Die Lehrpersonen waren korrekt, meistens freundlich, wohlwollend und unterstützend. Allerdings fehlte in der Regel eine Bewusstheit und Sensibilität für das Erlebte der Kinder, weil dies vollkommen außerhalb des Gewohnten und der eigenen Sprache sowie der Lebenswirklichkeit hierzulande lag. Die Allgemeinheit wusste kaum Bescheid über die Verhältnisse der Verschleppten in den Konzentrationslagern. Die biographischen Berichte verweisen auf die zentrale Funktion von Kindergarten und Schule zur Integration.[84] Der schweizerische Pfadfinderbund publizierte 1946 ein Buch mit dem Titel: „Kriegsgeschädigte Kinder bringen Glück und Freude in unser Land.“[85] Zentrale Argumentationen zur Beherbergung von Kriegskindern und Verfolgte werden aus Pestalozzis Schriften aufgegriffen.[86] Darin wird über Kinderschicksale,[87] gemeinsame Pfadilager[88] sowie fröhliche Lagergeschichten berichtet.[89]

Diese Darstellung von Flüchtlingskindheit wollte einen Einblick in eine Art von Kindheit in der Schweiz gewähren. Andere Kindheitsgeschichten erzählen von sogenannten deutschen Besatzungskindern, die Kinder der Schande. Sie entstammen der Beziehung zwischen einer einheimischen Frau mit einem Besatzungssoldaten, z.B. in der Zeit der Besetzung Frankreichs durch die deutsche Wehrmacht. Dieses Phänomen kennen alle Länder, die von Kriegen heimgesucht werden. Schwängerung wird in Kriegen als Strategie der Usurpation bis in die jüngste Vergangenheit praktiziert. Aus Angst vor Diskriminierung und Scham verschweigen und verschweigen die meisten dieser Kinder ihre Herkunft. Diese Menschen waren 2023, als dieser Beitrag entstand ca. 71 Jahre alt. Es ist von einer Anzahl von 200‘000 Kinder der Schande auszugehen.[90] Heute wird der Begriff in der Öffentlichkeit nicht mehr verwendet.

Den Abschluss des Kapitels über Kind und Kindheit bildet ein Blick auf eine Form außer familiärer früher Kindheit, die bei Geschichten zur Pädagogik gerne vernachlässigt wird. Wer ein Phänomen aus einer historischen Perspektive nachzeichnen will, sollte sich bewusst sein, dass wir immer ein Vorverständnis an ein zu untersuchendes Phänomen herantragen, wir schauen gewissermaßen mit einer gefärbten Brille auf einen Gegenstand. Wenn wir uns über Betreuung in früher Kindheit unterhalten, ist das auch so. Da gucken wir gerne mit einer normativ geprägten Sicht auf Familie. Unsere Vorstellungen von Familie kreisen um traditionelle Ausprägungen der bürgerlichen Kernfamilie: Vater, Mutter und Kinder. Unser Vorverständnis einer Sache ist weder gut noch schlecht, sondern, wir sollten uns dessen bewusst sein. So können wir bei einer historischen Betrachtung unseren Blick adjustieren. Die Rekonstruktion einer Geschichte von Kindheit darf nicht darüber hinwegsehen, dass sich frühe Kindheit in verschiedenen Settings ereignete und sehr unterschiedliche Qualitäten aufwies.

7.7      Das Ammenwesen, eine Form Ausserfamiliärer früher Kindheit

Im Volksmund wird, wenn jemand eine unglaubwürdige, fantasiegeschwängerte und leicht befremdliche Erklärung für einen Sachverhalt von sich gibt, mit dem Kommentar bedient: „Erzähl doch keine Ammenmärchen.“ Dieser Begriff geht auf das 18. Jh. zurück. Mit spontan erfundenen Geschichten versuchten Ammen die Kinder zu beruhigen, indem sie sie ablenkten, unterhielten oder ängstigten. Bis in die Zeit in der sich eine Vorstellung bürgerlicher Familie zu präformieren begann, war es in vielen Großstädten weit verbreitet, dass Wohlhabende ihre Kinder bis zum dritten Lebensjahr einer Säugamme übergaben. 1780 beklagte der Pariser Polizeichef die Gewohnheit von nicht nur reichen Frauen, dass von ca. 21‘000 Neugeborenen, 17‘000 zu einer Säugamme aufs Land geschickt wurden, 2000-3000 kamen in Kinderheime, 700 wurden im eigenen Haus von einer Säugamme versorgt und 700 sollen von den eigenen Müttern gestillt und groß gezogen worden sein.[91]

In Hamburg lebten im letzten Viertel des 18. Jh. auf eine Gesamtbevölkerung von ca. 90‘000 zwischen 4000-5000 Ammen.[92] Diese Zahlen können insofern plausibilisiert werden, als Säugamme und Kindermagd eine weit verbreitete Frauenbeschäftigung war. Ammen beherbergten oft eine große Schar an Pensionären, die sie oft nur schwerlich zu bändigen vermochten. Aus Berichten geht hervor, dass sie die Kinder dadurch managen konnten, indem sie sie mit Alkohol oder Opiaten (Mohn) getränkten Lutschbeutelchen (Zulp, Nutzschbeutel, Nutschel; heute nennen wir das Nuggi oder Schnuller) zur Ruhe brachten. Diese Praxis wurde bis in die neuste Geschichte gepflegt. Zum Schlafen wurden die Kinder neben oder in das Bett der Amme gelegt, damit sie schnell zur Brust genommen werden konnten. Nicht wenige Kinder fanden durch Erdrücken und Ersticken den Tod. Eine technische Erfindung, eine Latte mit Einbuchtung oder der geflochtene Ammenkorb sollte dem Erstickungstode vorbeugen. Mit dem Stoßen der Zähne wurden die Säuglinge entwöhnt und mit einem an der Spitze geöffneten Kuhhorn ernährt.[93]

Die Weggabe von Säuglingen an Ammen wurde schon sehr früh praktiziert. Im Mittelalter war sie sehr verbreitet – obwohl von kirchlicher Seite die stillende Gottesmutter Maria mit Jesus, die mütterliche Hingabe an sich verkörperte.[94] Allgemein wurde davor gewarnt, den Kindern die Milch kranker und geistig abnormer Ammen zu geben, weil man glaubte, Charaktereigenschaften würden durch die Milch übertragen. Eine Amme, die einen Sohn gebar, soll über die bessere Milch verfügen, als die Mutter eines Mädchens.[95] Laut Quellen sei es nicht ganz eindeutig belegbar, inwiefern mittelständische Frauen, die Dienste von Ammen in Anspruch nahmen. Bei Bäcker-, Seidenweber- und Metzgersfrauen, die ihren Männern beim Beruf zur Seite standen, wissen wir, dass sie die Kinder Ammen anvertrauten.[96] Wir können uns unschwer vorstellen, dass die Kinder auf Gedeih und Verderben den Ammen ausgeliefert waren. Autoren didaktischer Schriften und Ratgebern, forderten die Eltern auf, ihre Kinder wiederholt zu besuchen und die Verhältnisse zu kontrollieren.[97] Unverheiratete Frauen waren es, die sich öffentlich ablehnend gegenüber dem Stillen äußerten, das taten sie grundsätzlich in ihrer Skepsis gegenüber Ehe und Zeugung.[98] Im 18. Jh. waren es vor allem wirtschaftliche Gründe, die die Leute motivierten, Ammendienste aufzusuchen.[99] Das Ansehen von Ammen variierte zwischen den Kulturen, in einigen Gebieten genossen sie ein sehr hohes Ansehen, weil sie ein wichtiges Amt erfüllten.[100]

In der Schweiz begann sich erst in der zweiten Hälfte des 18. Jh. ein Ammenwesen in den Städten zu etablieren. Es bildete sich nie so breitflächig aus, wie wir das aus Paris oder Hamburg berichteten. Ein Arzt oder eine Hebamme hatte zu entscheiden, ob eine Mutter als Saugamme dienen konnte. Rudolf Abraham Schiferli (1775–1837) war Leiter der Hebammenschule sowie Professor für Chirurgie und Gynäkologie in Bern.[101] In seinem „Handbuch der Hebammenkunst“ formulierte Schiferli hohe Anforderungen an eine Amme. Sie musste wohlgebildet (von guter Gestalt) sein, über eine gesunde Gesichtsfarbe, gesunde Zähne, gute Milch verfügen und ihr Kind soll gesund sein. Ihr Verhalten soll wohlgesittet und frei von heftigen Leidenschaften sein und sie darf während der Säugezeit keinen Umgang mit dem männlichen Geschlecht pflegen.[102] Das Ammenwesen war eher in den Städten und in den höheren Schichten verbreitet.[103]

Zum Abschluss kehre ich zu den Ammenmärchen zurück. Ein Eintrag im „Universal-Lexicon der Erziehungs- und Unterrichts-Lehre für ältere und jüngere christliche Volksschullehrer“ [104] von M. C. Münch aus dem Jahre 1840 in Augsburg, zeigte, dass das Ammenwesen für die Schulpädagogik kein geringes Problem darstellte, ansonsten hätte es wohl kaum in ein Lexikon aufgenommen werden müssen: Sind die Kinder durch erdichtete Erzählungen, Ammenmärchen und Geistergeschichten abergläubisch und furchtsam gemacht, so mache sie der Lehrer vertraut mit den Gesetzen der Natur; denn nichts kann sie dann sicherer heilen, als die Kenntnis der Natur und ihrer Gesetze.

7.8      Schluss

Mit diesen Darlegungen sollte verdeutlicht werden, dass wir nicht von dem Kind oder der Kindheit reden können. Es wird verständlich, dass sich Kindsein zu verschiedenen Zeiten und geographischen Lagen genauso unterschiedlich gestaltete wie heute. Pauschalzuschreibungen sind für früher genauso falsch und irreführend wie heute. Ebenso konnte begreiflich gemacht werden, dass die gerne hervorgebrachte Rede früher war es besser aus einer quellengestützten Perspektive unzutreffend ist. Genauso ist die Rede früher war es schlechter falsch. Es gilt, die einzelnen Phänomene und Prozesse in ihrem Gewordensein und ihrem Kontext zu betrachten sowie das eigene Vorverständnis davon zu analysieren. Wenn wir heute von Kindheit reden, so bedeutet das etwas Anderes als um 1284, um 1646 und 1835 und genauso ist das Ammenwesen im vorrevolutionären Paris anders als im calvinistischen Genf, im zwinglianischen Zürich, im katholischen Luzern oder im Schächental. Diese Vorsicht hinsichtlich der Beurteilung historischer Erscheinungen gilt es ebenso bei der Beurteilung gegenwärtiger Vorkommnisse zu pflegen.

Endnoten

[1] vgl. Kelle, 2009, 464f.

[2] Lenzen, 1989, 855

[3] vgl. ebd. 845

[4] vgl. Kelle, 2009, 466ff.

[5] Die Ontogenese beschreibt die Entwicklung eines Individuums und dessen biologischen und psychologischen Eigenschaften. Die Phylogenese beschreibt die Entwicklung des Menschen als Gattungswesen, also die Entwicklung der Menschheit.

[6] Ital. Kleines Knäblein. Wir treffend Putten in verschiedenen Formen von Puttenengeln an.

[7] vgl. Sager, 2007, 13

[8] NZZ, Fokus, 2006, 35

[9] Memmer, 2007

[10] Dieses Phänomen wurde durch Konrad Lorenz (1903-1989) in den Jahren um 1943 erforscht. In der Filmindustrie sorgte das Babyface für einigen Erfolg.

[11] vgl. Eibl-Eibesfeldt, 1997, 99f.

[12] Paul Häberlin war 1904-1909 Direktor des Lehrerseminars Kreuzlingen und nachher Professor für Philosophie mit den Schwerpunkten Psychologie und Pädagogik.

[13] Häberlin, 1966, 30

[14] Pestalozzi, 1927

[15] Pestalozzi, 1932

[16] Pestalozzi, 1975, 49

[17] Genesis, 22, 1-19 Bibel

[18] Matthäusevangelium, 2, 16 Bibel

[19] vgl. Ritzmann/Tröhler, 2009, 13

[20] vgl. Pawlowsky, 1992, 20f.

[21] Pestalozzi, 1930, 5-181

[22] vgl. Pestalozzi, 1930, 78

[23] vgl. ebd. 83

[24] vgl. ebd. 93

[25] vgl. ebd. 94

[26] vgl. Ritzmann/Tröhler, 2009, 9f.

[27] vgl. ebd. 11

[28] Hiemesch, W. 2010

[29] Historiographie bezeichnet Formen, Inhalte, Methoden, die Art und Weise der Geschichtsschreibung. Die Vergangenheit können wir anhand verschiedener Zeugen bzw. Quellen untersuchen. Wenn von Pädagogik die Rede ist, dann interessieren schriftlich-literarische Zeugnisse zu Erziehung und Bildung. Stehen professionsgeschichtliche Interessen im Vordergrund, dann sind all die Ereignisse und Meilensteine bedeutsam, die zur Etablierung einer Berufsgattung beitrugen. Wenn uns die Entstehung von Institutionen interessiert, dann fragt man danach, wie diese entstanden und sich legitimierten sowie sich etabliert und gewandelt haben.

[30] Artefakt bezeichnet einen Gegenstand, der durch Menschen erschaffen, bzw. konstruiert wurde. Das Phänomen tritt nicht natürlich – ohne menschliches Dazutun auf. Ein solches Artefakt in der Forschung kann durch unbewusste mentale Konzepte, methodische Vorgehensweise, die Quellen oder den Mainstream entstehen.

[31] Ariès, 2011, 45f.

[32] vgl. Kümper 2008, XXIX

[33] Von Eyb. 2008, 31

[34] ebd. 33

[35] ebd. 35

[36] ebd. 35

[37] ebd. 35

[38] ebd. 45

[39] vgl. Rousseau, 1991, 72

[40] vgl. Oelkers, 2009, 11ff.

[41] vgl. Rousseau, 1991, 10, 62ff.

[42] vgl. Oelkers, 2009

[43]Rousseau, 1991, 9

[44] vgl. Malinowski, 1978, 250f.

[45] vgl. Straus, 2001

[46] Rousseau, 1991, 12f.

[47] vgl. ebd. 502

[48] vgl. ebd. 503

[49] vgl. Bürkler/Hürlimann, 2011, 9

[50] vgl. Jahnke/Meyerhöfer, 2008

[51] vgl. Frost, 2006

[52] Das Konkordat "Interkantonale Vereinbarung über die Harmonisierung der obligatorischen Schule" (HarmoS-Konkordat) harmonisiert national Dauer und die wichtigsten Ziele der Bildungsstufen und die Übergänge.

[53] http://www.harmos-durch-die-hintertür.ch/was-ist-harmos/index.html

[54] vgl. Berg, 2004, 503

[55] Fröbel, 1951, 79f.

[56] vgl. Berg, 2004, 504

[57] vgl. ebd. 506

[58] Montessori, 1952, 303

[59] Key, 1978, 79

[60] Erziehung und Formung schöner Kinder

[61] vgl. Key, 1978, 28ff.

[62] Montessori, 1971, 522

[63] vgl. Oelkers, 2005, 121

[64] Die Kombination von a) Mythisierung des Kindes sowie b) die Idealisierung gesellschaftsentrückter Lebensformen in der Form pädagogischen Provinzen trieben an ihren Rändern sowohl literarisch als auch praktisch bizarre Blüten. Die Rede ist vom pädagogischen Eros und die Praxis pädagogischer Provinzen. Sie bilden den Nährboden und die Deckideologie für sexuelle Übergriffe von Erziehern auf die Kinder (vgl. Oelkers, 2010).

[65] Boas, 1990

[66] vgl. Tröhler, ohne Jahreszahl, 79

[67] Die Bibel, Salomon, Buch der Sprüche Kap. 13,24

[68] vgl. von Eyb, 2008, 35

[69] vgl. Kant, 1983b, 719

[70] vgl. ebd. 739

[71] vgl. ebd. 746

[72] vgl. ebd. 753

[73] ebd. 753

[74] Kant, I. 1983a, 675-694

[75] Göppel, 1989

[76] Staatsarchiv des Kantons Thurgau: Inspektionsbericht, 1954/55

[77] Baum, 1957

[78] vgl. Rett, 1987

[79] Historisches Lexikon der Schweiz: Kuhreihen. www.hls-dhs-dss.ch (17.09.2011)

[80] Historisches Lexikon der Schweiz: Heimweh. www.hls-dhs-dss.ch (17.09.2011)

[81] vgl. von Klitzing, 1991, 96

[82] vgl. ebd.

[83] vgl. Truniger, 1998, 177

[84] vgl. Truniger, 1998, 175ff.

[85] Schweizerischer Pfadfinderverlag, 1946

[86] vgl. ebd. 8ff.

[87] vgl. ebd. 35ff.

[88] vgl. ebd. 87ff.

[89] vgl. ebd. 177ff.

[90] Picaper/Nortz, 2004

[91] vgl. de Mause, 1980, 60

[92] vgl. Shahar, 2003, 70

[93] vgl. Weber-Kellermann, 1979, 44f.

[94] vgl. Shahar, 2003, 72

[95] vgl. Shahar, 2003, 71

[96] vgl. ebd. 73

[97] vgl. ebd. 81

[98] vgl. ebd. 84

[99] vgl. ebd. 85

[100] vgl. Hugger, 1998, 22

[101] Historisches Lexikon der Schweiz: Rudolf Abraham Schiferli. www.hls-dhs-dss.ch (18.09.2011)

[102] vgl. Zürcher, 1998, 141

[103] vgl, ebd. 143

[104] http://bbf.dipf.de/kataloge/bibliothekskatalog/digibert.pl?id=BBF0439143

7.9      Literatur

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Zürcher, U. (1998): Von Hebammen und Ammen. In: P. Hugger (Hrsg.): Kind sein in der Schweiz. Zürich: Offizin Verlag, 139-148

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Miller Damian, Prof. Dr. absolvierte die Ausbildung zum Primarlehrer und zu Organisationsentwicklung. Studium: Psychologie, Pädagogik und Zivilrecht Universität Zürich. Dissertation zu Herman Nohls „Theorie“ des pädagogischen Bezugs. Heute arbeitet er als Dozent und Forscher an der Pädagogische Hochschule Thurgau (PHTG, Schweiz). Arbeitsschwerpunkte: Bildungsgeschichte und Bildungspolitik. Publikationen zusammen mit Jürgen Oelkers: "Reformpädagogik nach der Odenwaldschule - wie weiter?", "Ist Dummheit lernbar? Re-Lektüren eines pädagogischen Bestsellers", "Selbstgesteuertes Lernen: Interdisziplinäre Kritik eines suggestiven Konzepts", "Wem gehört die Schule?" Aktuelle Forschungsprojekte: "Schule findet statt - trotz Corona" und "KSA - Kindergärtnerinnenseminar Amrisiwil 1975-2005".