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Zitiervorschlag

Wenn deutsche Kinder in Kitas zur Minderheit werden...

Martin R. Textor

 

Unbemerkt von der Öffentlichkeit – und selbst von großen Teilen der Fachöffentlichkeit – hat die Zuwanderung in den letzten Jahrzehnten dazu geführt, dass in vielen Kindertageseinrichtungen Kinder mit Migrationshintergrund in der Überzahl sind. Bevor darauf detaillierter eingegangen wird, sollen zunächst relevante Daten für die Bundesrepublik Deutschland und die einzelnen Bundesländer vorgestellt werden.

Die Statistischen Ämter des Bundes und der Länder (2016) definieren ein Kind mit Migrationshintergrund als eine Person, bei der mindestens ein Elternteil ausländischer Herkunft ist. Laut nachstehender Tabelle hatten am 1. März 2015 in Deutschland 19,4 % der unter Dreijährigen und 28,9 % der Drei- bis Sechsjährigen, die sich in Kindertagesbetreuung befanden, Eltern mit ausländischem Herkunftsland. Der Unterschied zwischen den beiden Zahlen zeigt, dass Eltern mit Migrationshintergrund unter dreijährige Kinder seltener als deutsche Eltern betreuen lassen – die jeweiligen Betreuungsquoten lagen bei 22 bzw. 38 % (Statistisches Bundesamt 2016a). Auch bei den Kindern im Alter von drei bis unter sechs Jahren differierten die Betreuungsquoten, allerdings mit 90 versus 97 % nicht mehr ganz so stark (a.a.O.). Für die Argumentationskette in diesem Artikel ist deshalb vor allem die Altersgruppe der Drei- bis unter Sechsjährigen relevant; nur auf sie wird im Folgenden noch Bezug genommen.

Kinder in Kindertageseinrichtungen sowie Kinder in öffentlich geförderter Kindertagespflege, die nicht zusätzlich eine Kindertageseinrichtung besuchen, am 1. März 2015 (Statistische Ämter des Bundes und der Länder 2016)

Bundesland

Anteil unter Dreijähriger mit ausländischem Herkunftsland mindestens eines Elternteils

Anteil der Kinder im Alter von drei Jahren bis zum Schuleintritt mit ausländischem Herkunftsland mindestens eines Elternteils

Baden-Württemberg

27,5 %

37,7 %

Bayern

21,0 %

27,7 %

Berlin

25,3 %

34,4 %

Brandenburg

4,9 %

6,9 %

Bremen

29,7 %

47,0 %

Hamburg

31,6 %

41,4 %

Hessen

29,5 %

41,7 %

Mecklenburg-Vorpommern

4,2 %

5,8 %

Niedersachsen

15,6 %

22,9 %

Nordrhein-Westfalen

25,3 %

35,0 %

Rheinland-Pfalz

26,5 %

33,7 %

Saarland

21,3 %

29,1 %

Sachsen

4,9 %

7,4 %

Sachsen-Anhalt

4,2 %

6,5 %

Schleswig-Holstein

14,0 %

19,9 %

Thüringen

4,7 %

6,5 %

Deutschland

19,4 %

28,9 %

Westdeutschland

24,0 %

32,8 %

Ostdeutschland (mit Berlin)

9,3 %

13,3 %

Laut der Tabelle hatte in Westdeutschland bereits jedes dritte Kind im Alter von drei Jahren bis zum Schuleintritt, das sich am 1. März 2015 in Kindertagesbetreuung befand, mindestens einen Elternteil mit ausländischem Herkunftsland (in Ostdeutschland waren es nur 13,3 %). In Bremen traf dies mit 47,0 % schon fast auf die Hälfte der Kinder zu; über 40 % lagen noch Hamburg und Hessen. In Baden-Württemberg hatten knapp 38 % und in Nordrhein-Westfalen 35 % der Kinder mindestens einen aus dem Ausland stammenden Elternteil.

In vielen kreisfreien Städten und einigen Landkreisen haben bereits mehr als 50 % der Kinder im Alter von drei Jahren bis zum Schuleintritt, die sich in Kindertagesbetreuung befinden, mindestens einen Elternteil mit ausländischem Herkunftsland. Laut den Statistischen Ämtern des Bundes und der Länder (2016) waren dies am 1. März 2015

  • die kreisfreie Stadt Heilbronn mit 67,8 %,
  • die kreisfreie Stadt Ludwigshafen am Rhein mit 65,4 %,
  • die kreisfreie Stadt Frankfurt am Main mit 65,2 %,
  • die kreisfreie Stadt Offenbach am Main mit 64,3 %,
  • die kreisfreie Stadt Pforzheim mit 61,3 %,
  • die kreisfreie Stadt Schweinfurt mit 60,5 %,
  • die kreisfreie Stadt Mannheim mit 56,3 %,
  • die kreisfreie Stadt Wiesbaden mit 56,3 %,
  • die kreisfreie Stadt Augsburg mit 55,8 %,
  • der Landkreis Groß-Gerau mit 55,6 %,
  • die kreisfreie Stadt Nürnberg mit 55,2 %,
  • die kreisfreie Stadt Hamm mit 54,0 %,
  • die kreisfreie Stadt Stuttgart mit 52,9 %,
  • die kreisfreie Stadt Kassel mit 51,1 %,
  • die kreisfreie Stadt Gelsenkirchen mit 50,7 %,
  • die kreisfreie Stadt Bielefeld mit 50,2 % und
  • der Landkreis Offenbach mit 50,1 %.

In diesen kreisfreien Städten und Landkreisen sind Kinder mit zwei in Deutschland geborenen Eltern bereits eine Minderheit. Dabei ist zu bedenken, dass sich unter ihnen auch Kinder mit Migrationshintergrund im weiteren Sinne befinden: So gab es am 1. März 2015 laut dem Statistischen Bundesamt (2016b, S. 63) 21.663 Kinder im Alter von drei bis unter sechs Jahren in Kindertageseinrichtungen, bei denen beide Eltern wohl in Deutschland geboren sind, in deren Familien aber nicht vorrangig Deutsch gesprochen wird. Sie sind Teil einer noch größeren Gruppe: der Kinder der dritten Migrantengeneration (also mit mindestens einem Großelternteil mit ausländischem Herkunftsland). In vielen Familien dieser Kinder wird kein perfektes Deutsch gesprochen bzw. wird noch die Herkunftskultur gelebt (oft inkl. einer nichtchristlichen Religion).

Berücksichtigt man die Kinder mit Migrationshintergrund im weiteren Sinne, so kann man davon ausgehen, dass deutsche Kinder eine Minderheit unter den tagesbetreuten Kindern auch in den 21 kreisfreien Städten und Landkreisen bilden, in denen 45 bis unter 50 % der Kinder im Alter von drei Jahren bis zum Schuleintritt mindestens einen Elternteil mit ausländischem Herkunftsland haben – und vielleicht sogar in Kreisen mit einem Anteil von 40 bis unter 45 %. Und dann sind noch nicht die Flüchtlingskinder im Kleinkindalter berücksichtigt, die erst im Verlaufe des Jahres 2015 nach Deutschland kamen und ab 2016 einen Betreuungsplatz in Anspruch nehmen (die vorgenannten Statistiken hatten den Stand vom 1. März 2015).

Alle Bevölkerungswissenschaftler/innen rechnen damit, dass die Zahl der von deutschen Eltern geborenen Kinder in den kommenden Jahrzehnten zurückgehen wird, da immer kleinere Geburtsjahrgänge in das Zeugungsalter kommen werden und die Zahl der Kinder je Frau schon seit längerer Zeit mit 1,4 konstant ist. Insbesondere bei einer hohen Zuwanderung dürfte dann der Anteil der Kinder mit in Deutschland geborenen Eltern (und Großeltern) an allen tagesbetreuten Kindern weiter sinken.

Nachtrag

Zum 01.03.2020 hatten laut Statistischem Bundesamt (2020) 22,6 % der Kinder im Alter von 0 bis unter drei Jahren, die sich in Kindertagesbetreuung befanden, mindestens einen Elternteil mit ausländischer Herkunft (156.711 von 695.048 Kindern). Fünf Jahre zuvor waren es erst 19,4 % (siehe Tabelle). In den Familien von 96.395 Kindern mit Migrationshintergrund wurde nicht vorrangig Deutsch gesprochen (13,9 % aller betreuten Kinder). Dazu kamen weitere 9.968 unter Dreijährige, deren Eltern wohl in Deutschland geboren worden waren, in deren Familien aber eine andere Sprache als Deutsch gesprochen wurde.

Von den 2.538.861 Drei- bis unter Siebenjährigen in Kindertagesbetreuung hatten 31,0 % einen Migrationshintergrund (786.732 Kinder); fünf Jahre zuvor waren es erst 28,9 % (siehe Tabelle). 535.492 dieser Kinder (21,1 % aller betreuten Kinder) kamen aus einer Familie, in der nicht vorrangig Deutsch gesprochen wurde. Aber auch 54.861 Drei- bis unter Siebenjährige mit in Deutschland geborenen Eltern sprachen in ihrer Familie vorrangig eine andere Sprache. Fünf Jahre zuvor waren es erst 21.663 Kinder (s.o.).

Literatur

Statistische Ämter des Bundes und der Länder (2016): Kindertagesbetreuung regional 2015. Ein Vergleich aller 402 Kreise in Deutschland. Wiesbaden

Statistisches Bundesamt (2016a): Betreuungsquote von Kindern unter 6 Jahren mit und ohne Migrationshintergrund. https://www.destatis.de/DE/Themen/Gesellschaft-Umwelt/Soziales/Kindertagesbetreuung/Tabellen/betreuungsquote-migration-unter6jahren-aktuell.html (09.05.2016)

Statistisches Bundesamt (2016b): Statistiken der Kinder- und Jugendhilfe. Kinder und tätige Personen in Tageseinrichtungen und in öffentlich geförderter Kindertagespflege am 01.03.2015. Wiesbaden

Statistisches Bundesamt (2020): Statistiken der Kinder- und Jugendhilfe. Kinder und tätige Personen in Tageseinrichtungen und in öffentlich geförderter Kindertagespflege am 01.03.2020. Wiesbaden

Autor

Dr. Martin R. Textor studierte Pädagogik, Beratung und Sozialarbeit an den Universitäten Würzburg, Albany, N.Y., und Kapstadt. Er arbeitete 20 Jahre lang als wissenschaftlicher Angestellter am Staatsinstitut für Frühpädagogik in München. Von 2006 bis 2018 leitete er zusammen mit seiner Frau das Institut für Pädagogik und Zukunftsforschung (IPZF) in Würzburg. Er ist Autor bzw. Herausgeber von 45 Büchern und hat 770 Fachartikel in Zeitschriften und im Internet veröffentlicht.
Homepage: https://www.ipzf.de
Autobiographie unter http://www.martin-textor.de