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Zitiervorschlag

"Was ist ein Traum? fragt Jonas." Philosophieren mit Kindern im Kindergarten

Barbara Brüning

 

1. Wachsein - Träumen - Fragen stellen

Der chinesische Philosoph Dschuang Dse (ca. 370-280 v. Chr.) erwachte eines Tages und wusste plötzlich nicht mehr, ob er Dschuang ist, der träumt, ein Schmetterling zu sein, oder ob er womöglich ein Schmetterling ist, der davon träumt, Dschuang zu sein. Zwischen beiden, so bemerkte Dschuang kritisch, bestünde doch sicherlich ein Unterschied (Dschuang Dse 1957, S. 15).

Ähnliche Probleme hatte auch der französische Philosoph René Descartes(1596-1650). Ihm kamen manchmal Zweifel, ob er wirklich am Kamin sitzt und Papier mit seinen Händen betastet oder ob er lediglich davon träumt, am Kamin zu sitzen und zu lesen. Descartes dachte am Kamin über die Frage nach, wieso jemand sicher sein kann, dass er wach ist und nicht nur davon träumt, wach zu sein?

Solche schwierigen Fragen entspringen nur einem philosophisch geschulten Geist, könnte jetzt geschlussfolgert werden - immerhin wurde Descartes später der Begründer der neuzeitlichen europäischen Philosophie.

Der amerikanische Philosoph Gareth B. Matthews, der seit Jahren mit jüngeren Kindern philosophiert, hat andere Erfahrungen gemacht. "Papa, wie können wir sicher sein, dass alles nicht nur ein Traum ist?" fragte ihn eines Tages der sechsjährige Tim und dachte dabei in die gleiche Richtung wie Descartes. Können wir mit Gewissheit sagen, wann wir wach sind und wann wir träumen (Matthews 1991, S. 15)?

Tims schwierige Frage ist kein Einzelfall. Jeder, der mit jüngeren Kindern zusammen lebt oder arbeitet, weiß, dass sie Erwachsenen Löcher in den Bauch fragen können. So erinnert sich die ägyptische Schriftstellerin und Philosophin Nawal El Saadawi (geb. 1931) daran, ein ruhiges Kind gewesen zu sein, solange sie noch nicht sprechen konnte. "Als ich jedoch zu sprechen gelernt hatte, stellte ich jene Fragen, auf die Eltern keine Antwort wissen, wie etwa 'Woher komme ich?' oder 'Wohin ist mein verstorbener Großvater gegangen?'..." (El Saadawi 2002, S. 23).

Fragen, auf die Erwachsene oft keine Antwort wissen, tragen vielfältigen Charakter. Sie betreffen existentielle Probleme des Menschseins wie Glück, Identität oder auch den Unterschied von Träumen und Wachsein. Die philosophische Tradition hat sich mit diesen Fragen seit ungefähr 2500 Jahren beschäftigt und immer wieder neue Antworten darauf gesucht. Sie bilden sozusagen den Buchbestand der Philosophiegeschichte. Aber dieser Buchbestand entbindet niemanden davon, auf seine eigenen wichtigen Lebensfragen nach Antworten zu suchen. Und jemand, der beispielsweise beginnt, über den Unterschied von Träumen und Wachsein nachzudenken, philosophiert.

Das Kinderbuch "Was ist ein Traum? fragt Jonas" ist eine wahre Fundgrube, um jüngere Kinder anzuregen, sich über eigene und fremde Träume Gedanken zu machen. Das Buch beginnt mit der Situation, die El Saadawi geschildert hat: Kinder fragen ihre Eltern Löcher in den Bauch, und diese reagieren mit der Antwort: "Das weiß ich doch nicht."

Der Hauptheld des Buches, der kleine Maulwurf Jonas, erhält von seiner Mutter auf die Frage, was denn ein Traum sei, die Antwort, dass es Träume gar nicht gibt. Jonas ist verblüfft, denn er weiß genau, dass er letzte Nacht geträumt hat. "Aber, was man im Traum sieht, das gibt es nicht", erwidert die Mutter (Schirneck 2003, ohne Seitenangabe). Enttäuscht und traurig buddelt sich der kleine Maulwurf nach oben auf die Erde. Und dort stellt er verschiedenen Tieren die gleiche Frage, auf die sie ihm vielfältige Antworten geben, die den Begriff des Traumes klarer werden lassen: Ein Traum ist ein Buch in einer fremden Sprache oder eine Geige, die eine schöne Melodie spielt, bzw. ein Fernrohr, mit dem man in die Seele hineinschauen kann (siehe hierzu Punkt 2, begriffliches Arbeiten). Zufrieden kehrt Jonas abends nach Hause zurück und erledigt erst einmal schweigend die alltäglichen Aufgaben, die seine Eltern ihm auferlegen: Hände waschen, Zähne putzen etc. Doch dann im Bett stellt er seiner Mutter noch einmal die Frage nach dem Traum. Und nun wird deutlich, dass inzwischen auch Jonas Mutter weiter über Träume nachgedacht hat. Sie sagt zu ihrem Sohn: "Ein Traum ist wie ein Film, der in dir selbst entsteht und in dem du die Hauptrolle spielst. Manchmal ist er auch wie eine Reise, die man nicht mit dem Auto oder mit dem Flugzeug macht" (Schirneck 2003, ohne Seitenangabe). Und als die Mutter das Zimmer verlässt, schaukelt Jonas bereits mit einem gelben Segel in ein Land, das nur ihm allein gehört.

2. Methoden des Philosophierens

Jonas Frage: "Was ist ein Traum?" führt uns zu der Überlegung, wie Fragen von Kindern, die wichtige Lebensprobleme wie Träume, Glück oder Identität betreffen, mit den Kindern gemeinsam besprochen werden können. Die philosophische Tradition hat hierfür einen Kanon an Grundmethoden entwickelt, der auch beim Philosophieren zu Hause, im Kindergarten oder in der Schule hilfreich sein kann (vgl. Brüning 2001, S. 19-44). Er umfasst das begriffliche Arbeiten, das Argumentieren, das sokratische Gespräch und das Gedankenexperiment.

Begriffliches Arbeiten

Wenn jüngere Kinder wie der Maulwurf Jonas fragen: Was ist ein Traum? Was ist Zeit? Was ist ein Gedanke? - so ist es wichtig, sich gemeinsam mit ihnen die in den Fragen enthaltenen philosophischen Begriffe näher anzusehen und herauszufinden, welche Bedeutungen sich dahinter verbergen.

Das Kinderbuch von Hubert Schirneck führt uns vor, wie wir nach wichtigen Eigenschaften, die für einen Begriff modellhaft sind, so genannten Modellfällen, suchen können. Denn die Tiere benennen wichtige Eigenschaften eines Traumes. Ein Traum ist: ein Buch in einer fremden Sprache, eine Geigenmelodie, die manchmal schön und manchmal hässlich klingt, ein Fernrohr, um in die Seele zu schauen, eine über die Stirn laufende Fliege oder ein anderes, unbekanntes Land.

Diese Eigenschaften sind Denkanstöße, um einen schwierigen Begriff fassbarer zu machen und gleichzeitig die eigene Fantasie anzuregen, selbst nach Modellfällen zu suchen So sagte mir vor einigen Jahren der 5-jährige Kolja aus meiner Hamburger Kindergruppe: "Träume sind Gedankenblitze, die auch am Tag durch den Kopf sausen können." Kolja hat mit seiner Äußerung auf einen weiteren Modellfall hingewiesen: Es gibt verschiedene Formen von Träumen. Der Nachttraum ist nur eine Form, weitere Formen können z.B. Tagträume oder Wunschträume sein (siehe auch Punkt 3).

Um das Nachdenken über wichtige philosophische Begriffe zu fördern, können Eltern oder Erzieherinnen und Erzieher während des Philosophierens folgende Fragen an die Kinder stellen:

  • Was verstehst du unter dem Wort... Traum?
  • Kennst du ein anderes Wort für das Wort... Traum?
  • Was gehört für dich zu einem... Traum?
  • Stell dir vor, es gäbe das Wort... Traum nicht, wie würdest du es anderen Kindern erklären?
  • Was ist für dich wichtig am... Traum oder beim Träumen?

Diese Hilfsfragen regen die Kinder an, eigene Überlegungen zu einem Begriff anzustellen. Das Kinderbuch von Hubert Schirneck lässt nur die verschiedenen Tiere und die Mutter zu Wort kommen. Somit bleibt viel Raum für die eigenen Gedanken der Kinder: Wenn du Jonas wärst, was würdest du sagen? Ist ein Traum wie ein Fernrohr oder eher wie ein unbekanntes Land? Oder fällt dir noch etwas anderes ein, was ein Traum sein könnte?

Der Begriff Seele wird in dem Buch nicht erklärt und bietet somit einen zusätzlichen Anlass für weiteres begriffliches Arbeiten.

Argumentieren

Wenn Kinder beim Philosophieren beispielsweise die Meinung vertreten, dass Menschen gute und schlechte Träume haben, dann sollten sie auch sagen, warum sie diese Meinung (und keine andere) vertreten.

Das Begründen von Meinungen ist ein weiteres wichtiges methodisches Verfahren des Philosophierens. Jede geäußerte Meinung zu einem bestimmten Thema sollte durch (mindestens) einen Grund gerechtfertigt werden, damit die anderen auch erfahren, in welchen rationalen Zusammenhang sie eingebettet ist.

Die Gründe, mit denen eine Meinung gestützt werden kann, tragen vielfältigen Charakter. Die einfachste Möglichkeit des philosophischen Argumentierens ist die Bezugnahme auf empirische Gründe. Diese umfassen Tatsacheninformationen, die gegebenenfalls nachgeprüft werden können: Ich bin heute zu spät in den Kindergarten gekommen, weil Mama verschlafen hat (Jeder kann nachprüfen, ob das auch stimmt).

Einen größeren Schwierigkeitsgrad hinsichtlich des Abstraktionsvermögens von Kindern im Vorschulalter weisen nichtempirische Gründe auf. Sie sind begriffliche Konstruktionen, die nicht an Fakten überprüft werden können. Nichtempirische Gründe dienen dazu, das Verständnis einer Handlung bzw. einer Meinung zu "verbessern", und erklären, warum jemand eine bestimmte Meinung oder Haltung vertritt: Menschen haben gute und schlechte Träume, weil "manchmal im Traum Gespenster auftreten, die mir Angst machen und manchmal ganz liebe Menschen wie meine Omi. Und bei meiner Freundin ist das auch so!" (Nele, 5 Jahre). Der Grund, "weil manchmal im Traum Gespenster auftreten, die mir Angst machen und manchmal ganz liebe Menschen wie meine Omi", lässt sich nicht anhand von Fakten nachprüfen, d.h. wir sehen oder hören nicht, ob Nele die Wahrheit sagt. Darüber müssen Erfahrungen ausgetauscht werden, was Nele mit ihrer Freundin offensichtlich schon getan hat, denn sie sagt: "Und bei meiner Freundin ist es auch so!"

Das Schema einer einfachen Argumentation lautet:

M...................................................G

(Meinung)..........................(Grund)

Menschen haben gute und schlechte Träume..........................weil manchmal im Traum Gespenster auftreten und manchmal ganz liebe Menschen wie Omi.

Beim Philosophieren im Vor- oder Grundschulalter ist es wichtig, dass die Kinder in der Regel einen Grund für ihre Meinungen anführen; es ist jedoch auch möglich, nach weiteren Gründen zu fragen.

Wenn die Kinder von sich aus keine Begründungen angeben, so kann im Gespräch nachgefragt werden:

  • Warum meinst du, dass Menschen... gute und schlechte Träume haben? Kannst du uns ein Beispiel geben?
  • Du hast uns ein Beispiel erzählt, kennst du noch ein anderes?
  • Kannst du begründen, warum es... gute und schlechte Träume gibt? Hast du schon einmal schlecht geträumt?

Das sokratische Gespräch

Das Nachdenken über Träume kann mit Hilfe eines Buches oder durch Zeichnungen, Märchen und Bilder realisiert werden. Dabei ist es wichtig, einer philosophischen Frage gemeinsam auf den Grund zu gehen und spielerisch mögliche Antworten darauf zu formulieren. In den Fachdidaktik nennt man diese Gesprächsform "sokratisches Gespräch".

Die Methodik eines sokratischen Gesprächs stammt von dem griechischen Philosophen Sokrates (470-399 v. Chr.), der auf dem Marktplatz von Athen mit den Bürgerinnen und Bürgern über sie interessierende Probleme philosophiert hat. Sokrates hat darüber kein schriftliches Werk hinterlassen. Sein Schüler Platon (427-347 v. Chr.) machte ihn jedoch zur Hauptperson seiner philosophischen Dialoge, so dass die Methode des Sokrates in der Überlieferung Platons nachgezeichnet wurde.

Sokrates kreiste durch gezieltes Nachfragen einen bestimmten Begriff oder ein Thema mit seinen Schülern ein. Sie dachten gemeinsam über verschiedene Bedeutungen des Begriffes nach und stützten ihre Meinungen durch Argumente. Dabei war Sokrates stets dominant, d.h., er hat seine Schüler geführt und ihnen durch seine Art des Nachfragens Geburtshilfe für ihre eigenen Ideen geleistet. Deshalb nennt man die Methode des Sokrates auch Mäeutik (Hebammenkunst). Die Mutter des Sokrates war Hebamme, und er holte in der übertragenen Bedeutung des Wortes sozusagen die Ideen seiner Schüler auf die Welt.

Die heutige Form der sokratischen Gespräche hat von dem historischen Sokrates die Methode des Selbstdenkens übernommen. Wenn Kinder im Kindergarten oder in der Schule z.B. über Träume philosophieren, dann sollten sie ihre eigenen Ideen dazu entwickeln. Der Ausgangspunkt sind dabei die eigenen Erfahrungen, an die jedes sokratische Gespräch anknüpft, d.h. es wird nicht irgendein philosophisches Problem gewählt, sondern nur eins, das die Kinder interessiert und sie zum Nachdenken motiviert. Ohne eigene Beobachtungen und Erlebnisse der Kinder kann es kein Philosophieren geben.

Die Erwachsenen können den Kindern beim gemeinsamen Nachdenken Hilfestellung geben, indem sie nachfragen und Begriffe klären lassen oder die Kinder ermuntern, Gründe für ihre Meinungen anzuführen. Wichtig ist, dass jedes Kind in einer offenen Atmosphäre seine Ideen vorbringen kann. Und da es sich beim Philosophieren um eine gemeinsame Wahrheitssuche handelt, sollte auch eine gemeinsame Antwort auf die Frage "Was ist... ein Traum" angestrebt werden. Wenn nicht alle Kinder mit dieser Antwort zufrieden sind, dann können sie auf die nächste Traumstunde vertröstet werden.

Gedankenexperimente

"Träume sind Fliegen, die nachts, wenn wir schlafen, über unsere Stirnen laufen." Dieser Satz aus dem Kinderbuch von Hubert Schirneck ist ein bildhafter Ausdruck dafür, dass Träume überraschend kommen und dass die nächtlichen Bilder unvorbereitet durch unseren Kopf huschen. Er zeigt, dass Philosophieren auch etwas mit kreativem Nachdenken zu tun hat. Denn Gedanken oder auch Begriffe und Gründe lassen sich auch auf originelle, d.h. ungewöhnliche und neuartige Weise miteinander verbinden, so dass ein neuer Gedankengang entsteht, der einmalig und innovativ ist: Im Denken können wir beispielsweise Traumbäume in den Himmel wachsen lassen.

Zum kreativen philosophischen Nachdenken gehört seit der Antike die Methode des Gedankenexperiments. Sie ermöglicht spielerische Experimente mit Gedanken und imaginären Möglichkeiten, die von Fakten abstrahieren und Beziehungen oder Gegenstände betreffen, die in der Wirklichkeit so nicht vorkommen sind aber dennoch existieren könnten und in bestimmten Fällen auch dem gesunden Menschenverstand zuwiderlaufen, wie z.B.: Was würde passieren, wenn es auf der Welt plötzlich keine Träume mehr gebe?

Gedankenexperimente regen zu neuen Sichtweisen der Wirklichkeit an, indem sie Umstände und Elemente kombinieren, die in der Realität nicht zusammentreffen, aber möglicherweise zusammentreffen könnten, sollten oder müssten: Ich schwebe auf einem fliegenden Teppich in den Himmel der Träume.

Gedankenexperimente haben immer die Form von Was wäre, wenn (nicht)-Kombinationen und lassen sich schnell zu Beginn oder am Ende eines Gesprächs ohne große Vorbereitung in die Diskussion einbringen: Was wäre, wenn ein wir von früh bis Abend immer nur träumen würden?

Eine spezielle Form des Gedankenexperiments sind bildhafte Vergleiche oder Metaphern. Sie dienen dazu, verschiedene Facetten eines Begriffes oder einer Frage bildhaft und anschaulich darzustellen: Träume sind Schäume, d.h. sie vergehen genau so schnell wie sie gekommen sind. Träume sind wie ein Fernrohr, mit dem man in die Seele schauen kann. Hier wird eine Verbindung zur Theorie der Psychoanalyse des österreichischen Philosophen und Arztes Sigmund Freud (1856-1939) gezogen, der davon ausging, dass Träume auch Einblick in seelische Vorgänge eines Menschen geben, d.h. in Träumen verarbeiten Menschen vielfältige Lebenssituationen. Insbesondere jüngere Kinder können durch Anregungen wie z.B. Träume oder Gedanken sind wie... ermuntert werden, ihre eigenen bildhaften Vergleiche zu suchen.

Um die philosophische Fantasie der Kinder gezielt zu fördern, können Erwachsene folgende Hilfestellungen geben:

  • Könntest du dir vorstellen,... ohne Träume zu leben? Warum? Warum nicht?
  • Was würde passieren, wenn... die Menschen plötzlich keine Träume mehr hätten?
  • Nehmen wir an, es kommt... eine böse Fee und die zaubert alle schönen Träume einfach weg? Was würdest du machen?

3. Philosophieren über Träume - wie können sich jüngere Kinder dem Thema nähern?

"Träume sind wie raffinierte Gaukler: voller Einfälle, überraschend, nie gänzlich zu kontrollieren... Die meisten Träume verschwinden spurlos in geheimen Archiven, zu denen niemand den Schlüssel besitzt" (Mankell 2004, S. 9, 10). Dennoch kann man versuchen, Träume zu erschließen, indem über sie spricht. Das Kinderbuch "Was ist ein Traum, fragt Jonas" hat in diesem Sinne eine Schlüsselfunktion und eignet sich deshalb in besonderem Maße als Grundlage für eine längere Beschäftigung mit dem Thema "Traum".

Zusätzlich zu dem Schwerpunkt der Begriffsklärung von "Traum und träumen" könnten auch verschiedenen Formen von Träumen besprochen werden: Nachtträume, die das Buch thematisiert, und darüber hinaus Tagträume, Wunschträume, Angstträume oder auch Zukunftsträume wie z.B.: Wie stellst du dir die Familie oder die Schule von morgen vor? Ein weiterer Schwerpunkt könnte auch die Verbindung von Traum und Seele sein, auf die das Buch durch den Vergleich des Traumes mit einem Fernrohr, das in die Seele schauen kann, hingewiesen hat: Was passiert in deinem Kopf oder in deinem Körper, wenn du träumst? Diese Frage leitet zu einem letzten Themenbereich über, der den Unterschied zwischen dem Träumen und Wachsein betrifft, der bereits in der Einleitung angesprochen wurde: Wie kannst du wissen, ob du träumst oder ob du wach bist?

Die Wahl dieser vier Aspekte und ihre Gewichtung innerhalb des Philosophierens über Träume hängt natürlich von den Interessen der Kinder ab.

Ausgehend von den eigenen Erfahrungen der Kinder schlage ich für eine längere Beschäftigung mit dem Thema "Traum und träumen" auf der Grundlage des Kinderbuches vier wesentliche Phasen vor.

1. Phase: In einer Einstiegsphase sollten die Kinder für das Thema sensibilisiert werden und eigene Traumerlebnisse ausprobieren bzw. in die Diskussion des Buches mit einbringen. So könnten sie z.B. in der Kuschelecke sitzen und die Aufgabe erhalten, die Augen zu schließen und etwas Schönes zu träumen.

Variante a): Nach einiger Zeit öffnen sie die Augen wieder, wobei folgende Fragen für ein sokratisches Gespräch gestellt werden: Habt ihr jetzt gerade mit offenen Augen geträumt? Warum? Warum nicht? Was habt ihr denn Schönes geträumt? Erzählt es uns mal. Träumt ihr gern in einer Kuschelecke? Warum? Warum nicht?

Variante b): Die Kinder öffnen die Augen und malen ihren Traum. Danach werden die Zeichnungen in einen Kreis gelegt, und dann erraten die Kinder gegenseitig, was sie gemalt haben.

2. Phase: Nach diesem Einstieg steht das Buch über den Maulwurf Jonas im Mittelpunkt der Traumstunde, wobei drei Lesephasen vorgeschlagen werden, die nach dem Belieben der Kinder modifiziert werden können.

Der erste Leseabschnitt sollte an der Stelle "Löcher in den Bauch fragen" enden. Danach könnte über die Meinung von Jonas Mutter: "Was man im Traum sieht, gibt es nicht", ein sokratisches Gespräch geführt werden: Wie ist das gemeint? Wir haben doch auf unseren Zeichnungen gesehen, was wir geträumt haben?

Der zweite Leseabschnitt dauert nun etwas länger. Er thematisiert Jonas Suche nach einer befriedigenden Antwort auf seine Frage, was denn ein Traum ist, und endet mit der Aufzählung der einzelnen Antworten: Ein Traum ist wie... ein Buch, eine Geige, ein Fernrohr, eine Fliege, ein anderes Land, die in wundervoller Weise zusammenfassend gezeichnet worden sind.

Anschließend könnte darüber gesprochen werden, ob die Kinder mit den Antworten der Tiere zufrieden sind: Fällt euch noch etwas ein, das zu einem Traum gehört? Haben die Tiere etwas Wichtiges vergessen? Welche Antwort hat euch am besten gefallen? Begründet eure Meinung.

Im letzten Leseabschnitt kehrt Jonas nach Hause zurück und stellt seiner Mutter abends im Bett noch einmal die Frage, was ein Traum ist. Und nun wird deutlich, dass die Mutter inzwischen auch über das Problem nachgedacht hat. Ein Traum ist wie ein Film, sagt sie, "in dem du die Hauptrolle spielst, oder auch wie eine Reise. Und diese Reise macht man nur mit dem Herzen" (Schirneck 2003, ohne Seitenangabe). Darüber sollte gemeinsam nachgedacht werden: Was passiert beim Träumen? Welche Rolle spielt dabei der Kopf? Welche Rolle spielt das Herz?

Zum Schluss des Buches schaukelt Jonas dann mit einem gelben Segel in seinen Traum. Hier wäre es möglich, dass die Kinder wiederum eigene Traumerlebnisse erzählen oder malen.

3. Phase: Im Anschluss an die Lektüre des Traumbuches könnten dann die verschiedenen Formen der Träume besprochen werden: Jonas träumt nachts, ihr habt in der Kuschelecke geträumt. Wodurch unterscheidet sich ein Traum in der Nacht von einem Traum am Tag? Könnt ihr eigentlich auch auf Kommando träumen? Könnt ihr aufhören zu träumen, wenn ihr das wollt?

Die Frage: "Was träumt ihr am liebsten?" leitet dann zu den Wunschträumen über, über die mit einem Gedankenexperiment nachgedacht werden könnte: Stellt euch vor, zu euch käme im Traum ein gute Fee und würde euch fragen, was ihr euch wünscht. Malt es auf.

Anschließend könnte wieder geraten und darüber gesprochen werden, ob sich alle Wunschträume erfüllen lassen. Auch hier ist es wiederum möglich, Gedankenexperimente durchzuführen: Was wäre, wenn dein Wunschtraum niemals aufhören würde? Was wäre, wenn ihr plötzlich gar keine Träume mehr hättet?

Beim Thema "Wunsch- und Lieblingstraum" könnten die Kinder auch eine "Traumkette" einfädeln (Brüning 2001, S. 89): Ein Kind beginnt und sagt z.B.: "Als ich in Wolkenkuckucksheim war, traf ich Wolkenkinder, die spielten mit Wolkenbällen und..." Das nächste Kind ergänzt dann diese Kette, indem er/sie sagt, wen sie noch dort trifft und was der- oder diejenige dort macht. Dann kommt der nächste an die Reihe. Wenn ein Kind nichts mehr weiß, bricht die Kette ab.

Anschließend könnte ein Traumwolke gemalt werden.

4. Phase: Die bisherigen Reflexionen über das Träumen leiten abschließend zu der Frage von Dschuang Dse und Descartes über (siehe Punkt 1): Wie unterscheidet sich das Träumen vom Wachsein? Zur Diskussion dieser Frage sollten die Kinder überlegen, was passiert, wenn jemand träumt? Weiß man dann ganz genau, was man tut? Kann man seinen Traum in der Nacht anhalten, wenn man nicht mehr träumen will? Warum? Warum nicht? Kann sich jemand, wenn er ins Bett geht, vornehmen nicht zu träumen? Warum? Warum nicht?

Diese Fragen führen dazu herauszufinden, dass jemand nachts nicht träumen kann, was er will und nicht aktiv in das Geschehen eingreifen kann. Bei Tätigkeiten am Tag ist diese Steuerungsfunktion gegeben.

Als abschließendes Gedankenexperiment könnte dann die Frage gestellt werden, wozu Menschen überhaupt Träume brauchen?

Möglicherweise erzählen die Kinder während des Philosophierens über Träume auch etwas über ihre Angstträume. Bereits im Buch erfährt Jonas von dem Fuchs, dass ein Traum ein Buch mit einem schönen oder hässlichen Bild ist. Bei einem hässlichen Bild handelt es sich um einen Albtraum.

Ausgehend von dieser Stelle im Buch sollten die Kinder auch, wenn sie möchten, von ihren hässlichen Träume erzählen. Danach empfiehlt es sich, die Geschichte vom "Traumfresserchen" von Michael Ende vorzulesen, das alle schlechten Träume frisst. Dieses Traumfresserchen sollten die Kinder dann basteln, damit sie das Gefühl haben, dass ihre schlechten Träume wieder verschwinden.

4. Schlussbemerkung: Träumen gehört zum Menschsein

Der Mensch ist ein zoon logon echon, hat einst der griechische Philosoph Aristoteles (384-322 v. Chr.) geschrieben - ein denkendes und sprechendes Wesen, aber auch ein träumendes, könnte man ergänzen. Er stellt nicht nur Fragen an die Welt, sondern träumt die Welt auch vorwärts: Wie stelle ich mir das künftige Leben auf dem Planeten vor? Wie kann es gelingen, dass die Menschen einander vertrauen und sich nicht gegenseitig vernichten?

Diese Wunsch- und Zukunftsträume haben seit jeher in der philosophischen Tradition eine große Rolle gespielt. Und jeder Mensch träumt sie auf seine ganz individuelle Weise.

In Träumen liegt ein großes Potential für die Entfaltung von Mensch und Gesellschaft. Je mehr ein Mensch träumt - und wie die Mutter von Jonas sagt "mit dem Herzen träumt" - desto mehr entfaltet er seine Wünsche an sich selbst und sein künftiges Leben. Der Traum von Jonas, in den er am Schluss des Buches versinkt, lädt uns alle zum Weiterträumen ein, die Kinder und auch Erwachsene. Und jeder bestimmt auf seine Weise, wohin die Traumreise geht.

Die folgenden Gedanken äußerten Kindergartenkinder in einem Projekt zu dem Buch von Hubert Schirneck (vgl. Brüning 2006):

Ein Traum ist wie ein Buch,
das man im Kopf hat,
aber ohne Buchstaben.
Und das kann man immer
weiter umblättern."

Michel, 5 Jahre

Ein Traum ist etwas,
das man erlebt,
das aber gar nicht wahr ist.

Isabel, 6 Jahre

Man kann im Traum
viele Farben
auf einmal sehen.

Miriam, 4 Jahre

In schlechten Träumen,
da gibt es zum Beispiel Monster.
In guten Träumen,
da wünscht man sich etwas Schönes
zum Beispiel eine Fahrt nach Mallorca.

Sabrina, 5 Jahre

Träume in der Nacht
kann man nicht aufhalten.
Sie sind vorbei, wenn Mama mich weckt
oder wenn ich aufwache.

Alexandra, 5 Jahre

5. Konkreter Projektvorschlag zur Arbeit mit dem Buch "Was ist ein Traum? fragt Jonas"

1. Lesephase- und Gesprächsphase

Wir beginnen mit der Vorstellung des Maulwurfs Jonas. Er hat nachts geträumt, und nun hat er ein Problem: Er möchte wissen, was ein Traum ist, aber seine Eltern können die Frage nicht beantworten. Jonas ist traurig.

Vorlesen der Geschichte von der Seite, wo Jonas hinaufsteigt, bis zu der Seite, wo er alle Tiere gefragt hat, und die Traumvergleiche im Buch gezeichnet worden sind.

Mögliche Gesprächsimpulse:

  • Welche Antwort der Tiere gefällt euch am besten? Warum findet ihr sie gut?
  • Fällt euch noch etwas ein, was ein Traum sein könnte?

Spielphase (möglichst draußen)

Nach diesem ersten Gespräch findet eine Spielphase statt. Fünf Kinder werden ausgesucht; sie spielen die Tiere aus der Geschichte. Sie gehen mit der Erzieherin in eine Ecke und üben, wie sie als Tiere zu den anderen Kindern kommen und als Pantomime zeigen, was ein Traum ist:

Der Fuchs: liest ein Buch
Der Bär: spielt Geige
Der Hase: schaut durchs Fernrohr
Die Eule: imitiert das Krabbeln einer Fliege
Die Ameise fährt Boot, z.B. Ruderbewegung

Die Kinder kommen dann in einer freien Reihenfolge zur Gruppe, die nicht der Reihenfolge des Buches entspricht; die Gruppenkinder müssen erraten, wer welches Tier ist und womit es einen Traum vergleicht.

Während die fünf Kinder üben, gestalten die anderen Kinder ebenfalls eine Pantomime als gemeinsames Spiel:

Zuerst sitzen wir wie Jonas traurig und eingerollt da -
Dann rollen wir uns auf -
Wir buddeln uns nach oben -
Dann hören wir, wer da ist?
Dann schauen wir uns um -
Dann rufen wir nach den Tieren (ohne Sprache, nur durch eine Mundbewegung)
Und schließlich schreien wir laut: Was ist ein Traum?

Dieses Spiel wird zweimal bis dreimal geübt; dann warten die Kinder auf die Tiere und erraten, wer welches Tier spielt.

2. Zweite Lesephase

Die Geschichte wird zu Ende gelesen.

Mögliche Gesprächsimpulse:

  • Jonas fährt am Schluss ins Land der Träume? Wart ihr dort auch schon einmal? Erzählt von eurem Land der Träume.
  • Könntet ihr euch vorstellen, eines Tages gar nicht zu mehr träumen? Warum? Warum nicht?
  • Jonas hat schöne Träume. Gibt es auch schlechte Träume? Was macht ihr mit ihnen?

Malphase

Jonas fährt am Ende des Buches in einem Schiff ins Land der Träume. Was könnte dort passieren? (kurzes Gespräch) Lasst es uns gemeinsam malen (alle malen gemeinsam auf einer Tapetenrolle). Dabei wird weiter philosophiert.

6. Literaturangaben

Brüning, Barbara: Philosophieren in der Grundschule. Berlin 2001

Dschuang Dse: Dichtung und Weisheit. Übers. v. Hans Otto Heinrich Stange. Insel-Bücherei Nr. 499. Wiesbaden 1957

El Saadawi, Naval: Fundamentalismus gegen Frauen. München 2002

Henning Mankell: Ich sterbe, aber die Erinnerung lebt. Wien 2004

Mathews, Gareth B.: Denkproben. Berlin 1991

Schierneck, Hubert/ Graupner, Silvia: Was ist ein Traum, fragt Jonas. Wien 2003

Literatur zum Thema Träume

a) Didaktische Fachliteratur

Brüning, Barbara: Träume. In: Brüning, Barbara: Philosophieren in der Grundschule. Cornelsen Scriptor. Berlin 2001, S. 88-93

Brüning, Barbara: Kinder sind die besten Philosophen. Buchverlag für die Frau. Leipzig 2006 (Gedanken von jüngeren Kindern über verschiedene Themen, z.B. Denken und Träumen)

Matthews, Gareth B.: Verblüffung. In: Denkproben. Philosophische Ideen jüngerer Kinder. Freese Verlag. Berlin 1991, S. 26-38

Petermann, Hans-Bernhard: Gibt's ja nicht...". Zwischen Traum und Realität: Wirklichkeit. In: Petermann, Hans-Bernhard: Kann ein Hering ertrinken? Philosophieren mit Bilderbüchern. Beltz. Weinheim 2004, S. 55-73

Zoller, Eva: Philosophieren mit den Kleinsten: z.B. über das Träumen. In: Zeitschrift für die Didaktik der Philosophie und Ethik 1991, Heft 1, S. 50-53

b) Kinderbücher

Ende, Michael /Fuchshuber, Annegret: Das Traumfresserchen. Thienemann. Stuttgart 1978 (Das Traumfresserchen frisst alle bösen Träume auf)

Hartig, Monika: Monika Hartig erzählt vom Träumen. Oetinger. Hamburg 1994 (Kindersachbuch über Träume, z.B. den Unterschied zwischen Tag- und Nachtträumen)

Lindgren, Astrid: Im Land der Dämmerung. Oetinger. Hamburg 1986 (Das Verhältnis von Wirklichkeit und Traum)

Schierneck, Hubert/ Graupner, Silvia: Was ist ein Traum? fragt Jonas. Jungbunnen. Wien 2003 (Annäherung an einen schwierigen Begriff)

Autorin

Prof. Dr. Barbara Brüning, Erziehungswissenschaftlerin an der Universität Hamburg mit den Schwerpunkten Philosophieren mit Kindern und Philosophiedidaktik; Schul- und Sachbuchautorin für die Fächer Ethik und Philosophie; Dozentin in der Lehrerfortbildung. Kontakt: [email protected]