Meditation stärkt Resilienz bei Kindern!

Aus: Was + Wie. Kinder religionspädagogisch begleiten 2005, Heft 1, S. 7-11

Michael Schnabel

Kinder heute im Dauerstress?

Im Zeitalter der Globalisierung werden Entfernungen rasend schnell überwunden, der Nachrichten- und Informationsaustausch multipliziert und damit verbunden werden die Lebensbedingungen von Familien im Handumdrehen verändert. Allein diese Umstände laufen den Bedürfnissen der Kinder zuwider, stellt der Soziologe L. Krappmann fest: "Die ständige Weiterbildung, um beruflich vielseitig verwendbar zu sein, und auch die Bereitschaft, immer und überall, am liebsten auf Abruf zur Verfügung zu stehen, stehen in Konkurrenz zur Aufmerksamkeit, zum Gespräch, zur Regelmäßigkeit im Leben mit Kindern" (1). Wenn Umstrukturierungen am Arbeitsplatz oder Verlagerung der Märkte anstehen, dann bedeutet dies für Familien radikale Veränderungen in der gewohnten Lebenssituation; Umzug und Wohnungswechsel sind erforderlich. Und wieder sind es die Kinder, die unter den Veränderungen besonders leiden: "Kinder brauchen ihre sichere Basis, die sie nicht austauschen wollen, ihre Eltern, ihre Wohnung, ihre Peers, den Freund, die Freundin gegenüber, den gewohnten Weg zum Kindergarten, den Baum vor dem Fenster und den geheimen Treffpunkt hinter den Garagen" (2).

Scheinbare Ablenkung, Zerstreuung und vielleicht auch Entlastung stellen die Medien bereit. Aber ganz im Gegenteil, die Vielfalt der Fernsehprogramme, die Informationsflut im Internet und das unüberschaubare Musikangebot ergießen sich ungebremst auf Kinder, so dass durch Reizüberflutung sie noch nervöser, unruhiger und überdreht werden. Die aufgezeigten Anspannungen und Stressauslöser sind für Kinder auch deshalb nicht auszuhalten, weil die meisten Wohnungen kaum Räume zur Bewegung und zum Austoben vorsehen. "Die vermauerte Kindheit" erhöht noch zusätzlich den Druck und die Belastungen auf die Psyche der Kinder. Mit dieser Einengung geht einher die Verarmung an urtümlichen und naturnahen Erfahrungen, wie beispielsweise Matschen mit Lehm, Gestalten mit Steinen, Erleben von Wasser und Wind.

Nicht nur der Druck von außen verschlimmert die Zwangslage der Kinder; weit mehr zerren an ihren Nerven die überzogenen Ansprüche, Erwartungen und Wunschvorstellungen. So hat zum Beispiel die Werbung das Kind als kaufkräftigen Kunden schon lange im Visier. Die vielen vorgegaukelten Wünsche, Bedürfnisse und Moden entfachen oft zwischen Eltern und Kindern Streitereien, wenn nicht jede Markenkleidung und nicht jedes Computerspiel angeschafft werden kann. Denn die Kinder sind hin und her gerissen zwischen den Ansprüchen, was "in" ist und was man haben muss, und den finanziellen Engpässen in Familien. Zu all dem kommt noch dazu, dass Zukunftsängste und Unsicherheiten aufgrund wirtschaftlicher Krisen die Eltern anstacheln, ja keine Fördermöglichkeiten ihrer Kinder auszulassen. Deshalb werden Töchter und Söhne schon vor dem Eintritt in den Kindergarten von der Spielgruppe zur Musikgruppe, dann in die Turngruppe und vielleicht noch in "Englisch für Kleinkinder" gebracht.

Der Aufwand, der Zeitdruck und der Erwartungsdruck lassen Eltern durch Hektik und Stress rotieren. Ein Teufelskreis beginnt sich zu drehen, weil die Kinder die Auswirkungen härter spüren. "David Elkind stellt die These auf, dass Eltern den Stress, den sie selbst in Partnerschaft und Beruf erleiden, unmittelbar an die Kinder weitergeben und Kinder als Statussymbol, als Partnerersatz, als Vertraute und als Ersatz-Ich gefragt sind, obwohl sie mit dieser Rolle entwicklungsgemäß überfordert seien" (3).

In vielen Familien steigern sich die Anspannungen bis hin zu tief greifenden Krisen, die oftmals zur Trennung der Eltern führen können. Wiederum sind es die Kinder, die unter Trennung und Streit der Eltern leiden.

Stress, Zeitdruck, Hektik, überzogene Anforderungen und seelische Belastungen erhöhen bei Kindern die Gefahr physischer und psychischer Krankheiten. Professor Hurrelmann bekräftigt dies auf der Grundlage seiner Forschungen: "Seit mehreren Jahren beobachten wir in wissenschaftlichen Untersuchungen, dass bei Kindern und Jugendlichen Beeinträchtigungen der Gesundheit zu verzeichnen sind, die wir bisher nur von Erwachsenen kannten ... Bei vielen Kindern kommt es heute zu Erschöpfungszuständen, Nervosität und Unruhe, Magenverstimmungen und Schlafstörungen, die nicht auf eine einzelne Ursache zurückgeführt werden können" (4).

Resilienz als Bildungsziel in Kindertageseinrichtungen

Tag für Tag sind Kindertageseinrichtungen mit den Folgen aus diesen Belastungen konfrontiert. Die pädagogische Arbeit darf sich jedoch nicht nur darin erschöpfen, dass die Schwierigkeiten aufgefangen werden - vielmehr sollten Kinder so gestärkt und gefestigt werden, dass sie den angesprochenen Problemen gewachsen sind. Denn es ist Aufgabe jeder Bildungseinrichtung, Kinder so auf die Zukunft vorzubereiten, dass auch die zu erwartenden Schwierigkeiten und Krisen gemeistert werden können.

Aufgrund dieser Überlegungen wurde im "Bayerischen Bildungs- und Erziehungsplan für Kinder in Tageseinrichtungen bis zur Einschulung" die Förderung der Basiskompetenz "Resilienz" ausgearbeitet (5). "Der Begriff 'Resilienz' leitet sich von dem englischen Wort 'resilience' (Spannkraft, Widerstandsfähigkeit, Elastizität) ab und bezeichnet allgemein die Fähigkeit einer Person oder eines sozialen Systems (z.B. dem Paarsystem oder Familie) erfolgreich mit belasteten Lebensumständen oder negativen Folgen von Stress umzugehen (...). Kurz gesagt: Es geht um die Fähigkeit, sich von einer schwierigen Lebenssituation nicht 'unterkriegen zu lassen' bzw. 'nicht daran zu zerbrechen'. In der Fachdiskussion werden häufig die Begriffe 'Stressresistenz', 'psychische Robustheit' oder 'psychische Elastizität' synonym verwendet" (6).

Im genannten Bildungs- und Erziehungsplan werden unter anderem folgende Ziele zur Basiskompetenz "Resilienz" genannt:

  • Förderung von Problemlösefertigkeiten und Konfliktstrategien
  • Förderung von Selbstwirksamkeit und realistischen Kontrollüberzeugungen
  • Förderung positiver Selbsteinschätzung des Kindes (Stärkung des Selbstwertgefühls)
  • Förderung von Selbstregulation
  • Förderung von Kompetenzen zur Stressbewältigung.

Die Hinweise zur Förderung von Resilienz im pädagogischen Alltag von Kindertageseinrichtungen sprechen die Wichtigkeit von Entspannung ausdrücklich an: "Wenn Kinder erleben bzw. durch bestimmte Übungen lernen, Bewegungsaktivitäten sowie Erholung, Entspannung und Ruhepausen als Maßnahmen einzusetzen, lernen sie zugleich, mit Anforderungen besser umgehen zu können" (7).

Die Autorinnen M. Murphy-Witt und P. Stamer-Brand übertragen diese Forderungen auf den Alltag der Kinder und verlangen ganz praktisch: "Kinder müssen lernen Stille zu ertragen: leere, dunkle Bildschirme - und Ruhe genießen. Sie müssen lernen, sich auch mal auszuklinken, ohne ständig Angst zu haben, etwas zu verpassen. Weniger ist mehr - dieses Motto müssen sie verinnerlichen. Und sie müssen es schaffen, ihr Leben zumindest zeitweise zu entschleunigen. Nur wer sich seinen eigenen Rhythmus nicht durch Schnelligkeit von Computerspielen und Internet diktieren lässt, kann letztendlich die Geschwindigkeit seines Lebens selbst bestimmen. Nur so können unsere Kinder ihre ureigene Balance zwischen Be- und Entlastung finden, ihren ganz persönlichen Maßstab für ihr Wohlbefinden. Und den werden sie dringend brauchen. Denn nur wenn es unsere Kinder schaffen, engagierte Aktivisten, Entspannungsmeister und Lebenskünstler zu sein, werden sie in der Welt von morgen überleben - gesund, zufrieden und glücklich" (8).

Die Autorinnen beschreiben einige Entspannungsübungen; dadurch soll es den Kindern gelingen, Ausgeglichenheit und innere Balance zu finden.

Entspannung und Meditation stärkt die Persönlichkeit der Kinder

Ausgeglichenheit erleben können, Stille ertragen lernen, Ruhe genießen können sind Früchte meditativer Übungen. Denn Meditation ist eine Methode zur bewussten und konzentrierten Hinwendung auf innere Erfahrungen eines Menschen. Sie stärkt die psychischen Kräfte der Kinder und kann Widerstandskraft und Robustheit gegenüber Widerwärtigkeiten des Lebens erhöhen.

Wissenschaftliche Untersuchungen konnten nachweisen, dass Meditierende weit weniger angstanfällig sind. Zugleich erhöht sich damit die Bereitschaft, für neue Herausforderungen offen zu sein. Damit verbunden ist die Festigung des Grundvertrauens bei meditierenden Kindern. "Meditative Übungen führen zudem zu einem Gefühl des Urvertrauens bzw. Grundvertrauens, welches sich unabhängig von Bezugspersonen, Gedanken und materiellen Dingen einstellt. Dieses Gefühl vermittelt den Meditierenden Sicherheit und Geborgenheit in dieser Welt. Im Prinzip ist es vergleichbar mit dem Gefühl der Geborgenheit, welches durch liebevolle, wertschätzende Eltern vermittelt wird. Somit führt dieses Grundvertrauen genauso wie die Internalisierung eines liebenden Elternteils zu einer Erhöhung des Selbstwertes" (9).

Weiterhin zeigen Forschungen am meditierenden Menschen, dass es ihnen gelingt, Widersprüche leichter in ihr Persönlichkeitskonzept zu integrieren. Sie sind somit weniger anfällig für innere Zerrissenheit und Orientierungslosigkeit. Diese stabilisierende Wirkung versetzt Kinder in die Lage, ihre Bedürfnisse konkreter und genauer wahrzunehmen. Sie sind somit nicht mehr so den Verlockungen durch Werbung und dem Urteil durch andere ausgeliefert. Damit wird eine realistische Beziehung zur Umwelt und zu anderen erzeugt und größere Unabhängigkeit erreicht. "Als Ergebnis der Stille-Übungen nennt Gottfried vor allem die Zunahme des Selbstbewusstseins und der Selbsteinschätzung, was darauf hindeutet, dass die Kinder durch die Übungen lernen, zu sich selbst zu finden. Weiterhin entwickeln die Kinder mehr Rücksichtnahme, Geduld und Verständnis anderen gegenüber. Dadurch dass sie sich selbst mit ihren Eigenschaften und Fähigkeiten besser kennen lernen, scheinen sie auch fähig zu sein, besser auf andere einzugehen und diese somit besser akzeptieren zu können" (10).

Alle bisher angeführten Wirkungen der Meditation bei Kindern tragen insgesamt zur Stärkung ihrer Persönlichkeit bei. Es sind vor allem das Selbstwertgefühl und die Selbsteinschätzung, die durch meditative Übungen verbessert werden. Diekmann zeigt dazu folgenden Zusammenhang auf: "Solche Untersuchungen bieten eine mögliche Erklärung über die Wirkung der Meditation und besonders die Erhöhung der Stabilität des Selbstkonzeptes. Informationen, welche widersprüchlich zum Selbstkonzept der Person sind, werden während der Meditation durch wechselseitige Angleichungsprozesse integriert. Dies führt zu einem stabileren und erweiterten Selbstkonzept, da selbstgefährdende Informationen einfach in dieses übernommen werden. Anders als bei der Abwehr selbstgefährdender Informationen, welche das Selbstkonzept und die eigene Person einengen, wird dieses durch Assimilation der neuen Informationen erweitert. Eine vermehrte Offenheit gegenüber neuen Erfahrungen, positive Gefühle und vermehrte Spontaneität sind die Folge einer solchen Erweiterung. In seiner Konsequenz führt die Akzeptanz neuer selbstbezogener Informationen über sich selbst zu einer Erhöhung des Selbstwertes. Man akzeptiert sich selbst mit seinen Eigenschaften und Fähigkeiten" (11).

Wenn die Lebensbedingungen heute und in Zukunft mehr Belastungen mit sich bringen, so ist die logische Konsequenz, die psychische Stabilität und Robustheit der Kinder zu stärken. Meditative Übungen stellen eine Vielfalt von Formen bereit, um dieses Ziel zu erreichen.

Anmerkungen

  1. Krappmann, L.: Zukunft mit Kindern. In: www.liga-kind.de/fruehe/103_krappmann.php
  2. Krappmann, L.: Zukunft mit Kindern. In: www.liga-kind.de/fruehe/103_krappmann.php
  3. Hurrelmann, K.: Kindheit heute - Der Platz von Kindern in unserer Gesellschaft. In: www.kindergarten-heute.de
  4. Ebd., S. 5
  5. Bayerisches Staatsministerium für Arbeit und Sozialordnung, Familie und Frauen/Staatsinstitut für Frühpädagogik München: Der Bayerische Bildungs- und Erziehungsplan für Kinder in Tageseinrichtungen bis zur Einschulung. Weinheim, Basel, Berlin 2003, S. 43-53
  6. Wustmann, C.: Resilienz. Widerstandsfähigkeit von Kindern in Tageseinrichtungen fördern. Weinheim, Basel 2004, S. 18
  7. Bayerisches Staatsministerium für Arbeit und Sozialordnung, Familie und Frauen/Staatsinstitut für Frühpädagogik München: Der Bayerische Bildungs- und Erziehungsplan für Kinder in Tageseinrichtungen bis zur Einschulung. Weinheim, Basel, Berlin 2003, S. 50
  8. Murphy-Witt, M./Stamer-Brand, P.: Was Kinder für die Zukunft brauchen. Die 8 Schlüsselqualifikationen - und wie Sie Ihr Kind darin fit machen. München 2004, S. 88
  9. Diekmann, J.: Das Selbstwertgefühl bei Kindern/Jugendlichen mit geistiger Behinderung - Möglichkeiten der Förderung/ Erhöhung z.B. durch Meditation und Kreativitätstraining. Dortmund 2001
  10. Diekmann, J., ebd. S. 16
  11. Diekmann, J., ebd. S. 12
Literatur

Bayerisches Staatsministerium für Arbeit und Sozialordnung, Familie und Frauen/Staatsinstitut für Frühpädagogik München: Der Bayerische Bildungs- und Erziehungsplan für Kinder in Tageseinrichtungen bis zur Einschulung. Weinheim, Basel, Berlin 2003

Gottfried, E: Meditation mit Vorschulkindern. Welt des Kindes 1973, Heft 6, S. 274

Hurrelmann, K.: Kindheit heute - Der Platz von Kindern in unserer Gesellschaft. In: www.kindergarten-heute.de

Krappmann, L.: Zukunft mit Kindern. In: www.liga-kind.de/fruehe/103_krappmann.php

Murphy-Witt, M./Stamer-Brand, P.: Was Kinder für die Zukunft brauchen. Die 8 Schlüsselqualifikationen - und wie Sie Ihr Kind darin fit machen. München 2004

Wustmann, C.: Resilienz. Widerstandsfähigkeit von Kindern in Tageseinrichtungen fördern. Weinheim, Basel 2004

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