Vorlesen und Bilderbücher - Gedanken und Impulse

 Kathrin Eimler

Vorlesen – Zuhören – Mitfiebern – Mitreden – Mitgestalten – Ideen entwickeln – Gedanken freien Lauf lassen – Fantasie anregen...

Das sind Stichwörter, die mir spontan zum Thema „Vorlesen“ einfallen. Man kann diese Liste wahrscheinlich noch endlos weiterführen, doch ich möchte in diesem Beitrag ein paar Informationen, oder besser Impulse geben und mich so mit dem „Thema Vorlesen“ auseinandersetzen.

Selbst lesen

Ich lese selbst sehr viel, querbeet über fast alle Genres. Meiner Tochter ist ebenfalls eine Leseratte geworden, was ich richtig großartig finde. Lesen ist eine sinnvolle Beschäftigung – finde ich. Warum?

Beim Lesen entflieht man der Wirklichkeit, taucht ein in eine Welt der Fantasie, entdeckt und erforscht Menschen, fremde Wesen und neue Gedanken, erlebt Emotionen und erkundet Zeit und Raum. Das alles entspannt! Denn der Kopf schaltet ab, der Alltag und der damit verbundene Stress bleibt eine Weile vergessen und das tut dem Körper und der Seele gut.

Lesen bildet natürlich auch! Es gibt Sachbücher, Fachbücher, Kochbücher, Reisebücher etc. – und überall stecken Informationen drin, die man für sich nutzen kann.

Vom Vorlesen und Bilderbücher betrachten

Was aber hat das mit dem Vorlesen und dem Betrachten von Büchern und Bilderbüchern zu tun? Eine ganze Menge!

Vorlesen fördert die Lesekompetenz der Kinder

Kinder, die nie oder nur selten mit Büchern in Berührung gekommen sind, werden seltener selbst zu Lesern. Lesen, das haben wir eben gehört, bildet aber! Eine gute Lesekompetenz ist für die Schulbildung unerlässlich, denn Kinder müssen sich Inhalte erlesen und diese auch begreifen können. Hierzu benötigen Sie einen großen Wortschatz und grammatikalisches Verständnis. Dieses wird durch das Vorlesen gefördert.

Vorlesen fördert Konzentration, logisches Denken und Empathie

Beim Vorlesen hören die Kinder zu. Sie müssen sich konzentrieren, um dem Inhalt der Geschichte folgen zu können. Logische Handlungsstränge werden in Geschichten erarbeitet, die die Kinder nachzuvollziehen lernen. Kinder entwickeln einen Bezug zu den Protagonisten, den „Helden“ der Geschichte. Sie verfolgen seine Taten, verstehen sein Handeln, und üben sich dadurch in ihrem Einfühlungsvermögen. Gerade dies ist in der heutigen Zeit so wichtig, denn durch den immer mehr werdenden Medienkonsum gehen diese Fähigkeiten verloren.

Vorlesen entspannt, entschleunigt und regt die Fantasie an

Kinder tauchen ein in die Welt der Geschichten. Wenn Kinder Bilderbücher betrachten, tun sie das ganz in ihrem Tempo. Sie nehmen sich die Zeit, die sie brauchen und entspannen dabei. Beim Zuhören von Geschichten lassen die Kinder Bilder in ihrem Kopf entstehen, die ihnen guttun. Kreative Gedanken entwickeln sich, wenn eigene Bilder und die Vorstellung der Geschichtenwelt entstehen.

Diese Fantasie können die Kinder später in eigenen Rollenspielen nutzen. Fantasie ist wichtig, um Lösungsmöglichkeiten im Miteinander zu finden und um Probleme zu lösen. Und wie kann man die Fantasie, das kreative Denken besser anregen, als durch das Geschichten hören und Bücher betrachten?

Vorlesen stärkt soziale Beziehungen und Bindungen

Durch das Vorlesen in gemütlicher Runde, Gespräche über das Gehörte und das gemeinsame Erleben werden soziale Bindungen gestärkt. Man schafft ein positives Miteinander und das schweißt zusammen. Das gegenseitige Vertrauen wächst, man lernt sich besser kennen und versteht einander.

Vorlesen – Impulse

Vorlesen ist gar nicht so schwierig. Im Folgenden gebe ich Ihnen ein paar Impulse, mit denen eine Vorleserunde ein Vergnügen für alle wird.

  • Gestalten Sie eine ruhige und gemütliche Leseecke. Das kann ein Sofa sein, Matratzen, die auf der Erde liegen oder eine Lesehöhle. Vielleicht haben Sie noch Kuschelkissen oder Decken, die für noch mehr Behaglichkeit sorgen.
  • Legen bzw. stellen Sie die Bücher übersichtlich hin, so dass die Kinder ohne Schwierigkeiten „ihr“ Buch herausholen können.
  • Lassen Sie die Kinder entscheiden, welche Geschichte gelesen werden soll. Wer sich selbst etwas aussucht, das ihn interessiert, hört gerne zu und spricht auch darüber.
  • Beim Vorlesen sollten keine Ablenkungen möglich sein, denn nur so kann man sich vollkommen in die Geschichte hineinversetzen.
  • Lesen Sie lebendig vor, verstellen Sie die Stimme und flößen Sie den Protagonisten so Leben ein. Das macht das ganze spannender und die Kinder können besser zuhören.
  • Sprechen Sie mit den Kindern über das Buch. Manchmal entstehen Zwischenfragen, die sollten beantwortet werden.
  • Vorlesen sollte ein Ritual sein. Suchen Sie sich Zeitpunkte am Tag, zu denen vorgelesen wird. So entsteht Sicherheit auf alles Seiten und die Vorfreude wächst. Haben Sie selbst Spaß beim Vorlesen! Ein Kind merkt schnell, wenn Sie sich nicht für die Geschichte interessieren und verliert dann ebenso das Interesse.

Wenn Kinder das Interesse an Geschichten verlieren…

Wenn Kinder anfangen, das Interesse an der Geschichte zu verlieren, machen Sie die Geschichte wieder spannend.

  • Vertauschen Sie die Namen der Protagonisten und setzen Sie die Namen der Kinder ein.
  • Bauen Sie falsche Wörter in die Geschichte ein, was die Aufmerksamkeit der Kinder wieder erhöht.
  • Wenn den Kindern die Geschichte nicht richtig gut gefällt, überlegen Sie, was man ändern kann, damit sie wieder spannend und interessant wird. Erweitern Sie die Geschichte: fügen Sie neue Personen hinzu, ändern sie den „Spielort“ – vielleicht reitet der Ritter nicht durch den Wald, sondern durch die Wüste?
  • Ändern Sie eventuelle auch das Ende der Geschichte! Die Hexe soll nicht im Ofen brennen? Vielleicht wird sie verbannt und lebt nun in einem anderen Land? Oder sie verwandelt sich in einen lieben Menschen und zieht bei Hänsel und Gretel ein? Ihrer und der Fantasie der Kinder sind hier keine Grenzen gesetzt!

Methoden und weitere Ideen des Vorlesens und Buchbetrachtens

Traditionelles Vorlesen

Sie lesen den Text und die Kinder hören zu. Die Kinder lernen Bücher kennen, was Vertrauen in das Medium Buch schafft. Durch das Zuhören erweitern die Kinder ihren Wortschatz und verinnerlichen grammatikalische Strukturen. Sie lernen Handlungsstränge und damit den Aufbau von Geschichten zu verstehen. Komplexe Inhalte können so vermittelt werden.

Dialogische Bilderbuchbetrachtung

Dialogisches Vorlesen ist eine Mischung aus Vorlesen und Erzählen. Nachdem die Kinder ein Buch ausgesucht haben, wird gemeinsam das erste Bild betrachtet. Die Kinder werden eingeladen, das Bild zu beschreiben, Personen, Tiere und die Umgebung zu erkennen. Gemeinsam wird überlegt, was in der Geschichte passiert. Die Kinder werden somit aktiv und intensiv in die Betrachtung des Buches mit einbezogen. Sie werden durch offene Fragen zum Sprechen angeregt, der aktive Wortschatz und die Sprachkompetenz der Kinder verbessern sich. Sie, als Erwachsener, sind aktiver Zuhörer und Impulsgeber. Ein Teil des Textes wird gelesen, es wird zusammen überlegt, wie die Geschichte weitergehen kann. Gemeinsam sprechen Sie über das Gehörte und diskutieren aufkommende Fragen.

Die Kinder lernen so ohne Druck. Sie können sich frei äußern und wenden ihren Wortschatz an. Neue Wörter kommen hinzu, alte werden gefestigt. Durch das Verknüpfen von Bildern und Worten entsteht das Verständnis von Begrifflichkeiten. Das kann besonders für Kinder mit Förderbedarf oder beim Erlernen einer Fremdsprache hilfreich sein.

Laufbuch

Sie haben ein tolles Bilderbuch mit ansprechenden Bildern und die Geschichte wird hauptsächlich durch die Bilder erzählt? Kopieren Sie die Bilder (ggf. Zustimmung des Verlages einholen) und hängen Sie diese in der richtigen Reihenfolge in Augenhöhe der Kinder an die Wand. Gehen Sie mit den Kindern an den Bildern entlang und erzählen Sie die Geschichte.

Die Kinder haben nun die Möglichkeit, immer wieder an den Bildern entlangzugehen und sich die Geschichte zu erzählen. Diese Methode eignet sich schon für die Jüngsten. Wenn die Kinder die Geschichte gut kennen, können Sie heimlich Bilder austauschen. Wie schnell erkennen die Kinder, dass da was falsch ist?

Kamishibai

Haben Sie ein Kamishibai in der Kita? Kinder lieben es, die Bilder in dem besonderen Rahmen zu betrachten und der Geschichte zu lauschen oder auch selbst diese Geschichten zu erzählen. Sie können hier ebenfalls Bilder von selbsterfundenen Geschichten zeigen, während die Kinder die Geschichte erzählen. Das kann ein Bild sein, aber auch mehrere.

Kniebücher

Es gibt sogenannte Kniebücher. Diese sind groß, haben auf einer Seite ein Bild und auf der anderen Seite den Text. So können Sie Geschichten gut einer größeren Gruppe vorlesen. Die Kinder betrachten die Bilder, während Sie problemlos den Text vorlesen können.

Bilderbuchkino

Eine besondere Aktion für Kinder ist das Bilderbuchkino. Sie können sich (sogar kostenlos online) ganze Bilderbücher herunterladen und diese dann über den Beamer an die Wand projizieren. Die Kinder lauschen dem Text und sehen die Bilder ganz groß. Auch hier ist es natürlich möglich und sinnvoll, mit den Kindern über die Bilder zu sprechen, Einwürfe zu beachten und auf Fragen zu antworten.

Vorleseschlange

Die Vorleseschlange ist keine direkte Methode, um vorzulesen, aber sie kann als Motivator dazu dienen, den Kindern etwas vorzulesen. Kinder hören nicht nur gerne Geschichten, sondern sind auch kreativ. Organisieren Sie einen Wettbewerb in der Kita: Die längste Vorleseschlange gewinnt!

Lesen Sie, die Eltern oder Großeltern den Kindern Geschichten vor. Jeder darf zu seiner Lieblingsgeschichte nun ein Bild gestalten. An einem Aktionstag werden die Bilder aufgehängt. Die Gruppe (oder kitaübergreifend die Kita) mit der längsten Bilderschlange gewinnt!

Betrachten Sie die Bilder gemeinsam und sprechen Sie mit den Kindern über die Bilder. Die kleinen Künstler werden wahrgenommen, das Selbstbewusstsein steigt und das Buch/ die Geschichte bekommt eine ganz besondere Bedeutung für das Kind.

Buchtauschbörse

Richten Sie in der Kita eine Buchtauschbörse ein. Bestimmt haben Sie einen Platz im Eingangsbereich, der für alle einsehbar ist. Richten Sie hier ein Regal oder eine schöne Truhe ein, in der ausgelesene, aber brauchbare Bücher zu finden sind. Jeder darf ein Buch mitnehmen, sollte aber auch ein altes von zuhause mitbringen. Die Bücher können ausgeliehen oder behalten werden. Eine Kollegin sollte für die Buchtauschbörse verantwortlich sein und die Bücher regelmäßig kontrollieren.

Fazit

Nicht immer ist das Vorlesen in einer Kleingruppe möglich, obwohl wir alle wissen, dass das die beste Lernmethode mit Büchern ist. Versuchen Sie deshalb, Nischen zu finden und das Lesen in Kleingruppen möglich zu machen. Vielleicht haben Sie auch Lesepaten, die in die Einrichtung kommen? Oder auch Praktikanten, die diese Aufgabe gerne übernehmen können. Mit ein wenig Anleitung schaffen Sie ein Übungsfeld für die Auszubildenden, während die Kinder ebenfalls davon profitieren!

Nun haben Sie einige Gedanken, Ideen und Impulse rund ums Thema Vorlesen bekommen. Ich hoffe, diese helfen Ihnen in der Arbeit im Team, mit den Kindern und Familien weiter. Zum Abschluss noch ein paar Kinderstimmen zur Frage:

 Was magst Du am Vorlesen?

„Dass es so gemütlich ist.“

„Dass ich tolle Geschichten hören kann.“

„Es ist einfach schön, wenn jemand vorliest.“

„Dass Mama / Papa sich Zeit nehmen.“

„Dass ich Mama / Papa für mich habe.“

„Dass es so ruhig und entspannend ist.“

„Dass ich mich ausruhen kann.“

„Dass ich mich in die Geschichte hineinversetzen kann.“

„Dass wir ins Erzählen kommen.“

Autorin

Kathrin Eimler ist freiberufliche Autorin und verfasst Beiträge für Praxiswerke (Abos und Bücher) eines Kita-Fachverlages. Sie hat über 20 Jahre in Kindertagesstätten mit Kindern von 0-6 Jahren gearbeitet und war zuletzt für das Bundesprogramm „Sprachkitas: Weil Sprache der Schlüssel zur Welt ist“ tätig. Die Autorin hat bisher zwei Bücher mit Vorlesegeschichten und ein Bilderbuch veröffentlicht. Für die Fachpraxis ist ein Buch mit Klanggeschichten, sowie ein Buch zur Sprachförderung erschienen. https://kathrin-eimler.de/

Dort finden Sie ebenfalls Informationen über meine Kinderbücher „Jule weiß das noch genau“, „Neues von Jule“ und „Ritter Schnubidu hilft dem König“. 

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