Konflikte als wichtige Phase in der Teamentwicklung

Dipl.Päd. Natascha Wolter

Wer mag schon Konflikte? Sie sind anstrengend, kosten Energie, fordern unsere Aufmerksamkeit - und am liebsten würden wir sie anderen überlassen, oder?

So jedenfalls habe ich gedacht – bis ich auf die Phasen der Teamentwicklung stieß. Wer Konflikte im Teamzusammenhang einordnen kann, lernt sie vielleicht nicht zu lieben, aber sie als Anzeichen einer notwendigen Auseinandersetzung zu verstehen. Die Phasen der Teamentwicklung gehen auf ein Modell von Bruce Tuckmann (vgl. Tuckmann 1965, 1977) zurück, dass die Komplexität gruppendynamischer Prozesse strukturiert zu beschreiben versucht. Danach durchlaufen eine Gruppe bzw. ein Team vier Phasen der Entwicklung, die Eberhard Stahl (2007) wie folgt benennt:

  1. Forming – die Einstiegs- und Findungsphase (Kontakt),
  2. Storming – die Auseinandersetzungs- und Streitphase (Konflikt),
  3. Norming – die Regelungs- und Übereinkommensphase (Kontrakt),
  4. Performing – die Arbeits- und Leistungsphase (Kooperation) (vgl. S. 49).

Danach löst sich die Gruppe bzw. das Team entweder auf, oder konstituiert sich neu. Für diesen Fall hat Stahl (2007) eine fünfte Phase ergänzt, das Re-Forming. Mit der fünften Phase beginnt der Kreislauf von neuem, ähnlich wie sich die Jahreszeiten wiederholen und doch immer wieder neu und anders sind. Zu den einzelnen Phasen:

Forming – die Gründungsphase

Zu Beginn des Zusammenkommens und Kennenlernens ist das Team eher noch eine relativ lose Ansammlung, es mangelt noch an Regeln. Das ist auch dann der Fall, wenn es zu Wechseln von Teammitgliedern oder gar der Leitung kommt, denn das Team muss sich dann wieder neu finden. Aus der losen Ansammlung entwickelt sich dann im Weiteren eine Struktur, die das Team darin unterstützt, sich nach innen zu finden und nach außen abzugrenzen.

Bei den einzelnen Teammitgliedern kann der Grad der Aufregung vergleichsweise hoch sein; Einerseits aufgrund der Ungewissheit, was auf sie zu kommt, andererseits aufgrund möglicherweise wachwerdender negativer Vorerfahrungen mit Gruppen- und Teamsituationen. Das Klima im Miteinander kann geprägt sein durch Selbstunsicherheit, Wirkungsorientierung, Gehemmtheit und Zurückhaltung. Niemand ist vielleicht richtig bei sich, noch richtig bei den anderen. Ziel dieser Phase ist die Sättigung des Sicherheitsbedürfnisses der Gruppenmitglieder.

Hier ist vom ersten Moment an die Leitung gefragt. Dabei steht die Leitung dem Prinzip der Wechselwirkungen entsprechend nicht völlig außerhalb des allgemeinen Klimas, sondern wird häufig bei sich selbst ebenfalls ein innerliches „Flattern“ wahrnehmen. Zudem ist sie sich bewusst, dass die ersten 7 Sekunden die entscheidenden sind und sie sich dem Risiko aussetzt, von den Gruppenmitgliedern abgelehnt zu werden. Im ungünstigsten Fall kann eine Gruppe sogar ihren kleinsten gemeinsamen Nenner in der Ablehnung der Leitung finden. Damit diese Phase für die Gruppe einen optimalen Nutzen entfalten kann, hat eine Leitung in dieser Phase im Wesentlichen die Aufgabe:

  • Regeln vorzugeben,
  • gesetzte Ziele als solche transparent zu machen,
  • die Akzeptanz als Grundhaltung gegenüber den Gruppenmitgliedern vorzuleben,
  • gleichzeitig etwaige Konflikte moderierend aufzuschieben sowie,
  • sich selbst und die eigene Motivation vorzustellen.

Storming – die Streitphase

Nach dem die ersten Ängste und Unsicherheiten überwunden sind, beginnen die einzelnen Teammitglieder, ihr Profil sichtbar zu entfalten. Das Team wächst zusammen und wird nach außen sichtbar. Individuelle Bedürfnisse werden geäußert, Widersprüchlichkeiten und Zielkonflikte werden sichtbar. Das „Ich“ will sich und seine Themen im neuen „Wir“ behaupten. Nachdem in der Phase des Formings die Aufmerksamkeit vorrangig auf das Verbindende gerichtet war, steht jetzt das Trennende im Vordergrund. Da wir im Alltag Konflikte oft eher zu scheuen gewohnt sind, kann es durchaus der Ermutigung durch die Leitung bedürfen, sich offen zu äußern. Ist der Damm dann erst einmal gebrochen, kann das Klima schon mal raue Formen annehmen. Auch Projektionen auf die Leitung sind im Storming keine Seltenheit.

Die Kunst besteht in dieser Phase darin, Unterschiedlichkeit sowohl im Hinblick auf Ziele als auch auf Probleme und Ressourcen entfalten zu lassen, und die entstehenden Konflikte so zu moderieren, dass der Prozess konstruktiv und auf das Kernthema des Teams hin ausgerichtet bleibt. Auch, wenn es im Storming nicht immer gemütlich zugeht, ist dies eine Phase von hoher Bedeutung für die spätere Arbeitsfähigkeit des Teams.

Wo versucht wird, die notwendigen Konflikte zu umgehen oder im Keim zu ersticken, wächst die Gefahr einer ungeregelten Explosion. Der Nutzen eines konstruktiven Stormings ist vielfältig. „Im Storming entwickelt die Gruppe die Fähigkeit, Unterschiede zwischen ihren Mitgliedern zuzulassen und zueinander in (zunächst konflikthafte) Beziehungen zu setzen. Abgrenzungen voneinander und Kritik aneinander werden als Bestandteile der Gruppenkultur etabliert. Dabei entsteht eine wesentliche Voraussetzung für Lebendigkeit und Effizienz des Miteinanders:

  • Themen werden bearbeitbar, die auf der Grundlage der Konventionsstruktur noch tabuisiert waren (z.B. Hierarchien und Konkurrenzverhältnisse innerhalb der Gruppe),
  • Beziehungen innerhalb der Gruppe werden vertieft, wenn die Einzelnen Individualität gewinnen und aus der Gleichabständigkeit im Forming nun Beziehungen mit unterschiedlichen Abstufungen von Nähe und Distanz hervorgehen,
  • die emotionalen Bindungen der Einzelnen an die Gruppe werden verstärkt, wenn Teilnehmer jenseits der sozialen Freundlichkeitsfassade ihren Charakter und ihre den Konflikt begleitenden Gefühle zeigen,
  • Partnerschaften, Bündnisse, Koalitionen und Mehrheitsverhältnisse werden transparent,
  • Störungen, die die Arbeitsfähigkeit der Gruppe einschränken, werden aus dem Nebel des scheinbar Unbegreiflichen herausgelöst und auf bearbeitbare und lösbare Zielkonflikte zurückgeführt,
  • umstrittene Ziele, die nicht alle teilen, werden benannt und unter geklärten Bedingungen verfolgt.

Mit anderen Worten: Die Leistungsfähigkeit der Gruppe steigt.“ (Stahl 2007, S. 98)

Norming – die Vertragsphase

Nachdem jetzt die Vielfalt sichtbar ist, gilt es in der Phase des Normings nun, daraus einen am Kernthema bzw. Auftrag des Teams orientierten Gruppenvertrag zu vereinbaren. Das bedeutet einerseits einen Gruppenvertrag als größtmöglichen gemeinsamen Nenner zu konzipieren, andererseits bedeutet dies einen bewussten Abschied von verschiedenen Einzelzielen. Dementsprechend gleicht die Stimmung, in etwa der Wetterlage nach einem Gewitter: Kühl, nüchtern und klar.

Vergleicht man die Phasen der Teamentwicklung mit den verschiedenen Lebensabschnitten eines Menschen, dann kommt die Phase des Formings am ehesten dem Kindesalter gleich, wo noch alles Neue mehr oder weniger aufgesogen und akzeptiert wird. Darauf folgt mit der Stormingphase die Abgrenzung, vergleichbar der Pubertät. Mit dem Norming hält dann das Erwachsenenalter Einzug.

Die verschiedenen Ziele und Zielkonflikte liegen auf dem Tisch. Um zu tragfähigen Regelungen zu kommen bedarf es jedoch nicht nur der Betrachtung der konkret zu regelnden Punkte, sondern darüber hinaus einer Einigung über Regelungen zum Vereinbarungsprozess an sich, die sogenannten Meta-Regeln. Dazu gehört, ob Entscheidungen demokratisch (durch Zweidrittelmehrheit oder einfache Mehrheit), „harmonisch“ erst mit Einstimmigkeit getroffen werden, oder durch eine einzelne Stimme – autoritär entschieden wird.

Je besser es dem Team gelingt sich selbst auf Lösungsvorschläge sowohl bezogen auf die zu regelnden Punkte als auch auf die Regelungssysteme hin zu verständigen, desto arbeitsfähiger wird das Team sein. Teamleiter/innen fungieren hierbei vorrangig als Moderatoren. Diese dürfen zwischen den Parteien vermitteln und in verfahrenen Situationen Lösungswege aufzeigen, sollten aber möglichst der Versuchung widerstehen, selbst die Entscheidung in die Hand zu nehmen. „Eine gute Möglichkeit, der Gruppe weiterzuhelfen, ohne sie aus der Verantwortung zu entlassen, besteht darin,

  • ihr zunächst das eigene Dilemma bewusst zu machen,
  • dann Vorschläge für eine Verfassung zu unterbreiten und
  • schließlich bei Bedarf eine zeitlich befristete Vorgabe als Krücke anzubieten:

Solange Ihr nicht darüber einig werdet, wie Ihr zu gemeinsam getragenen Regeln kommt, werdet Ihr kaum effizient arbeiten können, da Ihr so lange auf Einstimmigkeit angewiesen seid. Das ist nun nicht Euer persönliches Versagen, sondern das ist ein Dilemma, mit dem sich alle selbstbestimmten Gruppen herumschlagen müssen. Die Abkehr von der Einstimmigkeit bedeutet für alle Beteiligten ein Risiko- Ihr könnt schon bei der nächsten Entscheidung zur Minderheit gehören. Beides zusammen – Entscheidungsfähigkeit und umfassender Minderheitenschutz – ist gleichzeitig nicht zu haben. Ihr müsst Euch entscheiden. Wenn Ihr dies nicht tut, entscheidet Ihr Euch für die Beibehaltung des Einstimmigkeitsprinzips. Ich schlage Euch vor, während der nächsten 4 Tage (Wochen, Monate) verbindliche Entscheidungen mit der absoluten Mehrheit der Anwesenden zu treffen und anschließend zu schauen, ob Ihr mit den Ergebnissen zufrieden seid.“ (Stahl 2007, S. 134)

Der Moderator lässt das Team auf diese Weise an seiner Perspektive teilhaben und spiegelt zurück, welche Auswirkungen es hat, wenn das Team nicht in der Lage ist, sich auf eine Vereinbarung zur Entscheidungsfindung zu verständigen. Mit der zeitlichen Befristung bietet der Leiter eine Brücke an, die aus der Starre in die ersten Schritte führen kann. Da in dem Prozess der Entscheidungsfindung sowohl bezogen auf die Regelungssysteme als auch auf die zu regelnden Fragen selbst, naturgemäß nicht alle Wünsche und Anliegen integrierbar sind, kann sich durchaus entsprechend Widerstand entwickeln. Wo dieser spürbar wird, ist es grundsätzlich wichtig, diese seitens der Leitung aufzugreifen, zu benennen und damit für alle erfahrbar und somit greifbar zu machen. So lässt sich auch offen über mögliche Auswirkungen sprechen, die ein Verändern der bereits vereinbarten Punkte im Sinne des enttäuschten Einzelanliegens für die Arbeitsfähigkeit des Teams hätte.

Offener Widerstand kann so in den Teamprozess eingebunden werden. Widerstand, der nicht offen angesprochen wird, entfaltet oftmals verdeckt seine Kräfte – und wirkt dort entsprechend kontraproduktiv. Die Leitung hat somit, wie bereits erwähnt, im Norming im Wesentlichen einen Moderationsauftrag. Für die im Storming gesammelten Ziele, Themen und Konflikte müssen Ideen gesammelt und strukturiert werden, sowie Ergebnisse klar und verständlich zusammengefasst werden. Vorschläge zur Reihenfolge in der Lösungsfindung können seitens der Leitung durchaus eingebracht werden. Dabei gilt grundsätzlich:

  • „Metaregeln vor Regelungen konkreter Punkte,
  • Vordringliche vor nachgeordneten Zielkonflikten,
  • Grundsatzfragen vor Detailarbeit,
  • Konflikte auf / mit höherer Hierarchieebene vor solchen auf / mit untergeordneter Hierarchieebene.“ (Stahl 2007, S. 146)

Die Kunst besteht vor allem darin, mit der in den meisten Fällen vorhandenen zeitlichen Begrenzung sinnvoll umzugehen.

Performing – die Arbeitsphase

Erst, wenn die vorausgehenden Phasen erfolgreich abgeschlossen sind kann das beginnen, was das Team ursprünglich eigentlich zusammengeführt hat: Die eigentliche Arbeitsphase.

Es fällt besonders den Ergebnisorientierten unter uns nicht immer leicht, konsequent auf ein sorgfältiges Durchlaufen des Forming, Storming und Norming zu achten. Nur zu gern wird die anfänglich noch aus Unsicherheit entspringende, vordergründige Harmonie mit einem „Wir“ verwechselt. Oder die aus dem gleichen Grunde vorschnelle Einigkeit mit einem Gruppenzielvertrag. Weiterhin können Konflikte als grundsätzlich negativ erlebt und entsprechend vermieden werden. Doch die Erfahrung lehrt uns, dass es keine wirkliche Abkürzung gibt. Im Gegenteil: In der Regel erweisen sie sich erst recht als Umwege. Mit dem Gruppenvertrag erhält das „Wir“ eine Richtung, auf die sich die Energie des Teams konzentrieren kann. Nachdem im Norming die notwendigen Vereinbarungen getroffen wurden, kann das Team im Performing „an die Arbeit“. Die Ziele sind klar definiert und können direkt umgesetzt werden. Doch die Erkenntnisse bezüglich der Inhalts- und Beziehungsebene von Kommunikation belehren uns eines Besseren:

Aus der Phase der Vertragsverhandlung im Norming sind zwangsläufig individuelle Anliegen offengeblieben, die im Hinblick auf das gemeinsame Ziel zurückgestellt werden mussten. Auch diese enttäuschten Erwartungen möchten gesehen und wertgeschätzt werden! Dies sollte zu Beginn des Performing unbedingt noch einmal ausdrücklich geschehen, da sich hieraus andernfalls in der Arbeitsphase neues Konfliktpotential entfalten kann.

Ist das Team dann erst einmal auf dem Weg, steigen mit jedem Schritt, der dem Ziel spürbar näher führt, Stimmung und Motivation. Das „Wir-Gefühl“ des Teams wächst. Kleine Kurskorrekturen erfolgen eher nebenbei. Das Team ist im Flow. Das näher rückende Ziel entwickelt eine Eigenmotivation. Mit Erreichung des Zieles ist die Phase des Performings abgeschlossen. Das Team löst sich entweder auf (z.B. bei Projektarbeiten) oder reorganisiert sich von Neuem, an neuen Zielen. Dann beginnt der Kreislauf von Neuem, was Stahl als Re-Forming bezeichnet. Wer eine wertschätzende Führungskultur pflegt und sensibel ist für die verschiedenen Phasen, baut hier vorher bewusst eine kleine Pause ein.

Die Adjourning-Phase[1]

Die fünfte Phase, die Auflösungsphase, wird als Ergänzung oder Re-Forming betrachtet. Der Prozess der Auflösungsphase wird von einer Leitung aktiv gestaltet, um die vollbrachte Leistung zu würdigen und die Themen oder projektbezogene Leistung angemessen abzuschließen. Jetzt darf gern ein wenig gefeiert werden – bevor der Alltag schon wieder mit den nächsten Herausforderungen beginnt.

Insgesamt ist bei allen beschriebenen Phasen zu beachten, dass es sich hierbei um ein Modell der Gruppendynamik handelt das nicht mit der Wirklichkeit selbst zu verwechseln ist.

Das heißt, in der Realität vollziehen sich die Phasen der Teamentwicklung nicht klar und sauber abgegrenzt voneinander. Gerade die Schleifen, die „Ehrenrunden“ sind es oft, die der Gruppendynamik ihren lebendigen Charakter verleihen. Für diese Ausreißer und „Rückfälle“ gilt es als Leitung wachsam zu sein, zu erkennen welcher Phase das Verhalten des Teams im Rückschritt zuzuordnen ist und dann den Prozess entsprechend zu moderieren.

Literatur

Stahl, E. (2007). Dynamik in Gruppen. Weinheim/Basel: Beltz Verlag.

Tuckman, B. W. (1965). Developmental sequence in small groups. Psychological bulletin, 63(6), S. 384.

Tuckman, B. W., & Jensen, M. A. C. (1977). Stages of small-group development revisited. Group & Organization Studies, 2(4), S. 419-427.

Anzeige: Frühpädagogik bei Herder