Meike Sauerhering und Claudia Solzbacher
Ich schaff' das schon, ich schaff' das schon,
ich schaff' das ganz alleine.
Ich komm bestimmt, ich komm bestimmt
auch wieder auf die Beine.
Ich brauch' dazu, ich brauch dazu
vielleicht 'ne Menge Kraft,
doch ich hab immerhin
schon ganz was anderes geschafft.
Refrain aus dem gleichnamigen Lied von Rolf Zukowski1
Ein entscheidender Faktor für Zufriedenheit im Leben und für Lernerfolg ist es, mit den eigenen Gefühlen umgehen zu können. Diese sogenannte Emotionsregulation umfasst im Wesentlichen die Fähigkeiten, sich selbst zu beruhigen und sich selbst motivieren zu können, auch wenn beispielsweise die Lust am Lernen und Entdecken nachlässt. Das ist notwendig, um die Überzeugung zu entwickeln, Herausforderungen gewachsen zu sein. Insbesondere jüngere Kinder brauchen für eine solche Selbstkompetenzentwicklung die Unterstützung und Begleitung Erwachsener. Wie dies gelingen kann, wird in diesem Beitrag beschrieben. Deutlich werden soll zudem, dass diese Förderung an elementarpädagogische Konzepte anschließt und sich gut in den Kita-Alltag einpassen lässt.
Sich, auch wenn's schwierig wird, angemessen verhalten können: Was ist Selbstkompetenz?
Insbesondere in herausfordernden oder stressigen Situationen fällt es mitunter schwer, auf das eigene Wissen zurückzugreifen oder aus Erfahrungen zu schöpfen. Für Erwachsene sind hier beispielsweise Prüfungssituationen zu nennen. Für Kita-Kinder kann das etwa zutreffen, wenn ihnen plötzlich der Name des Spiels, welches sie sich anlässlich ihres Geburtstags wünschen wollten, nicht mehr einfallen will, wenn sie im Stuhlkreis alle Augen auf sich gerichtet spüren.
Selbstkompetenz beschreibt nun u.a. die Fähigkeit, sich in solchen Momenten beruhigen zu können. Wenn das gelingt, ist das Wissen schnell wieder verfügbar. Hat man de facto aber einen Misserfolg erlebt, so muss dieser verarbeitet werden, und es ist angesichts der negativen Erfahrung ein zweiter basaler Aspekt der Selbstkompetenz gefordert: die Fähigkeit, sich selbst zu motivieren, um sich erneut vergleichbaren Situation stellen zu können. Deshalb definieren wir Selbstkompetenz als "die Fähigkeit, in sich verändernden Zusammenhängen motiviert und aktiv gestaltend handeln zu können" (Künne/ Sauerhering 2012, S. 7). Neben der Selbstberuhigung und Selbstmotivierung umfasst Selbstkompetenz eine weite Palette an Fähigkeiten, die allesamt immer wieder zu der Überzeugung beitragen: "Ich schaff das schon" (vgl. Solzbacher/ Calvert 2014).
Auch Erwachsene sind ständig herausgefordert, ihre Selbstkompetenzen zu entwickeln: Für das Vorstellungsgespräch in einer neuen Kita beispielsweise hat sich eine Erzieherin im Vorfeld über deren Konzept informiert, nochmals in den Bildungsplan geschaut und sich Gedanken darüber gemacht, was sie selber mit diesem möglichen Wechsel verbindet und was ihre wichtigsten pädagogischen Grundsätze sind. Doch sitzt sie bei dem Gespräch einer größeren Menge von Menschen gegenüber oder weiß vielleicht gleich mit einer der ersten Fragen nichts anzufangen, dann spürt sie, wie die Nervosität in ihr aufsteigt, die Hände feucht werden und die Gedanken sich einfach nicht darauf richten lassen, was so schön vorbereitet war.
Eine ähnliche Erfahrung hat man vielleicht schon einmal gemacht. Der Selbstzugang ist versperrt; es gelingt kein Zugriff auf die eigenen Wissens- und Erfahrungsbestände. Hier sind nun verschiedene Kompetenzen gefragt, wenn es gilt, sich aus dieser misslichen Situation zu befreien. Die Erstreaktion, Stress oder aufkommende Panik, ist zwar nicht willentlich zu steuern, jedoch der Umgang damit. Hier ist eine gute Selbstwahrnehmung der erste Schritt zurück in die Handlungsfähigkeit, denn Körperreaktionen und Gefühle sind ein guter Indikator, um eigene und fremde Reaktionen abzusehen. Gelingt es, den Überblick zurückzuerlangen, werden verschiedene Handlungsoptionen sichtbar. Beobachten Pädagog/innen solche Körperreaktionen bei einem Kind, wie beispielsweise, dass sein Blick starr wird, es rot anläuft oder ihm die Farbe aus dem Gesicht weicht, sind das Indikatoren, Unterstützung anzubieten.
Wie kommt es aber, dass es der einen gelingt, Herausforderungen anzunehmen und daran zu wachsen, und der andere vielleicht aus Angst, zu versagen, jede Veränderung meidet? Wie Selbstkompetenz entsteht und gefördert werden kann, wird im Folgenden erläutert.
Es braucht zwei, damit einer stark wird: Wie entwickelt sich Selbstkompetenz?
Auf Basis der Theorie der Persönlichkeit-System-Interaktionen (PSI) von Julius Kuhl (2010) können menschliche Funktionsweisen verdeutlicht werden. Mit dem Konzept lassen sich Reaktionsweisen erklären und Fördermomente herausarbeiten. Um die Wirkweise und Bedeutung von Selbstkompetenz zu veranschaulichen, werden im Folgenden einige Aspekte der PSI-Theorie skizziert. Ausgangspunkt bildet hierfür die Tatsache, dass Menschen 'je nach Typ' grundsätzlich unterschiedlich auf Herausforderungen reagieren.
Wie Personen spontan mit Situationen umgehen, kann mit der Erstreaktion beschrieben werden. Hierbei handelt es sich um Verhaltensweisen, die nicht oder nur schwer zu beeinflussen sind: Reagiert ein Kind offen oder eher zurückhaltend auf Neues? Geht es auf unbekannte Personen zu? Trotz der spontanen Erstreaktionen lernen wir bis zum Erwachsenenalter dennoch, uns nicht nur danach zu verhalten, sondern situationsangemessen zu variieren - eine Zweitreaktion zu vollziehen. Dies beruht auf der Selbstkompetenz, die wir entwickelt haben. Diese Selbstkompetenz ist lebenslang ausbaubar.
Grundsätzlich lassen sich dennoch Personen unterscheiden, die sich eher der Situation ausgeliefert fühlen (Lage-Orientierung), womit oftmals Entscheidungskonflikte, Handlungshemmungen und Tendenzen zum Aufschieben einhergehen, während andere die Situationen zu verändern wissen, sich also als Gestalter betrachten (Handlungsorientierung). Prinzipiell sind wir nicht auf eine dieser Möglichkeiten festgelegt; so wechseln Zeiten aktiver Präsenz mit Phasen, die von Kraftlosigkeit geprägt sein können. Es gibt Tage, an denen man glaubt, alles zu schaffen, aber auch andere, an denen man mit Mutlosigkeit reagiert (vgl. Künne/ Kuhl 2014). Das verhält sich bei Kindern und Erwachsenen ähnlich.
Eng verbunden mit einer Handlungsorientierung, also dem Gefühl, Dinge bewältigen zu können, ist die Fähigkeit, aus Fehlern zu lernen. An dieser Stelle sind die Hirnsysteme relevant, die in der PSI-Theorie als ICH beziehungsweise SELBST bezeichnet werden (Kuhl 2010). Selbstkompetentes Handeln kommt dann zustande, wenn diese Systeme gut zusammenarbeiten.
Mit dem ICH wird der Teil des Hirns beschrieben, der beispielsweise dafür zuständig ist, Ziele zu verfolgen und Handlungen zu planen. Das SELBST ist als Archiv zu bezeichnen, in dem Erfahrungen, Wünsche, Vorlieben, Sorgen und vieles andere mehr von persönlicher Bedeutung abgespeichert wird. Das SELBST steht für Weite und Überblick, das ICH hingegen für Begrenzung und Fokussierung. Während das SELBST eng mit Gefühlen verbunden ist und viele Informationen gleichzeitig verarbeiten kann, plant das ICH Schritt für Schritt. Dieses in der linken Gehirnhälfte zu verortende analytische Vorgehen und die Planungsfähigkeit sind wichtig, um beispielsweise Fehler erkennen zu können (vgl. Künne/ Kuhl 2014).
Im Rückgriff auf das eingangs geschilderte Beispiel der Pädagogin im Bewerbungsgespräch lässt sich das Zusammenspiel von ICH und SELBST veranschaulichen: Die beschriebene Situation ist sicherlich mit negativen Gefühlen verbunden, die zunächst ausgehalten werden müssen, um die Lage zu analysieren. Im nächsten Schritt gilt es, die negativen Gefühle zu regulieren - so vollzieht sich ein Wechsel vom ICH ins SELBST, und es kann gelingen, sich einen Überblick zu verschaffen. Der Zugriff auf das Erfahrungsarchiv des SELBST und so auf vorhandenes Wissen und zurückliegende Erfahrungen wird möglich. Insgesamt gelingt das besonders gut, wenn sich die Pädagogin in ähnlich schwierigen Situationen bereits bewährt hat. Das Gefühl "ich schaff das schon" versetzt sie nämlich erst in die Lage, nach Problemlösungen suchen zu wollen und zu können - hier zeigt sich die sogenannte Selbstwirksamkeitsüberzeugung.
Um dies auf das Beispiel des verunsicherten Kindes zu übertragen: Die Erzieherin kann sich das Lieblingsspiel des Kindes im Stuhlkreis vergegenwärtigen oder verschiedene Spiele zur Auswahl stellen. So kann sie ihm eine Brücke zu seinem SELBST bauen, damit dem Kind wieder einfällt, was es sich wünschen wollte. Das Kind erhält Unterstützung dabei, sich aus der unangenehmen Situation zu befreien. Kinder sind nicht immer in der Lage, ihre Gefühle alleine zu regulieren; sie sind noch auf die Hilfe Erwachsener angewiesen, die sie darin unterstützen. Das geschieht über Trost, Ermutigung und Zuspruch. Ob diese auch ihre Wirkung entfalten können, hängt allerdings maßgeblich von einer vertrauensvollen Beziehung ab (vgl. Solzbacher et al. 2012).
Wie eingangs angemerkt, ist neben der Selbstberuhigung die Fähigkeit, sich selbst zu motivieren, eine entscheidende Komponente der Selbstkompetenz. Unterschiede in der (Leistungs-) Motivation lassen sich zum Teil entwicklungspsychologisch erklären. Kinder können sich intensiv und konzentriert mit einer Sache beschäftigen, wenn sie aus dieser Beschäftigung selbst heraus angetrieben werden. Werden Kinder animiert, etwas zu tun, und ist diese Tätigkeit an sich nicht ausreichend motivierend, sind Vorschulkinder in der Regel auf die Präsenz einer nahen Bezugsperson angewiesen, um die Tätigkeit zu Ende zu führen.
Wenn also Dinge schwierig werden oder aufgeschoben werden müssen (was mit dem Nachlassen von positiven Gefühlen wie Spaß einhergeht), braucht es Motivation, um die Anstrengungsbereitschaft aufrechtzuerhalten. Kinder müssen erst lernen, sich in eine positive Stimmung zu versetzen; dazu benötigen sie oft noch Unterstützung.
Insbesondere nach Misserfolgen fällt es schwer, sich neu zu motivieren. Stellen wir uns ein paar Kinder auf dem Bauteppich vor: Ihnen ist es gelungen, einen Turm zu errichten, der schon fast schulterhoch ist. Gemeinsam entwickeln sie die Idee, den Turm so hoch zu bauen, dass sämtliche Steine verbaut sind. Doch kurz vor dem Ziel passiert das Unglück: Mit dem Stuhl, der herbeigeholt werden muss, um die nächste Reihe aufzulegen, wird der Turm eingerissen. Stellen wir uns die Gesichter und die Reaktionen der Kinder vor, wird deutlich: Hier sind Emotionen im Spiel. Das heißt, dieses Erlebnis wird definitiv im SELBST, also im 'Erfahrungsspeicher', abgelegt. Was aber passiert noch - wirkt lediglich der Misserfolg oder werden auch Lösungsmöglichkeiten abgelegt? Auf Letzteres wird es ankommen, und dies können Erzieher/innen bewusst gestalten. Hier ist also Selbstkompetenzförderung gefragt: durch Vorleben von Frustrationstoleranz oder durch Ermöglichung von zeitnah folgenden Erfolgserlebnissen nach erneuter Anstrengung.
Pädagog/innen sind also Vorbilder für den Erwerb von Selbstkompetenz und unterstützen ihren Aufbau beispielsweise durch die bewusste Gestaltung der Lernumgebung. Im Idealfall werden damit beide Hirnsysteme bedient und treten in Interaktion: das ICH, um Fehler zu erkennen und Pläne zu machen, und das SELBST, um sich aus der Betrachtung der Fehler wieder zu lösen, denn die Einsicht "Hätten wir keinen Stuhl geholt, würde der Turm noch stehen" hilft nicht weiter - die Traurigkeit um den Verlust wäre nach wie vor bestimmend. Der Wechsel in das SELBST ist notwendig, um wieder in die Handlung zu kommen und nachhaltig aus den Fehlern zu lernen, wofür es ein positives Gefühl braucht. Ist der Verlust oder der Schreck zu groß, können Kinder sich noch nicht immer alleine beruhigen, dann sind sie auf Hilfe angewiesen. Hier kann die Erzieherin Vorbild sein oder direkte Unterstützung anbieten, um neue Strategien aufbauen zu helfen. Diese müssen von dem Kind jedoch mit dem SELBST verbunden werden, das heißt zu eigenen Erfahrungen werden. Daher ist es wichtig, dass Kinder tatsächlich passende Angebote bekommen; ansonsten verfehlen die Interventionen die Wirkung beim Kind.
Grundsätzlich muss ein Kind Vertrauen in seine Umgebung besitzen, um selbstbewusst zu werden oder auch um Selbstkompetenzen aufzubauen. In erster Linie entsteht dieses durch gelungene Bindungen zu den ersten Bezugspersonen. So werden die Grundlagen von Selbstkompetenz in der frühen Kindheit gelegt, können aber im Laufe des Lebens weiter ausgebaut werden. In der Kita erfahren Kinder tragfähige Beziehungen, die sie in ihrer Entwicklung stützen (vgl. Ahnert 2007). Ist das Kind jedoch unsicher oder kann es sich aufgrund der Situation in der Kita nicht entspannen, wirkt das entwicklungshemmend. Wenn ein Kind keine Sicherheit verspürt und sich daher schützen muss, führt die Angst dazu, dass sich die Sinne verengen und es nur wenige Erfahrungen sammeln kann. Solange es in diesem Modus verbleibt, kommen noch so gut gemeinte Angebote und Aufforderungen nicht bei ihm an (vgl. Porges 2010). Da das SELBST eng mit den Gefühlen verbunden ist, ist es notwendig, die Gefühle des Kindes zu erreichen, damit Erfahrungen tatsächlich in das große Erfahrungsgedächtnis (im SELBST) eingespeichert werden. Dort gelangt nur hinein, was tatsächlich von Bedeutung für das Kind ist. Dabei handelt es sich sowohl um Positives als auch um Negatives.
Selbstwahrnehmung, Feinfühligkeit und eine gute Beobachtung: Welche professionellen Kompetenzen braucht man für Selbstkompetenzförderung?
Daraus ergeben sich zwei wesentliche Dinge für die Gestaltung des Kita-Alltags: Zum einen muss das Kind Gelegenheit erhalten, sich mit Dingen zu beschäftigen, die es zugleich interessieren und herausfordern. Zum anderen muss die Beziehung zwischen Erzieher/in und Kind so sein, dass sie über Vertrauen und Wertschätzung Sicherheit vermittelt. Nur wenn eine Erzieherin tatsächlich an einem Kind interessiert ist und weiß, 'wie es tickt', kann sie Angebote machen und Unterstützung leisten, die im SELBST abgespeichert werden und als Lösungsmöglichkeiten zur Verfügung stehen. Sie zeigen so nachhaltig Wirkung und tragen auch, wenn die Erzieherin nicht anwesend ist. Nach und nach tritt beim Kind an die Stelle der Abhängigkeit von der Beruhigung durch einen Erwachsenen die Fähigkeit, sich selbst zu beruhigen.
Auf den Punkt gebracht, bedeutet das: Selbstkompetenzförderung erfolgt (in der Kita) über Beziehungserfahrungen im Kontext von Herausforderungen. Damit diese Beziehungsgestaltung gelingen kann, benötigen Pädagog/innen eine gute Selbstwahrnehmung, denn diese ist mit Empathiefähigkeit verbunden und diese ist wiederum eng an das "Prinzip der Feinfühligkeit" (Ainsworth/ Wittig 1969; 2003) gekoppelt, das als Voraussetzung gilt, tragfähige Erzieher/innen-Kind-Bindungen zu gestalten. Mit der Bedeutung der Selbstwahrnehmung für die Beziehungsgestaltung als einer Komponente von Selbstkompetenz wird der Zusammenhang von Selbstkompetenzförderung bei Kindern und der Selbstkompetenz der Pädagog/innen sichtbar. Nur selbstkompetente Erzieher/innen können in stressigen Situationen feinfühlig, authentisch und zugewandt bleiben.
Neben der Beziehungsgestaltung lässt sich die Selbstkompetenzförderung mit der Praxis der freien Beobachtungen in Kitas verbinden. Um Themen von Kindern zu entdecken, die von besonderer Bedeutung für Bildungsprozesse sind, bedarf es detaillierter Beobachtungen zu den Handlungs- und Ausdrucksweisen von Kindern, die ohne strukturierte Vorgaben gemacht werden (vgl. Andres et al. 2005). Dabei ist eine anschließende Reflexion nicht zu vernachlässigen, um Entwicklungsimpulse setzen zu können. Hier sind weniger Verfahren geeignet, mittels derer der Entwicklungsstand des Kindes ins Verhältnis zur Entwicklungsnorm gesetzt wird, wie anhand der meisten standardisierten Beobachtungsbögen, als vielmehr Verfahren wie die 'Bildungs- und Lerngeschichten' oder die 'Leuwener Engagiertheitsscala'.
Elementarpädagogische Praxis mit dem Ziel, Kinder stark zu machen, bleibt nicht im Aufdecken von Defiziten verhaftet. Dies ist Grundlage einer entwicklungsförderlichen Beziehungsgestaltung. Braucht das Kind gerade lediglich die Anwesenheit der Erzieherin, um sich zu den anderen Kindern auf den Bauteppich zu gesellen, oder braucht es mehr Hilfe, beispielsweise dass die Erzieherin die Kinder bittet, es mitspielen zu lassen? Gelingt es der Pädagogin, die Situation richtig einzuschätzen, verschafft sie dem Kind eine Lerngelegenheit.
Um Situationen beurteilen zu können und angemessen zu reagieren, benötigen Pädagog/innen eine 'schwebende Wachsamkeit', die es ihnen ermöglicht, eigene und fremde Emotionen wahrzunehmen und zu integrieren. So kann es im oft ereignisreichen und auch von Belastungen geprägten Berufsalltag gelingen, andere Personen (Kinder, Eltern und auch Kolleg/innen) zu verstehen. Die Wahrnehmung bleibt dann nicht an störenden Einzelheiten hängen. Kategorisierungen oder Typisierungen wie 'die Jungen' oder 'noch ein hyperaktives Kind' können eher vermieden werden (vgl. Kuhl et al. 2014).
Früher hieß das mal Erziehung zur Persönlichkeit: Ist Selbstkompetenzförderung eine neue Anforderung an Erzieher/innen?
Selbstkompetenz ist ein entscheidender Aspekt der Persönlichkeitsentwicklung, dem in der gesamten (Bildungs-) Biografie eine bedeutende Funktion zukommt, weil Selbstkompetenz die Fähigkeit beschreibt, mit herausfordernden Bedingungen umzugehen, aus Fehlern zu lernen und sich nach Misserfolgen wieder motivieren zu können. Sie ist Ausdruck einer positiven Grundeinstellung zu sich selbst, die auf der Überzeugung beruht, etwas bewirken zu können.
Selbstkompetenzförderung findet in jeder Einrichtung statt, denn sich nicht zu verhalten - also nicht positives oder negatives Vorbild zu sein - ist für Pädagog/innen unmöglich. Wichtig ist, dass diese Selbstkompetenzförderung bewusst reflektiert und individuell gestaltet wird. Sie passt zu dem vorherrschenden Selbstverständnis von Erzieher/innen als Entwicklungsbegleiter/innen und schließt an die Betonung der Beziehungsgestaltung in der Elementarpädagogik an.
Unter dem Aspekt der Selbstkompetenzförderung lassen sich in der täglichen Beobachtung Unterstützungsmomente ausmachen, wenn Schwierigkeiten im Umgang mit bestimmten Situationen auftauchen. Anhaltspunkte finden Fachkräfte, indem sie sich fragen, ob ihre Interventionen und ihr Handeln geeignet sind, in das SELBST des Kindes vorzudringen, und sich so tatsächlich in den Erfahrungsschatz der Kinder integrieren lassen. Dazu braucht es Erfahrung, Ruhe und Gelassenheit. Diese können nur unter entsprechenden (Rahmen-) Bedingungen entstehen und aufrechterhalten werden.
Es geht nicht darum, Kindern sämtliche Steine aus dem Weg zu räumen, vielmehr müssen ihnen angemessene Herausforderungen zugemutet werden, an denen sie wachsen können. Dies legt die Grundlagen dafür, dass Kinder zuversichtlich in die Zukunft schauen und Herausforderungen mit dem Gefühl begegnen: "Ich schaff das schon!"
Anmerkung
1 Aus der CD "Ich schaff das schon" (Musik für Dich), Noten "Rolfs Kinderliederbuch 2" (Sikorski).
Literatur
Ahnert, Lieselotte (2007): Von der Mutter-Kind- zur Erzieherinnen-Kind-Bindung? In: Becker-Stoll, Fabienne/Textor, Martin R. (Hrsg.): Die Erzieherin-Kind-Beziehung. Zentrum von Bildung und Erziehung. Berlin: Cornelsen, S. 31-41
Ainsworth, Mary D.S./Wittig, Barbara (1969; 2003): Bindungs- und Explorationsverhalten einjähriger Kinder in einer "fremden Situation". In: Grossmann, Klaus E./Grossmann, Karin (Hrsg.): Bindung und menschliche Entwicklung. John Bolwby, Mary Ainsworth und die Grundlagen der Bindungstheorie. Stuttgart: Klett-Cotta
Andres, Beate/Laewen, Hans-Joachim/Pesch, Ludger (Hrsg.) (2005): Elementare Bildung. Handlungskonzepte und Instrumente. Band 2. Weimar: verlag das netz
Kuhl, Julius (2010): Lehrbuch der Persönlichkeitspsychologie. Motivation, Emotion und Selbststeuerung. Göttingen: Hogrefe
Kuhl, Julius/Solzbacher, Claudia (2012): Selbstkompetenzförderung durch Beziehungsarbeit. In: Solzbacher, Claudia/Müller-Using, Susanne/Doll, Inga (Hrsg.): Ressourcen stärken! Individuelle Förderung als Herausforderung für die Grundschule. Köln: Carl Link, S. 277-295
Kuhl, Julius/Schwer, Christina/Solzbacher, Claudia (2014): Professionelle pädagogische Haltung: Versuch einer Definition des Begriffes und ausgewählte Konsequenzen für Haltung. In: Schwer, Christina/Solzbacher, Claudia (Hrsg.): Professionelle pädagogische Haltung. Historische, theoretische und empirische Zugänge zu einem viel strapazierten Begriff. Bad Heilbrunn: Klinkhardt, S. 107-120
Künne, Thomas/Kuhl, Julius (2014): Was ist eigentlich Selbstkompetenz? Persönlichkeits-System-Interaktionen als Grundlage von Selbstkompetenz (-förderung) - Die PSI-Theorie. In: Solzbacher, Claudia/Calvert, Kristina (Hrsg.): "Ich schaff' das schon..." Wie Kinder Selbstkompetenz entwickeln können. Freiburg im Breisgau: Herder, S. 35-52
Künne, Thomas/Sauerhering, Meike (2012): Selbstkompetenz (-förderung) in KiTa und Grundschule. Nifbe-Themenheft Nr. 4. Osnabrück: nifbe Eigenverlag
Porges, Stephen (2010): Die Polyvagal-Theorie. Neurophysiologische Grundlagen der Therapie. Emotionen, Bindung, Kommunikation und ihre Entstehung. Paderborn: Junfermann
Solzbacher, Claudia/Calvert, Kristina (Hrsg.) (2014): "Ich schaff' das schon...". Wie Kinder Selbstkompetenz entwickeln können. Freiburg im Breisgau: Herder