Lina Sellheim und ihr Kindergärtnerinnenseminar in Halle/S

Klaus Gebser

Es wird kein Zufall gewesen sein, dass Lina Sellheim gerade im Jahr 1877 ihren Kindergarten in Halle/Saale gegründet hatte. Zum 4. Oktober war ein Vortrag von Angelika Hartmann in Halle im Schützenhaus angekündigt worden (Hall. Tagebl. 11.10.1877). Hartmann – das war die schon damals bekannte Fröbel-Pädagogin und Gründerin sowohl eines Kindergartens als auch einer Kindergärtnerinnen-Ausbildungseinrichtung in Köthen. Wir befinden uns im Jahr 1864 – gerade erst war das berüchtigte Kindergartenverbot von Raumer (1805-1859) aufgehoben worden. Drei Jahre darauf rief sie mit ihrem Lehrer und pädagogischen Vorbild, dem aus dem Anhalt stammenden Andreas Gottfried Karl Schmidt (1818 Osternienburg-1863 Gotha) eine Seminareinrichtung ins Leben und bildete in Köthen Kindergärtnerinnen aus. Im selben Jahr hatte der Kongress des Fröbel-Verbandes in Köthen stattgefunden (30. September bis 1. Oktober) – sicher auch eine Würdigung Hartmanns.

Das diese im Anhaltischen wenig Unterstützung fand, überführte Hartmann ihr Seminar, dass sie 1867 sogar nach Schmidt benannt hatte, nach Leipzig (Allg. Schulzeitung 1875). Dort bildete es die Basis für die spätere Kindergärtnerinnen-Ausbildung, durch Henriette Goldschmidt (1825-1920). Andreas Gottfried Karl Schmidt wiederum ist vor allem durch seine vierbändige Geschichte der Pädagogik bekannt geworden, die ab 1862 erschien. Nach Köthen ging Schmidt nach Gotha und übernahm das Seminar August Köhlers (1821-1879). Jedoch starb er nur kurze Zeit darauf dort.

Hartmann lebte somit jetzt in Leipzig, gründet dort 1877 sowohl den Leipziger Fröbelverein als auch einen Kindergarten und führte das Ausbildungsseminar von Köthen fort. Sellheim wiederum hatte unterdessen bewirken können, dass das Hallesche Tageblatt schon über sie schrieb: „Wir glauben unsere Leser auf das heutige Inserat der Kindergärtnerin Fräulein Lina Sellheim in Giebichenstein noch besonders aufmerksam machen zu sollen, in dem dieselbe anzeigt, dass die praktischen Probearbeiten der von ihr zu Kindergärtnerinnen ausgebildeten jungen Damen vom 14. bis 19. September in einem besonderen Zimmer der „Erholung“ in Giebichenstein, Wittekindstraße Nr. 47, öffentlich unentgeltlich ausgestellt sind“ (ebd. 14.09.1878). Somit stand ihrem beruflichen Start in Halle nichts mehr im Weg. Lina ist gerade 24 Jahre alt geworden.

Über ihre Herkunft gibt die am 28. Dezember 1894 in Halle im Haupt-Register des städtischen Standesamtes unter der Nr. 2563 über ihr Ableben angefertigte Urkunde Auskunft. Zwar erfahren wir ihr genaues Geburtsdatum noch nicht, jedoch lesen wir, sie, die Kindergärtnerin Lina Gollasch, genannt Sellheim, sei am 27. Dezember 1894 in Halle, nachmittags um zwei Uhr im Alter von vierzig Jahren verstorben. Die Anzeige übermittelte der Privatmann August Sellheim (1903 verst.) aus der Streiberstraße 9, – Linas Stiefvater. Wir erfahren nun: Sie war die „Tochter des verstorbenen Stellmachermeisters Christian Gollasch zuletzt wohnhaft in Halle, Saale, und seiner Ehefrau Friederike, geborene Zabel, jetzt Ehefrau des Anzeigenden zu Halle, Saale, Laurentiusstraße 7.“ Aus Anzeigen im Halleschen Tageblatt ermittelten wir: Christian Gollasch (1814 od. 1815-04. Juli 1855 [ebd. 05.07.1855]) und Caroline Friederike Wilhelmine Zabel (ca. 1820 in Pfützthal-1895 in Halle), verheiratet seit dem 8. August 1844 (ebd. 17.08.1844), in zweiter Ehe seit dem 7. Mai 1857 mit August Friedrich Sellheim (10.05.1857) verheiratet.

Das Hallesche Tageblatt informierte über alle in der Stadt geborenen, verstorbenen oder verheirateten Personen – eine Dienstleistung der Armendirektion Halle. 1854 sei Lina laut Sterbeurkunde in Halle zur Welt gekommen. In diesem Jahr wurde jedoch eine Lina Gollasch nicht als in Halle geboren gemeldet, dafür jedoch eine Charlotte Christiane Bertha Clara Gollasch, geboren am 26. September 1854, wohl eine Schwester. Schon am 22. Dezember 1854 verstarb diese wieder. Schließlich suchten wir nach Linas Geburt in anderen Jahrgängen. Jetzt sind wir wieder vier Jahre im chronologischen Ablauf des Geschehens zurückgegangen, doch jetzt wurden wir auf der Suche nach dem Geburtsdatum Linas fündig. Es kamen Zwillingstöchter des Stellmachers zur Anzeige: Christiane Friederike Therese und Emilie Wilhelmine Lina Gollasch wurden am 12. Mai dieses Jahres geboren (ebd. 02.07.1853), getauft am 26. Juni. Als Adresse fanden wir den Steinweg 1718 bzw. 1717. Neben dem Beruf von Linas Vater lasen wir zudem über ihre Mutter den Hinweis, sie arbeite als Trödlerin. Stellmacher brauchte die Stadt in erheblicher Anzahl. In Linas Geburtsjahr waren insgesamt achtzehn Stellmacher im Einwohnerverzeichnis erfasst. Allerdings ist wohl der Vater Gollasch nicht in Halle geboren. Erst im Jahr 1846 erscheint er im Adressbuch unter der oben angegebenen Adresse des Steinweges. Nach der Umnummerierung der Halleschen Häuser vom 1. Januar 1855 bekam der Steinweg 1717 die neue Nummer Steinweg 43 zugeschrieben. Zu seiner Tochter: Lina starb somit mit 41 Jahren und nicht mit 40 Jahren, wie oben in der Sterbeurkunde nachgelesen. Mit zwei Jahren hatte sie ihren Vater verloren. Ein Jahr darauf heiratete die Mutter den Kaufmann August Sellheim.

Doch wie stand Lina Sellheim in ihrem Berufsleben und wie verlief ihre berufliche Entwicklung? In Halle ging Lina in die Schule. Wir entnehmen dem Halleschen Tageblatt die Mitteilung, dass Friedrich Johannes Christof Scharlach ihr verehrter Lehrer gewesen sei. Dieser am Ende seines Lebens hochdekorierte Schulmann leitete seit dem Frühjahr 1839 eine Hallesche Sonntagsschule (ebd. 30.03.1839) und später die hiesige Bürgerschule als Direktor. Das Hallesche Tageblatt lobte seine Bemühungen als Schuldirektor, „des eigentlichen Schöpfers unserer Stadtschulen“ (ebd. 22.01.1859), überaus. Am 31. Januar 1880 fand eine große Soirée im neuen Theater zum Bestehen der Scharlachstiftung statt (ebd. 30.01.1880), für die mehrfach aufwändig geworben worden war. Und als am 1. Oktober 1889 das Seminar von Sellheim vom Weidenplan in die den Seminarbedürfnissen entsprechende hergerichteten Räume in der Laurentiusstraße 7 übersiedelte, nahmen an dieser Einweihungsfeier geladene Gäste, so auch Sellheims verehrter Lehrer Scharlach, wohnhaft großer Sandberg 2, teil (ebd. 04.10.1889). Johannes Christof Friedrich Scharlach starb am 18. Dezember 1893 in der Königstraße 4 (Stadtarchiv Halle, Sterbeurkunde Nr. 2786). Laut dieses Nachweises war er 1807 in Magdeburg auf die Welt gekommen und seit 1849 mit Auguste Henriette Mathilde Rathmann (1828 geb.) verheiratete gewesen. Diese lebte zum Zeitpunkt seines Ablebens nicht mehr (Urkunde, ebd.). 1883 oder 1884 war er in den Ruhestand getreten. Nun haben wir mit Scharlach einen Anhaltspunkt auf Sellheims Schulbesuch in Halle gefunden.

Danach erlernte sie den Beruf einer Kindergärtnerin. Wir wissen nicht, in welchem Seminar die Ausbildung stattfand. Um 1870 herum war die Auswahl noch nicht groß. Köthen (seit 1867 durch Hartmann), Berlin (1878 durch Henriette Schrader-Breymann), Dresden oder Gotha (seit 1857 bzw. 1863 durch Köhler), Leipzig (durch Hartmann oder später Goldschmidt) standen in der Region zur Auswahl. Näheres ist uns über Linas Ausbildung nicht bekannt geworden. 1879 annonciert sie erstmalig und verweist auf ihre Ausbildung als geprüfte Kindergärtnerin (ebd. 27.03.1879). Nur zwei Jahre darauf hatte sie sich im Halleschen Adressbuch eintragen lassen: „Sellheim, Lina, Fräulein, Vorsteherin des Fröbelschen Kindergarten-Instituts für Lehrerin-Pensionat, Barfüßer Straße 16 I“ (1881). Doch damit war sie für die interessierte Hallesche Elternschaft keine Unbekannte mehr. Bereits 1878 gab es die Meldung über den Abschluss des ersten Ausbildungskurses in der Wittekindstraße (ebd. 14.09.1878, s.o.). Bei Steger (1891) war hierfür ein Jahr später angegeben worden (S. 314). Aber auch diese Notiz über Sellheims erste Erfolge in Halle hatte eine Vorgängerin, da die örtliche Presse im Herbst 1877 schrieb, dass eine Ausstellung mit Kinderarbeiten,  die unter der Anleitung von Sellheim und Kirchhoff angefertigten worden waren, eröffnet sei (Hall. Tagebl. 03.10.1877). Das Tageblatt konnte sich nicht verschließen, den Durchbruch der Anerkennung der Fröbelschen Pädagogik (zumindest im Territorium) zu vermelden und wir wiederholen: „Der unsterbliche Fröbel war es …“ (ebd.), der die Augen der Welt auf das Kind vor der Schulzeit richtete, der Mittel und Wege fand, dem kindlichen Geiste nahe zu treten, ihn zu erschließen und ohne Schädigung zu entwickeln …“ (ebd.). Hier fand Lina Sellheim überhaupt erstmalig Erwähnung.

Damit war Lina Sellheim als Pädagogin, als Lehrerin und Kindergärtnerin in Halle nicht nur bekannt, sondern auch angenommen worden. Zu ihrem Kindergärtnerinnenseminar gründet sie am 1. April 1879 einen Kindergarten in der Barfüßer Straße 16, „Vordergebäude parterre links“ fügte sie ergänzend hinzu. „Prospecte stehen gern zu Diensten. Lina Sellheim, geprüfte Kindergärtnerin“ (ebd. 27.03.1879).

Beschäftigen wir uns jetzt mit dem Werbeprospekt, das sie für die interessierten Eltern drucken ließ. Im Stadtarchiv ist das vierseitige Material unter A 2.36 Nr. 1198 Bl. 6 f. einsehbar (Anhang 1). In ihm können wir nähere Angaben zur Arbeit in ihrem Seminar nachlesen. Sellheim bezeichnet die Einrichtung als eine Berufsschule für junge Damen, die sich als Leiterinnen für Kindergärten oder als Erzieherinnen bzw. Lehrerinnen jüngerer Kinder ausbilden lassen. Als Eintrittsalter gibt sie die Altersspannen von 14 bis 34 Jahren an und als Kursdauer sei ein halbes bzw. ein ganzes Jahr je nach Zielstellung vorgesehen. Im März und September fänden die Abschlussprüfungen statt. Als Aufnahmegebühr würden 4 M, als Kursgebühr werde die Summe von 150 M, für den Halbjahreskurs 80 M verlangt. Ebenfalls würden Pensionatsunterkünfte für 440 M im Jahr gewährleistet. Schließlich verweist die Leiterin noch auf die eigenen Räumlichkeiten und man bediene sich „tüchtiger, vorzüglich bewährter Lehrkräfte“. Handschriftlich hatte Sellheim noch am Blattende geschrieben: „Die Prüfung findet statt unter Vorsitz des Königl. Kreisschulinspektors“ (ebd.). 1895, als wegen unliebsamer Vorgänge und Anschuldigungen ein umfänglicher Briefwechsel mit dem Schulamt notwendig wurde (ebd., A 2.36 1198 Bd. 1 Bl. 41-51), nahm Theodor Förster (1839-1898) – D. theol., Superintendent und Kreisschulinspektor, Oberpfarrer zu Unserer Lieben Frauen – als verantwortlicher Schulpolitiker der Stadt diese Funktion wahr. Im Februar 1878 war er in das Amt berufen worden (26.02.1878), 1898 verstarb er. Als Stadtschulrat fungierte 1895 August Gottfried Eduard Krähe (1842-1900, ancestry), Dr. phil.

Auf der nächsten Seite finden wir den Fächerkanon für die „I. Klasse“ (Jahreskurs), der von Pädagogik („Geschichte, Psychologie, Fröbel`sche Kindergarten-Pädagogik“), Bibelkunde, Deutsch über Geometrie, Naturgeschichte, Naturlehre bis zur Geografie reicht. Dann werden die praxisorientierten Inhalte wie Theorie und Praxis des Kindergartens, Zeichnen, Handarbeit und Gesang aufgelistet. Französisch, Englisch und Musik seien fakultativ. Nicht unerheblich ist aus heutiger Sicht der Hinweis, dass „auf Grund der Fröbel`schen Methode [eine] Anleitung zur Erteilung von Elementar-Unterricht in Familien“ vorgesehen sei (A 2.36 ebd.). Entsprechend gerafft erscheint die Fächerung für die „II. Klasse“, den Halbjahreskurs (ebd.). Zusätzlich ist im III. Teil des Prospektes der Bericht des Instituts für die Zeit vom 1. April 1878 bis zum 1. Januar 1890 abgedruckt. Hier konnte Sellheim eine beeindruckende Berichterstattung vornehmen. 242 Kindergärtnerinnen seien ausgebildet worden und – handschriftlich hinzugefügt – vom 1. Januar 1890 bis zum September 1891 noch einmal 35. 39 (von den 242) gründeten eigene Kindergärten oder übernahmen bereits bestehende, die restlichen wurden „in Familienstellen in dem In- und Ausland placiert“. Außerdem verfüge sie über einen eigenen Praxiskindergarten mit durchschnittlich 40 Zöglingen (ebd.).

Interessant ist auch die Gestaltung des täglichen Ablaufes im Seminar (Anhang 2). Morgens begann man mit einer Stunde Theorie oder Religion. Dieser Teil dauerte bis 9.00 Uhr. Jetzt brachten die Mütter ihre Kinder in den Kindergarten, weshalb sich bis Mittag die praktische Arbeit mit den Kindern hin erstreckte. Der Nachmittag gehörte wieder dem Unterricht der Seminaristinnen in den oben angeführten Fächern und dauerte in der Regel von zwei bis vier Uhr, donnerstags bis fünf Uhr (für die fakultative sprachliche Vervollkommnung). Besonders erwähnenswert finden wir die Hervorhebung der Geometrie als mathematische Disziplin. Das Verstehen des komplizierten Aufbaus und der mathematischen Zielstellung der Fröbel-Gaben für die Denkentwicklung des Kindes erfordert einen gediegenen geometrischen Zugang. Würfel werden in ihren Dimensionen halbiert oder gedrittelt und der Zusammenhang zwischen den Grundkörpern Würfel, Walze und Kugel ist vor allem über ihr Rotationsverhalten entlang einer Achse (Sonderfall Kugel) einsichtig. Die später entwickelten Fröbelgaben verlangen teilweise recht komplizierte geistige Gedankengänge. Wer exakt nach Fröbel vorgehen wollte, musste sich diesen Aufgaben stellen. Bereits 1879 hatte sich ein redaktioneller Beitrag des Halleschen Tageblattes eingehend mit der Fröbelschen Theorie beschäftigt und behauptet, dass ein Kindergarten nur erfolgreich sein könne, wenn er auf der Ansicht Fröbels aufbaue (ebd. 11.05.1879). Bald gab es die notwendigen Materialien in den Geschäften zu kaufen. In Halle bot sie vor allem der Kaufmann Emil Graf an: Ballkasten, Kugel, Walze, Würfel, Häkelknäuel, Legespiele,  Ausstechen, Ausschneiden, Näh- und Flechtschule, Mosaikstechen usw. (03.10.1877). Mehrfach offerierte er seine Waren in der örtlichen Presse und wendete sich vor allem an die Eltern (ebd. 19.06.1881). Andere Spielzeughändler folgten bald (ebd. 20.12.1882). Eine indirekte politische Rehabilitation Fröbels erfolgte nach der Aufhebung des Kindergartenverbotes erst 1888, als Kaiser Friedrich III. (1831-1888) für Fröbels Witwe (Louise Fröbel, geb. Levin aus Osterode, 1815-1900) jährlich eine Rente von 3.000 Mark bewilligte (ebd. 24.06.1888).

Über sich selbst schrieb Sellheim, sie sei eine geprüfte Lehrerin und habe pädagogische Aufsätze in den Zeitschriften Kindergarten (Fachblatt des Fröbelverbandes), Hallische Zeitung und in der Saale-Zeitung veröffentlicht (A 2.36 ebd.). Sellheims Beitrag erschien in der Ausgabe vom 29.03.1882 unter dem Titel „Ein Wort zur Ausbildung von Kindergärtnerinnen“. Den Auszug haben wir im Anhang 3 angefügt. Vor allem setzt sie sich mit moralischen und pekuniären Faktoren in der Ausbildung, doch auch mit der Lernmüdigkeit und Motivationsunlust der Schülerinnen auseinander. Die anderen beiden Beiträge konnten wir nicht einsehen. Bis 1867 firmierte die Saale-Zeitung unter der dem Titel „Der Bote für das Saalthal“. Weiterhin ist anzumerken: 1864 wurde die Zeitschrift Kindergarten umbenannt in Kinder-Garten Bewahr-Schule und Elementar-Klasse sowie ab 1871 in Kinder-Garten Bewahr-Anstalt und Elementar-Klasse. Im Jahre 1874 wurde sie als Fachorgan für den Allgemeinen Deutschen Fröbelverband gewählt. Ab 1899 erschien eine Fröbelbüste im Kopf des Titelblattes.

Friedrich Wilhelm August Fröbel war am 21. April 1782, einem Sonntag, im thüringischen Oberweißbach zur Welt gekommen. Nun jährte sich sein Geburtstag zum hundertsten Male. Zwar erst vor zwanzig Jahren gestorben (21. Juni 1852), hatten dennoch seine pädagogische Auffassung vom Wesen des kindlichen Spiels sowie sein pädagogisches Material (schnell als Fröbel-Gaben bezeichnet) und allgemein seine Überzeugungen zum Stellenwert des Kindes im eigenen und gesellschaftlichen Entwicklungsprozess für ein Umdenken in Wissenschaft und Leben gesorgt. 1877 nannte man ihn in Halle schon „unsterblich“ (s.o.), obwohl nur gut eineinhalb Jahrzehnte vorher Pauline Koestler noch Wert auf die Feststellung gelegt hatte, nicht nach Fröbel erziehen zu wollen (s.o.). Jetzt jedoch trat Fröbels Idee ihren Siegeszug in Mitteldeutschland, aber auch in weiteren Teilen Deutschlands sowie im internationalen Rahmen, an und ließ sich nicht mehr stoppen. 1882 sind in mehreren Städten durch zahlreiche Gremien organisiert Centenaire-Feiern abgehalten worden. In diesen Jahren sind eine Reihe Bücher und Zeitschriftenartikel über Friedrich Fröbels Werk erschienen, die seine Berühmtheit unterstrichen. Als Beispiel und stellvertretend für diese Titel sei das Buch von Friedrich Seidel: Friedrich Fröbel`s pädagogische Schriften genannt, das 1883 in Wien bei Pichler erschienen war.

In Halle gedachten Lina Sellheim und die Angehörigen ihres Seminars des Ehrentages und veranstaltete in ihrer Einrichtung eine würdige Ehrung Fröbels. Das Hallesche Tageblatt brachte darüber eine umfängliche Berichterstattung und schrieb u.a.: „In dem Eingangsworte feierte Frl. S. den Verewigten als ‚den großen Kinderfreund des Jahrhunderts‛, als den ‚Saemann‛, welchen die Vorsehung berufen hatte, das Samenkorn der Erziehung in die zarten Kinderherzen einzustreuen. Hierauf begann unter Mitwirkung zahlreicher Schülerinnen des Instituts das Kinderfest“ (23.04.1882). Danach stellten die Kinder des Kindergartens Spiele vor, von denen einige von Fröbel selbst noch herrührten (ebd.). In dem letzten Programmteil „Ein schlafend Kind“ fand das Fest „seinen Glanzpunkt“ (ebd.). Auch der in Halle als unbesoldeter Stadtrat tätige Ludwig Hildenhagen (1809-1893), der vor ziemlich vierzig Jahren mit Fröbel selbst die Eröffnung des Kindergartens in Quetz organisiert hatte, befand sich unter den geladenen Gästen (ebd.). So ist Fröbel geehrt, doch ist auch in seinem Verständnis gehandelt worden.

Allein im Halleschen Tageblatt dieses Jubiläumsjahres fanden wir 21 Anmerkungen zu Fröbel. In diesem Jahr kündigt Sellheim dem Umzug ihrer Einrichtung zum Weidenplan 6b für den 1. April c [currentis – im laufenden Jahr, KG] an (Adressbuch 1882). Dort wird sie bis 1889 bleiben, bevor sie in die Laurentiusstraße 7 umzieht, wo sie bis zu ihrem Tod auch ihren Wohnsitz nehmen wird. Sellheim scheint sich in den 1880er Jahren nicht nur in der Elternschaft einen guten Ruf erarbeitet zu haben, auch der Magistrat vertraute ihr, denn sie hatte in dessen Auftrag 1883 eine Reihe von Kindergärten zu überprüfen. Gleiches oblag auch der Halleschen Kindergartenleiterin Marie Wollmann ([1829-1908] A 2.36 Nr. 126 Bl. 8). Der Magistrat hatte von der Königlichen Regierung diesen Auftrag erhalten, da man sich der sozialen Verantwortung schon bewusst war, die mit der Industrialisierung im Land einherging. 1872 hatte das Reichskanzleramt eine Untersuchung zum Schutz der Arbeiterinnen in den Fabriken angeordnet. Das Hallesche Tageblatt zitiert 1874 eine Studie und meint, dass nun in der Folge die Arbeitszeit der Frauen dennoch nicht verkürzt werden könne, sondern dass in einer guten Jugenderziehung bessere Einsichten zu finden seien, dem Problem entgegenzuwirken. „Fortbildungsschulen, Kinderbewahranstalten und Kindergärten für die Arbeiterklassen bieten dazu das wirksame Mittel, und das Augenmerk sollte darauf gerichtet sein, dass an jedem Orte solche eingerichtet werden“, heißt es an dieser Stelle (Hall. Tagebl. 19.06.1874). Damit wurde eben durch die Schulämter der Weg vorgegeben, sich forciert mit Kindereinrichtungen zu befassen.       

Auch über die Abschlussprüfungen der Seminaristinnen erfährt die Hallesche Öffentlichkeit (ebd. 15.03.1884) und im Adressbuch findet sich seit 1884 nicht nur Lina, sondern auch ihre Schwester Martha Sellheim eingetragen. Sie sei Kindergärtnerin in der Sophienstraße 32, dem Wohnhaus der Eltern, lesen wir. Diese Einrichtung wird erstmalig 1880 als von den Geschwistern gemeinsam geführter Kindergarten aufgeführt (ebd. 04.10.1880). Vorher wohnte die Familie in der Luckengasse 19 und war Eigentümer des Hauses. Der Vater August Sellheim hatte bereits 1874 das Haus in der Sophienstraße 12/13 zur Vermietung angeboten (02.04.1874), ohne jedoch selbst dort zu wohnen. Die jüngere Schwester Linas, Marie Martha Sellheim (05. Mai 1861 geb.; vgl. auch 02.06.1861), offenbarte dem Magistrat der Stadt nach dessen Anfrage ihre Qualifikation. Danach war sie 1877 als Erzieherin bei Frau König, Lindenstraße 16, tätig, dann einige Jahre bei ihrer Schwester Auguste Wilhelmine Friederike Sellheim (2. Oktober 1858 geb., 24.10.1858 get.) in Querfurt (A 2.36 Nr. 126 Bd. 1 Bl. 18). Wir konnten noch in Erfahrung bringen: Auguste heiratete am 8. Oktober 1883 den Kaufmann Gottlob Wilhelm Carl Schrader (24. Oktober 1844 geb.) aus Querfurt (13.09.1883). Jedoch lesen wir bei ancestry, Martha habe einen Robert Gottlob Albert Holter (1944 verst.) am 16. Mai 1893 in Halle geheiratet. Ab 1885 erteilte der Kreisschulinspektor im Auftrag der Königlichen Regierung dem Seminar von Lina Sellheim die staatliche Concessionierung (Steger, ebd. S. 315). Später wirbt Sellheim mit dieser Zertifizierung (z.B. 05.01.1890) mehrfach, und sowohl der Kindergarten als auch das Ausbildungsseminar entwickeln sich stetig und überstehen die Wirrnisse der Zeit.

Seit Marie Wollmanns Eröffnung des ersten Kindergartens hat sich die Einwohnerzahl Halles beinahe verdoppelt. Der wirtschaftliche Aufstieg hatte zahlreiche Menschen aus den ländlichen, vor allem auch aus den Ostgebieten nach Mitteldeutschland gezogen, die den unaufhörlichen wirtschaftlichen Aufstieg durch den Einsatz ihrer Arbeitskraft erst möglich machten. Preußen hatte 1864 und 1866 gegen Dänemark und Österreich erfolgreich Kriege geführt und der Krieg von 1871 führte zur Demütigung der ganzen französischen Nation. Die Bezeichnung Gründerjahre ist heute noch als Begriff geläufig, sie beschreiben auch den neuen wirtschaftlichen Aufschwung bis zum Börsenkrach von 1873. Die Kinderbetreuung erwies sich ständig als eine neue Herausforderung durch die städtischen Behörden sowie vor allem für die unmittelbar Beteiligten. Nach dem Schwarzen Freitag von 1873 stagnierte die Wirtschaft in Deutschland, das Kapital wurde billig, die Arbeitslosenzahlen stiegen (http://www.mybude.com) und der Pauperismusindex explodierte. 1900 werden in Halle 150 Tausend Menschen leben, – dreimal so viel wie 1870. Es gründeten sich weitere große Firmen wie die Maschinenfabrik, der Waggonbau Ammendorf, später folgten Malzfabrik, Brauereien und Zuckerfabriken. In dieser Gemengelage kehren wir zu Lina Sellheim in Halle zurück, deren Stiefvater später ebenfalls ein mittelständiges Unternehmen im Metallbereich führen wird. Ob an die behördliche Anerkennung von 1885 Bedingungen an die fachliche Qualifizierung Linas als Leiterin einer Berufsschule für junge Frauen geknüpft waren, wissen wir nicht. Jedoch begann sie bald hierauf mit ihrer Ausbildung als Lehrerin an dem Pädagogischen Seminar der Franckeschen Stiftungen

Jährlich fanden Ende August die Abschlussprüfungen (Fremdsprachenunterricht) für die angehenden Lehrerinnen statt. Am 31.08.1887 brachte das Hallesche Tageblatt die Meldung über Linas bestandenes Examen: „Im Lehrerinnenseminar der Franckeschen Stiftungen ist am 29. und 30. August die Abgangsprüfung abgehalten worden. Die Anfertigung der schriftlichen Klausurarbeiten hatte am 26. und 27. August stattgefunden. Die mündlichen Prüfungen begann an beiden Tagen früh um 7 Uhr und dauerte (mit einer zweistündigen Mittagspause) am ersten Tage bis abends 7 ¾ Uhr, am zweiten Tag bis 10 ½ Uhr Vormittag. … Es haben die Prüfung bestanden: [Auflistung von sieben Namen – KG] „… 8. Lina Sellheim aus Halle.“ Nun hält die gerade erst examinierte Lehrerin eine weitere Überraschung für den historisch interessierten Leser bereit, der gerade im Halleschen Tageblatt nach weiteren Absolventinnen sucht. Ein Jahr nach den bestandenen Prüfungen erscheint in der Liste der Examinandinnen (wiederum) der Name Lina Gollasch aus Halle, – der Herkunftsname Lina Sellheims (30.10.1888). Wahrscheinlich hat Lin a in diesem Jahr die Unterrichtserlaubnis erhalten. Wie ist es aber zu dieser Namensangabe gekommen ? Wie es sich auch zugetragen haben mag: Damit war die Qualifizierung der geprüften Kindergärtnerin zu einer Lehrerin abgeschlossen. Die Lehrerinnenausbildung in den Stiftungen oblag seit 1879 dem aus Potsdam stammenden Adolf Dammann (ebd. 21.02.1879).

Im gleichen Jahr wird Linas Kindereinrichtung vom Weidenplan 6b in die Laurentiusstraße 7 übersiedeln (s.o.). Hierzu lud die Vorsteherin in die neuen und eigens für die pädagogischen Zwecke hergerichteten Räume Ehrengäste ein und richtete eine Umzugsfeier aus (ebd. 04.10.1889). Ein Vierteljahr später warb sie schon wieder für ihr staatlich concessioniertes Seminar (ebd. 05.01.1890). Insgesamt schaltete sie für ihre beiden Einrichtungen jetzt vierzehnmal Anzeigen im Halleschen Tageblatt. In einer Anzeige warb sie mit: „… sorgfältige pädagogische Leitung mit planmäßiger Vorbereitung für den folgenden Schulbesuch, Gruppierung nach Altersstufen, Begriffsbildung, Sprechübungen usw.“ (05.01.1890).

1891 vermerkt sie, dass ihre Einrichtung dem großen Ansturm auf Ausbildungsplätze nicht nachkommen könne (ebd. 12.08.1891). Und im März 1892 lesen wir von der sogenannten „Osterprüfung“ der Seminaristinnen, abgenommen durch den Kreisschulinspektor Förster: „Die Leistungen waren durchweg recht befriedigend und brachten den Examinandinnen Lob in reichem Maße ein“ (ebd. 25.03.1892). Alle Hürden und Hindernisse, seien sie ökonomischer, pädagogischer oder städtepolitischer Art, scheint Lina Sellheim bisher erfolgreich gemeistert zu haben.

Am 29. Oktober 1891 erfolgte von ihr eine Mitteilung an den Magistrat über Einzelheiten zu ihrem Kindergärtnerinnen-Seminar, so über die Öffnungszeiten, die Kinderzahl des Kindergartens sowie über die Beschäftigungen und über das Spiel nach Fröbel. Im Internat wohnen sechzehn Schülerinnen, insgesamt seien es 22 Schülerinnen, schließlich die Beifügung des Stundenplanes. Zum Lehrkörper gehören (Stadtarchiv Halle, A 2.36 Bd. 1198, Bl. 4 f.):

-Herr Richard Poppe (06.08.1859 geb.): Rektor für Mittelschulen und ordentlicher Lehrer an der Mädchen-Bürgerschule der Franckeschen Stiftungen für Geometrie, Rechnen, Physik, Gesang und Methodik der Elementarklasse, Großer Berlin 9 II

-Frl. Anna Panse: Lehrerin, Handarbeits- und Turnlehrerin  

-Fr. Emmy Brüstlein: Hilfslehrerin für Französisch und Englisch, Wohnsitz Harz 12.

Wir lesen noch den Hinweis des Magistrats der Stadt vom 2. April 1892 auf freie Plätze im Seminar von Lina Sellheim „zur Ausbildung von unbemittelten bzw. verwaiste Mädchen oder Wittwen“ (Hall. Tagebl. 06.04.1892). Dafür billigte der Magistrat eine Unterstützung von 300 Mark (A 2.36 ebd., Bl. 26), die jedoch ab dem 1. April 1894 nicht mehr gewährt wurde (ebd., Bl. 44). Und sie selbst annonciert noch einmal: „Neue Kurse beginnen am 1. April“ (ebd. 29.03.1892). 1893 und 1894 ändert sich die Adresse nicht. Bis 1895 bleibt als Wohnanschrift Laurentiusstraße 7.

Bald jedoch stellen sich ihrer bisher geradlinig verlaufenden Karriereleiter zwei unbezwingbare Hemmnisse in den Weg. Und so läuten wir das Abschlusskapitel zu Sellheims pädagogischem Wirken in Halle und dem Ende ihres Erzieherinnenseminars ein. Zum einen kam es in den letzten beiden Jahren zu einer Reihe von unerfreulichen Begebenheiten, die sich auf ihren Unterricht und ihre Leitungsarbeit bezogen und in einer Beschwerde an die Königliche Merseburger Regierung gipfelten. Die gegen Sellheim erhobenen Vorwürfe und der damit entstandene Schriftverkehr sowie die Einbindung des Rechtsanwalts Pawel ist im Stadtarchiv Halle unter A 2.36 Nr. 1198 Bd. 1 Bl. 41-51 nachlesbar. Zum anderen erkrankte Lina Sellheim ernstlich und sollte sich von ihrem Leiden auch nicht wieder erholen. Bald wurde gegen sie zur Aufklärung der Beanstandungen ein Ermittlungsverfahren eingeleitet. Doch ihre Krankheit war bereits weit vorangeschritten. Am 27. September 1894 schrieb sie noch einmal an den Schulinspektor und bat um Unterzeichnung der beiliegenden Zeugnisse und um Unterstützung für die Zukunft ihres Seminares (ebd., Bl. 71). Bereits am 10. Februar und am 14. März hatte sie sich an Inspektor Förster gewandt und versuchte die Anschuldigungen zu entwirren (ebd., Bl. 67-70). In ihrem letzten Brief vom 24. November 1894 formulierte sie „(…) überreiche ich in der Einlage mein ärztliches Attest, welches mich für längere Zeit vom Schulunterricht freihalten will. Sie wollen überzeugt sein, daß es mir sehr schwer wird, aber meine Kräfte sind durch das lange und schmerzhafte Leiden gänzlich zerstört. Daher bitte ich um Entschuldigung, dass ich nicht zu Ihnen kommen kann, um mich zu erklären. Ich muß so unhöflich sein, Sie um Ihren werten Besuch zu bitten oder, daß Sie es anders einrichten möchten. O diese Beschwerden! (…) Es zeichnet in vorzüglicher Hochachtung und dankbarer Ergebenheit L. Sellheim“ (ebd., Bl. 74 f.).

Auch die von Dr. Hoffmann erstellte Diagnose ist erhalten geblieben. Ohne Anschreiben formulierte er (ebd., Bl. 73): „Fräulein Sellheim leidet an einem schweren chronischen Lungenkatarrh. Es ist ihr dringend gerathen, auf längere Zeit nicht zu unterrichten. [Absatz] Die größte Schonung ist hierfür nöthig, wenn nicht die Krankheit verschlimmert werden soll. [Absatz] Halle a. S. am 20. November 1894 [Absatz] Dr.Hoffman [Zusammenschreibung – Klammersetzung KG]“ Darunter befindet sich ein Vermerk: „Vernehmung von Frl. Sellheim bezüglich einer an d. K. Reg. Merseb [o. Pkt.] ergangenen Beschwerde nicht möglich. Daher um Aufschub gebeten. H. 26. Nov. 95 No 656 B.“ Schließlich: „An K. Regierung M. Beschwerde zurück mit Nachricht daß Frl. Sellheim i. d. Weihnachtszeit 94 verstorben ist. Sache erledigt. H. 3. Jan. 95 No 2 B [Kürzel] F“ [wahrscheinlich Kreisschulinspektor Förster – KG]. Das Adressbuch von 1895 verrät noch zur Person des Arztes: „Dr. med. Hermann Hoffmann, Wundarzt und Geburtshelfer, Bernburger Straße 2“.

Lina Gollasch genannt Sellheim verstarb laut Sterbeurkunde Nr. 2563 am 27. Dezember 1894 in Halle (vgl. am Eingang des Beitrags). Damit ging für die Hallenser Geschichte der Vorschulpädagogik ein wichtiges Kapitel zu Ende. Erstmalig sind in Halle Kindergärtnerinnen in der pädagogischen Ausrichtung nach Fröbel über einen längeren Zeitraum, von 1878 bis 1894, ausgebildet worden. Lina Sellheim hatte es verstanden, innerhalb der städtischen Elternschaft sowie in Presse und Verwaltung auf sich aufmerksam zu machen und auf ihre Fröbelsche pädagogische Intention hinzuweisen. Sie gehört zweifelsohne zu den Pionierrinnen der Fröbelbewegung in Mitteldeutschland.

Stadtschulrat August Gottfried Eduard Krähe und Kreisschulinspektor Theodor Förster waren sich der Bedeutung eines Erzieherinnenseminars in der damaligen wilhelminischen Zeit, in einer Periode der Entstehung großer wirtschaftlicher Unternehmen mit Hunderten und Tausenden von Beschäftigten, im Klaren. Darüber im Klaren wohl auch, was die Basierung des Erziehungsprozesses durch fundamentale pädagogische Konzeptionen betraf und die Eignung der Fröbel-Pädagogik hierzu stand unterdessen außer Frage. So bemühte sich die städtische Verwaltung um eine Weiterführung des Seminars von Lina Sellheim.

Die Fortführung der Einrichtung übernahm vorübergehend Fräulein Anna Marie Weidling (10. April 1865 geb.), eine frühere Hallenser Volksschullehrerin, was am 4. März 1895 vom Magistrat auf Grund einer Verfügung der Merseburger Königlichen Regierung vom 28. Februar bestätigt wurde (A 2.36 Nr. 1198 Bd. 1 Bl. 53). Am 2. Oktober 1895 steht die Schule unter der gemeinsamen Leitung von Weidling und Eyssell, die das Institut zu einer Musterschule machen wollen und deshalb beim Magistrat eine Unterstützung beantragten. Diesen Antrag beurteilte dieser am 12. Oktober 1895 wohlwollend. Am 18. Dezember 1895 wird Anna Marie Weidling als Eyssells Frau bezeichnet (Heiratsdatum 04. April 1895). Noch im gleichen Jahr, am 18. Dezember 1895, wird die Einrichtung an Georg Erich Eyssell-Weidling (13. August 1865 geb., cand. Theol.) übergeben. Dieser meldet seine Einrichtung zum 25. April 1898 im Harz 13 an. Erich Eyssell ist zu diesem Zeitpunkt noch Diakon in St. Marien in Eilenburg. Er leitet die Hallenser Einrichtung an einem oder zwei Tagen je Woche (ebd., Bl. 53-58). Den ehemaligen Kindergarten Lina Sellheims finden wir im Adressbuch noch in der Laurentiusstraße 7 unter der Leitung von Eyssell-Weidling. 1899 führte er das Seminar und den Kindergarten nun in einem Objekt, im Harz 13, zusammen.

Bald kommt es zu einem weiteren Besitzerwechsel beider Einrichtungen. Den Kindergarten hatte August Emil Laegel (oder Lägel), ein Gymnasiallehrer, übernommen. Die Merseburger Regierung untersagte ihm jedoch am 20. Dezember 1904 seinen Titel als Gymnasiallehrer zu verwenden („war weder G., noch ist er berechtigt, diese Amtsbezeichnung zu führen“, ebd. Bl. 92). Das Adressbuch gibt für ihn ebenfalls die Adresse im Harz 13 an. Nach ancestry war Laegel (04. Juli 1856 geb.) seit dem 11. August 1888 mit Elisabeth Marie Henriette Kluger (05. Oktober 1860 Calbe geb.) verheiratet. Ab 1. Oktober 1900 führt er auch das staatlich Concessionierte Seminar für Kindergärtnerinnen, Harz 13, Eg. und I, im Sommer M. 12-1, im Winter N. 1-2 (Adressbuch), auch 1902, 1903, 1904.

Im Adressbuch von 1903 führt Laegel die Angaben zu seinem Seminar auf:

„13 Lehrkräfte, Abschlussprüfung unter Vorsitz des Kreisschulinspektors, Ausbildungszeit für Kindergärtnerinnen II. Klasse ½ Jahr, für I. Klasse 1 Jahr – Ausbildungskosten für II. Klasse ca. 100 Mk, für I. Klasse ca. 200 Mk. Die Abgehenden werden in gute Stellen empfohlen. Gehälter für II. Klasse 150-300 Mk., für I. Klasse 300 – 500 Mk.“ Gleichzeitig wirbt er für sein „Seminar für Privatlehrerinnen und Kindergärtnerinnen“, wobei von uns über die Lehrerinnenausbildung nichts Näheres ermittelt wurde. Zusätzlich wurde angeboten:

„Arbeitsschule, hier werden die Schüler bei der Hausaufgabenanfertigung gegen Honorar beaufsichtigt.

Haushaltungsschule: Leiterin Frau E. Lägel

Ausbildung für den eigenen Bedarf oder für Repräsentantinnen

Familienpensionat einschl. Erz. zu guten Umgangsformen

Aufnahme auch Schulpflichtiger: Pensionatspreis 500 oder 600 Mk.“

Im folgenden Jahr 1904 hat er noch einmal das Angebot erweitert und weist auf seinen Kindergarten, die Arbeitsschule, die Haushaltungsschule und auf das Familienpensionat hin (Adressbuch).

Außerdem sind im Stadtarchiv noch eine Reihe von biografischen Angaben zu dem Philologen Laegel aus Eilenburg nachlesbar (2.36 Bl. 90 f.), auf deren Notierung wir hier verzichten.

Kommen wir zum Ende dieses Abschnittes noch auf die Familie Sellheim zu sprechen. Als Lina starb, zeigte ihr Vater ihren Tod auf dem Standesamt an. Er, ihr Stiefvater Friedrich August, war damals Rentier in der Streiberstraße 9 I, 1897 ist er am Domplatz 10 gemeldet, 1903 (ancestry) verstorben (s.o.). Die Firma seines Sohnes Karl Rudolf August Sellheim (1857-1907) existierte 1904 noch mit den Adressen Thüringer und Merseburger Straße. Seine Geburt wurde erst am 10. Mai 1857 angezeigt und der Name irrtümlich Sellenheim geschrieben (10.05.1857). Zu diesem Zeitpunkt waren die Eltern noch nicht verheiratet.

2019 jährte sich ihr 125jährigen Todestag.

Anhänge

Anhang 1

Werbeprospekt Lina Sellheims mit der Überschrift: Staatlich concessioniertes Seminar für Kindergärtnerinnen (Stadtarchiv Halle, A 2.36 Nr. 1198 Bl. 6-7)

Anhang 2

Seminarablauf im Seminar von Lina Sellheim im Wintersemester 1891/1892 (Stadtarchiv Halle, A 2.36 Nr. 1198 Bl. 3)

Anhang 3

Lina Sellheim: Ein Wort zur Ausbildung von Kindergärtnerinnen (Hallesches Tageblatt vom 29.03.1882)

Literatur

Allgemeine Schulzeitung. 75, 52. Jhg., Heft 41, S. 315-316 (zum Umzug des Köthener Institutes nach Leipzig).

Ancestry (2019): https://www.ancestry.de (16.12.2019).

Gebser, Klaus (2012): Baum, Pfeil, Kieselstein. Fröbel – ein Freund der Kinder. Halle/S.: Projekte.

Gebser, Klaus: „Helm ab“ – zum Gebet. „So war unser Einzug in Halle“. Halle: Teichmann 2016.

Hallesches patriotisches Wochenblatt. Halle, Buchhandlung des Waisenhauses 1799 bis 1838. 4. –Hrsg. von A. H. Niemeyer und H. B. Wagnitz. Hallesches Tageblatt in: http://digitale.bibliothek.uni-halle.de/zd/ periodical/ titleinfo/ 9059307.  

Mybude (2018): Handel-Wirtschaft 1871 bis 1914. http://www.mybude.com/brw-zeit/6911-handel-wirtschaft-1871-1914.html (20.05.2018).

Stadtarchiv Halle, A 2.36 Nr. 126 Bd. 1 Bl. 18; A 2.36 Nr. 1198, Bd. 1 Bl. 4f.; Bl. 6 f.; Bl. 41-51; Bl. 53, Bl. 108f., Bl. 176

Staude u.a. (Hrsg.): Die Stadt Halle a/S. im Jahre 1891. Festschrift. Halle: Gebauer, Schwetschke 1891; insbesondere August Steger: IX., Das Schulwesen, S. 272-319

Steger, A.: IX. Das Schulwesen. In: Staude 1891, S. 272-319, insbes. S. 314-319.

http://digital.bibliothek.uni-halle.de/hd/content/structure/77606.

Universitäts- und Landesbibliothek Sachsen-Anhalt (2011): Adreß-Buch und Wohnungs-Anzeiger für die Gesamtstadt Halle a. d. Saale und Giebichenstein: nebst statistischen u. topographischen Notizen aus d. Saalkreise; für d. Jahr 1881, 1882, 1884, 1891, 1900, 1903, 1904; mit e. Plane d. Stadt, Halle, S : Hendel, 1867 – 1891, W. Kutschbach 1897-1904, Halle: Verlag Otto Hendel. http://digital.bibliothek.uni-halle.de/hd/periodical/titleinfo/958218 (16.12.2019).  

Universitäts- und Landesbibliothek Sachsen-Anhalt (1882): Sellheim, Lina: Ein Wort zur Ausbildung von Kindergärtnerinnen. Hallesches Tageblatt, Jg. 83, B.1(75) 29.03.1882. https://digitale.bibliothek.uni-halle.de/zd/periodical/pageview/9072757.

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