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Zitiervorschlag

Philosophieren mit Kindern – eine Möglichkeit, um kreatives Denken zu fördern

Mona Beyg

 

„Wie kann jemand sicher sein, dass er wach ist und nicht nur davon träumen, wach zu sein?“ (Philosoph René Descartes)

Auch Kinder stellen sich bereits in frühen Jahren philosophische Fragen. Sie denken über Dinge nach, über die selten ein Erwachsener nachdenken würde. Sie erkunden ihre Umgebung, möchten Zusammenhänge verstehen und stellen Fragen über Gott und die Welt. Daher suchen und fragen sie nach Erklärungen. Genau das ist Philosophieren. Beim Philosophieren geht es um die W-Fragen: Wie? Was? Wozu? Woher? Wohin? Warum? Wer? Um sich eine genauere Vorstellung vom Philosophieren machen zu können, sollte zunächst einmal der Begriff „Philosophie“ erklärt werden. Das Wort selbst stammt vom griechischen „philos“, also dem Freund/Liebhaber und „sophia“, die Sachkunde und Weisheit. Demnach könnte man sagen, dass die Philosophie die Liebe zum Wissen und der Philosoph der Liebhaber der Weisheit ist. Philosophieren ist ein offener, vorläufiger Deutungsprozess, in dem es wesentlich darum geht, selbst zu denken, vom anderen her zu denken, weiter zu denken. Dies dient der Suche nach immer klareren Bedeutungen und Wahrheiten. Manchmal wird die Philosophie als Wissenschaft bezeichnet, weil sie sich bei der Untersuchung ihrer Fragen und Probleme wissenschaftlicher Methoden bedient. Manchmal wird sie aber auch als Kunst bezeichnet.

Kinder werden durch philosophische Gespräche kreativ!

Genau das ist eins der wichtigen Aspekte des Philosophierens: Das kreative Denken wird geübt. Dieses ist für die Persönlichkeitsentwicklung wichtig, aber auch gesellschaftlich gefordert und daher in allen Bildungsplänen als Inhalt oder Querschnittsthema genannt. Aber was ist eigentlich kreatives Denken? In der Literatur wird kreatives Denken folgendermaßen definiert: „Kreatives Denken ist die Fähigkeit, durch selbstständiges Denken (allein und miteinander) zu neuen und überraschenden Lösungen zu kommen“ (Arnold/Hauenschild/Schmidt 2010, S. 178).

Wir alle wissen, wie kreativ Kinder bei der Findung von Erklärungen oder Problemlösungsstrategien denken können. Das gemeinsame Nachdenken über ein Thema bietet die Möglichkeit, Wissen untereinander auszutauschen. Beim Philosophieren geht es aber nicht nur um die Vermittlung des Wissens selbst, sondern auch um das Erlernen bestimmter kommunikativer Kompetenzen. Dazu gehört beispielsweise, sich gegenseitig bei der Lösung eines Problems zu helfen, Verständnis für die Sichtweisen anderer zu entwickeln, miteinander zu sprechen, andere ausreden zu lassen und miteinander diskutieren zu können.

Wie unterstützt und fördert der Erwachsene das Philosophieren bei Kindern?

Die pädagogischen Fachkräfte sollten dabei Unterstützung bieten und den Kindern nicht das eigenständige Denken abnehmen. Die Themen der Philosophie beziehen sich auf viele verschiedene Bereiche wie beispielsweise Biologie, Naturwissenschaft, Religion u.v.m. Bei der Beantwortung von philosophischen Fragen gibt es kein „richtig“ und kein „falsch“. Dennoch sind Erwachsene leider häufig unsicher und versuchen meist die richtigen Antworten zu geben. Wenn Kinder Fragen stellen wie „Gibt es Gott wirklich?“ oder „Wie ist die Erde entstanden?“, dann bemühen sich Erwachsene möglichst sachlich die Fragen zu beantworten. Sie erklären dem Kind, dass Gott mit Glaube und Religionen zusammenhängt oder versuchen die Entstehung der Erde mit dem Urknall bzw. Evolutionstheorie zu beantworten. Vieles wird den Kindern einfach „eingetrichtert“ und das Selbstdenken wird abgenommen. Eltern und pädagogische Fachkräfte in Kindertagesstätten sollten sich dem entgegensetzen und die Fragen der Kinder als Bildungsprozess sehen. Auch Lehrer sollten im Unterricht auf die Themen der Kinder eingehen und kreatives Denken zulassen. Philosophieren mit Kindern als pädagogische Grundhaltung bedeutet, den Fragen nicht auszuweichen. Die Kinder sollten ernst genommen werden. Das Ernstnehmen ist ein Ausdruck, die Bemühungen des Kindes wertzuschätzen. Wenn Kinder etwas hinterfragen und sich selbst mit den Themen der Welt beschäftigen, dann ist es die Aufgabe der Erwachsenen diese Themen aufzugreifen und mit den Kindern zu erforschen. In diesem Sinne passt die Bezeichnung „Entwicklungsbegleiter/in“. Wenn beispielsweise ein Kind ein Geschwisterkind erwartet und sich Gedanken macht, wie ein Säugling entsteht, dann sollte dem Kind erst einmal Zeit zum Nachdenken gegeben werden. Auf diese Weise wird es dabei unterstützt, selbst Vermutungen anzustellen und eigene Antworten zu finden. Erwachsene – und insbesondere pädagogische Fachkräfte – neigen bei solchen Fragen jedoch häufig dazu schnell das biologische Thema der Zeugung und der Geburt aufzugreifen. Sie holen ihr ganzes Repertoire raus: Bilderbücher, Kurzfilme, Lieder usw. Der Wille ist ein Guter, nämlich dem Kind das Wissen zu vermitteln, für das es sich im Augenblick interessiert. Doch warum kann der Erwachsene nicht einfach das Kind fragen? „Was glaubst DU wie ein Baby in Mamas Bauch kommt?“. Auch wenn daraufhin ein anderes Kind sagt: „Babys bringt der Storch“, weil es ihm so erklärt wurde, dann gilt es sich erstmal zurück zu halten und abzuwarten, was andere Kinder dazu sagen und ob sich ein Gespräch zwischen den Beteiligten entwickelt. Diese offene, philosophische Grundhaltung fällt den meisten Erwachsenen sehr schwer. Die Angst dem Kind falsches Wissen zu vermitteln ist oft zu groß. Dabei bieten genau solche Situationen große Selbstbildungsmöglichkeiten für das Kind. Kinder müssen sich auch gedanklich kreativ entfalten dürfen. Nur so können sie den Sinn und die Bedeutung der Dinge in dieser Welt herstellen.

Methoden des Philosophierens

Die Methoden, die eingesetzt werden, dienen sowohl zur Anregung des logisch argumentativen als auch des kreativen Denkens an. So kommen in philosophischen Gesprächen Fragen zum Einsatz, die einen Einstieg in ein Thema ermöglichen und zum Nachdenken anregen. Beim geplanten Philosophieren wird grob festgelegt über welche Thematik gesprochen wird. Allerdings ist es hier wichtig die Themen der Kinder aufzugreifen und sich mit dem auseinanderzusetzen, was die Kinder gerade interessiert. Das Philosophieren mit Kindern integriert zugleich bildungsbereichsübergreifende Kompetenzen, z.B. durch das Malen von Bildern, Tanz oder Rollenspiele.

Methodische Zugänge wie der Sokratische Dialog können dabei unterstützend helfen. Im Sokratischen Dialog wird versucht, Philosophie im Sinne des Selbstentdeckens von Wahrheit, zu vermitteln. Das bedeutet, das Kind erklärt sich selbst die Dinge der Welt, indem es darüber nachdenkt und seine Gedanken ausspricht. Im Gespräch werden dann Aporien, also Widersprüche und Brüche in der Argumentation aufgezeigt, die wiederum als Ansatz für die weitere Erforschung von Sachverhalten dienen. Somit entwickeln Kinder ein hohes Maß an kreativer Denkweise. Da sich das Kind durch Erforschen und Ausprobieren selbst bildet und seine Umwelt durch aktive Interaktion begreift, kann das Philosophieren auch als „Selbstbildungsinstrument“ bezeichnet werden.

Das Philosophieren geschieht allerdings auch überwiegend im Alltag. Es ist schon unbewusst auf unterschiedlicher Weise im Kita-Alltag integriert. Kinder stellen während sie mit etwas beschäftigt sind Fragen über die Welt und versuchen sie dann gemeinsam zu beantworten. Das passiert in verschiedenen Alltagssituationen wie beispielsweise bei einer Bilderbuchbetrachtung, beim Spaziergang, während dem Spielen oder beim Mittagessen.

Um zu verdeutlichen, wie das Philosophieren das kreative Denken beim Kind anregt und fördert und wie die pädagogische Fachkraft dies unterstützen sollte, folgt nun ein Beispiel aus der Praxis:

Kind: „Was ist eigentlich im Apfel drin?“
Erzieherin: „Was denkst du ist im inneren eines Apfel drin?“
Kind 1: „Da sind Kerne drin.“
Kind 2: „Ich glaube da leben ganz viele kleine Äpfels.“
Erzieherin: „Meinst du die kleinen braunen Kerne ganz in der Mitte vom Apfel?“
Kind 2: „Das sind keine Kerne, das sind die Baby-Apfels!“
Kind 1: „Aber Kerne sind doch Baby Apfels!“
Kind 3: „Und in Baby-Apfel sind noch mehr Baby-Apfeln“
Erzieherin: „Wie wird denn aus einem Baby Apfel ein großer Apfel?“

Die Kinder erzählten daraufhin eine ausführliche Geschichte darüber, wie aus ihrer Sicht ein Apfel wächst und was im inneren des Apfels steckt. Sie überlegten sogar, was im inneren des Kerns stecken könnte. In solchen Situationen bewertet die pädagogische Fachkraft das Erzählte nicht nach „richtig“ oder „falsch“. Sie regt das Kind zum Weiterdenken und Phantasieren an. Im Laufe des Gesprächs beteiligten sich auch noch weitere Kinder an der Diskussion, die zuvor aufmerksam das Gespräch mitverfolgten. Gemeinsam dachten sie über die Fragestellung nach und diskutierten. Es wurden verschiedene Hypothesen bzw. „Wahrheiten“ ausgesprochen. Daraufhin malten einige Kinder den Apfel oder was im inneren eines Apfelkerns steckt und philosophierten den ganzen Tag über dieses Thema. Hier spielt die Haltung der pädagogischen Fachkräfte eine wichtige Rolle. Keiner muss „allwissend“ sein und darf sein Weltverständnis in Frage stellen, mitdiskutieren, nachdenken und aktiv zuhören. Es ist wichtig, dass die Fachkräfte die Fragen der Kinder aufnehmen und eine austauschfreundliche Atmosphäre herstellen. Hier spielt weniger die Wissensvermittlung eine Rolle, sondern das gezielte Nachfragen, um verschiedene Bedeutungen und Argumente der Kinder anzuregen. Blockt der Erwachsene das Gespräch ab oder versucht dem Kind umgehend die richtigen Antworten zu geben, geht etwas sehr Wertvolles verloren. Selbst denken, erforschen, kreativ sein, philosophieren!

Fazit

Beim Philosophieren geht es nicht um ein erworbenes Wissen, sondern vielmehr um die Suche nach neuen Zusammenhängen, Begründungen und Schlussfolgerungen. Es geht um Selbstbildung. Philosophisches Nachdenken ist viel mehr als Fragen stellen. Das tiefer gehende Nachdenken kann durch eindrückliche Erfahrungen, Erlebnisse, Beobachtungen, Denkanstöße sowie durch Forschen und Experimentieren ausgelöst werden. Die Beschäftigung mit der Philosophie trägt zur Allgemein- und Persönlichkeitsbildung bei. Kinder finden im philosophischen Nachdenken eigene Bilder, die für sie selbst etwas erklären, die Sicherheit geben und manchmal sogar Trost z.B. bei Gesprächen die mit Sinn- und Lebensfragen verknüpft sind, wie beispielsweise Krankheit und Tot. Die Sprache und die Ausdrucksmöglichkeit werden stark gefördert. Zudem entwickeln Kinder ihre eigenständigen Vorstellungen, erleben Wertschätzung und Toleranz. Beim Philosophieren werden ihnen neue Sichtweisen und Horizonte eröffnet, durch sich selbst und/oder der Umwelt. Sie trainieren auch ihre Fähigkeit zum Vergleichen und zur Bewertung. Kinder lernen ihre Einstellungen zu finden und argumentativ zu begründen. Somit wird die Eigenständigkeit im Denken und Handeln, ebenso wie die Kritikfähigkeit gebildet. In der Gesprächs - und Denkgemeinschaft sorgt das Philosophieren für eine Entschleunigung unserer Kommunikationsgewohnheiten. Schnelles Reden wird verlangsamt, damit die Gedanken klar gefasst und von anderen verstanden werden können. Anstatt der flüchtigen Informationen werden tiefgehende und begründete Argumente eingesetzt. Oberflächliches Zuhören und Belanglosigkeit haben dabei keine Chance. Und dazu kommt noch, dass das Kind Spaß und Freude hat. Fachkräfte haben in ihrem pädagogischen Arbeitsalltag häufig die Möglichkeit von sich aus Gespräche mit Kindern zu initiieren und damit Anstöße für Entwicklungen und Veränderungen zu geben. Dabei gilt, dass pädagogische Fachkräfte sich gemeinsam mit dem Kind um eine Sache, ein Thema bemühen. Auch Eltern sollten dies beherzigen und sich für intensive Gespräche mit ihrem Kind Zeit nehmen, auf die Themen die ihr Kind gerade beschäftigt, eingehen und so kreatives Denken ermöglichen und fördern. Beide Seiten, Erwachsene und Kinder, sollten sich als gleichberechtigt Lernende verstehen. Erwachsene können auch die eigenen Unsicherheiten deutlich machen und gemeinsam mit den Kindern nach Lösungsmöglichkeiten für die schwierigen Fragen der Welt suchen. Das ist Philosophieren.

Literatur

Arnold, K. H. / Hauenschild, K. / Schmidt, B. / Ziegegenmeyer, B. (Hrsg) (2010): Zwischen Fachdidaktik und Stufendidaktik. Perspektiven für die Grundschulpädagogik. Wiesbaden: VS Verlag.

Ils, H. (2016): Philosophieren mit Kindern in der Praxis. Auswirkungen auf die soziale Interaktion von Vorschulkindern. Berlin: LIT Verlag.

Autorin:

Mona Beyg, geb. 01.03.1986 in Teheran,
Erzieherin, Leitung der Betriebskindertagesstätte „BaFin Knirpse“ in Bonn,
Studentin im 6. Semester, Bildungs- und Sozialmanagement an der Hochschule Koblenz