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Zitiervorschlag

Aus: Kindergarten heute 2001, 31 (2), S. 36-40 (ursprüngliche Fassung)

Sag' mir, wo die Männer sind... Professionelle Väterarbeit in der KiTa

Till Mieke

 

In meinem Bemühen als Erzieher im Hort einer Dahlemer Kita, mit Eltern zusammenzuarbeiten, sie als Experten für ihr Kind ernst zu nehmen und am Leben ihrer Kinder in der Kita mitbestimmen und teilhaben zu lassen, war ich erfolgreich. In relativ gut besuchten Elternabenden waren die Kinder zu 90% durch ihre Mutter vertreten. Als einziger Mann unter 13 bis 15 Frauen habe ich vorsichtig die Frage gestellt, wo denn eigentlich die Väter sind. Kam dann doch einmal ein Vater, wurde er mit viel Beifall von den Müttern bedacht. Doch meine Unzufriedenheit über deren weitgehende Abwesenheit bei gemeinsamen Aktivitäten in der Kita blieb - zumal ich im Alltag bei den Jungen und Mädchen in meiner Gruppe oftmals den Eindruck hatte, dass dieser oder jene eine stabile Rückenstärkung durch den Vater gut gebrauchen könnte. In einer AG "Männer in der Kita" wurde mir bewusst, das nicht nur ich das Fehlen männlicher Bezugspartner bemerke. Auch in Fachzeitschriften (Kindergarten heute 7-8/96), in den Medien, in Fachbüchern, im Internet (z.B. www.pappa.com) entwickelt sich eine neue Aufmerksamkeit von und zu Männern in der Verantwortung der Kindererziehung.

Väter in der öffentlichen Debatte

Ich möchte in einer nachfolgenden Betrachtung einen Ausschnitt öffentlicher Debatte vorstellen, die mich bewegt hat, Qualität von Elternarbeit nach der Teilhabe von allen Gruppen von Eltern zu bewerten (z.B. gibt es in den Qualitätskriterien der Kindergarten-Einschätz-Skala (KES) keinen Standard der Bewertung differenzierter Elternarbeit. Es ist für die Arbeit von Erzieherinnen und Erzieher nach KES also völlig ausreichend, vorwiegend "Mütterarbeit" zu leisten).

In den letzten Jahren ist die "Frage nach dem Vater" wiederholt in den Mittelpunkt öffentlicher Diskussion gestellt worden. Im neuen Kindschaftsrecht, 1998 verabschiedet, ist in § 1684 Abs. 1, 2 BGB geregelt:

  1. Das Kind hat das Recht auf Umgang mit jedem Elternteil; jeder Elternteil ist zum Umgang mit dem Kind verpflichtet und berechtigt.
  2. Die Eltern haben alles zu unterlassen, was das Verhältnis des Kindes zum jeweils anderen Elternteil beeinträchtigt oder die Erziehung erschwert. Entsprechendes gilt, wenn sich das Kind in der Obhut einer anderen Person befindet.

Das Sorgerecht wurde hier sehr klar aus der Perspektive des Kindeswohls entschieden. Erzieherinnen und die wenigen Erzieher, die Kinder in dem langjährigen Prozess der Trennung der Eltern täglich erleben, können ein Lied davon singen, welche Schmerzen einem Kind hier zugefügt werden und wie es in seiner Entwicklung behindert wird: "Das ernsthafteste Problem der zunehmenden Familienauflösung stellt der definitive Vaterverlust für Millionen heranwachsender Kinder dar. Die moderne Traumaforschung hat uns eine Vorstellung davon vermittelt, wie dramatisch sich dieser Verlust auf die intellektuelle, seelische und soziale Entwicklung und auf das Bindungsverhalten auswirkt. Psychische und psychosomatische Erkrankungen, selbst verletzendes Verhalten, Selbstmordgefährdung, Drogensucht und soziales Scheitern durch Verwahrlosung, Gewaltneigung und Kriminalität wachsen bei vaterverlassenen Kindern und Jugendlichen besorgniserregend an. Wie konnte es zur Verleugnung dieser Realität kommen? ... Die Ausblendung der Realität datierte aus einer Zeit, in der millionenfache Vaterverlust der beiden Weltkriege noch als klaffende Wunde durch die Bevölkerung ging. Sie war offenbar so schmerzhaft, dass es zu einer kollektiven Verdrängung des Themas kam, das bis in die jüngste Zeit weder wissenschaftlich noch in der Öffentlichkeit aufgearbeitet wurde ..." (Horst Petri: Vaterlose Gesellen, in: Die Welt vom 19.04.2000).

Die Frage nach dem Vater berührt also in der Gesellschaft ein Thema, dem schon sehr lange aus dem Weg gegangen wurde. Pädagogische Fachdiskussionen werden daher eher selten in diese Richtung geführt.

Welche Rolle spielen Kindertagesstätten bei der "Frage nach dem Vater"?

Die Kita ist ein Teil der Gesellschaft. Sie ist erste öffentliche Instanz, die Familien Anerkennung, Akzeptanz, Unterstützung und Dienstleistung bietet oder bieten könnte. Mit ihrem Auftrag der Elternarbeit setzt sie wesentliche Akzente im gesellschaftlichen Zusammenleben (z.B. inwieweit Erzieher auf Elternabenden Mitbestimmung zulassen oder nicht, bildet Maßstäbe für politische Demokratie).

Die Situation der Kinder bestimmt sich aus der Situation der Familie. Neben den Rollen als Vater und Mutter verändern sich seit dem letzten Jahrhundert die Geschlechteridentitäten. Gleichstellung der Frau entwickelt sich jenseits der Familie, und Gleichstellung des Mannes zeigt sich in der Familie. An diesem Punkt gibt es Spannungen, Krisen, Geschlechterkriege u.Ä., in denen Ehen oder eheähnliche Gemeinschaften zerbrechen und ihre Aufgabe, als Eltern gemeinschaftlich zu handeln, nicht mehr wahrnehmen können. Kinder übernehmen dann oft eine Verantwortung, die ihnen deutlich schadet und sie überfordert.

In Elterngesprächen mit beiden Partnern können Erzieherinnen und Erzieher den Eltern deren gemeinsame Verantwortung bewusst machen. Die Position im Eltern-Geschlechterkampf kann nur die eine sein: aus der Sicht des Kindes zu argumentieren. Es geht Kindern nicht darum, wer der "Bessere" in der Kindererziehung ist, sondern dass ihnen beide zur Verfügung stehen.

In meiner Praxis ist eine neutrale Position durchaus nicht selbstverständlich. Frauen und Männer versuchen oft, ihr Umfeld im Trennungsfall auf ihre Seite zu ziehen, wenn sie sich nicht einigen können, und sind damit manchmal auch in der Kita "erfolgreich".

Väterarbeit als Langzeitprogramm könnte Scheidungen der Eltern möglicherweise präventiv entgegenwirken. Mit der Anerkennung des "Mann-Seins" und "Vater-Seins" im "Frauengarten" (Dieter Fuchs) erleben Jungen und Mädchen ein Vorleben von Geschlechterakzeptanz (Beendigung des Geschlechterkrieges als Gesellschaftsaufgabe des 21.Jahrhunderts - Horst Petri). Aktivitäten mit Männern in der Kita anzubieten (z.B. ein Vater-Sohn-Fußballturnier), bedeutet für Frauen als Erzieherinnen, aus ihrer beruflichen Distanz heraus Jungen und Mädchen das zu geben, was ihnen offensichtlich fehlt: väterliche Präsenz. Weder eine Zunahme der als Erzieher Tätigen noch der Einzelfallhelfer beim verhaltensauffälligen Jungen kann den Vater ersetzen. Es fällt lediglich auf, dass wir Professionellen uns der Ressource "Väter" in Kindertagestätten kaum bedienen, die unsere Arbeit sehr wirksam unterstützen könnte.

Veränderungen in der Kita: Mit oder lieber doch ohne die Männer?

In meinem Arbeitsumfeld wurden neben dem ständigen Themenschwerpunkt Elternarbeit (gemeinsame Organisation des Sommerfestes, Elterncafé, Übernahme des Notdienstes durch Eltern bei einer Schließung wegen einer Fortbildung) die Entwicklung einer Konzeption, Erziehung in altershomogenen oder altersgemischten Gruppen mit Anregungen aus dem situationsorientierten Ansatz, Qualitätsentwicklung in Kindertagesstätten und Integration diskutiert. Alle diese Diskussionen sind gut für die Kita - und sicherlich noch einige weitere Veränderungen.

Die Kooperation mit Eltern ist eine der wichtigsten Grundlagen für Veränderungen. Eltern als Kunden und Partner sollten sie mittragen. Es muss etwas "faul sein im Staate Dänemark", wenn Elternarbeit in den meisten Kitas vorwiegend "Mütterarbeit" (M. Textor) bedeutet. In meiner Einrichtung teilen sich häufig Mütter und Väter das Bringen und Abholen der Kinder. Dagegen sind Väter auf Elternabenden deutlich unterrepräsentiert. Es gibt Ausnahmen, sehr aktive Väter, z.B.

  • ein Vater als Gesamtelternvertreter,
  • ein Vater als Leiter einer Fußball-AG,
  • ein Vater organisiert den Besuch einer Eisrevue, bei der seine Tochter mitwirkt,
  • ein Vater organisiert beim Sommerfest regelmäßig einen Popcornstand, ein anderer das Equipment für Gasballons.

In den genannten Beispielen wurden die Väter meist von den Erzieherinnen und Erziehern direkt angesprochen. Von den Einladungen ("Liebe Eltern ...") zum Elternabend, bei denen die Höhe der Beteiligung oft als Gradmesser für das Interesse der Eltern an einer Mitarbeit oder auch der Anerkennung der Arbeit der Erzieherin/des Erziehers dient, scheinen sie sich nicht angesprochen zu fühlen. Ich gehe von der Annahme aus, das die Beteiligung von Eltern auch ein Spiegel des beständigen Kontaktes zur Familie darstellt, in der die Kollegin/der Kollege ähnlich agiert wie in der Pflege der Beziehung zum Kind. Sie/er reguliert die Nähe oder Ferne zum Kind zu mindestens 50% mit der eigenen Person. Nach meiner Erfahrung stärkt gerade die Neugierde auf die fernen Eltern und das suchende Gespräch mit ihnen die Qualität der Beziehung zum Kind.

Ähnlich könnte es sich mit den "fernen" Vätern verhalten, wenn die pädagogischen Fachkräfte beginnen, zu agieren und nicht darauf warten, bis die "Herren" mal kommen. Diese fühlen sich natürlich nicht besonders wohl, als womöglich einziger Mann unter Frauen auf zu kleinen Stühlen zu sitzen. Martin Textor empfiehlt daher, ein Väterprogramm zu entwickeln. Elternabende nur für Väter, Vater-Kind-Nachmittage, Vätergruppe, Hospitation von Vätern, Besuche mit Kindern auf den Arbeitsstellen der Väter etc. können Männern den passenden Rahmen bieten. So könnten sie zu willkommenen Partnern im Projekt einer geschlechtsdifferenzierten Erziehung in der Kita werden.

Der erste Schritt: Organisationsentwicklung

Grundlage für die Organisation Kita, Väter stärker einbeziehen zu wollen, ist die eigene Reflexion im Wechselspiel mit der Klärung innerhalb des Teams. So können bei Teamsitzungen die Einstellungen der Kolleg/innen diskutiert und verdeckte Widerstände angesprochen werden. Ausgangspunkt könnte - wie von mir praktiziert - ein Fragebogen sein. Mit dessen Hilfe wurde der Ist- Zustand der Organisation "Kindergarten" hinsichtlich des tatsächlichen Kontaktes zu den Vätern und Lebenspartnern und auch den Ist- Zustand der Einstellungen der Mitarbeiter/innen erfasst.

Nahezu alle, die an der Befragung teilgenommen haben,

  • finden es wichtig, dass Väter mit in die Kita einbezogen werden,
  • fühlen sich sicher im Umgang mit Vätern,
  • haben ein positives Bild von Vätern hinsichtlich ihrer Kompetenz in der Kindererziehung und ihrem Maß an Sensibilität beim Auftreten auf einem Elternabend,
  • haben zeitliche Ressourcen, sich "um Väter kümmern" zu können.

Eine Verbesserung der Väterarbeit könnte - darauf aufbauend - erreicht werden, wenn folgende, sich aus der Umfrage ergebenden Ziele verfolgt werden:

  1. Positive praktische Erfahrungen von erfolgreichen Kolleginnen/Kollegen werden im Team ausgetauscht.
  2. Das Team stellt einen Katalog der Vor- und Nachteile der Einbeziehung von Vätern und Lebenspartnern aus der Sicht der Kinder, aus der Sicht der Erzieherinnen/Erzieher, der Leitung, der Mütter etc. auf.
  3. Die Organisation entwickelt relativ einheitliche Qualitätsstandards erfolgreicher und wirksamer Elternarbeit, die den manchmal schwierigen Bedingungen der Kinder Rechnung tragen.
  4. Besondere Angebote für Väter und Lebenspartner können geplant und ausprobiert werden.
  5. Das Team könnte sich einen Überblick über den familiären Hintergrund der Kinder erarbeiten. Es geht dann darauf ein, welche Familiensituationen für Kinder konflikthaft sind. Dann könnte unter Einbeziehung aller Mitarbeiter ein Konzept z.B. zum Umgang mit getrennt lebenden Familien oder Stieffamilien erarbeitet werden. Dies erweitert die Kompetenzen bezüglich der Einbeziehung von getrennt lebenden Vätern, Stiefvätern und Lebenspartnern der Mütter, die in ihren unterschiedlichen Rollen unterstützt werden können. Dabei wird der Aufgabenbereich der Mitarbeiter/innen abgegrenzt (z.B. ist für Paartherapie in der Kita kein Platz; in solchen Fällen Vermittlung an Erziehungsberatungsstellen).
  6. Die Organisation könnte sich damit befassen, dass "Fragen nach dem Vater" nicht immer wohlwollend aufgenommen werden. Sie könnte z.B. (bei Notwendigkeit) durch Rollenspiele den ungünstigen oder günstigen Verlauf eines solchen Gespräches entwerfen. Dabei sollte "im Auge behalten" werden, dass ein solches Gespräch z.B. dazu führen könnte, das Umgangsrecht eines Kindes mit einem schon jahrelang abwesenden Vaters herzustellen.

Bei den beiden letztgenannten Punkten mag der biographische Hintergrund der Mitarbeiter/innen von Bedeutung sein. Die Reflexion des eigenen Vaters in seiner Rolle als Partner der Mutter und in der Beziehung zum Kind (also sich selbst) bestimmt zu einem wesentlichen Teil das Maß an Bedeutung, die der Erzieher/die Erzieherin der Arbeit mit Vätern zuschreibt. Im ungünstigen Fall mag eine nicht bewusste Lernerfahrung dazu führen, dass versucht wird, Kinder vor den Eigenheiten väterlicher Erziehung fernzuhalten. Genauso gut mag die Orientierung am Bild der "Normalfamilie" die Arbeit mit Lebenspartnern und getrennt lebende Vätern erschweren.