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Zitiervorschlag

Der Rechtsanspruch auf frühkindliche Förderung in Tageseinrichtungen und Kindertagespflege: Inhalt und Folgen bei Nichterfüllung

Janna Beckmann und Thomas Meysen

 

Ab dem 1. August 2013 haben Kinder ab Vollendung des ersten bis zur Vollendung des dritten Lebensjahrs einen Anspruch auf frühkindliche Förderung in Tageseinrichtungen und Kindertagespflege (§ 24 Abs. 2 SGB VIII, Fassung ab Aug. 2013).

Anspruch auf Förderung

Der Anspruch besteht auf frühkindliche Förderung. Grundsätze der Förderung sind in § 22 SGB VIII geregelt. Gefördert werden soll die Entwicklung des Kindes zu einer eigenverantwortlichen und gemeinschaftsfähigen Persönlichkeit (§ 22 Abs. 2 Nr. 1 SGB VIII). Der Förderungsauftrag umfasst die Erziehung, Bildung und Betreuung des Kindes und bezieht sich auf die soziale, emotionale, körperliche und geistige Entwicklung des Kindes (§ 22 Abs. 3 S. 1 SGB VIII). Für das Gelingen der Förderung mit allen drei Bestandteilen ist Grundvoraussetzung eine gelingende Beziehung zwischen Kind und Betreuungsperson. Diese erfordert ein Mindestmaß an qualitativen Ressourcen, vor allem im Hinblick auf die Qualifizierung der Betreuungspersonen, die Gruppengrößen und den Fachkraft-Kind-Schlüssel (vgl. hierzu ausführlich: Meysen/ Beckmann 2013).

Wunsch- und Wahlrecht

In der Kinder- und Jugendhilfe haben die Leistungsberechtigten das Recht, zwischen Einrichtungen und Diensten verschiedener Träger zu wählen und Wünsche hinsichtlich der Gestaltung der Hilfe zu äußern (§ 5 Abs. 1 S. 1 SGB VIII). Eltern können daher für ihre Kinder eine bestimmte Tageseinrichtung oder Kindertagespflegestelle auswählen, sofern in dieser ein Platz frei ist. Darüber hinaus können Eltern auch ganz allgemein bestimmen, in welcher der beiden Arten der Tagesbetreuung - Förderung in Tageseinrichtungen oder in Kindertagespflege - sie ihr Kind fördern lassen wollen. Denn der Rechtsanspruch richtet sich auf frühkindliche Förderung in einer Tageseinrichtung oder in Kindertagespflege (§ 24 Abs. 2 Satz 1 SGB VIII, Fassung ab Aug. 2013).

Voraussetzung ist allerdings, dass in der gewünschten Betreuungsform, Einrichtung oder Kindertagespflegestelle freie Plätze zur Verfügung stehen. Wenn dagegen beispielsweise in einer Tageseinrichtung kein weiterer Platz mehr zur Verfügung steht, kann die Kommune den Rechtsanspruch auch durch eine Förderung in Kindertagespflege erfüllen.

Jenseits des Einzelfalls ist der Träger der öffentlichen Jugendhilfe jedoch objektiv-rechtlich verpflichtet, die Wünsche der Leistungsberechtigten zu berücksichtigen. Er darf also, wenn z.B. in einem Landkreis Eltern größtenteils ausdrücklich eine Förderung in Tageseinrichtungen wünschen, aufgrund kommunalpolitischer Entscheidung nicht überwiegend Plätze in Kindertagespflege schaffen oder umgekehrt.

Umfang des Anspruchs

Alle Kinder haben unabhängig vom Vorliegen eines besonderen Bedarfs einen Förderungsanspruch, denn der Rechtsanspruch hat nach dem Gesetzeswortlaut neben dem entsprechenden Alter keine weiteren Voraussetzungen. Hieraus ergibt sich einerseits ein Grundanspruch für alle Kinder (Regelangebot) und andererseits ein Anspruch auf einzelfallindizierte zeitliche Erweiterung des Grundanspruchs oder alternative Betreuungszeiten im Fall eines anzuerkennenden individuellen Bedarfes des jeweiligen Kindes. Besteht ein solcher individueller Bedarf nicht, so genügt es, zur Erfüllung des Grundanspruchs ein Regelangebot von mindestens vier Stunden an allen Wochentagen vorzuhalten.

Soll die Betreuung über den Grundanspruch hinausgehen, richtet sich der zeitliche Umfang des Förderungsanspruchs nach dem individuellen Bedarf (§ 24 Abs. 2 Satz 2, Abs. 1 Satz 3 SGB VIII, Fassung ab August 2013). Als individueller Bedarf anzuerkennen ist beispielsweise die Berufstätigkeit der Eltern oder eine der Berufstätigkeit gleichzustellende Tätigkeit, etwa Aus- oder Weiterbildungen, Promotionen oder Sprachkurse. Aber auch ein Bedarf aus besonderen persönlichen Gründen wie Krankheit oder Pflege von Angehörigen und unter Umständen auch ehrenamtlicher Tätigkeit muss anerkannt werden, wenn dies einen Betreuungsbedarf außerhalb der Zeiten des Regelangebots zur Folge hat. Rein persönliche Freizeitinteressen der Eltern stellen dagegen keinen "individuellen Bedarf" im Sinne des Gesetzes dar (ausführlich zum Umfang des Rechtsanspruchs, den anzuerkennenden Bedarfen und Grenzen aus Gründen des Kindeswohls: Meysen/ Beckmann 2013).

Ist ein individueller Bedarf anzuerkennen, so besteht der Rechtsanspruch im jeweils benötigten Umfang und zu den jeweils benötigten Zeiten. In Betracht kommen daher auch Betreuungszeiten frühmorgens bzw. abends oder nur nachmittags. Dabei ist vor allem auch zu berücksichtigen, dass einige, vor allem alleinerziehende Eltern, auf abweichende Betreuungszeiten angewiesen sind, um einer Erwerbstätigkeit nachgehen zu können. Dies bedeutet in der Praxis, dass häufig ein bedarfsgerechtes Betreuungsangebot nur möglich ist, wenn die Träger von den bisherigen, teilweise recht starren Kernzeiten-Konzepten abweichende Betreuungsmöglichkeiten mit Förderungsqualität schaffen und der Träger der öffentlichen Jugendhilfe mit ihnen entsprechende Finanzierungskonzepte entwickelt.

Möglichkeiten zur gerichtlichen Durchsetzung bei Nichterfüllung des Rechtsanspruchs

Bietet der Träger der öffentlichen Jugendhilfe den Eltern keinen bedarfsgerechten und zumutbaren Betreuungsplatz für ihr Kind an, so können Erziehungsberechtigte einen solchen unter Umständen einklagen. Klagegegner ist jeweils der örtlich zuständige Träger der öffentlichen Jugendhilfe, also der Landkreis, die kreisfreie Stadt oder eine kreisangehörige Gemeinde oder Stadt mit eigenem Jugendamt.

Klage auf Schaffung eines Platzes

Ein Anspruch auf Schaffung eines Platzes besteht nur begrenzt. So kann ein nicht vorhandener Platz nach einer Entscheidung des OVG Schleswig Holstein (01.11.2000, 2 M 32/00) gerichtlich auch nicht zugesprochen werden. Allerdings dürfte es möglich sein, den Träger der öffentlichen Jugendhilfe gerichtlich dazu zu verpflichten, in einer vom Gericht gesetzten, angemessenen Frist einen Platz zu schaffen. Dieser kann dann aber rechtliche oder tatsächliche Gründe für Verzögerungen bei der Schaffung eines Platzes vortragen, z.B. wenn eine baurechtliche Genehmigung nicht zeitnah eingeholt werden kann.

Klage auf Zuweisung eines freien Platzes

Möglich ist auch eine Klage auf Zuweisung eines bestimmten freien Platzes. Voraussetzung ist, dass der Träger der öffentlichen Jugendhilfe diesen Platz auch tatsächlich anbieten könnte, was unproblematisch möglich ist, wenn es sich um einen Platz in einer von einer Stadt oder Gemeinde mit eigenem Jugendamt selbst betriebenen Einrichtung handelt. Ist dagegen in einer Tageseinrichtung eines freien Trägers oder bei einer Kindertagespflegeperson ein Platz frei, so kann der öffentliche Träger den freien Träger oder die Kindertagespflegeperson nur im Fall einer entsprechenden Leistungssicherstellungsverpflichtung anhalten, ein bestimmtes Kind aufzunehmen.

Klage auf Anweisung der ausführenden Stadt oder Gemeinde

Brauchen Eltern einen Platz in einer kreisangehörigen Stadt oder Gemeinde ohne eigenes Jugendamt, so müssen sie sich gleichwohl an den Landkreis als Träger der öffentlichen Jugendhilfe halten und gegebenenfalls diesen verklagen. Sind die Gemeinden im Innenverhältnis zum Landkreis zur Schaffung eines bedarfsgerechten Angebots verpflichtet und unterstehen insoweit der Rechts- und Fachaufsicht des Landkreises, so kann der Landkreis gerichtlich verpflichtet werden, die Stadt oder Gemeinde über das bestehende Auftragsverhältnis anzuweisen, das Kind im Falle eines freien Platzes aufzunehmen oder, wenn keine ausreichenden Plätze vorhanden sind, einen Platz zu schaffen (näher Meysen/ Beckmann 2013, Rn 385, 397 ff.).

Klage auf bedarfsgerechten Platz

Möglich ist außerdem eine Verpflichtungsklage auf einen Platz, der dem individuellen Bedarf entspricht, wie ihn die Eltern im Einzelfall für ihr Kind berechtigt geltend gemacht haben. Wird ein Platz mit Zeiten über das Regelangebot hinaus beansprucht, hat der Träger der öffentlichen Jugendhilfe den Bedarf aber nicht anerkannt, so können Eltern eine ablehnende Entscheidung des Jugendamtes gerichtlich überprüfen lassen.

Ansprüche auf finanzielle Entschädigung bei Nichterfüllung des Rechtsanspruchs

Anspruch auf Ersatz der Aufwendungen für einen selbst beschafften Betreuungsplatz

Sind Eltern gezwungen, sich selbst einen (zumutbaren und bedarfsgerechten) Betreuungsplatz zu organisieren, so können sie unter Umständen die dadurch entstandenen Kosten ersetzt verlangen. Richtungsweisend für einen Aufwendungsersatzanspruch ist eine Entscheidung des Oberverwaltungsgericht Rheinland-Pfalz, das einen solchen Anspruch auf das richterrechtliche Haftungsinstitut des Aufwendungsersatzes bei selbst beschaffter Leistung gestützt hat (Urteil vom 25.10.2012, 7 A 10671/12.OVG = JAmt 2012, 603). In Voraussetzungen und Rechtsfolgen entspricht dieser Ersatzanspruch im Wesentlichen denjenigen, die im Kinder- und Jugendhilferecht für eine zulässige Selbstbeschaffung von Hilfen zur Erziehung oder Eingliederungshilfe ausdrücklich normiert sind (§ 36a Abs. 3 SGB VIII). Die Herleitung der Haftung über den sogenannten Folgenbeseitigungsentschädigungsanspruch, über den die Vorinstanz (VG Mainz 10.05.2012, 1 K 981/11.MZ) noch gegangen war, vermag dagegen rechtsdogmatisch nicht zu überzeugen (vgl. Meysen/ Beckmann 2013, Rn 414 ff.).

Der Aufwendungsersatzanspruch hat folgende Voraussetzungen:

  • Die Eltern haben den Betreuungswunsch rechtzeitig an den Träger der öffentlichen Jugendhilfe herangetragen. Dafür genügt ein formloses Inkenntnissetzen. Da aber die Eltern die Beweislast tragen, kann eine schriftliche Bedarfsanmeldung oder sonstige Dokumentation sinnvoll sein. Melden Eltern ihren Bedarf lediglich bei der kreisangehörigen Stadt oder Gemeinde ohne eigenes Jugendamt an, so ist diese verpflichtet, die Anmeldung an den Träger der öffentlichen Jugendhilfe weiterzugeben. Nicht ausreichend ist dagegen, wenn sich Eltern lediglich direkt bei freien Trägern anmelden. An die Rechtzeitigkeit der Anmeldung sind keine großen Anforderungen zu stellen. Grundsätzlich kann der Bedarf daher auch noch relativ kurz vor dem gewünschten Betreuungsbeginn angemeldet werden. Lediglich für eine gewisse Übergangszeit ab Inkrafttreten des Rechtsanspruchs dürfte es angemessen sein, höhere Anforderungen an die Rechtzeitigkeit zu stellen, etwa eine mindestens dreimonatige Frist zur Bedarfsanmeldung. Teilweise bestehen aber landesrechtliche Anmeldefristen (z.B. zwei Monate in Berlin, drei Monate in Bayern, sechs Monate in Baden Württemberg). Diese sind einzuhalten. Ausnahmen sind jedoch zu machen, und kurzfristigere Anmeldung ist zu akzeptieren, wenn es sich um Bedarf handelt, der nicht länger voraussehbar war (z.B. bei Umzug oder neuer Arbeitsstelle).
  • Der Anspruch muss zu dem Zeitpunkt bestehen, zu dem die eigenen Aufwendungen getätigt werden: Das Kind muss also im Alter zwischen einem Jahr und drei Jahren alt sein, und der beanspruchte sowie selbst beschaffte Umfang muss dem individuellen Bedarf entsprechen.
  • Voraussetzung ist außerdem, dass die Erfüllung des Rechtsanspruchs keinen Aufschub duldet. Den Erziehungsberechtigten darf nicht zumutbar sein zu warten, bis ein Platz geschaffen wurde oder bis er hätte eingeklagt werden können. Wurde ein besonderer Bedarf wie die Aufnahme einer Berufstätigkeit rechtzeitig angemeldet und ist ohne das Angebot eines Platzes die Betreuung des Kindes nicht sichergestellt, so wird die Bedarfsdeckung bei rechtzeitiger Anmeldung jedenfalls keinen Aufschub dulden. Aber auch die Vorenthaltung eines Platzes im Regelangebot ohne besonderen individuellen Bedarf dürfte regelmäßig unzumutbar sein. Zwar gilt grundsätzlich, dass vor der Beschaffung einer Ersatzbetreuung die Eltern versucht haben müssen, den Anspruch auf einen Platz gerichtlich durchzusetzen (Vorrang des Primärrechtsschutzes). Dies gilt aber nur, wenn die Inanspruchnahme zumutbar ist, wenn also durch die gerichtliche Entscheidung tatsächlich rechtzeitig Abhilfe zu erwarten gewesen wäre. Gerade, wenn nicht genügend Plätze zur Verfügung stehen und auf Schaffung eines Platzes geklagt werden müsste, ist aber nicht absehbar, ob und wann die Erfüllung des Rechtsanspruchs tatsächlich gerichtlich erfolgen kann oder ob dem Träger der öffentlichen Jugendhilfe nur eine Frist für die Schaffung eines Platzes gesetzt werden kann. In der Regel duldet die Erfüllung des Rechtsanspruchs auf frühkindliche Förderung daher keinen Aufschub, da sie dem Kind im entsprechenden Lebensalter unwiederbringlich entgehen würde.

Sind die Voraussetzungen für den Aufwendungsersatzanspruch erfüllt, so sind die vollen tatsächlich entstandenen Kosten zu erstatten, die die Eltern gespart hätten, wenn der zuständige Träger der öffentlichen Jugendhilfe ihnen rechtzeitig einen zumutbaren, bedarfsentsprechenden Platz zur Verfügung gestellt hätte. Dabei gibt es für den Träger der öffentlichen Jugendhilfe keine Möglichkeit der Anspruchsbegrenzung auf den Betrag, den er selbst hätte aufwenden müssen, wenn er selbst geleistet hätte (OVG Nordrhein-Westfalen 30.01.2004, 12 B 2392/03 = JAmt 2004, 203; 14.03.2003, 12 A 122/02 = JAmt 2003, 479). Auch gilt der sogenannte Mehrkostenvorbehalt nicht. Der Träger der öffentlichen Jugendhilfe kann den Eltern, die er bei der Platzsuche allein gelassen hat, nicht entgegen halten, ein Platz, den er selbst zwar nicht angeboten hat, aber tatsächlich nicht anbieten konnte, wäre kostengünstiger gewesen. Die Eltern trifft lediglich eine Pflicht zu wirtschaftlichem Handeln, so dass sie z.B. aus mehreren nachweisbar möglichen selbst beschaffbaren zumutbaren Betreuungsangeboten das günstigere auswählen müssen.

Die Aufwendungen sind auch dann zu erstatten, wenn die Eltern ihr Kind etwa von den Großeltern betreuen lassen und diese dafür ein Entgelt verlangen. Dies gilt auch dann, wenn die qualitativen Voraussetzungen nicht den Ansprüchen des Jugendamts entsprechen, etwa entsprechende Qualifikationen zur Kindertagespflege nicht erworben wurden (aA: Wiesner/ Grube/ Kößler 2013, S. 37). Denn nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts ist es für den Aufwendungsersatz bei Selbstbeschaffung ausreichend, wenn die selbstbeschaffte Leistung zur Deckung des Bedarfs nicht völlig ungeeignet ist, etwa nur einen Teil des Leistungsanspruchs erfüllt (BVerwG18.10.2012, 5 C 21.11). Eine selbst beschaffte Betreuung stellt zumindest Teile einer Förderung sicher, indem sie jedenfalls die Betreuung und Teile einer Erziehung und Bildung beinhaltet. Auch hier ist bei der Höhe des Entgelts allerdings die Pflicht zu wirtschaftlichem Handeln zu berücksichtigen und können überhöhte Zahlungen an Verwandte oder Bekannte abgelehnt werden, insbesondere wenn sie sich nicht durch besondere Qualifikation für die Betreuungsaufgabe ausweisen.

Abzuziehen ist von den Aufwendungen für die Selbstbeschaffung sowohl der Betrag, den die Erziehungsberechtigten als Elternbeitrag hätten aufwenden müssen (§ 90 SGBVIII), wenn sie einen Platz zur Verfügung gestellt bekommen hätten, als auch das Betreuungsgeld, das sogar dann beansprucht werden kann, wenn das Kind zwar in einer Tageseinrichtung oder bei einer Kindertagespflegeperson gefördert wird, aber diese Förderung nicht öffentlich gefördert ist.

Haben die Eltern für ihr Kind privat eine Betreuung organisiert und bietet ihnen der Träger der öffentlichen Jugendhilfe nachträglich doch noch einen Betreuungsplatz an, so sind die Eltern nicht unbedingt verpflichtet, diesen Betreuungsplatz anzunehmen. Nach einer (mit der Berufung angegriffenen) Entscheidung des VG Mainz (08.11.2012, 1 K 715/12.MZ) lässt ein solches nachträgliches Angebot den Aufwendungsersatzanspruch zwar entfallen. Dabei wurden allerdings die Auswirkungen auf ein unter Umständen gerade eingewöhntes kleines Kind und die Eltern, die eine erneute Eingewöhnung durchführen müssen, nicht berücksichtigt. Hier wird bei der Frage, ob der Aufwand für die selbst beschaffte Leistung weiter vom Träger der öffentlichen Jugendhilfe zu übernehmen ist, darauf abzustellen sein, ob die jeweiligen Umstände des Einzelfalls einen Wechsel zumutbar erscheinen lassen. Zu berücksichtigen ist dabei z.B. das Alter des Kindes oder die noch verbleibende Zeit, bis ohnehin ein Wechsel stattfinden würde.

Anspruch auf Schadenersatz wegen Amtshaftung

Wird der Anspruch auf frühkindliche Förderung nicht erfüllt, steht den Eltern neben der Anspruchsgrundlage des Aufwendungsersatzanspruchs bei rechtmäßig selbst beschaffter Leistung der Anspruch aus Amtshaftung zur Verfügung (§ 839 Abs. 1 BGB in Verbindung mit Art. 34 Satz 1 GG). Anspruchsvoraussetzungen sind:

  • Eine Behörde, hier der Träger der öffentlichen Jugendhilfe, verletzt in Ausübung ihrer öffentlich-rechtlichen Tätigkeit ihre Amtspflicht, wenn sie trotz rechtzeitiger Anmeldung keinen Betreuungsplatz zur Verfügung stellt.
  • Die Amtspflicht ist drittbezogen. Diese Voraussetzung ist zunächst gegenüber dem Kind erfüllt, dessen Rechtsanspruch nicht erfüllt wird. Aber auch gegenüber den Eltern liegt die Verletzung einer drittbezogenen Amtspflicht vor, denn der Rechtsanspruch soll auch ihren Interessen dienen, etwa soll der Rechtsanspruch zu einer besseren Vereinbarkeit von Familie und Erwerbstätigkeit führen. Daher kann beispielsweise auch ein Verdienstausfall der Eltern als Schaden geltend gemacht werden. Das Kind selbst mit seinem eigenen Schadenersatzanspruch könnte diesen Schaden dagegen nicht geltend machen.
  • Voraussetzung ist weiter ein Verschulden des Trägers der öffentlichen Jugendhilfe. Werden Rechtsansprüche nicht erfüllt, wird dieses nach der Rechtsprechung regelmäßig vermutet. Daher ist regelmäßig auch das Vorliegen von Verschulden zu bejahen. Denn der Träger der öffentlichen Jugendhilfe ist verpflichtet, für jedes Kind, das einen Platz begehrt, ein angemessenes Angebot zu unterbreiten, ohne dass er Rechtfertigungsgründe anführen könnte, wenn ihm dies nicht gelingt. So zählt der Einwand, die ursprünglich vorgesehene Ausbauquote sei erreicht, ebenso wenig als Rechtfertigung wie der Einwand einer sorgfältig durchgeführten Bedarfsplanung, denn das Gesetz verpflichtet ausdrücklich dazu, auch für unvorhergesehenen Bedarf Angebote vorzuhalten (§ 80 Abs. 1 Nr. 3 SGB VIII). Nur ganz ausnahmsweise könnte dem Träger der öffentlichen Jugendhilfe die Exkulpation gelingen, beispielsweise wenn er nachweist, dass er die räumlichen Voraussetzungen für genügend Plätze geschaffen hat und sich nachhaltig, aber erfolglos um Fachkräfte für Tageseinrichtungen bemüht und gleichzeitig alles getan hat, um Kindertagespflegepersonen zu gewinnen, oder wenn sich der Ausbau wegen Klagen gegen die Nutzung als Tageseinrichtung unvorhersehbar und unverschuldet verzögert hat.

Sind die Voraussetzungen des Amtshaftungsanspruchs erfüllt, so ist jeder materielle Schaden zu ersetzen, der ursächlich durch die nicht zur Verfügung gestellte Betreuung entstanden ist. Somit kann auch ein Verdienstausfall beansprucht werden, wenn sich die Wiederaufnahme der Arbeit nach der Elternzeit wegen fehlender Betreuungsmöglichkeiten verzögert oder nur in geringerem Umfang möglich ist oder wenn die Fortsetzung der Arbeit unterbrochen wird, weil ein berufstätiger Elternteil mangels Betreuungsplatz zu Hause bleiben muss. Aber auch, wenn eine konkrete neue Erwerbstätigkeit nicht aufgenommen bzw. eine tatsächlich bereitstehende Arbeitsstelle nicht angetreten werden konnte, kommt ein Ersatz des hierdurch entstehenden Schadens in Betracht. Die Eltern trifft jedoch stets die Beweislast für den Nachweis des Schadens. Sie müssen also z.B. nachweisen, dass eine Einstellung oder ein früherer Arbeitsbeginn erfolgt wäre, wenn die Betreuung ihres Kindes sichergestellt gewesen wäre.

Als Schaden kommen auch sogenannte Vorsorgeaufwendungen in Betracht. In diesem Rahmen können z.B. Kosten aufgrund von Kündigungsfristen bei vorsorglich selbst organisierter Betreuung zu erstatten sein. Dies ist dann anzunehmen, wenn Eltern aufgrund der Situation vor Ort oder der Aussagen des Jugendamtes davon ausgehen mussten, dass sie rechtzeitig keinen Betreuungsplatz bekommen würden und ihr Kind deshalb z.B. in einer privaten Kita angemeldet haben. Kann ihnen der Träger der öffentlichen Jugendhilfe dann ganz kurzfristig und unvorhersehbar doch noch einen Platz ab dem gewünschten Zeitpunkt anbieten, so müssen die Eltern die private Kita kündigen, wofür gegebenenfalls Kündigungsfristen einzuhalten sind. Diese dadurch entstehenden Kosten sind ihnen zu erstatten.

Abzuziehen sind vom Schaden wiederum die Aufwendungen, die den Eltern erspart geblieben sind, weil sie sich nicht an den Kosten der Betreuung nach § 90 SGB VIII beteiligen mussten. Auch das Betreuungsgeld ist abzuziehen.

Den Eltern kann nicht entgegengehalten werden, sie hätten ihre Kinder kostenfrei von Großeltern oder sonstigen Verwandten betreuen lassen müssen oder, statt einen Verdienstausfall in Kauf zu nehmen, eine sonstige Betreuung selbst beschaffen müssen. Wenn dem Träger der öffentlichen Jugendhilfe selbst die Bereitstellung geeigneter und den Qualitätsanforderungen genügender Betreuungsmöglichkeiten nicht gelungen ist, kann er dies erst recht nicht von den Eltern verlangen.

Literatur

Meysen, T./Beckmann, J.: Rechtsanspruch U3: Förderung in Kita und Kindertagespflege. Baden-Baden: Nomos Verlag 2013

Wiesner, R./Grube, C./Kößler, M.: Der Anspruch auf frühkindliche Förderung und seine Durchsetzung. Wiesbaden: Kommunal- und Schulverlag 2013

Autor/in

Janna Beckmann/ Dr. Thomas Meysen
Deutsches Institut für Jugendhilfe und Familienrecht e.V. (DIJuF)
Poststr. 17
69115 Heidelberg