Manfred Berger
Allgemein gilt Margarete Schörl als "Erfinderin" des Raumteilverfahrens, als eine sozialpädagogische Methode der Spielführung. Darunter ist die Aufteilung des Gruppenraumes in einzelne Spielbereiche zu verstehen, denen jeweils das entsprechende Material zugeordnet ist:
"Viele Beobachtungen in Kindergärten haben gezeigt, dass die Aufteilung des Gruppenraums in einzelnen Spielbereiche die Bildung von Kleingruppen begünstigt, Alleinsein oder Zusammensein ermöglicht und zum Tätigsein oder zuschauenden Verweilen motiviert. In der Wahl des jeweiligen Spielbereichs, der evtl. Spielpartner und des betr. Spielmaterials entwickeln die Kinder eine ihnen gemäße Eigenständigkeit, Entscheidungsfähigkeit und Verantwortlichkeit" (Hilbers/Jostock 1989, S. 13).
Das Raumteilverfahren arbeitet nach zwei Prinzipien: erstens nach dem Prinzip der Führung und zweitens nach dem der Freiheit. Dazu führte Margarete Schörl näher aus:
"Führung liegt in den Voraussetzungen des Raumteilverfahrens, in Arbeiten, die die Kindergärtnerin leisten muss, ehe das Raumteilverfahren einsetzen kann. Das sind
a) ihre mütterlich nachgehende Führungsweise im allgemeinen, ihr Vorbild;
b) ihre Bildungsarbeit;
c) ihre Planung und Vorbereitung von Raum und Einrichtung;
d) ihre Vorbereitung, Bereitstellung und Pflege der Dinge, mit denen die Kinder umgehen sollen;
e) ihre Unterweisung der Kinder in diesem Umgang.
Freiheit liegt im Tun der Kinder, zu dem die Vorarbeit der Kindergärtnerin hinführt:
a) in ihrer selbständigen Spielwahl und Spielweise;
b) in ihrer spontanen Gesellung zu kleinen Spielgruppen;
c) in ihrer gelegentlichen Distanzierung von der Gruppe zwecks Bewahrung des Individuellen;
d) in ihrer Entwicklung zu persönlicher Entscheidungs- und Verantwortungsfähigkeit.
Durch die Vorarbeiten zum Raumteilverfahren, durch nachgehende Führung, durch Bildungsarbeit und Unterweisung, sowie durch Vorbereitung von Raum und Material gelangen die Kinder zu weitgehender physischer und psychischer Bewegungsfreiheit. In dieser Bewegungsfreiheit können sie freie Spielwahl und freie Spielweise erreichen. Dadurch entsteht die Teilung in kleine Spielräume; das kindliche Tun gewinnt dadurch den Wert einer Basis für spätere persönliche Verantwortung. Nur so erreicht das kindliche Spielen seinen vollen pädagogischen Wert" (Schmaus/Schörl 1964, S. 66 f).
Mit ihrem Raumteilverfahren griff Margarete Schörl Ideen von Friedrich Fröbel und Maria Montessori auf. Genannte verfolgten Erziehungsziele, die nach Margarete Schörl zeitlos gültig sind:
"'Menschenerziehung' wollte Fröbel, und Montessori den 'neuen Menschen', und 'seine innere Ordnung' ... So stellen sowohl Fröbel als auch Montessori das Tätigsein des Kindes allem voran, wenn auch verschiedene Auffassungen über das kindliche Spiel bestehen. Beide sehen in der Aktivität des Kindes den Weg und das Mittel zu aller geistigen Entwicklung, und beide achten die kindliche Tätigkeit nicht nur in ihrer freien Form, sondern sie sehen beide auch eine bestimmte Ordnung darin, der sie mit einem bestimmten Entfaltungsmaterial entsprechen wollen...
Ferner ist sowohl Fröbel als auch Montessori das Ideal des sich zum Kinde herabneigenden Erziehers gemeinsam. Nachgehend und behütend, nicht vorschreibend und bestimmend wünscht Fröbel die frühe Erziehung. Geduld und Interesse, Demut und Liebe kennzeichnen nach Montessori die gute Erzieherin. Nun aber sind
1. die Erkenntnis von der Bedeutung der kindlichen Aktivität,
2. die Erkenntnis von der Notwendigkeit eines Entfaltungsmaterials und
3. die Erkenntnis des größeren Wertes einer nachgehenden und behütenden Führung des Kindes sowie einer demütigen und geduldigen Haltung des Erziehers
genau jene pädagogischen Werte, deren unsere Kinder zur Behebung ihrer besonderen Nöte bedürfen" (Schörl 1956, S. 216).
Margarete Maria Leopoldine erblickte am 27. September 1912 in Wien als Tochter des Schätzmeisters Johann Schörl und seiner Ehefrau Leopoldine, geb. Hörmann, das Licht der Welt. Sie hatte noch zwei Brüder. Nach dem frühen Tod der Eltern, der Vater starb 1916, die Mutter 1923, kam sie als Schülerin in das Institut der Englischen Fräulein nach Krems. Dort absolvierte sie nach dem Besuch der Pflichtschule noch die "Höhere Lehranstalt für wirtschaftliche Frauenberufe".
1933 trat Margarete Schörl dem Orden der Englischen Fräulein bei. und legte 1940 die Ewige Profess ab. Zwischenzeitlich bestand sie die Staatsprüfung für Kindergärtnerinnen als Externe am Kindergärtnerinnenseminar der Armen Schulschwestern in Amstetten. Nachdem die Nazis Österreich okkupierten und das Institut der Englischen Fräulein enteignet hatten, betätigte sich Margarete Schörl als Privaterzieherin in Bad Reichenhall und in Krems.
1945 wurde das Kremser Institut an den Orden zurückgegeben. Margarete Schörl eröffnete sogleich einen Kindergarten (der nach 34 Jahren aufgelöst wurde) und erprobte das Raumteilverfahren, um den Kindern zu ermöglichen, "sich lebensnahe Spielsituationen selbst zu schaffen und auszubauen" (Schörl 1950, S. 82). Bald kamen Experten der Kindergartenpädagogik aus dem In- und Ausland um die "neue Methode" vor Ort zu studieren. Ihre Erfahrungen und Erkenntnisse mit dem Raumteilverfahren publizierte Margarete Schörl erstmals 1950, das sie in weiteren Veröffentlichungen und Filmen festgehalten hat. Das führte dazu, das Margarete Schörl zu vielen Vortragszyklen eingeladen wurde, u.a. nach Deutschland, Holland und in die Schweiz.
Margarete Schörl im Kreise ihrer Kindergartenkinder bei einer Bilderbuchbetrachtung
(Quelle: Ida-Seele-Archiv)
Zusammen mit Margarete Schmaus publizierte Margarete Schörl drei Bücher, die seinerzeit die Theorie und Praxis der Kindergartenpädagogik maßgebend beeinflussten: "Bildungsarbeit der Kindergärtnerin" (als das Buch erstmals 1958 erschien, wird Margarete Schörl nicht als "Ordensfrau" genannt. Sie befürchtete, dass die Verbreitung der Publikation darunter leiden könnte.); "Die sozialpädagogische Arbeit der Kindergärtnerin" und "Erneuerung der Glaubenserziehung im Kindergarten". In ihren Veröffentlichungen betonte die Pädagogin stets "die Erziehung zur Verantwortung im Kindergarten", die eigentlich Erziehung zur "Selbsttätigkeit" bedeute, "aber nicht nur einer Selbsttätigkeit der Hände, wie es so oft von bastelfreudigen Erziehern verstanden wird, sondern in einer Selbsttätigkeit der ganzen kindlichen Person, ihres Verstandes, Gemütes und Willens" (Schörl 1956, S. 222).
1980 übersiedelte Margarete Schörl, mit Einverständnis der Ordensleitung, nach Wien, um ihrer schwer kranken und pflegebedürftigen Freundin Margarete Schmaus beistehen zu können. Acht Jahre später kehrte sie, gesundheitlich angeschlagen, in das Institut nach Krems zurück. Nach längerer schwerer Krankheit ist Margarete Schörl am 4. Dezember 1991 in St. Pölten gestorben. Die Beerdigung fand sechs Tage später statt. Wie alle Schwestern des Instituts bekam die Verstorbene keine eigene Grabstätte.
Werbung für die Schmaus-/Schörlfachbücher
(Quelle: Ida-Seele-Archiv)
Literatur
Berger, M.: Mater Margarete Schörl, in: Unsere Kinder 1997/H. 4
Hilbers, E./Jostock, V.: Alltag im Kindergarten pädagogisch gestalten, Lingen 1989
Riedel, B.: Mater Margarete Schörl, in: Welt des Kindes 1992/H. 2
Rumpl, M.: Meine Erinnerungen - mein Dank an Mater Margarete Schörl, in: Unsere Kinder 1992/H. 4
Schörl, M.: Aus meinem Kindergarten, in: Niegl, A. (Hrsg.): Gegenwartsfragen der Kindergartenerziehung, Wien 1950
dies.: Die Lehren Fröbels und Montessoris in der Erziehungssituation unserer Zeit, in: Kinderheim 1956/H. 10
dies./Schmaus, M.: Bildungsarbeit der Kindergärtnerin, Wien 1958
Schörl, M.: Das Raumteilverfahren, in: Kinderheim 1960/H. 6
dies./Schmaus, M.: Die sozial-pädagogische Arbeit der Kindergärtnerin, München 1964
dies./Schmaus, M.: Erneuerung der Glaubenserziehung im Kindergarten, München 1968